Figurengedichte als beispielhafter Anzeiger für eine unzulängliche Lyrikdefinition

Exemplarische Betrachtung verschiedener Epochen


Hausarbeit, 2016

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Definition des Bild-/Figurengedichts
2.1 Problem der Einordnung: visuelle Poesie vs. ‚Visuelle Poesie‘
2.2 Formen von Figurengedichten und deren Anfänge

3. Figurengedichte im Randbereich von Lyrik und Dichtung
3.1 Im Barock (1575-1770)
3.2 Die Moderne im Zwiespalt: Lösungsansatz oder weiterhin Randerscheinung?

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Bis heute werden in der Schule Figurengedichte wie selbstverständlich im Bereich der Poetik be- ziehungsweise der Lyrik eingeordnet und als Gedichte behandelt.1 Dabei wird kein Schüler bei der Frage nach der Lyriktheorie zuerst an Figurengedichte denken. Viel mehr hat sich das Ver- ständnis von einem Gedicht als kurzer Text, der aus Versen besteht und sich bestenfalls reimt, in den Gedanken der Menschen festgesetzt. Dieser Fakt erscheint bei Betrachtung vieler moderner Gedichte, die keineswegs mehr derart einfach von Prosatexten zu differenzieren sind, als er- staunlich. Feste Grenzen werden immer weiter gesprengt, Reime sind kein Muss mehr und es wird zunehmend schwieriger, festzulegen, was ein Gedicht ausmacht. Dieses Definitionsproblem ist nicht neu. Schon seit dem Barock bemühen sich Literaten und Dichter darum, eine allgemein- gültige Definition von Lyrik zu finden, die alle Untergenres mit einbezieht.2 Der Mensch strebt nach Systematisierung und doch gibt es bislang keinen Ansatz, der von der Allgemeinheit akzep- tiert wird.3 Für diese Problemstellung bilden Figurengedichte ein Paradebeispiel. Als Genre, das zwei künstlerische Medien - nämlich die Bildende Kunst und Literatur4 - in sich vereint, fällt es zunehmend stärker aus dem Diskussionsspektrum als viele andere Gedichtarten. Dies ist mitun- ter der Grund dafür, dass Figurengedichte bereits im Barock abgewertet und nie als vollwertige Gedichte wahrgenommen wurden.5 Selbst im 21. Jahrhundert gibt es nur wenige detaillierte Ein- zelinterpretationen zu Figurengedichten und eine genaue Gattungsdefinition erweist sich auf- grund der unterschiedlichen Formen als schwierig.

Aus diesem Grund bilden sie den Kern der vorliegenden Arbeit, in der es darum gehen soll, dar- zulegen, welche Probleme es bei der Einordnung von Figurengedichten in die Lyriktheorie gibt. Zudem soll ein Ansatz vorgeschlagen werden, um diese Lücken innerhalb der Theorie zu füllen.6

Mit der Problematik der systematischen Definition von Figurengedichten haben sich verschie- dene Literaturwissenschafter und Dichter auseinandergesetzt. Dazu gehören neben PLOTKE un- ter anderem DENCKER und ERNST, die auch im Verlauf der folgenden Betrachtungen eine ent- scheidende Rolle spielen werden. Daneben beschäftigen sich immer mehr Germanisten mit der Frage nach einer allgemeingültigen Lyrikdefinition. Hier ist unter anderem ZYMNER zu nennen, der in seinem Werk Lyrik: Umriss und Begriff als einer der wenigen versucht, Figurengedichte in seine Überlegungen mit einzubeziehen. Das Ziel der Arbeit soll es demnach sein, die Fragen zu klären, was überhaupt als Figurengedicht bezeichnet wird und inwieweit das Genre als ein An- zeiger für eine unzulängliche Lyrikdefinition betrachtet werden kann. Dazu wird nach einem aus- führlicheren Definitionsversuch, der auch auf das Problem der alleinigen Einordnung von Figu- rengedichten in die Strömung der ‚Visuellen Poesie‘ des 20. Jahrhunderts eingehen wird, unter- sucht, inwieweit Figurengedichte in den Randbereich von Lyrik und Dichtung gedrängt werden. Hierzu erfolgt eine Reflexion zweier Epochen, in denen Figurengedichte einen besonderen Auf- schwung erlebt haben: die Zeit des Barock und die Moderne. Gleichzeitig soll dabei auch gezeigt werden, wie zwiespältig Figuren- und Bildgedichte in der entsprechenden Epoche bewertet wur- den. Ob und inwiefern im 20. und 21. Jahrhundert von einer Auflösung der Problematik oder zumindest einem Lösungsansatz gesprochen werden kann, soll als Endbetrachtung erfolgen, ehe zum Schluss in einem zusammenfassenden Fazit die Ergebnisse der Arbeit noch einmal auf den Punkt gebracht werden.

