Literaturverfilmungen im Deutschunterricht

Über das angespannte Verhältnis von Literatur und Film und ein Plädoyer für die sinnvolle Integration von Literaturverfilmungen in den Deutschunterricht


Hausarbeit, 2017

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Literatur und Film – eine schwierige Beziehung?
2.1 Zur Entwicklung von Literaturadaptionen
2.2. Arten der Literaturadaption
2.3 Wie „spricht“ das Buch und wie der Film - Literarische und filmische Ausdrucksmittel
2.4 Literaturverfilmungen im Deutschunterricht: Status quo und Zielvorstellung
2.5 Exkurs: Matthis Kepsers Modell „Der doppelte Film im Kopf“

3. Analyse
3.1 „Der Vorleser“ von Bernhard Schlink
3.2 „Der Vorleser“ von Stephen Daldry
3.3 Vergleichende Analyse der Sequenz „Der Fahrradausflug“

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Sie kennen doch sicher den Witz von den beiden Ziegen,

die die Rollen eines Films auffressen, der nach einem Bestseller gedreht worden ist,

worauf die eine Ziege zu anderen sagt: >Mir war das Buch lieber.<“

(Nach einem Witz von Alfred Hitchcock)

So oder ähnlich wird in deutschen Klassenzimmern vermutlich all zu oft die Frage beantwortet, wie die Literaturverfilmung eines vorab gelesenen literarischen Werkes gefallen hat. Die Literaturverfilmung hat immer noch einen schweren Stand als eigenständiges Kunstwerk, als Medium, als Film. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum einen dominiert in Teilen der Gesellschaft, insbesondere auch innerhalb der Literatur- und Filmwissenschaft, die Vorstellung, dass die Literaturverfilmung primär in Bezug zu ihrer literarischen Textgrundlage zu beurteilen sei. Zweifelsfrei gäbe es keine Literaturverfilmung ohne die dazugehörige Literaturvorlage, doch gleichzeitig ist die Literaturverfilmung auch ein eigenständiges filmisches Werk und als solches zu betrachten. Diese Arbeit möchte sich jedoch nicht darauf beschränken, die Ehre der Literaturverfilmung als eigenständiges Kunstwerk innerhalb des Mediums Film zu verteidigen. Vielmehr soll auf den folgenden Seiten aufgezeigt werden, warum Literaturverfilmungen einen Gewinn für den Deutschunterricht darstellen. Dafür ist zunächst eine theoretische Auseinandersetzung mit der Beziehung zwischen Literatur und Film notwendig. Nach einer Einführung in die Intermedialitätsforschung und der Vorstellung der verschiedenen Transformationstypen innerhalb der Literaturadaption, wird das zweite Kapitel sich auch mit den Ausdrucksmitteln von Literatur und Film beschäftigen. In diesem Zuge soll zum einen die im Raum stehende Kritik aufgegriffen werden, der Film und die Literaturverfilmung seien anspruchsloser für ihre Rezipienten als die Literatur, aber auch gezeigt werden, wie sich der Film im Vergleich zur Literatur ausdrücken kann. Darauf folgt schließlich die konkrete Verknüpfung zur Praxis und der Frage, wie und warum Literaturverfilmungen eine Bereicherung für den Deutschunterricht darstellen. Im dritten Kapitel soll sodann die exemplarische vergleichende Analyse einer Sequenz aus Bernhard Schlinks „Der Vorleser“ und der gleichnamigen Verfilmung von Stephen Daldry erfolgen. Das theoretische Wissen, das im zweiten Kapitel erarbeitet wurde, soll hier, nach einer kurzen Einführung in beide Werke, fruchtbar gemacht und anhand einer ausgewählten Sequenz angewandt werden.

Zum Abschluss dieser Arbeit erfolgen das Fazit und ein Ausblick zur Frage wie sich der Umgang mit medialen Adaptionen im Deutschunterricht in den nächsten Jahren weiterentwickeln könnte.

