Die Verfassungsentwicklung von Schaumburg-Lippe im 19. Jahrhundert


Hausarbeit, 2015

30 Seiten, Note: 14


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

LITERATURVERZEICHNIS

A. EINLEITUNG

B. ALLGEMEINES
I. Territoriales
II. Fürstenhaus

C. VORGESCHICHTE
I. Rheinbund und Souveränität
II. Schaumburg-Lippe und der Deutscher Bund
1. Allianz gegen Frankreich
2. Deutscher Bund

D. VERFASSUNGSENTWICKLUNG
I. Entwicklung der Verfassung um 1816
1. Inhalt
a) Wahlrecht
b) Rechte des Landtags
c) Entwicklung bis 1847
II. Entwicklung der Verfassung um 1848
III. Entwicklung der Verfassung um 1868
1. Erster Entwurf.
a) Landtag
b) Rechte des Landtags
2. Zweiter Entwurf.
a) Landtag
3. Dritter Entwurf.
a) Landtag
b) Rechte des Landtags
c) Wahlrecht

E. AUSBLICK

F. ZUSAMMENFASSUNG

ANHANG

LITERATURVERZEICHNIS

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

A. EINLEITUNG

„Votre Souverain est le Gouverneur de votre pays. L'Empereur Napoleon a ordonne de respecter le pays de Buckebourg.“[1]

Dieses Zitat stammt vom Divisionsgeneral Gobert, der im November 1806 zum französischen Gouverneur der Provinzen Minden, Ravensberg, Paderborn und dem hessischen Teil der Grafschaft Schaumburg ernannt wurde. Trotz Verwechslungsgefahr mit Schaumburg-Lippe, sollte dies eine Versicherung für dessen Souveränität darstellen, die gemäß Napoleon selbst, stets respektiert werden sollte.

Dieser Ansatz der Eigenständigkeit Schaumburg-Lippes sollte sich trotz der Einflüsse verschiedener Großmächte über das gesamte 19. Jahrhundert und darüber hinaus erstrecken. Daher soll in der folgenden verfassungsgeschichtlichen Betrachtung Schaumburg-Lippes auch diese besondere Eigenschaft des Fürstentums betont werden. In dieser Arbeit soll auf die Verfassungsentwicklung des Fürstentums Schaumburg­Lippe eingegangen werden. Der Fokus soll dabei besonders auf den verschiedenen Entwicklungsstufen der Verfassungsentwürfe liegen und dem, was sich in den entscheidenden Jahren daran geändert hat. Besonderer Schwerpunkt dabei ist das Wahlrecht und die Zusammensetzung der Landtage, sowie deren Rechte.

Zunächst wird kurz auf die besonderen territorialen Gegebenheiten und den allgemeinen Bedingungen im Fürstentum eingegangen (B), welche auch Einfluss auf die Entwicklungen vor den verfassungsgebenden Jahren bis 1816 hatten, die danach in der Vorgeschichte (C) behandelt werden sollen. Anschließend werden die verschiedenen entscheidenden Etappen in der Verfassungsentwicklung Schaumburg-Lippes in den Jahren um 1816, 1848 und 1867 bearbeitet (D). Abschließend soll noch ein Ausblick (E) erfolgen, wie sich die Zeit nach 1867 gestaltete, bevor die Arbeit mit einer Zusammenfassung (F) endet.

В. ALLGEMEINES

I. Territoriales

Das Fürstentum Schaumburg-Lippe lag ca. 50 km westlich von Hannover, östlich der Weser bei Minden und nördlich des Wesergebirges. Aufgrund dieser zentralen Lage diente Schaumburg-Lippe schon immer als Durchgangslandschaft.[2] Es hatte eine Fläche von nur 340 km2.[3] Damit entsprach es flächenmäßig in etwa dem heutigen Dresden. In der späteren Gemeinschaft des Deutschen Bundes war es der Fläche nach das zweitkleinste eigenständige Herrschaftsgebiet. Der Bevölkerungsaufbau setzte sich 1814 aus insgesamt 21.586 registrierten Personen zusammen.[4] Anhand dieser Einwohnerzahl war es damit im Deutschen Bund sogar das kleinste.[5] Trotz dieser überschaubaren Zahl gehörte der Kleinstaat zu den Staaten mit dem höchsten Bevölkerungswachstum, welches sich in einer Bevölkerungszahl von mehr als 30.000 Menschen um das Jahr 1867 widerspiegelte.[6] Bis in die 20er Jahre des 19. Jahrhunderts besaß es etwa 26.000 Einwohner, die sich bis ins Jahr 1855 um ca. 4000 Menschen auf 30.000 Einwohner erhöhte.[7]