2. Definition des Bild-/Figurengedichts

2.1 Problem der Einordnung: visuelle Poesie vs. ‚Visuelle Poesie‘

Weiteren Betrachtungen vorweg, ist es sinnvoll zu klären, wie verschiedene Literaturwissenschaftler Figurengedichte überhaupt definieren. Ansätze zu einer überblicksartigen Definition zum Genre liefert unter anderem PLOTKE:

Figurengedichte sind

ͣGedichte, die einen Gegenstand abbilden. Semiotisch gesehen verbinden sie graphischikonische und sprachlich-symbolische Zeichen.7

Der abbildende Charakter von Figurengedichten ist gattungsspezifisch und nicht optional. Als zur visuellen Poesie gehörig, ist das Figurengedicht durch reines Zuhören nicht gänzlich zu erschlie- ßen. Zusätzlich spielt die Stellung der Wörter im Raum eine entscheidende Rolle. Erst durch Be- trachtung können sie vollständig erschlossen werden. So kann insbesondere bei moderneren

Bild- und Figurengedichten8 selbst das weiße Papier als zum Gedicht gehörig interpretiert wer- den.9

PLOTKEs Definition mag für frühere Epochen begriffsbildend gewesen sein; in der Moderne allerdings tauchen immer mehr Einzelarbeiten aus dem Bereich der visuellen Poesie auf, die nach PLOTKEs Ansatz kaum als Figurengedichte eingestuft werden können. Dazu gehören beispielsweise verschiedene Arbeiten aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Für den Bereich der Strömung der ‚Visuellen Poesie‘10 ist diese Einordnung ebenso problematisch wie Versuche, eine einheitliche Lyrikdefinition zu erschaffen.

Ein Beispiel hierfür ist folgendes Bildnis von GARNIER, die einige ihrer Werke in dem Band neue poesie und als tradition veröf- fentlicht hat. Figurengedichte werden häufig als Bestandteil der ‚Visuellen Poesie‘ verstanden. Von PLOTKEs Definition ausge- hend, muss der Betrachter sich allerdings die Frage stellen, ob die ‚Definition der Erwartung‘ noch einen Gegenstand abbildet. In der Tat verbinden sich hier Worte im weitesten Sinne mit Zei- chen. Trotzdem bleibt fraglich, ob hier noch von einer Figur o- der gar einem Gedicht gesprochen werden kann.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 1: Garnier: ͣPoesie“, hier S. 57.

Wenn es sich also weder um ein Figurengedicht im Definitions- sinne, noch überhaupt um ein lyrisches Gedicht handelt - in- wieweit können Figurengedichte dann als typische Erscheinung ‚Visueller Poesie‘ betrachtet werden? Um die Problematik zu belegen, ist die Betrachtung weiterer Definitionsansätze obligatorisch.11

ROHMER definiert das Figurengedicht folgendermaßen:

ͣDas F[-igurengedicht] ist >eine intermedial konzipierte Text-Bild-Komposition, bei der in der Regel versifizierter und im weitesten Sinn lyrischer Text zu einer graphischen Figur formiert ist, die mimetischen Charakter aufweist und eine mit der verbalen Aussage koordinierte Zeichenfunktion übernimmt<.“12

Hier wird die Differenz zwischen oben gezeigter Abbildung und Definition noch deutlicher. Wir können bei der ‚Definition der Erwartung‘ nur schwerlich von einem Text sprechen, handelt es sich dabei doch höchstens um eine Überschrift. Zudem liegt kein versifizierter Text vor. Zudem wird auch hier die Formierung der Textgestalt noch einmal herausgehoben, die bereits bei Bezug auf PLOTKEs Definition als schwierig erachtet werden musste.