2. Literatur und Film – eine schwierige Beziehung?

Der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit könnte größer kaum sein. Zu untersuchen gilt es, wie sich Literatur und Film zueinander verhalten und wie diese – so die These dieses Kapitels – angespannte Beziehung für den Deutschunterricht fruchtbar gemacht werden kann. Ein theoretischer Ansatz zur Auseinandersetzung mit der Beziehung zwischen Literatur und Film ist die Intermedialitätsforschung. Intermedialität soll an dieser Stelle eingeführt werden und dieser Arbeit als größerer theoretischer Rahmen dienen. Irina Rajewsky unterscheidet innerhalb der Intermedialitätsforschung zwei große Ansätze: Während die interart studies sich primär mit den Wechselbeziehungen der klassischen höheren Künste, wie Literatur, bildender Kunst und Musik beschäftigen, gibt es in der zweiten, eher medienwissenschaftlichen Ausrichtung innerhalb der Intermedialitätsforschung, einen klaren Fokus hinsichtlich der wechselseitigen Beeinflussung von Literatur und den neuen Medien: Film, Video, Performance Arts.[1] Diese Trennung in zwei Ansätze mag heute bereits obsolet wirken, da allein die Kategorisierung in hohe Künste und neue Medien überholt ist: Insbesondere der Film kann bereits seit Jahrzehnten als vollwertige Kunstform betrachtet werden. Sandra Poppe adressiert in diesem Zuge die Problematik der Unschärfe, die das Konzept der Intermedialität seit jeher begleitet: Die Entwicklung des Begriffs [Intermedialität] zum Modewort, das zur Bezeichnung von vielen sehr unterschiedlichen Phänomenen herangezogen wurde, bringt eine Unschärfe mit sich, die bisher nicht behoben werden konnte.[2] Und trotzdem, Intermedialität als Konzept ist dem theoretischen Rahmen dieser Arbeit dienlich, so fungiert es doch als umbrella für viele verschiedene Arten von Bezugnahmen und Kombinationen unterschiedlicher Medien und Künste. Erstmals aufgebracht wurde der Begriff Intermedialität 1966 von Dick Higgins zur Beschreibung hybrider Kunstformen, wie der Performance Arts[3], angelehnt an das Konzept der Intertextualität. Heute finden viele weitere Begriffe zur Beschreibung von Intermedialität Verwendung: „Multimedialität, Poly- oder Plurimedialität, Transmedialität, Medienwechsel, Medientransfer, [...]“.[4] Sie alle unterscheiden sich von einander in Nuancen, deren Herausarbeitung nicht Anspruch dieses Arbeit ist. Gemeinsam ist allen jedoch, dass es sich um „Mediengrenzen überschreitende Phänomene, die mindestens zwei konventionell distinktiv wahrgenommen Medien involvieren“[5] handelt. Im Umkehrschluss, so Jürgen Müller, handelt es sich bei Intermedialität nicht um eine „[...] Addition verschiedener medialer Konzepte [...], sondern eine Integration von ästhetischen Konzepten einzelner Medien in einen neuen medialen Kontext“[6]. Beispiele hierfür sind wiederum verschiedene Unterkategorien von Intermedialität, die von der Veroperung, über die Musikalisierung von Literatur, bis eben hin zur Adaption oder Verfilmung von Literatur reichen.[7]

