Warum es zum Irakkrieg kam


Seminararbeit, 2005

18 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Ideationistischer Liberalismus

II. Einfluss gesellschaftlicher Gruppen
II.1. Die Christliche Rechte
II.2. Neokonservative Think Tanks
II.3. Die Parallele: der Kampf für das Gute

III. Entscheidende Identitätskrise nach dem 11.9.

IV. Die neue Identität

V. Die Identität des Irak

VI. Ergebnis und Kritik

Literaturverzeichnis

I. Ideationistischer Liberalismus

Der Ideationistische Liberalismus hat seinen Fokus auf die subsystemische Ebene gerichtet. Vertreter dieser Denkschule wollen den Konfliktaustrag anhand der nationalen, politischen, sozioökonomischen und/oder ideologischen Identitäten der Interaktionspartner erklären. Eine seiner Kernhypothesen lautet: wenn die interagierenden Akteure glauben, dass ihre jeweiligen Identitäten nicht miteinander vereinbar sind, ist Nichtkooperation wahrscheinlich.[1] Entscheidender Interaktionsmechanismus ist also das gegenseitige tagging, das nach der Identitätskonstellation in der Wahrnehmung der Akteure fragt. Im vorliegenden Fall ist demnach zu untersuchen, ob sich durch neue bestimmende Identitäten das Selbstbild der US-amerikanischen und/oder der irakischen Gesellschaft und damit auch die Wahrnehmung der jeweils anderen Gesellschaft maßgeblich verändert hat. Nach der Denkschule des Ideationistischen Liberalismus entstehen Identitäten im innergesellschaftlichen Diskurs zwischen verschieden gesellschaftlichen Gruppen, in dem sich eine gewisse Identität schließlich durchsetzt. Diese subsystemischen Diskurse lassen sich in den liberal-demokratischen Vereinigten Staaten von Amerika relativ gut nachvollziehen. Debatten im Parlament, Parteiprogramme, Umfrageergebnisse, Publikationen und Medienberichterstattung spiegeln den „Streit der Normen und Werte“ und welche Positionen sich schließlich durchsetzen können anschaulich wider.

Der Blick auf die irakische Gesellschaft gestaltet sich dagegen ungleich schwerer. Das Fehlen einer unabhängigen Presse und des Rechtes zur freien Meinungsäußerung verhindern ja gerade den subsystemischen Normendiskurs und damit die Identitätsbestimmung, wie sie sich der Ideationistische Liberalismus vorstellt. Ob also tatsächlich eine neue irakische Identität zu einem heterogenen tagging geführt hat, lässt sich nur schwer nachweisen.

So möchte ich mich im Folgenden auf das US-amerikanische Subsystem konzentrieren, da auch die Analyse nur einer Gesellschaft hinreichend sein kann, um eine neue Identitätskonstellation festzustellen. Schließlich hat sich im langjährigen USA-Irak-Konflikt der Austragungsmodus vor allem dadurch verändert, dass die Vereinigten Staaten ihre Außenpolitik modifiziert haben. Zwar wurde der Konflikt bereits vor dem 20. März 2003 regellos ausgetragen. Doch wurde mit dem Einmarsch der US-Streitkräfte militärische Durchschlagskraft an die Stelle diplomatischer Bemühungen gesetzt.

Um die abhängige Variable des Irak-Krieges mit Hilfe des Ideationistischen Liberalismus zu erklären, soll hier also vor allem untersucht werden, inwiefern sich die US-amerikanische Identität entscheidend verändert hat, um neue Präferenzen in der Außenpolitik zu konfigurieren. Wurden subsystemische Normen und Werte einer Neubewertung unterzogen, wodurch der Einsatz militärischer Gewalt nicht nur gebilligt, sondern regelrecht gefordert wurde? Haben sich neue gesellschaftliche Gruppen in den Vordergrund gespielt, deren Selbstbild der USA einen Krieg gegen den Irak notwendig machte? Inwiefern hat auch der 11.September 2001 und der ausgerufene „Krieg gegen den Terror“ als Krisensituation einer Identitätsveränderung Vorschub geleistet?[2] Im Rahmen dieser Fragen wird Präsident Bush ganz im Sinne des Ideationistischen Liberalismus nur als Rollenspieler betrachtet, der der eventuellen gesellschaftlichen Präferenz eines Krieges gegen den Irak lediglich aufgrund der Logik der Angemessenheit Folge leisten würde.

Erst in einem zweiten Schritt soll untersucht werden, warum Iraks Diktator Saddam Hussein aus Identitätsgründen nicht nachgeben und so im letzten Moment den Krieg nicht mehr verhindern konnte.

