Das Dilemma von Nähe und Distanz in der Grundschule. Professionalisierung der Lehrenden als Lösung des Problems?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2017

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Herausforderungen für Lehrende an Schulen

3 Das Dilemma von Nähe und Distanz
3.1 Nähe und Distanz als Kernproblem pädagogischen Handelns
3.2 Die Balance von Nähe und Distanz als professionelle Handlungskompetenz

4 Eine Möglichkeit zum Ausgleich des Ungleichgewichts von Nähe und Distanz
4.1 Schulische Organisationsentwicklung
4.2 Professionalisierung der Lehrenden
4.2.1 Fort-& Weiterbildungen
4.2.2 Supervision & Coaching im Arbeitsalltag

5 Fazit

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die folgende Ausarbeitung soll sich auf das Spannungsverhältnis von Nähe und Distanz im schulischen Umfeld konzentrieren. Der hier gewählte Bezugsrahmen des Dilemmas von Nähe und Distanz umfasst das Handeln von Lehrerinnen und Lehrern vor dem Hintergrund realer Alltagssituationen, da dort Beziehungsstrukturen unterschiedlicher Intensität entstehen, die sich unreflektiert als problematisch erweisen können. Der praktische Bezug deshalb, da in Kapitel 4.2 handlungsorientierte Lösungen für die Entwicklung einer in der Schullandschaft fehlenden Selbstreflexion in Form von Weiterbildungen/Supervisionen vorgeschlagen werden. Selbstreflexion im Alltag ist deshalb unerlässlich, da mit dem Begriff Alltag „die Wirklichkeit des Selbstverständlichen, des Vertrauten“ gemeint ist (vgl. Thiersch, 2012, S. 33). Hier wird die Problematik anhand der gewählten Adjektive deutlich. Adjektive wie „selbstverständlich“ und „vertraut“ suggerieren ein Handlungsschema, welches sich unflexibel in neuen Bewältigungssituationen verhält und sich auf „vertraute“ Muster verlässt. In diesem unreflektierten, auf pragmatischen Erfahrungen des Individuums beruhenden Umgang mit Nähe und Distanz muss davon ausgegangen werden, dass sich Alltagshandeln negativ auf das professionelle pädagogische Handeln auswirkt. Untersucht werden also Methoden, die die Entwicklung einer Lehrerpersönlichkeit begünstigen, um einen bewussten Umgang mit diffusen und spezifischen Beziehungsstrukturen innerhalb pädagogischer Institutionen zu erreichen. Das Dilemma von Nähe und Distanz in der Grundschule sollte deshalb mehr Beachtung erhalten, da der Wandel der Gesellschaft eine Verlagerung der Erziehungsverantwortung vermehrt in die Hände pädagogischer Einrichtungen legt. Mehr Erziehung bedeutet mehr Beziehung. Dieses „mehr an Beziehung“ gilt es vor dem Professionalitätsanspruch für Lehrende zu untersuchen. Inwiefern sich Weiterbildungsmaßnahmen oder Supervisionen als Professionalisierungsmaßnahme erweisen, soll im Folgenden versucht werden offenzulegen.

