Das oder dass? Behandlung eines orthographischen Dauerproblems in Lehrmaterialien


Examensarbeit, 2011

100 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einführung

2 Sprachwissenschaftliche Hintergründe
2.1 Sprachhistorie des s-Lautes
2.2 Entstehung von untergeordneten Nebensätzen
2.3 Entstehung der das / dass -Heterographie
2.4 Vergleich mit anderen Sprachen

3 Funktion und Semantik von das und dass
3.1 Der Artikel das
3.2 Das Pronomen das
3.3 Zur Semantik der Nebensätze mit dass

4 Problemanalyse und Fehlerbstimmung
4.1 Kognitiver Lernprozess von Schülern
4.1.1 Schüler im Grundschulalter
4.1.2 Schüler der Sekundarstufe I und II
4.2 Regeln: Kommasetzung und Ersatzprobe
4.3 Kontrollhypothese versus Verwechslungshypothese
4.4 Textverstehen/Leseverstehen
4.5 Zusammenfassung und weiterführende Fragestellungen

5 Untersuchung der Sprachbücher
5.1 Vorgehensweise
5.2 Tabellen und Ergebnisse
5.3 Diskussion der Sprachbuchuntersuchung

6 Didaktische Problemlöseansätze in der Literatur
6.1 Strategien in der Grundschule nach Kluge/Kluge
6.2 Strategien in der Sekundarstufe I und II
6.2.1 Grammatikwerkstatt von Menzel
6.2.2 Didaktischer Ansatz von Sewig

7 Wege zu einer erfolgreichen „Didaktik der Heterographie“
7.1 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
7.1.1 Bedeutsamkeit der Subjunktion
7.1.2 Stand und Diskussion der Didaktik
7.1.3 Zusammenfassung
7.2 Idee einer „alternativen Didaktik“

8 Schlussbemerkung

9 Literaturverzeichnis
9.1 Primärliteratur
9.2 Forschungsliteratur
9.3 Lehrermaterialien und Grammatiken
9.4 Internetquellen
9.5 Korpus der untersuchten Sprachbücher

10 Verzeichnis der Abbildungen

11 Anhang
11.1 Muttertabelle
11.2 Sprachbücher ohne Vermittlung der das/dass -Schreibung
11.3 Beispiele für Fehlschreibungen aus dem „Schreiballtag“
11.4 Leitseite des Landesbildungsservers BW: Bildungspläne

1 Einführung

Das Deutsche kennt verschiedene graphematische Realisierungen des s -Phonems, nämlich s, ss und ß, was seit jeher zu Problemen beim Schreiben führt . Zur Ver­einfachung der schriftsprachlichen Realisierung gibt es zwei einschlägige Lö­sungsansätze, nämlich die Ersetzung von ß durch ss oder sogar die vollständige Aufhebung der Heterographie. Als Argument gegen die generelle Ersetzung von ß durch ss führt Peter Eisenberg (1990) an, dass dies zu einer weiteren Un­ein­heit­lich­keit gerade bei Stammsilben in der Verbkonjugation führen würde (vgl. Eisenberg 1990, 5). Gegen die komplette Aufhebung der Unterscheidungsschreibung spricht das Argument des schnelleren und besseren Leseverständnisses. Nach einer Verein­heitlichung der Schreibung besteht zwar nicht mehr die orthographische Differenz zwischen den beiden Wörtern das und dass, es ist aber dennoch eine logische Unter­scheidung durch ihre Funktion im Text vorhanden. Helmuth Feilke (1998) führt aus, dass Kritiker der Meinung sind, dass „die von der Orientierung an den Leserbedürf­nissen angetriebene schriftgrammatische Strukturierung […] für die Schreiber stets mehr Schwierigkeiten aufwirft, als sie für das Lesen lösen kann“ (Feilke 1998, 7f.).

Die Rechtschreibreformen von 1996 und 2006 haben die Problematik nicht sub­stantiell gelöst, indem sie das ß der Subjunktion daß durch ss ersetzt haben, um die Regel „ ss -Schreibung nach kurzem Selbstlaut“ zur Vereinfachung durchgängig ein­heitlich zu gestalten.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Vereinheitlichung im Zuge der Ortho­graphiereform die Fehleranzahl bei der Unterscheidungsschreibung von das/dass keineswegs verringert hat; nach wie vor gilt, dass „das Wörtchen dass bis heute das mit Abstand am häufigsten falsch geschriebene Einzelwort der deutschen Sprache geblieben“ (Menzel 2008, 93)[1] ist. Wolfgang Menzel meint damit wohl nicht, dass die Subjunktion an sich falsch geschrieben wird, sondern dass durch den falschen syntaktischen Gebrauch und aufgrund der Polysemie mit dem Pronomen das eine irre führende Schreibweise zustande kommt.

Die fehlerhafte Schreibung von dass und das ist ein gravierendes Problem, zumal die subordinierende Konjunktion dass zusammen mit der koordinierenden Konjunktion und statistisch gesehen zu den häufigsten Wörtern des Deutschen zählt (vgl. Munske 1997, 212); sie sind in ihrer Verwendung und Häufigkeit ähnlich gleich verteilt. Betrachtet man die sprachstatistischen Untersuchungen von Wängler, Meier und Pfeffer[2], so wird auch hier deutlich, dass die Konjunktion dass unter den 50 am häufigsten verwendeten Wörtern steht (vgl. Braun 1998, 160 f.).

Weitere Erhebungen an Grund- und Hauptschulen, an Gymnasien (vgl. Afflerbach 1997; Augst/Faigel 1986; Feilke 2001; Funke 1986) und vereinzelt an Hochschulen haben gezeigt, dass die Problematik der das/dass -Schreibung dauerhaft anhält und sich durch alle Schularten zieht; ein Blick in die Forschungsliteratur und die Didaktik zeigt jedoch, dass nach wie vor in nur geringem Maße über Lösungsansätze diskutiert wird. Nach meinen persönlichen Beobachtungen in der Hochschule, z.B. bei Präsentationen[3], haben nicht nur Schüler, sondern auch Studierende der Ger­manistik Probleme mit der Unterscheidungsschreibung. Beide müssen Strategien entwickeln, die es ihnen einerseits ermöglichen, diesen Themenkomplex für sich selbst zu erar­beiten; die Studierenden müssen darüber hinaus in der Lage sein, geeignete Lehr­materialien, die sich in angemessener Weise der Klassenstufe und der Schulart entsprechend dem Thema nähern, auf ihre Eignung hin prüfen zu können. Dazu müssen sie aber das Wissen haben, auf welche Weise sie die Eignung solcher Mate­rialien unter Einbezug der Fähigkeiten ihrer Schüler bestimmen und diese gegebenenfalls modifizieren können.

