Der Klang von Illusionen und (Sehn-) Süchten. Zur Bedeutung von Musik für Filmfiguren

Am Beispiel von Darren Aronofskys "Requiem for a Dream" und "Black Swan"


Bachelorarbeit, 2016

76 Seiten, Note: 1,6


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Filmmusik Entwicklung
2.1 Stummfilm - Anfänge von Musik im Kino
2.2 Tonfilm
2.2.1 Lichtton
2.2.2 Magnetton
2.2.3 Stereo
2.2.4 Dolby
2.3 Gegenwärtige Klangtendenzen

3 Bedeutung von Filmmusik
3.1 Beziehung zwischen Bild und Klang
3.1.1 Musik
3.1.2 Film
3.1.3 Ton-Bild Beziehung
3.2 Filmmusikalische Grundkonzepte
3.3 Techniken - zum Einsatz von Filmmusik
3.4 Funktionen von Filmmusik
3.4.1 Funktionsmodell nach Lissa
3.4.2 Funktionskatalog nach Schneider
3.4.3 Kategorisierung nach Bullerjahn

4 Akustik im Film
4.1 Zur Vielfalt von Ton im Film
4.2 Diegetische Sounds und nicht diegetische Sounds
4.3 Filmmusik im Verhältnis zu anderen Tonelementen

5 Filmmusikanalyse
5.1 Modell: Die Uhr der Figur (Jens Eder)
5.2 Im Portrait
5.2.1 Darren Aronofsky
5.2.2 Clint Mansell
5.3 Requiem for a Dream
5.2.1 Figur Sara Goldfarb
5.2.2 Miss Goldfarbs (Sehn-) Süchte
5.4 Black Swan
5.3.1 Figur Nina
5.4.2 Der Klang von Ninas Illusionen

6 Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

„ Gegen gut gemachte Musik kann sich niemand wehren - sie zielt direkt auf die Seele. “

Hans Zimmer

Das Zitat eines der berühmtesten internationalen Komponisten wird zum Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit. Dass Musik bestimmte Emotionen beim Menschen hervorrufen kann, soll hier nicht neu bewiesen werden. Viel eher interessiert das wie und das wirken auf die Seele, dass Hans Zimmer hier nennt.

Wie wirkt sich Filmmusik auf die Seele einer Filmfigur aus? Wie kann Filmmusik Innenansichten von Charakteren vermitteln? In dieser Arbeit soll exemplarisch ermittelt werden, inwiefern Filmmusik die Gabe hat, traumatische Zustände, wie etwa Illusionen, Sehnsüchten und Wahnvorstellungen von Filmfiguren zu vermitteln. Hierbei liegt der Fokus auf zwei Werken des Regisseurs Darren Aronofskys. Den Figuren seiner Filme entspringt eine gewisse Mehrdimensionalität und Tiefgründigkeit. Sie werden mit seelischen Tiefpunkten konfrontiert, tanzen zwischen Realität und Wahnsinn oder denken sich in ihre Traumwelten hinein. Diese seelischen Zustände des Menschen können im Kino in verschiedener Form dargestellt werden. Anhand von Darren Aronofskys Requiem for a Dream (2000) und Black Swan (2010) soll erfasst werden, welchen Beitrag Filmmusik zur Inszenierung dieser imaginären Welten der Figuren leistet, in welcher Form sie auftreten kann und wie sie sich zu anderen gestalterischen Elementen des Films verhält.

Zu den Vorbetrachtungen zählen die historische Entwicklung von Filmmusik und ihre Bedeutung für den Film allgemein. Es ist wichtig, herauszuarbeiten, in welchem Kontext sie sich zum Bild und zu anderen Elementen der Akustik verhält. Die Betrachtung von Funktionsmöglichkeiten von Filmmusik ist ebenso relevant, wie die Erschließung von Konzepten darüber, wie Musik angewandt werden kann und mit welchen Mitteln sie einen Film beeinflusst.

Sind die Grundlagen erfasst, erfolgen die Filmmusikanalysen. Hier fließt das zuvor ausgearbeitete Wissen über Filmmusik zusammen. Da explizit Figuren, genauer die Darstellung ihres Inneren, untersucht werden sollen, muss ein Modell herangezogen werden, welches sich zur Figurenanalyse eignet. Im deutschsprachigen Raum hat sich bisher das Werk, Die Figur im Film, des Medien- und Kommunikationswissenschaftlers Professor Jens Eder am ausführlichsten mit dem Entwurf eines anwendungsbezogenen Modells befasst. Sein Modell - die Uhr der Figur, wird knapp skizziert und anschließend erläutert, welche spezifischen Aspekte in den Analysen dieser Arbeit umgesetzt werden. Jeweils eine Figur aus beiden Werken wird analysiert, um Strukturen, die Filmmusik hinsichtlich der Seelenzustände konkretisieren kann, herauszuarbeiten.

Im anschließenden Fazit werden die wichtigsten Erkenntnisse der Arbeit zusammengefasst und die Bedeutung von Filmmusik für Filmfiguren hinsichtlich ihres Potenzials und ihrer Grenzen ausgewertet.