2.1 Zur Entwicklung von Literaturadaptionen

Adaptionen als eine Form der Intermedialität stellen eine Grundform kultureller Überlieferungen dar. Gast, Hickethier und Vollmers definieren Adaption als „das Aufgreifen bereits vorhandener, literarisch oder in anderer künstlerischer Form gestalteter Stoffe, Handlungen, Motive [...]“[8]. Realität ist daher, dass viele Werke, die heute im Konsens als Klassiker und als kulturell besonders wertvoll betrachtet werden, in der Tat nur noch als Überlieferungen, Bearbeitungen oder Neufassungen vorhanden sind und somit Adaptionen darstellen. Bereits schon lange bevor Literaturadaptionen in Form von Literaturverfilmungen zum Gegenstand literatur- und filmwissenschaftlicher Debatten wurden, fanden Adaptionsprozesse in der Bildenden Kunst, hin zur Literatur – und andersherum – statt.[9] Als ein sehr frühes Beispiel hierfür kann Lessings Laokoon angeführt werden, in dem sich der Autor mit den Wechselbeziehungen zwischen bildender Kunst und Literatur und damit einhergehend mit der Transformation von Stoffen und Motiven beschäftigt. Die genaue Entwicklung von Adaptionsprozessen seit Lessing soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Festzuhalten ist jedoch, dass Adaptionen, damals wie heute, eine Möglichkeit darstellen, ein Publikum mit Hilfe des Rückgriffes auf ein bekanntes und gemeinhin kulturell wertvolles Werk für eine andere Produktion zu gewinnen. Die Motive der – in diesem Fall – Filmschaffenden sind dabei mannigfaltig. Der Rückgriff auf bekannten Stoff ermöglicht Filmschaffenden einerseits ihr Publikum mit neuen Darstellungs- und Wahrnehmungsweisen zu konfrontieren.[10] Denn, so die Annahme, das gemeine Publikum vertraut dem Schein der kulturell wertvollen literarischen Vorlage und traut sich so mehr zu. Bereits hier deutet sich eine große Konfliktlinie in der Beziehung zwischen Literatur und Film an: Die ungleiche Wertschätzung als Kunst. In der Forschungsliteratur sind jedoch auch pragmatische Gründe für das Aufkommen von Literaturadaptionen zu finden. So ist das Aufkommen der Massenmedien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Meilenstein in der Entwicklung der Literaturverfilmung, die sich nicht zuletzt auch mit einer Veränderung des Literaturbegriffs begründen lässt. Mit der Verbreitung von Comics und Hörspielen kommen auch Literaturverfilmungen im großem Umfang auf. Neue Medien und neue Kunstformen erzeugen einen plötzlich aufkommenden Stoffhunger: Die Produzenten im Bereich der neu aufkommenden Medien benötigen Material, um Produktionen zu realisieren.[11]

Während der Film als Kunstform heute wie selbstverständlich etabliert ist, steht die Literaturverfilmung, als eine mögliche Form der Adaption von Literatur, zum Teil noch immer in dem Ruf, im Vergleich zur Werkvorlage, anspruchslos zu sein und daher vom Rezipienten eher wenig Kompetenzen zu verlangen. Zurückzuführen ist diese elitär anmutende Haltung auch auf das dem Buch-Film-Verhältnis zugrundeliegende angespannte Verhältnis des Lesens und des Sehens.

Das Auge mag wohl der klarste Sinn genannt werden, durch den die leichte Überlieferung möglich ist.

Aber der innere Sinn ist noch klarer, und zu ihm gelangt die höchste und schnellste Überlieferung durchs Wort;

denn dieses ist eigentlich fruchtbringend, wenn das, was wir durchs Auge auffassen,

an und für sich fremd und keineswegs so tiefenwirkend vor uns steht. (J. W. Goethe)[12]

Goethes kritischer Schatten wirft noch heute sein Licht auf die Kritiker des Films und der Literaturverfilmung, die beiden Medienformen vorwerfen, im Vergleich zur Literatur, die Eigenaktivität des Rezipienten zu verhindern und diesen vielmehr zu einem passiven Zuschauer zu degradieren. Das Buchlesen hingegen genießt in weiten Teilen der Gesellschaft und der Literaturwissenschaft den Ruf, den Leser in einem viel höheren Maße zu aktivieren, dessen Fantasie anzuregen und somit in einem traditionell bildungsbürgerlichen Verständnis wertvoller zu sein, als es die Literaturverfilmung ist. Gast konstatiert dazu, dass die Rezeptions- und Textverarbeitungsprozesse beim Lesen und Sehen durchaus unterschiedlich erfolgen, aber nicht per se unterschiedlich wertvoll sind.[13] Ein Vergleich literarischer und filmischer Ausdrucksmittel wird im weiteren Verlauf der Arbeit noch erfolgen. An dieser Stelle soll sich darauf beschränkt werden festzuhalten, dass Literatur und Literaturverfilmung durchaus im gleichen Maße die Fantasie- und Vorstellungskraft des Rezipienten fordern und fördern. Während beim Lesen dies beispielsweise anhand der Beschreibung eines schwer einzuschätzenden Charakters erfolgt, kann dies beim Sehen einer Literaturverfilmung durch bewusst eingesetzte Kamera- und Musikeinstellungen evoziert werden.

