Vergleich von islamischem und deutschem Strafrecht am Beispiel des Diebstahls


Bachelorarbeit, 2017

42 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Begriffserklärungen:
2.1 Scharia (šarīʿa):
2.2 Qur'an:
2.3 Lebenspraxis des Propheten (Sunna):

3. Islamisches Strafrecht
3.1 Die Dreiteilung der Straftaten im islamischen Strafrecht
3.2. Hadd Delikt-Diebstahl
3.2.1 Definition:
3.2.2 Koranische Grundlage:
3.2.3 Wertgrenze:
3.2.4 Diebstahltaugliches Objekt:
3.2.5 Diebstahl von entliehenen Sachen:
3.2.6 Vollendung der Tat:
3.2.7 Diebstahl bei Hungersnot
3.2.8 Reue (tauba):
3.3 Heimlichkeit und Gewahrsamkeit
3.3.1 Heimlichkeit
3.3.2 Gewahrsamkeit
3.4 Die Beweisregeln sowie Prozessvoraussetzungen und die Strafvollstreckung
3.4.1 Beweisregeln:
3.4.2 Prozessvoraussetzungen:
3.4.3 Vollstreckung der Ḥadd Strafe für Diebstahl:
3.4.4 „Sariqa“ bei mehreren Tatbeteiligten
3.5 Die Abwendung der Ḥadd Strafe in Zweifelsfällen

4. Zweck und Absicht der islamischen Strafen

5. Allgemeines zum deutschen Strafrecht:
5.1 Der Diebstahl nach deutschem Strafrecht:

6. Vergleich zwischen dem islamischen und dem deutschen Strafrecht bezüglich des Diebstahldelikts

7. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Sekundärliteratur:

Internetquellen:

1. Einleitung

Die folgende Bachelorarbeit hat den Titel „Das Islamische Strafrecht am Beispiel des Diebstahls – Zweck und Vergleich zum deutschen Strafrechtssystem“. Das islamische Strafrechtssystem ist gegenwärtig ein vieldiskutiertes und strittiges Thema in Deutschland. Dem westlichen Betrachter zeigt sich ein befremdliches Bild[1] und er bezeichnet das islamische Strafrecht teilweise sogar als unmenschlich und despotisch.[2] Aus diesem Grund ist es vonnöten, sich näher mit diesem Thema zu beschäftigen; beide Strafrechte in ihrer Art und Weise zu untersuchen sowie einen Vergleich dazustellen. Wichtig an dieser Stelle anzumerken ist, dass die Absicht der Arbeit keinesfalls eine Bewertung der unterschiedlichen Strafrichtlinien. Die Bachelorarbeit besteht aus der Darstellung zwei sehr unterschiedlicher Strafsysteme: Zum einen dem islamischen Strafrecht, welches auf religiösen Offenbarungsquellen basiert und nicht von Menschen verändert werden darf und zum anderen dem deutschen Strafrecht, welches sich aus menschlichen Gesetzen zusammensetzt und veränderbar ist.

Diese Bachelorarbeit ist insgesamt in fünf Kapitel gegliedert. Im ersten Kapitel soll zum Hauptthema der Arbeit hingeführt werden. Es widmet sich der terminologischen Erläuterung der Scharia, da die Scharia jegliche Richtlinien der Muslime umfasst – seien sie dogmatischer, moralischer oder rechtlicher Art.[3] Es ist anzumerken, dass die Abgrenzung von „Scharia“ und „islamischem Recht“ hier eine große Rolle spielt. Die Scharia ist ein ganzheitlicher Begriff und umfasst deutlich mehr als das islamische Recht, welches dafür Sorge trägt, dass die Grundsätze der Scharia eingehalten werden. Aus diesem Grund ist die Verwendung beider Begriffe als Synonyme schlichtweg falsch und die Bedeutung der „Scharia“ wird durch diese Gleichsetzung stark eingedämmt.[4] Anschließend werden die Primär- und Sekundärquellen der Scharia, des Korans, der Sunna, des idjma und des qiyas definiert.

Im zweiten Kapitel wird das islamische Strafrechtssystem dargestellt, wobei hier das Hauptaugenmerk auf dem Diebstahldelikt liegt. Es werden die verschiedenen drei Deliktkategorien des islamischen Rechts erläutert, die Hadd (Ḥadd), Qiṣāṣ (qiṣāṣ) und Tazir (taʿzīr) Delikte.

