Frankreich: Die politische Machtfrage im Zeichen der cohabitation - Die Effizienzanalyse eines Ausnahmezustandes


Hausarbeit, 2004

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Das Phänomen der cohabitation

2 Perioden der cohabitation
2.1 Die erste cohabitation 1986-88
2.2 Die zweite cohabitation 1993-1995
2.3 Die dritte cohabitation 1997-2002

3 Das Spiel mit der Verfassung
3.1 Die Verfassung der V. Republik: Machtzusprüche an den Präsidenten
3.2 Außen- und Verteidigungspolitik: die „domaines reservés“ des Präsidenten?

4 Kompetenzverteilung in der Innenpolitik
4.1 Grundlagen in der Verfassung
4.2 Die Stärkung des Premierministers

5 Die parlamentarische Verantwortung
5.1 Die beschränkte Macht des Parlaments zugunsten einer effizienten Exekutive
5.2 Ein Machtgewinn des Parlaments zu Zeiten der cohabitation?

6 Können die parteipolitischen Differenzen und die Verschiebung der Machtpotentiale
zu einer Blockade der politischen Entscheidungsfähigkeit der Exekutive führen?

7 Fazit und Ausblick

8 Literatur

1 Das Phänomen der cohabitation

Das Thema dieser Arbeit ist ein politisches Phänomen, das Frankreich in den letzten zwanzig Jahren dreimal erlebte und welches das politische System entsprechend geprägt hat. Es handelt sich um das Phänomen der cohabitation. Als Perioden der cohabitation werden die Zeitspannen der französischen Politik bezeichnet, in denen der Präsident und die Regierung des Landes aus verschiedenen politischen Lagern stammen. Sie sind dabei jedoch zur Kooperation gezwungen, um den Fortbestand der politischen Führung des Landes zu gewähren.

Den Begriff „cohabitation“[1] prägte Valery Giscard d’Estaing. Im sozialwissenschaftlichen Gebrauch bezeichnet er die sogenannte wilde Ehe, das Zusammenleben zweier unverheirateter Partner und somit eine Liebesbeziehung. Im Grunde trifft er das Phänomen der cohabitation nicht, bei dem es um eine politisch geteilte Exekutive geht und keineswegs um eine freiwillige Zusammenarbeit. Staatspräsident und Regierung sind zur Kooperation gezwungen, aber durch die parteipolitischen Divergenzen einander nicht zugeneigt. Trotzdem wurde der Begriff cohabitation zum Schlagwort und hat sich für die folgenden Perioden dieser Zusammenarbeit bewährt. Charakteristisch für die cohabitation ist, dass nun die bewährte Aufteilung der Macht innerhalb der Exekutive nicht mehr gelten konnte und dies auch das Verhältnis zum Parlament veränderte.

Die französische Verfassung zeichnet sich durch ihre, von Georges Pompidou seinerzeit so genannte „souple(sse)“[2] aus, die vor allem in Zeiten der cohabitation von den Verfassungsorganen für die jeweils eigenen Zwecke genutzt wurde. Der Verfassungstext gibt oft keine eindeutige Antwort darauf, an welcher Stelle die politische Entscheidungsbefugnis liegt. Die Kompetenzen sind zwischen dem Präsidenten, dem Premierminister und dem Parlament aufgeteilt, aber nicht immer in einer klaren und differenzierten Weise.[3] Die Situation der cohabitation verdeutlicht diesen Sachverhalt, da hier Regierung und Präsident im Gegensatz zu einer ungeteilten Exekutive meist verschiedene politische Ziele anstreben und dies auch durch die ihnen in der Verfassung zugeschriebenen Kompetenzen durchsetzen wollen.

Es kommt zu einer Neuordnung der Kompetenzaufteilungen; anstatt das politische Schicksal des Landes gemeinsam zu bestimmen und zu leiten, müssen Staatschef und Regierungschef nun auch noch die Differenzen innerhalb der Exekutive bewältigen. Die zentrale Fragestellung meiner Arbeit ist: können die parteipolitischen Differenzen und die Verschiebung der Machtpotentiale zu einer Blockade der politischen Entscheidungsfähigkeit der Exekutive führen?

In der Literatur finden sich hierzu verschiedene Antworten. Die cohabitation wird sowohl positiv wie auch negativ bewertet und die Chancen zur Herrschaft verschieden interpretiert. Robert Elgie misst in seiner Monographie „The role of the Prime Minister in France“ dem Premierminister eine ungleich größere Rolle in cohabitationszeiten zu als es etwa Medard Ritzenhofen in seinem Kommentar „Jospin im Blues, Chirac mit Biss“ tut. Entsprechend fällt auch die Auswertung über das Blockadepotential der cohabitation verschieden aus. Vielbeachtete Texte sind in dieser Arbeit die Aufsätze von Kimmel, der sich differenziert mit der cohabitation auseinandersetzt.

Die Frankreichforschung behandelt das Thema immer wieder und es ist in fast jedem Aufsatz über das politische System Frankreichs ein Teil der cohabitation gewidmet, da sie das politische Leben des Landes stark beeinflusst hat und ihre Abweichung vom “Normalzustand“ für die Beleuchtung verschiedener Aspekte immer wieder interessant ist.