2.2. Arten der Literaturadaption

Im vorangegangenen Kapitel wurde bereits dargestellt, in welcher Beziehung Intermedialität und Literaturverfilmung miteinander stehen und wie sich die Adaption von Literatur entwickelt hat. Auch die kritische Bewertung von Literaturverfilmungen als eine Form der Literaturadaption wurde besprochen. Voraussetzung für die weitere Auseinandersetzung mit Literaturverfilmungen und deren Integration in den Deutschunterricht ist nun, zu verstehen, welche Formen von Adaptionsprozessen - von Literatur hin zur Literaturverfilmung - vollzogen werden. Nach Kreuzer lassen sich fünf unterschiedliche Arten der Literaturadaption identifizieren[14], die sich in ihrer Nähe zur literarischen Vorlage, aber auch der konkreten Weiterverarbeitung des zugrundeliegenden Stoffes, unterscheiden.

Unter Aneignung von literarischem Rohstoff kann eine Art der Adaption literarischer Werke verstanden werden, die sich nur an Bruchsteinen ihrer Vorlage bedient. Ziel dieser Form der Literaturadaption ist ein möglichst hoher Grad der Unabhängigkeit des Films von der literarischen Textgrundlage. Bei der Illustration hingegen lässt sich idealtypisch ein hohes Maß an Übernahmen aus der literarischen Vorlage finden. Meist beinhaltet dies den Handlungsvorgang, die Figurenkonstellation, manchmal sogar Dialoge oder Teile des Erzähltextes. Die distinktive Rolle des Films besteht hier primär in der Bebilderung. Als dritter Typus der Literaturadaption gilt die interpretierende Transformation. Transformationen gehen weiter als Illustrationen, beschränken sich nicht auf eine Orientierung an der Inhaltsebene. Vielmehr lässt sich die Transformation mit der im Fremdsprachenunterricht verbreiteten mediation, d.h. dem sinnentsprechenden und nicht wörtlichen Übersetzen, annähern. Dies setzt voraus, dass im Zuge der Transformation die Form-Inhaltsbeziehung der Textvorlage, aber auch ihr eigenes künstlerisches Wirkungsprofil, erkannt werden und daraus heraus ein neues Werk erschaffen wird. Interpretierende Transformationen sind eindeutig als eigenständige künstlerische Werke zu verstehen, jedoch ohne die Brücke zur Textgrundlage zu negieren. Vielmehr stellt die Transformation den Anspruch dar, dem Wesen der Vorlage in der Verfilmung ein Zuhause zu geben. Was hier noch sehr theoretisch und abstrakt wirkt, soll im Analyseteil dieser Arbeit exemplarisch dargelegt werden. Fließend ist der Übergang zur interpretierenden Bearbeitung, deren Fokus auf der Historizität der Vorlage liegt und gleichzeitig primär die Unterschiede zwischen Ursprungswerk und Verfilmung in der Vordergrund rückt. Als fünfte Adaptionsart führt Kreuzer die Dokumentation auf, die sich wiederum sehr von den beiden vorangegangenen Typen unterscheidet. Dokumentationen stellen Neuinszenierungsversuche bei gleichzeitigem Medienwechsel dar. Der Fokus liegt hier auf der präzisen Orientierung an der Textgrundlage und nicht auf dem Versuch der Interpretation.

Deutlich wird durch die Betrachtung der verschiedenen Adaptionsprozesse, was im vergangenen Kapitel bereits erkennbar wurde. Der Begriff der Literaturverfilmung ist irreführend, denn Literatur wird eben nicht, wie der Begriff vermuten lässt, einfach verfilmt. Vielmehr finden bei dieser Form der Adaption vielfältige, komplexe Interpretations- und Umwandlungsprozesse statt. Die Literaturverfilmung ist und wird daher stets primär als Film und nicht als bloße Kopie eines Textes zu bewerten sein.