Anhand des Diebstahldelikts werden die Tatbestandsmerkmale und -voraussetzungen sowie die qur'anischen Grundlagen, die Wertgrenze, Beweisregeln, diebstahltaugliche Objekte und die Vollstreckung der Ḥadd Strafe sowie die Tatbegehung bei mehreren Tatbeteiligten behandelt – jeweils mit den unterschiedlichen Ansichten der vier großen Rechtsschulen. Anschließend geht die Arbeit auf den Diebstahl bei Nahrungsmittelknappheit unter Hinzuziehung des Kalifats von 'Umar ibn al Khattab ein. Während solcher Perioden wird die Ḥadd Strafe zeitweilig aufgehoben.

Im dritten Kapitel wird die Abwendung der Hadd Strafe in Zweifelsfällen erläutert. Im islamischen Recht ist es von großer Bedeutung, dass die Straftat bewiesen ist und alle Bedingungen dafür erfüllt sind, dass es sich tatsächlich um Diebstahl (sariqa) handelt, welcher eine Ḥadd Strafe nach sich zieht.

Das vierte Kapitel behandelt die Absicht und das Ziel der drakonischen islamischen Strafen. Hierzu gehören die Erziehung der Gesellschaft sowie die Abschreckung dieser vor schlechten Taten.

Im fünften Kapitel wird das deutsche Strafrechtssystem vorgestellt und anschließend mit dem islamischen Strafrecht verglichen. Es werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede dargestellt.

Zielsetzung der Arbeit ist es aufzuzeigen, dass die drakonischen Strafen des islamischen Strafrechts nicht angwendet werden, um die Menschen zu quälen, sondern mit der Absicht, sie durch diese Methoden zu erziehen und von Schlechtem fernzuhalten. Zudem wird die diesseitige Reinigung des Täters von seiner Sünde vor Gott erreicht, da er durch die Bestrafung geläutert wird.

Das islamische Strafrecht allein – ohne ein Strafgesetzbuch – wird heute nur in Saudi-Arabien angewendet. Während die anderen islamischen Länder wie Oman, Abu Dhabi, Pakistan und Sudan ein staatliches Strafrecht besitzen und neben dem staatlichen Strafrecht auch die Ḥadd Delikte des islamischen Rechts erneut eingeführt. Darüber hinaus ist in Lybien und im Iran das islamische Strafrecht gesetzlich festgelegt. Es wird berichtet, dass die drakonischen Strafen sehr selten angewandt werden.[5]

Des Weiteren werden entsprechende Verse aus dem Koran und Hadithe zitiert. Die Koranverse sind sowohl auf Arabisch als auch auf Deutsch wiedergegeben. Die religiösen Fachbegriffe werden mit Umschrift gekennzeichnet. Ein Fazit und kurzer Ausblick beschließt die Arbeit.

2. Begriffserklärungen:

2.1 Scharia (šarīʿa):

Aus Sicht der Muslime ist die Scharia ein unverzichtbarer Bestandteil des Islam.[6] „Sie betrifft die religiöse Praxis [...] sowie die Regelung menschlicher Beziehungen und ist sowohl auf das Diesseits wie auf das Jenseits ausgerichtet.“[7] Der Begriff Scharia kommt aus dem Arabischen und bedeutet wörtlich übersetzt „der gebahnte Weg“ (Vergleich Sure 45.18).[8]

Im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch wird Scharia oftmals als Synonym für „islamisches Recht“ verwendet. Dies ist jedoch nicht angemessen, da sich die beiden Begriffe in ihrer Bedeutung unterscheiden.[9] Während sich das islamische Recht lediglich mit der Jurisprudenz beschäftigt, umfasst die scharia „das gesamte System der islamischen Normenlehre“.[10] Hierzu gehören neben der Zurückverfolgung der Quellen auch die Regeln zu deren Interpretation.[11]

Obgleich der Mensch auch im Islam die Befugnis und Fähigkeit zu eigenen Entscheidungen innehat, gebührt allein Gott jegliche Souveränität.[12] Die Scharia enthält Verhaltensregeln für den Menschen in seiner Beziehung zu Gott ('ibadat: kultische Pflichten)[13], seinen Mitmenschen (m´umalat: Rechtshandlungen des Alltags)[14] und zum Staat (ahkam sultania). Zudem werden Methoden und Handlungsanweisungen für das tägliche Leben gegeben (Ritualgebet, Pilgerfahrt etc.).[15]