II. Fürstenhaus

Schaumburg-Lippe war während des 19. Jahrhunderts seitens der Regierung nicht von vielen Verwerfungen betroffen. Die Regierung vollzog drei Amtswechsel: von Georg Wilhelm (1807-1860) über Adolph Georg (1860-1893) bis hin zu Georg (1893—1911).[8] Graf Georg Wilhelm (1784—1860) übernahm 1807 die Regierungsgeschäfte von seiner Mutter, die sie seit dem Ableben seines Vaters Philipps II. Im Jahr 1787 geführt hatte, zwar nicht offiziell aber faktisch als Fürst von Schaumburg-Lippe. Daran änderte sich bis zu seinem Tod am 21. November 1860 nichts, worauf wiederum dessen Sohn Adolf I. Georg seine Position übernahm. Dieser wurde am 1. August 1817 im Schloss Bückeburg geboren und hatte das Amt des Fürsten bis 1893 besetzt. Maßgebende Hauptperson der Entwicklung im 19. Jahrhundert war aber Georg Wilhelm.

C. VORGESCHICHTE

I. Rheinbund und Souveränität

Mit Beginn des 19. Jahrhunderts und den großen politischen Verwerfungen in ganz Europa, sah sich auch Schaumburg-Lippe von den aktuellen Entwicklungen betroffen. Der Aufstieg Napoleons und die Schaffung des Rheinbundes im Jahr 1806 zwang auch das kleine Fürstentum dazu, Stellung zu beziehen. Die eigene Souveränität stand bei diesen Überlegungen immer zentral im Vordergrund.

Die wirtschaftliche und finanzielle Lage Schaumburg-Lippes war in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts besonders durch den Einfluss Napoleons geprägt. Hohe Steuern, Naturalabgaben und die erzwungenen Einquartierungen belasteten die ländliche Bevölkerung.[9] Zur Zeit der Feldzüge Napoleons führte durch das Fürstentum eine Heerstraße, die sogenannte „Etappenstraße“, durch die regelmäßig große Truppenverbände zogen. Dabei zogen besonders die Festungen Hameln und Rinteln die Aufmerksamkeit des französischen Militärs auf sich, die in unmittelbarer Nachbarschaft zu Schaumburg-Lippe lagen.[10] Diese Soldaten kamen üblicherweise bei den Bewohnern der deutschen Länder, also auch in Schaumburg-Lippe, unter, die dadurch hohe Kosten verursachten.[11]

Trotz allem war man seitens der Regierung um ein gutes Verhältnis mit den Franzosen bemüht. Nicht zuletzt, um deren Einfluss möglichst klein zu halten, und weitestgehend auch rechtlich eigenständig bleiben zu können. Dieses Verhältnis beruhte auch auf der von Frankreich angenommenen Verbindung mit Lippe.[12] Der innere Konflikt zwischen der Eigenständigkeit Schaumburg-Lippes einerseits und der Erfüllung der Forderungen Frankreichs andererseits hatte aber dennoch gesetzliche Folgen. So war man von den Franzosen nicht nur dazu aufgefordert für deren Soldaten Unterkunft zu bieten, sondern auch in rechtlicher Hinsicht Anpassungen vorzunehmen. Eine Forderung sah beispielsweise die Aufhebung der Leibeigenschaft vor. Denn anders als im Königreich Westphalen unterblieben in Schaumburg-Lippe zunächst die Ablösungsgesetze, die die Leibeigenschaft aufhoben. Diese Gesetze wurden im Innern Schaumburg-Lippes ignoriert, die zentrale Forderung der Abschaffung der Leibeigenschaft musste sich aber doch durchsetzen, wollte man die französische Seite nicht verärgern.[13]