Lehr- und Unterrichtsmaterial gibt es für das vorliegende Thema auf den ersten Blick mehr als genug. Bisher jedoch gibt es keine eingehende Untersuchung, die in vergleichender Weise darstellt, wie an den Schulen Baden-Württembergs die das/dass -Heterographie vermittelt wird. Eine solche Untersuchung wäre aber sinnvoll, da die nicht kleiner werdende Fehlerquote in diesem Bereich die Frage aufwirft, ob möglicherweise die Art der schulischen Vermittlung die Ursache für die Fehlschreibung sein könnte.

Einen Einblick in die schulischen Herangehensweisen können die Lehrwerke liefern, die für den Unterricht an den Schulen Baden-Württembergs zugelassen sind. In Bezug auf die das/dass -Heterographie wurden bisherige Schulbuchanalysen eher unter methodischen oder pädagogischen Gesichtspunkten durchgeführt – daraus re­sultierende Untersuchungen, die auf eine optimale Lernprogression durch eine auf­einander abgestimmte Sach- und Lernstruktur zielen, gibt es nur vereinzelt (vgl. Bredel 2007, 256). Die vorliegende Arbeit will dieses Forschungsdefizit zumindest an­satzweise beheben helfen, indem sie die gängigen Vermittlungswege, die in den Sprachbüchern vorgegeben sind, analysiert und mit den vorhandenen Überlegungen zu einer Didaktik der Heterographie vergleicht. Die Arbeit geht dabei strukturell folgendermaßen vor:

Kapitel 2 beschäftigt sich mit den sprachhistorischen Ursprüngen der Heterographie im Alt- und Mittelhochdeutschen. Beleuchtet wird darin der Entstehungsweg der Subjunktion bis zum Neuhochdeutschen. Ein Vergleich zwischen den grammati­kalischen Definitionen von das als Pronomen und Artikel und dass als Subjunktion schließt sich in Kapitel 3 an. Die Problemanalyse in Kapitel 4 gibt dann einen um­fassenden Überblick über den Zeitraum der Ontogenese der schriftsprachlichen Fähigkeiten von Schülern[4] von der zweiten bis zur siebten Klasse, in denen der sen­sible Erwerb feststellbar und die Verwendungshäufigkeit der Subjunktion dass deut­lich gesteigert ist.

Dem Hauptteil der vorliegenden Arbeit in Kapitel 5 ist die Fragestellung zu Grunde gelegt, wie Lehrmaterialien mit diesem Dauerproblem umgehen. Dazu werden Sprachbücher und Arbeitshefte, die im Bundesland Baden-Württemberg für den Schulgebrauch zugelassen sind, untersucht. Die Sprachbücher werden mit Hilfe fol-gender Fragestellungen betrachtet: In welcher Klassenstufe wird die das/dass -Schreibung thematisiert? Wie unterscheiden die Lehrwerke sich in Hinblick auf die Schulart und welche Vermittlungsstrategien werden schwerpunktmäßig bevorzugt? Haben sich die Vermittlungsstrategien im Zeitraum zwischen 1927 und 2010 im Vergleich in ihrer Verwendung geändert?

Die Sprachbücher werden einer Kategorisierung hinsichtlich der verschiedenen Schularten, Schulstufen und Vermittlungswege unterzogen, ferner wird ein dia­chroner Vergleich innerhalb der Vermittlungswege vorgenommen. Zum Abschluss wird die Häufigkeit der Verwendung einzelner Vermittlungswege in Abhängigkeit und Unterschied zur Schulart betrachtet.

In Kapitel 6 werden die Daten der Erhebung mit den Ergebnissen aus der ein­schlä­gigen Forschungsliteratur in Zusammenhang gebracht. Basierend auf den Unter­suchungen zur Ontogenese der Schriftsprache im Hinblick auf den sensiblen Erwerb der Unterscheidungsschreibung von das/dass wird dann in Kapitel 7 diskutiert, wann sich welche Zugänge für welche Schulart und für welche Alters­gruppe eignen; darüber hinaus wird ein alternativer Weg zur Vermittlung der Heterographie vorgeschlagen.

Die das/dass -Schreibung wird „zweifelsohne etwas Peripheres“ (Funke 2002, 1) im Gesamtrahmen der schriftsprachlichen Probleme sein, sie bildet jedoch eine wichtige Brücke auf dem Weg von einfachen Sätzen hin zu komplexen Satzkonstruktionen, mithin also für die Entwicklung von Textverstehen.

2 Sprachwissenschaftliche Hintergründe

Bemerkenswert im Frühneuhochdeutschen ist eine gewisse Willkür in der Schrei­bung: So findet man Unregelmäßigkeiten in der Bezeichnung der Länge und Kürze und eine unmotivierte Häufung von Buchstaben, besonders der Konsonanten. Doch auch diese Sprachvarietäten finden ihre Begrenzung spätestens seit der Er­fin­dung des Buchdrucks dort, wo der kommunikative Effekt der Schriftsprache gefähr­det und die Systemhaftigkeit der Sprache für deren Funktionieren verantwortlich ist.

Auch bei der Entstehung der s -Laute und später der Heterographie das und daz spielen solche Varietäten eine Rolle. Im Folgenden sollen die Ursprünge der Hete­ro­graphie anhand der Entstehung der unterschiedlichen Lautwerte und der zuneh­men­den Ausdifferenzierung der Satzgefüge in Haupt- und Nebensätze kurz be­schrieben werden.

2.1 Sprachhistorie des s-Lautes

Im Mittelhochdeutschen gab es zunächst zwei s -Laute: s, das lautlich dem heutigen sch ähnelt und je nach seiner Position stimmhaft oder stimmlos gesprochen wurde[5], und z als stimmlosen Reibelaut. Seinen Ursprung hat der Reibelaut /s/ im Indogermanischen, der Ursprung des Lautes /z/ ist im Germanischen zu finden. Diese beiden Laute werden nicht nur in der Schreibung, sondern auch in der Aussprache deutlich unterschieden; dies belegt die Beobachtung, dass die Dichter des Mittelalters sie nicht als Reime verwendet haben (vgl. Schmidt 1993, 305 f.).

