Lesekompetenz und Leseförderung. Welche Faktoren wirken sich auf die Lesekompetenz aus?


Hausarbeit, 2017

17 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Was ist Lesekompetenz?
2.1. Sieben Kompetenzstufen nach PISA

3. Welche Faktoren wirken sich auf die Lesekompetenz aus?
3.1. Mehrebenenmodell nach Rosebrock und Nix
3.1.1. Prozessebene
3.1.2. Subjektebene
3.1.3. Soziale Ebene

4. Leseförderung
4.1. Lautlese-Verfahren
4.2. Viellese-Verfahren
4.3. Lesestrategien
4.3.1. Vor dem Lesen
4.3.2. Während des Lesens
4.3.3. Nach dem Lesen
4.4. Erschließen von Sach- und literarischen Texten
4.5. Leseanimation

5. Schluss

1. Einleitung

Als die Ergebnisse der PISA (Programme für International Student Assessment)-Studie 2000 veröffentlicht wurden, war das öffentliche Interesse nicht nur in Deutschland groß. Aufgrund des schlechten Abschneidens der deutschen Schülerinnen und Schüler im Alter von 15 Jahren - sie erreichten im Bereich der Lesekompetenz nur einen Wert von 384 Punkten, was unter dem Durchschnittswert (500) der OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development)-Länder lag[1] – wurde der Fokus vermehrt auf die Lesekompetenz und dessen Förderung gelegt. Durch neue Strategien in Bezug auf die Leseförderung wurden bessere Ergebnisse erzielt, sodass die Bundesrepublik 2012 zum ersten Mal mit 508 Punkten über dem Durchschnitt lag und die positive Entwicklung 2015 mit einem Wert von 509 Punkten bestätigt werden konnte.[2]

Durch die Ergebnisse der PISA-Studie 2000 wurde der Fokus auf die Lesekompetenz gerichtet, die einen wichtigen Aspekt des gesellschaftlichen Lebens ausmacht. Nach einer eingehenden Definition des Begriffs Lesekompetenz werden die unterschiedlichen Kompetenzstufen nach PISA beschrieben, um zu zeigen, was einen guten Leser ausmacht.

Im darauffolgenden Kapitel wird aufgezeigt, was für Prozesse innerhalb des Leseaktes vonstattengehen. Dabei wird sich auf das Mehrebenenmodell von Rosebrock und Nix bezogen, welches als sinnvolle Grundlage gesehen wird, um die Prozesse innerhalb des eigentlichen Leseprozesses zu erkennen und sinnvoll fördern zu können. Letztendlich werden deshalb noch einige Methoden der Leseförderung vorgestellt.

2. Was ist Lesekompetenz?

Um die Frage „Was ist Lesekompetenz?“ zu beantworten, sollten zunächst die beiden einzelnen Begriffe des Lesens und der Kompetenz getrennt voneinander betrachtet und geklärt werden.

Laut Duden ist der Prozess des Lesens im ursprünglichen Sinne „etwas Geschriebenes, einen Text mit den Augen und dem Verstand [zu] erfassen“[3]. Nach dieser Begriffserklärung bedeutet der Prozess des Lesens, einzelne Symbole wie Buchstaben zu erkennen und zu einem zusammenhängenden Konstrukt zusammenzufügen. Wenn jemand lesen kann, ist diese Person in der Lage aus aneinandergereihten Buchstaben Wörter und aus aneinandergereihten Wörtern Sätze zu erkennen. Einen Text lesen zu können, bedeutet aber nicht gleichzeitig, dass er auch verstanden wird. Hier kommt die Kompetenz ins Spiel. Eine passende Definition des Kompetenzbegriffs liefert Maik Philipp in seinem Werk Lese- und Schreibunterricht. Er bedient sich hierfür bei einer Erklärung von Franz Weinert. Dieser versteht unter Kompetenz „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen [= die bewusst willentliche Steuerung von Handlungen betreffenden] und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“[4].

