Welche Resultate hat der Wohlfahrtsstaat nach Niklas Luhmann für die moderne Gesellschaft?


Hausarbeit, 2005

24 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Analyseeinheit
- Systemund gesellschaftstheoretische
Vorbetrachtungen

Analyseeinheit
Politische Inklusion
Machtkreislauf des politischen Systems
Politik als selbstreferentielles System
Umweltbezug des politischen Systems

Analyseeinheit
Reflexion

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abstract / Zusammenfassung

Welche Resultate hat der Wohlfahrtsstaat nach Niklas Luhmann für die moderne Gesellschaft?

Silke Lachnit

Einleitung

Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich im Rahmen des Theorieseminars „Niklas Luhmann“ mit den Ursachen, den ausschlaggebenden Spezifikas und den Resultaten des Luhmannschen Wohlfahrtsstaates, für den Wohlfahrtsstaat als theoretisches Konstrukt und auf die moderne Gesellschaft. Ziel der Hausarbeit soll es sein, den Wohlfahrtsstaat nach Luhmann in seinen Facetten zu charakterisieren und dabei darzustellen, welche Chancen, Risiken und Entwicklungstendenzen Luhmann für die moderne Gesellschaft und den Wohlfahrtsstaat selbst sieht.

Der Wohlfahrtsstaat ist eine Erscheinung der modernen Gesellschaft[1], der sich in den hochindustriellen Zonen der Erde entwickelt hat. Seine Logik ist die Kompensation derjenigen Nachteile, die dem Einzelnen aufgrund einer bestimmten gesellschaftlichen Ordnung erwachsen sind und die er nicht selbst verschuldet hat (Luhmann 2000: 423). Mit dem Begriff der Kompensation muss die Kompetenz zum Kompensieren derartiger Nachteile verbunden sein. Wird diese Kompetenz vom politischen System angestrebt, propagiert und stetig universalisiert und von den Adressaten des politischen Systems als Anspruchsgrundlage anerkannt und daraufhin eingefordert, so wird aus einem einst angestrebten, sozialstaatlichem Gebilde, welches durch soziale Maßnahmen, gesellschaftliche Exklusion[2] abbauen, beziehungsweise ihnen vorbeugen soll, vollkommen eigendynamisch ein wohlfahrtsstaatliches Gebilde, welches immer neue Differenzen zu Kompensieren versucht, dadurch nichts nicht-politisches kennt und sich daher selber, durch eigen geschaffene Realitäten, Taten und Absichten überfordert. (Luhmann 2000: 423)

Die vorliegende Hausarbeit gliedert sich grob in drei Analyseeinheiten.

Der erste Abschnitt beschäftigt sich kurz mit den system- und gesellschaftstheoretischen Vorbedingungen zur Herausbildung des Wohlfahrtsstaats. Dabei wird im speziellen auf die grobe Einordnung des Gesellschaftssystems in die Systemtheorie Niklas Luhmanns eingegangen. Als weitere Spezifizierung wird die Einordnung des politischen Systems in das Gesellschaftssystem betrachtet, wobei hierbei bereits grundlegende Ursachen und Charakteristika des Wohlfahrtsstaates beleuchtet werden, womit dann der Rahmen für die darauf folgende Analyse gelegt wird.

Der zweite Abschnitt beschäftigt sich dann mit den für mich charakteristischsten Merkmalen des Wohlfahrtsstaates nach Luhmann. Hierbei habe ich mich im Besonderen auf die Aspekte der politischen Inklusion, dem Machtkreislauf der Politik, der Selbstreferenz des politischen Systems und dem Umweltbezug der Politik konzentriert, da sie mir als abstrakte, aber integrative Oberpunkte einer Vielzahl spezifischerer Merkmale des Wohlfahrtsstaates erscheinen. In der Analyse soll speziell auf die Risiken, Chancen und Tendenzen positiver und negativer Entwicklung eingegangen werden.

Der dritte Abschnitt wird sich reflexiv mit Niklas Luhmanns Theorie der Politik im Wohlfahrtsstaat im Ganzen beschäftigen und soll versuchen, Luhmann als Wohlfahrtstheoretiker zu charakterisieren und anhand seiner Reflexionstheorie Wege aufzeigen, inwiefern strukturelle Probleme, die im zweiten Abschnitt der Analyse deutlich wurden, verbessert oder sogar gelöst werden können.

Meine Analysen werden sich größtenteils auf Primärliteratur von Luhmann selbst stützen, wobei ich mich hauptsächlich mit den Werken „politische Theorie im Wohlfahrtsstaat“ und der „Politik der Gesellschaft“ auseinandersetzen werde.

