Elemente des Politikauftrags bei Aristoteles. Der Zweck des Staates ist das Glück


Seminararbeit, 2015

14 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Staat
2.1. Polis
2.2. Staatsformenlehre
2.3. Demokratiekritik
2.4. Mesotes

3. Glück - Ethik, Erziehung, Eudaimonia

4. Fazit

5. Literatur
5.1. Primärliteratur
5.2. Sekundärliteratur

1. Einleitung

Spätestens mit den nicht enden wollenden Krisenwellen der vergangenen Jahre, in denen die Regierungen ganzer Kontinente die Rettung von als systemrelevant geltenden Banken und Finanzdienstleistern auf Kosten der Steuerzahler beschlossen, erstarkte das Begehren nach einer Antwort auf die Frage, wer wem zu dienen habe: der Mensch dem Staat oder der Staat dem Menschen.

Die Menschen selbst haben sich geschaffen, wogegen sie nun aufbegehren, aber ein Neuanfang scheint zu schwierig und mit zu vielen Gefahren verbunden, als dass man vom bisherigen Irrwege ablassen würde. Und dennoch ist es angebracht, um nicht zu sagen absolut notwendig, die Rolle des Menschen neu zu definieren: Sollten sich unsere Institutionen unserem freiheitlichen Verlangen nicht unterordnen statt wir uns ihnen? – Es ist erstaunlich, dass Aristoteles vor über 2300 Jahren klare Aussagen traf, die heutige Fragen zu beantworten helfen. Eine seiner Grundaussagen lautet: Der Zweck des Staates hat das Glück seiner Bürger zu sein. Zunächst scheint dabei der Einwand angebracht, dass Aristoteles eine globalisierte, wirtschaftlich verflochtene Welt nicht bekannt war, und dass es daher ein Unding wäre, seine Philosophie aufs Heute zu übertragen. Auch wenn den Theorien des Aristoteles eine Zeitlosigkeit zu unterstellen durchaus angebracht ist, müssen die in dieser Arbeit vorzunehmenden Betrachtungen in die kausalen Umstände seiner Epoche eingebettet werden, um ein genaueres Verständnis für die Motivation seiner Ansichten zu erlangen.

Diese Arbeit soll sich dann der Klarstellung widmen, welche Fundamente Aristoteles für einen guten Staat definierte, welche Maximen seiner Ansicht nach über der Politik zu stehen haben und inwieweit besonders die Eudaimonia den Praxischarakter seiner Philosophie und die Konzentration auf das Individuum untermauert.

Aristoteles hat in seiner „Nikomachischen Ethik“ Fundamente des individuellen Lebens gelegt, die er in seiner „Politik“ im Lebensraum der Polis weiter ausleuchtet, weswegen neben der „Politik“ auch die „Ethik“ einen starken Einfluss auf diese Arbeit hat

Der Staat ist für Aristoteles eine Vereinigung von Individuen, die nach einem ordnenden Überbau verlangen, da nur dieser Überbau ein Garant für Gerechtigkeit, ein Garant für die Erlangung des Glücks ist. Auch hier bildet der Mensch den Fixpunkt der aristotelischen Betrachtungen, weswegen jedes Kapitel dieser Arbeit von der Bezugnahme geprägt ist, das politische Abstraktum auf das individuelle Begehren und Ziel herunterzubrechen: das Streben nach Glück.

2. Staat

2.1. Polis

Athen war zur Zeit des Aristoteles ein demokratischer Stadtstaat, Polis genannt.[1] Männer, Frauen, Kinder, Fremde (Metöken) und Sklaven stellten die Bevölkerung, allerdings galt nur etwa ein Drittel von ihnen als (Voll-)Bürger, womit ihnen der Zugang zu Ämtern, Wahlen oder Gesetzgebung möglich war. Die neue Besetzung dieser Ämter erfolgte in Regelmäßigkeit, wobei beispielsweise das Losverfahren galt. Erwachsene Männer ab einem mittleren Erwachsenenalter, die kriegsdiensttauglich waren und eingesessenen Familien entstammten, konnten alle politischen Privilegien genießen. Der Rest der Bevölkerung hatte kein Mitspracherecht (Frauen und Kinder), galt als geduldet (Metöken) oder war Besitztum (Sklaven).