Eine Kompetenz ist also etwas, das wir erlernen können, indem wir etwas wahrnehmen, erkennen und dementsprechend zu unserem Nutzen verwenden können. Damit stellt er auch fest, dass eine Kompetenz sich nur auf gewisse Bereiche beziehen kann. Philipp erklärt, dass jemand lese- und schreibkompetent, aber gleichzeitig auf anderen Ebenen weniger kompetent sein könne, etwa in der Mathematik oder der Musik. Wie er weiterhin erkennt, reicht es jedoch nicht, eine Fähigkeit zu erlernen, um kompetent zu sein. Erst die Verbindung zwischen dem Aneignen einer Fertigkeit und ihrer richtigen Anwendung lässt es zu einer Kompetenz werden. Philipp beschreibt dies folgendermaßen: Kompetenz ist „nicht nur eine erlernte Fähigkeit zu verstehen, sondern zeigt sich in der Anwendung der Fähigkeiten in einer gegebenen Situation. Kompetent ist demnach, wer Erfolg dabei hat, seine Fähigkeiten flexibel zu nutzen.“[5]

In Hinsicht auf das Lesen ist somit zu sagen, dass es um mehr geht als das Verstehen von Wörtern und Sätzen. Es geht auch um den Einsatz von Wissen, weshalb zwischen der Lesefertigkeit, die die Fähigkeit des Verstehens schriftlicher Texte bezeichnet, und der Lesekompetenz differenziert werden muss. Dazu passt auch die Definition, die in Folge der PISA-Studie (Programme for International Student Assessment), einer international standardisiertenUntersuchung von Schulleistungen, zur Begrifflichkeit der Lesekompetenz entstand. Demnach wird unter Lesekompetenz „die Fähigkeit verstanden, geschriebene Texte zu verstehen, zu nutzen und über sie zu reflektieren sowie bereit zu sein, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, um eigene Ziele zu erreichen, eigenes Wissen und Potenzial zu entwickeln und an der Gesellschaft teilzuhaben.“[6]

Ein Leser gilt nicht sofort als kompetent, wenn er geschriebene Texte versteht, sondern sich auch mit ihnen beschäftigen und sie reflektieren kann. Durch die Verbindung dieser Fähigkeiten zu einem gelesenen Text entwickelt der Leser sein Wissen und somit auch sein Potenzial weiter, da er das neu erworbene Wissen in verschiedenen gesellschaftlichen Situationen zu seinen Gunsten nutzen kann. Im Mittelpunkt der Lesekompetenz steht vor allem der Umgang mit Textmaterial, welches praktisch im Leben angewendet wird. Durch das Verstehen eines Textes nehmen wir Informationen auf und können über diese nachdenken und sie bewerten. In Band 17 der Bildungsforschung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) heißt es:

„Lesefähigkeit stellt damit ein universelles Kulturwerkzeug dar, dessen Bedeutung auch in einer sich verändernden Medienlandschaft nicht geringer geworden ist. Vielmehr stellt sich immer wieder heraus, das lesen zu können eine notwendige Voraussetzung bzw. Schlüsselqualifikation für den kompetenten und selbstbestimmten Gebrauch aller Medien darstellt.“[7]

Während die Lesefertigkeit nur beschreibt, wie gut oder schlecht eine Person Buchstaben, Silben und Wörter aneinanderreihen und einen Text flüssig lesen kann, versucht die Lesekompetenz die gesamte Umgangsweise mit einem Text auszudrücken: Wird der Text verstanden? Welche Informationen, welche Fakten, welche Aussagen beinhaltet der Text? Was bedeuten diese Aussagen? Die Lesekompetenz offenbart den Level des Individuums, wie viel es von einem Text versteht.

2.1. Sieben Kompetenzstufen nach PISA

Für die Erfassung der erhobenen Daten in den Tests und der anschließenden Auswertung der Ergebnisse wurden im Zuge der PISA-Studie sieben Kompetenzstufen entwickelt, die die unterschiedlichen Stufen der Lesekompetenz beschreiben. Nachdem in den ersten PISA-Studien 2000, 2003 und 2006 noch fünf Kompetenzstufen der Lesekompetenz unterschieden wurde, gibt es seit 2009 sieben Kompetenzstufen, die einen noch differenzierteren Blick auf die Ergebnisse geben. Die erste Stufe, die das oberflächliche Verständnis einfacher Texte beschreibt, wurde damals in die drei Unterstufen „Unter 1b“, „1b“ und „1a“ unterteilt. Die weiteren Stufen, die das Herstellen einfacher Verknüpfungen (Stufe 2), die Integration von Textelementen und Schlussfolgerungen (Stufe 3), das detaillierte Verständnis komplexer Texte (Stufe 4) und die flexible Nutzung unvertrauter, komplexer Texte (Stufe 5) beschreiben, blieben bestehen. Es können durch das Lösen von unterschiedlichen Aufgaben Punkte erzielt werden, die am Ende eine Einordnung in eine Kompetenzstufe möglich machen. Bei unter 261 Punkten rangiert man in der erwähnten niedrigsten Kategorie unter 1b. Die höchste Kompetenzstufe, Stufe 5, wird bei einer Punktzahl von 698 aufwärts erreicht. Im folgendenden werden die Kompetenzstufen nach PISA vorgestellt:

Unter Kompetenzstufe 1b (≤261): Im Sinne der Definition nach PISA kann bei Jugendlichen, die die unterste Kompetenzstufe 1b nicht erreichen, davon ausgegangen werden, dass dies erhebliche Probleme und Nachteile für die zukünftige Teilnahme am gesellschaftlichen und beruflichen Leben mit sich führt.

