Walther von der Vogelweide. Das Preislied eine mittelalterliche Nationalhymne?


Essay, 2016

12 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Das Preislied eine mittelalterliche Nationalhymne?

>Ich wil tiuschen frouwen sagen/ solhiu mære, daz si deste baz/ al der werlte suln behagen< (Preislied V. 2,1-2,3)

>Ich hân lande vil gesehen[…]/ tiuschiu zuht gât vor in allen< (Preislied V. 3,1/3,8) >Tiusche man sint wol gezogen/ rehte als engel sint diu wîp getân< (Preislied V. 5,1/5,2)

Wer diese Zitate aus dem Preislied liest, wird vermutlich denken, dass manche Menschen schon im Mittelalter nationalistische Gedanken hatten. „Ich will über deutsche Edelfrauen soviel/ Rühmliches sagen, daß sie aller Welt/ umso mehr gefallen“[1]. Betrachtet man dieses Zitat, könnte die Vermutung auftreten, dass der Dichter möchte, dass der ganzen Welt nur die deutschen Frauen gefallen. Auch bei den nächsten Versen: „ Ich habe viele Länder gesehen […]/ Deutsche Lebensart geht allen vor“ [2], kann der falsche Eindruck entstehen, dass der Dichter nur die deutsche Lebensart als Richtige ansieht. „Deutsche Männer sind fein gebildet/ und recht wie die Engel beschaffen sind die Frauen“[3]. Und auch aus dem letzten Zitat könnte man interpretieren, dass der Dichter die deutschen Männer, sowie Frauen als die „Besten“ darstellen möchte.

Doch waren die Gedanken der Menschen im Mittelalter wirklich schon patriotisch geprägt?

Am Beispiel des Preisliedes werde ich auf der einen Seite Möglichkeiten zu einer patriotischen Interpretation und auf der anderen Seite zu einer neuen Interpretation darstellen, um herauszufinden, wie es im 19. Jahrhundert zu dem Mythos kam „Walther von der Vogelweide sei ein Sänger des Reiches“[4].

Der Lebenslauf Walthers von der Vogelweide lässt sich hauptsächlich aus literarischen Quellen und zum größten Teil nur aus seinen eigenen Gedichten und Texten erschließen. Sonst gibt es nur noch ein Zeugnis, welches seine Existenz belegt. Es existiert eine Notiz von einer Reiserechnung des Bischofs Wolfger von Passau, worin steht, dass Walther am 12.11.1203 in Zeiselmauer bei Wien Geld für einen Pelzrock erhielt. Wahrscheinlich hat Walther zwischen 1170 und 1230 gelebt und ist in Würzburg verstorben, was jedoch historisch nicht eindeutig belegt werden kann. Auch wissen wir nicht viel über Walthers Herkunft, vermutet wird, dass er ein Adliger oder zumindest ein Ministeral war. Sollten wir seinen Selbstzeugnissen glauben, hat wahrscheinlich seine Laufbahn als Dichter im Herzogtum Österreich begonnen. Am Wiener Hof hat er lange gelebt und gedichtet. Nachdem Zerwürfnis mit dem Hofherrn, Herzog Leopold VI., musste Walther den Wiener Hof verlassen und wurde dann „Reichssänger“ im Auftrag vieler Höfe, Kaiser, Markgrafen, Landgrafen und Bischöfe. Erst nachdem er den Wiener Hof verlassen hatte, begann er mit der Sangspruchdichtung, wahrscheinlich um sein Unterhalt zu verdienen.