Seitens der Franzosen ließ man dem Fürstentum aber mit der Umsetzung Zeit, sodass es mit einer Verordnung vom 27. Dezember 1808 und mit Gültigkeit zum 1. Januar 1809 die Guts- und Leibeigenschaft endgültig aufhob.[14] Der mittlerweile zum Fürsten aufgestiegene Georg Wilhelm regelte damit auch die Erbfolge des bäuerlichen Grundbesitzes.[15]

Diese Beseitigung der Leibeigenschaft, blieb allerdings auch für Jahrzehnte die einzige nennenswerte Reformmaßnahme des Fürstentums, die wohl nicht ohne den Druck Napoleons hätte durchgesetzt werden können. Anders als in Hannover wurde diese Maßnahme auch nicht mehr rückgängig gemacht.[16]

Aber nicht nur die Regierung wollte sich wohlwollend den Franzosen gegenüber verhalten, sondern auch die Bevölkerung war dazu angehalten, sich gegenüber den Franzosen möglichst neutral zu verhalten, in der Hoffnung dann auch als solche neutralen Personen behandelt zu werden. Doch konnte man sich deren indirekten Druck dennoch nicht entziehen. Das Verhältnis mit der Großmacht war allerdings nicht ganz so einseitig, wie es schien. Standen auf Seiten Schaumburg-Lippes die staatlichen Belastungen zu Buche, ging auch Frankreich auf das kleine Fürstentum zu. So wurde man zwar verpflichtet Teile der französischen Truppen einzuquartieren, wurde aber gleichzeitig versichert, Napoleon würde die eigenständige Haltung Schaumburg-Lippes respektieren.[17] Eine solche Garantie Napoleons war natürlich mit Vorsicht zu genießen, da der Feldherr nicht selten seine Meinung änderte und sich auch über Verträge hinwegsetzte, wie es sich auch in der eigenmächtigen Aufnahme Schaumburg-Lippes in den Rheinbund zeigen sollte. Denn da verstieß Napoleon gegen Art. 39 der Rheinbundakte, der besagte, dass die Entscheidung über neue Mitglieder des Rheinbundes gemeinsam und in Abstimmung mit anderen Mächten getroffen werden müsste, dies aber faktisch nicht tat.[18] Trotz dieses Wohlwollens wurden dem Land hohe Lasten aufgebürdet. Nicht nur die Einquartierungen, sondern auch Naturalabgaben oder die Bereitstellung von Arbeitern wurde gefordert.[19]

Dem Landesherren gelang es allerdings, die Souveränität des Landes zumindest formell aufrecht zu erhalten. Wenngleich diese vom Wohlwollen Napoleons abhing.[20] Seitens Schaumburg-Lippes sah man in der Aufnahme in den Rheinbund allerdings auch eine weitere Sicherung der eigenen Souveränität.[21]

Als dann das Königreich Westphalen gegründet wurde, war Schaumburg-Lippe förmlich eingekreist. Als die Franzosen auch Hannover in ihren Besitz gebracht hatten, war Schaumburg-Lippe ringsum von besetzten Ländern umgeben, die wie üblich nach französischem Vorbild verwaltet wurden.[22] Eine Anpassung der schaumburg-lippischen Politik an die Verhältnisse des großen Nachbarn schien unvermeidbar. Wobei seine geringe Größe das Departementsystem ausschloss.[23]

Die Aufnahme Schaumburg-Lippes in den Rheinbund hatte keine Änderung des Besitzumfanges zur Folge, wie bei so vielen anderen Staaten.[24] Die gewollt neutrale Haltung hatte also bei Beitritt keinerlei Eingriffe in das Staatsgefüge zur Folge.[25] Mit dem Beitritt erfolgte auch die Erhebung der Grafschaft Schaumburg zu einem Fürstentum. In Folge dessen schien es Georg Wilhelm auch angemessen, bei Napoleon um die Führung des Fürstentitels zu bitten.[26] Zwar wurde dem nicht ausdrücklich zugestimmt, doch nannte sich Georg Wilhelm mangels gegenteiliger Aussage Napoleons fortan „Regierender Fürst zu Schaumburg-Lippe“.[27]

