Sind wir Ko-Produzenten unserer Entwicklung?

Eine interaktionistische Sichtweise anhand eines Fallbeispiels


Essay, 2017

13 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Einleitung

„Der Mensch denkt, Gott lenkt.“ Solche Sprichworte enthalten oftmals einen wahren Kern. Aus ihnen lassen sich jedoch nicht nur Lebensweisheiten und gut gemeinte Ratschläge ableiten. Vielmehr geben derartige Idiome auch einen entscheidenden Hinweis auf die Entwicklung eines Menschen.

Die Entwicklungspsychologie unterscheidet derzeit zwischen vier Theoriefamilien: Interaktionistisch, aktionistisch, exogenistisch und endogenistisch. Sie alle beziehen sich in unterschiedlichem Grad auf die Wirkung von Umwelt und Subjekt auf die Entwicklung.

So geht der endogenistische Ansatz davon aus, dass die Entwicklung des Individuums nahezu ausschließlich durch biologische, innere Prozesse gesteuert wird. Sie beruht dabei auf der Annahme von Reifungstheorien, die für die Entwicklung verantwortlich sind. Entwicklung entsteht durch die Entfaltung genetischer Anlagen und biologischer Reifung. Äußere Prozesse sind hier nicht von Bedeutung. In Grundzügen erinnert die endogenistische Theorie sehr stark an evolutionäre Theorien wie die von Charles Darwin. Aufgrund aktueller Erkenntnisse, gilt die Idee der endogenistischen Entwicklung als überholt.

Die exogenistische Theorie verfolgt die Idee, dass die Entwicklung ausschließlich durch äußere Reize ausgelöst wird. Das Individuum wird durch seine Umwelt beeinflusst. Innerpsychologische Prozesse werden weitgehend ausgeblendet. Ein Beispiel für exogenistische Theorien wäre hierbei der Behaviorismus.

Aktionistische oder selbstgestaltende Theorien schreiben mehr dem Individuum, weniger aber der Umwelt einen Einfluss an der menschlichen Entwicklung zu. Im Sinne des Konstruktivismus, der als Beispiel für diese Typologie herangezogen werden kann, ist der Mensch nicht durch biologische Prozesse, sondern als selbstagierendes Wesen bestimmt. Er handelt ziel- und zukunftsorientiert, so dass er hierdurch seine Handlung selbst bestimmt.

Die vierte theoretische Strömung der Entwicklungspsychologie bilden die interaktionistischen Theorien. Umwelt und Subjekt tragen gleichermaßen zur Entwicklung des Menschen bei. An diese Theorie knüpft auch der eingangs erwähnte Sinnspruch an, geht man davon aus, dass „Gott“ metaphorisch für die Umwelt steht und so Einfluss auf den Menschen ausübt, der durch sein Denken und Verhalten gesteuert wird. Doch in welchem Maße tragen die eigenen Handlungen zu unserer Entwicklung bei? Sind wir wirklich Ko-Produzenten unserer eigenen Entwicklung? In der vorliegenden Arbeit soll diese These diskutiert werden.

Ausgangspunkt für die Diskussion sind die Überlegungen von Robert J. Havighurst. Nach einer kurzen Erläuterung des Konzeptes der Entwicklungsaufgaben nach Havighurst werden, vor dem Hintergrund der eben genannten These, unter Anwendung verschiedener theoretischer und empirischer Befunde, diese genauer betrachtet.

Die Entwicklungsaufgaben nach Havighurst

In den 1940er Jahren entwickelte der US-amerikanische Erziehungswissenschaftler und Soziologe seine Theorie der Entwicklungsaufgaben (developmental tasks). In seiner Argumentation von 1948 / 1953 beginnt Havighurst mit einigen Annahmen mit denen er das menschliche Lernen charakterisiert. Die Begriffe Leben und Aufwachsen erfahren nach Havighurst eine synonyme Bedeutung zum Wort Lernen. Beispiele für Lernaufgaben seien beispielsweise das Laufen lernen, Kuchen backen, Kindererziehung oder der Umgang mit andersgeschlechtlichen Altersgenossen. Zusammenfassend bezieht sich Lernen nach Havighurst auf biologische, individuelle und gesellschaftliche / kulturelle Fähigkeiten, die man das ganze Leben hindurch erwirbt.

