Das Familienbrett nach Ludewig: Ein Skulpturverfahren für Forschung und Praxis

Diagnostik in der Psychologie


Hausarbeit, 2004

23 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Einordnung des Familienbretts in die Skulpturverfahren

Theoretischer Hintergrund

Das Verfahren
Durchführung
Interventionen
Außensetzung
Dynamisches Spielen
Zusatzfiguren
Vergleichende Konfrontation
Zirkuläres Stellen
Interpretation
Dokumentation
Gütekriterien

Beispiele aus der Praxis
Das Familienbrett in der Entgiftungsbehandlung
Fallbeispiel
Das Familienbrett in Organisationsberatung und Supervision

Grenzen und Kritik

Literaturverzeichnis

Einleitung

Wir haben in der Veranstaltung Diagnostik II bereits einige Verfahren kennengelernt, deren Gegenstand die Beziehungen in Gruppen ist, so z.B. das Genogramm, das Soziale Atom oder SYMLOG. Über Skulpturverfahren haben wir bisher nur wenig erfahren.

Ich werde deshalb, bevor ich mich näher mit dem Familienbrett befasse, zunächst kurz erklären, was man sich unter Skulpturverfahren vorstellen kann, und das Familienbrett innerhalb der gebräuchlichen Verfahren einordnen. Danach beschreibe ich den theoretischen Hintergrund, Aufbau und Anwendung sowie Gütekriterien, Grenzen und Kritik. Zum Abschluß möchte ich an zwei Beispielen die Anwendung in der Praxis veranschaulichen. Ich habe dafür zwei Bereiche ausgewählt, mit denen ich hoffe, den unterschiedlichen Interessensgebieten unseres Matrikels gerecht zu werden: den klinischen Bereich und die Organisationsberatung.

Einordnung des Familienbretts in die Skulpturverfahren

Unter Skulpturverfahren versteht man, daß Mitglieder einer Gruppe, z.B. einer Familie, ihre Beziehungsstruktur im Raum abbilden. Das Ziel dabei ist, die Gruppenstruktur und die Interaktionen der Gruppenmitglieder zu verdeutlichen. Frühe Formen dieser Aufstellungen waren das Rollenspiel und die Inszenierungen beim Psychodrama (Moreno, 1946). Diese Verfahren wenden vor allem Schulen an, die sich an Gestalttheorie und Humanistischer Psychologie orientieren, wie z.B. die wachstumsorientierte Familientherapie (Satir, 1964) und teilweise auch der strukturalistische Ansatz (Minuchin, 1974).[1] Sie können - besonders auch auf nonverbaler Ebene - therapeutisch sehr wirksam sein, weil sie mit unmittelbarem affektivem Erleben verbunden sind und sprachgebundene Abwehrstrategien wegfallen.

Der Vorteil der Aktualisierung der dargestellten Situation bei Methoden mit realen Personen als Protagonisten kann aber auch zu einem Nachteil werden, da es wenig Möglichkeiten zur emotionalen Distanzierung gibt. Bei einer „realen“ Skulptur kann außerdem jedes Mitglied die Aufstellung nur aus dem Blickwinkel seiner Position verfolgen. In den letzten Jahrzehnten sind deshalb mehrere Techniken entstanden, mit denen man soziale Strukturen veranschaulichen kann, die aber mehr Möglichkeiten für eine emotionale Distanzierung bieten.

Je nach Schwerpunkt des jeweiligen Skulpturverfahrens wird dieses als strukturell[2], interaktionell[3] oder projektiv kategorisiert. Arnold et al. ordnen das Familienbrett den strukturellen Verfahren zu.[4] Meiner Meinung nach könnte es aber auch - je nach Zielsetzung - als projektives oder interaktionelles Verfahren bezeichnet werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 1: Einteilung der Skulpturverfahren nach den Kriterien strukturell, interaktionell und projektiv[5]

Das Familienbrett zählt weiterhin zu den Figuren skulpturverfahren und ist somit ein evokatives Testverfahren, d.h. aufgrund des Aufforderungscharakters des Testmaterials werden Handlungs- und Deutungschemata auf- oder hervorgerufen. Figuren­skulpturverfahren erfassen die subjektiven Ansichten der Aufstellenden, erlauben aber auch eine direkte Beobachtung des interaktionellen Verhaltens beim Aufstellungsprozeß. Die inhaltliche Validität erfolgt unmittelbar aus der Instruktion und erweist sich weiterhin an der allseits überprüfbaren Darstellung.[6]