In der Folge machte sich aber der politische Wille Napoleons immer mehr bemerkbar. Zwar wurden die jeweiligen Fürsten als Souveräne anerkannt, doch ließen Napoleons Pläne eines vereinigten Europas unter französischer Herrschaft eine wirkliche Eigenständigkeit nicht zu.[28] Besonders die Einführung des Code Civil lag ihm am Herzen, da sich durch ein gleiches Rechtssystem, in seinen Augen, auch eine gleiche soziale Weltanschauung entwickeln sollte.[29] Auch in Schaumburg-Lippe wurden 1808 die Diskussionen um die Einführung des französischen Gesetzbuches angestoßen. Nicht, dass das kleine Fürstentum im Zweifel eine Wahl gehabt hätte, wollte man sich doch schon vor einer erzwungenen Einführung mit dem Thema auseinandersetzen. Die Meinungen, ob es die eigenen Gesetze ersetzen, oder als Hilfsgesetzbuch dienen sollte, gingen auseinander, wobei Schaumburg-Lippe zunächst überhaupt keine Aufforderung zur Annahme des Gesetzes bekam.[30] Napoleon richtete sich nämlich in erster Linie an die großen Länder, sodass für Schaumburg-Lippe noch länger Zeit blieb, sich darüber Gedanken zu machen. Diese Diskussionen wurden allerdings von der Zeit und den politischen Entwicklungen Europas eingeholt. Georg Wilhelm sah zunehmend, dass sein Land nicht mehr wirklich von dem französischen Einfluss bedroht war und änderte seine Haltung zunehmend gegen die Franzosen, sodass der Code Civil und andere französische Gesetze schlussendlich nicht in Schaumburg-Lippe eingeführt wurden.[31] Die Einmischung Napoleons wurde also deutlich, auch wenn er die Souveränität vermeintlich achtete, stellten diese Vorgehensweisen immer wieder einen Angriff auf die Souveränität Schaumburg-Lippes dar.[32] Nicht zuletzt war die mit Mühe gewahrte Souveränität aber auch nie ohne das Wohlwollen Frankreichs möglich gewesen.[33]

II. Schaumburg-Lippe und der Deutscher Bund 1. Allianz gegen Frankreich

Ende 1812 koalierte Preußen mit Russland und leistete damit einen erheblichen Beitrag zur militärischen Niederlage Frankreichs und Napoleons.[34] Der Sieg der europäischen Koalition gegen Napoleon in der Völkerschlacht bei Leipzig läutete das Ende der Herrschaft Napoleons ein und bewirkten die Auflösung des Rheinbundes und der französischen Vorherrschaft.[35] Dies war auch für Fürst Georg Wilhelm Grund genug endgültig die Fronten zu wechseln und um das Protektorat bei Österreich, Russland und Preußen zu bitten.[36] Diesem Ansinnen stand man seitens der Großmächte offen gegenüber. Man war überjeden Partner froh, der sich ebenfalls gegen Napoleon stellen wollte. Nur stand der damals zuständige Minister von Berg, der sich um die Vertragsverhandlungen kümmern sollte, bei der Unterzeichnung vor einer nicht allzu schwierigen Wahl. Ihm und Schaumburg-Lippe wurde ein Akzessionsvertrag, also die

Annahme ihres Gesuches, angeboten, dessen Inhalt allerdings nicht verhandelbar war. Die Alternative wäre die Eroberung und die Übernahme der Staatsgewalt Schaumburg- Lippes gewesen. Nicht zuletzt auch unter den immer wieder vorherrschenden und angestrebten Prinzip der Souveränität, ließen diese Alternativen von Berg keine echte Wahl. Er unterzeichnete den Vertrag, da er glaubte, dass nur so die eigene Stellung Schaumburg-Lippes noch zu retten sei.[37] Mit dem Austritt aus dem Rheinbund und der Aufnahme in die Allianz gegen Frankreich, war es Schaumburg-Lippe einmal mehr gelungen, seine Eigenständigkeit zumindest einigermaßen zu bewahren.[38]

