Phasenverhalten von Mischungen aus aktiven und passiven Mikroschwimmern


Bachelorarbeit, 2017

53 Seiten, Note: 1,1


Leseprobe


ii
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung
1
2
Aktueller Forschungsstand und Einordnung der Thematik
3
3
Theoretische Grundlagen
7
3.1
Grundlagen der Hydrodynamik
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
3.2
Hydrodynamik bei niedriger Reynolds-Zahl
. . . . . . . . . . . . . . .
8
3.3
Mikroschwimmer
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
3.3.1
Typen von Schwimmern
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
3.3.2
Das Squirmer-Modell
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
3.4
Brownsche Bewegung von Mikroschwimmern
. . . . . . . . . . . . . . 14
3.4.1
Translative Diffusion
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
3.4.2
Rotationsdiffusion
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
3.4.3
Aktive Brownsche Bewegung von Mikroschwimmern
. . . . . 16
4
Vielteilchenstoßdynamik
19
4.1
Der Algorithmus
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
4.1.1
Initialisierung und Wahl der Parameter
. . . . . . . . . . . . . . 20
4.1.2
Strömungsschritt
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
4.1.3
Kollisionsschritt
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
5
Phasenverhalten von Mischungen aus aktiven und passiven Teilchen
27
5.1
Durchführung der Simulationen und Vorgehen zur Auswertung
. . . . 27
5.1.1
Simulationsdetails
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
5.1.2
Vorgehen bei der Auswertung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
5.2
Ergebnisse
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
5.2.1
zeitlicher Verlauf eines phasenseparierenden Systems
. . . . . . 31
5.2.2
Einfluss von , , x
a
und Pe
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
5.2.3
Verteilung der aktiven und passiven Teilchen
. . . . . . . . . . . 38
5.2.4
Bewertung der Ergebnisse
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
6
Zusammenfassung und Ausblick
42
A Animationsvideos der Simulationen
44
Abbildungsverzeichnis
45
Literaturverzeichnis
46
Danksagung
51

1
Kapitel 1
Einleitung
Mikroschwimmer sind mikrometergroße Teilchen, die sich eigenständig, trotz Ab-
wesenheit externer Kräfte oder Drehmomente, in Flüssigkeiten fortbewegen kön-
nen. Ansammlungen solcher Mikroschwimmer kommen in der Natur häufig vor,
etwa als Suspensionen von Bakterien und anderer Mikroorganismen oder in Form
von in Gruppen schwimmender Spermienzellen.
Die Physik solcher Systeme von Mikroschwimmern ist hauptsächlich durch die
Hydrodynamik bei niedriger Reynoldszahl und Brownscher Bewegung bestimmt.
Von ihrer Erforschung erhofft man sich einerseits neue fundamentale Erkenntnisse
für die statistische Physik des Nichtgleichgewichts [
1
]. Andererseits lässt sich aus
interagierenden aktiven Mikroschwimmern möglicherweise eine neue Klasse von
aktiven Materialien mit neuen, definierbaren Eigenschaften formen [
2
,
3
].
Ein besonders interessantes Ergebnis bisheriger Untersuchungen ist, dass An-
sammlungen einer größeren Menge dicht gedrängter Mikroschwimmer unter be-
stimmten Bedingungen Cluster ausbilden. Diese Cluster sind dicht gedrängte, oft
hexagonal dichtest gepackte Ansammlungen von Mikroschwimmern, die aufgrund
der Einengung durch umgebende Mikroschwimmer fest an einen Ort verharren.
Diese mehr oder weniger starren Cluster sind von Bereichen mit frei beweglichen,
lose verteilten Mikroschwimmern umgeben. Man sagt, dass die Mikroschwimmer
in eine dichte Phase und eine gasartige Phase phasenseparieren [
4
].
In der Natur treten häufig Mischungen aus Mikroschwimmern (im folgenden
auch als aktive Teilchen bezeichnet) und passiven Teilchen auf - etwa aktiv schwim-
mende Bakterien in einer Emulsion aus Wasser und passiven Fetttröpfchen. Moti-
viert von dieser Tatsache versucht diese Arbeit einen Beitrag zur Erforschung des
kollektiven Verhaltens von Mikroschwimmern zu leisten und untersucht das Pha-
senverhalten und die kollektive Dynamik von Mischungen aus aktiven und pas-
siven Teilchen mithilfe von Computersimulationen. Hierfür wird die Methode der
Vielteilchenstoßdynamik (englisch: Multiple Particle Collision Dynamics, kurz: MPCD)
benutzt, um Systeme mit einer größeren Anzahl (ca. 600-900) von Mikroschwim-
mern und passiven Teilchen in quasi zwei Dimensionen, also im Dreidimensiona-
len, aber zweidimensional eingegrenzt zwischen zwei parallelen Platten, zu simu-
lieren. Die Mikroschwimmer und passiven Teilchen werden mithilfe des Squirmer-
Modells simuliert. In diesem Modell werden die Mikroschwimmer in Pusher, Puller
und neutrale Schwimmer nach ihrer Fortbewegungsmethode klassifiziert. Dabei ist
die zentrale Fragestellung, wie sich das Mischungsverhältnis der aktiven und passi-
ven Teilchen bei verschiedenen Mikroschwimmer-Typen und variierender Konzen-
tration und Schwimmgeschwindigkeit auf die allgemeine kollektive Dynamik und
insbesondere auf das Phasenverhalten des Systems auswirkt.
Diese Arbeit bestätigt erneut, dass Phasenseparation tatsächlich unter bestimm-
ten Bedingungen auftritt. Die Phasenseparation wird dabei von einem hohen Anteil
der aktiven Schwimmer, einer hohen Schwimmgeschwindigkeit sowie durch hohe

