Der Disput zwischen Bayern und dem Papst vor dem I. Vatikanischen Konzil

Die Zirkulardepesche des Ministerpräsidenten Hohenlohe an die europäischen Regierungen


Hausarbeit, 2017

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Allgemeine staatskirchliche Entwicklungen im Europa des 19. Jahrhunderts
2.1 Kirche und Staat in Frankreich: Gallikanismus, Ultramontanismus, Laizismus
2.2 Konflikte im deutschen Staatskirchenverhältnis: Politischer Konfessionalismus
2.3 Das Papsttum vor dem I. Vatikanischen Konzil

3. Staat und Kirche in Bayern vor dem I. Vatikanischen Konzil
3.1 Das Kirchenverständnis König Ludwigs II
3.2 Münchner Theologe mit Weltruf: Ignaz von Döllinger
3.3 Die Kirchenpolitik der bayerischen Regierung Hohenlohe-Schillingfürst

4. Die Zirkulardepesche des Fürsten Hohenlohe-Schillingfürst
4.1 Formale Aspekte
4.2 Inhaltliche Aspekte
4.3 Verfasserfrage

5. Die Zirkulardepesche: Ausdruck des Konflikts zw. Bayern und dem Papst

6. Resümee

Quellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der Titel der vorliegenden Arbeit mag dem Leser zunächst etwas sperrig erscheinen und ist vielleicht beim erstmaligen Lesen doch etwas abschreckend: Zugegeben, die nachfolgenden Seiten beschäftigen sich nicht mit einem der großen Themen der Kirchengeschichte, welche auch zahlreiche populärwissenschaftliche Publikationen behandeln und bisher auf großes In- teresse in umfassenden Teilen der Bevölkerung stießen. Die vorliegende Arbeit soll deswegen nicht weniger interessant sein, nicht trotz, sondern eben weil sie sich mit einem Thema befasst, welches einerseits lange nicht mehr ausführlich behandelt wurde1, und zum anderen darin Fragen erörtert werden, welche mit dem auch heute hin und wieder angefragten Dogma der Infallibilität des Papstes im Zusammenhang stehen. Man kann vorwegnehmend sagen, dass das I. Vatikanische Konzil, auf dem besagtes Dogma beschlossen wurde, damit auch im Mit- telpunkt der Auseinandersetzungen um die Stellung der Kirche im europäischen Staatsver- ständnis des 19. Jahrhunderts steht und daher Relevanz für den sogenannten Kulturkampf besitzt. Während sich der Fokus bei der Behandlung dessen zumeist auf die Auseinanderset- zung zwischen preußischer Krone und Heiligem Stuhl richtet, ermöglicht diese Arbeit einen Einblick in das Staatskirchenverhältnis im Bayern des 19. Jahrhunderts. Ob in einem so ka- tholisch geglaubten Staat überhaupt von Kulturkampf gesprochen werden kann, mag einem unkundigen Leser zunächst fragwürdig erscheinen. In welchem Verhältnis standen zu jener Zeit katholische Monarchen zur Kirche? Inwiefern konnten sie als Unterstützer des Infallibili- tätsdogmas gelten oder aufgrund desselben mit dem Heiligen Stuhl in Konflikt geraten?

Im Nachfolgenden sollen diese Fragen geklärt werden. Ziel der Arbeit ist es, die Bedeutung des I. Vatikanischen Konzils und speziell der behandelten päpstlichen Unfehlbarkeit für das Staatskirchenverhältnis am Beispiel Bayerns aufzuzeigen. Zunächst wird diese Arbeit dabei die Beziehungen von Kirche und Staat in Europa und speziell in Bayern aufzeigen, wie wir sie in der Mitte des 19. Jahrhunderts vorfinden und wie sie das Konzil aus kirchlicher Sicht nötig machen sollten. Danach richtet sich der Blick auf die Zirkulardepesche des damaligen bayeri- schen Ministerpräsidenten zu Hohenlohe-Schillingfürst, welche, nach Einberufung des Konzils versandt, Aufschluss gibt über die Haltung des Staates Bayern unter König Ludwig II. zu den Bemühungen in Rom.