2, Deutscher Bund

Mit der Niederlage Frankreichs war eine Neuordnung Europas von Nöten. Über die Machtinteressen und die Souveränitätsansprüche wurde auf dem Wiener Kongress monatelang verhandelt.[39] Nachdem man sich einigen konnte, wurde die „Deutsche Bundesakte“ ausgearbeitet und am 19. Juni 1815 feierlich besiegelt.[40] Damit war die Ordnung in Europa wiederhergestellt. Im sogenannten „Bundestag“ des deutschen Bundes hatten die großen Staaten eine eigene Stimme, während die Stimme von Schaumburg-Lippe mit Hohenzollern, Liechtenstein, Reuß, Lippe und Waldeck zusammengezogen wurde.[41]

Schaumburg-Lippe gehörte zu den ersten Fürstentümern die dem neuen Deutschen Bund beitraten.[42] Als Mitglied des Deutschen Bundes stellte Schaumburg-Lippe auch militärisch Hilfe zur Verfügung. Dies geschah in Form von zwei Jäger-Kompanien, bestehend aus 240 Mann und einer 120 Mann starken Reserve, die 1849 auch nach Schleswig-Holstein zum Krieg gegen Dänemark geschickt wurden, 1859 die Bundesfestung Luxemburg bemannten und nach Auflösung des Bundes im Jahr 1866 komplett in die Befehlsstruktur des preußischen Staates überging.[43]

D. VERFASSUNGSENTWICKLUNG

I. Entwicklung der Verfassung um 1816

Im 19. Jahrhundert unterlag Schaumburg-Lippe mehreren Phasen in seiner Verfassungsentwicklung und dem damit verbundenen Landtag. Beginnend mit der sogenannten Verfassung von 1816, über den „revolutionären“ Landtag von 1848/49 und schließlich mit dem von 1867 bzw. 1869.[44] Nach der Niederlage Napoleons trat in Wien ein Kongress zusammen, der die Neuordnung Europas beraten und regeln sollte. Zu diesem Kongress, entließ auch Fürst Georg Wilhelm zu Schaumburg-Lippe seinen Abgesandten, den aktuellen Regierungspräsidenten von Berg.[45] Von Berg beteiligte sich an den Diskussionen und brachte besonders den Aspekt der Beteiligung der Bevölkerung ins Spiel. Die Regierungen der letzten Jahrhunderte, die sich über die Belange der Bevölkerung hinwegsetzten, hatten nicht zuletzt zu den Unruhen des frühen 19. Jahrhunderts geführt. In Wien standen sich zwei Meinungen gegenüber. Die einen, die die alten landständischen Verfassungen wieder aufleben lassen wollten, und die, die mehr Beteiligung für die Bevölkerung vorsah. Auch aus der Gefahr heraus, sie würde sich diese Rechte bald selbst nehmen.[46] Zu dieser fortschrittlichen Gruppe gehörte auch von Berg. Über die genaue Vorgehensweise, wie man dies bewerkstelligen solle, war man sich aber schlussendlich nicht im klaren, sodass man in der Bundesakte mit dem Kompromiss verblieb, in Art. 13 eine allgemeine Formulierung festzuhalten, dass „in allen Bundesstaaten [...] eine landständische Verfassung stattfinden [solle]“. Die Durchführung dieser Verfassung sollte dannjedem Staat selbst überlassen bleiben.[47] Mit Beschluss des Wiener Kongresses und der Bundesakte, machte sich von Berg sogleich an die Umsetzung des Art. 13 Bundesakte. Um eine passende Lösung für sein kleines Fürstentum zu finden, studierte er zunächst die Vergangenheit der Landstände, um deren Rolle besser einordnen zu können. Obgleich er der Meinung war, dass die Landstände noch eine Rolle spielten, waren sie kaum existent, da nach der Teilung der Grafschaft[48], im Prinzip nur noch die Ritterschaft und die Städte übrig blieben, die für sich nicht die Rolle der Vertreter der Landbevölkerung in Anspruch nehmen konnten.[49]

Aus diesen grundsätzlichen Gedanken erarbeitete von Berg die Zahl und Art der Vertreter des dritten Standes und definierte Zusammensetzung und Rechte des neuen Landtages.[50] Die Einbeziehung aller Volksgruppen war essentiell geworden, da es nach dem Wiener Kongress in Deutschland nahezu unmöglich geworden war, die öffentliche Meinung in politischen Fragen zu ignorieren.[51]