Während der Erarbeitung des allgemeinen Hintergrunds und der Bedeutung von Filmmusik werden zur Veranschaulichung hin und wieder die beiden zu untersuchenden Filmwerke als Beispiele und Verdeutlichung der beschriebenen Verfahren herangezogen. Hier muss betont werden, dass die Werke lediglich als Mittel der Belegbarkeit eingesetzt werden. Ihre konkrete Analyse im Sinne des Untersuchungsgegenstandes dieser Arbeit vollzieht sich erst ab Kapitel 5 Filmmusikanalyse.

2 Filmmusik Entwicklung

Der Bestand an Literatur über die Entstehung des Films ist mit Vorsicht zu betrachten. Theoretische Reflexionen über die Anfänge der audiovisuellen Kunst sind lückenhaft und ambivalent. Um die Relevanz und Funktion von Filmmusik im heutigen Kontext zu verstehen, bedarf es hingegen einer historischen Betrachtung. Im folgenden Kapitel werden wesentliche Aspekte aufgezeigt, die zum Fortschritt der Filmmusik beitrugen.

2.1 Stummfilm - Anfänge von Musik im Kino

„Stummfilm war nie ‚stumm‘.“ (Rabenalt 1986, S. 8)

Filmmusik wird zur Sternenstunde des Films geboren. Sowohl die ersten öffentlichen Vorführungen der Skladanowsky Brüder am ersten November in Berlin, als auch die der Gebrüder Lumière am 28. Dezember in Paris wurden im Jahre 1895 bereits mit Musik begleitet. (vgl. Thiel 1981, S. 122) Die Erfindung des Films stellte eine regelrechte Sensation (bspw. auf Jahrmärkten) dar. Wozu war der Einsatz von zusätzlicher Musik notwendig? Um den Sinn des Einsatzes von Musik zur Blütezeit des Films nachzuvollziehen, werden im Folgenden unterschiedliche Motive sowie die historische Entwicklung von Musik im Stummfilm aufgezeigt. Eine mögliche Ursache steckt in einer mehrfach zitierten Aussage1 von Kurt London aus dem Jahr 1936. Er benennt die ehemalige Lautstärke der Projektoren als möglichen Störfaktor:

„Die Filmmusik begann nicht als Resultat eines künstlerischen Dranges, sondern als dringende Notwendigkeit, um das Geräusch des Projektors abzudämpfen. Damals gab es noch keine schalldichten Wände zwischen dem Projektor und dem Auditorium. Der peinliche Lärm störte die Freude des Sehens enorm. Daher benutzten die Kinobesitzer Musik, und es war die richtige Wahl, ein unangenehmes Geräusch durch ein angenehmes zu neutralisieren.“ (Zit. in Adorno/ Eisler 1977, S. 117)

Der Klavierspieler, der in größeren und luxuriöseren Kinos durch ein Orchester ersetzt wurde, hatte hauptsächlich die Aufgabe, das Geräusch zu überspielen und trug meist die alleinige Verantwortung für die musikalische Begleitung. Oft mussten die Pianisten während der Filmvorführungen nach eigenem Ermessen mit adäquater Musikauswahl improvisieren, da sie das Filmmaterial zuvor nicht immer kannten. Dies hatte den Effekt, dass gezeigtes Bild und gespielte Melodie auch mal aus der Reihe tanzten. (vgl. Lissa 1965, S. 20f.)

Neben dem lauten Surren des Projektor Apparates stellte auch die Kulisse eine ungewöhnliche Konstellation dar. Aufgrund der Lichtschwäche des Projektors fanden die Vorführungen in stark abgedunkelten Räumen ohne Fenster statt (noch heute bestimmen diese Kriterien die Beschaffenheit von Kinosälen). Für viele Menschen muss dies damals eine ungewisse erste (Kino-) Erfahrung gewesen sein. Es gibt diverse Mythen darüber, wie die Leute reagiert haben sollen. Besonders verbreitet in der Filmgeschichte ist das Mysterium des einminütigen Filmes: Die Ankunft eines Zuges auf dem Bahnhof in La Ciotat 2 (1896) von den Gebrüdern Lumière. Wie der Titel vermuten lässt, wird ein rollender Zug während des Eintreffens an einem Bahnhof gezeigt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: L ’ arriv (Lumi è res, 1895)

Es ist eine weit verbreitete Annahme, dass die Leute beim Betrachten des Films aus dem Vorführraum geflüchtet seien, da sie glaubten, der Zug würde aus dem Bild heraus auf sie zurollen. Obgleich diese Geschichte sich so zugetragen hat, bleibt bisweilen umstritten. Immerhin zeigt das Beispiel ein Abbild der damaligen Gegebenheiten.

Um diese ‚furchterregenden‘ Eindrücke abzumildern, die Stummfilme anfangs den Betrachtern zu vermitteln schienen, sollte die Musik es sein, die den Zuschauer zur Sanftmut bewegt. Laut Theodor W. Adorno und Hanns Eisler (vgl. 1977, S. 116f.) ginge vom Setting des Kinos etwas Geisterhaftes aus.

Die Vorstellung, man würde mit einer Anzahl unbekannter Wesen eng nebeneinander etwas Ungewisses in einem dunklen Raum erleben, führe zu Panikvorstellungen. Musik sollte durch ihren Klang die stummen Schatten (Personen) auf der Leinwand weniger gespenstisch wirken lassen.

