Was kommt mit PEPP auf uns zu? Das pauschalierende Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychosomatik


Masterarbeit, 2017

64 Seiten, Note: 2.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Ziele dieser Arbeit
1.2 Gender-Erklärung

2 Einsatzbereich des PEPP
2.1 Psychiatrische Kliniken
2.2 Psychosomatische Kliniken

3 Bisheriges Vergütungssystem
3.1 Tagesgleiche Pflegesätze
3.2 Bundespflegesatzverordnung
3.3 Bemessung des jährlichen Budgets
3.4 Psychiatrie-Personalverordnung
3.5 Operationen- und Prozedurenschlüssel

4 Hintergründe und Grundprinzipien des PEPP
4.1 Ziele des PEPP
4.2 Rechtliche Grundlage des PEPP
4.3 Ursprünglicher Zeitplan zur Einführung des PEPP
4.4 PEPP-Notation
4.5 Erlösermittlung im PEPP
4.6 Ergänzende Tagesentgelte
4.7 Zusatzentgelte
4.8 Fallzusammenführung

5 Mögliche Auswirkungen des PEPP auf unterschiedliche Stakeholder
5.1 PEPP aus Sicht der Leistungserbringer
5.1.1 Neue Dokumentationsprozesse
5.1.2 Controlling - ein Novum in psychiatrischen und
psychosomatischen Einrichtungen
5.1.3 Systemimmanente (Fehl-)anreize der Leistungserbringer im PEPP
5.1.4 PEPP aus Sicht des Pflegepersonals
5.1.5 Kritik an der degressiven Honorierung
5.2 PEPP aus Sicht der Patienten
5.2.1 Mögliche Vorteile für Patienten durch PEPP
5.2.2 Mögliche Nachteile für Patienten durch PEPP
5.3 PEPP aus Sicht der Krankenversicherer

6 Kursänderung durch das PsychVVG

7 Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Anhang: Kapitel V des ICD-10 "Psychische und Verhaltensstörungen"

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Tagesgleiche Pflegesätze

Abb. 2: Phasen der Einführung des neuen Entgeltsystems nach aktuellem Stand

Abb. 3: Beeinflussende Faktoren einer PEPP

Abb. 4: Bewertungsrelationen der PEPP PA03B

Abb. 5: Aktueller Zeitplan für die Einführung eines neuen Entgeltsystems in psychosomatischen und psychiatrischen Einrichtungen gemäß dem PsychVVG

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Die Implementierung pauschalierender Krankenhausentgelte kann wohl als gesund- heitsökonomische Revolution des bisherigen 21. Jahrhunderts bezeichnet werden. An- lässlich "kontinuierlich steigende[r] Gesundheitsausgaben"1 äußerte der Deutsche Bun- destag 1999 als übergeordnetes Ziel in der Gesundheitspolitik eine "Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Krankenhausversorgung"2 erreichen zu wollen. Dieser Leitge- danke mündete in dem Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahre 2000 (GKV-Reformgesetz 2000), welches wiederum die "Grundlage zur Einfüh- rung eines 'durchgängigen, leistungsorientierten und pauschalierten Vergütungssystems' (§17b Abs. 1 Satz 1 Krankenhausfinanzierungsgesetz, KHG)"3 war.

Nach australischem Vorbild werden seit 2004 in allen somatischen Krankenhäusern stationäre Leistungen verpflichtend mittels Fallpauschalensystem vergütet.4 Zuvor wur- den "allgemeine Krankenhausleistungen über krankenhausindividuelle Pflegesätze ver- gütet, die je Tag des Krankenhausaufenthaltes zu zahlen waren."5 Seit 2004 werden Patienten zur Abrechnung einer der aktuell 1.255 unterschiedlichen Fallgruppen (Dia- gnosis Related Groups [DRG]) zugeordnet,6 woraus sich dann das entsprechende fallbe- zogene Pauschalentgelt ermitteln lässt.7 "Die Eingruppierung in die DRG-Fallpauschale erfolgt EDV-gestützt (Grouper) und wird insbesondere bestimmt durch die Krankheits- art (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die erbrachten Leistungen (Operationen und Prozeduren)."8