Walther von der Vogelweide war einer der bedeutendsten deutschsprachigen Lyriker des Mittelalters. Auffällig bei Walther ist, dass er die beiden Register, Minnesang und Sangspruch, miteinander verbunden hatte und es so zu einer Gattungsvermischung kam, was zu seiner Zeit eher unüblich war. Der Minnesang behandelt Themen wie den Frauenlob, die Werbelyrik, Anerkennung und auch Leidgesang da das lyrische Ich von der Frau nicht erhört wurde. Die Texte wurden bei Hoffesten gesungen und waren in Kanzonenstrophen verfasst. Zudem kamen die Minnesänger aus allen Gesellschaftsschichten. Der Sangspruch umfasste unterschiedliche Themen, meist didaktisch, lehrhafte und politische Informationsübermittlungen. Es wurde vermutlich auch gesungen und war in Kanzonenstrophen verfasst. Vorgetragen wurde es jedoch von Fahrenden und Spielleuten bei Hoffesten.[5]

Das Preislied kann 1203 datiert werden, als Walther sich vermutlich wieder dem Wiener Hof genähert hatte. Der Anlass für das Preislied könnte die Hochzeit von Leopold VI. mit einer byzantinischen Prinzessin gewesen sein, dies ist jedoch umstritten. Es wird vermutet, dass Walther die Gunst des Herzogs und des Wiener Hofs wiedererlagen wollte. Das Preislied oder auch „ Ir sult sprechen willekomen “ ist in 6 Handschriften überliefert. In der Großen Heidelberger Liederhandschrift (HS. C), der kleinen Heidelberger Liederhandschrift (HS. A), demHausbuch des Michael Leone (Hs. E) ,dem Wolfenbütteler Fragment (HS. Uxx), der Edition nach Karl Lachmann (L)und in dem Frauendienst in Ulrich von Liechtenstein (L.FD). In den Handschriften gibt es Unterschiede in der Reihung der Strophen und die sechste Strophe des Preisliedes ist nur in der Handschrift C zu finden. Textbeispiele, die in meinem Essay gegeben werden, basieren auf der Handschrift C aus U. Goeritz (2011) und die Übersetzungen habe ich von Ingrid Kasten (1195) übernommen.[6]

Im 19. Jahrhundert haben sich viele Gelehrte, Dichter und Literaturwissenschaftler mit dem Mittelalter befasst, da sie einige Parallelen zwischen den Zeitaltern gesehen haben. Ludwig Uhland ist einer der prägendsten Autoren, der über Walther von der Vogelweide geschrieben hat. 1822 hat er die erste ernst zu nehmende Biografie über ihn veröffentlicht und das Bild Walthers als politischen Dichter, dem das deutsche Vaterland alles gilt, herauf beschworen. Außerdem ist zu erwähnen, dass Uhland um 1820 Politiker im wüttembergischen Landtag war. Für ihn gab es eine Gleichartigkeit der Probleme zwischen den Epochen, damals die staatliche Einheit des mittelalterlichen Reichs und für ihn gegenwärtig die Überwindung der Zersplitterung Deutschlands.

Um die verschiedenen Sichtweisen besser verstehen zu können, werde ich nun genauer auf den Text des Preisliedes eingehen. In der ersten Strophe tritt ein selbstbewusstes männliches-Ich auf, welches dem Publikum etwas Neues bieten möchte, wofür es jedoch miete (V. 1,5) verlangt. Man kann also davon ausgehen, dass Walther der Sprecher selbst ist. Der erste Vers lautet, Ir sult sprechen willekomen, was bedeutet, dass Walther willkommen geheißen werden möchte. Diesen Wunsch kann man als verhüllte Bitte um die Wiederaufnahme in den Dienst am Wiener Hof verstehen. Indem er sagt: „ allez, daz ir habt vernomen/ daz ist gar ein wint“ (V. 1,3/ 1,4), ruft er seine Rivalen auf und schlägt sie gleichzeitig wieder, denn nur er kann ihnen dieses außerordentlich Neue erzählen und kein anderer. Die Bitte um Lohn gehört in das Repertoire der Spielleute und Spruchdichter. Walther bittet jedoch nicht nur einfach um Lohn, sondern gibt der Bitte eine Wende, damit er nicht als Bettler dar steht, was seinen Ruf schaden könnte. Er schreibt, seht, waz man mir êren biete (V. 1,8). Es handelt sich also nicht um den materiellen Lohn, sondern um die gesellschaftliche Anerkennung, die er verlangt.[7]