Anhand dieser Betrachtung soll gezeigt werden, dass Figurengedichte zwar der visuellen Poesie angehören, aber keinesfalls als Produkt der Strömung der ‚Visuellen Poesie‘ im 20. Jahrhundert angesehen werden dürfen. In ihrem Ursprung gehen Figurengedichte sehr viel weiter zurück. Viel mehr stammt die ‚Visuelle Poesie‘ zumindest unter anderem von Figurengedichten ab - und nicht andersherum. Zusätzlich wurde die Strömung von anderen Bewegungen wie dem Expressionis- mus, dem Kubismus, dem Dadaismus und dem Surrealismus beeinflusst.13 Die Strömungen der Zeit und die verschiedenen Einflüsse sind es, die diese neue Form visueller Poesie von der Ur- sprungsdefinition von Figurengedichten abbringen. Trotzdem sollen aufgrund des allgemeinen Verständnisses auch die Gedichte der ‚Visuellen Poesie‘ mit in die nalyse aufgenommen werden, da sie eine neue, moderne Art des traditionellen Figurengedichtes darstellen. PLOTKE, die die ‚Konkrete Poesie‘ wie viele andere auch mit der ‚Visuellen Poesie‘ gleichsetzt14, schreibt, dass ͣder lexikalische Sinn der Gedichte [in der ‚Konkreten Poesie‘] häufig irritiert oder ins Absurde getrieben und dabei die gattungspoetische Dignität des Lyrischen eher unterlaufen wird“15, wäh- rend in der visuellen Poesie früherer Epochen ͣdie graphische nordnung der Verszeilen16 führt.

Es geht in beiden Fällen um die Wirkung, die die Gedichte beim Publikum erzielen. Einzig die Ziele sind unterschiedlich. Trotzdem scheint PLOTKE ein eher abwertendes Bild der modernen, ‚Visu- ellen Poesie‘ zu schaffen und die Stellung visueller Gedichte aus den früheren Jahrhunderten hervorzuheben. Tatsächlich ist es so, dass beispielsweise in der Renaissance und dem Barock Fi- gurengedichte noch eher als aufwendige Kunstwerke wahrgenommen werden konnten, als es möglicherweise bei neueren Gebilden der Fall ist. Die visuelle Poesie im Allgemeinen beschäftigt sich in großem Maße mit dem Verbund aus Literatur und Kunst. Bereits im 6. Jahrhundert vor Christus schrieb Simonides von Keos, dass ͣMalerei eine stumme Poesie und Poesie eine redende Malerei“17 sei. Damit macht auch er wiederum den doppelten Charakter von visueller Poesie deutlich. Wie entscheidend die Grenzüberschreitung und -öffnung zwischen Literatur und Kunst beim Figurengedicht ist, tritt auch bei FOUC RD besonders hervor, wenn er schreibt: ͣCertaines formes littéraires tendent même à brouiller les frontières entre littérature et arts visuel: c’est le cas principalement de la poésie visuelle.“18

Grenzen werden überschritten und dadurch neue Arten der Kunst erschaffen. Visuelle Poesie erbt also von der Bildkunst ihren anschaulichen Charakter.19

Visuelle Poesie und Figurengedichte im Besonderen erfüllen in dieser doppelten Rolle bestimmte Funktionen. Bei visuellen Gedichten muss das Blatt als ͣDurchgang“20 gesehen werden, wie GAR- NIER es formuliert. Der Leser mag an dieser Stelle Schwierigkeiten haben, diese Aussage zu deu- ten. Durchgang wohin? Einerseits kann hier der Durchgang zu einem tieferen Sinn des Gedichts gemeint sein. Andererseits bezieht GARNIER sich auf die Stellung des Wortes auf dem Papier, wodurch dem Medium zusätzlich eine Sonderstellung zukommt, die es in diesem Ausmaß bei normalen Gedichten nicht hat.21 Ein bloßer Blick auf das Blatt lässt den Leser nur selten den vol- len Umfang eines visuellen Gedichtes erkennen. Sehr deutlich wird dies bei moderneren Figuren- gedichten, die sowohl Rätselcharakter als auch ein Spiel mit dem weißen Umfeld des Zeichen- und Schriftgebildes aufweisen können. Ein Beispiel für ein solches Figurengedicht ist das folgende, welches sich in dem Werk Visuelle Poesie im rtikel ͣbildSTOERUNG & HEIM Tkunde. Bemer- kungen zur visuellen Poesie der DDR“ (S. 130-140) von Jörg Kowalski findet.

Bei dieser Abbildung wird unter anderem die Wichtigkeit des Raumes deutlich, um den Sinn des Figurengedichtes überhaupt erfassen zu können. Während der geformte Kreis an sich die Welt darstellt und der äußere Rahmen - aus den Worten ‚welt offen‘ bestehend - nach allen Seiten geöffnet ist, finden sich auf der In- nenseite des Kreises die Worte ‚welt zu‘, da sie von den anderen Begriffen eingeschlossen sind. Das bloße Vorlesen des Figurengedichtes würde nicht ausreichen, um den Sinn verste- hen zu können.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 2: Kowalski: ͣbildSTOERUNG“, hier S. 136.

