Arbeitsmedizin und Leistungsmedizin in Deutschland zu Zeiten des Nationalsozialismus


Seminararbeit, 2016

11 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


1. Einleitung

Die Geschichte der Medizin und Gesundheitspolitik im Dritten Reich war zweifelsohne geprägt von Menschenverachtung und einem gar irrationalen Leistungsgedanken. Das gesamte Gesundheitssystem wurde gerade deswegen auf eine Volksgemeinschaft zugeschnitten, deren Pflicht es war, die ökonomische Konkurrenzfähigkeit des deutschen Reiches aufrecht zu erhalten und dessen Arbeitsressourcen völlig auszuschöpfen. Dazu ist die Arbeits- physiologie wahrscheinlich einer der anschaulichsten Beispiele, das zeigt, wie der deutsche Volkskörper und mehrere Millionen Zwangsarbeiter zu einer beispiellosen „Leistungsmaschine“ umfunktioniert wurde. Mit der Umsetzung des Vierjahresplanes ab 19361, der Deutschland binnen vier Jahren wirtschaftlich und militärisch kriegstauglich machen sollte, stieg die Nachfrage an leistungsfähigen Arbeitskräften an und erforderte eine gesundheitspolitische und forschungstechnische Verschärfung. Politisch kontrollierten die Nationalsozialisten die Gesundheitspolitik mit der Einführung des „Betriebsärztlichen Systems“2, während sie ihre medizinischen Forschungs- schwerpunkte von der herkömmlichen „Arbeitsmedizin“ auf die eigens erschaffene „Leistungsmedizin“ verlagerten. Um die wissenschaftlichen und politischen Entwicklungsparallelen zu aufzuzeigen, folgt nun eine Analyse beider Ebenen, die letztendlich beide durch die Ideologie des nationalsozialistischen Regimes gesteuert wurden. Es gilt also, sowohl die Entwicklung der Arbeitsmedizin zur Leistungsmedizin anhand medizinischer Forschungen zu skizzieren, als auch den gesundheitspolitischen Gesamtkontext zu erläutern.

Leitthese:

„Die Entwicklung der Arbeitsmedizin zur Leistungsmedizin auf wissenschaftlicher Seite verlief parallel zur Entwicklung der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik, hin zu einem Teil der Arbeitseinsatzpolitik auf politischer Seite.“

2. Entwicklung der Arbeitsmedizin zur Leistungsmedizin

Die Begriffe Arbeitsmedizin und Leistungsmedizin sind zwar durch viele Parallelen ineinander verwoben, jedoch keinesfalls als deckungsgleich zu verstehen. Vielmehr lässt sich eine deutliche Entwicklung der arbeitsphysiologischen Forschung von der Arbeitsmedizin hin zur Leistungsmedizin erkennen. Während die Arbeitsmedizin den Arbeiter als Individuum in den Mittelpunkt stellte, Präventivmethoden zur Arbeitssicherheit entwickelte und Forschungen zur Motivationssteigerung anstellte3, zielte die Leistungsmedizin auf die Erschaffung einer betrieblich orientierten Leistungsgesellschaft ab, die zu einem Instrument der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik wurde. Dabei galt es die menschliche Leistungsfähigkeit bis zum Optimum zu steigern, um die Arbeitskraft des Volkes vollends auszuschöpfen4. Arbeitsphysiologisch gesehen bedeutete das insbesondere ernährungsphysiologische Forschung, die auf höchste Leistungsfähigkeit der Arbeiter mit möglichst wenig Lebensmitteln abzielte. Leistungsmedizin setzte das Wort „Gesundheit“ mit Leistungsfähigkeit gleich, was mit der Pflicht des Einzelnen gegenüber dem Volke verbunden war - wer nicht gesund war, war nicht leistungsfähig und schadete dem Volk.

Arbeitsmedizinische Forschungen vor 1933 wurden vom „Deutschen Institut für technische Arbeitsschulung“ (DINTA) ausgeführt, wohin gegen mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten das „Kaiser Wilhelm Institut für Arbeitsphysiologie“ (KWIfA) zu leistungsmedizinischen Forschungszwecken genutzt wurde.5 Um eine Gegenüberstellung und Unterscheidung der Arbeitsmedizin und Leistungsmedizin möglichst anschaulich zu erläutern, gilt es, diese, DINTA und KWIfa auf ihre wissenschaftliche und politische Funktion hin zu Untersuchen.