Kapitel 1. Einleitung
2
Konzentrationen begünstigt. Zudem zeigen Pusher, Puller und neutrale Schwimmer
deutlich unterscheidbares kollektives Verhalten. Während neutrale Schwimmer be-
reits bei relativ niedriger Konzentration, geringerer Schwimmgeschwindigkeit und
niedrigem Anteil aktiver Schwimmer große klar erkennbare Cluster bilden, ist die
Neigung zur Phasenseparation von Pullern und mehr noch von Pushern deutlich
geringer. Die Cluster von Pushern und Pullern sind zudem wesentlich dynamischer
und von geringerer Ordnung. Ferner zeigt sich, dass sich die Mikroschwimmer be-
vorzugt in der dichten Phase aufhalten. Innerhalb der Cluster sind Mikroschwim-
mer und passive Teilchen jedoch homogen verteilt.
Im Folgenden wird zunächst ein Literaturüberblick über die Erforschung der
kollektiven Dynamik von Mikroschwimmern gegeben und die Ziele dieser Arbeit
im Bezug darauf präziser formuliert. Anschließend werden die für diese Arbeit
benötigten theoretischen Grundlagen, insbesondere Hydrodynamik bei niedriger
Reynoldszahl, Brownsche Bewegung und das Squirmer-Modell, vorgestellt. Zudem
wird der hier verwendeten Simulationsmethode MPCD ein eigenes Kapitel gewid-
met. Daran anschließend wird die genaue Vorgehensweise bei der Auswertung be-
schrieben und die Ergebnisse werden vorgestellt. Diese Arbeit schließt mit einer Zu-
sammenfassung der Ergebnisse.

