Chancengleichheit im Schulsystem zwischen Habitus und Herkunft. Wie schulische Laufbahn und Schulerfolg durch die soziale Herkunft beeinflusst werden


Hausarbeit, 2015

18 Seiten, Note: 1,1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Habitus nach Pierre Bourdieu

3. Soziale Selektivitat im deutschen Schulsystem

4. Habitus und Schullaufl)ahn/Schulerfolg
4.1 Habitus und Schullaufbahn/Schulerfolg
4.2 Der Bildungswille der Eltern
4.3 Der Einfluss des Habitus auf die Passungsfahigkeit der Schiiler/innen an das Schulsystem

5. Empirische Befunde zur Schuiverteilung nach sozialer Herkunft

6. Bildungspolitische MaGnahmen zur Verringerung der sozialen Ungleichheit bei der Bildungsverteilung

7. FazitS

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Entgegen der positiven Entwicklung des deutschen Bildungssystems seit dem „PISA-Schock“ im Jahr 2001 gelingt es Deutschland nicht, für eine ausreichende Chancengleichheit zu sorgen. Vor allem herkunftsbedingte Benachteiligungen von Schülerinnen und Schülern spielen auch aktuell noch eine zentrale Rolle und sorgen immer wieder für Diskussionen in der Bildungspolitik (vgl. Himmelrath 2014).

In dieser Arbeit wird dargestellt, wie schulische Laufbahn und Schulerfolg durch die soziale Herkunft beeinflusst werden. Je nach Milieu und sozialem Umfeld, indem ein/e Schüler/in aufwächst, entwickelt das Individuum einen milieuspezifischen Habitus. Dieser durch den französischen

Sozialwissenschaftler Pierre Bourdieu geprägte Terminus soll zu Beginn der Arbeit definiert werden (Kapitel 2), wobei hier auch der Zusammenhang zwischen Habitus und den verschiedenen Kapitalformen näher beleuchtet werden soll. Danach wird präsentiert, inwiefern innerhalb des deutschen Schulsystems eine soziale Selektion stattfindet (Kapitel 3). Im vierten Kapitel, dem Hauptteil der Arbeit, wird der Zusammenhang von sozialer Herkunft, Habitus und Schule herausgearbeitet. Hierbei soll gezeigt werden, welche Bedeutung die soziale Herkunft und der Habitus bezüglich der unterschiedlichen Einflussfaktoren im Kontext der Schule hat. Für die Wahl der Schulform bzw. den Schulerfolg essentiell sind zum einen der Einfluss des Habitus auf die Lehrerbewertung (Kapitel 4.1) und zum anderen die Bildungswünsche der Eltern (Kapitel 4.2). Auch die Passungsfähigkeit der Schüler/innen an das Schulsystem (Kapitel 4.3) ist dabei von Belang. Danach werden empirische Befunde zur Verteilung der Schülerinnen und Schüler an Haupt- und Realschulen, Gymnasien und integrierten Gesamtschulen sowie anderen Schulformen (Förder- und Sonderschulen) nach sozialer Herkunft graphisch dargestellt und analysiert (Kapitel 5). Dabei soll herausgefunden werden, ob und inwiefern sich die bestehende Chancenungleichheit in Deutschland zurückentwickelt hat, aber auch und vor allem, ob es weiterhin Unterschiede im Hinblick auf die soziale Herkunft gibt. Im sechsten Kapitel werden mögliche Maßnahmen aufgezeigt, welche bildungspolitisch gesehen zu mehr Chancengleichheit in der Bundesrepublik beitragen könnten. Dabei stellt sich die Frage, ob und inwiefern es möglich ist, die Herkunftseffekte soweit von den oben genannten Einflussfaktoren abzukoppeln, dass die soziale Herkunft einen geringeren Einfluss auf die Bildungschancen der Jugendlichen haben könnte. Im letzten Kapitel (Kapitel 7) wird ein Fazit aus den vorher dargestellten Erkenntnissen gezogen.

2. Der Habitus nach Pierre Bourdieu

Nach Bourdieus Habituskonzepts sind persönliche Eigenschaften eines Menschen nicht allein von seinem individuellen Charakter abhängig, sondern vielmehr durch die Gesellschaft und das Umfeld, in dem er aufwächst, geprägt. Mit seinem Konzept verdeutlicht er, dass Verhaltensbesonderheiten und die Stellung eines Akteurs in der Gesellschaft von seiner Klassenzugehörigkeit abhängen (vgl. Kunze 2008, 7). „Im allgemeinsten Sinne ist mit Habitus die