Theoretischer Hintergrund

Das Familienbrett wurde 1978 von einer Arbeitsgruppe unter der Leitung von Kurt Ludewig in der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätskran­ken­­­­hauses Hamburg-Eppendorf parallel zur Entstehung der Systemischen Therapie konzipiert. Man benötigte damals ein Verfahren, mit dem die Komplexität von Verläufen und Ergebnissen bei Familientherapien möglichst unverfälscht dokumentiert werden konnte. Das Familienbrett basiert auf der praktischen Anwendung des systemischen Denkens. Wesentlich bei dieser Denkweise ist die Funktion des „Beobachters“, auf den alle Realitätsaussagen zurückgeführt werden:

„Die Welt der Beobachter besteht aus Beschreibungen, die in Interaktion mit anderen Beobachtern entstehen und konsensualisiert werden. Der Maßstab für Wahres liegt hiernach nicht in den Dingen, sondern in sprachlich hervorgebrachten Kohärenzen. Beobachter erzeugen keine objektiven, sondern ‚kommunikative Wirklichkeiten‘.“[7]

Im Rahmen von wissenschaftlichen Arbeiten in den Jahren 1979 - 1993 wurde bald deutlich, daß die Möglichkeiten des Familienbretts weit über das ehemalige Ziel der Dokumentation hinausgehen. Mittlerweile wird es in Forschung, Diagnostik sowie im therapeutischen und beraterischen Bereich eingesetzt.

Ludewig bezeichnet das Familienbrett heute als ein Mittel für die Kommunikation über soziale Systeme. Es ist sozusagen die „Miniaturversion“ einer Familienskulptur, eine symbolisierte Kommunikationsebene, die einen Unterschied zu jener der realen Personen erzeugt. Damit schafft es einen Rahmen für die (Meta)Kommunikation.[8] Es fördert außerdem Kommunikationen, die allein durch Verbalisierung schwerer durchzuführen sind, vor allem bei Menschen, die ihre inneren Bilder nur schwer ausdrücken können oder im Gebrauch der Sprache ungeübt sind.[9]

Aus kommunikationstheoretischer Sicht müssen die Probanden bei einer Aufstellung Informationen zu einem bestimmten Thema auswählen und das Familienbrett als Medium für deren Mitteilung verwenden. Sie entwerfen damit ein Bild ihrer subjektiven Vorstellungen über Struktur und Funktionsweise des Systems und machen diese dadurch kommunizierbar. Der Beobachter ist wiederum gefordert die ausgedrückte Mitteilung zu verstehen. Dabei muß er beachten, daß die verwendeten Zeichen analog und deshalb mehrdeutig sind. Deshalb kann die Aufstellung selbst auch nur eine Anregung zur Kommunikation sein.[10]

Nach bisherigen Erfahrungen neigen Probanden dazu, je nach Fragestellung und Anleitung, ein „Grundmuster“ aus den vielen spezifischen Situationen der Systemgeschichte zu synthetisieren. Es wird scheinbar eine Beschreibung oder eine Geschichte (Narrativ) erarbeitet. Bei der Endaufstellung handelt es sich demnach um eine „statische Interpunktion eines komplexen dynamischen rekursiven Prozesses“[11], die auch nur als solche diagnostiziert und dokumentiert werden kann.

Dennoch wirkt die Anordnung auf dem Brett auf die Beteiligten zurück und hat somit gute Chancen, das System zu verstören und zu einer Veränderung anzustoßen. Denn die Aufstellungen auf dem Familienbrett fördern eine Kommunikationsform, die den typischen Fragetechniken der Systemischen Therapie entspricht: zirkuläres, konstruktives, reflexives und lösungsorientiertes Fragen.[12]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das Verfahren

Das Familienbrett besteht aus einem 50 x 50 cm großen Kasten mit einem 5 cm breiten Rand auf der oberen Fläche sowie Holzfiguren mit angedeutetem Gesicht in zwei Größen (7 und 10 cm) und zwei Formen (rund und eckig). Für besondere Zwecke gibt es drei farbige sechseckige Figuren. Die Figuren sind absichtlich im Aussehen äußerst sparsam gehalten, um möglichst viel Spielraum für Eigengestaltung bzw. Projektionen oder Evokationen der Probanden zu ermöglichen.