3
Kapitel 2
Aktueller Forschungsstand und
Einordnung der Thematik
In diesem Kapitel wird ein grober Überblick über die Erforschung der kollektiven
Dynamik von Mikroschwimmern gegeben. Des Weiteren wird auf für diese Thema-
tik besonders relevante wissenschaftliche Arbeiten eingegangen und im Bezug auf
darauf die Ziele dieser Arbeit beschrieben.
Überblick über aktuelle Forschung
Das Interesse an Mikroschwimmern, insbeson-
dere deren kollektiven Verhalten, ist in letzter Zeit in der Forschung stark gestie-
gen. So wurden in den letzten Jahren mehrere Übersichts-Artikel zu dieser Thema-
tik veröffentlicht [
4
­
9
]. Unter anderem wird das Auftreten polarer Ordnung [
10
],
Schwarmbildung [
11
] oder die Ausbildung von Turbulenzen [
12
] untersucht. Ins-
besondere das Auftreten von Phasenseparation in konzentrierten Lösungen einer
größeren Anzahl von Mikroschwimmern wird erforscht. So wurde die Aufspaltung
schwimmender Bakterien in eine gasartige und dichte Phase festgestellt [
13
,
14
].
Auch wurden ,,aktive Kristalle"schwimmender Bakterien bereits beobachtet [
15
].
Neben der direkten Untersuchung von Ansammlungen von Mikrowesen werden
außerdem Experimente mit verschiedenartigen im Labor hergestellten künstlichen
Mikroschwimmern durchgeführt [
11
,
16
]. Zudem werden für solche Systeme ver-
schiedene theoretische Modelle entwickelt, um sie insbesondere auch anhand von
Computersimulationen untersuchen zu können. Besonders häufig verwendet wer-
den das Modell der aktiven Brownschen Teilchens und das Squirmer-Modell. Ein
aktives Brownsches Teilchen ist ein Brownsches Teilchen, welches zusätzlich in Rich-
tung seiner Orientierung schwimmt. Neben sphärischen Mikroschwimmern werden
auch verschiedene weitere Formen, etwa aktive Stäbe [
17
] oder aktive Ellipsoide [
18
]
untersucht. Ferner fanden bisherige Untersuchungen sowohl in zwei und in drei
Dimensionen als auch in quasi zwei Dimensionen statt. Generell konnte anhand
der Untersuchung aktiver Teilchen bisher festgestellt werden, dass Phasensepara-
tion und Clusterbildung selbst in völliger Abwesenheit von Anziehungskräften nur
aufgrund der aktiven Bewegung stattfinden kann. Dabei wird von beweglichkeitsin-
duzierter Phasenseparation (englisch: motility-induced phase separation) gesprochen [
19
].
Untersuchung der kollektiven Dynamik von Squirmern
Fast identische Untersu-
chungen wie in der vorliegenden Arbeit wurden bereits von Zöttel und Stark in Ref.
[
20
] und von Blaschke et al. in Ref. [
21
] durchgeführt. Dabei wurden allerdings aus-
schließlich aktive Schwimmer verwendet. Auch dort wurde das Squirmer-Modell
sowie MPCD-Simulationen in quasi zwei Dimensionen verwendet. Des Weiteren
wurde dort der Squirmer-Parameter variiert, welcher das Schwimmverhalten der
Squirmer bestimmt und somit festlegt, ob es sich um neutrale Schwimmer, Puller
oder Pusher handelt. Zudem wurden in diesen Studie ebenfalls die Péclet-Zahl Pe

Kapitel 2. Aktueller Forschungsstand und Einordnung der Thematik
4
und der Flächenanteil der Squirmer, bei ansonsten zur vorliegenden Arbeit ana-
loger MPCD-Parameter-Wahl und Geometrie variiert. Die Péclet-Zahl ist eine Maß-
zahl, die die Zeit, die ein Mikroschwimmer benötigt, um eine gewisse Strecke zu
schwimmen, ins Verhältnis zu der Zeit setzt, die der Mikroschwimmer benötigt, um
die selbe Strecke durch Diffusion zurückzulegen. Der Flächenanteil beschreibt den
Anteil der Fläche, die die zweidimensionale Projektion der Teilchen einnimmt, zur
Fläche der zwei parallelen Platten, zwischen denen die Teilchen eingeengt sind.
A
BBILDUNG
2.1: Draufsichten auf zwischen zwei parallelen Platten eingeschlossene
Squirmer für verschiedene - und -Werte bei konstanten Pe=355. Ebenfalls zu se-
hen sind aktive Brownsche Kugeln (BD Q-2D) und aktive Brownsche Scheiben (BD
2D). Die Farben geben den lokalen Orientierungsparameter |q
6
|
2
[0, 1] an. Dieser
Parameter ist umso größer, je besser die unmittelbaren nächsten sechs Nachbarn ei-
nes Teilchens einer perfekten hexagonalen Anordnung entsprechen. Mit freundlicher
Genehmigung von A. Zöttl entnommen aus Ref. [
20
].