In der zweiten Strophe geht er dann auf das Neue ein, er will die tiusche frouwen loben, dass sie noch mehr Gefallen finden auf der ganzen Welt. Das Neue, wovon hier die Rede ist, ist das neue Frauenlob, es handelt sich nicht mehr um die eine Minnedame, die gelobt wird, sondern um ein Kollektiv. Hier greift Walther jetzt wieder ganz deutlich auf das Repertoire des Minnesangs zurück. Mit den Versen si sint mir ze hêr:/ sô bin ich gefüege und bite si nihtes mêr/ wan daz si mich grüezen schône (V. 2,6-2,8), macht Walther deutlich, dass er keinen Anspruch auf die edlen Damen hat und ihm deswegen der freundliche Gruß als Zeichen der Anerkennung genügt. Dadurch, dass Walther die Beziehung zu den edlen Damen so herausstellt, sich abgrenzt und sich ihnen unterordnet, fällt er wieder in das Schema des Minnesänger zurück. Nach Bergmanns Meinung, ein Literaturwissenschaftler des 19. Jahrhunderts, richtet Walther sein Lied an die tiuschen frouwen. Er möchte, ihren Wert so hoch es geht loben, welches seiner Meinung nach, der Grund dafür ist, warum Walther sich unter sie stellt[8]. Ich denke, dass die Gelehrten aus dem 19. Jahrhundert, nur auf die Wortwahl tiusche frouwen und daz si deste baz geachtet haben, ohne den Zusammenhang zu sehen. Da ihre Einstellungen schon patriotisch beeinflusst waren und sie in dem Lied nur eine Bestätigung ihrer eigenen Gedanken gesucht haben, die jedoch nach einer objektiven Sichtweise nicht zu erkennen sind, kam es zu einem anderen Verständnis der Verse.

In der dritten Strophe wird nicht weiter auf den Frauenlob eingegangen, sondern der Sprecher repräsentiert sich als weit Gereistes und Welterfahrenes Ich. Diese Aussage passt ganz deutlich in das Repertoire des Sangspruchs, denn nur dieser greift politische und alltagsnahe Themen auf. Mit seinen Erfahrungen, die der Sprecher in fremeden Länder gesammelt hat, sichert er die Aussage, tiuschiu zuht gât vor in allen, ab. Für ihn ist die deutsche Lebensart fremeder siten überlegen. Gerade in den nächsten Strophen haben die Gelehrten des 19. Jahrhunderts sich in ihren Vorstellungen bestätigt gefühlt. Ich würde behaupten, dass jeder bei dem Vers tiuschiu zuht gât vor in allen (V. 3,8) von nationalistischem Ursprung ausgehen würde. Vor allem der Begriff der zuht ist sehr patriotisch geprägt, da er an die verbotene Strophe der deutschen Hymne erinnert. Aus den Versen des Preislieds lasen sie innige Vaterlandsliebe Walthers und Sittenreinheit in Deutschland. Auch Friedrich Heinrich von der Hagen, interpretierte aus der Textstelle das schönste Selbstgefühl des Preises deutscher Männer und Frauen in Zucht und Schönheit[9]. Menzel, ein weiterer Gelehrter des 19. Jahrhunderts, sieht Walther auch als glühenden Vaterlandsliebhaber an. Der aus der dritten Strophe las, dass das Herz des lyrischen Ichs dem Vaterland entgegenschlägt, als es aus den fremden Ländern zurückkehrte. Für Menzel stellte Walther einen Zeugen dar, der bestätigte, dass es damals schon eine nationale Partei gab, die kein anderes politisches Ziel kannte als die Größe und Herrlichkeit der deutschen Nation.[10] Solche Aussagen sind meiner Meinung nach sehr übersteigert und stellen nicht das wahre Bild Walthers dar. Die Literaturwissenschaftler des 19. Jahrhunderts haben lediglich ihre eigenen Wünsche und Idealwelt dargestellt und wollten in der Vergangenheit eine Bestätigung für ihren Glauben an einen nationalistischen Staat finden. Von dem echten Wesen Walthers war zu dieser Zeit nichts mehr zu finden.

