Vorhersage oder Lotterie? Das Verhältnis von Wahlumfragen und tatsächlichen Wahlergebnissen anhand der Landtagswahlen in Deutschland im Jahre 2016


Hausarbeit, 2017

15 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theorien und Forschungsfragen

3. Methode

4. Ergebnisse

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

12 Anhang

Vorhersage oder Lotterie?

Über das Verhältnis von Wahlumfragen und tatsächlichen Wahlergebnissen anhand der Landtagswahlen in Deutschland im Jahre 2016

- ,,Sir, was ist ihre Pr ä ferenz? “

- ,,Ich steh ‘ auf M ä dchen, du Schwuchtel! “

(aus ,,Die Simpsons“)

1. Einleitung

Führt man Umfragen so präzise durch wie der Nachrichtenmoderator Kent Brockman aus der Fernsehserie „Die Simpsons“, ist es wenig verwunderlich, eine Antwort zu erhalten, die nicht gänzlich der Erwartung entspricht. Die Frage nach der Wahlabsicht (inklusive der Antwortmöglichkeiten) ist hingegen bei Meinungsforschungsinstituten deutlich genauer formuliert. Bei der klassischen ,,Sonntagsfrage“1 entspricht sie im Wesentlichen der Auswahl, die schließlich tatsächlich auf dem Wahlzettel steht. Umso erstaunlicher erscheint es auf den ersten Blick, dass es den Instituten nicht gelingt, den Ausgang einer Abstimmung richtig vorherzusagen. Gerade in der jüngeren Vergangenheit gerieten Meinungsforscher zusehends in die Kritik, da es ihnen in den Augen der Öffentlichkeit nicht gelang, den Ausgang des „Brexit“-Votums im Juni 2016 sowie den Ausgang der US- amerikanischen Präsidentschaftswahl im November desselben Jahres zu prognostizieren. Dahinter steckt der Irrglaube, dass Umfragen Prognosen für eine Wahl oder Abstimmung seien. Umfragen werden in einem bestimmten Zeitraum durchgeführt, ist dieser Zeitraum vergangen sind sie nicht mehr aktuell und das Meinungsbild könnte sich geändert haben. Weiterhin ist bei Umfrageergebnissen immer ein möglicher statistischer Fehler von etwa zwei Prozent zu beachten. Zudem erreichen Umfragen in der Regel eine Ausschöpfungsquote von weniger als 50 Prozent, wobei politisch Interessierte auch häufiger an Umfragen teilnehmen als politisch Desinteressierte, was zu einer Überrepräsentation in der Stichprobe führt

(Schneider-Haase, 2009). Umfragen sind also keine Vorhersagen, sondern möglichst genaue Abbilder der Meinungslage zu einem bestimmten Zeitpunkt oder in einem Zeitraum vor der Wahl.

Die Arbeit geht der Frage nach, ob es möglich ist, aus den Ergebnissen von Umfragen den Ausgang einer Abstimmung oder einer Wahl zu folgern. Untersucht wird dies anhand der fünf Landtags- bzw. Abgeordnetenhauswahlen, die 2016 in Deutschland stattfanden, genauer der Wahlen in Baden-Württemberg, Rheinland- Pfalz und Sachsen-Anhalt im März und der Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin im September. Die Bevölkerungszusammensetzung dieser Länder ergibt sicherlich kein für Deutschland repräsentatives Bild, jedoch erhält man durch die Untersuchung zweier alter Bundesländer, zweier neuer Bundesländer und des Stadtstaates Berlin eine recht heterogene Zusammensetzung der Untersuchungseinheit. Ziel der Arbeit ist es, die Größe der Unterschiede zwischen Umfrageergebnissen und tatsächlichen Wahlergebnissen herauszufinden und gegebenenfalls Regelmäßigkeiten bei der Abweichung von den Umfrageergebnissen zu ermitteln.