2.3 Wie „spricht“ das Buch und wie der Film - Literarische und filmische Ausdrucksmittel

Einleitend hat sich dieses Kapitel mit einer Einführung in die Intermedialitätsforschung beschäftigt. Zur Erinnerung, dieser Forschungsbereich beschäftigt sich mit der „Integration von ästhetischen Konzepten einzelner Medien in einen neuen medialen Kontext“[15]. Die Literaturverfilmung als ein Beispiel von Intermedialität steht dabei vor denselben Schwierigkeiten wie andere Konstellationen der Adaption. Ähnlich wie im Zwischenmenschlichen, stellt sich die Frage, wie „sprechen“ die beiden involvierten Medien: Was sind die Kategorien und Ausdrucksformen der Literatur und welche Äquivalente und Unterschiede lassen sich wiederum im Film (und somit auch der Literaturverfilmung) finden.

Zunächst ist auf die Unterschiedlichkeit hinsichtlich der Zeichensysteme und Zeichenträger hinzuweisen. Der Film als visueller Zeichenträger basiert primär auf Bildzeichen und damit verbunden auf Visualität. Christian Metz führt dazu aus, dass es sich bei der Filmsprache um ein reines Ausdruckssystem handelt.[16] Dementsprechend muss im Film die Einstellung, als kleinste Einheit, immer schon als bedeutungstragend angesehen werden. Konkret können dies z.B. der Bildausschnitt, die Einstellungsgröße oder die Kameraperspektive sein. Besonders ist hierbei, dass es eine potentiell unendliche Kombinationsvielfalt an Einstellungen gibt und die Filmsprache somit unendliche Ausdrucksmöglichkeiten bietet. Im Kontrast dazu steht die notwendige und gleichzeitig begrenzte Kombinationsvielfalt der gesprochenen Sprache in Form der Phoneme als kleinste distinktive Einheiten.[17] Während sich die Literatur einzig des Wortes als Ausdrucksmedium bedienen kann, nutzt der Film neben visuellen Zeichen weitere, primär akustische Mittel, wie z.B. Musik oder Geräusche und auch Sprache.[18] Eng mit dem Zeichensystem verbunden ist die Frage, wie Literatur und Literaturverfilmung beschreiben. Ein markanter Unterschied ist hier die Möglichkeit des Textes, zu benennen, ohne zu beschreiben, während der Film dies nur teilweise leisten kann. Indem der Film zeigt, findet automatisch eine Beschreibung statt. Poppe beschreibt passend dazu den Transformationsprozess hinsichtlich der Beschreibungsebene:

„Innerhalb der Transformation werden Figurenbeschreibungen durch Aussehen und Kostüme der Schauspieler umgesetzt, Raumbeschreibungen durch natürliche oder künstliche Drehorte sowie die jeweilige Raumausstattung, Objektbeschreibungen durch die Requisite.“[19]

Die selektive Art der Beschreibung, wie in der Literatur, ist im Film hier kaum möglich. Durch die bewusste Ausgestaltung einer Szene bleibt dem Film kaum eine Möglichkeit, unvollständig zu bleiben. Man mag argumentieren, dass Szenen im Film durch eine bewusste Einstellung auch selektiv und unvollständig vermittelt werden können. Zu nennen wären hier beispielsweise bewusste Dunkelheit und damit die Verdunklung bestimmter Bereiche des Bildes oder auch Detailaufnahmen, die durch den Fokus eines bestimmten Bildbereiches die Umgebung unkenntlich machen. Im Vergleich zur Literatur ist dies jedoch nur äußerst begrenzt möglich:

„An important consequence of the difference between the filmic presentation and verbal description of objects: the filmed image of an object, no matter how large it is or how complex ist parts, may appear whole on the screen. We form an intermediate visual synthesis. Verbal description, on the other hand, cannot avoid a linear detailing through time.“ (Seymour Chatman)[20]

Benennen und Beschreiben fallen im Film dementsprechend zusammen.