Die vierte Strophe beginnt mit einer geografischen Beschreibung, welche mit dem Frauenlob verbunden wird. In dem Beschriebenen geografischen Raum, von der Elbe unz an den Rîn/ und her wider unz an Ungerlant (V. 4,1/4,2) , leben wol die besten Frauen. Es gibt verschiedene Vermutungen, welchen Raum Walther damit abgrenzen wollte. Meinte er alle deutschsprachigen Länder oder nur das Herzogtum Österreich? In der nächsten Strophe benutzte Walther den Wortlaut unser lant, woraus man schließen kann, dass von einem Land die Rede ist, also Österreich. Zudem wissen wir, dass Walther am Wiener Hof tätig war. Also können wir nicht, wie die Literaturwissenschaftler und Dichter des 19. Jahrhunderts, davon ausgehen, dass Walter dasselbe Reich, nämlich Deutschland, meinte wie sie zu ihrer Zeit. Das Reich zur mittelalterlichen Zeit war eine gedankliche Größe eines Ideals. Walthers Vorstellung handelte von einem Imperium, das mit dem modernen nationalen Einheitsstaat verwechselt wurde. Zudem handelte Walthers Reichsgedanke von Kaiser und Fürsten und nicht wie im Nationalsozialismus von Führer und Gefolgschaft.

Im Preislied kann man einen Dreischritt des Frauenlobs feststellen, was man an den Versen tuische frouwen […]/ daz si deste baz (V. 2,1/2,2) , […]daz hie diu wîp/ bezzer sint danne ander frouwen (V.4,7/4,8) , erkennen kann[11]. Zuerst werden die tuischen frouwen gelobt, dass sie die Besten seien, im Gegensatz zu den anderen fremeden frouwen. Jedoch sind hie die wîben aus unser lant noch besser als die tuischen frouwen. Hier wird deutlich, dass Walter das wîp als höchste Bezeichnung für eine Frau benutzt. Denn hie diu wîp verstehen zu danken und erweisen den Minnesängern und Sangspruchdichtern Anerkennung und die tuischen frouwen nicht. Meiner Meinung nach bedeutet deswegen das Adjektiv tuisch nicht deutsch, sondern steht für die konkurrenzfähige höfische Kultur im deutschen Sprachbereich, die den Minnesängern und Sangspruchdichtern keine würdige Anerkennung schenkte. Im Nationalsozialismus wurde das Adjektiv tuisch anders interpretiert. Zu erwähnen ist, das tuisch nicht ins Repertoire des Minnesangs gehört und man deswegen nicht genau weiß, wie es zu übersetzen ist. Die Gelehrten und Dichter des 19. Jahrhunderts haben es aber mit Deutsch und Deutschland verbunden. Eine mögliche Erklärung dafür könnte sein, dass die tiuschiu zuht als Gegensatz zur fremeder site dargestellt wird und man annahm, dass der Gegensatz zu fremd deutsch ist. Außerdem kann man sagen, dass aus dem Hochpreisen der tuischen frouwen und tuischen maner die Vorurteilsstruktur des Nationalsozialismus gegenüber fremeder siten entstand .

[...]


[1] Vgl. I. Kasten 1995, S. 60.

[2] Vgl. I. Kasten 1995, S. 62.

[3] Vgl. I. Kasten 1995, S. 63.

[4] Vgl. R. Richter 1988, S. 335.

[5] Vgl. G. Gerstmeyer 1977, S. 89.

[6] Vgl. G. Gerstmeyer 1977, S. 95.

[7] Vgl. U. Goerlitz 2011, S. 12.

[8] Vgl. R. Richter 1988, S. 340.

[9] Vgl. G. Gerstmeyer 1977, S. 123.

[10] Vgl. G. Gerstmeyer 1977, S. 139.

[11] Vgl. I. Kasten 1995, S. 63.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Walther von der Vogelweide. Das Preislied eine mittelalterliche Nationalhymne?
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Note
2,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
12
Katalognummer
V386277
ISBN (eBook)
9783668607026
ISBN (Buch)
9783668607033
Dateigröße
524 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
walther, vogelweide, preislied, nationalhymne
Arbeit zitieren
Ronja Bastian (Autor:in), 2016, Walther von der Vogelweide. Das Preislied eine mittelalterliche Nationalhymne?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/386277

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