ADHS im Erwachsenenalter

Wenn der Zappelphilipp erwachsen wird und wie die Pflege darauf eingehen kann


Diplomarbeit, 2017

44 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

Vorwort

1 Einleitung
1.1 Aufbau der Arbeit
1.2 Fragestellung
1.3 Ziel dieser Arbeit
1.4 Methodik

2 Definitionen und Erklärungen
2.1 ADHS
2.2 ADS
2.3 Psychiatrische Pflege
2.4 Symptomatik bei Erwachsenen
2.5 Diagnostik

3 Komorbiditäten
3.1 Borderline Persönlichkeitsstörung (BPS)
3.2 Angststörung
3.3 Depression

4 ADHS und Sucht
4.1 Definition Sucht und Abhängigkeit
4.2 Zusammenhang ADHS und Abhängigkeit
4.3 Behandlung und Pflege

5 Therapiemöglichkeiten der Pflegenden
5.1 Psychoedukation
5.2 Coaching
5.3 Adhärenz und Compliance
5.4 Medikamentöse Therapie mit Psychostimulanzien

6 Zusammenfassung

7 Literaturverzeichnis:

Abstract

In dieser Arbeit möchte ich das Thema ADHS im Erwachsenenalter vorstellen. Im Besonderen ist es mein Ziel, die Pflege darauf zu sensibilisieren, was im Umgang mit ADHS Betroffenen wichtig ist, worauf sie achten kann und ich möchte mögliche Pflegediagnosen als Beispiel darstellen.

ADHS im Erwachsenenalter führt unbehandelt häufig zu einer oder mehreren Komorbiditäten. Warum gerade ADHS-Betroffene häufig zu Komorbiditäten neigen und in welchem Zusammenhang dies alles steht, werde ich ebenfalls in meiner Arbeit darstellen. Welche dabei die häufigsten sind, wie man die Unterschiede zu ADHS erkennt und wie genau die Pflege darauf eingehen kann, werden im weiteren Verlauf der Arbeit aufgezeigt.

Sucht und Abhängigkeit ist eine weitere Thematik die häufig bei ADHS-Betroffenen auftritt. In welchem Kontext dies häufig steht und welche Ursachen mitunter daran beteiligt sind, werden unter anderem anhand einer Studie aufgezeigt und erklärt. Dabei wurde festgestellt, dass die Medikation mit Psychostimulanzien während der Kindheit einen großen Einfluss auf eine spätere Abhängigkeitserkrankung hat und die ADHS eine Therapie stark beeinflussen kann.

Im letzten Teil dieser Arbeit werden Therapiemöglichkeiten, die sich im stationären Setting sowie auch ambulant gut durchführen lassen, vorgestellt und erklärt, wie diese Therapiearten aufgebaut sind. Im Speziellen wird auch auf die Medikation mit Ritalin® eingegangen und es wird ein Fallbeispiel dargestellt, in dem Betroffene die Wirkung von Ritalin® beschreibt.

Gerade im Kontext zur adulten ADHS gestaltete sich die Literaturrecherche äußerst schwierig, da diese Thematik der pflegerischen Fachliteratur kaum Erwähnung findet und erst seit wenigen Jahren vermehrt Augenmerk darauf gelegt wird.

Keywords: ADHS, ADS, Methylphenidat, Ritalin, Psychoedukation, Coaching, Adhärenz, Compliance

Vorwort

Ich wäre so gerne wie ihr, aber ich war immer anders und wusste nicht warum.
Immer wollte ich ein Teil von euch sein, doch ihr nahmt mich nicht an.
Ich bin anders als die anderen, und kann es nicht verändern.
Es ist nicht immer leicht, doch ich akzeptiere es.
Ich kann anders denken, handeln und fühlen - das ist meine Superkraft.
Deswegen werd‘ ich mich nicht ändern, schon gar nicht für eure Norm.

Ein Leben mit ADHS ist „anders“. Es ist nicht leicht, man kann seine Gefühle und seine Wahrnehmung weder erklären noch steuern. Darüber hinaus wird einem ständig erklärt, dass es ADHS nicht gibt und/oder die Medikation, die einem so enorm hilft, mit Drogen gleichgesetzt wird. Darum widme ich diese Arbeit in erster Linie allen „ADHSlern“. Ihr seid anders, aber ihr seid nicht alleine!

Mein besonderer Dank geht an meinen Lebensgefährten, ohne den ich nie so weit gekommen wäre. Er konnte mich motivieren, Ordnung in mein Leben bringen und für mich da sein während er nebenbei noch unsere Kinder versorgte und den Haushalt schaffte. Ich danke auch meinen Kindern für ihre Geduld die sie oft haben mussten, ihre Art die mich immer wieder aufmuntert, besonders mit ihrem Sarkasmus, den sie fließend beherrschen. Ihr seid mein sicherer Hafen in meinem manchmal stürmischen Leben!