Der Qur'an, welcher auf göttlicher Offenbarung beruht, und die Lebenspraxis des Propheten (sunna) gelten als die beiden unbestrittenen Primärquellen der Scharia-Normen.[16] Des Weiteren bilden der Konses der Gelehrten ('idjma) und Analogiebildung (qiyās) im sunnitischen bzw. menschliche Vernunft im schiitischen Islam die sekundären Quellen der Scharia-Normen.[17] Der Gelehrtenkonsens umfasst die Übereinstimmung der Meinungen mehrerer Rechtsgelehrten bei der Darlegung offen stehender Rechtsfragen.[18] Diese wird herangezogen, wenn der Rechtsfall nicht allein durch die Erkenntnisse aus Qur'an und Sunna zu lösen ist.[19] Der Qiyās beinhaltet, bereits bestehende und festgelegte Scharia Rechtsvorschriften auf aktuelle nicht in den Rechtsvorschriften festgelegten Fragen, auf Grund veränderten Umständen.[20]

Die sich stetig verändernden Lebensumstände des Menschen führen dazu, dass nicht alle Fragestellungen mithilfe der Hauptquellen oder des Gelehrtenkonsenses beantwortet werden können. In diesem Fall wird auf den Analogieschluss zurückgegriffen[21], der jedoch auch auf Qur'an und Sunna basiert.[22]

2.2 Qur'an:

Der Koran ist die heilige Schrift des Islam, welche nach islamischer Auffassung aus Gottes eigenen Worten besteht, buchstäblich so, wie sie dem Propheten Muhammad während seiner Prophetenlaufbahn zuerst in Mekka und später in Medina durch den Gabriel in arabischer Sprache offenbart worden sind.[23] „Wie der Islam aus Dogma, Ethik und Gesetz besteht, so ist auch der Koran zugleich Dogmenquelle, Erbauungsschrift und Gesetzbuch in einem.“[24]

Der Begriff Hudud (hudûd) (Plural von Ḥadd) kommt 14 mal im Qur'an vor und steht meist am Ende der Qur'anverse, welche gesetzliche Regelungen vom Gesetzgeber beinhalten. Diese Gesetze umfassen die von Gott gesetzten Grenzen und Bestimmungen, sowie Gebote und Verbote.[25]

2.3 Lebenspraxis des Propheten (Sunna):

Die Lebenspraxis (sunna) des Propheten Mohammed (s), welcher als Deuter und Verkünder des Gottes gilt, gehört neben dem Qur'zu den wichtigsten Quellen der Scharia. Das Wort Sunna kommt aus dem arabischen und bedeutet übersetzt Usus, Gewohnheit, Tradition. Die Sunna des Propheten umfasst Aussagen, Handlungweisen und stillschweigende Billigungen, die er als Gottes Gesandter überlieferte.[26]

3. Islamisches Strafrecht

Das islamische Strafrechtssystem basiert also auf dem Qur'an und der Sunna,[27] wobei die Sunna die Koranverse untermalt.[28] Folgende Straftaten werden berücksichtigt: Raub, Diebstahl, Unzucht, Unzuchtsverleumdung und Alkoholgenuss.[29]

Das islamische Strafrecht unterscheidet im Wesentlichen zwischen den Rechtsansprüchen Gottes an den Menschen und den Rechtsansprüchen der Menschen untereinander.[30] Zu den Verstößen gegen die Rechtsansprüche Gottes zählen die im Qur'an begründeten Ḥadd Delikte.[31] Diese Delikte müssen in jedem Fall strafrechtlich verfolgt werden, wobei das Strafmaß unveränderlich und somit nicht abzumildern ist.[32] Durch das Vergehen solch einer Straftat wird eine Verletzung gegen die gottgewollte Ordnung ausgeübt und die Grenze Gottes überschritten.[33] „Ein Verstoß gegen die „Rechte Gottes“ wird damit gleichsam als eine Verletzung des Interesses der Gemeinschaft der Gläubigen, also des Allgemeininteresses, bewertet.“[34] Zu den Rechten der Menschen hingegen gehört das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, welches auch im europäischen Rechtssystem eine große Rolle spielt. Delikte in dieser Kategorie werden nur auf Antrag verfolgt und eine Einstellung des Strafverfahrens ist hier grundsätzlich möglich.[35]