Während der schrittweisen Einführung des deutschen DRG-Fallpauschalensystems nahm im Jahre 2009 die schwarze-gelbe Regierungskoalition eine stetig wachsende Nachfrage und die damit verbundenen steigenden Gesundheitsausgaben im nicht- somatischen Gesundheitssektor zum Anlass, auch in psychiatrischen und psychosomati-schen Krankenhäusern ein neues medizinisch-ökonomisches Finanzierungssystem ein- zuführen.9 Es hätte auf der Hand gelegen, auch im nicht-somatischen, voll- und teilsta- tionären Bereich ein fallpauschaliertes Vergütungssystem nach direktem Vorbild der DRG-basierten Krankenhausvergütung anzuwenden. Früh wurde jedoch berücksichtigt, dass "die großen individuellen Unterschiede im psychiatrischen Behandlungsbedarf und bei der Behandlungsdauer als 'Fälle' nicht sachgerecht abgebildet und kalkuliert werden könnten."10

Das neue Vergütungssystem in psychosomatischen und psychiatrischen Kliniken und Abteilungen sollte die bisherige Leistungsabrechnung nach krankenhausindividuellen, tagesgleichen Pflegesätzen gemäß der Bundespflegesatzverordnung (BPflV) ablösen.11 Tagesgleiche Pflegesätze führen zu einer "ineffizienten Erhöhung der Verweildauer"12 und damit zu hohen Gesundheitsausgaben des Sozialstaates. Zudem "herrscht weitge- hend Einigkeit darüber, dass die bisherige Abrechnungspraxis [...] in den psychiatri- schen Krankenhäusern weder leistungsgerecht noch transparent ist."13 Angesichts des Ziels der Gesundheitspolitik, "die Klinikbudgets aus Gründen der Gerechtigkeit anzug- leichen"14 wurde im Jahre 2009 das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (In- EK) von der Regierung beauftragt, in Kooperation mit den Selbstverwaltungspartnern15 auf Bundesebene den Vorgaben des § 17d des KHG entsprechend ein neues Vergü- tungssystem zu entwerfen und einzuführen.16 Bei dem InEK handelt es sich um ein In- stitut, welches im Zuge der DRG-Einführung gegründet wurde und für die Einführung bzw. Weiterentwicklung gesetzlich vorgeschriebener Vergütungssysteme zuständig ist.17 Der Gesetzgeber nannte im ersten Absatz des § 17d KHG, dass ein "durchgängi- ges, leistungsorientiertes und pauschalierendes Vergütungssystem auf der Grundlage von tagesbezogenen Entgelten einzuführen"18 ist. Trotz erkennbarer Parallelen liegt der grundlegende Unterschied zum DRG-System darin, dass es sich beim PEPP um eine fallbasierte Tageskalkulation handelt.19 Im DRG-System "werden die allgemeinen vollund teilstationären Krankenhausleistungen für einen Behandlungsfall vergütet."20

Im September 2012 veröffentlichte das InEK das erste Kalkulationshandbuch, sodass nach relativ kurzer Entwicklungszeit zum 01.01.2013 dann das neue Vergütungssystem namens "Pauschalierendes Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychiatrie" (PEPP) erst- malig in Kraft trat.21 Seit 2013 rechnen sogenannte Kalkulationskrankenhäuser unter budgetneutralen Bedingungen freiwillig mittels PEPP ab.22 Es "besteht für die Kranken- häuser letztmalig für das Jahr 2017 die Möglichkeit eines freiwilligen Umstiegs auf das neue Entgeltsystem."23

Die Höhe der Tagesentgelte ergibt sich im Grunde genommen aus der Multiplikation einer Bewertungsrelation (Relativgewichte) des Tages und einem krankenhausindivi- duellen Basisentgelt, wobei die Bewertungsrelationen und damit die Tagesentgelte wäh- rend der stationären Behandlung nicht konstant sind, sondern einer Degression unterlie- gen. Das InEK begründete diesen Sachverhalt "damit, dass auch die sich aus der Kalku- lation ergebenden tagesbezogenen Behandlungskosten degressiv"24 seien. Womöglich aufgrund harscher Kritik aus der psychiatrischen Fachwelt und von den Patientenvertre- tern änderten sich die Ausprägung und Form der Degression mit der jährlich neuaufge- legten Version des vom InEK veröffentlichten PEPP-Entgeltkatalogs.25 Durch die jähr- liche Anpassung wird das InEK dem Anspruch gerecht, dass es sich beim PEPP um ein "lernendes System" handeln soll.26

