Dialogisches Lernen. Arbeit mit Lerntagebüchern im Mathematikunterricht


Hausarbeit, 2016

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


I Inhaltsverzeichnis
I Inhaltsverzeichnis
2
1 Die Theorie des dialogischen Lernens
3
2 Meine Kernidee
8
3 Lerntagebuch und Reflexion
11
4 Fazit
14
5 Literaturverzeichnis
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6 Anhang
17
2

1 Die Theorie des dialogischen Lernens
Viele Menschen tragen das traditionelle Bild der Mathematik in sich, dass die Mathematik eine
Wissenschaft sei und man durch die Anwendung eines geeigneten Algorithmus oder einer Formel
zu der Lösung eines Problems gelangt (vgl. Abbildung 1). Im Mathematikunterricht hat dies zur
Folge, dass das eigenständige und individuelle Lernen der SchülerInnen in den Hintergrund rückt,
wodurch ihre persönlichen Interessen ver-
nachlässigt werden und das mathematische
Engagement bzw. die Anstrengungsbereitschaft
sinkt. Dies ist jedoch ausschlaggebend dafür,
dass die SchülerInnen eine gewisse Neugierde
und einen persönlichen Zugang zu einem Thema
finden, um daraufhin eine individuelle Beziehung
zum Themenstoff herstellen und den Lernprozess eigenständig steuern können (vgl. Gallin & Ruf,
1998, S.8f). Es gelingt dem Mathematikunterricht heutzutage nur selten, ein differenziertes Bild der
Mathematik an die SchülerInnen zu vermitteln. Doch genau das soll durch das Unterrichtskonzept
des ,,Dialogischen Lernens" ermöglicht werden.
Der Germanist und Professor für Gymnasialpädagogik Urs Ruf und der Mathematiklehrer und -
didaktiker Peter Gallin haben das angesprochene Konzept für die Schulfächer Mathematik und
Deutsch entwickelt, um den SchülerInnen eine authentische Begegnung mit dem Schulstoff zu
gewährleisten. Es gibt jedem Lernenden die Möglichkeit, sich individuell mit einem
mathematischen Thema auseinanderzusetzen, die Zusammenhänge durch das Eintreten in einen
Dialog zu verstehen und das neue Wissen gekonnt anzuwenden (vgl. Ruf et al., 2008, S. 13ff.).
Das dialogische Lernen umfasst drei große Phasen. Die erste Phase ist die singuläre
Standortbestimmung, die zweite Phase bringt den divergenten Austausch mit sich und die letzte
Phase befasst sich mit dem regularisierenden Lernen und Problemlösen (vgl. Müller, 2006, S. 24
ff.).
Zu Beginn erzählt der Lehrende eine persönliche Geschichte, die ein Problem aufwirft und
anschließend mit einem Auftrag endet. Man nennt dies Kernidee. Eine Kernidee, die an alle ,Ichs'
in der gesamten Klasse gerichtet ist, eröffnet den SchülerInnen eine kurze Vorschau auf ein
unbekanntes Themenfeld und lenkt die Aufmerksamkeit zu dem ,,Witz der Sache", ohne sie
fachlich zu überfordern (vgl. Ruf et al., 2008, S. 96ff.). ,,Kernideen müssen so beschaffen sein,
dass sie in der singulären Welt der Schülerin oder des Schülers Fragen wecken, welche die
Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Sachgebiet des Unterrichts lenken." (Gallin & Ruf, 1990, S.
37). Die Aufgabe solch einer Kernidee ist es also, eine intensive Wirkung bei den Lernenden
auszulösen und sie zur Produktivität anzuregen. Weiterhin ist zu beachten, dass ein aus einer
Kernidee geformter Auftrag offen formuliert sein sollte, damit verschiedene Lösungen denkbar sind
3
Abb.1: Das eingeschränkte Bild der Mathematik
(aus: Gallin, 2010, S. 4)