2. Allgemeine staatskirchliche Entwicklungen im Europa des 19. Jahrhunderts

Nimmt man einen Blick auf die Fragen des I. Vatikanischen Konzils, dann kann man dies nicht gescheiter Weise tun, ohne zunächst die Entwicklungen des Verhältnisses von Staat und Kir- che in den Blick zu nehmen, wie sie sich im 19. Jahrhundert und vor allem ab der Französi- schen Revolution gestalteten. Dabei soll ein erster Blick den Entwicklungen in Frankreich gel- ten, von welchem die Revolution und wesentliche denkerische Anstöße ausgingen, schließlich wird dieses Unterkapitel die Frage behandeln, wie diese Entwicklungen auch nach Deutsch- land, insbesondere nach Preußen, dem damals größten deutschen Staat neben Österreich, auswirkten und abschließend sollen die Positionen der Katholischen Kirche in jener Zeit be- trachtet werden. In diesem Dreischritt wird erkennbar, welche Leitthemen und Denkstile prä- gend waren auf dem Weg zum I. Vaticanum:

2.1 Kirche und Staat in Frankreich: Gallikanismus, Ultramontanismus, Laizismus

Den Gallikanismus kann man als Geisteshaltung definieren, der es um eine Einschränkung der päpstlichen Rechtsansprüche, wie sie im Laufe der Geschichte wuchsen, ging und der den Einfluss des Heiligen Stuhles auf die Belange des Staates, aber auch der französischen Nati- onalkirche einzuschränken versuchte.2 In Frankreich etablierte er sich bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts und führte zu einer Sonderrolle, welche die französische Kirche und die Mo- narchie der Bourbonen unter den katholischen Staaten einnahmen.3 Der Papst duldete den Gallikanismus, auch aus Sorge um ein mögliches Kirchenschisma und vor der Auseinander- setzung mit einem der größten Staaten Europas. Die Französische Revolution erschütterte die Kirche von Frankreich. Nicht nur, dass die bisherigen Protektoren der gallikanischen Ekklesi- ologie ihre Macht verloren und die Kirchengüter enteignet wurden, auch das Papsttum geriet infolge der Revolution in eine Krise.4 Papst Pius VI. starb 1799 in französischer Gefangen- schaft, sein Nachfolger, Pius VII., wurde ebenfalls inhaftiert und bis 1814 gefangen gehalten. Der Kirchenstaat wurde vorübergehend Frankreich einverleibt und die Römische Kurie be- stand defacto von 1809 bis 1814 gar nicht. Ganz im Sinne des Gallikanismus schien die Kirche des 19. Jahrhunderts synodal verfasst zu sein - ein Gedanke, der auch in theologischen Kreisen auf positive Resonanz traf. Die Geschichte wollte es freilich anders und es kam nach dem Sieg über Napoleon zur Restauration des Kirchenstaates und zum Wiedererstarken des päpstlichen Primats.

In Frankreich kam es nach dem Wiener Kongress und der Wiedereinsetzung der Bourbonen als französische Herrscher, wodurch wiederum die infolge der Revolution emigrierten, gallika- nisch geprägten Bischöfe zurückkamen und alten Idealen folgend die französische Kirche wie- dererrichten wollten.5 Die Revolution hatte die Grundfeste der Gesellschaft jedoch so stark erschüttert, dass eine einfache Wiederherstellung des Ancien Regime nicht möglich sein sollte. Der Staatsmann und französische Botschafter in Sankt Petersburg, Joseph de Maistre, begründete so im Mutterland des Gallikanismus den sogenannten Ultramontanismus, der sich gemeinhin als Verteidigung des päpstlichen Einflusses und der päpstlichen Unfehlbarkeit be- schreiben lässt. De Maistre, der selbst kein Theologe war und dem es vor allem um eine Wie- derherstellung der sozialen Ordnung in Frankreich ging, sah im Katholizismus und Papsttum den einzigen Halt der Gesellschaft und eines geordneten bürgerlichen und politischen Sys- tems. Dieser von ihm 1819 in seinem Werk Du Pape entfaltete Gedanke sollte maßgeblich das Denken der katholischen Kirche im 19. Jahrhundert prägen, wenngleich er bereits zu An- fang im Widerspruch zum Kirchenverständnis der französischen Herrscher stand.