2 Herausforderungen für Lehrende an Schulen

Heutige schulische Bedingungen stellen unsere Lehrkräfte vor neue, teilweise unlösbare Herausforderungen. Diese sind in allen Bereichen des schulpädagogischen Umfeldes zu verorten. Den Schwerpunkt dieser Ausarbeitung bildet jedoch die Auseinandersetzung mit komplexen Beziehungsstrukturen innerhalb des „Arbeitsbündnisses“ (vgl. Combe & Helsper, 2002, S. 34) zwischen Lehrkräften und deren Schülerinnen und Schülern. Die Grundproblematik liegt darin, dass die reine Wissensvermittlung in Grundschulen heutzutage eine eher untergeordnete Rolle spielt, denn „[d]ie Tätigkeiten sind überkomplex, sie reichen vom gleichzeitigen Anspruch der Förderung und der Auslese über Stoffvermittlung , Erziehung, Motivierung, Disziplinierung, Individualisierung, bis hin zur Steuerung von Gruppenprozessen“ (vgl. Gudjons, 2000, S. 36; Hervorhebung A.-C.W.). Der in diesem Zitat hervorgehobene Begriff „Erziehung“ soll die Verlagerung des Erziehungsauftrages in die Schulen nochmals betonen. In Übereinstimmung mit Gudjons Einsichten ist Terhart davon überzeugt, dass heutige Erziehungsinstitutionen vermehrt pädagogische und erzieherische Aufgaben übernehmen sollten, welches in dem Wandel der Gesellschaft, nämlich in dem Abschwächen der Familie als Erziehungsort, begründet liegt. Somit sollten Schulen den Anforderungen einer „anspruchsvolleren und ganzheitlicheren Erziehungsstätte“ gerecht werden (vgl. Terhart, 2000, S. 77). Maria Fölling-Albers (zitiert nach: Maria Fölling-Albers, 1992, aus: Spitz, 2003, S. 46) fordert ebenfalls mehr Erziehung in Schulen, betont aber gleichzeitig die Schwierigkeit dieses Auftrags, da die „Liberalisierung der Erziehungsstile und die Verschiedenheit der Erziehungsmuster“ negative Auswirkungen auf die Empfänglichkeit der Schüler gegenüber einheitlichen Erziehungsmaßnahmen hat. Um den Eintritt erzieherischer Maßnahmen zu unterstützen, sollte sich dementsprechend die Lehrerausbildung anpassen, denn das bisher im Rahmen der Praktika angewandte, in der Lehrerausbildung gelernte Theoriewissen deckt nur sehr beschränkt das ab, was in der Praxis an Erziehungsleistung von den Professionellen gefordert wird (vgl. Imschweiler, 2010, S. 7). Daher die Forderung, theoretische und fachliche Inhalte in der Lehrerausbildung zu reduzieren um den Fokus mehr auf die Ausbildung erzieherischer und sozialpädagogischer Fähigkeiten richten zu können (vgl. Terhart, 2000, S. 78). Schließlich müsste eine Vertiefung der Erziehungsleistung gleichzeitig die Etablierung einer „Beziehungsdidaktik“ voraussetzen. Dieser Aussage wird entnommen, dass sich die Struktur des Verständnisses von Erziehung deutlich verändern muss. Aus Er ziehung, wird Be ziehung, denn die Vorstellung von Erziehung im Sinne eines „Verändernwollens“ und „Fremdbestimmens“ ist obsolet und widerspricht dem Bild eines Menschen als autonomes und selbstbestimmtes Wesen (vgl. Miller, 2011, S. 44). Demzufolge wird unter Erziehung „Wahrnehmen und Beobachten, Einfühlen und Erspüren, Entwicklungsförderung und Lebenshilfe, Zulassen der Möglichkeiten und Grenzziehung“ verstanden. Substantive wie „Behütung, Gegenwirkung und Unterstützung“ sollen den heutigen Erziehungsbegriff definieren (ebd). Zusammenfassend kann also formuliert werden, dass sobald Menschen in Kontakt treten, automatisch Beziehungen entstehen, in denen „Bedürfnisse, Interessen und Verhaltensweisen deutlich werden“ (ebd). In der Konsequenz sieht sich die Lehrperson in der Grundschule nicht nur mit den Beziehungsforderungen der Schüler, und der Rollenbehauptung des „Selbst“, sondern auch mit der Aufrechterhaltung des schulischen Systems, von dem sie abhängt, konfrontiert. Diese äußerst widersprüchlichen Anforderungen verlangen von Lehrkräften nicht nur den Schulkindern, sondern auch den Eltern gegenüber, eine „professionelle Nähe-Distanz-Regelung auszubalancieren (vgl. Spitz, 2003, S. 63).

3 Das Dilemma von Nähe und Distanz

„Grundlegendes Interesse am Werden und der Entwicklung der Heranwachsenden ist in der (Sozial)-Pädagogik begründet. In diesem Interesse birgt sich jedoch die Gefahr von zu viel Nähe oder Distanz. Menschen im Werden sind darauf angewiesen, gleichermaßen bedingungslose Akzeptanz aber auch einen zur Selbstbildung förderlichen Freiraum zu erfahren (Dörr & Müller, 2012, S. 38).