und ein differenziertes Erarbeiten der Lösungswege möglich ist. Somit können sich die
SchülerInnen frei und unbefangen mit dem Auftrag beschäftigen (vgl. Ruf et al., 2008, S. 96ff.).
Der erste Schritt ist es nun, den SchülerInnen den Freiraum zu geben, sich mit dem Auftrag
auseinanderzusetzen. Es geht hier nicht darum, was die SchülerInnen fachlich korrekt über das
Thema wissen und wie sie den Auftrag
schnellst möglich lösen können. Es
geht vielmehr um die Frage, was
passiert zwischen dem Auftrag und
d e m L e r n e n d e n . W i e k a n n d e r
L e r n e n d e s e i n e n p e r s ö n l i c h e n
Standpunkt zu dem Thema finden,
sodass er sich wohl fühlt. Er begibt sich
also aus der regulären Welt des
Faches hinaus und dringt in die
singuläre Welt des Lernenden ein. Dies
ist also der Übergang zu der ersten, oben beschriebenen Phase. In der ersten Phase erfährt die
reguläre, horizontale Dimension des Unterrichts, welcher die SchülerInnen gekonnt mit einem
Algorithmus zur Lösung bringt, eine zweite, vertikale Dimension. Die Dimension des Singulären
(vgl. Abbildung 2). Der Lernende muss seinen persönlichen Standort zu dem Stoff finden und sich
auf eine Beziehung mit diesem einlassen. Ob dieser Standort nahe bei der mathematischen Sache
ist oder weit entfernt, ist momentan überhaupt nicht entscheidend. Es steht also die ,,Sprache des
Verstehens" im Vordergrund, wobei fachliche Gewohnheiten und sprachliche Normen in den
Hintergrund rücken (vgl. Ruf & Gallin, 2005, S. 27ff.). Die singuläre Standortbestimmung erfolgt in
drei Stufen. Zunächst geht es um die gefühlsspezifischen Momente bei der ersten Begegnung mit
dem Auftrag (Neugier, Desinteresse, Ablehnung, Hoffnung usw.). Des Weiteren muss sich der
Lernende mit dem Auftrag auseinandersetzten. Es ist der erste Dialog mit der Sache (,, Das habe
ich schon einmal gesehen, da muss ich nicht mehr nachfragen."), der sich auf bisherige
Erfahrungen und Kenntnisse des Lernenden stützt. Die dritte und letzte Stufe ist die eigentliche
Positionsbestimmung. Die SchülerInnen nehmen hier eine konkrete eigene Position zur Sache ein
und bauen sich ein positives Selbstkonzept auf (vgl. Müller, 2006, S. 25f.).
Um den SchülerInnen das dialogische Lernen zu ermöglichen und auch später in einen Dialog
einzutreten zu können, ist es wichtig, dass sie ihren singulären Standort schriftlich festhalten. Das
kann beispielsweise mit Hilfe eines Lerntagebuchs geschehen. Alles wird der Reihe nach
dokumentiert, genau so, wie es sich in der Auseinandersetzung mit dem Stoff ereignet hat. Der
Lernende hat nun seine erste Phase des dialogischen Lernens erfolgreich hinter sich gebracht,
wenn er verständlich machen kann, wie er seine erste Begegnung mit der Sache erlebt hat und
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Abb. 2: Dargestellt ist das Austreten von der Welt des
Regulären in die Welt des Singulären (aus: Ruf & Gallin,
2005, S. 24)

wie es in seinem Inneren aussah, als er seinen eigenen Standort finden musste (vgl. Ruf & Gallin,
2005, S. 27ff.).
Nach dem Verschriftlichen der Lerntagebücher findet nun der divergierende Austausch statt. Dies
kann zwischen den MitschülerInnen selbst stattfinden. Sie sind interessiert an anderen
Lösungswegen und anderen Lerntagebüchern, jedoch auch voller Eifer ihren eigenen Standort
vorzustellen. Dies kann entweder durch die Sprache, aber auch durch einen sogenannten
Sesseltanz vollzogen werden. ,,Eine Art des Austausches ist der Sesseltanz. Haben die Lernenden
in der ersten Phase des Schreibens ihren Standort zu Papier gebracht, legen sie diesen an ihren
Platz und suchen sich einen anderen Sessel. (...) Am neuen Platz lesen sie die Gedanken eines
neuen Mitschülers durch. Auf ein neues Blatt schreiben sie dann eine persönliche Rückmeldung,
die signiert wird, so dass klar ist, wer sie geschrieben hat." (Müller, 2006, S. 26). Bei dem
Sesseltanz ist es jedoch jedem Lernenden gestattet, auf seinem Platz sitzen zu bleiben. Die
schriftliche Rückmeldung beinhaltet drei Merkmale. Das erste Merkmal ist, dass Rückmeldungen
Ich-Botschaften sind (,,Mir gefällt...", ,,Ich finde es gut...", ,,Damit kann ich nichts anfangen...").
Weiterhin sollte besonders gut Gelungenes verstärkt und zum Ausdruck gebracht werden. Das
letzte Merkmal beinhaltet das Nennen von konkreten Angaben. Es soll dargestellt werden, was der
Lernende tatsächlich geleistet hat. Verbesserungsvorschläge oder Unverständlichkeiten dürfen
hier genannt werden, jedoch sollten sich alle Aussagen auf konkrete Passagen im Reisetagebuch
stützen (vgl. Ruf et al., 2008, S. 37 ff.).
Angemessenes und lernanregendes Feedback setzt natürlich sprachliche Fähigkeiten voraus, die
bei den SchülerInnen nicht selten sehr schwach ausgeprägt sind. Aus diesem Grund und auch um
Risiken einer persönlichen Verletzung vorzubeugen, ist es ratsam, SchülerInnen einige
Formulierungshilfen zur Hand zu geben. Später, in höheren Klassenstufen, können diese Hilfen
grundsätzlicher gefasst werden (vgl. Anhang 1).
In der Phase des divergenten Austauschs geht es
also auf der vertikalen Achse immer hin und her
zwischen dem ,,Ich" und ,,Du". Wie man in
Abbildung 3 erkennen kann, dreht es sich also
immer noch um die Dimension des Singulären
und der ,,Sprache des Verstehens". Durch diesen
divergierenden Austausch können sich nun die
SchülerInnen über andere Lösungswege
Gedanken machen und diese mit ihren eigenen
Erarbeitungen vergleichen. Es ihnen gestattet
ihre Lernwege zu überarbeiten und zu erweitern
(vgl. Gallin, 2010, S. 5ff.).
5
Abb.3: Der zweidimensionale Unterricht (aus:
Gallin, 2010, S. 6)