II. Einfluss gesellschaftlicher Gruppen

Tatsächlich haben sich unter der Administration von George W. Bush gesellschaftliche Gruppen des äußersten rechten Randes zunehmend Gehör und Einfluss verschafft. Die zwei wichtigsten unter ihnen sind die Christliche Rechte und die Neokonservativen. Ihre Wertevorstellungen, insbesondere im Hinblick darauf, wie diese ihre außenpolitischen Präferenzen konstituieren, sowie ihre Bedeutung für den innergesellschaftlichen Diskurs über Normen und Werte sollen hier ausführlich vorgestellt werden.

II.1. Die Christliche Rechte

„Die Christliche Rechte kann als eine politische und soziale Bewegung verstanden werden, die entscheidend zur Politisierung und Mobilisierung des amerikanischen protestantischen Fundamentalismus ab Mitte der siebziger Jahre beigetragen hat.“[3] Im bekennenden Evangelikalen[4] Bush Junior sahen die Christlichen Rechten einen der ihren und ebneten ihm im Wahljahr 2000 mit ihren Stimmen maßgeblich den Weg ins Weiße Haus[5]. Sie hatten sich in Bush nicht getäuscht, wie sich in der Personalbesetzung des neuen Präsidenten zeigen sollte. So wurde zum Beispiel John Ashcroft, Anhänger der Christlichen Rechte, mit dem Posten des Justizministers betraut. Es gilt als sicher, dass die Christliche Rechte seither bei zahlreichen innenpolitischen Regierungsprogrammen und sogar Unterrichtsplänen ihre Hände im Spiel hat, um ihrem selbst erklärten Auftrag, traditionelle religiös-moralische und soziale Werte und Institutionen zu verteidigen, gerecht zu werden. So soll beispielsweise die umstrittene Initiative „ Just wait “ US-amerikanischen Schülern den Wunsch nach vorehelichem Geschlechtsverkehr austreiben.[6] Doch auch von einer guten Außenpolitik hat die Christliche Rechte klare Vorstellungen. Seit den 90er Jahren versucht sie, ihren moralischen Werten, die einer christlich-jüdischen Tradition entspringen, verstärkt auch in außenpolitische Fragen Geltung zu verschaffen.[7] Minkenberg gelingt die für den Ideationistischen Liberalismus interessante Beobachtung: „In drei zentralen Bereichen operiert die Bush-Administration im Sinne der Christlichen Rechten: in ihrem nationalistischen Unilateralismus, in der Nahostpolitik und im Kampf gegen den Terror.“[8]

a) Nationalistischer Unilateralismus

Damit einher geht eine tiefe Abneigung gegen die Vereinten Nationen, da diese eine säkulare Weltordnung vorantreiben und damit die USA ernsthaft bedrohen würden. So wird der Generalsekretär der Vereinten Nationen in der Buchserie „Left Behind“, die Millionen Amerikaner erreichte, getreu dieser Überzeugung als Antichrist dargestellt. Folgende unilateralistischen Regierungsentscheidungen jüngster Zeit fanden bei der Christlichen Rechten besonderen Zuspruch[9]:

- Aufkündigung des ABM-Vertrags
- Aufkündigung des Kyoto-Protokolls
- Keine Unterschrift des Statuts für den Internationalen Gerichtshof
- Keine Teilnahme an UN-Programmen zur Familienplanung
- Keine Unterstützung für die UN-Anti-Diskriminierungskonvention

b) Nahostpolitik

Die Christliche Rechte stellt sich seit den siebziger Jahren im Nahostkonflikt entschlossen an die Seite Israels. Diese Haltung gründet sich in ihrer Überzeugung, dass Christus – wie es in der Heiligen Schrift steht – unter anderem nur wiederkehren könne, wenn der israelische Staat in den biblischen Grenzen (und die schließen die besetzten palästinensischen Gebiete mit ein) existiert. „Israel is the only nation created by a sovereign act of God [...] If God created and defends Israel, those nations that fight against it fight against God“[10], so der Schluss von John Hagee, Anhänger der Christlichen Rechten.

Der Punkt der Nahostpolitik wird hier nicht nur genannt, um zu zeigen, dass die Christliche Rechte auch in diesem außenpolitischen Thema mit der derzeitigen Regierung zufrieden sein kann. Schließlich übt im Vergleich zu ihrer Vorgängerin die Bush-Administration – ganz im Sinne der Christlichen Rechten – in der Tat deutlich weniger Druck auf Israel aus.