Mit einigen weiteren Verbesserungen und nach weiteren Beratungen wurde der Entwurf von Bergs am 15. Januar 1816 veröffentlicht. Wenn auch „Verordnung“ genannt, bleibt die Verfassung in ihrer Ausführung sehr knapp und vage.[52] Schaumburg-Lippe gehörte damit aber zu den Staaten des Deutschen Bundes, die schon früh, nämlich 1816, mit der Einführung einer eigenen landständischen Verfassung, eine wichtige Bedingung der Bundesakte erfüllte.[53] Der erste Landtag, der auf Basis dieses ersten Entwurfes gewählt wurde, trat dann am 3. März 1816 zusammen.[54]

1. Inhalt

a) Wahlrecht

In dieser zwar kurzen, nur elf Artikel umfassenden, aber neuen Verfassung, war mit dem Wahlrecht auch ein ganz entscheidender Teil geregelt. Dass die Rittergüter und die Städte und Flecken, Vertreten durch Deputierte, daran Anteil hatten, war selbstverständlich. Durch die neue Verfassung hatte, nicht zuletzt auch dank von Berg, erstmals auch die Bauernschaft Vertreter in den Landtag schicken können, in dem bisher nur die Vertreter der Ritterschaft und der Städte waren.[55] Der dritte Stand der Bauern erhielt aber kein Wahlrecht im heutigen Sinne, sondern ernannte Wahlmänner, die wiederum ihrerseits ihre eigenen Abgeordneten in den Landtag wählten.[56] Die Sitzverteilung gestaltete sich wie folgt:

Die Ritterschaft erhielt fünf Sitze (ca. 33 %), deren Vertreter gem. § 5 mindestens 25 Jahre alt sein mussten, sich aber auch durch einen Bevollmächtigten des gleichen Standes haben vertreten lassen dürfen. Die Städte und Flecken[57] erhielten vier Sitze (ca. 27 %), deren Vertreter aus dem Kreise der Magistrate[58] oder der Bürgerschaft ernannt werden sollten. Die Ämter von Bückeburg, Stadthagen, Hagenburg und Arensburg, also die Vertreter der Landbevölkerung, insgesamt sechs Sitze (ca. 40 %). Deren Abgeordnete hatten allerdings wesentlich höhere Anforderungen. So mussten sie mindestens 30 Jahre alt und Besitzer eines Bauerngutes sein, sowie den Militärdienst absolviert und einen unbescholtenen Lebenslauf haben. Sie wurden allerdings nicht von der Bevölkerung gewählt, sondern wie angesprochen von Wahlmännern, die wiederum selbst Grundeigentümer sein mussten. Dies zeigt, dass man zu dieser Zeit seitens der Regierung noch nicht bereit war, es dem bäuerlichen Stand möglichst einfach zu machen, sondern machte es ihnen durch diese höheren Anforderungen besonders schwer und schränkte auch die möglichen Wahlkandidaten stark ein.

Bückeburg bekam 17 Wahlmänner zugesprochen, Stadthagen 19, Hagenburg elf und Arensburg fünf. Diese stimmten gem. § 9 relativ geheim mittels „verschlossenen Zetteln“ über ihre Abgeordneten ab. Nach dem Wahlgang wurden die Stimmen offen ausgesprochen und die Deputierten bekanntgemacht, die dann in den Landtag ziehen durften. Angesichts dieses Prozederes kann also nicht ernstlich von einer geheimen Wahl, schon gar nicht im heutigen Sinne, gesprochen werden.

Der erste schaumburg-lippische Landtag umfasste also 15 Abgeordnete, in dem der Bauernstand eine relativ schwache Gruppe bildete.[59] Die Zusammensetzung des Landtags spiegelte dafür die gesellschaftliche Situation wider. 44 % der Abgeordneten waren Landwirte, ca. 17 % Beamte, je 11 % Handwerker und Selbstständige. Die übrigen 17% entfielen auf den Adel, der aber nur selten an Sitzungen und der politischen Willensbildung teilnahm, somit aber auch mehr Platz und Freiraum für die bäuerlichen Aktivitäten schuf.[60]

Dieser neu gewählte Landtag sollte gemäß § 11, zumindest gemäß des Wortlautes der Verfassung, jährlich tagen, wozu es am 3. März 1816 erstmals kam. Der Landtag trat in Bückeburg zusammen, wurde dann aber bis zum 20. Mai des Jahres pausiert und trat dann in Stadthagen wieder zusammen. Dieser Ortswechsel wurde mit der zentraleren geographischen Lage von Stadthagen begründet.[61]

[...]