Im Weiteren danke ich meinen Eltern, besonders meinem Vater für seine Gene und meiner Mutter für ihre unglaubliche Ruhe und Geduld. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ihr immer an mich geglaubt habt! Ich weiß es sehr zu schätzen, was ihr alles leisten musstet – zum Teil immer noch leistet – da ich wohl alles andere als einfach war/bin.

Namentlich bedanken möchte ich mich bei Dr. Kurt Latzelsperger und Mag. Robert Müller, die mich beide behandeln als wäre ich ihre einzige Klientin und mich ständig in dem was ich tue, motivieren.

1 Einleitung

„Wenn Eduard erzählen will,
dann steht sein Mundwerk nimmer still;
Das klappert, plappert, Wort für Wort,
Als wie ein Mühlrad fort und fort.
Er sprudelt, strudelt lange und hell,
Als wie im Park der lust’ge Quell.
Drum wird sein Bildnis auch zuletzt
auf einen Brunnen hin gesetzt.
Dann quillt’s und schwillt’s hervor mit Pracht,
Und quätscht’s und trätscht’s die ganze Nacht,
Dann Kollert’s, rollert’s Tag und Nacht,
Dass ihm das Herz im Leibe lacht.“
(Heinrich Hoffmann)

Dieses Gedicht von Heinrich Hoffmann beschreibt auf humorvolle Art und Weise sehr gut das vermehrte Redebedürfnis von Menschen mit ADHS. Wenn man sich die Geschichten von Heinrich Hoffmann – beispielsweise den berühmten Zappelphilip – durchliest, kann man sehr viele Parallelen zur ADHS erkennen. Ich möchte meine Leser auch gerne dazu ermutigen, nach dieser Lektüre wieder einmal einen Blick in Heinrich Hoffmanns Erzählungen zu werfen. Darin kann man gut nachvollziehen, wie ein Zusammenleben mit einem „ADHSler“ wohl aussehen mag.

ADHS ist ein Thema, welches vielen bekannt ist und sehr kontrovers betrachtet wird. Bisher wurde zum großen Teil nur über Kinder berichtet und viele nahmen an, dass sich ADHS später „auswachsen“ werde. Doch bei einem Teil der Betroffenen persistiert die Erkrankung auch im Erwachsenenalter. Da der Fokus der Diagnostik von ADHS häufig nur in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gelegt wird, geht die Thematik in Bezug auf Erwachsene in vielen Fällen verloren. Viele Erwachsene mit ADHS fühlen sich ihr Leben lang einfach anders.

Dabei müssen sie im Laufe ihres Lebens ihre Verhaltensweisen kompensieren und sich Lebensstrategien überlegen. Aufgrund dessen entstehen dann sogenannte Komorbiditäten, bis die Betroffenen eines Tages eine Arztpraxis aufsuchen, infolge ihrer depressiven Symptomatik, oder weil sie unter einer Angststörung leiden. Behandelt werden hierbei oft nur die Begleiterkrankung und ihre Symptome, aber nicht die Ursache: ADHS. Die Betroffenen erfahren dabei häufig keine Besserung, die Medikation zeigt keine Wirkung und sie ziehen sich zurück. Gerade im stationären Setting ergeben sich bei falsch diagnostizierten Patienten dabei einige Probleme. Der Patient ist nicht compliant, die Frustrationstoleranz erhöht und der Patient arbeitet nicht mit oder, kann sogar die Stimmung auf der Station negativ beeinflussen.

Hierbei möchte ich mit meiner Arbeit die Probleme einer nicht erkannten ADHS näher beschreiben und gerade in der Pflege aufzeigen, wie wichtig eine gute Beobachtung von Patienten sein kann wenn die Therapie im klinischen Alltag nicht anschlägt und worauf sie darüber hinaus achten sollte.

Namensgebend für die ADHS ist der berühmte „Zappelphilip“. ADHS und der „Zappelphilip“ werden gerade in den Medien noch häufig fälschlicherweise als Modediagnose dargestellt, doch die Entwicklung der ADHS-Diagnose begann schon vor langer Zeit. Die erste und bekannteste Darstellung der ADHS Charakteristika beschrieb bereits 1847 der Frankfurter Psychiater Dr. H. Hoffmann in seinem berühmten „Struwwelpeter“. Im Jahre 1902 erfolgte die medizinische Erstbeschreibung durch den englischen Kinderarzt G. F. Still, der 20 Fälle von Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten ohne entsprechende neurologische Ursache beschrieb. (vgl. Ryffel-Rawak, 2008, S. 15)

So entwickelten sich die Beschreibung und das Zuordnen der Symptomatik von ADHS immer weiter und man kann das scheinbare Argument der sogenannten Modediagnose damit leicht ausschließen.