Grundlage der Lautverschiebungsvorgänge ist die Verlagerung des Wortakzentes auf die Initialsilbe („Initialakzent“). Im Zuge der 1. Lautverschiebung wurde aus dem stimmhaften Verschlusslaut d zunächst ein stimmloses t; während der 2. Laut­verschiebung entwickelten sich daraus der stimmlose Doppelkonsonant zz bzw. z und im Neuhochdeutschen das stimmlose s bzw. ß. Der deutliche Unterschied sowohl zwischen dem indogermanischen s -Laut als auch dem durch die 2. Lautverschiebung aus t entstandenen z(z)- Laut verliert sich im Mittelhochdeutschen gegen Ende des 13. Jahrhunderts, was Schriftstücke aus dieser Zeit mit vorher nicht möglichen Reimkombinationen beweisen. Im Frühneuhochdeutschen ab dem 16. Jahrhundert verliert s zunehmend seinen palatalen Lautwertcharakter, so dass je nach regionaler Entwicklung beide s -Laute zu einem zusammenfallen.

2.2 Entstehung von untergeordneten Nebensätzen

Genauso wenig wie bei der Schreibung (vgl. Kapitel 2.1) kann man in Bezug auf die Satzgliedstellung starre Gesetzmäßigkeiten im Mittelhochdeutschen er­kennen. Die Grundform der Aneinanderreihung von unverbundenen Hauptsätzen erhält sich aus dem Althochdeutschen bis weit in das Mittelalter hinein. Die Anordnung der Satzglieder hängt von verschiedenen Aspekten ab. Wilhelm Schmidt (1993) bezeichnet folgende Punkte als wesentlich: Zum einen sind der Mitteilungswert und damit die Bedeutung der einzelnen Satzglieder wichtig, darüber hinaus sind die rhythmische Gestaltung (Satzmelodie) innerhalb des Satzes und der Umfang der einzelnen Satzglieder von Bedeutung (vgl. Schmidt 199, 273). Als Überbleibsel dieser gering ausdifferenzierten althochdeutschen Hypotaxe ist heute nur noch der vorangestellte Konditionalsatz ohne einleitende Konjunktion mit Spitzenstellung des Verbs (z.B. „Hilfst du mir, helf ich dir“) anzusehen (vgl. von Polenz 1972, 99).

Nach der langsam einsetzenden Verwendung des Konjunktivs im nebengeordneten Hauptsatz findet im Mittelhochdeutschen verstärkt die koordinierende Konjunktion und ihren Platz zwischen zwei Hauptsätzen; sie bildet jedoch keine inhaltlich-logische Satzverknüpfung. Ein Beispiel für diese Verwendung findet man in den „Straßburger Eiden“:

Oba Karl then eid [...]geleistit, indi Ludhuuu îg […] then […] forbrihchit („Straß­burger Eide“, 27f.)

deutsch: „Wenn Karl den Eid hält, aber Ludwig ihn bricht,…“. Indi = und wird häufig, wie in diesem Beispiel zu erkennen, auch adversativ verwendet. Allerdings hat die Konjunktion bis in das Neuhochdeutsche hinein praktisch nur eine formale Funktion als Kopula. Insgesamt fehlt also die für das Neuhochdeutsche typische inhaltliche Abhängigkeit der Sätze untereinander.

Das syntaktische Prinzip des Mittelhochdeutschen kann man sehr einfach be­schreiben: Inhaltlich Zusammengehörendes wird zusammen ausgedrückt, bevor eine notwendige Erläuterung hinzugefügt werden kann. Erst in einem weiteren Schritt findet die Herausbildung von koordinierenden und subordinierenden Konjunktionen statt, die eindeutig durch die Abhängigkeit des begleitenden Satzes gekennzeichnet sind. Im Gegensatz zum Neuhochdeutschen ist jedoch die Zahl der Konjunktionen begrenzt; viele verlieren sich im Laufe der Zeit oder werden durch andere ersetzt. Auch die Systematisierung der Funktion (subordinierend oder koordinierend) oder die semantische Art der Verknüpfung (z.B. final, kausal, temporal) sind noch nicht eindeutig festgelegt. Als Beispiel soll hier die Konjunktion weil angeführt werden, die bis weit in das Neuhochdeutsche hinein keinen konditionalen Charakter, sondern eine temporale Funktion im Sinne von solange (vgl. ahd.: dia wila; mhd.: die wile) hat. Die bedeutungsmäßige Umbildung von der rein zeitlichen und räumlichen Funktion hin zu der inhaltlichen Verknüpfung durch Konjunktionen bildet sich in dieser Zeit heraus.

Hier ist der Ursprung der ausdifferenzierten deutschen Hypotaxe anzusetzen und damit natürlich auch des Hauptsatzes als eigenständiger Form. Das Mittelhoch­deutsche kennt zwei Arten von Nebensätzen: den Relativsatz und den Objektsatz. Der Relativsatz scheint der sprachhistorisch ältere zu sein; in Zeitzeugnissen aus dem Althochdeutschen findet man bereits die Relativpronomen ther, thiu und thaz zur Einleitung eines Nebensatzes, die auf den Hauptsatz zurückweisen. Thaz/daz ist die am häufigsten vorkommende Nebensatzkonjunktion. Im Gegensatz zu dem maskulinen und femininem Demonstrativum, das nach und nach zu einem „echten Relativpronomen“ (Tschirch 1966, 174) wird und damit das Demonstrativum ersetzt, schlägt das sächliche Demonstrativum einen anderen Werdegang ein.