3.1 Die Dreiteilung der Straftaten im islamischen Strafrecht

Die Straftaten im islamischen Strafrecht werden in drei Deliktkategorien unterteilt: Die erste Kategorie bilden die sogenannten Ḥadd Delikte, für die in Qur'an und Sunna unabänderliche Strafen vorgeschrieben sind.[36] Der Begriff Ḥadd kommt aus dem Arabischen und wird mehrdeutig übersetzt als Grenze, Hindernis, Schranke, Rand, Kante, Ende, Bestimmung und Festsetzung.[37] „Die Ḥadd Strafen gehören zu den von Gott im Koran und zum Teil in der Sunna vorgeschriebenen Strafen und schreiben die unüberschreitbare ‚Grenze‛ fest, die Gott dem Menschen bezüglich seines Handelns setzt.“[38] Zu dieser Kategorie gehören folgende Delikte: Unzucht (zinā), Unzuchtsverleumdung, Alkoholgenuss, Diebstahl und Straßenraub.[39] Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Beurteilung im Falle von sariqa, also Diebstahl, und dessen Bestrafung mit der Amputation.

Im Fall einer aufrichtigen Reue (tauba) bei den sogenannten Rechten Gottes kann es zur Strafbefreiung kommen, wobei die Rechte der Menschen auf Entschädigung dennoch erhalten bleiben. Durch die Vergebung des Verletzten kann sich der Täter von der Ḥadd Strafe befreien. Laut der hanbalitischen Rechtsschule ist eine Vergebung bei Ḥadd Delikten allerdings ausgeschlossen.[40]

„Aus westlicher Sicht sind in dieser Deliktkategorie jedoch sogar durchaus erlaubte Verhaltensweisen (vorehelicher Geschlechtsverkehr oder das Trinken von Alkoholika, die per se keine Rechtsgutsverletzungen darstellen) [...]“[41] An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Ḥadd Delikte und die Tatfolgen für den westlichen Betrachter teilweise nicht nachvollziehbar sind.[42]

Zu den strengen Ḥadd Strafen gehören Leib- und Lebensbestrafungen: Steinigung, Auspeitschen, Kreuzigen sowie das Abschlagen bestimmter Körperteile.[43] „Das Prozeßrecht beim »Hadd« ist durch starre Beweisregeln gekennzeichnet, die keinerlei Raum für freie richterliche Beweiswürdigung offen lassen [...].“[44] Das islamische Strafrecht setzt bei den Ḥadd Strafen voraus, dass die Täter volljährig,[45] zurechnungsfähig und mündig sind.[46] Geisteskranke und minderjährige Personen sind somit von diesem Belangen ausgeschlossen.[47] Der Prophet Muhammad (s) betont in einer Überlieferung, dass sein Volk in bestimmten Fällen von einer Straffähigkeit befreit ist:[48] „Mein Volk ist befreit vom Vergessen, Irrtum und Taten unter der Herrschaft des Zwanges.“[49]

Die zweite Form des islamischen Strafrechts bilden die Q iṣāṣ Delikte. Diese Deliktkategorie regelt das sogenannte Talionsrecht.[50] Dazu gehören speziell die vorsätzlichen und fahrlässigen Tötungs- und Körperverletzungsdelikte. Der Täter wird der gleichen Verletzung ausgesetzt, die er beim Opfer zu verantworten hat.[51]

Die Todesstrafe erfolgt unter Beobachtung des Richters. Das Opfer oder dessen nächstes männliches Familienmitglied vollstreckt die Todesstrafe mit einem Schwert oder fügt dem Täter die gleiche körperliche Verletzung zu, welche dieser dem Opfer angetan hatte. Die Bestrafung kann auch vom Staat direkt ausgeführt werden.[52] Die Bedingung für diesen Tatbestand ist, dass eine absichtliche Tötung vollzogen wurde. Bei fahrlässiger Tötung ist zu unterschieden zwischen der versehentlichen und der dem Versehen ähnlichen Tötung. Eine versehentliche Tötung des Täters kommt zustande, wenn der Täter eine bewusste Handlung ausübt; beispielsweise tritt der Täter mit einer Waffe auf und schießt daneben, so dass das Opfer tödlich verletzt wird.[53]

Ein Tatbestand mit dem Versehen ähnlicher Tötung liegt vor, wenn der Täter wegen Fahrlässigkeit oder Achtlosigkeit den Tod eines Menschen verursacht, beispielsweise wenn der Täter während des Telefonierens eine rote Ampel übersieht, als Folge dessen mit einem Fahrzeug zusammenstößt, dessen Fahrer beim Unfall dann zu Tode kommt.[54]