Bereits an dieser oberflächlichen Beschreibung der Partizipationsmöglichkeiten der Bürger und ihrer Einteilung in Klassen lässt sich erkennen, wie fortgeschritten und umfassend diese frühen Demokratien angelegt waren, wobei natürlich auch deutlich wird, was Wolfgang Merkel und Aurel Croissant feststellen: es waren „hochgradig defekte Demokratien“[2], und Ausgrenzung, Menschenrechtsverletzungen und Mitbestimmungsmängel waren nicht nur Folge, sondern Voraussetzungen dieser Staatsform. So galt meist nur als Vollbürger, wer Sklaven sein Eigen nennen konnte. Vorteilhaft erscheint wiederum die permanente direkte Beteiligung der Wahlbürger Athens, die nicht – wie heutzutage in parlamentarischen Demokratien üblich – nur alle paar Jahre ihre Stimme abgaben, sondern „tatsächlich und jederzeit alle Entscheidungen in ihren Händen“[3] hielten. – Heinrich von Treitschke bezeichnete die antiken Demokratien als Oligarchien oder Massenaristokratien.[4]

2.2. Staatsformenlehre

Im Rahmen der Staatsformenlehre widmet sich Aristoteles auf Basis quantitativer und qualitativer Bewertungshorizonte den verschiedenen empirisch beobachteten Herrschaftsformen jener Zeit, die er auf die Frage hin, welche von ihnen am besten sei, untersuchte. Ziel der Staatsformenlehre ist die Ermittlung der besten Verfassung, die als verbindender Überbau die Glücksgarantie manifestiert; sie ist als größter Baustein der aristotelischen Glücksermittlung zu werten, da das Individuum nur durch den staatlichen Überbau die Freiheit erhalten kann, sich zu entfalten.

Zunächst erkennt Aristoteles an, dass jeder Staat infolge kausaler, lokaler oder temporärer Bedingungen und Bedürfnisse das Recht haben sollte, die angemessene bzw. „passende“ Herrschaftsform zu etablieren. Wolfgang Leidhold bezeichnet das als „Aktualisierung des Menschen und seiner Gemeinschaften“[5]. Mit dieser Anerkenntnis des Aristoteles wird sein Pragmatismus deutlich, der aus der völligen Unterordnung seines Denkens unter das Streben nach Glück, das ein Staat ermöglichen muss, entsteht.

Als Staatszweck definiert Aristoteles die Ermöglichung des guten Lebens aller Bürger; sofern eine Staatsverfassung dieses Streben zu verwirklichen hilft, verortet er sie als „gut“. Seine empirische Auswertung antiker Regierungsformen bildet daher nur den Ausgangspunkt einer normativ-analytischen Durchleuchtung; abgebildete und besprochene Beobachtungen in Bezug auf verschiedene Staatsformen gehen über in die Findung eines Idealstaats.

Anders als Platon sieht Aristoteles in der Affinität des Menschen zur Gemeinschaftsbildung keine Schwäche des Einzelnen, sondern eine konstitutionelle Neigung des Sozialwesens. Der Mensch ist ein zoon politicon, ein politisches Wesen, und nur im Staat kann sich Glück verwirklichen. Hier gilt Interdependenz: Der Staat hat das Ziel, die Grundlage des guten Lebens seiner Bürger zu gewährleisten, und diese Bürger wieder ermöglichen erst diesen Glücksstifter.

Menschen leben in einer politischen Gemeinschaft, in der sie gemeinsam nach einem Guten streben. Eberhard Braun betont den Mehrwert des Ganzen, der höher zu bewerten ist als das Gute für den Einzelnen.[6] Mit der Ethik wird das Gute definiert, mit ihr wird die Grundlage für das Gute für die Polis gelegt, mit der sich dann die praktische Philosophie beschäftigt: „Mag [aber] auch das Gute dasselbe sein für den Einzelnen und den Staat, so scheint es doch größer und vollkommener zu sein, das Gute für den Staat zu greifen und zu bewahren; erfreulich ist es zwar schon bei einem einzigen Menschen, schöner und göttlicher aber für Völker und Staaten.“[7] – Es darf angenommen werden, dass für Aristoteles die Vervollkommnung des Einzelnen im Fokus stand, er eine Potenzierung der Vollkommenheit durch Absorption auf Staatsebene jedoch durchaus bewillkommnete.