Trotz jährlicher Weiterentwicklungen des PEPP-Entgeltkatalogs war das Vergütungs- system unter anderem unter den Parolen "Weg mit PEPP", "Stoppt PEPP" oder "PEPP stoppen - Für eine humane Psychiatrie" permanenter Kritik einer großen Gruppe ver- schiedener Stakeholder der psychiatrischen Versorgung ausgesetzt. Im Jahre 2016 wur- den in 409 Fachabteilungen für Psychiatrie und Psychotherapie sowie 145 Fachabtei- lungen für Kinder-/Jugendpsychiatrie und -psychotherapie insgesamt 882.275 Fälle ver- zeichnet.27 Ein Jahr zuvor waren deutschlandweit 6.198 Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie bzw. Nervenheilkunde tätig. Den Krankenversicheren entstanden rund 28,7 Milliarden Euro direkter Kosten durch die stationäre Versorgung psychisch kran- ker Menschen.28

"Die Durchführung von Datenerhebung und Berechnung durch das InEK war indiskuta- bel: nicht auftragsgemäß (bezüglich KHRG), fachlich und methodisch grob fehlerhaft und in der Aufstellung der Ergebnisse mit Anreizen zulasten von Patienten mit schwe- ren Beeinträchtigungen."29 So beurteilte der Psychiater und ehemaliger Direktor des Zentralkrankenhauses Bremen-Ost Professor Kruckenberg die Entwicklung des PEPP- Entgeltkatalogs. Die Betroffenenorganisation Pandora e.V. plädierte im Jahre 2013 in einer Petition an den Deutschen Bundestag dafür, ein alternatives Entgeltsystem auf Basis tagesbezogener Entgelte zu entwickeln und später als ursprünglich geplant einzu- führen, da PEPP nicht dem gesetzlichen Auftrag entspreche und nur so verhindert wer- den könne, dass "ein falscher und für die PatientInnen schädlicher Weg weiter beschrit- ten wird."30 "Das leistungsorientierte Entgeltsystem auf Basis von Tagespauschalen werde den Besonderheiten psychischer Erkrankungen nicht gerecht."31 Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hat sich für grundsätzliche Überarbeitungen des PEPP engagiert, gleichwohl die DKG die Leitgedanken eines durchgängigen, leis- tungsorientierten und pauschalierenden Vergütungssystems auf der Grundlage von ta- gesbezogenen Entgelten befürwortet. "Vor allem aber haben der Degressionseffekt und die fehlende tagesbezogene Leistungsorientierung keine Akzeptanz in den psychiatri- schen und psychosomatischen Einrichtungen sowie bei den entsprechenden Fachver- bänden gefunden. Daher hat sich die DKG in Abstimmung mit den psychiatrischen und psychosomatischen Fachverbänden in der Selbstverwaltung intensiv für grundsätzliche Überarbeitungen eingesetzt."32 Auch die Zeit bis zur obligatorischen Einführung des PEPP war nach Ansicht der DKG zu knapp bemessen, weswegen sie 2014, in Einklang mit Pandora e.V., sich dafür einsetzte, die sogenannte "Optionsphase" um zwei Jahre zu verlängern und die darauf folgenden Einführungsphasen (budgetneutrale Phase und Konvergenzphase) entsprechend anzupassen."33 Die DKG begründete dies mit dem damaligen Stand der Katalogentwicklung als auch mit fehlender Akzeptanz.34