1.1 Aufbau der Arbeit

In Kapitel 2 möchte ich die ADHS genauer vorstellen sowie einige dazugehörige Begrifflichkeiten erklären.

Kapitel 3 widmet sich den Komorbiditäten. Dabei stelle ich die drei häufigsten vor und versuche pflegerische Aspekte einzubinden und die Achtsamkeit der Pflegenden zu erhöhen, weil sich die Symptomatik in sehr vielen Teilen überschneidet.

In Kapitel 4 wird das Thema Sucht und Abhängigkeit aufgezeigt und inwiefern diese mit ADHS in Verbindung stehen.

Im 5. und letzten Kapitel werden pflegerische Therapiemöglichkeiten aufgelistet. Im speziellen die stark kritisierte Therapie mit Stimulanzien und wie weit die Pflege dabei mithelfen kann, diesen Ruf zu verbessern um den Patienten die Angst vor der Einnahme zu nehmen.

1.2 Fragestellung

Welche Komorbiditäten können bei adulter ADHS auftreten und wie kann die Pflege darauf einwirken?

Welche Verhaltensweisen können auftreten und stellt ADHS einen Risikofaktor für Substanzabusus und -abhängigkeit dar?

Wie äußert sich die Symptomatik bei Erwachsenen mit ADHS und wie gestaltet sich die Diagnostik?

1.3 Ziel dieser Arbeit

Ziel meiner Arbeit soll es sein, Vorurteile abzubauen und das Bewusstsein für die Existenz von ADHS im Erwachsenenalter zu erhöhen. Ich möchte versuchen, ADHS und dessen mögliche Komorbiditäten im Erwachsenenalter näher zu beleuchten, mehr Sensibilität gegenüber den Betroffenen zu schaffen, die Patienten aber auch Pflegepersonen sein können.

Die Inhalte meiner Fachbereichsarbeit sollen dabei helfen, das Verhalten von Patienten sowie mancher Mitmenschen zu erklären, den Umgang mit diesen zu erleichtern, sowie als Pflegeperson Hilfe auf dem Weg zur richtigen Diagnosestellung zu leisten.

1.4 Methodik

Die Literaturrecherche für die vorliegende Arbeit basiert hauptsächlich auf Fachbüchern und Fachzeitschriften. Zusätzlich wurden auch andere Arbeiten sowie Ratgeber für ADHS Betroffene und die Bibliothek der PMU genutzt.

In der Literaturangabe finden sich daher viele unterschiedliche Bücher und Artikel, die ich Interessierten sehr empfehlen kann.

Aus Gründen der Lesbarkeit wird auf eine geschlechtsneutrale Formulierung verzichtet und alternierend die männliche und weibliche Form verwendet. Das andere Geschlecht ist dabei immer mitgemeint.

2 Definitionen und Erklärungen

Vorweg möchte ich Begriffe definieren, die in dieser Arbeit besondere Bedeutung finden. Zusätzlich werden in diesem Kapitel die Diagnostik und die Symptomatik bei Erwachsenen vorgestellt.

2.1 ADHS

Die Abkürzung ADHS steht für Aufmerksamkeitsdefizit / Hyperaktivitätsstörung und wurde, wie eingangs bereits erwähnt, schon 1902 in einer medizinischen Fachzeitschrift bei Kindern beschrieben. Lange nahm man an, dass ADHS nur eine Störung im Kindesalter sei, doch mittlerweile bestehen keine Zweifel mehr daran, dass die Symptomatik der ADHS bis in das Erwachsenenalter persistiert, die sich aber im Verlauf verändern kann. Viele der Betroffenen fallen bereits im Kindesalter durch Aufmerksamkeitsdefizite, Konzentrationsstörungen, Ablenkbarkeit und Hyperaktivität auf, doch später werden diese Symptome als Persönlichkeitsmerkmale interpretiert, die eben „schon immer“ vorhanden waren. Die motorische Unruhe weicht im Erwachsenenalter eher einer inneren Unruhe, sie fühlen sich chronisch angespannt und finden durch unaufhörliches Gedankenkreisen kaum Ruhe. Diese Symptomatik führt zu erheblichen Beeinträchtigungen der Lebens- und Alltagsgestaltung, es können Komorbiditäten entstehen, welche die Betroffenen erstmals einen Arzt aufsuchen lassen. (vgl. Scharnholz; Sobanski; Alm; 2011, S. 193)

Derzeit geht man neurobiologisch von Störungen in unterschiedlichen Transmittersystemen aus, wobei den Katecholaminen Dopamin und Noradrenalin eine große Rolle zugeschrieben wird. Weiters konnte man strukturelle Veränderungen im präfrontalen Cortex bei ADHS Betroffenen feststellen. (vgl. D´Amelio et al., 2009, S. 9)

Was sich nun tatsächlich im Gehirn eines ADHS Erkrankten abspielt, ist bis heute noch teilweise ungeklärt. Einige Aspekte sind dank der aktiven Forschung bereits geklärt.