Kompetenzstufe 1b (262-334): Jugendliche auf dieser Stufe können in einem kurzen, syntaktisch einfachen Text aus gewohnten Kontext, dessen Form vertraut ist (z.B.) in einer einfachen Liste oder Erzählung), eine einzige, explizit ausgedrückte Information lokalisieren, die leicht sichtbar ist. Der Text enthält in der Regel Hilfestellungen für den Leser, wie Wiederholungen, Bilder oder bekannte Symbole. Es gibt kaum konkurrierende Informationen. Bei anderen Aufgaben müssen einfache Zusammenhänge zwischen benachbarten Informationsteilen hergestellt werden.[8]

Kompetenzstufe 1a (335-407): Aufgaben dieser Kompetenzstufe erfordern vom Leser/von der Leserin, in einem Text zu einem vertrauen Thema eine oder mehrere unabhängige, explizit ausgedrückte Informationen zu lokalisieren, das Hauptthema oder die Absicht des Autors zu erkennen oder einen einfachen Zusammenhang zwischen den im Text enthaltenen Informationen und allgemeinem Alltagswissen herzustellen. Die erforderlichen Informationen sind in der Regel leicht sichtbar, und es sind nur wenige beziehungsweise keine konkurrierenden Informationen vorhanden. Der Leser wird explizit auf die entscheidenden Elemente in der Aufgabe und im Text hingewiesen.[9]

Kompetenzstufe 2 (408-479): Jugendliche auf dieser Stufe können innerhalb eines Textabschnitts logischen und linguistischen Verknüpfungen folgen, mit dem Ziel, Informationen im Text zu lokalisieren oder zu interpretieren; im Text oder über Textabschnitte verteilte Informationen aufeinander beziehen, um die Absicht des Autors zu erschließen. Bei Aufgaben dieser Stufe müssen unter Umständen auf der Grundlage eines einzigen Textbestandteiles Vergleiche und Gegenüberstellungen vorgenommen werden oder es müssen, ausgehend von eigenen Erfahrungen oder Standpunkten, Vergleiche angestellt oder Zusammenhänge zwischen dem Text und nicht im Text enthaltenen Informationen erkannt werden.[10]

Kompetenzstufe 3 (480-552): Aufgaben dieser Kompetenzstufe erfordern vom Leser/ von der Leserin, vorhandenes Wissen über die Organisation und den Aufbau von Texten zu nutzen, implizite oder explizite logische Relationen (z.B. Ursache-Wirkungs-Beziehungen) über mehrere Sätze oder Textabschnitte zu erkennen, mit dem Ziel, Informationen im Text zu lokalisieren, zu interpretieren und zu bewerten. Einige Aufgaben verlangen vom Leser/ von der Leserin, einen Zusammenhang zu begreifen oder die Bedeutung eines Wortes oder Satzes zu analysieren. Häufig sind die benötigten Informationen dabei nicht leicht sichtbar oder Passagen des Textes laufen eigenen Erwartungen zuwider.[11]

Kompetenzstufe 4 (553-625): Aufgaben dieser Kompetenzstufe erfordern vom Leser/von der Leserin, linguistischen oder thematischen Verknüpfungen in einem Text über mehrere Abschnitte zu folgen, oftmals ohne Verfügbarkeit eindeutiger Kennzeichen im Text, um eingebettete Informationen zu finden, zu interpretieren und zu bewerten oder um psychologische oder philosophische Bedeutungen zu erschließen. Insgesamt muss ein genaues Verständnis langer oder komplexer Texte, deren Inhalt oder Form ungewohnt sein kann, unter Beweis gestellt werden.[12]