2. Theorien und Forschungsfragen

Zur Erklärung von Diskrepanzen zwischen Umfrage- und Wahlergebnisse gibt es verschiedene Theorien, die unterschiedliche Effekte auf die Wahlergebnisse vorherzusagen glauben. Eine häufig bemühte Theorie ist der „Bandwagon-Effekt“, nach dem Wähler auf der Seite der Mehrheit stehen möchten und daher den vermuteten Sieger wählen. (Irwin, van Holseyn, 2000; Schoen, 2004). Über die Motive hinter solch einer Wahl herrscht Uneinigkeit. Einerseits wird in solchem Wahlverhalten der Wunsch nach größtmöglicher Konformität gesehen (Allport, 1940), andere Ansätze vermuten dahinter eine Entscheidungsfindung unentschlossener Wähler gegen den vermutlichen Verlierer (Gallup & Rae, 1940). Radikalere Versionen der Theorien sprechen dem Menschen (bzw. dem Wähler) gar die Fähigkeit zu eigenen Entscheidungen ab, da Menschen den Wunsch hätten, Isolation zu vermeiden und sich daher ohne tiefergehende persönliche Wahlkriterien der Mehrheit anschließen (Granberg & Holmberg, 1986). Auch die Rolle der Medien respektive der Meinungsforscher wird einbezogen. Sie definierten durch Meinungsumfragen Konformität und erwünschtes Verhalten (Skalaban, 1988). Gemein haben diese Ansätze, dass sie im Kontext des US-amerikanischen Wahlsystems, also eines Zweiparteiensystems entstanden sind. Umstritten ist, wie sich diese Ansätze auf ein Mehrparteiensystem wie das deutsche übertragen lassen (Hopmann, 2010). In den verschiedenen Erklärungsmodellen der Theorien wird stets von einem Gewinner und einem Verlierer ausgegangen. Seit Bestehen der Bundesrepublik haben in der Regel mindestens drei Parteien um Parlamentssitze bei Land- oder Bundestagswahlen gekämpft.2 Die Tendenz zeigt seit einigen Jahrzehnten zu einer stetigen weiteren Zersplitterung des Parteiensystems in Deutschland durch das Hinzustoßen der Grünen in den Achtzigerjahren, der Linkspartei (bzw. ihrer Vorgängerparteien PDS und WASG) nach der Wiedervereinigung und der AfD seit ihrer Gründung 2013. Dazukommen gelegentlich temporäre Phänomene wie die Piratenpartei, die NPD oder die Republikaner. Bei den untersuchten Landtagswahlen im Jahr 2016 hatten immer sechs oder sieben Parteien realistische Chancen auf einen Einzug ins Parlament (In den Umfragen zur Landtagswahl in Mecklenburg- Vorpommern wurde die NPD zwar separat ausgewiesen, da dies aber bei keiner anderen Landtagswahl der Fall war, ihre Umfrageergebnisse drei Prozent nie überschritten und sie mit ebendiesem Wahlergebnis den Einzug in den Landtag recht deutlich verpasste, wird sie aus Gründen der Übersichtlichkeit hier den sonstigen zugerechnet und spielt auch für die Betrachtung von möglichen Effekten in dieser Untersuchung keine Rolle). Aus den Überlegungen, welche Parteien als potenzieller Gewinner einer Wahl betrachtet werden können ergeben sich folgende Forschungsfragen:

1. Gewinnt die Partei, die in den Umfragen vorne liegt, tatsächlich die Mehrheit?
2. Gewinnt die Partei des amtierenden Regierungschefs die Mehrheit, auch wenn dies zu Beginn in Umfragen nicht der Fall ist?
3. Können Parteien, die im Verlauf der Umfragen ihre Werte steigern, diesen Trend im Wahlergebnis fortsetzen?

Im Umkehrschluss ergeben sich aus diesen Fragen Gegenfragen, die mit ihren jeweiligen Gegenfragen einhergehen sollten:

2. Wenn die Partei des Regierungschefs die Mehrheit gewinnt, geht dies zulasten des bisherigen Koalitionspartners (2A) und/oder der innerparlamentarischen Opposition (2B)?