Kapitel 2. Aktueller Forschungsstand und Einordnung der Thematik
5
Beide Studien kamen zu dem Ergebnis, dass die Squirmer für bestimmte Kombi-
nationen von , Pe und phasenseparieren (siehe Abb.
2.1
). Die Clusterbildung
bzw. Phasenseparation wurde dabei durch einen großen Flächenanteil und große
Péclet-Zahlen begünstigt. Ferner ergaben diese Arbeiten, dass hydrodynamische Nahfeld-
Interaktionen der Mikroschwimmer - bestimmt durch ihren Squirmer-Parameter -
eine große Rolle spielen. Während neutrale Schwimmer schon bei relativ niedriger
Péclet-Zahl und geringen Flächenanteil ausgeprägte stabile Cluster bilden, ist die
Neigung zur Phasenseparation für Pusher und Puller deutlich verringert, das heißt
Puller und Pusher bilden selbst bei hohen Flächenanteil und hoher Péclet-Zahl nur
kurzlebige, kleinere und im Verlgeich zu neutralen Schwimmern deutlich dynami-
schere Cluster aus. Für Pusher konnte in Ref. [
20
] überhaubt keine Phasenseparation
beobachtet werden.
Untersuchung von Mischungen aus aktiven und passiven Teilchen
Von Stenham-
mer et al. in Ref. [
22
] wurden bereits explizit Mischungen mit verschiedenen Antei-
len von aktiven und passiven Teilchen untersucht. Hier wurden die aktiven Teil-
chen jedoch mittels Langevin-Simulationen als aktive Brownsche Scheiben in zwei
Dimensionen analog zu aktiven Brownschen Teilchen im Dreidimensionalen (siehe
Abschnitt
3.4
) modelliert und hydrodynamische Aspekte vernachlässigt. Dennoch
ist es interessant zu wissen, dass der Anteil x
a
der aktiven Teilchen zumindest in
solchen Systemen eine große Rolle spielt. Je größer x
a
, desto größer die Neigung des
Systems zur Clusterbildung und Phasenseparation. Zudem wurde auch hier erneut
der begünstigende Faktor von hohen Pe- und -Werten auf die Ausbildung von
Clustern festgestellt (siehe Abb.
2.2
). Ferner wurde festgestellt, dass die aktiven und
passiven Teilchen sich nicht gleichmäßig auf die gasartige und dichte Phase auftei-
len. Stattdessen finden sich überproportional viele passive Teilchen in der gasartigen
Phase. Zudem ist die Verteilung der passiven Teilchen innerhalb der dichten Cluster
nicht homogen. Stattdessen sind die passiven Teilchen am Rande des Clusters stark
unterrepräsentiert und bilden innerhalb des Clusters Agglomerate aus rein passiven
Teilchen, die von Ansammlungen aus aktiven Teilchen umgeben sind.
A
BBILDUNG
2.2: Phasendiagramme ermittelt aus Simulationen mit N 15000 akti-
ven Brownschen Scheiben in der Pe-x
a
-Ebene bei = 0.6 (a) und in der Pe--Ebene
bei x
a
= 0, 5
(b). Die leeren Symbole bezeichnen nicht-phasenseparierende Systeme
und die gefüllten Symbole phasenseparierende Systeme. Mit freundlicher Genehmi-
gung von J. Stenhammar entnommen aus Ref. [
22
].