Kompetenzstufe 5 (626-697): Jugendliche auf dieser Stufe können sowohl mehrere tief eingebettete Informationen finden, ordnen und herausfinden, welche jeweils relevant sind, als auch ausgehend von Fachwissen eine kritische Beurteilung und Hypothese anstellen. Die Aufgaben dieser Stude setzen in der Regel ein volles und detailliertes Verständnis von Texten voraus, deren Inhalt oder Form ungewohnt ist. Zudem muss mit Konzepten umgegangen werden können, die im Gegensatz zum Erwarteten stehen.[13]

Kompetenzstufe 6 (≥ 698): Jugendliche auf dieser Stufe können Schlussfolgerungen, Vergleiche und Gegenüberstellungen detailgenau und präzise anstellen. Dabei entwickeln sie ein volles und detailliertes Verständnis eines oder mehrerer Texte und verbinden dabei unter Umständen gedanklich Informationen aus mehreren Texten miteinander. Hierbei kann auch die Auseinandersetzung mit ungeohnten Ideen gefordert sein, genauso wie der kompetente Umgang mit konkurrierenden Informationen und abstrakten Interpretationskategoiren sowie hohe Präzision im Umgang mit zum Teil unauffälligen Textdetails.[14]

3. Welche Faktoren wirken sich auf die Lesekompetenz aus?

Die Unterteilung in Kompetenzstufen zeigt, dass der Leseakt sehr komplex sein kann, je nachdem auf welchem Niveau sich der gelesene Text und auf welchem Niveau sich die Fähigkeiten des Lesers befinden. Wichtige Faktoren, die sich zum Beispiel auf die Lesekompetenz auswirken sind die kognitiven Fähigkeiten des Lesers. Dazu gehören unter anderem das Erkennen von Buchstaben-, Wort- und Satzfolgen, die durch den Zugriff auf das mentale Lexikon und das Vorwissen des Rezipienten zu einem inhaltlich sinnvoll strukturierten Konstrukt verbunden werden. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch Faktoren wie die Motivation oder die Gefühle des Lesers. Nur wenn der Leser, sei es aus Eigenantrieb oder durch Motivation von außen, angeregt wird einen Text verstehen können zu wollen, wird sich die Lesekompetenz auch verbessern.

Zudem spielen auch Faktoren wie die Familie, Freunde oder Gruppen mit ähnlichen Interessen eine Rolle, da sie den Leseprozess auf eine soziale Ebene heben. Durch gemeinsames Lesen oder den Austausch darüber wird die Lesekompetenz vorangetrieben. Rosebrock und Nix haben ein Modell entwickelt, dass all jene Faktoren berücksichtigt und zeigt, wie sie zusammen wirken.

3.1. Mehrebenenmodell nach Rosebrock und Nix

Das Verstehen eines Textes, nicht nur der Wörter, sondern auch der expliziten und impliziten Verknüpfungen, die in den Kompetenzstufen der PISA-Studie benannt werden, können in einem mehrebenigen Kompetenzmodell wiedergefunden werden. Das Modell wurde von Rosebrock und Nix (2008) entwickelt und in Grundlagen der Didaktik erstmals erklärt. Es ist die Differenzierung von einem „Bündel von Einzelleistungen unterschiedlicher Art“[15] Dieses Modell wird in drei Ebenen unterteilt: die Prozessebene, die Subjektebene und die soziale Ebene. Im Folgenden werden diese drei Ebene näher beschrieben, um anschließend einen Zusammenhang zwischen den Kompetenzstufen und den beschriebenen Faktoren innerhalb dieser Ebenen, die Einfluss auf die Lesekompetenz haben, herzustellen.

3.1.1. Prozessebene

Die Prozessebene ist die erste Ebene dieses Mehrebenenmodell des Lesens. Sie besteht insgesamt aus fünf Dimensionen der Verarbeitung. Auf dieser Ebene werden die mentalen Leistungen zusammengefasst, die während des Lesens durchgeführt werden. Die einzelnen Leistungen zwischen denen unterschieden wird, können in diverse Kategorien eingeteilt werden. Diese Kategorien sind die Wort- und Satzidentifikation, die lokale Kohärenz, die globale Kohärenz, das Erkennen von Superstrukturen und das Identifizieren von Darstellungsstrategien. Zusammenfassend können diese Kategorien als die kognitiven Anforderungen des Leseaktes benannt werden. Die optisch gesehen oberste Stufe innerhalb dieser Ebene, ist zugleich die hierarchieniedrigste. Der Leseprozess beginnt mit dem Erfassen der wörtlichen Textoberfläche. Aus dieser Textoberfläche müssen anschließend Sinnzusammenhänge geschlossen werden. Nun kommt die Kohärenz ins Spiel. Anders als die Kohäsion, die den Zusammenhang eines Textes auf strukturell-grammatischer Ebene beschreibt, stellt die Kohärenz den inhaltlich-thematischen Zusammenhang eines Textes dar. „Wir verstehen Texte, indem wir beim Lesen das Wissen eines Textes in Verbindung mit unserem Vorwissen und unseren Erwartungen bringen“[16], beschreiben Busch und Stenschke in Germanistische Linguistik – Eine Einführung den Vorgang der Kohärenz.

