Wie hat sich das deutsche Sozialsystem nach der Hartz IV-Reform verändert?

Eine Betrachtung Deutschlands als konservativer Wohlfahrtsstaat?


Hausarbeit, 2015

15 Seiten, Note: 2,7

Anonym


Leseprobe


1. Einleitung

2. Theorie
2.1 Was heißt eigentlich Wohlfahrtsstaat?
2.2 Klassifikationen

3. Empirie
3.1 Deutschland - Ein konservativer Wohlfahrtsstaat
3.2 Hartz IV
3.3 Deutschland - Ein konservativer Wohlfahrtsstaat?

4. Schluss

5. Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Die Entwicklung des Wohlfahrtsstaates bzw. der Aufbau umfassender sozialer Sicherungssysteme zählt unbestritten zu den grundlegenden Errungenschaften, die die europäischen Gesellschaften auf ihrem Weg ins 20. Jahrhundert hervorgebracht haben.1 “ In unserer Gegenwart erscheint der deutsche Sozialstaat gefangen zwischen „der alten sozialstaatlichen Mitte, die Reformbedarf anerkennt, aber reformpolitisch zaudert, einem markigen, aber oft nicht weniger hilflosen Marktliberalismus und einem neuen Sozialpopulismus.“2 Deshalb ist es so interessant sich mit dem Thema „Sozialstaat“ auseinanderzusetzen und seine Struktur, Themen und Instrumente näher kennenzulernen.

Wie hat sich das deutsche Sozialsystem nach der Verabschiedung der Hartz IV-Gesetze verändert? Diese Arbeit zielt darauf ab dem Leser diese Frage zu beantworten und gibt einen gewissen Einblick in die historische Entstehung des deutschen Sozialstaats und die Typologie des Begriffes Wohlfahrtsstaat. Im Mittelpunkt stehen das soziale System Deutschlands und die Frage ihrer Typologisierung in Bezug auf Esping-Andersen Unterscheidung.

Zuerst sollen die theoretischen Ansätze dieser Arbeit erläutert werden. Mit dem Begriff des Wohlfahrtsstaates, sowie mit den Problemen dessen Bestimmung beschäftigt sich das erste Kapitel. In dem nächsten Teil soll über die Unterscheidung der Sozialstaaten in drei Typen nach Gøsta Esping-Andersen gesprochen werden, und zwar in den liberalen, konservativen und sozialdemokratischen. Dieser Teil soll dem Leser helfen diesen Typen zu systematisieren und zu einer klaren Konzeption von Wohlfahrtsstaat zu kommen. Das zweite Kapitel soll einen Überblick über den Prozess der Entwicklung des sozialen Systems in Deutschland und insbesondere dessen Veränderung nach dem Hartz IV. Hier werden zuerst die historischen Aspekte betrachtet. Danach wird das soziale System der Bundesrepublik Deutschland vor und nach Hartz IV verglichen. Zum Schluss wird dieser Vergleich in Bezug auf theoretischer Ansätze dieser Arbeit zusammengefasst.

Als eine Hauptquelle für diese Arbeit wurde die Monografie „Wohlfahrtsstaaten im Vergleich. Soziale Sicherung in Europa: Organisation, Finanzierung, Leistungen und Probleme“ von Josef Schmid, Professor der Politikwissenschaft an der Universität Tübingen benutzt. In seinem Lehrtext beschäftigt er mit der Frage, wie die unterschiedliche Sozialsysteme in unterschiedlichen Ländern Europas funktionieren und untersucht einzelne Fälle in Zusammenhang mit den theoretischen Aspekten (z.B. die Wohlfahrtsstaatstypologie von Esping-Andersen). Als eine weitere Hauptquelle wurde der Aufsatz von Wilhelm Adamy „Hartz IV - Achillesferse der Arbeits- und Sozialhilfepolitik“ genommen. Es beschreibt die ganze Hartz IV-Reform und zwar ihre Ansprüche, Instrumente, Implementierung der Gesetze und erläutert unterschiedliche kritische Meinungen daran. Er stellt auch viele Für- und Gegenargumente, die damit helfen, das Konzept dieser Reformen und ihre Wirkungen besser zu verstehen. Es wurden auch unterschiedliche Internetquellen benutzt, zum Beispiel die Artikel aus der Süddeutschen Zeitung, Bundeszentrale für politische Bildung und der Infoblatt von dem Klett-Verlag.