2.3 Entstehung der das/dass -Heterographie

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sprachgeschichtlich gesehen zunächst nur die Schreibung das existierte. Die Subjunktion dass ist die sprachhistorisch jüngere Form und entstand ursprünglich, wie bereits in Punkt 2.2 erwähnt, im Althochdeutschen aus dem Demonstrativpronomen . [6] Diese Entwicklung kann man am Beispiel der Nebensätze in den Otfried-Evangelien studieren, denn hier werden die meisten, dem Hauptsatz nachgestellten Nebensätze mit thaz eingeleitet (vgl. Wunder 1965, 194).[7]

Zu Beginn der Entwicklung standen zwei gleichgeordnete Hauptsätze nebeneinander, verbunden durch das neutrale Demonstrativum thaz im vorangegangenen Satz und getrennt durch die Versgliederung:

So sliumo siu gihorta th áz: firuuarf si s ário thaz f áz (Otfrid 14. II, 14, v. 85)

(„Otfrieds Evangelienbuch“, 112). Innerhalb einer recht kurzen Zeitspanne jedoch findet man thaz (daz) [8] schon als Einleitung des Folgesatzes, der auf den Hauptsatz zurückverweist:

br úaderscaf ouh d íuru: thaz s ágen ich thir zu uu áru (Otfrid 24. V, 25, v. 22)

(„Otfrieds Evangelienbuch“, 125), und einen gleichzeitigen Gebrauch des vorausdeutenden und zurückverweisenden Demonstrativums:

wanta er ni h ó rta man thaz: thaz io fon m á gadb ú rti (Otfrid 10. I, 17, v.16f.)

(„Otfrieds Evangelienbuch“, 106) . Diese Art der Kombination mit Vor- und Zurückweisung hält sich lange und zeugt davon, „wie schwer dem Ahd. die Ablösung des Nebensatzes aus dem Hauptsatz geworden […] ist“ (Tschirch 1966, 176). Dennoch findet man im Großteil der mittelhochdeutschen Literatur zumeist keine An­kün­digung des daz/thaz im vorhergehenden Satz mehr.

In der spätmittelhochdeutschen Zeit beginnt bereits eine grammatische Unter­scheidung zwischen konjunktionalem und pronominalem Gebrauch; dies belegt das folgende bei Munske zitierte Beispiel eines Rechtstextes aus dem Jahr 1341:

Heinrich Tzemmermann claget, daß der von Eysenberg ym habe gnomen vnd lassen nemen sin erbe, das er von dem stifft von Fulda hat, des die eigenschaft ist, das gelegen ist tzu dem Hebenoldes (Munske 1993, 210 f.).

- leitet hier einen von dem Verb clagen abhängigen Konjunktionalsatz ein; heterographisch markiert sind die beiden das in den Folgesätzen, die jeweils einen Relativsatz einleiten. Die heterographisch hervorgehobenen Unterschiede, wie in obigen Beispiel zu erkennen, findet man vor allem zunächst in Texten rechtlicher Natur. In diesen Texten ist es notwendig, eindeutige und unmissverständliche For­mulierungen zu verwenden, um Missverständnisse zu vermeiden. Durch die Verän­derung vor allem des Lautwertes und der graphischen Wiedergabe des stimm­losen und stimmhaften s -Lautes im Übergang zwischen dem Mittelhoch­deutschen und dem Neuhochdeutschen wird die Unterscheidungsschreibung gekennzeichnet; begünstigt wird sie vor allem durch die zunehmende grammatische Bedeutung von Nebensätzen und die Zunahme der inhaltlichen Bedeutungsvarianten von Kon­junk­tionen. Die Unterscheidungsschreibung wird um 1600 im Frühneuhoch­deutschen erstmals um­fassend in der Schriftsprache erwähnt und als Heterographie markiert. Die Diffe­renzierung in unterschiedliche Schreibweisen hat also vor allem zunächst inhaltliche Funktionen. Peter von Polenz erläutert dazu:

Syntaktisch motiviert ist die seit der Mitte des 16. Jh. aufkommende orthographische Differenzierung zwischen das und daß […]. Solche Regeln erschweren zwar heute noch den Rechtschreibunterricht und sind sprachstrukturell unnötig, da die Bedeutung von Homonymen genügend determiniert wird […]. Ihre Tendenz entspricht aber einem bewußten, wenn auch sehr inkonsequent durchgeführten Prinzip philologisch gebildeter Sprachnormer: visuell-lexematischer statt phonematischer Schreibung. Man hält die Gliederung des Textes in kleinste Sinneinheiten (Morpheme, Lexeme) für wichtiger als die in Phoneme (von Polenz 1972, 101).

Die Subjunktion dass leitet in der Hauptsache Subjekt- und Objektsätze ein und ist gegen Ende des 17. Jahrhunderts bereits ein fest integrierter Bestandteil des deut­schen Sprachschatzes. Gegen Ende des Frühneuhochdeutschen um 1650 kristallisiert sich die Subjunktion als „häufigste subordinierende Konjunktion“ (Munske 1997, 209) heraus; sie ist es bis in die Gegenwart geblieben.

2.4 Vergleich mit anderen Sprachen

Aufgrund der hohen Fehlschreibung wird bei Reformen immer wieder angeregt, die Heterographie nach dem Vorbild der englischen und französischen Sprache aufzugeben: In der englischen und französischen Sprache wird der Bedeutungs­unterschied zwischen Subjunktion und Pronomen nicht durch eine unterschiedliche Schreibweise markiert: So findet man neben dem bestimmten Artikel the für das das Wort that, das sowohl als Subjunktion (dass) als auch als (Demonstrativ-)Pronomen (der/die/ das, dieser, derjenige, welcher, jener) und Adverb (so) gebraucht wird. Im Französischen wird das Wörtchen que ebenfalls für das und dass eingesetzt.

Gegner dieser Vorschläge argumentieren, dies erschwere in Texten das Lese­ver­ständnis und trage zu erheblichen inhaltlichen Missdeutungen bei; daher verwenden die meisten anderen Sprachen unterschiedliche Worte für die Subjunktion und das Pronomen. Bereits in der lateinischen Schriftsprache leiten die Sub­junk­tionen ut und quod den Nebensatz ein; ferner ist hoc als (Demonstrativ-) Pronomen von Bedeutung.

Auch im Albanischen gibt es ein besonderes Wort, das Objektsätze einleitet:

ich weiß, dass ... = une di, q ë...

er hat gesagt, dass ... = ai tha, q ë...

Aber auch in Relativsätzen: das Kind, das spielt = ai djali, q ë po luan

Neben dem q ë wird im Albanischen auch das Wort i cili = welcher bei Relativsätzen gebraucht, wobei i cili (männlich) und e cila (weiblich) nur für Personen eingesetzt werden kann. Das q ë dagegen kann für alles eingesetzt werden.