3. Setzen Parteien, die im Laufe der Umfragen Prozentpunkte verlieren, diesen Trend im Wahlergebnis fort (3A)?

Ein weiterer theoretischer Ansatz ist der dem „Bandwagon-Effekt“ entgegengesetzte „Underdog-Effekt“. Ihm zufolge geben Wähler Parteien oder Kandidaten ihre Stimme, die sie für den wahrscheinlichen Verlierer der Wahl halten. Gründe für dieses Verhalten könnten Mitleid (Kirchgässner 1986) oder Zynismus gegenüber Eliten (West, 1991) sein. Übertragen auf unsere aktuelle politische Lage (bzw. die im Jahr 2016) könnte dies bedeuten, dass der Wähler einer Partei seine Stimme gibt, deren Einzug in das Parlament gefährdet ist oder eine Partei aus Protest wählt, unabhängig davon, ob ihr Einzug ins Parlament sicher scheint.

4. Sind die Wahlergebnisse außerparlamentarischer Parteien stärker als ihre Umfragewerte?

5. Gibt es Unterschiede zwischen einzelnen Parteien?

6. Gibt es Unterschiede zwischen innerparlamentarischen und außerparlamentarischen Parteien, die den Einzug ins Parlament zu verpassen drohen.

Das Wahljahr 2016 stand im Zeichen einer starken AfD. Gründe für deren starkes Abschneiden bei ihren Erstteilnahmen an den fünf Landtagswahlen waren sicherlich auch äußere Faktoren, wie beispielsweise die außergewöhnliche Flüchtlingssituation, die im Sommer 2015 begann. Die überraschend starken Ergebnisse der AfD im Vergleich zu ihren Umfragewerten lassen sich dadurch allerdings nicht erklären. Betrachtet man die Rechtsextremismusforschung, so lässt sich feststellen, dass Menschen mit rechtsextremen Neigungen häufiger die Teilnahme an Umfragen verweigern als andere, sie sind also in den meisten Umfragen unterrepräsentiert (Stöss, 2009). Fest steht auch, dass Menschen mit rechtsextremen Tendenzen oder Wähler, die früher rechtsextremen Parteien zuneigten, mittlerweile der AfD zuneigen (Kroh & Fetz 2017). Hinzu kommt die in der AfD-Anhängerschaft weit verbreitete Skepsis gegenüber etablierten Medien (Infratest dimap 2015), die sicherlich auch mit Misstrauen gegenüber Forschungsinstituten einhergehen dürfte.

7. Sind die Wahlergebnisse der AfD stärker als ihre Umfrageergebnisse?

Weiterhin wird ermittelt, ob es in Bezug auf die Forschungsfragen Unterschiede zwischen neuen und alten Bundesländern sowie Unterschiede zwischen den Flächenländern und dem Stadtstaat Berlin gibt.

3. Methode

Grundlage der Arbeit ist ein Datensatz mit allen Umfrageergebnissen zu den betreffenden Landtagswahlen, die im Zeitraum von etwa zwei Monaten vor der Wahl durchgeführt wurden. Die meisten der Umfragen wurden durchgeführt von den Instituten Infratest dimap, INSA, Forschungsgruppe Wahlen, und Forsa, jeweils eine Umfrage wurde durchgeführt von YouGov, Customer Research42, GESS Phone & Field und uniQma. Aufgrund der Übersichtlichkeit der Daten wurde lediglich eine Excel-Datei angelegt. Es werden die Umfragewerte für die Parteien CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Die LINKE, FDP und AfD aufgeführt. Andere Parteien wurden, selbst wenn ihre Umfragewerte von den Instituten teilweise separat ausgewiesen wurden, nicht aufgeführt, da sie für den Ausgang der fünf Wahlen keine Rolle spielten, also die Fünf-Prozent-Hürde jeweils deutlich verfehlten. Waren sie von einem Forschungsinstitut gelistet, wurden sie in diesem Fall den sonstigen Parteien hinzugerechnet. Die Basis für den Vergleich zwischen Umfragewerten und Wahlergebnissen bildet der Durchschnittswert aller Umfrageergebnisse der jeweiligen Partei im genannten Zeitraum. Die Differenz zwischen Durchschnittsumfragewert und Ergebnis wird im Datensatz sowohl in Prozentpunkten als auch anteilig am Umfragewert angegeben. Grundlage für die weiteren Berechnungen sind die prozentualen Abweichungen vom Durchschnittsumfragewert.