Haltung des Individuums in der sozialen Welt […] gemeint.“ (Fuchs-

Heinritz/König 2011, 112). Konkreter versteht man darunter eine

gesellschaftlich bedingte Anlage, über die jedes Individuum verfügt. Diese Anlage bestimmt die unbewusste Art und Weise des Denkens, der Wahrnehmung und des Handelns der Akteure (vgl. Bourdieu 1993, 101). Der Habitus bestimmt demnach die Entwicklung des Charakters und auch die verschiedenen Lebensweisen, Einstellungen und Wertvorstellungen der Menschen werden durch den Habitus bedingt (vgl. Fuchs-Heinritz/König 2011, 112). „Vermittels des Habitus sind die Menschen in der Lage, an der sozialen Praxis teilzunehmen und soziale Praxis hervorzubringen“ (Fuchs- Heinritz/König 2011, 113). Auf den Kontext Schule übertragen bedeutet dies, dass der Habitus der partizipierenden Akteure - vor allem aber der der Schüler und Schülerinnen - bestimmt, ob diese in der Lage sind, sich an das Schulsystem anzupassen oder von vornherein zum Scheitern verurteilt sind. Da der Habitus insgesamt stabil ist, kann er neue Situationen nur schwer verarbeiten (Fuchs-Heinritz/König 2011, 121). Deshalb sind Kinder aus bildungsfernen Schichten oft mit dem Reglement und den Anforderungen der Schule überfordert. Um dieses Phänomen näher zu erläutern ist es sinnvoll, den Kapitalbegriff von Bourdieu zu erläutern. Bourdieu unterscheidet mehrere Kapitalformen, die zentral für die gesellschaftliche Klassenzugehörigkeit und

somit wiederum auch für den Habitus von grundlegender Bedeutung sind, da sie durch ihn reproduziert werden (Legrand 2014, 2). Die vier wichtigsten Kapitalformen sind ö konomisches, kulturelles, soziales und symbolisches Kapital.

- Unter ö konomischem Kapital sind alle Formen materiellen Besitzes zu

verstehen (Fuchs-Heinritz/König 2011, 163).

- Kulturelles Kapital kann erstens objektiviert sein, d.h. zum Beispiel in Form

von Büchern oder Kunstwerken zur Verfügung stehen. Zweitens kann es inkorporiert vorhanden sein, worunter alle kulturellen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Akteure zu verstehen sind (vgl. Fuchs- Heinritz/König 2011, 164ff.). Hierbei ist vor allem die Sprache zu nennen. An der Sprachverwendung eines Menschen kann man seinen Klassenhabitus erkennen. Während Akteure aus bildungsfernen Milieus eine von der Norm abweichende Sprache verwenden, sind Schüler/innen aus Akademikerfamilien meist sehr nah an der sprachlichen Norm und es fällt ihnen leichter, die von ihnen erwartete Ausdrucksweise in der Schule richtig und problemlos anzuwenden (vgl. Mandl 2012, 48, vgl. auch Kapitel

4.3). Drittens tritt Kulturkapital institutionalisiert auf. Mit dem institutionalisierten Kulturkapital sind zum Beispiel Bildungsabschlüsse oder Titel gemeint (vgl. Fuchs-Heinritz/König 2011, 166).

- Das soziale Kapital lässt sich als Netz sozialer Beziehungen fassen.

Hieraus resultiert vor allem die Möglichkeit, andere um Hilfe zu bitten. Die Chance auf Unterstützung wird durch diese Kapitalform erhöht (vgl. FuchsHeinritz/König 2011, 168).

- Symbolisches Kapital meint die Chance auf Anerkennung und Prestige

eines Akteurs innerhalb der Gesellschaft. Es bildet die Grundlage des sozialen Kapitals (vgl. Fuchs-Heinritz/König 2011, 171).

Je nach zur Verfügung stehendem Kapital entwickelt das Individuum einen milieuspezifischen Habitus. Im Kontext der Schule und für den Kompetenzerwerb der Schüler/innen ist vor allem das kulturelle Kapital hervorzuheben, um somit „habituelle Passungs- und Konfliktverhältnisse mit den schulischen Anforderungen sowie herkunftsspezifische Leistungsunterschiede […] angemessen erklären zu können.“ (Mandl 2012, 43). Der milieuspezifische Habitus, welcher den Alltag der Akteure bestimmt, dient vor allem der Zurechtfindung innerhalb des Milieus und dessen zugrunde liegendem Alltag und lässt die Individuen in ihrer gewohnten Umgebung mit Selbstverständlichkeit handeln. Diese habituelle Orientierung kann auf der einen Seite mit den Anforderungen der Institution Schule kompatibel sein. Ein Effekt, der vor allem bei Schüler/innen aus dem akademischen Milieu zu beobachten ist (vgl. Mandl 2012, 43f; vgl. Grundmann/Bittlingmayer 2006, 184). Auf der anderen Seite kann der milieuspezifische Habitus aber auch ein Hindernis sein und die Anpassung an das System erschweren, was vor allem bei bildungsfernen Schichten festzustellen ist (vgl. Mandl 2012, 43f; vgl. Grundmann/Bittlingmayer 2006, 174).