2. Theorie

2.1 Was heißt eigentlich Wohlfahrtsstaat?

Es kommt in den Geisteswissenschaften oft vor, dass die Suche nach einer allgemeingültigen Definition eines bestimmten Begriffes schwer fällt oder geradezu unmöglich ist. Das betrifft auch den Begriff des Wohlfahrtsstaates. Dafür kann man unterschiedliche Gründe aufführen. Erstens, das Problem der sprachlichen Vielfalt: auf Grund verschiedener politischer, kultureller und auch geschichtlicher Entwicklungen sind mehrere Synonyme dieses Begriffes entstanden. Zum Beispiel „Sozialstaat“, „Sozialpolitik“ oder „Volksheim“. Ein weiterer mögliche Ursache sind die unterschiedlichen sozialpolitischen Schwerpunkte, die sich im 20. Jahrhundert in den Westlichen Demokratien etabliert haben. Beispielweise, beschäftigt sich das deutsche Sozialsystem mit der Arbeitsfrage, während in Großbritannien die Armenfrage und in Frankreich die Familienfrage im Vordergrund steht. Deshalb existieren heutzutage vielfältige Vorstellungen des Wohlfahrtsstaates und infolgedessen Unterschiede in der Umsetzung sozialstaatlichen Maßnahmen in den einzelnen Ländern.3

Duden Wirtschaftslexikon gibt folgende Bezeichnung für einen Wohlfahrtsstaat:

Das ist ein Staat, der durch umfassende Vorsorgeeinrichtungen (z.B. gesetzliche Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung) und geeignete sozialpolitische Maßnahmen (z.B. staatliche Förderung von Ausbildung und Umschulung oder Wohngeld), eine staatliche Förderung der Vermögensbildung (z.B. Arbeitnehmersparzulage, Wohnungsbauprämien) sowie soziale Steuervergünstigungen (z.B. Abzug von Vorsorgeaufwendungen vom steuerpflichtigen Einkommen) und ein umfassendes Angebot öffentlicher Infrastruktur (z.B. Bildungs- und Freizeiteinrichtungen) eine hohe soziale Sicherung und Daseinsvorsorge seiner Bürger anstrebt.4

Im Politiklexikon (Schubert, Klaus/Martina Klein) wird der Wohlfahrtsstaat folgendermaßen definiert: Wohlfahrtsstaat ist die Kurzbezeichnung für einen Staat, der eine Anzahl unterschiedlicher (Fürsorge-)Maßnahmen, Programme und Politiken anwendet, die der sozialen, materiellen und kulturellen Wohlfahrt der Bevölkerung dienen. Die Bezeichnung stammt aus der angloamerikanischen Politikwissenschaft (Welfare State) und wird häufig gleichlautend für den Begriff Sozialstaat verwendet, ist aber umfassender zu verstehen und wird (aus der neoliberalen Kritik heraus) in jüngster Zeit eher mit einer individuellen Bevormundung, mit Einschränkung von Eigeninitiative und Verantwortung in Verbindung gebracht als mit den (im Deutschen üblichen) Begriffen Wohlfahrt und Wohlergehen.5

Bei der Betrachtung beider Definitionen fällt auf, dass Duden Wirtschaftslexikon vor allem die Funktionen eines Wohlfahrtsstaates beleuchtet, während im Politiklexikon hauptsächlich auf die semantische Bedeutung des Begriffs angeht. Bei der genauen Analyse, kann man aber zu einem klaren Konzept von Wohlfahrtstaat kommen und sein Hauptmerkmal und die Aufgaben bestimmen. Dazu gehört also die Organisation bzw. die Implementierung der Maßnahmen, die auf den Wohlstand der Bürger abzielen. Diese bilden damit eine Basis für das soziale System eines Staates.

2.2 Klassifikationen

Wie zuvor schon angemerkt wurde, haben sich die Wohlfahrtsstaaten unterschiedlich entwickelt. Davon ausgehend hat der dänische Soziologe Gøsta Esping-Andersen drei Typen des Sozialstaates herausgegriffen6 und in einem Modell dargestellt. Er bestimmte auch drei Hauptmerkmale, oder die „relevanten Prinzipien dieses Konstrukts“7, durch welche diese sich unterscheiden lassen. Dazu zählt zuerst, der Grad der Dekommodifizierung. Das heißt, je höher dieser Grad ist, desto sicherer wird die Existenz und desto mehr ist die Entkopplung vom Einkommen der Menschen und dem Markt in diesem Staat zu betrachten. Zweites Merkmal, ist laut Andersen die Stratifizierung. Als Stratifizierung wird die Vermeidung von Ungleichheiten durch eine Strukturierung der Gesellschaft bezeichnet, sowie soziale Maßnahmen, die danach streben und ihre Wirkungen. Das letzte Merkmal ist das Verhältnis zwischen einer Familie, einem Staat und einem Markt. Die drei im folgenden Teil vorgestellten Wohlfahrtsstaatstypen werden also anhand dieser Merkmale differenziert.8

Im ersten, liberalen Wohlfahrtsstaatsmodell werden den Bürgern die Sozialversicherungssysteme und die Leistungen auf einem sehr niedrigen Niveau vorgelegt. Diese Leistungen setzen aber auch eine strikte Bedürftigkeitsprüfung voraus. Daher müssen die Betroffenen, nicht der Staat, eine Eigenverantwortung übernehmen. Die Rolle der Familie, sowie die Rolle des freien Marktes, werden hier betont. Zu diesem Modell gehören Australien, Kanada, Großbritannien, die USA und die Schweiz.