Ein weiterer Anreiz für die Ursache von Musik im Film liegt in der puren Begierde des Menschen nach Geräuschen verankert. Im Alltagsleben sind wir permanent von Tönen und Klängen umgeben, sogar während wir schlafen. Musik soll diesen natürlichen Durst nach Lauten stillen, indem sie im Kino erklingt. „Ihre Aufgabe ist es, das Verlangen nach Geräuschen zu beseitigen, nicht es zu befriedigen.“ (Kracauer 1985, S. 188) Die Musikwissenschaftlerin Zofia Lissa (vgl. 1965, S. 42 ff.) sieht den Gebrauch von Musik darin begründet, dass sie ohnehin stets fester Bestandteil darstellender Künste war. So gehen gewissermaßen die Gattungen Oper, Theater und Ballett dem Film voraus, in denen Musik immer in irgendeiner Form eine Rolle spielte. Zuletzt genannte Thesen in Bezug auf die Herkunft und Bedeutung von Musik für den Film werden in Kapitel 3.1 Beziehung zwischen Bild und Ton konkreter beleuchtet. Folgend schlüsselt dieses Kapitel die technische Entwicklung weiter auf.

Nach über 10 Jahren, in denen Musik filmbegleitende Funktionen erfüllte, wurde versucht, beide genannten Formen von Bild und Ton miteinander zu synchronisieren. Anstelle der instrumentalen Live-Begleitung traten Grammophonplatten, die den Klavierspieler ersetzen sollten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Grammophon

( http://thumbs1.picclick.com/d/l400/pict/231674628056_/Grammophon-Holz- f%C3%BCr-Schellackplatten-Trichtergrammophon-Grammophone-antik-Stil.jpg)

Zunächst entstand eigens für Kurzfilme komponierte Musik. Die Werke wurden auf cue sheets 3 für den Wiedergebrauch in einer Kinothek 4 gesammelt. Weitere 10 Jahre später, ab 1921, wurde zudem Musik konkret für Langspielfilme komponiert. (vgl. ebd.: S. 21)

Das gleichzeitige Abspielen von Bild und Ton brachte technische Probleme mit sich. Die Filmrolle riss noch zu unvorhersehbar und konnte daraufhin unmöglich simultan mit dem Ton abgespielt werden. Die Erfindung des Nadeltonverfahrens (Vitaphone), bei dem der Projektor mit dem Plattenspieler gekoppelt wurde, brachte weitere Probleme mit sich. Die Schallplatten konnten nicht so wie der Film geschnitten werden. Der Ton gab nun den Takt bei der Filmherstellung an. Infolgedessen mussten Szenen aufwendig mit mehreren Kameras gedreht werden, damit sie anschließend zum Klang der Platte passten. Zudem seien die Schellackplatten damals nach mehrfacher Nutzung schnell vom Verschleiß gezeichnet. (vgl. Flückiger 2010, S. 32) Bald sollte das Grammophon durch ein anderes eigens auf Stummfilme abgestimmtes Gerät ersetzt werden - die Kinoorgel. Sie wurde fest in das Kino eingebaut und mit Spezialeffekten ausgestattet. Es war nun möglich, einzig mit diesem Instrument Geräusche wie Donner, Regen und Sirenen zu imitieren und dies in einer Lautstärke, die sehr wohl einen Kinoraum durchdringen konnte. (vgl. Rabenalt 2014, S. 36f.) Belegexemplare befinden sich heute noch in gelegentlichem Einsatz im Babylon Kino Berlin sowie im Filmmuseum Potsdam.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Kinoorgel

( http://www.stimme.de/hohenlohe/nachrichten/kuenzelsau/auswahl1-Evergreens-auf- der-Kino-Orgel;art1912,607198)

Für die Ära des Stummfilms lässt sich festhalten, dass dieser stets musikalisch begleitet wurde. Pianisten, Schallplatten, Orchester oder Kinoorgel erfüllten treu ihre Dienste.

Laut Lissa (1965, S. 100) erfülle Musik im Stummfilm kurzum folgende Funktionen: St ö rger ä usche ü bert ö nen, Aufmerksamkeit des Zuschauers auf die Leinwand konzentrieren, Stille ü berspielen und nicht zuletzt Ger ä usche der abgebildeten Wirklichkeit imitieren. Sie stellt weiter fest, dass Filmmusik damals bereits versucht habe,

„auf die Emotionen des Zuschauers einzuwirken, die Verbindung zwischen der auf der Leinwand dargestellten Welt und den vermuteten Gefühlen der Filmhelden einerseits und den Gefühlen des Zuschauers andererseits herzustellen.“ (ebd.)

Diese ihr früh zugetragene ästhetische Funktion von Musik setzt sich im Tonfilm fort. Exemplarisch wird dies in Kapitel 5 Filmmusikanalyse, in dem konkret untersucht wird, wie Musik innere Zustände von Filmfiguren charakterisiert.

Dramaturgische Funktionen erfülle Musik in der Stummfilmzeit noch nicht. Siegfried Kracauer (vgl. 1985, S. 186) hält fest, dass sich auf das Vorhandensein von Musik an sich konzentriert wurde. Über Musik als dramaturgisches Mittel sei zur Stummfilmzeit noch nicht verhandelt worden.

„Filmmusik war ursprünglich eher ein Bestandteil von Filmvorführungen als ein Element des Films selber.“ (ebd.)