Die Zahl der Regierenden mit der Frage, wie viele Bürger Anteil an der Herrschaft haben, und die Praxis des Herrschens mit der Frage, ob einem gemeinsamen Nutzen gedient wird, sind die beiden Schlüsselkomponenten in der Beurteilung einer Staatsform. „Richtig“ oder „gut“ ist eine Herrschaftsform dann, wenn der gemeinsame Nutzen verfolgt wird, „verfehlt“ oder „entartet“, wenn der Vorteil der Herrscher die Vorteile der Beherrschten überwiegt.[8] – Gut und richtig sind die Monarchie als staatlich sanktionierte Inkarnation der väterlichen Herrschaft in der Hausgemeinschaft, die Aristokratie und die Politeia. Letztere ergibt sich, wenn „das Volk den Staat zum gemeinen Besten verwaltet“[9]. Schlecht sind die Tyrannei als allein dem einzelnen Herrscher nützendes Staatskonstrukt, die Oligarchie, die einzig dem „Vorteil der Reichen“[10] genügt, und die Demokratie, die arme Bürger zu ihrem Vorteil, aber nicht für das Allgemeinwohl nutzen.[11]

2.3. Demokratiekritik

Warum gerade die Demokratie von Aristoteles als für das Glücksstreben ungeeignet angesehen wird, ist heute nicht mehr sofort nachvollziehbar. Christian Schwaab benennt Aristoteles‘ Hauptkriterium der Ablehnung der Demokratie: die „unzulässige Generalisierung von Rechtsansprüchen“[12]. „Der fundamentale normative Irrtum der Demokratie“ bestehe darin, aus Freiheit bzw. aus Gleichheit qua freier Geburt den Anspruch auf gleichberechtigte politische Teilhabe abzuleiten.“[13] Für Aristoteles sagen weder Reichtum, noch Geburt etwas über die Tugendhaftigkeit eines Menschen aus; Tugendhaftigkeit aber ist das entscheidende Kriterium der politischen Gerechtigkeit.[14] Dazu Christian Schwaab: „Gleiches gleich zu behandeln und Ungleiches ungleich, dieser zentrale Gerechtigkeitsgrundsatz wird verfehlt, wenn die Ungleichheit der Tugendhaftigkeit keinen Niederschlag findet in entsprechender politischer Ungleichheit.“[15]

Aristoteles‘ Umgang mit der Gerechtigkeit, die doch den Staatszweck der Ermöglichung der Glückseligkeit erst garantiert, mag im Hinblick auf die Demokratie erst verwundern: Hier herrscht seiner Ansicht nach deswegen keine Gerechtigkeit, weil alle Menschen als per se gleich anerkannt werden, statt sich gerechte Ungleichheit zu erkämpfen. Gerechtigkeit wird in der Demokratie egalitaristisch fehlinterpretiert; dass jeder Mensch leben kann, wie er will, bedeutet für Aristoteles die Gefahr der Zügellosigkeit und Animalität.[16] Gemeinschaft – und die ist der Garant der Erlangung des Glücks – benötigt Restriktion, aber „[d]ie Demokratie, so könnte man sagen, übertreibt es mit der Gleichheit“.[17]

Die aristotelische Abneigung gegen die Demokratie durchdauerte die Jahrhunderte, und noch im 20. Jahrhundert erschienen demokratische Tendenzen mitunter als anarchischer Ausdruck, als kaum zu artikulierendes Verlangen namenloser Vieler, deren Absichten weder Augenmaß, noch Langfristigkeit und Angemessenheit gehorchten. Dieser Eindruck gewann mit der Industrialisierung und geforderten Unterordnung des Individuums an Gewicht.