[1] Fischer, Rheinbundpolitik, S.18.

[2] Hauptmeyer, Souveränität, S. 77.

[3] Stieglitz, in: Höing, Ständestaat, S. 25.

[4] Schneider, Verhältnisse, S. 167.

[5] Stieglitz, in: Höing, Ständestaat, S. 24.

[6] Schneider, Verhältnisse, S. 165.

[7] Wiegmann, Heimatkunde, S. 155.

[8] Stieglitz, in: Höing, Ständestaat, S. 24.

[9] Schneider, Verhältnisse, S. 170.

[10] Fischer, Rheinbundpolitik, S. 17.

[11] Wiegmann, Heimatkunde, S. 273.

[12] Schneider, Verhältnisse,S.177.

[13] Schneider, Verhältnisse,S.176.

[14] Ebd., S. 177.

[15] Wiegmann, Heimatkunde, S. 275.

[16] Rothe,Gesellschaft, S. 148.

[17] Fischer, Rheinbundpolitik, S. 18.

[18] Ebd., S. 35.

[19] Ebd., S. 19.

[20] Schneider, Verhältnisse,S.175.

[21] Fischer, Rheinbundpolitik, S.35.

[22] Ebd., S. 21.

[23] Schneider, Verhältnisse, S. 176.

[24] Ebd., S. 175.

[25] Fischer, Rheinbundpolitik, S.21.

[26] Ebd., S. 36.

[27] Ebd., S. 38.

[28] Ebd., S. 46.

[29] Ebd., S. 47.

[30] Fischer, Rheinbundpolitik, S. 49.

[31] Ebd., S. 51.

[32] Ebd., S. 53.

[33] Schneider, Verhältnisse,S.177.

[34] Müller, Bund, S. 2.

[35] Fischer, Rheinbundpolitik, S. 71.

[36] Ebd., S. 73.

[37] Fischer, Rheinbundpolitik, S. 74.

[38] Ebd., S. 74.

[39] Müller, Bund, S. 2.

[40] Ebd.

[41] Kimminich, Verfassungsgeschichte, S. 323.

[42] Ebd., S. 321.

[43] Wiegmann, Heimatkunde, S. 274.

[44] Schneider, Verhältnisse, S. 145.

[45] Lathwesen, Abgeordnete, S. 1.

[46] Ebd., S. 3.

[47] Ebd., S. 3.

[48] Nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde die Grafschaft Schaumburg 1647 in einen hessischen Teil, der Grafschaft Schaumburg, und einen lippischen Teil, der Grafschaft Schaumburg-Lippe, geteilt.

[49] Lathwesen, Abgeordnete, S. 4.

[50] Lathwesen, Abgeordnete, S.5.

[51] Bethmann, in: Höing, Ständestaat, S. 90.

[52] Schneider, Verhältnisse, S. 147.

[53] Ebd., S. 147.

[54] Wiegmann, Heimatkunde, S. 275.

[55] Ebd., S. 275.

[56] Lathwesen, Abgeordnete, S.5.

[57] „Fleck“ ist eine historische Bezeichnung für eine kreisangehörige Gemeinde.

[58] Als Magistrate bezeichnete man in der damaligen Zeit höhere Amtsträger.

[59] Schneider, Verhältnisse, S. 148.

[60] Ebd., S. 149.

[61] Lathwesen, Abgeordnete, S.7.

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Die Verfassungsentwicklung von Schaumburg-Lippe im 19. Jahrhundert
Hochschule
Universität Bielefeld
Note
14
Autor
Jahr
2015
Seiten
30
Katalognummer
V383423
ISBN (eBook)
9783668587472
ISBN (Buch)
9783668587489
Dateigröße
3287 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
verfassungsentwicklung, schaumburg-lippe, jahrhundert
Arbeit zitieren
Wolfram Völker (Autor:in), 2015, Die Verfassungsentwicklung von Schaumburg-Lippe im 19. Jahrhundert, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/383423

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