Analyseeinheit 1

- system- und gesellschaftstheoretische Vorbetrachtungen

Niklas Luhmann unterscheidet auf der Ebene seiner Systemtheorie drei soziale Systeme. Das Gesellschaftssystem, das Interaktionssystem und das Organisationssystem. Das Gesellschaftssystem ist das System allumfassender Kommunikation, welches mit den Systemtypen der Interaktion und der Organisation beschrieben werden können.[3] Das Gesellschaftssystem kennt nur nicht-kommunikative Umwelt. Diese Umwelt sind psychische Systeme. Luhmann kennt daher keine Menschen. Seine Gesellschaft besteht aus ausdifferenzierten und in sich gegliederten, horizontal miteinander verknüpften Subsystemen, an denen psychische Systeme partiell teilhaben. Diese Subsysteme haben sich gesellschaftsevolutionär herausgebildet, durch die Umwandlung des Gesellschaftssystems von einem segmentär-stratifikatorisch geordneten Modell, hin zur heutigen, modernen, ausdifferenzierten Gesellschaft (Luhmann 2000: 213-215). Mit der Herausbildung von Parteien und den damit entstandenen Demokratien Ende des 19. Jahrhundert hat sich zeitgleich zur Ausdifferenzierung anderer Funktionssysteme das politische System zu einem System unter anderen Systemen gewandelt, unter denen es nicht mehr mächtiger und damit nicht vor anderen Systemen privilegiert ist (Luhmann 2000: 190). Eine neue Arbeitsteilung stellte sich ein. Die Parteien politisieren jede ihnen mögliche Kommunikation, versuchen jedes Themengebiet politisch zu problematisieren. Die Staatsorganisation wiederum versucht über strukturelle Kopplung mit dem Rechtssystem und dem Wirtschaftssystem einer juristischen und finanziell haltbaren Ordnung den eigenen gesetzten Anforderungen nachzukommen. Die Konsequenz dessen ist, dass die Staatsorganisation nur noch ein Teilsystem des politischen Systems ist und der Staat nichts weiter als die Selbstsimplifikation, also die Selbstbeschreibung, des politischen Systems (Krause 1999: 185). „Das insgesamt rasch steigende Varietät / Redundanz- Niveau[4] erhält in der zweiten Phase des 20. Jahrhunderts den Namen Wohlfahrtsstaat“ (Luhmann 2000: 215)

Analyseeinheit 2

- Politische Inklusion

Der Begriff der Inklusion meint die Einbeziehung der Gesamtbevölkerung in die Leistungen der einzelnen gesellschaftlichen Funktionssysteme.[5] Der Begriff der Inklusion integriert zum einen Zugang, zum anderen Abhängigkeit von diesen Leistungen (Luhmann 2000: 423). Psychische Systeme leben als Umwelt von allen Sozialem außerhalb der Funktionssysteme, haben aber Zugang zu allen Systemen. Jedes Funktionssystem bezieht die Gesamtbevölkerung ein, aber nur mit jeweils funktionsrelevanten Abschnitten ihrer Lebensführung. „Der Wohlfahrtsstaat ist realisierte politische Inklusion“ (Luhmann 1981: 27).

Durch die Realisierung von Demokratie und in der Folge, dass Politiker die Zustimmung des politischen Publikums zu ihrer Amtsführung gewinnen müssen, geht der Trend zu der, sich immer weiter steigernden Anhebung der allgemeinen Mindeststandards und die Entdeckung immer neuer Bedürfnisse und Interessen des politischen Publikums, in den Bereich möglicher politischer Themen, die man problematisieren kann.

Politische Inklusion heißt dabei noch nicht einklagbare Rechtsansprüche auf alle Qualitäten des Lebens, aber ihre Semantik hat sich, durch Bedingungen, wie den politischen Wahlkampf, deutlich von „Wohltat“ auf „Anspruch“ verlagert (Luhmann 1981: 29). Der Wohlfahrtsstaat setzt zudem voraus, dass jedermann an der Behebung aller Ungleichheit interessiert ist und setzt damit etwas, wie einen kollektiven Willen zum Gemeinwohl vorraus.[6] Das politische System versucht daraufhin, alle möglichen gesellschaftlichen Disparitäten auf Angleichung, Verbesserung und Steigerung hin zu konditionieren. Aus dem Fakt politischer Inklusion ergeben sich folgende Konsequenzen:

1. Durch den Versuch der gesamtgesellschaftlichen Inklusion wird davon ausgegangen, dass es keine nichtpolitische Gesellschaft gibt und alle Bevölkerungsgruppen daran teilhaben sollen und de facto auch müssen.

Für Personen ohne politisches Interesse hat die Politik jedoch keinen Plan und auch keine Mittel zu deren Politisierung zur Verfügung (Luhmann 1981: 32).