Für die Fragestellungen dieser Arbeit ist vor allem der Grundkonflikt zwischen Gallikanismus, also einem starken Einfluss des Staates auf kirchliche Belange, und Ultramontanismus, also einem starken Einfluss der Kirche auf staatliche Belange, relevant. Dieser Grundkonflikt steht hinter allem, was nachfolgend betrachtet werden soll: Immerzu ging es um die Wahrung der eigenen Souveränität, die der eine durch Demokratisierung und Modernismus, der andere durch eine zu große Bedeutung des Papstes gefährdet sah.

2.2 Konflikte im deutschen Staatskirchenverhältnis: Politischer Konfessionalismus

Da der Wiener Kongress eine Neuordnung Europas mit sich brachte, wurden die von Napoleon säkularisierten Kirchenstaaten nicht wiederhergestellt, sondern blieben ins Territorium der weltlichen Staaten einverleibt.6 Der Staat behielt weitgehend Privilegien gegenüber der Kirche, so waren etwa kirchliche Verlautbarungen genehmigungspflichtig, auch die Einsetzung der Bischöfe erfolgte nicht ohne staatliche Einflussnahme. Das führte insbesondere zu Konflikten in den protestantischen Staaten, welche ehemals katholische, geistliche Fürstentümer inte- grierten, allen voran in Preußen. Erinnert sei an dieser Stelle nur an das „Kölner Ereignis“ 1837, als der Kölner Erzbischof verhaftet wurde, nachdem er sich im Mischehenstreit nicht vom katholischen Standpunkt abbringen ließ.7 Folge der Auseinandersetzungen war ein ge- stärktes katholisches Gemeinschaftsbewusstsein, welches neue Zusammenschlüsse entste- hen ließ in Form zahlreicher katholischer Vereine. Das 19. Jahrhundert war geprägt vom poli- tischen Konfessionalismus, d.h. dass die Konfessionen gegen staatliche Einflussnahme kämpften und sich die Mitglieder einer Konfession vielmehr auch politisch einbrachten.8 Aufgrund der Minderheitenrolle der Katholiken im protestantischen Preußen war der Katholi- zismus in Deutschland von Beginn an mehrheitlich ultramontanistisch geprägt. Ein ähnliches Kirchenverständnis wie in Frankreich gab es nicht, eine Nationalkirche war undenkbar, die deutsche Kirche profitierte von der Nähe zu Rom und der Konstante, welche der Papst dar- stellte. Der Staat wiederum erfuhr, dass er keine Politik gegen die Kirche machen konnte, ohne nicht mit erheblichen Widerständen durch ultramontanistisch orientierte Katholiken rechnen zu müssen. Die Auseinandersetzung zwischen dem Papst und den Monarchen wurde so auch zu einer Streitfrage, die zwischen den Monarchen und ihrer katholischen Bevölkerung stand.

2.3 Das Papsttum vor dem I. Vatikanischen Konzil

Das Papsttum im 19. Jahrhundert wurde bereits an einigen Stellen in den Blick genommen. Präzisiert zusammengefasst kann man sagen, dass der Heilige Stuhl vor allem ab dem Ponti- fikat Papst Gregors XVI. eine antimodernistische Politik vertrat, die sein Nachfolger, Pius IX., fortsetzte.9 Höhepunkt der antimodernistischen Bemühungen ist dessen Enzyklika Quanta Cura von 1864, welcher ein Syllabus errorum anhing, in dem 80 der hauptsächlichsten Irrtümer der Zeit dargestellt werden. Darin betonte der Papst nochmals die Bedeutung des Heiligen Stuhles und des eigenständigen Vatikanstaates. In der Auseinandersetzung mit den europäischen Staaten verschärften Enzyklika und Syllabus die Konflikte, da die päpstlichen Bemühungen einerseits einer Modernisierung der Staaten im Weg standen und andererseits auch noch mehr die Autorität der Monarchen infrage stellten, insbesondere in den katholischen Staaten. Es muss kaum erwähnt werden, dass sich die Vorstellungen Pius IX. nicht mit einem gallikanisch geprägten Kirchenbild in Frankreich vereinbaren ließen.