Mehrere variable Merkmale und deren Kombinationen ermöglichen die Abbildung verschiedener Relationen zwischen den Figuren: Distanz, Blickrichtung, Plazierung auf dem Brett (Isolierung, Subgruppen), Reihenfolge der Aufstellung und die Gesamtgestalt der Anordnung.[13]

Da das Material nur gering vorstrukturiert ist, eignet es sich für viele verschiedene Fragestellungen. In Therapie und Beratung läßt sich das Familienbrett beispielsweise gut dafür verwenden, mit Alternativlösungen zu aktuellen Problemen zu experimentieren, vergangene Ereignisse zu (re)konstruieren oder Zukunftsphantasien zu konkretisieren.[14]

Durchführung

Am besten sei es, die Beteiligten um den Tisch, auf dem das Brett steht, zu setzen. Die Figuren werden so angeboten, wie sie im Kasten geordnet liegen. Aufstellen können sowohl Einzelpersonen als auch Gruppen. Die Probanden werden gebeten, die Mitglieder eines bestimmten sozialen Systems mit Hilfe der Figuren symbolisch zu repräsentieren und auf der Fläche aufzustellen. Der Untersucher kann die Klienten passend zu seiner Fragestellung instruieren. Ludewig und Wilken schlagen für Familien folgenden Wortlaut vor:

„Ich möchte Sie bitten, für jedes Mitglied der Familie eine Figur zu wählen und die Figuren so aufzustellen, wie sie in der Familie zueinander stehen. Es stehen Ihnen große und kleine, runde und eckige Figuren zur Auswahl. Die farbigen Figuren bitten wir erst auf unsere Anforderung hin zu verwenden. Das Brett hat eine Randlinie, es gibt also ein Innenfeld und ein Außenfeld. Sie können so viel von der Fläche benutzen, wie Sie möchten. die Figuren können weit auseinander oder eng zusammenstehen, jedoch nicht aufeinander. Sie haben Augen, können also einander ansehen. Sie haben so viel Zeit, wie Sie brauchen.“[15]

Einzelpersonen brauchen selten länger als zwei Minuten für die Aufstellung, Familien bis zu 12 Minuten. Größere Verbände, z.B. Teams und andere Arbeitsgruppen benötigen meist etwas mehr Zeit.

Nach der Aufstellung werden die Probanden befragt

- wen die einzelnen Figuren repräsentieren,
- was sie darstellen wollten und
- was die einzelnen Merkmale bedeuten (Größe und Form der Figuren, Position der Figuren auf der Fläche, Entfernungen, Blickrichtungen, Subsysteme und die Gestalt der Anordnung).[16]

[...]


[1] vgl. Ludewig, Kurt. In Ludewig und Wilken (2000) S. 15 f.

[2] Abbildung der Beziehungsstruktur

[3] verdeutlichen die Interaktionen der Gruppenmitglieder

[4] vgl. Arnold, Stephan et al. In Cierpka (1996), S. 339

[5] ebd. S. 340

[6] vgl. Ludewig, Kurt. In Ludewig und Wilken (2000) S.16

[7] Ludewig, Kurt. In Ludewig und Wilken (2000) S.21

[8] vgl. Ludewig, Kurt. In Ludewig und Wilken (2000), S. 14

[9] vgl. ebd. S. 23

[10] vgl. Ludewig und Wilken (2000) S. 166 f.

[11] vgl. Ludewig, Kurt. In Ludewig und Wilken (2000) S.21

[12] vgl. ebd. S. 24

[13] vgl. ebd. S. 21

[14] vgl. Ludewig und Wilken (2000) S. 163 ff.

[15] ebd. S. 164 (Hervorhebung im Original)

[16] vgl. Ludewig, Kurt. In Ludewig und Wilken (2000) S.22

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Das Familienbrett nach Ludewig: Ein Skulpturverfahren für Forschung und Praxis
Untertitel
Diagnostik in der Psychologie
Hochschule
Hochschule Zittau/Görlitz; Standort Görlitz
Veranstaltung
Diagnostik II - Gruppendiagnostik
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2004
Seiten
23
Katalognummer
V38352
ISBN (eBook)
9783638374422
ISBN (Buch)
9783638799362
Dateigröße
1654 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Familienbrett, Ludewig, Skulpturverfahren, Forschung, Praxis, Diagnostik, Gruppendiagnostik
Arbeit zitieren
Dipl.-Kommunikationpsychologin Petra Bühler (Autor:in), 2004, Das Familienbrett nach Ludewig: Ein Skulpturverfahren für Forschung und Praxis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38352

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