Hinzu kommt, dass ihr Klang nie der Leinwand, sondern vielmehr neben, hinter oder vor ihr entsprang. Physisch war die Musik eher mit den Zuschauern im Kinosaal verbunden, als mit dem Geschehen auf der Leinwand. Das Publikum konnte die Musik im Saal sehen und h ö ren, ahnte daher, dass sie nicht aus der fiktiven Welt des Films stammen konnte. (vgl. Lissa 1965, S. 101) Somit sei Filmmusik immer im Raum verortet gewesen und hatte zur Stummfilmzeit nie wirklich den Hauch einer Chance, mit der abgebildeten Welt des Films authentifiziert zu werden.

2.2 Tonfilm

Durch die Innovation des Lichttonverfahrens war es endlich gelungen, Film und Ton gemeinsam auf einem Band zu speichern und abzuspielen.

Dies hatte zur Folge, dass sich zum Klang der Musik als vorerst einziges auditives Element weitere akustische Ebenen hinzugesellten. Filmbilder konnten nun Sprache und Geräusche wiedergeben, mit denen Musik fortan konkurrierte. Die auditive Schicht war nicht mehr losgelöst, sondern bildete mit der visuellen eine gemeinsame Essenz. Der Tonfilm bereitete das Fundament für die fortan vollständige technische Synchronisation von Bild und Ton. (vgl. Lissa 1965, S. 102)

Der Ton zog jedoch nicht ganz tadellos in das Bild ein. Kinobesitzer standen dem neuen technischen Verfahren zunächst mit Skepsis gegenüber. Zu hoch waren die Investitions- sowie Umbaukosten, die die neue Technik mit sich brachte. Zu ungewiss schien die unvorhersehbare Entwicklung und das damit verbundene Risiko. Mit dem Einzug der Sprache in den Film sah man ferner die Internationalität der Industrie gefährdet. (vgl. Thiel 1981, S. 138)

Mit der Innovation und den neuen Möglichkeiten des Tonfilms sahen sämtliche Stummfilmmusiker ihre Arbeitsplätze bedroht. Es gab eine Bewegung, die dazu aufrief, den Tonfilm zu boykottieren. Ein Flugblatt von 1930 deutet die Situation:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Flugblatt 1930

( http://www.kraftfuttermischwerk.de/blogg/wp- content/uploads2/2012/01/2439_60b9_500.jpeg)

Abbildung 5: The Jazz Singer ( https://thecinematicpackrat.files. wordpress.com/2012/10/the-jazz singer.jpg)

Schließlich sorgen die Warner Brothers 1927 mit ihrem amerikanischen Film The Jazz Singer für den finalen Durchbruch. Der Film gilt als kulturelles Juwel und markiert die Sternenstunde des Tonfilms. Dabei sei es die lippensynchrone Sprache gewesen, die es dem Publikum angetan hatte. Der Darsteller Al Jolson spricht in einer Szene einen Monolog mit 250 Wörtern - hörbar. So etwas war zu Stummfilmzeiten nicht möglich. Dennoch bildete sich eine breite Kritikermasse, darunter Chaplin, die den Sprechfilmen mit Scharfsinn gegenüberstand. Sie können dem künstlerisch anspruchsvolleren Stummfilm nicht gerecht werden und seien nur eine Modeerscheinung, die bald wieder verschwinden würde. Technische Unkenntnis und alteingesessene Sehgewohnheiten führten zu einer anfangs nicht ganz reibungslosen Repräsentation des Tons. (vgl. Rabenalt 2014, S. 74ff.)

Charles Chaplin beschreibt um 1929 das Erlebnis eines Tonfilms:

„Zu Anfang hatte man noch keine Ahnung von der Regelung der Lautstärke: Ein Ritter in voller Rüstung machte einen Krach wie eine Maschinenhalle eines Stahlwerks, und ein einfaches Mittagessen im Kreise der Familie hörte sich an wie ein Riesenspeisesaal zur Zeit des Hochbetriebs.“ (Chaplin 1977, S. 302)

Nach Überwindung technischer Dissonanzen und der Anerkennung des Einzugs von Tonfilm in die Kultur wurde das einzigartige Potential von Filmmusik entdeckt. Ihr wurden nicht mehr die Aufgaben diktiert, Stille zu beseitigen, störende Projektorger ä usche zu ü berspielen oder gespenstisch wirkende Bilder abzumildern, wie noch zu Stummfilmzeiten üblich. Durch das Abbilden filmimmanenter Geräusche und Sprache wurde nun auf Musik als dramaturgisches Mittel im Film zurückgegriffen. War Musik beim Stummfilm primär ihrer Begleitfunktion zugeordnet, trete sie durch den Tonfilm selbstständiger hervor. Lissa (1965, S. 103) beschreibt die Verwandlung „von einer naiv illustrierenden Musik […] zu einer Musik, die selbstständig nichtgezeigte Elemente des Ganzen repräsentieren kann.“

Die maßgeblichen Funktionen, die sich für Musik unmittelbar eröffnen, werden in Kapitel 3.4 Funktionen von Filmmusik ausführlicher beleuchtet.

Nachfolgend werden die wesentlichsten technischen Verfahren und Errungenschaften der Ära des Tonfilms aufgezeigt.