Stellvertretender Vorsitzender des GKV-Spitzenverbands Johann-Magnus von Stackel- berg urteilte dahingegen im Jahre 2014, dass "eine Verlängerung der Optionsphase, wie sie von einigen Krankenhausvertretern derzeit ins Gespräch gebracht wird, vollkommen kontraproduktiv [sei]"35 und nur mit PEPP „die Vergütung sachgerecht weiterentwi- ckelt, die Leistungsdokumentation verbessert und die längst überfälligen Qualitätssiche- rungsmaßnahmen vorangebracht werde[n].“36 Von Stackelberg kam im selben Jahr zu der Überzeugung, dass schließlich ein gerechtes Vergütungssystem entwickelt werden könne, das "sich [auch, Anm. d. Verf.] mehr an den Bedürfnissen der Patienten orien- tiert."37

Einige Kritiker verbuchten nach Jahren des Protests die Kursänderung der Bundesregie- rung im Jahre 2016 als Erfolg für sich. "Mit ausschlaggebend [..] [für die Kehrtwende, Anm. d. Verf.] dürfte ein im September 2015 dem Gesundheitsministerium übergebenes Alternativkonzept der DGPPN [Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychothera- pie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, Anm. d. Verf.] sowie 19 weiterer Fachgesell- schaften und Verbände gewesen sein."38 Im Februar 2016 präsentierte Bundesgesund- heitsminister Hermann Gröhe (CDU) zusammen mit Gesundheitspolitikern der Bundes- tagsfraktionen CDU/CSU und SPD ein Eckpunktepapier zur Weiterentwicklung des Entgeltsystems in psychosomatischen und psychiatrischen Einrichtungen. Rund ein Vierteljahr nach Veröffentlichung des Eckpunktepapiers hat das Bundeskabinett im August 2016 den Entwurf eines "Gesetzes zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen" (PsychVVG) be- schlossen, gleichwohl nicht alle im Eckpunktepapier erwähnten Vorhaben im Gesetz Realisierung fanden.39 Das PsychVVG, welches vom Bundesgesundheitsministerium auch als "Gesetz zur Stärkung seelisch Erkrankter"40 bezeichnet wird, trat zum 01.01.2017 in Kraft.41 Die zunächst angestrebten landeseinheitlichen diagnosebezoge- nen Tagesentgelte sollten nicht mehr eingeführt42 und PEPP als Preisgruppensystem in der stationären Versorgung psychisch kranker Menschen nicht weiterverfolgt werden.43 Eine der wesentlichsten "Neuerungen" im Rahmen des PsychVVG war die Rückkehr zu krankenhausindividuellen Budgets. Tatsächlich neu waren feste Rahmenbedingungen für jährliche Budgetverhandlungen, die das PsychVVG vorgibt. Das übergeordnete Ziel der Bundesregierung war es, die "sektorenübergreifende Behandlung in der psychiatri- schen Versorgung zu fördern sowie die Transparenz und die Leistungsorientierung der Vergütung zu verbessern."44

1.1 Ziele dieser Arbeit

Die vorliegende Masterarbeit soll zunächst die Grundzüge des PEPP vermitteln, um dann auf die Einführungsphase und den aktuellen Stand des Vergütungssystems in psychosomatischen und psychiatrischen Einrichtungen näher eingehen zu können. Ein weiteres Ziel dieser Arbeit ist es, mögliche Auswirkungen des PEPP in dessen ursprünglicher Form auf unterschiedliche Stakeholder der psychiatrischen Versorgung zu beleuchten. Der Fokus soll dabei stets auf der Erwachsenenpsychiatrie liegen. Abschließend soll erörtert werden, ob das PEPP bzw. das PsychVVG zu einer gesundheitsökonomischen Revolution des bisherigen 21. Jahrhunderts führte.

1.2 Gender-Erklärung

Die im Rahmen dieser Arbeit verwendete männliche Form bezieht selbstverständlich die weibliche Form mit ein.

2 Einsatzbereich des PEPP

Während sich in somatischen Krankenhäusern die Erlöse an den DRG orientieren, so wurde das PEPP-Vergütungssystem für psychiatrische und psychosomatische Einrichtungen entworfen.