Umso wichtiger sind der Raum und das weiße Blatt - welches in diesem Zusammenhang die zusätzliche Bedeutung der ‚weiten Welt‘ oder der Offenheit an sich haben könnte.

In dem poetischen Gebilde verbinden sich Wort und Figur. Diese Verbindung kann sowohl unter- stützend sein als auch widersprüchlich und kurios.22 Eine andere Funktion der visuellen Poesie ist ihre Ästhetik, mit der sie Menschen fesselt und Interesse weckt. Visuelle Gedichte erhalten durch ihre doppelte Bedeutungsebene eine neue semantische Bedeutung.23 Innerhalb der ‚Visuellen Poesie‘ kommt Figurengedichten die Aufgabe zu, die Entstehung und das Verschwinden von Sinn sowie die Unterscheidung zwischen Gedachtem und sinnlich Wahrnehmbarem zu inszenieren.24 Der Leser muss dabei stärker selbst aktiv werden und aus seinen bisherigen Gewohnheiten her- austreten, um die Gedichte der ‚Visuellen Poesie‘ zu verstehen. In der Moderne spielen zudem Farben und Collagen eine große Rolle. Das Ziel ist es, ein ͣUmweltsprachbewusstsein“25 zu ver- mitteln und die Menschen aus ihren gewohnten Konzepten herauszureißen.26 Es geht darum, einen Mehrwert aus der Visualisierung zu entdecken. Figurengedichte sind appellativ.27

Die optische, beziehungsweise visuelle Poesie an sich muss als transepochal und transnational angesehen werden und mit ihr auch die Figurengedichte und ihre Entwicklung.28 Über die Jahrhunderte hinweg gab es immer wieder neue Formen, die allerdings immer auf der Tradition aufbauten, um die es im Folgenden gehen soll.29

2.2 Formen von Figurengedichten und deren Anfänge

Die Tradition der Figurengedichte geht bis weit in die Antike zurück. Ihre Anfänge finden sich bereits in den Bilderschriften der Ägypter und anderen Bildalphabeten wieder.30 Solche figura- tive Textformationen der Hieroglyphenschriften arbeiten mit ͣvisuell-poetischen“31 Prinzipien. So kam es zur Entstehung von Texten, die sowohl gelesen, als auch als Bild verstanden werden konnten. Kreuzwortstrukturen, die auch in späteren Formen von Figurengedichten auftauchen sollten, finden sich bereits im 14. Jahrhundert vor Christus. In solchen Strukturen wurde der In- text durch Hervorhebung sichtbar gemacht.32 In der griechischen Antike kamen um 300 vor Chris- tus die sogenannten Technopägnien auf, die heute als Urväter der Figurengedichte angesehen werden. Dabei wurden durch das Schriftbild Gegenstände dargestellt. Diese Umrissgedichte hat- ten häufig religiöse Bedeutung. Sie wurden als Weihepigramme genutzt und zumeist auf Papyri geschrieben.33 Ein Beispiel für ein antikes Figurengedicht ist beispielsweise dieses Gebilde:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 3: Ernst, Ulrich: ͣFigurengedicht“; in: Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd. 13, S. 1115-1123, hier S. 1118.

Das lateinische Figurengedicht umreißt die Form eines Beils. Bei dem Gedicht steht der Ausdruck ‚Poemata‘, was so viel wie ‚Gedicht‘ bedeutet. Ähnliche Gebilde fanden sich schon bei Simias von Rhodos um 300 vor Christus in griechischer Sprache.34