2.2.1 Lichtton

Das Nadeltonverfahren, welches noch bei dem Film The Jazz Singer Anwendung fand, wurde Anfang der 1930er Jahre vom Lichttonverfahren abgelöst.5 (vgl. Flückiger 2010, S. 31f.)

Bei diesem Vorgang werden vom Mikrofon aufgenommene Schwingungen in Lichtsignale umgewandelt. Der Ton wird auf einer gesonderten optischen Spur neben der Filmkopie verlaufend aufgezeichnet. Somit können Bild und Ton gemeinsam auf einem Trägermedium gespeichert und wiedergegeben werden. (vgl. “Lichttonverfahren“ (o. J.))

Es entwickelten sich zwei parallele Systeme, die Sprossenschrift und die Zackenschrift. Die Sprossenschrift zeichnet unterschiedliche Grauwerte auf, während die Zackenschrift lediglich zwischen geschwärzten und nicht geschwärzten Werten unterscheidet. Die Zackenschrift wurde im technischen Fortschritt symmetrisch gespiegelt - es entstand die Doppelzackenschrift. Dieses Verfahren setzte sich durch und löste die Sprossenschrift ab. (vgl. Flückiger 2010, S. 28f.)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: links Sprossenschrift, rechts Zackenschrift

(Fl ü ckiger, Barbara (2010): Sound Design. Die virtuelle Klangwelt des Films. Marburg: Sch ü ren Verlag GmbH, S. 29.)

2.2.2 Magnetton

Ein Verfahren, welches bald den Lichtton ersetzen würde, speichert Ton auf einem Magnetband. Ansätze, das Magnettonverfahren umzusetzen, lassen sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Für militärische Absichten waren Magnetbänder bereits in den 30er Jahren im Einsatz. Den Übergang in die kommerzielle Nutzung ermöglicht 1941 schließlich die Hochfrequenz- Vormagnetisierung. Besonders in Klangqualität und -bearbeitung sei dieses Verfahren dem Lichtton überlegen. Eine Magnetrandspur wird auf dem Bildträger erfasst, wodurch die Synchronisation von Ton und Bild auch nach Schnittbearbeitung gewährleistet ist. Die Magnetspeicherung ergibt sich jedoch als empfindliches Unterfangen. Als in den USA 1948 die Umstellung auf Magnetton geschah, beklagten sich die Schnittstudios, dass die Tonspur nun nicht mehr sichtbar war. Die Magnetbänder wurden infolgedessen für die Bearbeitung bis 1954 in Lichtton umgewandelt. Gleichsam ergab sich das Problem, dass die Magnetrandspuren überaus sensibel waren und mit der Zeit Gebrauchsspuren davontragen konnten oder komplett vom Filmband verschwunden waren. Zu Beginn war die Speicherung auf Magnetfilm zudem sehr kostspielig, was den Wandel vom Licht- zum Magnetton verlangsamte. (vgl. ebd.: S. 39f.)

2.2.3 Stereo

„Die Stereophonie simuliert die Räumlichkeit des natürlichen Schalls, indem sie das akustische Ereignis auf zwei oder mehrere Kanäle aufzeichnet und wiedergibt.“ (ebd.: S. 41) Der akustische Raum im Kino wird um mehrere Klangquellen erweitert. Bisher lag beim Licht- und Magnettonverfahren das Augenmerk auf der synchronen Wiedergabe von Originaltönen des Filmbildes. Die Repräsentation von Ton im Kino war nach etlichen Erfindungen, (Fehl-) Versuchen und technischem Fortschritt gelungen. Mit Stereo verändert sich die Art und Weise, wie der Klang im Kino wiedergegeben wird. Ziel ist es, ein möglichst natürliches Klangereignis darzustellen - also wie wir den Ton zum Bild im Alltag wahrnehmen würden. Sehen wie eine Biene von links nach rechts durch das Bild fliegen, müsse der Ton auf der linken Ohrmuschel zunächst stärker zu vernehmen sein und dann in Richtung rechtes Ohr hinüberwandern. Die reale akustische Welt in einem Kinosaal darzustellen, stellt in der Geschichte des Tons eine wahre Herausforderung dar. Folgend werden die wichtigsten technischen Systeme veranschaulicht.

Das erste öffentlich präsentierte Stereoverfahren griff noch auf das Prinzip des Lichttons zurück. Im Jahre 1940 entwickelte Walt Disney für den Film Fantasia ein eigenes System, das akustisch den Klang eines Symphonieorchesters reproduzieren sollte und nannte es Fantasound. Drei Tonspuren (links, zentral, rechts) und eine zusätzliche Steuerungsspur wurden auf dem 35mm Filmstreifen aufgetragen (wie beim Lichttonverfahren), um jeweils drei Lautsprecher hinter der Leinwand anzusteuern. Für die Premiere von Fantasia wurde der Klang zusätzlich über 95 kleine Lautsprecher im Saal verstärkt. (vgl. Handzo 1985, S. 418f.)

Mit dem Film This is Cinerama veränderte sich 1952 das System Stereo. Im Mittelpunkt stand die punktuelle Wiedergabe einer Quelle, die sich über das Bild erstreckt. Fünf Lautsprecher wurden hinter der Leinwand positioniert und angesteuert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7: This is Cinerama, Positionierung der Lautsprecher ( https://www.cinema.ucla.edu/sites/default/files/Cinerama.jpg )

In besagtem Film fährt eine Achterbahn von der einen zur anderen Bildrandseite. Der Ton verteilt sich dementsprechend von der linken Seite beginnend, bedient alle Lautsprecher der Reihe nach bis zur rechten Seite, wo er dann lauter wird.