Der konservative Regimetyp ist durch eine Orientierung auf die Lohnarbeit und die soziale Versicherung gekennzeichnet. Letztere steht im Vordergrund des Systems und ist von der Stelle des Individuums im Markt abhängig. In diesem Typ sind deshalb wesentliche Statusunterschiede, sowie ein starker Einfluss der Kirchen zu betrachten. Den Dekommodifizierungsgrad kann man als „mittlerer“ zwischen den beiden Typen bezeichnen. Eine sehr große Bedeutung hat das Verhältnis zwischen Männer und Frauen, deshalb werden diese vom Staat auf verschiedene Art und Weise unterstützt. Als Beispiele für diesen Typ dienen Deutschland, Österreich und Frankreich.

Im sozialdemokratischen oder skandinavischen Wohlfahrtsstaatstyp ist das Prinzip der Universalität sehr stark ausgeprägt. Das Prinzip der Universalität garantiert allen Bürgern einheitliche Versicherungsleistungen, die durch eine hohe Qualität gekennzeichnet sind. Die daraus folgende soziale Gleichheit ist diesem Typ einzuordnen. Der Dekommodifizierungsgrad ist daher sehr hoch, was zu einem marktunabhängigen Leben und einer geringen Funktion der Familie im Staat führt. Beispiele für sozialdemokratische Wohlfahrtsstaaten sind Dänemark, Schweden und Norwegen.9 10 11

[...]


1 Schmid, Josef: Wohlfahrtsstaaten im Vergleich. Soziale Sicherung in Europa: Organisation, Finanzierung, Leistungen und Probleme. 2. Auflage, Berlin, 2002 S. 36.

2 Leisering, Lutz: Der deutsche Nachkriegssozialstaat - Entfaltung und Kriese eines zentristischen Sozialmodells, in: Schwarz, Hans-Peter (Hrsg.), Die Bundesrepublik Deutschland. Eine Bilanz nach 60 Jahren. München 2008, S.423- 443; hier: S. 443.

3 Vgl. Schmid, Josef: Wohlfahrtsstaaten im Vergleich. Soziale Sicherung in Europa: Organisation, Finanzierung, Leistungen und Probleme. 2. Auflage, Berlin, 2002 S. 33.

4 Duden Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag. 5. Aufl. Mannheim: Bibliographisches Institut 2013. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2013. Hier nach: http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/21166/wohlfahrtsstaat (25.05.2015)

5 Schubert, Klaus/Martina Klein: Das Politiklexikon. 5., aktual. Aufl. Bonn: Dietz 2011. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. Hier nach:

http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/politiklexikon/18488/wohlfahrtsstaat (25.05.2015).

6 Vgl. Oschmiansky, Frank; Kühl, Jürgen: „Dossier Arbeitsmarktpolitik. Bundeszentrale für politische Bildung“, hier nach: http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/arbeitsmarktpolitik/55072/wohlfahrtsstaatliche-grundmodelle?p=all (01.06.2010).

7 Esping-Andersen, Gøsta: Drei Welten des Wohlfahrtskapitalismus. Zur politischen Ökonomie des Wohlfahrtsstaates in: Lessenich, Stephan; Ostner, Ilona (Hrsg.), Welten des Wohlfahrtskapitalismus. Der Sozialstaat in vergleichender Perspektive. Frankfurt/New York: Campus, 1998, S. 36.

8 Vgl. Esping-Andersen, Gøsta: Drei Welten des Wohlfahrtskapitalismus. Zur politischen Ökonomie des

Wohlfahrtsstaates in: Lessenich, Stephan; Ostner, Ilona (Hrsg.), Welten des Wohlfahrtskapitalismus. Der Sozialstaat in vergleichender Perspektive. Frankfurt/New York: Campus, 1998, S. 35-36.

9 Vgl. Bäcker, Gerhard, u.a. Naegele, Gerhard; Bispinck, Reinhard; Hofemann, Klaus; Neubauer, Jennifer (Hrsg.), Sozialpolitik und soziale Lage in Deutschland. Band 1: Grundlagen, Arbeit, Einkommen und Finanzierung. 5., durchgesehene Auflage, Wiesbaden, 2010, S. 51.

10 Vgl. Baumann, Ria: „Infoblatt Wohlfahrtsstaat“, hier nach: https://www.klett.de/alias/1010777 (02.03.2012).

11 Vgl. Schmid, Josef: Wohlfahrtsstaaten im Vergleich. Soziale Sicherung in Europa: Organisation, Finanzierung, Leistungen und Probleme. 2. Auflage, Berlin, 2002 S. 82-86.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Wie hat sich das deutsche Sozialsystem nach der Hartz IV-Reform verändert?
Untertitel
Eine Betrachtung Deutschlands als konservativer Wohlfahrtsstaat?
Hochschule
Universität Regensburg  (Politikwissenschaft)
Note
2,7
Jahr
2015
Seiten
15
Katalognummer
V383375
ISBN (eBook)
9783668587861
ISBN (Buch)
9783668587878
Dateigröße
496 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wohlfahrtsstaat, sozialstaat, Esping-Andersen, Hartz-IV
Arbeit zitieren
Anonym, 2015, Wie hat sich das deutsche Sozialsystem nach der Hartz IV-Reform verändert?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/383375

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