Der Kohärenz-Begriff wird auf der Prozessebene ebenfalls noch einmal in zwei unterschiedliche Teilabschnitte unterteilt. Zum einen in die lokale Kohärenz, die kleinere Sinnzusammenhänge rekonstruiert und zusammenfügt. Hierunter fällt zum Beispiel das Erkennen von einzelnen gegebenen Informationen durch die Verknüpfung von Satzfolgen und dem Einbezug des Sprach- und Weltwissens des Lesers. Auf der Stufe der globalen Kohärenz dagegen wird der große inhaltliche Zusammenhang des gesamten Textes erfasst, indem das Thema und der Inhalt des Textes identifiziert werden.

Ist es dem Leser diese Kohärenzbildung gelungen, geht es im nächsten Schritt darum, den Text in sogenannten Superstrukturen einzuordnen. Darunter ist in der Kognitionspsychologie die „mentale Repräsentation der Gestaltung und Organisation des Textes“[17] zu verstehen. Auf der Ebene der lokalen Kohärenz wird zum Beispiel erkannt, wenn ein Begriff metaphorisch genutzt werden kann. Auf der Ebene der globalen Kohärenz werden Textsortenmuster zum Verständnis des vorliegenden Textes herangezogen. Der Leser erkennt, sofern er die Superstrukturen differenzieren kann, anhand der verschiedenen Textmerkmale um welche Textsorte (z.B. Erörterung, Erzählung, Geschäftsbrief, usw.) es sich handelt.

Die letzte, aber hierarchisch höchste Fähigkeit auf der Prozessebene, ist es, beim Lesen zwischen diversen Darstellungsstrategien zu unterscheiden, um die richtige Darstellungsform für den gegeben Text durch den Zusammenschluss von Inhalt und Form zu erkennen. Rosebrock nennt als Beispiel die Textform einer Märchenparodie. In diesem Fall muss es beim Leseprozess gelingen, „ein globales Inhaltsverstehen (Rotkäppchen trifft Wolf, usw.) und formale Merkmale (Rotkäppchen will den Wolf beißen – Ironiesignal) so zusammen zu binden, dass auf die Darstellungsintention (Parodie der Grimm-Version) geschlossen werden kann.“[18]

3.1.2. Subjektebene

Die zweite Ebene in diesem Modell nach Rosebrock und Nix ist die Subjektebene. Auf dieser Stufe geht es um die Motivationen, Emotionen, Reflexionen und das subjektiven Weltwissen des Lesers. All diese Faktoren haben ebenfalls einen großen Einfluss auf das Lesen, da sie das subjektive Engagement des Lesers aufzeigen. Letztendlich fließen diese Unterpunkte zusammen im Selbstkonzept als (Nicht-) Leser/in, „in dem sich alle Aspekte der Subjektebene bündeln.“[19]

„Der Rezipient muss sein Vorwissen aktivieren, ordnen und ggf. umstrukturieren, er muss auch in emotionaler Hinsicht bereit sein, affektive Erfahrungen und Befindlichkeiten zu vollziehen, die der Text nahelegt, und er oder sie muss schließlich die Bedeutung des Textes über dessen explizit formulierten Rahmen hinaus reflektieren können.“[20]

Zusammengefasst wird dies unter dem Begriff des Leseengagements. Der Leser muss dazu bereit sein, sich mit dem Text auseinanderzusetzen, um die verschiedenen Aspekte zu verstehen. Rosebrock spricht in diesem Fall von Triebkräften, die auf die Prozessebene eine positive Wirkung haben, indem sie z.B. durch die Motivation einen Text verstehen zu wollen, aktiviert werden.

Die Motivation kann intrinsisch oder extrinsisch erfolgen. Intrinsisch motiviert ist der Leser normalerweise, wenn er in der Freizeit gerne liest und aus freien Stücken mit dem Lesen beginnt. Extrinsisch motiviertes Lesen geschieht im Regelfall beim schulischen Lesen, wenn der Lehrer die Schüler zum Beispiel im Unterricht oder als Hausaufgabe dazu auffordert einen Text zu lesen.