4. Ergebnisse

1. Beim Blick auf den Wahlsieg der in den Umfragen stärksten Partei ergibt sich kein einheitliches Bild. Während in den beiden westdeutschen Ländern BadenWürttemberg und Rheinland-Pfalz die Spitzenreiter der Umfragen den Wahlsieg nicht erringen konnten, sind in den beiden ostdeutschen Ländern Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern sowie im Stadtstaat Berlin die Spitzenreiter der Umfragen auch die Wahlsieger.

Die CDU verliert in Baden-Württemberg 12,6% (3,9 Prozentpunkte) und fällt von einem mittleren Umfrageergebnis von 30,9% auf ein Wahlergebnis von 27,0%. In den Umfragen liefern sich die CDU und die Grünen ein knappes Rennen, die Grünen vergrößern letztlich ihr Ergebnis von 30,1% auf 30,3% (+0,7%).

In Rheinland-Pfalz liegt ebenfalls die CDU mit einem mittleren Ergebnis von 35,9% in den Umfragen vorne, verliert zum Wahlergebnis aber 11,4% auf 31,8%. Sieger der Wahl ist die SPD, die um 9,0% von 33,2% auf 36,2% zulegt.

In Sachsen-Anhalt gewinnt die in den Umfragen führende CDU die Wahl trotz kleiner Einbußen von 3,6% von 30,9% auf 29,8%.

Die SPD gewinnt die Wahl in Mecklenburg-Vorpommern mit einem Zugewinn von 17,2% und steigert ihr mittleres Umfrageergebnis von 26,1% auf ein Wahlergebnis von 30,6%.

In Berlin gewinnt ebenfalls die SPD die Wahl, hier allerdings mit einem Rückgang von 5,7% von 22,9% auf 21,6%.

In dieser Frage ist eine klare Differenz zwischen Ost und West zu beobachten. Während in den westdeutschen Ländern der Spitzenreiter der Umfragen die Wahl doch noch verliert, scheint in den ostdeutschen Ländern und in Berlin der ,,Bandwagon-Effekt“ in diesem Bezug eher zuzutreffen.

2. Zu Beginn der Beantwortung dieser Frage kann festgehalten werden, dass in allen fünf Ländern die Partei, die vor der Wahl den Ministerpräsidenten stellte, ihre Mehrheit verteidigen konnte. Mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern mussten aber in allen Ländern neue Regierungskoalitionen gebildet werden.

[...]


1 „Wenn am Sonntag Wahl wäre, welcher Partei würden Sie Ihre Stimme geben?“. 1

2 In den ersten ca. 30 Jahren der Bundesrepublik waren das meistens CDU, SPD und FDP. 3

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Vorhersage oder Lotterie? Das Verhältnis von Wahlumfragen und tatsächlichen Wahlergebnissen anhand der Landtagswahlen in Deutschland im Jahre 2016
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Publizistik)
Note
1,7
Autor
Jahr
2017
Seiten
15
Katalognummer
V386651
ISBN (eBook)
9783668609884
ISBN (Buch)
9783668609891
Dateigröße
569 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wahl, Landtagswahl, Umfrage, Wahlumfrage
Arbeit zitieren
Jimmy Both (Autor:in), 2017, Vorhersage oder Lotterie? Das Verhältnis von Wahlumfragen und tatsächlichen Wahlergebnissen anhand der Landtagswahlen in Deutschland im Jahre 2016, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/386651

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