Besonders häufig genutzte Formen für Umrissgedichte der Antike waren Eier, Altäre und kriege- rische Formen - wie oben gezeigtes Beil. Häufig waren die Figurengedichte der griechischen An- tike Bestandteile materieller Artefakte. So fanden sie sich unter anderem auf Grabsteinen und wurden weithin als lyrische Texte wahrgenommen, die eine vor allem literarische Funktion er- füllten. Neben den Umrissgedichten gab es sogenannte Zauberpapyri, die vermeintliche Zaube- ranweisungen und -rezepte enthielten.35 Sie schöpften aus unterschiedlichen Kulturen und bein- halteten meist Formen wie Spiralen, Quadrate und Rechtecke. Realisiert wurden die Formen durch Worte oder Buchstabenreihen. Auch sie tauchten erstmals zwischen dem 3. und 5. Jahr- hundert vor Christus auf.36 Zur gleichen Zeit entstanden auch Fluchtafeln, deren kryptische Zei- chen- und Textkonstellationen Dämonen darstellten.37 Davon abgesehen hatten Figurengedichte häufig Rätselcharakter.38 Ihre eigentliche Aussage war nicht immer klar zu erkennen und der Be- trachter war zeitweise gezwungen, die teilweise abstrakten, geometrischen Figuren genauer zu betrachten, um ihren Sinn zu entschlüsseln. Tatsächlich sind die klassischen Figurengedichte, wie sie in der Renaissance oder dem Barock auftraten, erstmals in dieser Form bei den Technopäg- nien zu finden. Ihre Verbreitung vollzog sich über Europa bis nach Asien. In China waren die Men- schen der Auffassung, dass ͣSchriftkunst und Malerei eins“39 seien. Das zeigt sich im asiatischen Raum bis heute bei der Betrachtung der Schriftsysteme. In Japan entwickelten sich eigene Arten von Figurengedichten. Dort schienen Linien eine Verlebendigung zu durchlaufen, indem die Stri- che eines Schriftzeichens gleichzeitig Bestandteile von Figuren wurden.40 Dadurch wird deutlich, wie lange das Konzept des Verbundes zwischen Bild und Schrift schon existiert. Es handelt sich

[...]


1 Der Lyrikbegriff wird in dieser Form erst seit der spekulativen Ästhetik um 1800 systematisch genutzt. Im Folgen- den werden unter den Begriffen Lyrik und Poesie/Poetik der Einfachheit halber lyrische Gedichte jeglicher Art zu- sammengefasst, unabhängig von ihrem Entstehungsdatum. Vgl. hierzu Richter, Sandra: ͣWie kam das Bild in die Lyriktheorie? Präliminarien zu einer visuellen Theorie der Lyrik“, in: Ralf Simon et al. (Hg.): Das lyrische Bild, Mün- chen 2010, S. 63-84, hier S. 63. Im Folgenden werden unter den Begriffen Lyrik und Poesie/Poetik der Einfachheit halber lyrische Gedichte jeglicher Art zusammengefasst, unabhängig von ihrem Entstehungsdatum.

2 Vgl. u.a. Plotke, Seraina: Gereimte Bilder. Visuelle Poesie im 17. Jahrhundert, München 2009, S. 22. Aber auch bei Opitz, Martin: ͣVon der Disposition oder abtheilung der dinge von denen wir schreiben wollen“, in: Ludwig Völker (Hg.): Lyriktheorie. Texte vom Barock bis zur Gegenwart, Stuttgart 1990, S. 27-30.

3 Vgl. Zymner, Rüdiger: Lyrik: Umriss und Begriff, Paderborn 2009, S. 7f.

4 Vgl. u.a. Dencker, Klaus Peter: ͣVon der Konkreten zur Visuellen Poesie - mit einem Blick in die elektronische Zu- kunft“, in: Heinz Ludwig rnold (Hg.): Visuelle Poesie, München 1997, S. 169-184, hier S. 173 sowie Ettlin, Nicola: Die Konkretisierung lyrischer Subjektivität im deutschsprachigen Bildgedicht des 19. Jahrhunderts, Würzburg 2010, S. 11.

5 Vgl. Plotke: Bilder, S. 27f.

6 Die exemplarische Analyse von Figurengedichten beruht neben dem beschränkten Umfang der Arbeit darauf, dass sie innerhalb der Theoriebildung aufgrund ihrer Eigenart und Kategorisierung als Mischform allzu häufig nur am Rande betrachtet oder gänzlich außer Acht gelassen werden. Damit sind sie das beste Beispiel für eine unzureichende Definitionsbildung.

7 Plotke, Seraina: ͣFigurengedichte“, in: Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd. 4, S. 516 f., hier S. 516. 3

8 Der hauptsächliche Unterschied zwischen Figuren- und Bildgedichten liegt darin, dass Bildgedichte selten figurför- mig sind. Oftmals wird auch der Verbund aus Gemälde und Schriftzügen als ‚Bildgedicht‘ bezeichnet. Vgl. Ernst, Ulrich: Intermedialität im europäischen Kulturzusammenhang. Beiträge zur Theorie und Geschichte der visuellen Lyrik, Berlin 2002, S. 6.