Unter psychiatrischen Einrichtungen werden zusammengefasst:

- psychiatrische Fachkrankenhäuser
- selbständige und gebietsärztliche Einrichtungen an somatischen Kliniken
- Kinder- und Jugendpsychiatrien und-psychotherapie

Unter psychosomatischen Einrichtungen werden zusammengefasst:

- Einrichtungen psychosomatischer Medizin und
- Psychotherapie45

In der Bevölkerung vermuten auch heutzutage noch viele Menschen, dass in einer psy- chiatrischen Klinik üblicherweise Patienten mit starrem Blick ziellos und in aggressiver Grundstimmung umherirren. Das gesamte Spektrum psychiatrischer Erkrankungen und ihrer Behandlung findet in der Öffentlichkeit wenig Raum. Viele Patienten sind stigma- tisiert und Erkrankungen tabuisiert. Die "Antipsychiatrie"-Bewegung der 1960er und 70er Jahre und die daraus resultierende Auseinandersetzung mit Struktur und Beschaf- fenheit psychiatrischer Kliniken, dem Arzt-Patienten-Verhältnis sowie dem Autono- mieverständnis der Patienten ist bei weitem nicht von der breiten Bevölkerung beachtet worden.46 Somit besteht häufig weiterhin die Vorstellung einer "Patientenverwahrung" in psychiatrischen Kliniken (früher als "Irrenhaus" oder "Irrenanstalt" bezeichnet), wo- bei letztlich eine Psychiatrie ein "Krankenhaus für die Seele"47 ist.

Dahingegen wird häufig angenommen, dass in psychosomatischen Kliniken Patienten behandelt würden, die an depressiven Störungen erkrankt sind und weinend in der Ecke sitzen. Auch jammernde Hypochonder, die fortwährend ihr Leid beklagen, werden als übliches Patientenklientel vermutet.

Im Folgenden sollen die beiden Professionen Psychiatrie und Psychosomatik realitätsgerecht näher gebracht werden.

2.1 Psychiatrische Kliniken

In psychiatrischen Kliniken werden "krankhafte Veränderungen und Störungen der Gefühle, des Denkens, aber auch der Stimmungen, des Antriebs, des Gedächtnisses oder des Erlebens und Verhaltens"48 behandelt. In psychiatrischen Kliniken (kurz Psychiatrien) wird ähnlich wie in somatischen Kliniken gearbeitet. Nach Anamnesegesprächen, verschiedenen Untersuchungen und Diagnosestellung wird therapiert, um dann schließlich auch weiterer krankhafter Veränderungen vorbeugen zu können.

Zum Stellen einer Diagnose müssen auch in der Psychiatrie eindeutig definierte Krite- rien bzw. Voraussetzungen erfüllt werden. Diese Systematik ist im WHO-Diagnose- system, dem International Classification of Disease (ICD), hinterlegt. Das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) veröffentlicht jähr- lich eine aktuelle Version und stellt damit die Basis für die Entgeltsysteme zur Verfü- gung.49

"Vor der Einführung des Klassifikationssystems waren die Diagnosen in der Psychiatrie sehr vage und nicht international vergleichbar."50 Die ICD, aktuell in ihrer zehnten Ver- sion (ICD-10), dient jedoch nicht nur dazu, international vergleichbar Diagnosen stellen zu können, sondern auch sie in Gruppen zu sortieren.51 In Kapitel V der ICD-10 finden sich in den Diagnosegruppen F00 bis F99 "Psychische und Verhaltensstörungen".52 Im Anhang dieser Arbeit ist eine Übersicht der Diagnosegruppen nach ICD-10 hinterlegt.

Seit Mitte der 1950er Jahre bedeutet psychiatrische Therapie glücklicherweise nicht mehr vornehmlich "Bewahrung, Verwahrung und Schutz"53 von Patienten. Durch die Erforschung psychiatrischer Erkrankungen konnten Erkenntnisse über deren Entstehung und Entwicklung gewonnen werden. Die meisten psychiatrischen Erkrankungen sind von mehreren (Risiko-)Faktoren abhängig und meist nicht nur auf die eine neurobio- chemische Funktionsstörung, eine alleinige genetische Prädisposition oder eine soge- nannte "schlechte Kindheit", also auf psychosoziale Faktoren, zurückzuführen. Dem- entsprechend werden psychiatrische Erkrankungen heutzutage auch mit einem multi- modalen ärztlich-therapeutischen Behandlungskonzept therapiert. Neben dem leitlinien- gerechten Einsatz von Psychopharmaka, die eine krankhafte Neurobiochemie positiv beeinflussen können, werden in psychiatrischen Kliniken regelmäßig andere Therapie- formen eingesetzt. Auch der Nutzen dieser Therapieformen basiert auf wissenschaftli- chen Erkenntnissen. Es handelt sich bspw. um Ergotherapie, psychologisch oder ärztlich geleitete Einzel- und Gruppengespräche, Musiktherapie, Bewegungstherapie, biologi- sche Therapieverfahren wie bspw. Lichttherapie, psychiatrische Fachpflege, Entspan- nungstherapie etc.