Im Arabischen werden die Subjunktion dass und das Relativpronomen das ebenfalls als zwei verschiedene Worte übersetzt:

dass = 'in'no (wobei die Apostrophe jeweils die Betonung angeben)

das = 'il'li.

Die Worte werden wie zwei verschiedene Silben (beispielsweise eines Doppelwortes) ausgesprochen und haben daher jeweils eine Betonung auf jeder Silbe.

Im Bulgarischen ist es ähnlich wie im Albanischen, das Wort wird aber tsche = dass ausgesprochen. Für das Relativpronomen das könnte man das Wort koeto (Beispiel: Das Kind, das spielt - Deteto, koeto igrae) übersetzen.

Im Türkischen gibt es keine Artikel, eine Unterscheidung in der Übersetzung zu versuchen scheint nicht sehr sinnvoll, da der Satzaufbau im Türkischen anders orga­nisiert ist. Zudem wird dass im Türkischen als Suffix am finiten Verb des Neben­satzes realisiert und leitet somit keinen vollständigen Nebensatz ein.

Im Russischen kann man das что in den Objektsätzen als eine Entsprechung zum deutschen dass bezeichnen:

er hat gesagt, dass... = он сказал, что...

das Kind, das... = дитя, которое...

что ist außerdem ein Teil von solchen Zusammensetzungen wie потому что (weil); diese Wortgefüge sind jedoch für den vorliegenden Gedankengang nicht von Relevanz.

Aus den oben angeführten Beobachtungen kann man schließen, dass es in anderen Sprachen möglich zu sein scheint, inhaltliche Fehldeutungen, deren Ursache die Homographie ist, zu vermeiden. Andererseits verwendet aber auch ein Großteil der hier in Deutschland in den Schulen vertretenen Minderheitssprachen die Unterscheidungsschreibung.

3 Funktion und Semantik von das und dass im Neuhochdeutschen

3.1 Der Artikel das

Der bestimmte Artikel der/die/das, der auch „ genannt wird, wird von allen Nomenbegleitern am häufigsten gebraucht und dann als Artikel bezeichnet, wenn er sich auf ein nachfolgendes Substantiv bezieht. Das Nomen selbst gibt nicht immer eine Information über Genus, Numerus und Kasus an. Diese Funktion übernimmt der Artikel. Die Grenze zur deiktischen Verwendung als Demonstrativ­pronomen ist im Deutschen oftmals fließend; in den meisten deutschen Grammatiken ist der Gebrauch als Demonstrativpronomen beschrieben. Beispiel:

Das Haus da auf dem Hügel sieht wie ein Schloss aus.

Der neutrale Artikel das wird im Folgenden nicht mehr von Bedeutung sein, da eine Fehlschreibung bzw. eine Verwechslung mit der Subjunktion dass im Regelfall (vgl. 6.1) nicht gegeben ist.[9]

3.2 Das Pronomen das

Der/die/das sind die häufigsten Relativpronomina des Deutschen und werden als Ersatz für ein Substantiv verwendet. Beispiel:

Sie las das Buch, das sie sich am Morgen in der Bücherei ausgeliehen hatte.

Das leitet in diesem Beispiel den Relativsatz ein. Das ist, wie weiter oben bereits beschrieben, das älteste Relativpronomen und historisch gesehen aus dem Demon­strativpronomen entstanden, indem zwei nebengeordnete Hauptsätze zu einem Hauptsatz mit untergeordnetem Gliedsatz wurden. Das Relativpronomen wird jedoch, wie Untersuchungen zeigen, praktisch zu keiner Zeit als Subjunktion dass fehlgeschrieben.[10]

Anders ist hingegen die Sachlage beim Demonstrativpronomen das. Das kann wie der Artikel als Begleiter eines Substantivs als so genanntes „demonstratives Artikelwort“ stehen oder an Stelle des Nomens als Pronomen verwendet werden. Beide haben generell demonstrativen Charakter . Beispiele:

(1) Das hättest du dir sparen können!

(2) Das ist die Art von Mitarbeit, die ich mir von Studenten wünsche.

Das Deutsche verfügt über eine Vielzahl von Demonstrativen. Das Demonstrativpronomen das kann in vielen Fällen durch dieses oder jenes ersetzt werden, derjenige und derselbe sind ungeeignet (vgl. Wermke 2009, 140 und 281). In Beispielen wie den eben genannten finden sich statistisch gesehen die meisten „Verwechslungsfehler“ mit dass, da das Demonstrativum nach der Subjunktion am häufigsten verwendet wird (vgl. z.B. Feilke 1998, 11).

3.3 Zur Semantik der Nebensätze mit dass

Im Deutschen unterscheidet man zunächst zwischen der Gruppe der Relativsätze und allen übrigen Nebensätzen. Diese unterteilen sich wiederum in Inhaltssätze und Verhältnissätze. Satzkonstruktionen mit der Subjunktion dass gehören zu den Inhaltssätzen, bei denen es sich in der Regel um Subjekt-, Objekt- oder auch Attributsätze handeln kann. Nebensätze mit der Subjunktion dass sind die am häufigsten vorkommende Form von Inhaltssätzen. Bezeichnend ist bei der Gruppe der Inhaltssätze, dass die Subjunktion häufig anstelle eines anderen Anschlussmittels treten kann. Auch der umgekehrte Fall kann vorkommen. Beispiel: Der Satz

Ich bin erfreut, dass ich ihn sehe.

kann durch den Infinitivanschluss mit zu oder durch einen wenn -Anschluss ersetzt

(1) Ich bin erfreut, ihn zu sehen.

(2) Ich bin erfreut, wenn ich ihn sehe.

An diesen Beispielen kann man erkennen, dass sich hinter dem auf den ersten Blick gleichen Anschlussmittel verschiedene Verknüpfungswerte (z.B. faktisch oder mo­dal) befinden und umgekehrt gleiche Werte durch verschiedene Verknüpfungsmittel ausgedrückt werden können. Dadurch ändert sich zwar das Verhältnis des Haupt- und Nebensatzes zueinander, es ändert aber nichts daran, dass ein Inhaltssatz vor­liegt. Die Art des Inhaltssatzes ist bestimmt durch das Wort (Nomen, Verb) im Hauptsatz, von dem der Subjunktionalnebensatz abhängt. Weitere Abstufungen und Unterarten in der Gruppe der Inhaltssätze werden an dieser Stelle nicht weiter erläutert, da sie für die Problemstellung irrelevant sind.