Kapitel 2. Aktueller Forschungsstand und Einordnung der Thematik
6
Inhalt und Ziele dieser Arbeit
Anknüpfend an die Arbeiten in Ref. [
20
], [
21
] und
[
22
] untersucht diese Arbeit ebenfalls das kollektive Verhalten in Systemen aus vie-
len Mikroschwimmern in quasi zwei Dimensionen. Analog zu Ref. [
20
] und Ref. [
21
]
wird hierfür das Squirmer Modell sowie MPCD-Simulationen mit gleichen MPCD-
Parametern benutzt und Simulationen für verschiedene (, Pe, )-Werte durchge-
führt. Zusätzlich werden die Mikroschwimmer jedoch mit passiven Teilchen ge-
mischt und der Anteil x
a
der aktiven Teilchen zu den passiven variiert. Anhand
der Simulationen wird untersucht, für welche (, Pe, , x
a
)-Werte sich Cluster bil-
den und wie groß, zeitlich stabil und nahe an perfekter hexagonaler Ordnung diese
Cluster sind und wie stark sich die Cluster von der umgebenden gasartigen Phase
abgrenzen. Kurz: Es wird untersucht, wie ,,stark"die Teilchen phasenseparieren. Wie
bereits in den Untersuchungen mit aktiven Brownschen Scheiben von Stenhammer
et al. in Ref. [
22
] wird außerdem die Häufigkeit der aktiven und passiven Teilchen
jeweils in der gasartige und dichten Phase betrachtet und untersucht, ob sich in-
nerhalb der Cluster aktive und passive Teilchen homogen verteilen. Diese Arbeit
versucht also die Ergebnisse aus Ref. [
22
] auch unter Berücksichtigung der Hydro-
dynamik zumindest qualitativ zu reproduzieren.

7
Kapitel 3
Theoretische Grundlagen
In diesem Kapitel werden die für diese Arbeit nötigen theoretischen Grundlagen
erläutert. Bei diesen handelt es sich um eine allgemeine Einführung in die Hydro-
dynamik, den für Mikroschwimmer relevanten Spezialfall der Hydrodynamik bei
niedriger Reynolds-Zahl, die Grundlagen des Mikroschwimmers und das Squir-
mer Modell, und die für Mikroschwimmer relevanten statistischen Grundlagen der
Brownschen Bewegung mikroskopischer Teilchen.
3.1
Grundlagen der Hydrodynamik
Dieser Abschnitt ist frei nach Ref. [
23
]. Die Hydrodynamik beschäftigt sich mit der
Bewegung von Flüssigkeiten und den dabei wirksamen Kräften.
Kontinuitätsgleichung
Eine der grundlegenden Gleichungen der Hydrodynamik
ist die Kontinuitätsgleichung für die Massendichte
f
(r, t)
der Flüssigkeit mit dem
Geschwindigkeitsfeld v(r, t):
f
(r, t)
t
+
· [
f
(r, t)v(r, t)] = 0.
(3.1)
Die Kontinuitätsgleichung spiegelt den Sachverhalt wider, dass in der Flüssigkeit
weder Masse verschwindet, noch erzeugt wird. In vielen Fällen, so auch in dieser
Arbeit, wird
f
als konstant angenommen. Dies ist hier gerechtfertigt, da z.B. Wasser
bei Raumtemperatur nur sehr schwer zu komprimieren ist. Für solche inkompressi-
blen Flüssigkeiten vereinfacht sich Gl. (
3.1
) zu:
· v(r, t) = 0.
(3.2)
Navier-Stokes-Gleichung
Neben v(r, t) ist auch der in der Flüssigkeit herrschen-
de Druck p(r, t) wichtig. Beide Größen lassen sich für Newtonsche Flüssigkeiten,
also solche, deren Scherspannung in laminaren Strömungen proportional zur Scher-
geschwindigkeit ist, mit der Kontinuitätsgleichung und der Navier-Stokes-Gleichung
berechnen:
f
v(r, t)
t
+ v(r, t) ·
v(r, t) = - p(r, t) +
2
v(r, t) +
f
b(r, t).
(3.3)
Hierbei ist die dynamische Viskosität, welche mit der Zähigkeit bzw. der inneren
Reibung eines Fluids verknüpft ist. b(r, t) sind Beschleunigungen aufgrund von ex-
ternen Kräften, wie z.B. der Gravitation.
Gleichung (
3.3
) kann als Anwendung des Newtonschen Grundgesetzes auf ein infi-
nitesimales Volumen eines Kontinuums angesehen werden. Die Einheit der einzel-
nen Terme ist dabei Kraft pro Volumen. Der Term auf der linken Seite beschreibt