Eng damit verbunden ist die Einberufung des I. Vatikanischen Konzils, welche ebenfalls erstmalig 1864 erwogen wurde.10 Die meisten Kardinäle und Bischöfe, welche zu einer möglichen Einberufung gefragt wurden, erwarteten neben der Behandlung von Bildungsfragen vor allem eine strenge Verurteilung von modernen Ideen.11 Lediglich 2 Kardinäle sprachen sich zu diesem Zeitpunkt dafür aus, die päpstliche Unfehlbarkeit durch das Konzil feststellen zu lassen, wenngleich dies später Hauptanliegen desselben werden sollte.

Verzögert durch politische Ereignisse wie den Deutschen Bruderkrieg kam es erst am 29. Juni 1868 zu einer Einberufung des allgemeinen Konzils. Pius IX. berief dieses für den 08. Dezem- ber 1869 ein, den Tag, an dem die Kirche die unbefleckte Empfängnis Mariens feiert.12 Der Papst hatte zur Vorbereitung des Konzils 5 Hilfskommissionen bilden lassen, welche sich mit 5 Themenkomplexen auseinandersetzen sollten, die später auf den Konzilssitzungen zu behandeln waren. Eine dieser Kommissionen befasste sich mit „Gegenständen betreffend Kir- chenpolitische Angelegenheiten, Beziehungen von Kirche und Staat“.13 Das ist umso bemer- kenswerter, als dass nach Einberufung des Konzils auch die Frage behandelt werden musste, wer alles daran teilnehmen solle. Seit dem Konzil von Chalkedon waren stets auch Vertreter der weltlichen Fürsten eingeladen, insbesondere auch zum Trienter Konzil, bei dem die katho- lischen Monarchen selbst teilnahmen sollten oder wenigstens Gesandte geschickt werden soll- ten.14 Für das I. Vatikanische Konzil entschied man sich - wenn auch erst reichlich spät - schließlich für eine Rückkehr zur Praxis der frühen Kirche, nach der lediglich die Bischöfe Konzilsteilnehmer waren. In Anbetracht der Bemühungen des Heiligen Stuhles, die Autorität des Papstes auch gegenüber den weltlichen Fürsten herauszustellen und Modernisierungs- bestrebungen in einigen katholischen Staaten zu verurteilen, wie sie in den Jahren vor Konzilseinberufungen zu vernehmen waren, lässt sich verstehen, weshalb diese Entscheidung für Unmut in Europas Fürstenhäusern sorgte. Nicht zuletzt dadurch mag man verstehen, weshalb die bayerische Regierung 1869 zu einer Intervention der Staaten aufrief.

3. Staat und Kirche in Bayern vor dem I. Vatikanischen Konzil

3.1 Das Kirchenverständnis König Ludwigs II.

Will man das Kirchenverständnis des Märchenkönigs, der von 1864 bis zu seinem Tod 1886 auf dem bayerischen Thron saß, besser verstehen, so gibt es mannigfach Aspekte zu beachten, die mit der Prägung und dem monarchischen Selbstverständnis Ludwigs zu tun haben. Im Rahmen dieser Arbeit sollen lediglich zwei Aspekte hervorgehoben werden, die erahnen lassen, welche Sicht der König auf die Kirche hatte:

Ludwig II. stand im Erbe der Wittelsbacher Dynastie, welche im 19. Jahrhundert ein eher an das gallikanische Frankreich angelehnte Kirchenverständnis hatte. König Ludwig I., der Groß- vater Ludwigs II., der 1848 aufgrund einer Affäre mit der spanischen Tänzerin Lola Montez abdanken musste, war zum Regierungsantritt seines Enkels 77 Jahre alt und durchaus be- müht, Einfluss auf den jungen Monarchen zu nehmen.15 Das Kirchenverständnis Ludwigs I. war dabei geprägt von der Vorstellung, dass der König selbst auch Schirmherr der katholi- schen Kirche ist, er zahlreiche Privilegien selbstverständlich innehaben musste und die Ehr- furcht vor der königlichen Majestät Vorrang habe vor den kirchlichen Vorschriften, wie er hin und wieder zu verstehen gab.16 Er stand kirchenpolitisch dabei einerseits auf der Seite der Ultramontanisten, da er beispielsweise die entsprechend ausgerichtete Zeitung Athanasius, die der Publizist Joseph Görres herausgab, trotz gegensätzlicher Bitte Preußens in Bayern frei erschienen ließ und so den politischen Katholizismus im deutschen Kulturraum unterstützte.17 Andererseits waren ihm die ultrakirchlichen Bestrebungen fremd und er strebte nach einer religiösen Erneuerung im staatskirchlichen Rahmen. Die Ideen Görres‘ teilte er nicht und ins- besondere in der Zeit seiner Liaison mit Lola Montez galt er kirchenpolitisch als so liberal, sodass selbst der spätere Konzilskritiker Ignaz von Döllinger, dem sich das nächste Unterka- pitel widmen wird, aufgrund von Ludwigs Bestrebungen seine Professur als Kirchenhistoriker vorübergehend verlor.18 König Ludwig II. erhielt entsprechend wohl auch nie eine ultramonta- nistische Prägung und es ist nicht davon auszugehen, dass er sich jemals als Verteidiger des papistischen Katholizismus im werdenden, noch im gewordenen Deutschland verstand. Viel- mehr war er, wie Oliver Hilmes schreibt, ein Anhänger des mittelalterlichen Gedankens vom Gottesgnadentum, wonach er als Monarch das Amt direkt von Gott erhalten habe.19 Gleich- wohl geben seine Tagebücher immer wieder Aufschluss darüber, dass er eine tiefe persönli- che Frömmigkeit besaß, bemüht war, sittliche Verfehlungen zu vermeiden und in der Neu- jahrsnacht 1873 sogar ein Keuschheitsgelübde verfasste. Man kann kurz zusammenfassen, dass er ein gläubiger, frommer Katholik war, in dessen Glaubenswelt jedoch der Papst keine allzu große Rolle spielte.

Diese These bestätigt sich insbesondere mit Blick auf den zweiten darzustellenden Aspekt, den Glauben Ludwigs II., dass er selbst der Erbe des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. sei.20 Aus diesem Zusammenhang heraus erklärt sich sein Ansinnen, 1866 auf Anraten Ignaz von Döllingers darum zu bitten, dass das Gebet für den König in den Messkanon aufgenommen werde, so wie es in Österreich und im Ancien Regime, in Frankreich, der Fall gewesen sei.21 Dieser Wunsch wurde seitens der römischen Ritenkongregation abgelehnt, was Ludwig als schwere Beleidigung verstand und ihn nachhaltig kränken sollte. Insgesamt verbat er sich Einmischungen in seine Politik, wie sie u.a. auch von kirchlicher Seite unternom- men wurden.22 Es kann angenommen werden, dass Ludwig entsprechend distanziert den kirchlichen Hierarchien gegenüberstand und in ihnen eine Konkurrenz zu seiner Autorität als Monarch und bestenfalls absoluten König sah. Auch seine Meinung zum Heiligen Stuhl dürfte - so viele Übereinstimmungen es durch restaurative Bemühungen auch gab - unter der Zu- rückweisung gelitten haben. Profiteur dieser gegenseitigen Eitelkeiten dürfte der schon mehr- fach erwähnte Ignaz von Döllinger gewesen sein, den Ludwig als Ratgeber schätzte und der noch in dessen Amtszeit, entgegen aller römischen Widerstände, in Bayern Karriere machte.

[...]


1 Der letzte Aufsatz, welcher öffentlich zugänglich ist und ausschließlich zum Thema der Zirkulardepesche des Fürsten Hohenlohe-Schillingfürst verfasst wurde, stammt von Josef Grisar und wurde 1961 veröffentlicht: GRISAR, Josef: Die Cirkulardepesche des Fürsten Hohenlohe vom 9. April 1869 über das bevorstehende Vatikanische Konzil. In: LIEBERICH, Heinz (Hrsg.): Bayern. Staat und Kirche. Land und Reich (Forschungen zur bayerischen Geschichte, vornehmlich im 19. Jahrhundert, Bd. 3). München 1961. Nachfolgend zitiert: GRISAR, Josef: Cirkulardepesche.