In der letztes Phase, dem regularisierenden Lernen und Problemlösen, vollzieht sich die ,,Sprache
des Verstehens" zur ,,Sprache des Verstandenen". Dies ist in Abbildung 3 sehr gut verständlich
dargestellt. Man erkennt dort sehr gut, dass die SchülerInnen in der Mitte auf der vertikalen Achse
zusammen kommen und als ,,Wir" agieren. Sie arbeiten und argumentieren hier wie ,,Experten", die
gekonnt mit der ,,Sprache des Verstandenen" umgehen können und sie auch bewusst einsetzten.
Das ,,Wir" breitet sich nun immer weiter auf der horizontalen Achse aus. Es wird immer deutlicher,
dass das Reguläre zum Vorschein kommt. Dadurch, dass die SchülerInnen gestärkt wurden,
indem ihrem Lerntagebuch und besonders ihrem Lösungsweg volle Aufmerksamkeit geschenkt
wurde, gehen sie mit dem Regulären nicht eingeschüchtert um. Sie konnten andere Lösungswege
erkunden und sich auch mit anderen SchülerInnen über verschiedene Lösungswege austauschen.
Dadurch dringen sie unbewusst immer mehr in die Welt der Mathematik ein, ohne Angst zu haben
Fehler zu machen. Die SchülerInnen treten also offen, interessiert und vor allem selbstbewusst
neuen mathematischen Themen gegenüber (vgl. Ruf & Gallin, 2005, S. 33ff.). Regularisierendes
Lernen beinhaltet vor allem weiterführende Aufgaben und den Transfer, damit verstandenes
Wissen angewandt und vertieft wird. Zu dem herkömmlichen Lernen zeichnet sich also das
regularisierende Lernen durch ,,Motivationskraft, Nachhaltigkeit und Prozesshastigkeit aus" (Müller,
2006, S. 30). Dies ist vor allem der ersten und zweiten Phase zu verdanken.
Abschließend lässt sich das dialogische Lernen sehr gut mit dem Kreislauf, welches in Abbildung 4
dargestellt ist, zusammenfassen. Zu Beginn steht eine eine Kernidee. Diese Kernidee wird, wie
oben beschrieben, zu einem Auftrag umformuliert, die an
alle ,,Ichs" in der Klasse gerichtet ist. Jeder Lernende hat
die gleiche Chance den Auftrag zu bearbeiten. Somit
eignet sich das dialogische Lernen nicht nur in
homogenen Klassen sehr gut, sondern auch in
heterogenen. Die SchülerInnen bearbeiten nun den
Auftrag und finden eine eigene, singuläre Position. Den
Weg vom Lesen des Auftrags bis hin zur Findung der
eigenen Position halten die SchülerInnen mittels eines
Journals beziehungsweise eines Reisetagebuchs fest.
Es handelt sich hierbei um die Erarbeitung des Auftrags,
als auch um vorläufige Lösungswege, die nun im
nächsten Schritt von dem ,,Du", also MitschülerInnen, gelesen werden. Hier ist entscheidend, dass
eine knappe, schriftliche Rückmeldung zum Lösungsweg gegeben wird. Aus diesen
Lerntagebüchern können Lehrkräfte mit geeigneter Selektion wieder Kernideen ableiten und neue
Aufträge konzipieren. Somit findet der Mathematikunterricht immer wieder neue Anreize und eine
Fortsetzung. Die Normen beziehen sich auf das Fachliche des Unterrichts und werden von dem
6
Abb. 4: Kreislauf des dialogischen
Lernens (aus: Gallin, 2010, S. 6)
Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Dialogisches Lernen. Arbeit mit Lerntagebüchern im Mathematikunterricht
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
19
Katalognummer
V385009
ISBN (eBook)
9783668617711
ISBN (Buch)
9783668617728
Dateigröße
2687 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
dialogisches, lernen, arbeit, lerntagebüchern, mathematikunterricht
Arbeit zitieren
Kira Thiele (Autor:in), 2016, Dialogisches Lernen. Arbeit mit Lerntagebüchern im Mathematikunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/385009

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