Kapitel 3. Theoretische Grundlagen
8
mit der Dichte des Fluids multiplizierte Beschleunigungen und drückt somit dessen
Trägheit aus.
v(r,t)
t
ist die Beschleunigung aufgrund der Zeitableitung von v(r, t),
während der zweite Term auf der linken Seite die konvektive Beschleunigung be-
schreibt, welche die Flüssigkeit z.B. beim stationären Fluss durch ein sich verjüngen-
des Rohr erfährt. Die Terme auf der rechten Seite beschreiben die Kraft durch den
Druckgradienten, viskose Kräfte sowie sonstige externe Kräfte auf ein Volumenele-
ment des Fluids.
Spannungstensor
Mittels der Kontinuitätsgleichung, der Navier-Stokes-Gleichung
und eventuell vorhandenen Randbedingungen (z.B. dass die Geschwindigkeit v der
Flüssigkeit direkt an festen Oberflächen verschwindet) wird das Geschwindigkeits-
feld v(r, t) und p(r, t) berechnet. Dann kann die hydrodynamische Kraft F(t) und
das Drehmoment M(t) auf einen festen Körper in einer Newtonschen Flüssigkeit
durch Integration über dessen Oberfläche S mit Flächennormalenvektor n (nach au-
ßen zeigend) berechnet werden:
F(t) =
S
(r, t)n dS,
M(t) =
S
r × (r, t)n dS.
(3.4)
Hierbei ist (r, t) der hydrodynamische Spannungstensor für Newtonsche Flüssig-
keiten:
(r, t) = -p(r, t)1 +
v(r, t) + (
v(r, t))
t
.
(3.5)
3.2
Hydrodynamik bei niedriger Reynolds-Zahl
Auch dieses Kapitel ist frei nach Ref. [
23
]. Wie weiter unten beschrieben ist die für
Mikroschwimmer geltende Reynolds-Zahl niedrig, was zahlreiche Konsequenzen
mit sich bringt, um die es in diesen Abschnitt gehen soll. Wir beginnen mit einer
Erläuterung der Reynolds-Zahl
Reynolds-Zahl
Mit der charakteristischen Längenskala d eines hydrodynamischen Sys-
tems (etwa den Durchmessers eines durchströmten Rohrs oder eines sich in einem
Fluid bewegenden Körpers) und der Strömungsgeschwindigkeit v des Körpers re-
lativ zum Fluid wird die Reynolds-Zahl wie folgt definiert:
Re =
f
vd
=
vd
=
Trägheitskräfte
viskose Kräfte
.
(3.6)
Hierbei ist =
f
die kinematische Viskosität. Anschaulich lässt sich sagen, dass
bei niedriger Reynolds-Zahl die Reibung des Körpers mit der Flüssigkeit domi-
niert, während bei hoher Reynolds-Zahl seine Bewegung eher durch die Trägheit
bestimmt wird. Für einen Mikroschwimmer in ruhendem Wasser ( 10
-3
Pas
und
f
10
3
kg/s ) gilt d 1 - 100 µm und v 1 - 100 µm/s. Das heißt die
Reynolds-Zahl ist mit Re 10
-6
- 10
-2
sehr klein. Im Gegensatz zu makroskopi-
schen Schwimmern mit Re
1
können für die Trägheitskräfte von Mikroschwim-
mern daher vernachlässigt werden [
20
].
Konsequenzen niedriger Reynolds-Zahl
Es folgt, dass der Trägheitsterm in Gl. (
3.3
)
weggelassen werden kann und sich die Gleichungen damit zu den Stokes-Gleichungen