2 Vgl.: BUTLER, Cuthbert: Das I. Vatikanische Konzil. München 21961, S. 32-34.

3 Diese These bestätigen zahlreiche Sonderrechte, welche dem französischen König zugestanden wurden, bspw. das Recht auf Einsetzung der Bischöfe, aber auch die vom Heiligen Stuhl akzeptierten Aussagen der französi- schen Klerusversammlung vom 19. März 1682, welche die päpstliche Gewalt über die geistlichen Fürsten ab- lehnte, die Freiheit der französischen Kirche betonte und erklärte, dass der Papst lediglich nach Zustimmung der ganzen Kirche verbindliche Dogmen erklären kann. Vgl.: BISCHOF, Franz Xaver: Papsttum und Episkopat in der katholischen Kirche. In: Ders. u.a. (Hrsgg.): Einführung in die Geschichte des Christentums. Freiburg 2012, S. 448-450.

4 Vgl.: Ebd., S. 452 f.

5 Vgl.: BUTLER, Cuthbert: Das I. Vatikanische Konzil. München 21961, S. 48-64.

6 Vgl.: Ebd., S. 335-340 sowie BISCHOF, Franz Xaver: Kirche, Staat und Gesellschaft in der westlichen Moderne. In: Ders. u.a. (Hrsgg.): Einführung in die Geschichte des Christentums. Freiburg 2012, S. 296-301.

7 Gegenstand der Auseinandersetzungen war die Frage, inwiefern Kinder aus konfessionsübergreifenden Ehen katholisch erzogen werden müssten, so wie es die Kirche entgegen dem preußischen Gesetz forderte. In der geheimen Berliner Konvention hatte der Kölner Erzbischof von Spiegel die preußischen Anordnungen akzeptiert, allerdings ohne Rücksprache mit dem Heiligen Stuhl. Sein Amtsnachfolger, Erzbischof Droste zu Vischering, hielt sich nicht an die Konvention, die nach Bekanntwerden auch Verurteilung durch den Heiligen Stuhl fand. Daraufhin brachte man den Erzbischof zur Festungshaft nach Minden. Vgl. auch: BECKER-HUBERTI, Manfred u. FINGER, Heinz: Kölns Bischöfe. Von Maternus bis Meisner. Köln 2013, S. 216-223.

8 Vgl. auch: KRAUS, Hans-Christof: 1837 als Krisenjahr des politischen Konfessionalismus in Deutschland. In: Historisches Jahrbuch 127 (2007), S. 465-485.

9 Gregor XVI. verurteilte alle modernistischen Ideen wie Rationalismus und Liberalismus, zudem unterstützte den Ultramontanismus, sogar dahingehend, dass er die Kirche als von Papst abhängig, den Papst aber nicht von der Kirche abhängig einstufte. Pius IX., geprägt von seiner Vertreibung aus Rom 1848 aufgrund der europäischen Revolution, trieb den römischen Zentralismus weiter voran und verurteilte liberal denkende Theologen. Vgl.: BISCHOF, Franz Xaver: Papsttum und Episkopat in der katholischen Kirche. In: Ders. u.a. (Hrsgg.): Einführung in die Geschichte des Christentums. Freiburg 2012, S. 452-459.

10 Pius IX. erwog eine Konzilseinberufung erstmals am 06. Dezember 1864 im Rahmen einer Sitzung mit den Kardinälen. Er bat um eine Einschätzung, inwiefern ein Konzil hilfreich sein könnte. Die meisten Antworten sprachen sich positiv aus. Vgl.: BUTLER, Cuthbert: Das I. Vatikanische Konzil. München 21961, S. 69-76.

11 Butler nennt hier „Pantheismus, Naturalismus, Rationalismus, Sozialismus, Kommunismus, Spiritismus, religiöse Indifferenz, auch die modernen protestantischen und rationalistischen Lehren bezüglich der Inspiration der Heiligen Schriften, ihrer Autorität und Auslegung“. Ebd., S. 71.