Eine direkte Tötungshandlung, die dem Täter nicht vorwerfbar ist, wird als fahrlässige Tötung behandelt (etwa die Tötung eines Menschen im Schlaf); war jemand zwar ursächlich für den Tod eines Menschen verantwortlich, aber ohne sorgfaltswidrig gehandelt zu haben, so ist er dann nicht für den Tod zur Verantwortung zu ziehen (d.h. er hat keine Entschädigung zu bezahlen), wenn seine Handlung rechtmäßig war.[55]

Die dritte Form des islamischen Strafrechts sind die Taʿzīr Delikte, welche als Verwarnungs-Delikte gelten.[56] Diese Form behandelt alle Delikte, die nicht unter die Kategorie Ḥadd Delikte oder Qiṣāṣ Delikte fallen.[57] Die Taʿzīr Strafen sind für nicht genau geregelte leichtere Delikte vorgesehen. Sie werden nach dem Ermessen des Richters oder durch staatliche Satzung festgesetzt, wie zum Beispiel Gefängnisstrafe, Geldstrafe oder Auspeitschung.[58] Urkundenfälschung, Betrug, Erpressung und Falschaussage gehören zu dieser Kategorie.[59] Wenn die Bedingungen für die Ḥadd oder Qiṣāṣ Bestrafungen nicht ausreichend erfüllt sind, so dass diese nicht angewendet werden können, zieht dies eine Tazir Strafe nach sich.[60]

3.2. Hadd Delikt-Diebstahl

Zunächst ist es wichtig, an dieser Stelle anzumerken, dass die hanafitische sowie schafiitische Ansicht es anstreben, die Anwendungsbereiche der Ḥadd Strafen einzudämmen und stattdessen eher die Taʿzīr Bestrafungen walten zu lassen.[61] Insbesondere die Strafe auf Diebstahl wird im Westen immer wieder als Argument für die Grausamkeit der islamischen Scharia angeführt.“[62]

3.2.1 Definition:

Diebstahl wird, laut des türkischen Gelehrten Omer Bilmem, wie folgt definiert:

Diebstahl liegt dann vor, wenn eine vor dem Gesetz verantwortliche Person eine Sache von dem für den Diebstahl festgesetzten Mindestwert, die weder unbedeutend noch schnell verderblich ist, von dem Orte, an dem sie verwahrt wird, heimlich wegnimmt und nach draußen bringt, und zwar so, daß er an dieser Sache keinerlei Rechtsanspruch hat, noch der Verdacht, er habe ein Eigentumsrecht an ihr, besteht.[63]

3.2.2 Koranische Grundlage:

Im Qur'an Sure 5:38 sind die normativen Grundlagen des Diebstahls und die entsprechenden Strafen genau vorgeschrieben. Dort heißt es:[64]

„Was NUN den Mann angeht, der stiehlt, und die Frau, die stiehlt, schlagt die Hand eines jeden von ihnen ab als Vergeltung, für das, was sie gewirkt haben, als eine Abschreckung, verordnet von Gott: denn Gott ist allmächtig, weise.“[65]

In dem qur‘anischen Wortlaut ist die allgemeine Rechtsfolge klar niedergeschrieben, allerdings gibt der Vers keine genaue Definition von Diebstahl her. In späteren Werken erfolgte allerdings eine umfangreiche Erklärung sowie Interpretation dessen durch die Rechtsgelehrten: Tatbestandsvoraussetzungen, Strafmündigkeit, Tatbestand bei mehreren Tätern, Durchführung des Gerichtsverfahrens.[66]

Außerdem wurde der obige Vers von der islamischen Rechtswissenschaft gedeutet, wobei die Meinungen der sunnitischen und schiitischen Rechtsschulen voneinander abweichen. Die sunnitische Rechtsschule fordert als Strafe für den Diebstahl beim ersten Mal die Amputation der rechten Hand ab dem Handgelenk, während die schiitische Rechtsschule die Abtrennung der vier Finger der rechten Hand ohne den Daumen verlangt.[67]