Kapitel 3. Theoretische Grundlagen
9
vereinfachen:
2
v(r, t) =
p(r, t) -
f
b(r, t),
· v(r, t) = 0.
(3.7)
Es gibt einige Unterschiede der Stokes-Gleichung zu den Navier-Stokes-Gleichungen:
· In den Stokes-Gleichungen fehlt der nicht-lineare Term v ·
v
, der turbulente
Strömungen als Lösung der Navier-Stokes-Gleichungen erlaubt. Bei niedriger
Reynolds-Zahl tritt daher nur laminare Strömung ohne Verwirbelungen auf.
· Die Stokes-Gleichungen sind nicht explizit zeitabhängig, woraus sich folgern
lässt, dass sich das Geschwindigkeitsfeld v(r, t) instantan den Randbedingun-
gen anpasst und unabhängig von seiner Vorgeschichte ist. Beispielsweise baut
sich das Flussfeld bewegter Körper in der Flüssigkeit instantan auf. Stoppt die
Bewegung der Körper, so verschwindet das Flussfeld sofort.
· Im Gegensatz zu den Navier-Stokes-Gleichungen lassen sich die Stokes-Gleichun-
gen formal über die Methode der Green'schen Funktion lösen. Die sich daraus
ergebende eindeutige Lösung lässt sich wie folgt formulieren:
v(r, t) =
O(r - r )
f
b(r , t)
d
3
r ,
p
0
(r, t) =
g(r - r ) ·
f
b(r , t)
d
3
r .
(3.8)
Hier sind O(r - r ) und g(r - r ) die Green'schen Funktionen. Sie werden Oseen-
Tensor und Druck-Vektor genannt und lauten:
O(r - r ) =
1
8
1
|r|
1 +
r r
|r|
2
g(r - r ) =
1
4
r
|r|
3
(3.9)
Multipol-Entwicklung
Für die Lösung v(r) der Stokes-Gleichung kann gemäß Ref.
[
24
] ähnlich wie für das elektrische Feld in der Elektrostatik eine Multipol-Entwicklung
durchgeführt werden. Das heißt, das Flussfeld v(r) kann als Linearkombination von
Kraft-Monopolen G(r - r
0
, e)
1
r
, Kraft-Dipolen G
D
(r - r
0
, e, d)
1
r
2
, Kraft-
Quadrupolen G
Q
(r - r
0
, e, d, c)
1
r
3
sowie von Quell-Monopolen M (r - r
0
)
1
r
2
,
Quell-Dipolen M
D
(r-r
0
)
1
r
3
, Quell-Quadrupolen M
Q
(r-r
0
)
1
r
4
und Quell- und
Kraftpolen höherer Ordnung beschrieben werden. Hierbei ist r
0
die Position des je-
weiligen Pols und e, c, d sind dimensionslose Vektoren, welche die Ausrichtung der
Pole beschreiben. Befinden sich alle Pole am selben Ort r
0
, so gilt [
24
]:
v(r) =
1
8
f G(r - r
0
, e) + pG
D
(r - r
0
, e, d) + qG
Q
(r - r
0
, e, d, c)
+s
0
M(r - r
0
) + s
1
H
D
(r - r
0
, e) + O(|r
0
- r|
-4
) .
(3.10)
f, p
und q sowie s
1
und s
2
sind dabei die Kraft- bzw. Quellpolstärken.
Wird beispielsweise eine Kugel am Ort r
0
mit Radius R in einem ansonsten unge-
störten Fluid mit der Kraft b = f e in Richtung e bewegt, so ist das resultierende
Flussfeld v(r) im Grenzwert |r|
R
oder R 0 das eines durch die Kraftdichte
b = f (r - r
0
)e
verursachten statischen Kraft-Monopols:

Kapitel 3. Theoretische Grundlagen
10
v(r) =
f
8
G(r - r
0
, e).
(3.11)
Diese fundamentale Lösung der Stokes-Gleichungen wird auch als Stokeslet bezeich-
net. Analog zur Multipolentwicklung der Elektrostatik setzt sich ein Kraft-Dipol
G
D
(r - r
0
, e, d)
und analog dazu höhere Kraft-Multipole aus Kraft-Monopolen zu-
sammen.
Die Quellpole hingegen setzen sich aus einer (Monopol) bzw. mehreren (Multipol)
Quellen und Senken im Flussfeld zusammen, wobei es sich bei einem Monopol mit
s
0
> 0
um eine Quelle und mit s
0
< 0
um eine Senke handelt.
Mathematisch werden die höheren Multipole konstruiert, indem der Nabla-Operator
0
auf den Ort r
o
des jeweils vorigen Pols angewendet wird [
24
]. Für die Kraft-
Multipole ergibt sich so:
G(r - r
0
, e) =
1
r
e +
(e · (r - r
0
)) (r - r
0
)
r
3
,
G
D
(r - r
0
, e, d) = d · (
0
G(r - r
0
, e)) ,
G
Q
(r - r
0
, e, d, c) = c · (
0
G
D
(r - r
0
, e, d)) ,
...
(3.12)
Die Quellmultipole lauten:
H(r - r
0
) =
r - r
0
r
3
,
H
D
(r - r
0
, e) = e · (
0
H(r - r
0
)) ,
H
Q
(r - r
0
, e, d) = d · (
0
H
D
(r - r
0
, e)) ,
...
(3.13)
Die Kraft- und Quellpole sind dabei über folgende Beziehung miteinander verknüpft:
H
D
(r - r
0
, e) = -
1
2
2
0
G(r - r
0
, e).
(3.14)
Wie im nächsten Kapitel erläutert reichen die Dipole G
D
und M
D
bereits aus, um
die Flussfelder zahlreicher Mikroschwimmer hinreichend genau für die Untersu-
chungen in dieser Arbeit zu beschreiben.
3.3
Mikroschwimmer
Beispiele von Mikroschwimmern
In Wasser lebende Einzeller, Spermienzellen oder
im Labor hergestellte künstliche Mikroschwimmer sind nur einige von vielen Bei-
spielen für Mikroschwimmer. Die Natur hat verschiedene Methoden zur Fortbewe-
gung von Mikroschwimmern hervorgebracht. Die meisten Bakterien besitzen Fla-
gellen. Dies sind ruderartige Auswüchse an ihrer Rückseite, dank derer sie sich
durch schlängelnde oder rotierende Bewegungen fortbewegen können [
25
]. Andere
Organismen, wie die Alge Chlamydomonas, führen mit zwei Geißeln an ihrer Vorder-
seite brustschlagartige Bewegungen durch. Wieder andere Mikroorganismen hinge-
gen nutzen sogenannte Zilien, welche winzige ruderartige Fortsätze sind, die sie zu
tausenden auf ihrer Oberfläche besitzen und die durch synchrone oder asynchrone
paddelartige Bewegungen zur Fortbewegung führen [
26
].
Ende der Leseprobe aus 53 Seiten

Details

Titel
Phasenverhalten von Mischungen aus aktiven und passiven Mikroschwimmern
Hochschule
Technische Universität Berlin  (Institut für Theoretische Physik)
Note
1,1
Autor
Jahr
2017
Seiten
53
Katalognummer
V385017
ISBN (eBook)
9783668602359
ISBN (Buch)
9783668602366
Dateigröße
7134 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
MPCD, Mikroschwimmer, Squirmer, Fluid Dynamik
Arbeit zitieren
Anton Rodenhauser (Autor:in), 2017, Phasenverhalten von Mischungen aus aktiven und passiven Mikroschwimmern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/385017

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