3.4 Die Subjunktion dass

Konjunktionen und Subjunktionen werden im Deutschen auch Binde- oder Füge­wörter genannt und sind Satzpartikel, die zwei Sätze, Hauptsatz + Hauptsatz oder Hauptsatz + Nebensatz, Satzglieder oder Gliedteile miteinander verbinden. Kon­junktionen sind dabei neben- oder gleichordnend, Subjunktionen sind unter­ordnend, das bedeutet, dass sie in Abhängigkeit vom Hauptsatz stehen. Damit ändert sich im Gegensatz zu den Konjunktionen durch die Verbendstellung im Satz auch die Syntax.

Das Bindewort dass folgt zumeist in Abhängigkeit von Hauptsätzen und erklärt zurückweisend den Inhalt des Hauptsatzes. Die Subjunktion leitet häufig mit Verben des Denkens, Fühlens und Sagens einen Subjektsatz ein. Beispiel:

Ich finde es toll, dass sie schwimmen kann.

Der Nebensatz ersetzt hier das Subjekt „Meinung“. Die Subjunktion kann ferner einen Objektsatz beginnen. Beispiel:

Sie bedauerte, dass sie sich geirrt hatte.

Der Nebensatz steht hier für das Objekt „Irrtum“.

Dass kann auch in einem Attributsatz stehen. Beispiel:

Die Entscheidung, dass mein Kind die Schule wechseln sollte, war gut.

Ferner können folgende Adverbialsätze mit der Subjunktion dass eingeleitet werden. Im konsekutiven Adverbialsatz ist die Handlung des Nebensatzes eine unmittelbare Folge des Hauptsatzes. Beispiel:

Er arbeitete so hart, dass er danach im Stehen einschlief.

In konsekutiven Sätzen wird dass in der Regel mit weiteren Partikeln wie um zu, als, so im Hauptsatz verbunden. Selten steht dass ohne Bezug zum Hauptsatz. Ähnliches gilt im modalen Adverbialsatz. Beispiel:

Er lenkte sie dadurch ab, dass er sie nach Saft fragte.

Seltener sind Satzgefüge mit finalen Verknüpfungen im Gebrauch. Beispiel:

Sie beeilten sich, dass sie noch rechtzeitig ankommen.

Adversative Konstruktionen hingegen lassen sich häufiger finden. Beispiel:

Sie trödelte noch mehr, anstatt dass sie sich beeilte.

In allen Fällen werden Haupt- und Nebensatz mit einem Komma voneinander getrennt.

Die Subjunktion hat im Gegensatz zum Pronomen, das in erster Linie semantisch auf das Nomen verweist, in den meisten Fällen ausschließlich die Funktion der syn­tak­tischen Unterordnung. Während beispielsweise die Konjunktionen wenn, bevor, weil eine inhaltliche Information geben, hat dass eher eine strukturelle Bedeutung. Aus diesem Grund wird sie häufig auch als „neutrale Subjunktion“ (Wermke 2009, 626) oder als „unterordnende Konjunktionen ohne lexikalische Bedeutung“ (Eisenberg 2006, 203) bezeichnet.

Die häufige Verwendung liegt nach Braun (1998) in der Polysemie und Poly­funktionalität der Subjunktion (vgl. Braun 123 und 161). Man kann jedoch mit Recht fragen, ob die logischen Unterschiede durch diese gebrauchsleichte Konjunktion hinreichend signalisiert und wahrgenommen werden können. Das Wort von der „universalen“ Konjunktion (Admoni) ließe sich auf das Beispiel der Konjunktion „daß“ ohne Einschränkung anwenden (Braun 1998, 123).

4 Problemanalyse und Fehlerbestimmung

Der folgende Abschnitt soll die Frage klären, was in der Ontogenese des Schrift­spracherwerbs bei Kindern zwischen dem 7. und 13. Lebensjahr passiert, und zwar in Hinblick auf die Aneignung der Unterscheidungsschreibung. Im Rückblick auf die sprachhistorische Entwicklung der Subjunktion dass und der sich damit heraus­bildenden Nebensatzkonstruktionen kann man erkennen, dass die Hetero­graphie durchaus kein grammatikalisch festgelegter „Willkürakt“ ist, sondern sich sprach­ge­schichtlich im Laufe der Jahrhunderte herausgebildet hat Der Forder­ung nach einer Aufhebung der Unterscheidungsschreibung kann man infolge dessen nicht so ohne weiteres nachgeben, auch wenn die Subjunktion nach wie vor das am häufigsten fehlgeschriebene Wort ist. Die deutsche Sprache bietet die Heterographie an; daher ist die ausgesprochen didaktische Fragestellung angezeigt: Welchen Sinn hat es, sich mit ihr zu beschäftigen? Dahinter steht zunächst die Frage, was eigentlich passiert, wenn Schüler lernen, den Unterschied orthographisch korrekt zu markieren.

Wichtig scheint es in diesem Zusammenhang zu sein, welche Mittel der Unterricht den Schülern an die Hand gibt und welche Prozesse in der kognitiven Entwicklung ablaufen, um zu einem erfolgreichen Schreiber[11] zu werden. Interessant ist hierbei zu erfahren, inwiefern die erfolgreichen Schreiber Auskunft darüber geben können, worin der Grund dafür besteht, dass sie die Unterscheidungsschreibung sicher beherrschen. Denn trotz hoher Fehlerquote in den Statistiken beherrschen mehr Schreiber die Verwendung der Subjunktion sicher.

Die in Abb. 1 dargestellte Entwicklung beschreibt die Aneignung der Unter­schei­dungsschreibung vom 2. bis zum 10. Schuljahr. Feilke (1998) wertete dafür etwa 200 Schüleraufsätze aus einem größeren Textkorpus aus: Im Zeitraum der Klassen 2 bis 4 ist nur ein geringer Anstieg zu erkennen; zwischen dem 4. und 7. Schuljahr steigt die Quote der Richtigschreibungen auf über 90%; besonders deutlich wird der Sprung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Aneignung der Unterscheidungsschreibung in Prozent pro Schuljahr(nach Feilke 1998, 18)

zwischen dem 6. und dem 7. Schuljahr. Es gibt also eine (große) Gruppe von Schrei­bern, die es im Laufe der Zeit lernt, die Heterographie im Wesentlichen korrekt umzusetzen.