Meine Arbeit stützt sich vor allem auf die Auswertung dieser Sekundärliteratur. Sehr wichtig ist im Zusammenhang mit dem Thema auch die französische Verfassung, deren einschlägigste Artikel zum Thema in der Arbeit erwähnt werden.

Ziel meiner Arbeit ist, das Phänomen der cohabiation zu erklären und zu analysieren, um Klarheit in ein kontrovers diskutiertes Thema zu bringen.

Nach einer Einführung in die wichtigsten historischen Zusammenhänge werde ich im Hauptteil auf die Politikbegebenheiten eingehen, die sich während der cohabitationsperioden abgespielt haben. Dabei differenziere ich in Außen- und Innenpolitik, weil es hier Unterschiede bei der Machtverschiebung gibt und sich diese verschieden auswirken. Letztlich spielt auch die Legislative eine wichtige Rolle im politischen Entscheidungsprozess und deshalb wird die Bedeutung des Parlamentes im letzten Part des Hauptteils erfasst und ausgewertet.

2 Perioden der cohabitation

2.1 Die erste cohabitation 1986-88

Mit Mitterand wurde am 10. Mai 1981 erstmals in der Geschichte der V. Republik ein sozialistischer Staatspräsident gewählt. Er nutzte die Stimmung im Volk gegen die bürgerlichen Parteien und machte von seinem Recht Gebrauch, die Nationalversammlung aufzulösen. Auf diese Weise verschaffte er sich eine linksdemokratische Mehrheit im Parlament, die ihn bei seiner konsequenten Reformpolitik unterstützte. Mit Mitterand brach eine neue Ära einer Politik der Dezentralisierung, der Verstaatlichungen und weiterer sozialer Maßnahmen an.[4]

Tatsächlich aber war die Bilanz der Wirtschafts- und Sozialpolitik der neuen Regierung schon in den ersten Jahren schlechter als erwartet. Sie trug nicht zum erhofften wirtschaftlichen Aufschwung bei und im Gegenteil wuchs die Arbeitslosigkeit weiter an und die Löcher im Staatshaushalt mussten mit der Erhöhung der Steuern ausgeglichen werden, die diesmal auch die kleinen und mittleren Einkommen belastete. Der Franc verlor massiv an Wert und die Regierung war gezwungen, den Haushalt der Republik rigoros zu sanieren, um die hohen Inflationsraten von jährlich mehr als 10 %[5] in ihre Schranken zu weisen. Mit der Politik des „festen Franc“ des sozialistischen Premierministers Fabius im Jahre 1986 wurden die Inflation tatsächlich auf einen Geldwertverlust von 5 % zurückgeschraubt, die linke Wählerschaft aber war wieder einmal enttäuscht worden, und der Boden für einen Wechsel der parlamentarischen Mehrheit im April 1986 war bereitet.

Im Frühjahr 1986 fanden die Wahlen zur Nationalversammlung statt. Um die Schmach seiner Partei, der Parti Socialiste (PS), ansatzweise zu lindern, hatte Mitterand zuvor das Verhältniswahlrecht eingeführt. So zog in den neuen Bundestag eine Koalition von Gaullisten und Giscardianern mit einer eindeutigen Überzahl von 277 Mandaten in das Parlament ein. Auf sie entfielen 40.98 % der Stimmen, während die sozialistische Partei nur 31.04 % der Stimmen und demzufolge nur 196 Sitze im Parlament erhielt.[6] Die konservativ-liberale Mehrheit setzte sich aus der gaullistischen Partei Rassemblement pour la République (RPR) und der liberal-zentralistischen L’Union pour la Démocratie Francaise (UDF) zusammen. Aus ihren Reihen ernannte der Präsident den neuen Premierminister Jacques Chirac, der bis dahin Bürgermeister von Paris und Führer der RPR gewesen war. Erstmals stand Frankreichs Politik während der nächsten zwei Jahre im Zeichen der cohabitation.

2.2 Die zweite cohabitation 1993-1995

Im Mai 1988 gewann Mitterand erneut die Präsidentschaftswahlen mit einem klaren Vorsprung von 54,01%[7] vor Jacques Chirac, der ihm in der Endwahl entgegengetreten war. Er löste die Nationalversammlung auf und ließ im Juni Neuwahlen ansetzen, bei denen die sozialistische Partei die Mehrheit gewann und der ersten cohabitation ein Ende gesetzt war.

Während sich der Franc in Europa zu einer der härtesten Währungen entwickelte, überstieg in Frankreich die Arbeitslosigkeit erstmals die 3-Millionengrenze. Das Vertrauen der Bevölkerung in die sozialistische Regierung schwand. Weitere innen- und auch außenpolitische Krisen wie etwa der Verlust entscheidender Bezugspunkte der französischen Republik durch den Zerfall des sowjetischen Imperiums und mitgehend die Veränderung der weltpolitischen Lage schürten die allgemeine Unsicherheit und das Misstrauen in die Regierung.[8]

Bei den Parlamentswahlen, die am 21. und 28. März 1993 stattfanden, erlitt die Sozialistische Partei die schwerste Niederlage seit ihrer Gründung 1971 durch Mitterand. Nur 53 Abgeordnete wurden in das Parlament gewählt. RPR und UDF brachten es zusammen auf 458 Abgeordnete.[9]

Am 29. März ernannte Mitterand den Gaullisten Edouard Balladur zum neuen Premierminister.