9 Vgl. Gappmayr, Heinz: ͣKonstituenten visueller und konzeptueller Texte“, in: Heinz Ludwig rnold (Hg.): Visuelle Poesie, München 1997, S. 82-84, hier S. 83f und Garnier, Ilse: ͣVisuelle Poesie - Randbemerkungen zur poetischen Arbeit“, in: Friedrich W. Block (Hg.): Neue Poesie und - als Tradition, Passau 1997, S. 53-63, hier S. 54.

10 Die ‚Visuelle Poesie‘ tauchte erstmals um 1950 auf und wurde zeitweise als Bewegung, zeitweise als Genre, aber auch als künstlerische Disziplin wahrgenommen. Sie ist eine Form der experimentellen Poesie und besitzt teilweise spielerischen Charakter. Vgl. Foucaud, Vincent: La poésie visuelle: essai de definition, 2009, S. 1.

11 Das Problem der Begriffsbildung hat DENCKER bereits herausgestellt, wenn er schreibt, dass es im Bereich der optischen/visuellen Poesie keine einheitliche Begriffsbildung gibt und dass ähnliche Auffassungen teils unterschiedlich benannt werden. Vgl. Dencker: Poesie, S. 6.

12 Rohmer, Ernst: ͣFigurengedicht“, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 3, S. 996-999, hier S. 996.

13 Vgl. Foucaud: Poésie, S. 1.

14 Hierzu gibt es unterschiedliche Meinungen. Die Begriffe werden sowohl Synonym benutzt, als auch als Begriffe für zwei unterschiedliche Strömungen. Wiederum sehen andere die ‚Visuelle Poesie‘ als Teil der ‚Konkreten Poe- sie‘ an. Diese Diskussion soll allerdings nicht Teil der Arbeit sein. Genaues hierzu kann mitunter bei Dencker: ͣPoe- sie“, hier S. 173-177 nachgelesen werden, aber auch in seinem Werk Dencker, Klaus Peter: Optische Poesie. Von den prähistorischen Schriftzeichen bis zu den digitalen Experimenten der Gegenwart, Berlin 2011, S. 856.

15 Plotke: Bilder, S. 12.

16 Ebd.

17 Dencker: ͣPoesie“, hier S. 173.

18 Foucaud: Poésie, S. 1.

19 Vgl. Richter: ͣBild“, hier S. 64.

20 Garnier: ͣPoesie“, hier S. 54.

21 Vgl. Garnier: ͣPoesie“, hier S. 53f.

22 Vgl. Garnier: ͣPoesie“, hier S. 53.

23 Vgl. Ettlin: Konkretisierung, S. 14.

24 Vgl. Gappmayr: ͣKonstituenten“, hier S. 84.

25 Dencker: ͣPoesie“, hier S. 176.

26 Vgl. Dencker: Poesie, S. 856.

27 Vgl. Richter: ͣBild“, hier S. 76.

28 Vgl. Ernst: Intermedialität, S. IX.

29 Vgl. Kranz, Gisbert: Das Bildgedicht in Europa: zur Theorie und Geschichte einer literarischen Gattung, Paderborn 1973, S. 16f und Plotke: Bilder, S. 12.

30 Vgl. Foucar: Poésie, S. 1.

31 Dencker: Poesie, S. 565.

32 Vgl. Dencker: Poesie, S. 566.

33 Vgl. Ernst: Intermedialität, S. X sowie Dencker: Poesie, S. 568-570, 583. 7

34 Vgl. Dencker: Poesie, S. 568.

35 Vgl. Ernst, Ulrich: Carmen Figuratum. Geschichte des Figurengedichts von den antiken Ursprüngen bis zum Ausgang des Mittelalters, Köln 1991, S. 7f und Dencker: Poesie, S. 568.

36 Vgl. Dencker: Poesie, S. 570-572.

37 Vgl. Dencker: Poesie, S. 575.

38 Vgl. Dencker: Poesie, S. 570.

39 Dencker: Poesie, S. 587, 606.

40 Vgl. Dencker: Poesie, S. 599.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Figurengedichte als beispielhafter Anzeiger für eine unzulängliche Lyrikdefinition
Untertitel
Exemplarische Betrachtung verschiedener Epochen
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
22
Katalognummer
V380865
ISBN (eBook)
9783668574366
ISBN (Buch)
9783668574373
Dateigröße
1276 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
figurengedicht, Reim, Lyrik, Definition
Arbeit zitieren
Sera Herrmann (Autor:in), 2016, Figurengedichte als beispielhafter Anzeiger für eine unzulängliche Lyrikdefinition, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/380865

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