Auch ohne detaillierte Vorstellung der einzelnen Therapieformen wird deutlich, dass die psychiatrische Therapie aufgrund der Komplexität psychiatrischer Erkrankungen aus verschiedenen Modulen besteht. Die einzelnen Therapieformen werden von fachspezifischen Therapeuten und Ärzten durchgeführt. Hieraus ergibt sich ein hoher (und kostenintensiver) Personalaufwand in psychiatrischen Kliniken.

2.2 Psychosomatische Kliniken

In psychosomatischen Kliniken werden Patienten ganzheitlich behandelt, die körperli- che Beschwerden beklagen, für die trotz verschiedener Untersuchungen keine organi- sche Ursache gefunden werden konnte. Auch Verhaltensstörungen mit körperlichen Auswirkungen gehören zum Behandlungsspektrum. Hierzu gehören bspw. Ess-, Schmerz-, Schlaf, und Sexualstörungen. Depression, Burnout-Syndrom und Per- sönlichkeitsstörungen können in psychosomatischen Kliniken ebenfalls behandelt wer- den. Für die Entstehung psychosomatischer Erkrankungen existierten verschiedene Erklärungsmodelle. Häufig begünstigen psychosoziale Belastungsfaktoren, genetische Veranlagung, psychische Faktoren (z. B. unbewusste Konflikte bzw. seelische Überlas- tung) die Entwicklung einer psychosomatischen Erkrankung. Wie auch bei den psy- chiatrischen Erkrankungen wird folglich von einem multifaktoriellen Geschehen ausge- gangen, was ebenfalls eine komplexe und meist langwierige Therapie erforderlich macht. Im Mittelpunkt des therapeutischen Ansatzes steht die Psychotherapie. Der Ein- satz von Psychopharmaka, wie z. B. Antidepressiva, hat einen niedrigeren Stellenwert als in der Psychiatrie. Ferner kommen wie in der Psychiatrie evidenzbasierte Therapie- formen wie Entspannungstherapie, Psychoedukation ("Hilfe zur Selbsthilfe"), Ergothe- rapie, Musiktherapie etc. zum Einsatz. Patienten erhalten einen individuell abgestimm- ten Therapieplan, wobei wie in der Psychiatrie auch das soziale Umfeld des Patienten Berücksichtigung findet, da sich hier häufig Konfliktpotential finden lässt.54

Diese mehrdimensionale Betrachtungsweise psychosomatischer und psychiatrischer Erkrankungen erfordert eine multimodale Therapie. Verschiedene Therapeuten, Ärzte und Sozialpädagogen, (Fach-)pflegekräfte sind nötig, um der Komplexität psychosoma- tischer und psychiatrischer Erkrankungen therapeutisch begegnen zu können und den im fünften Sozialgesetzbuch verankerten Auftrag zu erfüllen: "Bei der Krankenbehandlung ist den besonderen Bedürfnissen psychisch Kranker Rechnung zu tragen [...]."55