Auch ein Irakkrieg erfüllt gerade im Israel-Kontext ganz die Präferenz der Christlichen Rechten: durch den Regimewechsel hat Israel „einen seiner unerbittlichsten Feinde verloren“[11]. Der Christlichen Rechten geht es dabei natürlich nicht um den Schutz Israels als wichtigen militärischen Bündnispartner, was mehr ein realistischer Ansatz wäre. Es gilt, aus den oben genannten Gründen, den Gottesstaat zu verteidigen. Das USA-Bild der Christlichen Rechten zeigt die Vereinigten Staaten von Amerika so als Beschützer Israels und damit als Nation von Kämpfern im Auftrag Gottes.

c) Kampf gegen den Terror

Der 11.9. in der Lesart der Christlichen Rechten: eine gerechte Strafe für eine Nation, die ihre moralischen Tugenden verlegt und ihre großen Tugenden und traditionellen Werte gegen liberales Gedankengut und säkulare Ideen eingetauscht hat. Jarry Falwell zieht im US-Fernsehen einen direkten Zusammenhang zwischen moralischem Zerfall und einstürzenden Twin Towers: „the pagans, and the abortionists, and the feminists, and the gays and lesbians who are trying to make that alternative lifestyle, the ACLU[12], People for the American Way[13] – all of them who have tried to secularize America – I point the finger in their face and say: You helped this happen.“[14] Der 11.9. wurde demnach erst durch den sittlichen Niedergang der US-amerikanischen Gesellschaft ermöglicht. Der Kampf gegen den Terror verlangt nun, dass sich das amerikanische Volk auf seine Grundwerte besinnt. Indem der Krieg als moralischer Feldzug gegen den Terrorismus“[15] geführt wird, können so die inneren und äußeren Feinde der US-Gesellschaft besiegt werden. Der Einfluss dieser Deutung soll unter dem Aspekt der Identitätskrise nach dem 11.9. weiter unten noch ausgeführt werden.

Neben diesen Punkten muss auch dem Suprematie-Anspruch des Christentums gegenüber anderen Religionen (insbesondere dem Islam, der als regelrechter Feind angesehen wird) außenpolitisches Gewicht beigemessen werden.

Die Christliche Rechte nimmt durch Vertreter in der Regierung, die sich mit deren Vorstellungen identifizieren, direkten Einfluss auf die Politik. Durch Initiativen, Kampagnen und charismatische Fernsehprediger sind sie aber auch an der Meinungs- und damit Identitätsbildung der Gesellschaft beteiligt.

[...]


[1] Der Einfachheit halber soll im Rahmen dieser Denkschule die Zeit vor Kriegsbeginn als Stadium der Verhandlung in einer Rivale/Rivale-Konstellation angesehen werden. Die bisherige Identitätskonstellation hat demnach noch keine antagonistische Interaktion in Form eines Krieges gerechtfertigt.

[2] Um den innergesellschaftlichen Diskurs andeutend abbilden zu können, möchte ich im Folgenden Mitglieder dominanter Gruppen und vorzugsweise amerikanische Autoren zu Wort kommen lassen.

[3] Minkenberg, Michael (2003): „Die Christliche Rechte und die amerikanische Politik von der ersten bis zur zweiten Bush-Administration.“ In: Aus Politik und Zeitgeschichte. B.46/2003. Herausgegeben von der Bundeszentrale für politische Bildung. Frankfurt a.Main, 23-32: S. 24

[4] Evangelikale oder „born-again Christians“ nehmen das Wort der Heiligen Schrift als bare Münze. Sie lassen also keine Bibelinterpretationen zu.

[5] vgl. Minkenberg (2003): S. 29

[6] vgl. Kubitschek, Jochen (2005): „Aufklärung à la Bush - Sex, Lügen und schwangere Teenies.“ Auf http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,336375,00.html [Zugriff am 20.02.2005]

[7] vgl. Czempiel, Ernst-Otto (2003): „Die stolpernde Weltmacht,“ In: Aus Politik und Zeitgeschichte. B.46/2003. Herausgegeben von der Bundeszentrale für politische Bildung. Frankfurt a.Main, 17-15: S.10

[8] Minkenberg (2003): S.30; vgl. im Folgenden ebd. S.30f

[9] Stand: Kriegsjahr 2003

[10] zitiert in Minkenberg (2003): S.31

[11] Czempiel (2004): S.19

[12] American Civil Liberties Union. Organisation, die sich unter anderem für die Verteidigung der individual rights einsetzt. Siehe: http://www.aclu.org/about/aboutmain.cfm [Zugriff am 26.02.2005]

[13] PFAW: Organisation, die sich als Verteidiger der Demokratie sieht. Die Fundamental rights and freedoms der US-amerikanischen Gesellschaft seien in den Augen der PFAW-Mitglieder durch den Einfluss der radikalen Rechten ernsthaft bedroht. Siehe: http://www.pfaw.org/pfaw/general/default.aspx?oid=163 [Zugriff am 26.02.2005]

[14] zitiert in Minkenberg (2003). S.31

[15] Minkenberg (2003): S.31

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Warum es zum Irakkrieg kam
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Proseminar
Note
1.0
Autor
Jahr
2005
Seiten
18
Katalognummer
V38110
ISBN (eBook)
9783638372817
ISBN (Buch)
9783638749572
Dateigröße
516 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine Analyse des USA-Irakkonflikts bis 2003 nach der Denkschule des Ideationistischen Liberalismus
Schlagworte
Warum, Irakkrieg, Proseminar
Arbeit zitieren
Markus Hujara (Autor:in), 2005, Warum es zum Irakkrieg kam, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38110

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