3. Soziale Selektivität im deutschen Schulsystem

Die Selektion im Bildungssystem sollte in erster Linie von den erbrachten Leistungen der Schüler/innen abhängig sein. Allerdings „[ist] Auslese im Bildungssystem jedoch nie ausschließlich Auslese nach Leistung, sondern immer auch - gewollt, geduldet oder ungewollt - soziale Auslese.“ (Geißler 2006a, 273). Diese Aussage wird durch verschiedene Ergebnisse bekräftigt. Die Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) kam bei ihren Studien zu dem Ergebnis, dass die Übergangsempfehlungen der Grundschule und die Testergebnisse nur einen geringfügigen Zusammenhang aufweisen (vgl. Auernheimer 2006, 10). Die schulische Laufbahn, bzw. der Schulerfolg wird immer durch den Habitus beeinflusst. Der Bildungsweg hängt also nicht zwangsläufig von den schulischen Leistungen ab, sondern vielmehr von den Verhaltensbesonderheiten der Jugendlichen, die durch den milieuspezifischen Habitus hervorgerufen werden. Obgleich die Selektion teilweise nach Leistungsniveau stattfindet, kann man trotzdem davon ausgehen, dass auch hier der Habitus eine zentrale Rolle einnimmt. Schulische Leistungen lassen sich in den meisten Fällen nicht gänzlich von den Lebensbedingungen der Akteure trennen. Es besteht also in der Regel ein gewisser Zusammenhang zwischen diesen beiden Komponenten (vgl. Geißler 2006a, 273). Ein entscheidender Grund für diesen Zusammenhang ist, dass die Schüler/innen in Deutschland nachmittags auf sich allein gestellt sind. Durch die Halbtagsschule in Deutschland „[wird] die selektive Wirkung des deutschen Schulsystems […] bestärkt.“ (Auernheimer 2006, 13). In einer Ganztagsschule können individuelle Lerndefizite besser ausgeglichen werden, was sich am Vergleich mit anderen Ländern bestätigen lässt (vgl. Kapitel 6). Zwar findet auch in diesen Ländern eine Differenzierung statt, allerdings gelingt es dort - im Gegensatz zu Deutschland - nach dem eigentlichen Kriterium, nämlich der Leistung und eben nicht der sozialen Herkunft zu selektieren. Generell ist Differenzierung ein erforderlicher Bestandteil eines funktionierenden Schulsystems, der viele Vorteile mit sich bringt. Dies ist allerdings in Deutschland noch nicht der Fall. Im Grunde soll die Einteilung in Schulformen zwar der Differenzierung dienen, allerdings führt sie weniger zu einer wünschenswerten Leistungshomogenität (vgl. Auernheimer 2006, 11), als vielmehr zu einer noch höheren sozialen Ungleichheit. Auernheimer hält fest, dass laut vielen Studien die Trennung der sozialen Milieus durch die Trennung nach Schulformen entsteht und gefestigt wird. Kinder aus sozial schwächeren Familien oder Kinder mit Migrationshintergrund in Deutschland leiden nicht nur unter der Chancenungleichheit des deutschen Schulsystems, sie werden sogar von diesem ausgeschlossen (vgl. Auernheimer 2006, 24)

4. Habitus und Schullaufbahn/Schulerfolg

Auf die schulische Laufbahn und den Schulerfolg haben mehrere Faktoren einen Einfluss. Dabei sind vor allem die Lehrerbewertung (Kapitel 4.1), der Bildungswille der Eltern (Kapitel 4.2) sowie die Passungsfähigkeit der Schüler/innen an das Schulsystem (Kapitel 4.3) grundlegende Komponenten, die zu dem Verlauf der Bildungskarriere beitragen. In diesem Kapitel soll beleuchtet werden, inwiefern auch hier der Habitus, die Bewertung, die Einschätzung, den Schulerfolg und letztlich die Entscheidung über den Bildungsweg beeinflusst.

[...]

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Chancengleichheit im Schulsystem zwischen Habitus und Herkunft. Wie schulische Laufbahn und Schulerfolg durch die soziale Herkunft beeinflusst werden
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen
Note
1,1
Autor
Jahr
2015
Seiten
18
Katalognummer
V384601
ISBN (eBook)
9783668595583
Dateigröße
835 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
chancengleichheit, schulsystem, habitus, herkunft, laufbahn, schulerfolg
Arbeit zitieren
Lisa Hoffmann (Autor:in), 2015, Chancengleichheit im Schulsystem zwischen Habitus und Herkunft. Wie schulische Laufbahn und Schulerfolg durch die soziale Herkunft beeinflusst werden, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/384601

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