3.2.3 Wertgrenze:

Der gestohlene Gegenstand muss im islamischen Strafrecht einen gewissen Wert haben, damit eine Ḥadd Strafe wegen Diebstahls erfolgen kann. Hinsichtlich dieses Mindestwertes herrschen unter den Rechtsschulen jedoch unterschiedliche Ansichten: Die hanafitische Ansicht beruht sich auf einen Hadīth des Propheten und setzt die Grenze bei zehn Dirham. Sowohl die schafiitische, mālikitische und hanbalitische Rechtsschule als auch die schiitische Ausrichtung stützen sich ebenfalls auf einen Hadīth und setzen die Grenze bei drei Dirham an. Der Diebstahl bei Sachen, die unter dieser Wertgrenze liegen, wird in der Regel mit Taʿzīr Strafen abgeurteilt.[68] Das islamische Strafrecht setzt bei einem Diebstahl voraus, dass der Täter das Gestohlene nur aufgrund von einer einzigen günstigen Gelegenheit und aus einer einzigen Verwahrung entwendet. Beispielsweise zählt es nicht als Ḥadd Delikt, wenn fünf Dirham aus einem Gewahrsam und fünf aus einem anderen Gewahrsam gestohlen werden.[69] Ebenso wenig ist es ein Ḥadd Delikt, wenn zehn Dirham nicht mit einem Mal, sondern durch mehrfaches Zutun aus einer Verwahrung gestohlen werden.

3.2.4 Diebstahltaugliches Objekt:

Als diebstahltaugliche Objekte zählen alle verkehrsfähigen, beweglichen, körperlichen Objekte. Des Weiteren gehören auch Sklaven im Säuglings- bzw. Kindesalter nach malikitischer Ansicht in den Bereich der Diebstahldelikte,[70] sofern sie nicht in der Lage sind, sich mitzuteilen.[71]

Hier sei noch einmal hervorgehoben, dass der Mensch einen Vermögenswert hatte, als der Sklavenhandel verbreitet war.[72] Die hanafitische Rechtsschule hingegen vollzieht keine Ḥadd Strafe bei der Entführung Minderjähriger.[73]

Schnell verderbliche Produkte, wie Milch, Fleisch oder Obst gehören nicht zu den diebstahltauglichen Objekten – auch dann nicht, wenn sie den Mindestwert überschreiten.[74]

[...]


[1] Vgl. Jescheck, Hans-Heinrich (1985), Islamisches und westliches Strafrecht – Gemeinsames und Gegensätze, S. 553

[2] Vgl. Zehetgruber, Christoph (2014). Das Delikt des Diebstahls im „klassischen“ islamischen Recht, URL:http://docplayer.org/47318567-Das-delikt-des-diebstahls-im-klassischen-islamischen-recht.html (Zugriff am 01.06.17)

[3] Vgl. El Baradie, Adel (1983). Gottes-Recht und Menschen-Recht, S. 44

[4] Vgl. Rohe, Mathias (2011). Das islamische Recht, S. 9

[5] Vgl. Jescheck, Hans-Heinrich (1985), Islamisches und westliches Strafrecht – Gemeinsames und Gegensätze S. 546

[6] Vgl. Rohe, Mathias (2011). Das islamische Recht, S. 9

[7] Rohe, Mathias (2011). Das islamische Recht, S. 9

[8] Vgl. Rohe, Mathias (2011). Das islamische Recht, S. 9

[9] Vgl. ebd. S. 9

[10] Vgl. Rohe, Mathias (2011). Das islamische Recht, S. 9-10

[11] Vgl. Rohe, Mathias (2011). Das islamische Recht, S. 9

[12] Vgl. Elwan (2014). Materalien für die mündliche Prüfung zur Vorlesung: Einführung in das Islamische Recht, URL:https://www.ipr.uni-heidelberg.de/md/jura/ipr/personen/elwan/materialien_zur_vorlesung_-_einfuhrung_in_das_islamische_recht_2014_stand_16_juni.pdf, S. 5 (Zugriff am 03.06.17)

[13] Vgl. ebd. URL:https://www.ipr.uni-heidelberg.de/md/jura/ipr/personen/elwan/materialien_zur_vorlesung_-_einfuhrung_in_das_islamische_recht_2014_stand_16_juni.pdf, S. 5 (Zugriff am 03.06.17)

[14] Vgl. ebd. URL:https://www.ipr.uni-heidelberg.de/md/jura/ipr/personen/elwan/materialien_zur_vorlesung_-_einfuhrung_in_das_islamische_recht_2014_stand_16_juni.pdf, S. 5 (03.06.17)

[15] Vgl. Rohe, Mathias (2011). Das islamische Recht, S. 9

[16] Vgl. o.V., o.J. Rechtschulen und Rechtquellen, URL:http://www.dafir-khalid.at/unterlagen/12/Quellen%20des%20Islam%20und%20Rechtschulen.pdf (Zugriff am 03.06.17)

[17] Vgl. ebd. URL:http://www.dafir-khalid.at/unterlagen/12/Quellen%20des%20Islam%20und%20Rechtschulen.pdf (Zugriff am 03.06.17)