Dieser Abschnitt der Ausarbeitung soll das Dilemma von Nähe und Distanz zunächst erläutern, dann aber auch Sichtweisen präsentieren, die zum einen Nähe und somit eine Beziehung zwischen Pädagoge und Klient priorisieren, und zum anderen jene Positionen vorstellen, die Distanz als Eigenschaft professionellen Handelns beschreiben. Außerdem sollen Perspektiven, die für die Zusammengehörigkeit beider Phänomene plädieren, ebenfalls aufgezeigt werden. Beginnend äußert sich Burkhard Müller zur Definition des hier zu diskutierenden Dilemmas indem er erläutert, dass „das Handeln von Menschen in ihrer jeweiligen Lebenswelt […] entweder von nahen, vertrauten, intimen Beziehungen […] (zu Familie, Freunden, Liebsten) oder von distanzierten, sachlichen, oberflächlichen Beziehungen (zu Unbekannten, Funktionsträgern, Marktpartnern etc.) [ausgeht] […]. Professionelle Arbeitsbeziehungen [hingegen] sind im Unterschied zu beidem nahe und distanziert zugleich “ (Müller, 2012, S. 145, Hervorhebung und Einschub A.-C.W.). In Anlehnung an Müllers Erklärung führen Anja Seifert und Monika Sujbert die Inhärenz pädagogischer Verhältnisse zu pädagogischen Institutionen, (wie Kindergärten und Grundschulen) aus (vgl. Seifert & Sujbert, 2013, S. 172). Ein pädagogisches Verhältnis beschreibt in diesem Rahmen das sogenannte „pädagogische Einwirken“ auf das zu erziehende Subjekt. Dadurch, dass der „Erziehende“ dem „Zu-Erziehenden“ in Alter, Erfahrung (Praxiswissen, Professionswissen, Reflexionswissen), und der Fähigkeit, sein Gegenüber in seiner Rollenhaftigkeit zu betrachten, überlegen ist, entsteht eine das pädagogische Handeln bestimmende Antinomie (ebd.). Diese Antinomie nennt Spitz (Spitz, 2003, S. 63) „die pädagogische Handlungsantinomie von Distanz und Nähe“. Aus dieser Handlungsantinomie heraus entsteht ein spannungsgeladenes Verhältnis, welches die Erwachsenen-Kind-Beziehung bestimmt. Das Nähe-Distanz-Dilemma beschreibt in diesem Zusammenhang also das Problem des Entscheidens, mit wieviel „Nähe“ und/oder mit wieviel Distanz „pädagogisches Einwirken“ durchgeführt werden soll. Die Frage, die sich hierbei stellt ist, entscheidet man sich tatsächlich zwischen Nähe und Distanz? Wahrhaftig gibt es Positionen, die „Nähe“ als ein der Pädagogik zugehöriges Phänomen beschreiben, denn eine „Pädagogik ohne Nähe zwischen Personen wäre unmenschlich“ (Kegler, 2010, S. 26). Ein weiteres, die Nähe in der Pädagogik befürwortendes Argument liefert Strobel-Eisele, indem sie sagt, dass man ohne Nahbeziehung Gefahr läuft, als „distanzierter Theoretiker“, der nichts von Kindern und Erziehung versteht, betitelt zu werden. Sie sagt weiter, dass eine „liebevolle, fürsorgliche, stabile Nahbeziehung“ heute als selbstverständlich und maßgebend für die Erziehung sei (vgl. Strobel-Eisele, 2013, S. 182). Thiersch hingegen bringt Positionen hervor, die „[…] in der professionellen Fähigkeit zur Distanz das eigentliche Charakteristikum sozialpädagogischen Handelns [sehen] und dies immer wieder auch z.B. in der Auseinandersetzung mit und der Unterscheidung zu Ehrenamtlichen und Aktiven im bürgerschaftlichen Engagement deutlich [machen]“ (Thiersch, 2012, S. 32). Aber auch Helsper (vgl. Helsper, 2012, S. 29) warnt davor, die eigene emotionale biographische Anerkennungsgeschichte, die durch die Interaktion mit Kindern und Jugendlichen aktualisiert wird, zu einem Resonanzboden für gefährliche emotionale Verstrickungen werden zu lassen. Soll meinen, ohne eine an dieser Stelle „reflexive Distanz“ befindet man sich in einer diffusen Beziehungslogik, da die Heranwachsenden das Handeln der Lehrkräfte stets als „Infragestellung, Kränkung oder Bewertung auf ihr ganzes Selbst“ beziehen (ebd).

[...]

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Das Dilemma von Nähe und Distanz in der Grundschule. Professionalisierung der Lehrenden als Lösung des Problems?
Hochschule
Universität Trier
Veranstaltung
Professionskulturen in der Frühpädagogik
Note
1,3
Autor
Jahr
2017
Seiten
19
Katalognummer
V382035
ISBN (eBook)
9783668601543
ISBN (Buch)
9783668601550
Dateigröße
772 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nähe-Distanz-Dilemma, Grundschule, Schulische Organisationsentwicklung, Lehrerprofessionalität, Persönlichkeitsbildung, Supervision, Coaching
Arbeit zitieren
Ann-Cathrin Wehrmann (Autor:in), 2017, Das Dilemma von Nähe und Distanz in der Grundschule. Professionalisierung der Lehrenden als Lösung des Problems?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/382035

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