Im Gegensatz zu den Tieren, bei denen sich der Reifeprozess selbstständig einstellt, fehle es dem Menschen an fast vollständigen Handlungsmustern. Die Fähigkeiten, die ein Mensch besitzen wird, sind nicht von Geburt an festgelegt. Er berge viele Fähigkeiten in sie, deren Ausprägung vom Individuum abhängt, welches wiederum von der Gesellschaft abhängig ist.

Das Individuum verfolgt durch das Lernen einen besonderen Zweck, der sowohl individuell, als auch gesellschaftlich geprägt ist: „Living in a modern society such as that of the USA is a long series of tasks to learn, where learning well brings unhappiness and social disapproval.“ (Havighurst 1953: 2)

Havighurst definiert daher Lernen als einen lebenslangen Prozess, der in gewisser Weise von der Gesellschaft erwünscht wird. Zugleich hat das Lernen auch Auswirkungen auf das Wohlbefinden des Individuums: lernt es gut wird es glücklich. Lernt es dagegen schlecht erfährt es Unglück.

Die Entstehung von Entwicklungsaufgaben

Aus Havighursts Auffassung des Lernens bilden sich schließlich die Entwicklungsaufgaben heraus. Diese „developmental tasks“ treten in bestimmten Lebensabschnitten auf:

A developmental task is a task which arises at or about a certain period in the life of the individual successful achievement of which leads to his happiness and to success with later tasks, while failure leads to unhappiness in the individual disapproval by society and difficulty with later tasks.” (Havighurst 1953: 2, i.O. kursiv)

Die Entwicklungsaufgaben definiert Havighurst ebenfalls als gesellschaftlich erwünscht. Die Lösung dieser Aufgaben bringt dem Individuum Zufriedenheit, während das Nicht-Lösen im Gegensatz dazu, zu eigener Unzufriedenheit und einem gewissen Grad an fehlender gesellschaftlicher Akzeptanz führt. Zudem bildet die Lösung von Entwicklungsaufgaben in früheren Lebensabschnitten die Grundlage für die Bearbeitung später auftretender Aufgaben. Selbst wenn jedoch eine Aufgabe nicht zum vorgesehenen Zeitpunkt gelöst werden kann, besteht die Möglichkeit, jene Aufgabe in einem späteren Moment zu bearbeiten. Diese Bearbeitung gestaltet sich für das Individuum jedoch schwieriger.

Diese Entwicklungsaufgaben entstehen „from physical maturation, from the pressure of cultural processes upon the individual, from the desires, aspiration and values of the emerging personality and they arise in most cases from the combination of these factors together.” (Havighurst 1953: 4). In anderen Worten sind das Zusammenspiel von biologischen Prozessen (bspw. physische Reifung oder Wachstum) und äußeren Einflüssen (Erwartungen der Gesellschaft) der Ursprung der Entwicklungsaufgaben[1]. Die Persönlichkeit des Individuums entsteht durch das Wechselspiel, die Interaktion von organischen Entwicklungen sowie Umwelteinflüssen.

Von der Kindheit bis zum Erwachsensein – Altersgruppen und ihre Entwicklungsaufgaben

Havighurst unterscheidet in seiner Theorie zwischen sechs Altersgruppen: Frühe Kindheit (ein bis sechs Jahre), Mittlere Kindheit (sechs bis zwölf Jahre), Adoleszenz (zwölf bis 18 Jahre), Frühes Erwachsenenalter (18 bis 30 Jahre), Mittleres Alter (30 bis 55 Jahre) und das späte Erwachsensein (ab 55 Jahre). Im Rahmen dieser Ausführungen wäre es zu viel, sich mit den Entwicklungsaufgaben jeder Altersgruppe auseinanderzusetzen. Daher beschränkt sich diese Arbeit beispielhaft mit der Adoleszenz.

[...]


[1] Grob, Flammer und Rhyn (1995) konnten mittels einer Studie nachweisen, dass die Entwicklungsaufgaben von der Gesellschaft an die Jugendlichen herangetragen werden.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Sind wir Ko-Produzenten unserer Entwicklung?
Untertitel
Eine interaktionistische Sichtweise anhand eines Fallbeispiels
Hochschule
Universität Hildesheim (Stiftung)  (Institut für Psychologie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
13
Katalognummer
V385617
ISBN (eBook)
9783668605329
ISBN (Buch)
9783668605336
Dateigröße
525 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Psychologie, Entwicklungspsychologie, Havighurst, Interaktionismus, Diabetes
Arbeit zitieren
Ivonne Wüsthof (Autor:in), 2017, Sind wir Ko-Produzenten unserer Entwicklung?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/385617

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