[18] Vgl. Mertek, Muhammet (2014). Der Konsens (Idschmâ), Der Konsens (Idschmâ) ist drittwichtigste Quelle des islamischen Rechtssystems. URL:http://www.islam-aktuell.de/index.php/themen/hauptquellen-des-islamischen-rechts/idschma/item/89-der-konsens-idschma ( Zugriff am 03.06.17)

[19] Vgl. ebd. URL:http://www.islam-aktuell.de/index.php/themen/hauptquellen-des-islamischen-rechts/idschma/item/89-der-konsens-idschma (Zugriff am 03.06.17)

[20] Vgl. Bauer, Wolfgang (2013). Bausteine des Fiqh, S. 75

[21] Vgl. ebd. S. 75

[22] Vgl. Bauer, Wolfgang (2013). Bausteine des Fiqh, S. 77

[23] Vgl. El Baradie, Adel (1983). Gottes-Recht und Menschen-Recht, S. 24

[24] El Baradie, Adel (1983). Gottes-Recht und Menschen-Recht, S. 24

[25] Vgl. El Baradie, Adel (1983). Gottes-Recht und Menschen-Recht, S. 96-97

[26] Vgl. El Baradie, Adel (1983). Gottes-Recht und Menschen-Recht, S. 25

[27] Vgl. Rohe, Mathias (2009). Das islamische Recht: Geschichte und Gegenwart, S 122-123

[28] Vgl. Türkmenoglu, Ali (2013). Das Strafrecht des klassischen islamischen Rechts: Mit einem Vergleich zwischen der islamischen und der modernen deutschen Strafrechtslehre, S. 125

[29] Vgl. Rohe, Mathias (2009). Das islamische Recht: Geschichte und Gegenwart, S. 122-123

[30] Vgl. Zehetgruber, Christoph (2010). Islamisches Strafrecht und europäische Werteordnung, S. 64-65

[31] Vgl. Rohe, Mathias (2011). Das islamische Recht, S. 36

[32] Vgl. Zehetgruber, Christoph (2010). Islamisches Strafrecht und europäische Werteordnung, S. 66

[33] Vgl. El Baradie, Adel (1983). Gottes-Recht und Menschen-Recht, S. 99

[34] Zehetgruber, Christoph (2010). Islamisches Strafrecht und europäische Werteordnung, S. 67

[35] Vgl. Zehetgruber, Christoph (2010). Islamisches Strafrecht und europäische Werteordnung, S. 65-66

[36] Vgl. Zehetgruber, Christoph (2010). Islamisches Strafrecht und europäische Werteordnung, S. 67-68

[37] Vgl. El Baradie, Adel (1983). Gottes-Recht und Menschen-Recht, S. 96

[38] Türkmenoglu, Ali (2013). Das Strafrecht des klassischen islamischen Rechts: Mit einem Vergleich zwischen der islamischen und der modernen deutschen Strafrechtslehre, S. 125

[39] Vgl. Zehetgruber, Christoph (2010). Islamisches Strafrecht und europäische Werteordnung, S. 68

[40] Vgl. Türkmenoglu, Ali (2013). Das Strafrecht des klassischen islamischen Rechts: Mit einem Vergleich zwischen der islamischen und der modernen deutschen Strafrechtslehre, S. 126

[41] Zehetgruber, Christoph (2010). Islamisches Strafrecht und europäische Werteordnung, S. 69

[42] Vgl. Jescheck, Hans-Heinrich (1985), Islamisches und westliches Strafrecht – Gemeinsames und Gegensätze, S. 553

[43] Vgl. El Baradie, Adel (1983). Gottes-Recht und Menschen-Recht, S. 99

[44] El Baradie, Adel (1983). Gottes-Recht und Menschen-Recht, S. 99

[45] Vgl. Rohe, Mathias (2011). Das islamische Recht, S. 37

[46] Vgl. El Baradie, Adel (1983). Gottes-Recht und Menschen-Recht, S. 100

[47] Vgl. ebd. S. 100

[48] Vgl. ebd. S. 100

[49] El Baradie, Adel (1983). Gottes-Recht und Menschen-Recht, S .100

[50] Vgl. Rohe, Mathias (2009). Das islamische Recht: Geschichte und Gegenwart, S. 122

[51] Vgl. Zehetgruber, Christoph (2010). Islamisches Strafrecht und europäische Werteordnung, S. 70