3.1.3. Soziale Ebene

Die letzte, aber auch komplexeste Ebene ist die soziale Ebene des Mehrebenenmodells. Sie spielt eine große Rolle für das Ausmaß der Lesekompetenz. Die soziale Ebene beschäftigt sich mit dem Einfluss der sozialen Situation des Lesers, die von der Familie, der Schule, sogenannten peer groups, also Menschen mit gleichen Interessen, und dem kulturellen Leben beeinflusst wird.

Im Falle der sozialen Ebene bekommen diverse unterschiedliche zwischenmenschliche Interaktionen in Bezug auf das Lesen eine große Bedeutung. Der gesamte Erwerbsprozess von Lesekompetenz ist schon von der frühen Kindheit an stark auf soziale Kontexte angewiesen. In Texte lesen nennt Garbe Beispiele wie das Vorlesen im Kleinkindalter über literarische Gespräche in der gymnasialen Oberstufe bis hin zu Lektüreempfehlungen von Freunden und Lektürezirkeln im akademischen Betrieb, die solche sozialen Kontexte darstellen.

„Lesen ist keine ‚einsame Tätigkeit‘; die lebensgeschichtliche Ausbildung einer stabilen Lesepraxis ist auf personale Beziehungen angewiesen.“[21] Diese Feststellung stellt noch einmal den sozialen Charakter des Lesens heraus. Durch das Lesen entsteht eine Sozialisation mit anderen Menschen in der eigenen Umwelt. Durch das Austauschen mit anderen über Leseerfahrungen entsteht die Anschlusskommunikation, die wie auf der Subjektebene das Selbstkonzept als (Nicht-) Leser/in, eine Art Zusammenschluss der unterschiedlichen Faktoren auf der sozialen Ebene darstellt.

[...]


[1] https://www.mpib-berlin.mpg.de/Pisa/PISA_im_Ueberblick.pdf S.9 (Letzter Zugriff: 26.03.2017)

[2] http://www.tresselt.de/pisa.htm

[3] http://www.duden.de/rechtschreibung/lesen_dozieren_schmoekern (Letzter Zugriff: 26.03.2017)

[4] Philipp, Maik: Lese- und Schreibunterricht. Suttgart 2013. S.10.

[5] Ebd.

[6] http://www.pisa.tum.de/fileadmin/w00bgi/www/Berichtband_und_Zusammenfassung_2012/PISA_2015_eBook.pdf , S.252. (Letzter Zugriff: 28.03.2017)

[7] Artelt, Cordula, u.a.: Bildungsforschung Band 17. Förderung von Lesekompetenz – Expertise. Bonn, Berlin 2007. S. 5.

[8] http://www.pisa.tum.de/fileadmin/w00bgi/www/Berichtband_und_Zusammenfassung_2012/PISA_2015_eBook.pdf. S.258. (Letzter Zugriff: 28.03.2017)

[9] Ebd.

[10] Ebd.

[11] Ebd.

[12] Ebd.

[13] Ebd.

[14] Ebd.

[15] Rosebrock, C.:Standardorientierung im Lese- und Literaturunterricht der Sekundarstufe I. Baltmannsweiler 2014. S.13

[16] Busch, .A/ Stenschke, O.: Germanistische Linguistik. Eine Einführung. Tübingen 2008. S. 233.

[17] Rosebrock (2014) S.15

[18] Ebd.

[19] Garbe, C.: Texte lesen. Lesekompetenz - Textverstehen - Lesedidaktik - Lesesozialisation. Paderborn 2010. S. 35.

[20] Rosebrock (2014) S.22

[21] Garbe (2010) S.35.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Lesekompetenz und Leseförderung. Welche Faktoren wirken sich auf die Lesekompetenz aus?
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Professur für Deutsche Sprachwissenschaft)
Veranstaltung
Wörter lesen, schreiben, lernen: Neue Forschung zu Wortschatzarbeit und Wortschatzerwerb
Note
2,7
Autor
Jahr
2017
Seiten
17
Katalognummer
V382011
ISBN (eBook)
9783668580787
ISBN (Buch)
9783668580794
Dateigröße
543 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Deutsch, Germanistik, Wörter, lesen, lernen, schreiben, Wortschatzarbeit, Wortschatz, Wortschatzerwerb
Arbeit zitieren
Andreas Köhler (Autor:in), 2017, Lesekompetenz und Leseförderung. Welche Faktoren wirken sich auf die Lesekompetenz aus?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/382011

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