[...]


[1] Zur Biographie des Aristoteles: Aristoteles wurde 384 v. Chr. in Makedonien geboren. Mit siebzehn Jahren kam er als Lernender und Lehrender in die platonische Schule nach Athen, von der er sich nach dem Tode des Meisters löste. Ab 343 v. Chr. war er für mehrere Jahre am makedonischen Königshof und unterrichtete dort vermutlich Alexander den Großen. Zurück in Athen gründete er seine eigene Schule, war aber weiterhin ein Fremder in der Stadt, ein geduldeter Metöke. 338 v. Chr. zerschlug der makedonische König Athen als selbstständige Polis. Ein Aufstand gegen die Besatzer schlug fehl und Aristoteles musste die Stadt 323 v. Chr. verlassen, weil er hier als Anhänger der Besatzer galt. Er kam auf der Insel Euböa unter, wo er kurz darauf verstarb. Sein Werk „Politik“ geht auf zwischen 345 und 325 v. Chr. entstandene Manuskripte zurück und ihr Hauptgegenstand ist die attische Demokratie von den Reformen des Kleistenes bis zum Beginn der Makedonierherrschaft im auslaufenden dritten vorchristlichen Jahrhundert.

[2] Begriffsprägung in Merkel, Wolfgang und Croissant, Aurel: Consolidated or Defective Democracy? Problems of Regime Change. Democratization Journal 11/8 (2004).

[3] Dahlheim, Werner: Die Antike. Griechenland und Rom von den Anfängen bis zur Expansion des Islam. Paderborn 1994. Hier S.197.

[4] Treitschke, Heinrich von: Politik. Vorlesungen, gehalten an der Universität zu Berlin. Band 2. Hrsg. von Max Cornicelius. Leipzig 1898. Hier S.257.

[5] Leidhold, Wolfgang: Aristoteles, Politikwissenschaft und praktische Philosophie. In ders. (Hrsg.): Politik und Politeia. Formen und Probleme politischer Ordnung. Festgabe für Jürgen Gebhardt zum 65. Geburtstag. Würzburg 2000. S.423-444. Nachfolgend Leidhold. Hier S.440.

[6] Braun, Eberhard u.a. (Hrsg.): Politische Philosophie. Ein Lesebuch. Texte, Analysen, Kommentare. Reinbek 2008. Nachfolgend Braun. Hier S.51.

[7] Aristoteles: Politik. Hrsg. von Eckart Schütrumpf. Hamburg 2012. Nachfolgend Pol. Hier I 1, 1094a.

[8] Pol., III 6, 1279a.

[9] Ebd.

[10] Ebd., III 7, 1279b.

[11] Ebd.

[12] Schwaab, Christian: Demokratie und Oligarchie. In Zehnpfennig, Barbara (Hrsg.): Die „Politik“ des Aristoteles. Baden-Baden 2014. S.158-176. Nachfolgend Schwaab. Hier S.160.

[13] Schwaab, S.160f.

[14] Bien, Günther: Einleitung. In ders. (Hrsg.): Aristoteles: Politik. Hamburg 1990. S.XIII-LXI. Hier S. XXXVII.

[15] Schwaab, S.161.

[16] Mulgan, Richard: Aristotle’s Analysis of Oligarchy and Democracy. In Keyt, David und Miller, Fred (Hrsg.): A Companion to Aristotle’s Politics. Oxford/Cambridge 1991. S. 307-322. Hier S.321.

[17] Schwaab, S.164.

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Details

Titel
Elemente des Politikauftrags bei Aristoteles. Der Zweck des Staates ist das Glück
Hochschule
Universität Hamburg
Note
1,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
14
Katalognummer
V383389
ISBN (eBook)
9783668610767
ISBN (Buch)
9783668610774
Dateigröße
630 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
elemente, politikauftrags, aristoteles, zweck, staates, glück
Arbeit zitieren
Niels Menzel (Autor:in), 2015, Elemente des Politikauftrags bei Aristoteles. Der Zweck des Staates ist das Glück, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/383389

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