[52] Vgl. Jescheck, Hans-Heinrich (1985), Islamisches und westliches Strafrecht – Gemeinsames und Gegensätze, S. 554

[53] Vgl. Pacic, Jasmin (2008). Islamisches Strafrecht, URL:http://up.picr.de/14877309ag.pdf, S. 103 (Zugriff 12.06.17)

[54] Vgl. Pacic, Jasmin (2008). Islamisches Strafrecht, URL:http://up.picr.de/14877309ag.pdf, S. 103 (Zugriff am 12.06.17)

[55] Pacic, Jasmin (2008). Islamisches Strafrecht, URL:http://up.picr.de/14877309ag.pdf S. 105 (Zugriff am 12.06.17)

[56] Vgl. o.V. (2006). Enzyklopädie des Islam, URL:http://www.eslam.de/begriffe/v/verwarnungs-delikte.htm (Zugriff am12.06.17)

[57] Vgl. Zehetgruber, Christoph (2010). Islamisches Strafrecht und europäische Werteordnung, S. 71

[58] Vgl. Kilchling, Michael (2007). Vorlesung Sanktionenrecht (2) URL: https://www.mpicc.de/files/pdf1/kilch_sankr_25-04-071.pdf, S. 13 (Zugriff am 13.06.17)

[59] Jescheck, Hans-Heinrich (1985), Islamisches und westliches Strafrecht – Gemeinsames und Gegensätze, S. 555

[60] Vgl. Zehetgruber, Christoph (2010). Islamisches Strafrecht und europäische Werteordnung, S. 71

[61] Vgl. Türkmenoglu, Ali (2013). Das Strafrecht des klassischen islamischen Rechts: Mit einem Vergleich zwischen der islamischen und der modernen deutschen Strafrechtslehre, S. 159

[62] Türkmenoglu, Ali (2013). Das Strafrecht des klassischen islamischen Rechts: Mit einem Vergleich zwischen der islamischen und der modernen deutschen Strafrechtslehre, S. 159

[63] El Baradie, Adel (1983). Gottes-Recht und Menschen-Recht, S. 109

[64] Vgl. Zehetgruber, Christoph (2010). Islamisches Strafrecht und europäische Werteordnung, S. 98

[65] Asad, Muhammad (2009). Die Botschaft des Koran: Übersetzung und Kommentar, S. 207

[66] Vgl. Rohe, Mathias (2009). Das islamische Recht: Geschichte und Gegenwart, S. 127

[67] Vgl. Zehetgruber, Christoph (2010). Islamisches Strafrecht und europäische Werteordnung, S. 98-99

[68] Vgl. Zehetgruber, Christoph (2010). Islamisches Strafrecht und europäische Werteordnung, S. 97-98

[69] Vgl. Türkmenoglu, Ali (2013). Das Strafrecht des klassischen islamischen Rechts: Mit einem Vergleich zwischen der islamischen und der modernen deutschen Strafrechtslehre, S. 165

[70] Vgl. Pacic, Jasmin (2008). Islamisches Strafrecht, URL:http://up.picr.de/14877309ag.pdf, S. 62-63 (Zugriff am 15.06.17)

[71] Vgl. El Baradie, Adel (1983). Gottes-Recht und Menschen-Recht, S.110

[72] Vgl. Pacic, Jasmin (2008). Islamisches Strafrecht, URL:http://up.picr.de/14877309ag.pdf, S.63 (Zugriff am 15.06.17)

[73] Vgl. Pacic, Jasmin (2008). Islamisches Strafrecht, URL:http://up.picr.de/14877309ag.pdf, S. 62-63 (Zugriff am 15.06.17)

[74] Vgl. El Baradie, Adel (1983). Gottes-Recht und Menschen-Recht, S. 110

Ende der Leseprobe aus 42 Seiten

Details

Titel
Vergleich von islamischem und deutschem Strafrecht am Beispiel des Diebstahls
Hochschule
Universität Osnabrück  (Islamische Theologie)
Note
1,5
Autor
Jahr
2017
Seiten
42
Katalognummer
V383119
ISBN (eBook)
9783668607941
ISBN (Buch)
9783668607958
Dateigröße
1216 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
vergleich, strafrecht, beispiel, diebstahls, Hadd-Strafe, Handabhacken
Arbeit zitieren
Saime Aydin (Autor:in), 2017, Vergleich von islamischem und deutschem Strafrecht am Beispiel des Diebstahls, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/383119

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Titel: Vergleich von islamischem und deutschem Strafrecht am Beispiel des Diebstahls



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