3 Bisheriges Vergütungssystem

3.1 Tagesgleiche Pflegesätze

Das derzeitige Vergütungssystem psychiatrischer und psychosomatischer Leistungen im stationären Bereich basiert auf durch "historische Zufälligkeiten entstandenen, einrich- tungsbezogenen Tagessätze[n]"56 und dient im Grunde genommen der Deckelung kran- kenhausindividueller Kosten.57 Die Höhe der tagesgleichen Pflegesätze (auch als Ta- gespauschalen oder Tagesentgelt bezeichnet) sind einrichtungsindividuell und für jeden Tag gleich. "Pro Belegungstag wird von den Kostenträgern, unabhängig von der tat- sächlich erbrachten Leistung, der gleiche Pflegesatz vergütet"58, daher wird von tages- gleichen Pflegesätzen gesprochen. Die Höhe der tagesgleichen Pflegesätze schwankt zum Teil erheblich. Die Pflegesätze unterliegen jedoch nicht nur Schwankungen zwi- schen den Disziplinen (Psychiatrie, Psychosomatik und Kinder- und Jugendpsychiatrie), sondern weisen auch innerhalb einer Disziplin, also unter verschiedenen Kliniken, er- hebliche Schwankungen auf. Abb. 1 verdeutlicht die Varianz der einrichtungsbezogenen Tagesentgelte des Jahres 2008.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Tagesgleiche Pflegesätze 2008

(Quelle: Haas, A., Leber, W.-D. (2011), S. 209)

Diese Art der Vergütung wurde in somatischen Kliniken durch Einführung des auf Fall- pauschalen basierenden DRG-Systems abgelöst. In psychosomatischen und psychiatri- schen Einrichtungen existiert diese Vergütungsform seit rund 25 Jahren und sollte ur- sprünglich vom PEPP abgelöst werden.

[...]


1 Piening, E. P. (2011), S. 19.

2 Klauber, J., Robra, B.-P., Schellschmid, H. (2007), S. 4.

3 Klauber, J., Robra, B.-P., Schellschmid, H. (2007), S. 3.

4 Vgl. Vetter, U., Hoffmann, L. (2005), S. 49.

5 URL: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/krankenversicherung/stationaere- versorgung/krankenhausfinanzierung.html [Stand 01.10.2017] .

6 Vgl. Busse, R., Schreyögg, J., Stargardt, T. (2017), S. 60.

7 URL: https://www.aerzteblatt.de/archiv/36603/Sicher-und-kompetent-in-der-DRG-Umsetzung [Stand 03.10.2017].

8 URL: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/krankenversicherung/stationaere- versorgung/krankenhausfinanzierung.html [Stand 01.10.2017].

9 Vgl. Heitmann, C., Hecke, J., Maier, B., Rau, F., Rutz, S., Wolff-Menzler, C. (2013), S. 1.

10 Kunze, H., Schepker, R., Heinz, A. (2013), S. 1366.

11 Vgl. Heitmann, C., Hecke, J., Maier, B., Rau, F., Rutz, S., Wolff-Menzler, C. (2013), S. 1.

12 Breyer, F., Buchholz, W. (2009), S. 240.

13 Munk, I. (2013), S.16

14 Munk, I. (2011), S.267.

15 Selbstverwaltungspartner sind der Verband der Privaten Krankenversicherung, der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, auch GKV-Spitzenverband genannt und die Deutschen Krankenhausge- sellschaft.

16 Vgl. Vereinbarung über die Einführung eines pauschalierten Entgeltsystems für psychiatrische und psychosomatische Einrichtungen vom 30.11.2009.

17 URL: http://www.g-drg.de/Das_Institut/Wir_ueber_uns [Stand 01.10.2017].

18 § 17d Abs. 1 KHG

19 Vgl. Slezonia, M. (2012), o. S..

20 § 17b Abs. 1 KHG

21 Haas, A., Leber, W.-D. (2010), S. 43.

22 URL: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/krankenversicherung/stationaere- versorgung/krankenhausfinanzierung.html [Stand 01.10.2017].

23 Schlottmann, N., Laufer, R. (2016), S. V.

24 Nebe, J. (2015), S. 442.

25 Vgl. Nebe, J. (2015), S. 443.

26 URL: https://www.cducsu.de/themen/familie-frauen-arbeit-gesundheit-und-soziales/pepp-ist-ein- lernendes-system [Stand 01.10.2017].

27 URL: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Gesundheit/Krankenhaeuser/ Tabellen/KrankenhaeuserFA.html [Stand 02.10.2017].

28 URL: https://www.dgppn.de/_Resources/Persistent/b5def790523292a343d3f53e5690bc8 d80f724db/2017-03_Factsheet_Psychiatrie.pdf [Stand 02.10.2017].