Zusätzlich wurden weitere Lautsprecher an den Seiten des Kinosaals und einer hinter dem Publikum angebracht, um Töne wiederzugeben, die nicht dem Filmbild entsprangen. Der Originalton für den Film wurde während der Dreharbeiten auf bis zu fünf Mikrofonen aufgenommen, die die Position der Lautsprecher imitieren sollten. Auf weiteren Mikrofonen wurden Musik und zusätzlicher Sound aufgenommen, der nicht der Bildquelle entsprang. Cinerama wurde von dem Kinoinvestor Mike Todd kopiert und nachgebildet. Das 6-Kanal- Magnettonsystem vereinte fünf Lautsprecher hinter der Leinwand und einen extra Lautsprecher im Raum für Surround Sound. Jedoch wurde beim Todd-AO System nur die Musik 6-kanälig mit Mikrofonen aufgezeichnet. Dialoge und Soundeffekte wurden monofon auf nur einem Mikrofon aufgezeichnet, sodass die Klangqualität im Endprodukt an Authentizität verlor. (vgl. ebd.: S. 419f.)

CinemaScope hieß das 4-kanälige System, welches von Twentieth Century-Fox als Gegenpol zum aufwendigen und kostspieligen Cinerama entwickelt wurde. In CinemaScope vereinen sich unterschiedliche Attribute des Fantasound und Cinerama. Die Positionierung dreier Lautsprecher hinter dem Bildschirm und eines weiteren an der Rückseite des Kinosaals bildeten die Basis für die akustische Wiedergabe. Mit drei Mikrofonen am Set wurde der Ton aufgenommen und anschließend auf vier magnetische Randspuren des Filmstreifens (zwei an jeder Sprossenseite) überspielt. Im Kino konnten die Spuren durch einen Magnetverstärker, der über dem Projektor angebracht wurde wiederum auf die Audiokanäle ausgespielt werden. Filmtheater konnten es sich nicht leisten, ihre eingebauten Soundsysteme im Ein- bis Zweijahresabstand zu wechseln. Stattdessen investierten sie in Mischgeräte, um aus den vier Magnettonspuren eine einzige herzustellen, die auf das bereits bestehende Soundsystem ausgespielt werden konnte. Perspecta Sound sollte als kostengünstigere Variante Abhilfe schaffen. Drei Magnettonspuren werden zu einem vorgefertigten Mix auf dem Filmband zusammengefügt. Jede Tonspur ist hierbei für einen Lautsprecher (links, mittig, rechts) bestimmt, den sie beim Ausspielen des Filmstreifens avisiert. (vgl. ebd.: S. 420f.)

Ein kurzer Exkurs des wirtschaftlichen Wandels in Hollywood verdeutlicht, inwieweit technischer Fortschritt von ökonomischen Faktoren abhängt. StereoMagnettonverfahren entstanden in einer Zeit des Umbruchs. So bekam die

Kinoindustrie Anfang der 50er Jahre durch den Einzug von Fernsehapparaten Konkurrenz und hatte mit finanziellen Engpässen zu kämpfen. Hinzu kam der Paramount Case von 1948. Ein Gerichtsentscheid verordnete die Trennung der größten Produktionsstudios in Hollywood (Majors) von ihren Kinoketten, um sich entwickelnde monopolistische Strukturen zu unterbinden. Viele Kinos hatten in dieser Zeit nicht genügend Kapital, um ihre Soundsysteme permanent zu erneuern und anzupassen. Entkoppelt von den Kinoketten nahmen wirtschaftliche Konzerne einige Studios an sich. Mit größerem Kapital lag der Schwerpunkt auf einzelnen Filmproduktionen. (vgl. Flückiger 2010, S. 14f.) Viele Stereo Systeme entwickelten sich aus der Produktion eines Films heraus und wurden gemeinsam mit dem Werk als Novität gefeiert - Fantasia faszinierte mit Fantasound, Cinerama wurde mit dem Film This is Cinerama erstmals vorgeführt. Da die meisten Lichtspielhäuser nun getrennt von den Studios aus eigener Kasse ihre technische Ausgestaltung finanzieren mussten, bremste dieser ökonomische Wandel den Prozess der Erneuerung.

Die Stereofonie konnte gewissen Anforderungen des Publikums an die Tonqualität im Kino bald nicht mehr gerecht werden. Heutzutage wird den hier betrachteten Stereosystemen sogar eine Ping-Pong Ä sthetik zugeschrieben. Dieses Phänomen umschreibt eine Art Künstlichkeit der Klangwiedergabe. Die Lautsprecher konnten oft nur einzeln bespielt werden, sodass ein Übergang von der linken zur rechten Seite sehr hart und unnatürlich klang. Zu Beginn war das Tonkonzept Stereo noch so neuartig, dass die ungleichmäßige, unwirkliche Klangpräsenz nicht als Störfaktor wahrgenommen wurde. Nachrückende Generationen spürten jedoch den Klangverlust bei der Stereowiedergabe, sodass die Mehrkanal-Stereo-Magnettonsysteme durch innovativere Verfahren ersetzt wurden. (vgl. ebd.: S. 49.)