Hier ist Politik abhängig von Erziehung und sozialer Schichtung, worauf die Politik aber nach Luhmanns Gesellschaftstheorie keinen Einfluss haben kann.

2. Vor dem Hintergrund des Gebots zur Inklusion, wird die Ungleichheit der realen Chancen zum eigentlichen Problem7 (Luhmann 1981: 27). Es gibt keine gesamtgesellschaftlich gleich verteilten Grundvoraussetzungen zur Erlangung von Wohlstand und dessen Sicherung, von denen jedoch, durch die Proklamation ständiger Steigerung und Verbesserung, durch das politische System, de facto ausgegangen werden muss, damit derartige Planung, nach dem Prinzip der Inklusion, gesamtgesellschaftlich wirken kann.

3. Daher spricht die wohlfahrtsstaatliche Planung gerade die Schichten der Gesellschaft an, die unter gesellschaftlichen Defiziten leiden, oder diese besonders gut in die Politik kommunizieren können (Luhmann 1981: 86- 87). Sie lässt jedoch die Schichten der Bevölkerung in ihren Bemühungen außen vor, die eine stärkere Eigenorganisation ihrer Lebensbedingung realisieren. Daher unterstreicht die wohlfahrtsstaatliche Politik die Abgabe an Verantwortung und Organisation an den Staat, mit der Folge, dass dieser kontraproduktiv entgegen Effizienz, Eigenverantwortlichkeit, Eigenorganisation und persönlichen Antrieb arbeitet.

[...]

[1] die moderne Gesellschaft ist charakterisiert durch funktionale Ausdifferenzierung der Gesellschaft in horizontal gleichwertige Subsysteme im Gegensatz zu vormodernen, stratifizierten Gesellschaftsformen. Damit einher gehen: Autopoiesis der Systeme, operative Geschlossenheit und kognitive Offenheit, kontingenzselektive und codegeführte Subsysteme, die jeweils spezielle Funktionen in der Gesellschaft haben und spezielle Leistungen für andere Subsysteme erbringen, Funktionale Ausdifferenzierung bedeutet über dies hinaus Steigerung von Komplexität durch Komplexität, was mit dem Verzicht auf redundante Absicherung und übergreifender Rationalität einhergeht. Diese fundamentalen Annahmen setze ich in meiner Analyse ohne weitere spezifische Prüfung voraus und baue auf ihnen auf.

[2] Gesellschaftliche Exklusion bezeichnet die weitgehende Ausschließung aus einem Funktionssystem zur Ausschließung aus anderen Funktionssystemen. Zur Bestimmung der Inklusion siehe Analyseeinheit 2.

[3] Da beide Systeme (Interaktion, Organisation) eine kommunikative Umwelt haben, ist das Gesellschaftssystem das universelle Sozialsystem und Organisation und Interaktion zwei spezielle Formen, da sie nicht Kommunikation im Allgemeinen reproduzieren, sondern Kommunikation der Anwesenden und Kommunikation von Entscheidungen über Mitgliederregelungen (Luhmann 1984: 305) .

[4] Im Sinne von Komplexitätssteigerung durch Komplexitätsreduzierung im Laufe funktionaler Ausdifferenzierung (Krause 1999: 171/ 208)

[5] Die Funktion eines Systems ist immer das, was Systeme an exklusiver Bedeutung für die Gesamtgesellschaft erbringen. Leistung ist dagegen das, was an Bedeutung für andere Funktionssysteme erbracht wird, de facto die Input/ Output Perspektive der Intersystembeziehungen. Wichtig dabei ist, dass auch die binnendifferenzierten Teilsysteme der Funktionssysteme Leistungen gemäß dem Code des Systems für andere Systeme erbringen

[6] die öffentliche Meinung als Träger kollektiver Interessen ist nach Luhmann weder ein allgemeines noch ein Bewusstsein aller. Das geht systemtheoretisch mit der Annahme einher, dass auch physische Systeme sich gegenseitig als Umwelt betrachten und sie daher in der Beobachtung „black boxen“ für sich selber und andere physische Systeme sind, die nicht berechenbar und auf einander abgestimmt sind (Luhmann 2000: 278).

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Details

Titel
Welche Resultate hat der Wohlfahrtsstaat nach Niklas Luhmann für die moderne Gesellschaft?
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald  (Politikwissenschaft)
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
24
Katalognummer
V37985
ISBN (eBook)
9783638371827
ISBN (Buch)
9783638705431
Dateigröße
666 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Welche, Resultate, Wohlfahrtsstaat, Niklas, Luhmann, Gesellschaft
Arbeit zitieren
Silke Lachnit (Autor:in), 2005, Welche Resultate hat der Wohlfahrtsstaat nach Niklas Luhmann für die moderne Gesellschaft?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/37985

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