29 Kruckenberg, P. (2016), S. 41-42.

30 URL: https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2013/_10/_25/Petition_46537.mitzeichnen. registrieren.html [Stand 01.10.2017].

31 Bühring, P. (2016), S. 362.

32 URL: https://www.bundestag.de/blob/282072/c780afb395008f17ab8d7c4612c6ad7b/18_14_0023- 9-_georg-baum--deutsche-krankenhausgesellschaft--pdf-data.pdf [Stand 01.10.2017].

33 URL: https://www.vdek.com/vertragspartner/Krankenhaeuser/pepp.html [Stand 01.10.2017].

34 URL: https://www.bundestag.de/blob/282072/c780afb395008f17ab8d7c4612c6ad7b/18_14_0023- 9-_georg-baum--deutsche-krankenhausgesellschaft--pdf-data.pdf [Stand 01.10.2017].

35 URL: http://www.hcm-magazin.de/pepp-verguetungssystem-fuer-psychiatrische-kliniken- justiert/150/10738/223747 [Stand 01.10.2017].

36 URL: http://www.einblicke-altenburg.de/?q=node/2701[Stand 01.10.2017].

37 URL: https://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/klinikmanagement/article/869787/ abrechnung-drg-pepp-katalog-2015-steht.html [Stand 01.10.2017].

38 Berger, M. (2016), S. 3.

39 Kunze, H., Grupp, D., Heinz, A., Schepker, R., Weiß, P. (2016), S. 628.

40 URL: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/2016/psychvvg- kabinett.html [Stand 02.10.2017].

41 URL: http://www.aok-gesundheitspartner.de/bund/krankenhaus/gesetzgebung/index_16623.html [Stand 02.10.2017].

42 Vgl. Bühring, P. (2016), S. 363.

43 Vgl. Berger, M. (2016b), S. 3.

44 URL: http://dipbt.bundestag.de/dip21/brd/2016/0429-16.pdf [Stand 02.10.2017].

45 Vgl. Wolff-Menzler, C., Pagel, N. (2015), S. 9.

46 Vgl. Goddemeier, C. (2014), S. 502.

47 URL: http://www.focus.de/gesundheit/experten/erfahrungsbericht-wie-ist-das-eigentlich-in-der- psychiatrie_id_6984583.html [Stand 11.09.2017].

48 URL: https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/psychiatrie-psychosomatik- psychotherapie/psychiatrie/ [Stand 11.09.2017].

49 URL: https://www.dimdi.de/static/de/klassi/aktuelles/news_0425.html [Stand 28.09.2017].

50 Bandelow, B., Gruber, O., Falkai, P. (2008), S. 2.

51 Vgl. Bandelow, B., Gruber, O., Falkai, P. (2012), S. 2.

52 URL: http://www.icd-code.de/icd/code/F00-F99.html [Stand 09.08.2017].

53 Gross, G., Klosterkötter, J., Schüttler, R. (1996), S. 75.

54 Vgl. o. V. (2013)

55 § 27 Abs. 1 SGB V

56 Weiß, P., Kunze, H., Roeder, N. (2011), S. 16.

57 Vgl. Maier, B., Heitmann, C., Rutz, S., Wolff-Menzler, C. (2015), S. 4.

58 URL: http://www.bptk.de/uploads/media/20100419_leistungspauschalen_ameos.pdf [Stand 01.10.2017].

Ende der Leseprobe aus 64 Seiten

Details

Titel
Was kommt mit PEPP auf uns zu? Das pauschalierende Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychosomatik
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Lehrstuhl für Gesundheitsmanagement)
Note
2.0
Autor
Jahr
2017
Seiten
64
Katalognummer
V385732
ISBN (eBook)
9783668601994
ISBN (Buch)
9783668602007
Dateigröße
1278 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
PEPP, PsychVVG, Psychentgeltsystem, DRG, Psychiatrie, Psychosomatik, §17d
Arbeit zitieren
Dr. med. Frank Hofschulte (Autor:in), 2017, Was kommt mit PEPP auf uns zu? Das pauschalierende Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychosomatik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/385732

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