2.2.4 Dolby

Mit Dolby Stereo wurde 1975 ein vier- bzw. sechs-Kanalsystem eingeführt, welches sich an dem Lichttonverfahren orientiert. Vier Kanäle, die Sound aufzeichnen, werden hierbei mikrostrukturell auf zwei Spuren encodiert. Bei der Ausspielung werden die beiden Spuren dekodiert, sodass sie wiederum vier Kanäle ansteuern. Dolby noise reduction (Rauschminderung) offerierte ein neues Klangerlebnis, das mit dem Dolby Sound in die Kinos einzog. Der Durchbruch gelang 1977 mit dem Erfolgsfilm Star Wars. Obwohl zu der Zeit aus Kostengründen noch weniger als die Hälfte an Filmen für Dolby Stereo aufgezeichnet wurde und mehr als dreiviertel der amerikanischen Kinos das System noch nicht installiert hatten, überzeugten die wenigen Major Filme (bspw.: Apocalype Now, (1979); Lisztomania, (1975)) mit bahnbrechenden Einspielergebnissen. Dolby Laboratories beschleunigte die Verbreitung ihres Systems durch den Bau großer Multiplex Kinos, in denen mehrere Säle gleichzeitig bespielt wurden. (vgl. Handzo 1985, S. 422ff.) In Deutschland zählen beispielsweise die UCI Kinogruppe, CInemaxX und Cinestar zu den Multiplexen.

2.3 Gegenwärtige Klangtendenzen

Die bisher betrachteten Stereosysteme reproduzieren Klänge, indem sie zur linken, rechten, vorderen und hinteren Seite des Zuschauers jeweils akustische Signale wiedergeben. In der realen Welt hören wir hingegen Flugzeuge, die über unseren Köpfen hinweg gleiten oder die Rock-Musik, die aus dem Kellerfenster unter der Wohnung dröhnt. So sei es auch das Ziel, seit dem Einzug der Digitalisierung das Klangerlebnis weiter auszubauen. Auf dem Studentenfilmfestival Sehs ü chte in Potsdam wurde 2013 exklusiv das System Dolby Atmos präsentiert. Es handelt sich beim Ton nunmehr um Klangobjekte, die mittels spezieller Tonmischung beliebig im Raum hin und her bewegt werden können. Bei Dolby Atmos sind beliebig viele Tonspuren programmierbar, die sich an bestimmte Koordinaten im Saal haften. So flog der Bienenschwarm nicht nur von links nach rechts über die Köpfe der Teilnehmer, sondern schlängelte buchstäblich durch die Menge.

Das Ergebnis war faszinierend und sicher ähnlich überraschend wie bei Chaplin 1929, als er das erste Mal erlebte, wie eine Frauenstimme von der Leinwand herab zu ihm sprach. Doch Chaplin erhob Einspruch und beklagte sich über den blechernen Hall der liebevollen Darstellerin, deren stille, pure Schönheit durch den Ton verloren ging. (vgl. Chaplin 1977, S. 302)

Ähnlich wie Chaplins Empörung über die Sprache im Film hinterfragt die Filmwissenschaftlerin Barbara Flückiger (2001, S. 56-59) den Sinn des Soundfortschritts. Sie diskutiert die Problematik des angestrebten Surround Effekts im Kino als Vollendung der Klangsynthese, indem sie nach der Notwendigkeit und Gültigkeit von dreidimensionalem Sound fragt. Schließlich sehen wir einen Film auf einer zweidimensionalen räumlich begrenzten Leinwand. Verfremde der Sound, der nunmehr von allen Seiten auf den Zuschauer einprassele die Illusion des Films als fiktives Produkt? Dem Ton steht zur Ausgestaltung der komplette Kinosaal zur Verfügung. Das Bild wirke daneben eher wie ein Ausschnitt und verliere an Bedeutung. Dem Zuschauer sei nicht mehr bewusst, dass die Töne zur Filmwelt gehören, da sie nicht direkt von der Leinwand kämen, sondern vom Notausgang des Kinosaals. (vgl. ebd.: S. 57)

Immersion und virtuelle Realität sind in Zeiten der Digitalisierung immer gefragter. Actiongeladene oder bildmächtige Filme entstehen inzwischen in 3D. Der Bildraum wird um eine dritte Tiefenebene erweitert, die den Zuschauer stärker in den Film hineinziehen soll. So wie der Tonfortschritt bei B. Flückiger wird auch das 3D-Bild in der Filmkunst ausgiebig kritisiert und angeprangert, auf bloße Effekthascherei zu setzen, nicht aber auf die Story, die Geschichte eines Films. Ob diese Debatte nun von den Nostalgikern des Kinos oder den Sehgewohnheiten der Zuschauer entfacht wurde, die nicht ins Kino gehen um virtuell von Steinen und Messern attackiert zu werden, soll an dieser Stelle nicht weiter ausdiskutiert werden.