4.1 Kognitiver Lernprozess von Schülern

Mit wachsender Sprachbewusstheit der Kinder, mit der daraus resultierenden Spracheinsicht und der gleichzeitigen Unterweisung in Grammatik sollte man davon ausgehen können, dass die Differenzierung von das und dass komplikationsloser zu bewältigen ist als manch andere Orthographieprobleme. Das ist jedoch nicht der Fall, wie Beobachtungen im Unterricht und empirische Untersuchungen belegen (vgl. Funke 2002, 2).

Man muss sich also die Frage stellen, was eigentlich passiert, wenn Schüler lernen, den Unterschied orthographisch korrekt zu markieren. In der Forschung werden zwei Hypothesen diskutiert: Die Kontrollhypothese geht davon aus, dass ein Schreiber die Heterographie vom Kontext her überwacht und daher richtig schreibt, bei der Verwechslungshypothese nimmt man an, dass erfolgreiche Schreiber die Subjunktion mit dem Relativpronomen nicht mehr verwechseln. Beide Hypothesen sind aus nachvollziehbaren Gründen umstritten (vgl. Funke 2002, 3f.), sie sollen aber den­noch der Vollständigkeit wegen an späterer Stelle veranschaulicht werden. Erhel­lender für die Klärung der Fragestellung ist es allerdings, wenn man betrachtet, wann sich die Kinder die Unterscheidungsschreibung aneignen.

4.1.1 Schüler im Grundschulalter

Das Wort das ist bereits im Vorschulalter im gesprochenen Wortschatz der Kinder vorhanden und wird die gesamte Grundschulzeit über als polyvalenter Ausdruck verwendet; dabei gilt, dass die schriftsprachliche, konzeptionelle Grammatikalisierung und mediale Auszeichnung der Konjunktion […] freilich im Schreiben erst noch anzueignen ist (sic!) (Küttel 2003, 388).

Prozentual sind das Demonstrativpronomen und die Konjunktion am häufigsten ver­treten, das Relativpronomen und der Artikel spielen eine nur geringfügige Rolle.

Feilke (2001) zitiert in seiner Untersuchung einige Beispiele, die die Problematik treffend veranschaulichen:

Ich finde Hausaufgaben schön. Ich finde das die Schule schön ist (Klasse 2).

Ich finde es gut das es Hausaufgaben (sic!), weil die Schüler etwas lernen sollten. Aber auf der anderen Seite finde ich es blöd das wir Kinder […] (Klasse 3).

Also ich finde das nicht richtig das es keine Hausaufgaben mehr geben soll (Klasse 4) (Feilke 2001, 117).

Feilke beschreibt ein stereotypes Muster, nach dem Grundschulkinder mit Sätzen wie den oben abgebildeten verfahren: 1.Pers. Singular + subjektives Verb (finden, glauben, meinen) + Konjunktion:

Ich finde das Hausaufgaben abgeschafft werden sollten, weil….

Dieses Muster wird laut Feilke erst nach und nach ab dem 7. Schuljahr abgelöst, das als Konjunktion wird nun ersetzt durch das grammatikalisch und orthographisch korrekte dass.

In der Primarstufe – und auch in den weiterführenden Schulen – hingegen liegt das Pronomen das wohl zunächst noch als unmarkierte Form vor, das bedeutet, dass der Schüler diese Schreibung automatisch und ohne Überlegungen oder gezielte Aufmerksamkeit wählt, da sie schon lange in seinem Sprachrepertoire vorhanden ist. Daraus würde sich auch erklären, dass die Schreibung von das statt dass weitaus häufiger vorkommt als umgekehrt (vgl. Funke 2002, 3).

Die empirische Untersuchung von Sabine Afflerbach (1997) zeigt andere Ergebnisse als die Überlegungen von Feilke. In der 2. und besonders in der 3. Klasse werden ihrer Beobachtung nach so gut wie keine Nebensätze mit konjunktionalen dass -An­schluss produziert; die – teilweise korrekte – Schreibung und Kommatierung tritt zum ersten Mal im 4. Schuljahr auf. Afflerbach sieht einen engen Zusammenhang zwischen Kommatierung und Rechtschreibung. Sie beschreibt es als „kognitive Ver­knüpfung des orthographischen Aspektes ‚scharfes ßʼ mit einem interpunktorischen ,Komma davorʼ“ (Afflerbach 1997, 211) und unterstreicht damit ein Zusammen­wir­ken der Heterographie mit der Signalwirkung des Kommas. In der Untersuchung von Feilke (1997) wird auf der Grundlage von mehr als 200 Schülertexten deutlich, dass die Subjunktion bereits in der ersten Klasse eine wichtige Rolle in selbst verfas­sten Schülertexten spielt; sie kommt vor allem in formulierten Meinungsäußerungen vor. Übereinstimmend jedoch sehen beide Untersuchungen die Hauptfehlerquelle in der fehlenden Setzung der Kommata.

4.1.2 Schüler in Sekundarstufe I und II

Zunächst ist allgemein eine enorme Steigerung der Verwendung der dass -Anschlüsse in der 5. Klasse im Gegensatz zur 4. Klasse zu verzeichnen, die allerdings zum Großteil falsch geschrieben werden (vgl. Afflerbach 1997, 209).

Zwischen dem 4. und dem 6. Schuljahr kann man eine vom Schreiben her motivierte Steigerung der grammatischen Komplexität der Sätze beobachten, in der die Differenzierung der demonstrativen und konjunktionalen Form von das sinnvoll wird. Der Hauptsatz wird also im Laufe dieser Entwicklung syntaktisch zunehmend autonom – was ein entscheidendes Strukturmotiv für die Markierung einer Satzgrenze bedeuten könnte. Beispiele:

Ich finde es gut, dass…

Ich bin dagegen, dass…

Das Vorziehen des Komplements könnte ein Ausdruck der Einsicht des Lernenden in die grammatische Struktur des komplexen Satzes sein (vgl. Feilke 1998, 26).

Ferner kann man ab der 4. Jahrgangsstufe Schwankungen im Gebrauch der konjunktionalen Form und des Demonstrativpronomens feststellen. Diese Schwan­kungen lassen sich bis zur 6. Klasse beobachten. Ursache dafür könnte sein, dass das ursprünglich vorausweisende Demonstrativpronomen mit dem Bindewort in einen so genannten „Schemakonflikt“ (Küttel 2003, 388; Feilke 2001, 118; Menzel 2008, 98) gerät. Beispiel:

Ich glaube dir das: à Du sagst die Wahrheit!