2.1. Arbeitsmedizinische Forschung der DINTA

Arbeitsmedizinische Forschung verfolgte die Absicht, die Arbeitseinflüsse auf den Menschen zu untersuchen und Arbeitsabläufe für den Menschen sicherer und gesünder zu machen.6 Das Zentrum der arbeitsmedizinischen Forschung lag bis 1936 beim deutschen Institut für technische Arbeitsschulung (Abgekürzt: DINTA) dass im Jahr 1925 in Düsseldorf gegründet wurde.7 Diese verfolgte durch die eigens ernannte „Soziologie des Wissens“ die „Technisch- fachliche Rationalisierung“8 von menschlichen- und maschinellen Arbeitsabläufen9. Zum einen ging es dabei um eine planvolle Gestaltung von Werkzeugen und Arbeitsmaschinen, zum anderen um eine Integration des Arbeiters in ein betriebliches soziales Umfeld. Der Arbeiter sollte als Individuum die Chance erhalten, sicher zu arbeiten und eine für ihn gesunde Lebensführung anzustreben. Dazu zählte beispielsweise die Erforschung eines gesunden Tag- Nacht Rythmus, einer arbeitsphysiologisch sinnvollen Ernährung und die Entstehung eines „außerbetrieblichen Gemeinschaftslebens“10, in dem der Arbeiter beispielsweise die Möglichkeit hatte, sich außerbetrieblich körperlich zu betätigen. Dieses Konzept strebte eine Steigerung der betrieblichen Leistungsfähigkeit durch Arbeitsstandards und Motivation an, das dem heutigen Konzept der „Work-Life-Balance“ ähnelt.

Der Fokus der Forschung konzentrierte sich vor allem auf die Schwerindustrie des Ruhrgebiets, da dort die Arbeitsbedingungen besonders gefährlich und ungesund für den Arbeiter waren.

Die Prävention von Unfällen, Bleivergiftungen, und Berufskrankheiten wie Lungenkrebs (durch Asbest hervorgerufen) und Silikose sollte somit aktiv dazu beizutragen, die Produktion nachhaltig zu steigern.11

Die Integration des Arbeiters in eine „außerbetriebliche Gemeinschaft“ erfolgte beispielsweise durch Sportangebote wie betrieblichen Fußballvereine, aus dem sich die ersten „Knappenmannschaften“ entwickelten, die den Ruhrgebietsfußball stark prägten.12

Die arbeitsmedizinische Forschung der DINTA verlor jedoch bis 1936 an Bedeutung, da die nationalsozialistische Gesundheitspolitik eine völlige Aus- schöpfung der völkischen Arbeitskraft vorsah und die Arbeitsmedizin im wirtschaftlichen und politischen Existenzkampf nicht erfolgsversprechend genug war.13

2.2. Arbeitsphysiologische Forschung des KWIfA

„Steigerung des Arbeitsertrages mit allen Mitteln der Technik und Wissenschaft (...) Rechtzeitig erkannte man bei uns, dass es in diesem Kampfe nicht genügt, die Maschine und die Organisation zu verbessern, sondern daß auch der Faktor „Mensch“ in Rechnung gestellt werden muß.“14

Jene Herangehensweise an die Problematik der Leistungssteigerung zeigte schon 1929 mit dem Umzug des KWIfAs von Berlin nach Dortmund, dass die klassische Arbeitsmedizin für das Institut nicht effizient genug zu schien. Im Zuge der nationalsozialistischen „Arbeitseinsatzpolitik“ galt es einen großen Arbeitskräfte Bedarf in der Rüstungs- und Kriegswirtschaft zu decken, weshalb auch die Gesundheitspolitik angepasst werden musste.15 Da das Dortmunder KWIfA aus nationalsozialistischer Sicht großes Potenzial besaß, wurde der Schwerpunkt der Arbeitswissenschaft- und Ernährungsphysiologie ab 1936 vollständig dorthin verlagert, da der Standort ideal zur medizinischen Forschung an arbeitern der Montanindustrie genutzt werden konnte16. Das KWIfA arbeitete schon lange an der Optimierung der Arbeitsleistung, weshalb es letztendlich zu einem Instrument für die nationalsozialistische Gesundheitspolitik wurde.

Die Forschung erfolgte von nun an auf leistungsmedizinischer Ebene und beinhaltete arbeitsphysiologische Prinzipien rationeller Arbeitsgestaltung, Forschung zur Entstehung und Bekämpfung der Ermüdung17, Bewertung der Leistungsfähigkeit, Stoffwechsel- und Kreislaufverhalten bei Hitzearbeit, sowie die Beziehung zwischen Ernährung und Arbeit. Die Forschungsschwerpunkte des KWIfA ergänzten sich gut mit dem nationalsozialistischen Leistungs- gedanken, was einen Ausbau der Forschung auf den Gebieten der „Ermüdungsproblematik“ und der „Steigerung der Arbeitsleistung durch Ernährungslenkung“ nach sich zog.18 Die „Neue Arbeitsphysiologie“, die als Band zwischen Mensch und Maschine vor allem in der Rüstungsindustrie zu einer Leistungssteigerung führen sollte, rückte den „deutschen Arbeiter“ in den Mittelpunkt der Forschung - die Steigerung der Leistungsfähigkeit des Einzelnen sollte zur Gesundheit der Volksgemeinschaft beitragen.19

[...]