Interessant ist jedoch, welchen Stellenwert Filmmusik mit der historischen Entwicklung des Tons im Kino erhält. Galt sie beim Stummfilm noch als einziges klangliches Element, wurde ihr dieser Rang mit dem Tonfilm aberkannt. Sie rückt sinngemäß in den Hintergrund und teilt sich die akustische Welt mit der Sprache und den Geräuschen. Nun kann sich die Filmmusik anderer Aufgaben hingeben, die weit über ihre damaligen Funktionen zur Stummfilmzeit hinausreichen und den Kernpunkt des folgenden Kapitels darstellen. Durch den Einzug der Mehrkanalsysteme in die Kinos wird zudem der Effekt von Filmmusik als vorrangig nicht diegetisches Element6 verstärkt.

3 Bedeutung von Filmmusik

Mit welcher Macht und welchen Mitteln wirkt Musik in einem Film? Beim Zuschauer löse Musik emotionale Empfindungen aus. Besonders in Bezug auf die handelnden Figuren werde es durch Musik dem Betrachter ermöglicht, ihr Innerstes nachzuempfinden. Spürt die Figur Heiterkeit und Trauer, erzeugt die Musik Heiterkeit und Trauer erregende Klänge. (vgl. Rabenalt 1986, S. 58) Bei einer Beerdigung legt sich meist eine melancholische Melodie über die Szene. Dem Zuschauer wird es durch Musik ermöglicht, die innere Trauer der Filmfiguren nachzuempfinden.

Im folgenden Kapitel wird der Gestaltungsraum von Filmmusik enthüllt und erfasst. Die grundsätzliche Beziehung zwischen Ton und Bild stellt hierbei eine wichtige Vorbetrachtung dar. Anschließend wird aufgezeigt, wie Musik einen Film optimieren kann und auf welche Methoden dabei zurückgegriffen wird. Die hieraus resultierenden Funktionen von Filmmusik stellen wesentlichen Gegenstand der Arbeit dar und werden in Kapitel 5 Filmmusikanalyse an zwei praktischen Filmbeispielen überprüft.

Es muss betont werden, dass Filmmusik auch Grenzen aufgezeigt werden. Sie funktioniert unmittelbar mit der Handlung und dem Bild als Einheit. „Wenn ein Film keine emotionale Tiefe oder Mehrdimensionalität hat, kann Musik sie auch nicht künstlich erzeugen.“ (Weidinger 2006, S. 21) Musik kann einen Film dramaturgisch beeinflussen und die Handlung pointieren, aber sie kann die Handlung nicht gänzlich ersetzen. Ein misslungenes Drehbuch kann durch reichlichen Einsatz von Musik nicht errettet werden. (ebd.)

3.1 Beziehung zwischen Bild und Klang

Um das Zusammenspiel von Musik und Film zu begreifen, wird zunächst jede Kunst gesondert betrachtet. Hierbei sollen die jeweiligen Positionen jeder Gattung lediglich skizziert werden, da eine detaillierte Betrachtung den Rahmen der Arbeit überschreiten würde. Welchen Beitrag leisten Film und Musik im Allgemeinen? Welche fundamentalen Voraussetzungen gelten in Bezug auf unser.

[...]


1 vgl. auch Hansjörg, Pauli (1981): Filmmusik. Stummfilm. Stuttgart: Ernst Klett, S. 40

2 Originaltitel: L’arrivée d’un train en gare de la Ciotat

3 „Musiklisten, die exakt auf den Ablauf des jeweiligen Films ausgerichtet waren.“ (Pauli 1981, S. 85)

4 Die erste musikalische Kinothek entstand 1913 in den USA von J. Zamecznik. (vgl. Thiel 1981, S. 124)

5 ausführliche Informationen zur Entwicklung, Erfindern und technischen Apparaten des Lichttonverfahrens in: Flückiger, Barbara (2010): Sound Design. Die virtuelle Welt des Klangfilms. 4. Auflage. Marburg: Schüren Verlag, S. 32ff.

6 hierzu ausführlich: Kapitel 4.2 Diegetische Sounds und nicht diegetische Sounds

Ende der Leseprobe aus 76 Seiten

Details

Titel
Der Klang von Illusionen und (Sehn-) Süchten. Zur Bedeutung von Musik für Filmfiguren
Untertitel
Am Beispiel von Darren Aronofskys "Requiem for a Dream" und "Black Swan"
Hochschule
Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" Potsdam-Babelsberg
Note
1,6
Autor
Jahr
2016
Seiten
76
Katalognummer
V385443
ISBN (eBook)
9783668612037
ISBN (Buch)
9783668612044
Dateigröße
1889 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Filmmusik, Musik, Aronofsky, Black Swan, Requiem for a dream, Filmfigur, Natalie Portman, Filmwissenschaft, Spielfilm, Leitmotiv, Klang, Illusionen, Träume, Filmuniversität, Filmanalyse, Medienwissenschaft, Charakter, Seele, Zustand, Stummfilm, ton, Tonfilm, stereo, jens eder, protagonist, Ballett, Film, Komposition, Figurenanalyse, Schizophrenie, Lichtton, Magnetton, Zofia Lissa, Bullerjahn, diegetische Sounds, Clint mansell
Arbeit zitieren
Svenja Reese (Autor:in), 2016, Der Klang von Illusionen und (Sehn-) Süchten. Zur Bedeutung von Musik für Filmfiguren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/385443

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Titel: Der Klang von Illusionen und (Sehn-) Süchten. Zur Bedeutung von Musik für Filmfiguren



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