Eng verbunden mit dem, was Chatman als intermediate visual synthesis bezeichnet, ist die Frage nach dem Ablauf von Rezeptionsprozessen bei Literatur und Literaturverfilmung. Bereits angesprochen wurde das geläufige Vorurteil, Literatur sei für den Rezipienten anspruchsvoller, als es Literaturverfilmungen seien. Begründet wird dies oft mit dem Argument, dass z.B. beim Lesen der Charakterisierung einer Figur innerhalb der Handlung der Leser die Aufgabe habe, ein inneres Bild dessen entstehen zu lassen. Dieser kreative Akt sei bei der Literaturverfilmung, die stets visuell vorgibt, was der Zuschauer sieht, nicht möglich. Eine solche Kritik an der Literaturverfilmung ist jedoch haltlos. Zweifelsfrei bietet der Film dem Zuschauer stets eine Visualität, die so unmittelbar im Buch nicht vorhanden ist. Gleichzeitig besteht hierin eine Aufgabe des Zuschauers: Es liegt an ihm, die ihm begegnende Visualität aus dem Konkreten in das Abstrakte und die dahinterliegende Botschaft zu übersetzen.

Daher wird für das angemessene Verstehen einer Literaturverfilmung auch dem sehenden Rezipienten ein hohes Maß an Kompetenz abverlangt. Das oben dargelegte Zeichensystem des Films verlangt eine Decodierung durch den Rezipienten. So ist beispielsweise die Gestaltung einer Einstellung oder auch die Auswahl auditiver Elemente innerhalb einer Szene nie zufällig gewählt. In der sich anschließenden Analyse einer Szene aus „ Der Vorleser“ wird sich eben zeigen, dass das Verständnis einer Filmszene Kenntnis und Deutungsvermögen von filmtechnischen und filmästhetischen Mitteln, aber auch der zugrundeliegenden kulturellen Bezugssysteme, verlangt.

[...]


[1] vgl. Rajewsky, Irina (2002): Intermedialität, Tübingen/Basel, S.8.

[2] vgl. Poppe, Sandra (2007): Visualität in Literatur und Film. Eine medienkomparatistische Untersuchung moderner Erzähltexte und ihrer Verfilmungen, Göttingen, S. 19.

[3] vgl. ebd., S. 20.

[4] ebd., S. 21.

[5] Rejewsky (2002), S. 13.

[6] Müller, Jürgen (1998): Intermedialität als poetologisches und medientheoretisches Konzept. Einige Reflexionen zu dessen Geschichte, S. 89.

[7] vgl. Poppe (2007), S. 21.

[8] Gast, W./ Hickethier, K./ Vollmers, B. (1999): Literaturverfilmungen als ein Kulturphänomen, S. 12.

[9] vgl. ebd.

[10] vgl. ebd., S. 15.

[11] vgl. ebd., S. 12.

[12] zitiert von: Schneider, Irmela (1981): Der verwandelte Text. Wege zu einer Theorie der Literaturverfilmung, Tübingen, S. 32.

[13] vgl. Gast, Wolfgang (1999): Literaturverfilmung, Bamberg, S. 11.

[14] vgl. Kreuzer, Helmut (1975): Fernsehen als Gegenstand der Literaturwissenschaft, S. 27-31.

[15] Müller (1998), S. 89.

[16] vgl. Metz, Christian (1972): Semiologie des Films, München, S. 52ff.

[17] vgl. Hermann, Jasmin Luise (2001): Literaturverfilmung und die Grammatik der Transformation: Über Erzählstrukturen, filmische Äquivalenzen und Intertextualität, Berlin, S. 2.

[18] vgl. Maiwald, Klaus (2015): Vom Film zur Literatur. Moderne Klassiker der Literaturverfilmung im Medienvergleich, Stuttgart, S. 16.

[19] Poppe (2007), S. 104.

[20] zitiert von ebd., S. 107

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Literaturverfilmungen im Deutschunterricht
Untertitel
Über das angespannte Verhältnis von Literatur und Film und ein Plädoyer für die sinnvolle Integration von Literaturverfilmungen in den Deutschunterricht
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
22
Katalognummer
V385615
ISBN (eBook)
9783668605381
ISBN (Buch)
9783668605398
Dateigröße
622 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Literaturverfilmung, Film, Vorleser, Literatur, Adaption, Didaktik, Schule, Deutschunterricht, Filmbildung
Arbeit zitieren
Philip Eberhard (Autor:in), 2017, Literaturverfilmungen im Deutschunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/385615

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