12 Interessanterweise war zu diesem Zeitpunkt ungeklärt, inwiefern die unbeleckte Empfängnis Mariens dogmatisch verbindlich geklärt ist. Pius IX. hatte dies zwar 1854 festgestellt, allerdings kraft seines Amtes und nicht durch ein Konzil. Vgl.: FRANZEN, August: Kleine Kirchengeschichte. Freiburg 272006, S. 343 f.

13 Vgl.: BUTLER, Cuthbert: Das I. Vatikanische Konzil. München 21961, S. 76-83.

14 Ebd.

15 Vgl.: HILMES, Oliver: Ludwig II. Der unzeitgemäße König. München 2013, S. 51-56.

16 Explizit äußerte Ludwig I. diese Vorstellung im Zusammenhang mit den Trauerfeierlichkeiten für die evangelische Königinmutter, bei welcher der Klerus ohne liturgische Gewandung erschien und jegliches Orgelspiel ausblieb. Vgl.: HÜRTEN, Heinz: Die Katholische Kirche seit 1800. In: SCHMID, Alois (Hrsg.): Handbuch der Bayerischen Ge-

schichte. Bd. 4/II: Das neue Bayern. Von 1800 bis zur Gegenwart. München 22007, S. 307 f. Nachfolgend zitiert: HÜRTEN. In: SCHMID, Alois: HBG Bd. 4/II.

17 Vgl.: ebd.

18 Vgl.: MANN, Golo: Ludwig I. von Bayern. Frankfurt a. M. 42006, S. 62-63.98-105.

19 Vgl.: HILMES, Oliver: Ludwig II. Der unzeitgemäße König. München 2013, S. 56-58.

20 Ludwigs Taufpate war sein Großvater, Ludwig I., dessen Taufpate wiederum der französische König Ludwig XVI. war. Aus dieser Linie von Taufpatenverhältnissen konstruierte Ludwig seine eigene Verbundenheit zur Bourbo- nen-Dynastie, in deren Fortsetzung er sich als absoluten Monarchen im Sinne des Ancien Regime verstand. Vgl.: ebd., S. 58.

21 Vgl.: HARTMANNSGRUBER, Friedrich: Im Spannungsfeld von ultramontaner Bewegung und Liberalismus. 1864- 1890. In: BRANDMÜLLER, Walter (Hrsg.): Handbuch der Bayerischen Kirchengeschichte. Bd. 3: Vom Reichsdepu- tationshauptschluss bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil. St. Ottilien 1991, S. 207 f. Nachfolgend zitiert: HARTMANNSGRUBER. In: BRANDMÜLLER, Walter: Handbuch der Bayerischen Kirchengeschichte.

22 Ludwig reagierte bspw. kurz nach seiner Krönung verärgert auf einen unerbetenen Ratschlag seines früheren Religionslehrers, Domdechant Georg Carl Reindls. Vgl. HILMES, Oliver: Ludwig II. Der unzeitgemäße König. München 2013, S. 51-56.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Der Disput zwischen Bayern und dem Papst vor dem I. Vatikanischen Konzil
Untertitel
Die Zirkulardepesche des Ministerpräsidenten Hohenlohe an die europäischen Regierungen
Hochschule
Universität Münster  (Seminar für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte)
Veranstaltung
Basismodul-Proseminar: Grundthemen und Methoden der Kirchengeschichte: Das Verhältnis von Kirche und Staat im 19. und 20. Jahrhundert
Note
1,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
22
Katalognummer
V380849
ISBN (eBook)
9783668575028
ISBN (Buch)
9783668575035
Dateigröße
587 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kulturkamp, Bayern, Hohenlohe, Ludwig II., I. Vatikanisches Konzil, Staat und Kirche, Staatskirchenbeziehung, Bayerische Kirchengeschichte, Unfehlbarkeit, Papst, Katholische Kirche
Arbeit zitieren
Maximilian Mattner (Autor:in), 2017, Der Disput zwischen Bayern und dem Papst vor dem I. Vatikanischen Konzil, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/380849

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