1 Heinz Dietmar Petzina: Autarkiepolitik im Dritten Reich: Der nationalsozialistische Vierjahresplan (Schriftreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 16), Stuttgart 1968, S.1-2.

2 Martin Höfler-Waag: Die Arbeits- und Leistungsmedizin im National- sozialismus 1939-1945 (Abhandlungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften Heft 68), Husum 1994, S.76 (Im Folgenden zitiert als: Höfler-Waag, Die Arbeits- und Leistungsmedizin).

3 Peter L. Bäumer: Das Deutsche Institut für technische Arbeitsschulung (Dinta) (Schriften des Vereins für Sozialpolitik Bd. 181, Probleme der sozialen Werkspolitik), München und Leipzig 1930, S.70-75 (Im Folgenden zitiert als: Bäumer: DINTA).

4 Höfler-Waag, Die Arbeits- und Leistungsmedizin, S.5.

5 Hans-Ulrich Thamer und Theo Plesser: Zur hundertjährigen Geschichte eines naturwissenschaftlich-medizinischen Instituts im Spannungsfeld von Wissen- schaft, Gesellschaft, Politik und Krieg, in: Plesser, Theo / Thamer, Hans-Ulrich (Hrsg.): Arbeit, Leistung und Ernährung vom Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie in Berlin zum Max-Plack-Institut für molekulare Physiologie und Leibniz Institut für Arbeitsforschung in Dortmund, Stuttgart 2012, S.15-16 (Im Folgenden zitiert als: Thamer, Plesser: Hundertjährige Geschichte des KWIfA).

6 Ulrich Knödler: Von der Reform zum Raubbau, in: Norbert Frei (Hrsg.): Medizin und Gesundheitspolitik in der NS-Zeit (Schriftreihe der Vierteljahrhefte für Zeitgeschichte, Sondernummer), München 1991, S.115-116 (Im Folgenden zitiert als: Knödler: Reform zum Raubbau).

7 Bäumer: DINTA, S.1.

8 Bäumer: DINTA, S.1.

9 Bäumer: DINTA, S.1 -3.

10 Bäumer: DINTA, S.67-69.

11 Knödler: Reform zum Raubbau, S.113-116.

12 Siegfried Gehrmann: Fußball, Vereine, Politik - Zur Sportgeschichte des Reviers von 1900 bis 1940, Essen 1988, S.37-39.

13 Knödler: Reform zum Raubbau, S.116.

14 Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie Dortmund, Selbstverl., Dortmund 1930, S.1.

15 Hans-Christoph Seidel: Gesundheitspolitik und „Arbeitseinsatz“ im Ruhrbergbau während des Zweiten Weltkrieges, in: Klaus Tenfelde (Hrsg.): Mitteilungsblatt des Instituts für soziale Bewegung (Forschungen und Forschungsberichte 28), Bochum 2003, S. 203 (Im Folgenden zitiert als: Seidel, Gesundheitspolitik und „Arbeitseinsatz“).

16 Thamer, Plesser: Hundertjährige Geschichte des KWIfA, S.18.

17 Alexander Neumann: Das Kaiser- Wilhelm- Institut für Arbeitsphysiologie und der Kampf gegen die Ermüdung, in: Plesser, Theo, / Thamer, Hans-Ullrich (Hrsg.): Arbeit, Leistung und Ernährung vom Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie in Berlin zum Max-Plack-Institut für molekulare Physiologie und Leibniz Institut für Arbeitsforschung in Dortmund, Stuttgart 2012, S. 171 (Im Folgenden zitiert als: Neumann: KWIfa und der Kampf gegen die Ermüdung).

18 Lutz Budraß: Das Kaiser-Wilhelm Institut für Arbeitsphysiologie und Ernährungswirtschaft, in: Plesser, Theo / Thamer, Hans-Ullrich (Hrsg.): Arbeit, Leistung und Ernährung vom Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie in Berlin zum Max-Plack-Institut für molekulare Physiologie und Leibniz Institut für Arbeitsforschung in Dortmund, Stuttgart 2012, S. 263 (Im Folgenden zitiert als: Budraß: KWIfA und Ernährungswirtschaft).

19 Knödler: Reform zum Raubbau, S.116.

Ende der Leseprobe aus 11 Seiten

Details

Titel
Arbeitsmedizin und Leistungsmedizin in Deutschland zu Zeiten des Nationalsozialismus
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Note
2,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
11
Katalognummer
V383846
ISBN (eBook)
9783668592506
ISBN (Buch)
9783668592513
Dateigröße
393 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Arbeitsmedizin, Leistungsmedizin, Arbeitseinsatzpolitik
Arbeit zitieren
Ann-Kristin Götz (Autor:in), 2016, Arbeitsmedizin und Leistungsmedizin in Deutschland zu Zeiten des Nationalsozialismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/383846

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