Ich glaube dir, dass à du die Wahrheit sagst.

Hier wird das hinweisende Fürwort das ersetzt durch die Subjunktion dass; kataphorisch steht das im ersten Satz als Objekt und wird nun als Einleitung des Nebensatzes im Satzgefüge nach hinten verschoben.

Ab der 7. Klasse finden mehrere Entwicklungen statt. Zum einen steigt die Zahl der gebildeten Nebensätze in den weiterführenden Schulen stark an. Weitgehend ausdifferenziert sind nun auch die Kenntnisse über konjunktionale und adverbiale Verknüpfungsmöglichkeiten, was parallel zu einer gesteigerten Verwendungs­häufigkeit der verwendeten Subjunktion dass führt. Zum zweiten findet entwick­lungspsychologisch betrachtet eine sogenannte „Reanalyse“ statt, welche der Hauptgrund für einen Schemakonflikt sein könnte. Das bedeutet, dass die Heterographie in dem Fall dass „der objektive Katalysator der repräsentationalen Redeskription“ (Feilke 2001, 118) ist und als solches berücksichtigt werden sollte. Als Unterstützung für diese Annahme wird angeführt, dass zwischen der korrekten Kommasetzung und der dass -Schreibung ein Zusammenhang besteht.

[...]


[1] In seiner Untersuchung analysiert Menzel rund 2000 Schüleraufsätze der Klassen 2-10 mit einer Gesamtzahl von mehr als 20000 Fehlern. Diese werden in Listen mit „am häufigsten falsch ge­schriebene Einzelwörter“ und in Fehlerkategorien eingeteilt. Das Wort daß wird in 1738 Fällen als das geschrieben und steht damit auf dem ersten Platz – der umgekehrte Fall, daß statt das, liegt auf Platz 6 mit 127 Fällen und findet sich in der Häufigkeitsverteilung der Fehlerkategorien auf Platz 3 (vgl. Menzel 1985, 9f.).

[2] Obgleich diese Untersuchungen aus den 1960er Jahren stammen und sie sich in ihren Unter­su­chungsverfahren und Basismaterialien unterscheiden, haben sie nach wie vor Gültigkeit.

[3] Eine Auswahl an aktuellen Beispielen von Fehlschreibungen aus dem „Schreiballtag“ habe ich im Anhang unter Punkt 11.3 angefügt.

[4] Falls nicht ausdrücklich anders vermerkt, umfassen Pluralformen stets beide Geschlechter.

[5] Man nehme zum Vergleich die orthographische Wiedergabe deutscher Wörter im Tschechischen oder Ungarischen (vgl. Tschirch 1969, 18).

[6] Ein aktueller Forschungsbeitrag bietet eine ganz andere Hypothese: Demnach soll die Konjunktion dass aus einer korrelativen Konstruktion entstanden sein, in der thaz die Funktion eines Relativpartikels übernimmt. Dieses wiederum habe seinen Ursprung im Relativpronomen, welches seinerseits aus dem Demonstrativpronomen hervorgegangen sei (Axel 2009, 21 ff.). Daraus folgt ebenfalls, dass thaz bereits zu jeder Zeit einen subordinierenden Nebensatz eingeleitet hat und nicht aus der Konstruktion Hauptsatz + Hauptsatz mit formaler Selbständigkeit entstanden ist. Begründet wird dies anhand der bereits zitierten Otfried-Evangelien, indem die Zäsuren vor thaz auf ihre Funktion hin untersucht werden. Dieser Hypothese kann jedoch in der vorliegenden Arbeit keine weitere Beachtung geschenkt wer­den. Die gängigen Sprachgeschichtswerke vertreten diese Meinung (noch) nicht.

[7] Müller/Frings (1959) bringen noch weitere Beispiele aus der alt- und mittelhochdeutschen Primär­literatur, so z.B. die Hildebrandslieder.

[8] Beide Formen stehen in der Fachliteratur nebeneinander und werden meist synonym verwendet. Durchgesetzt hat sich aber auch in der Primärliteratur die Form daz.

[9] Die Untersuchung von Augst/Faigel beschreibt. dass der neutrale Artikel das in der Primarstufe nicht verwendet wird (was allerdings textsortenabhängig ist, was eine von ihm zitierte Untersuchung belegt (Anm. d. Verf.) und in höheren Jahrgangsstufen nur in geringem Maße (vgl. Augst/Faigel 1998, 11).

[10] Feilke und Menzel weisen übereinstimmend darauf hin, dass das Relativpronomen in seiner Verwendung nur peripher existent ist, die Schüler es demnach nur wenig verwenden und von daher das Demonstrativpronomen als Quelle der Fehlschreibung anzusehen ist (vgl. Feilke 1998, 11 und Menzel, 2008, 95).

[11] Funke unterscheidet zwischen „erfolgreichen und weniger erfolgreichen Schreibern“ (Funke 2002, 2). Die einen Schüler haben in der Regel keine richtigen Zufallstreffer in der Unter­schei­dungsschreibung, die anderen Schüler machen nahezu keine Fehler (ausgenommen sind hier wohl Flüchtigkeitsfehler (Anm. der Verf.). Küttel spricht allgemein bei der Aneignung von grammatischen Rechtschreibkenntnissen von „Könnern“, die im Schreiben stutzen und sich zu helfen wissen, indem sie Ordnungen rekonstruieren, und „Unsicheren“ (vgl. Küttel 2003, 381).

Ende der Leseprobe aus 100 Seiten

Details

Titel
Das oder dass? Behandlung eines orthographischen Dauerproblems in Lehrmaterialien
Hochschule
Pädagogische Hochschule Heidelberg  (Germanistik)
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
100
Katalognummer
V380612
ISBN (eBook)
9783668573239
ISBN (Buch)
9783668573246
Dateigröße
5079 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Erste Arbeit, bei der das Phänomen in Sprachbüchern Klasse 1-7 untersucht wurde.
Schlagworte
Orthographie das dass Lehrmaterialien
Arbeit zitieren
Marion Marmulla (Autor:in), 2011, Das oder dass? Behandlung eines orthographischen Dauerproblems in Lehrmaterialien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/380612

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