2.3 Die dritte cohabitation 1997-2002

Die dritte cohabitation fand während der Amtszeit von Jacques Chirac statt. Dieser hatte nach seiner Wahl zum Präsidenten in April 1995 die Nationalversammlung aufgelöst und regierte seitdem mit einer bürgerlichen Mehrheit im Parlament. Allerdings unterstützten die bürgerlichen Parteien zwar loyal die Politik des von Chirac eingesetzten Premierministers Alain Juppé der RPR. In Einzelfragen verfolgten sie jedoch spezifische Ziele und erschwerten so das Regieren. Deshalb entschloss sich Chirac im Frühjahr 1997, das Parlament am 21. April nochmals aufzulösen und erhoffte sich von den folgenden Neuwahlen eine neue, effektivere Regierung, die sich leichter führen ließe.[10] Er stützte sich dabei auf die klare Mehrheit, welche die bürgerlichen Parteien seit 1995 im Parlament innehatte.

Seit dem Oktober 1995 hatte Chirac jedoch entgegen seinen Versprechen von einem sozialstaatlich orientierten Programm mit einer aktiven Beschäftigungspolitik, höheren Löhnen und besseren Sozialleistungen einen rigiden Reformkurs eingeschlagen, um die Defizite im Staatshaushalt auszugleichen. Darauf reagierten die Beschäftigten mit Empörung und Massenstreiks. Die Regierung des Premierministers wurde unpopulär, was der linken Opposition und auch der extremen Rechten zu Gute kam.

Chirac rechnete trotzdem weiter mit einem Sieg bei den Neuwahlen zur Nationalversammlung, die er für den 25. Mai und den 1. Juni angesetzt hatte. Doch er hatte sich verkalkuliert. Die Parlamentswahlen dieses Jahres ermöglichten den Sozialisten gemeinsam mit den Grünen, den Linksliberalen und den Linksrepublikanern, die bisherige Regierung abzulösen. Mit 320 der 577 Mandate besaßen sie eine eindeutige Mehrheit im Parlament und konnten so die Regierung stellen.[11] Premierminister wurde der Sozialist Lionel Jospin und der bürgerliche Präsident musste sich von nun an die Macht mit einem Premier des oppositionellen Lagers teilen. Im Gegensatz zu den vorangegangenen, kürzeren cohabitationsperioden dauerte diese cohabitation fünf Jahre, da erst nach dieser Zeitspanne eine Wiederwahl des Präsidenten und des Parlaments stattfand.

3 Das Spiel mit der Verfassung

3.1 Die Verfassung der V. Republik: Machtzusprüche an den Präsidenten

Die parlamentarischen Regierungssysteme der 3. und 4. Republik litten unter häufigen Wechseln der Mehrheiten in der Regierung, da die großen Machtbefugnisse des Parlaments es ihm ermöglichten, die Regierung nach Belieben aufzulösen und eine neue einzusetzen. Dies führte zu politischer Instabilität und geringer Regierungskontinuität, bei welcher der Präsident nur wenige Machtkompetenzen hatte.

Charles de Gaulle, der seit 1958 Staatspräsident war, schuf zusammen mit seinem damaligen Justizminister Michel Debré eine neue Verfassung, die konstituierend für die V. Republik wurde und bis heute nur minimal abgeändert wurde. Die Verfassung wurde am 28. September 1958 durch ein Referendum angenommen und trat am 4. Oktober in Kraft.

[...]


[1] Kimmel 1987a: 16

[2] Ebd.: 15

[3] Vgl. Kimmel 1989b: 21

[4] Vgl. Kellmann 1995: 13

[5] Weisenfeld 1997: 301

[6] Weisenfeld 1997: 306

[7] Ebd.: 310

[8] Vgl. Haupt 1994: 447

[9] Weisenfeld 1997: 333

[10] Vgl. Messerschmidt 2003: 399

[11] Höhne 1999: 70

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Frankreich: Die politische Machtfrage im Zeichen der cohabitation - Die Effizienzanalyse eines Ausnahmezustandes
Hochschule
Universität Passau
Veranstaltung
Grundkurs: Einführung in das Studium der Politischen Systeme
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
20
Katalognummer
V38300
ISBN (eBook)
9783638374002
ISBN (Buch)
9783638762328
Dateigröße
518 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Frankreich, Machtfrage, Zeichen, Effizienzanalyse, Einführung, Studium, Politischen, Systeme, cohabitation, Präsident, Kohabitation
Arbeit zitieren
Christina Kanwischer (Autor:in), 2004, Frankreich: Die politische Machtfrage im Zeichen der cohabitation - Die Effizienzanalyse eines Ausnahmezustandes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38300

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