So weiß man inzwischen, dass es Probleme mit den Dopamin-Transportern gibt, die dafür sorgen, dass der ausgeschüttete Botenstoff Dopamin im synaptischen Spalt entfernt wird oder diese Transporter überaktiv bzw. zu viele anwesend sind. Das bedeutet, dass im synaptischen Spalt ein chronischer Dopamin-Mangel vorherrscht. Osterkamp führt in seinem Artikel auch Untersuchungen durch bildgebende Verfahren auf, die darauf hinweisen, dass in den Hirnregionen die für Aufmerksamkeit, Motorik und Impulskontrolle zuständig sind, häufiger Dopamin-Transporter tätig sind. Diese Areale fallen bei ADHS-Betroffenen meist kleiner aus und zeigen weniger elektrische Aktivität. Im Weiteren fand man heraus, dass gerade in Gehirnregionen, die an der Belohnungs- und Motivationsverarbeitung beteiligt sind, eine deutlich geringere Dopamin-Rezeptoren- bzw. -Transporterdichte zum Verarbeiten von Dopamin herrscht. (vgl. Osterkamp, 2009)

2.2 ADS

Im Gegensatz zum ADHS ist die Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADS) eine eher nach innen gerichtete und nach außen hin unauffällige Störung. Helga Simchen bezeichnet ADS Betroffene als hypoaktiv, und beschreibt diese Kinder unter anderem als viel zu langsam, verträumt, vergesslich, empfindlich, leicht ablenkbar, weinen leicht, lernen viel, aber vergessen das Gelernte schnell wieder und gelten als sehr sensibel. ADS Betroffene leiden in der Kindheit meist an Lern- und Leistungsstörungen sowie einem negativen Selbstbild. Diese Kinder fallen kaum auf, und es sind meist jene, die verträumt aus dem Fenster sehen. Im Erscheinungsbild zwischen der ADHS und der ADS gibt es viele Varianten und Zwischenstufen die auch die gleichen Ursachen und in der gleichen Familie mit verschiedenen Ausprägungen vorkommen können. (vgl. Simchen, 2001, S.11ff)

So kann beispielsweise die Mutter von ADHS betroffen sein und ihr Kind von ADS. Meist kann man auch davon ausgehen, dass ein oder beide Teile der Eltern von einer ADHS betroffen sind, wenn beim Kind die Diagnose gestellt wird.

2.3 Psychiatrische Pflege

Psychiatrisches Pflegen bzw. Handeln ist für mich schwer in Worte zu fassen, daher möchte ich folgendes Zitat anführen, da es die Pflege meiner Meinung nach sehr gut beschreibt:

Pflegerisches Handeln ist Beziehungsgestaltung – der Aufbau von Kontakt und Vertrauen durch verbale und nonverbale Kommunikation und gemeinsames Tun. Pflegende fördern die Beziehung des Patienten zu sich selbst und anderen. Sie wissen, dass sie sich im Rahmen der Betreuung auf langfristige Beziehungen einlassen und gestalten das Ende einer pflegerischen Beziehung geplant. Die Pflegenden bestimmen maßgeblich das therapeutische Milieu. Dazu gehört, dass sie den Patienten Rückmeldungen zu ihrem Verhalten, zur äußeren Erscheinung, zur Beziehungsfähigkeit und zu den Fortschritten im Laufe der Behandlung geben und bei Bedarf alternative Verhaltensoptionen aufzeigen. (Thiel et al., 2011, S. 42f)

2.4 Symptomatik bei Erwachsenen

Ein Teil meiner Fragestellung bezieht sich auf die Symptomatik bei Erwachsenen mit ADHS. Nachstehend möchte ich darstellen, inwiefern sich die Symptomatik im Laufe der Zeit verändert und ob es eine charakteristische Symptomatik in Bezug auf adulter ADHS gibt.

Die bei den Kindern bekannten hyperkinetischen Symptome (motorische Unruhe), weichen im Erwachsenenalter der inneren Unruhe. Wobei die weiteren „klassischen“ ADHS Symptome durch mehrere Faktoren einem Wandel unterworfen sind. Zu diesen Faktoren gehören z. B. individuelle Coping-Strategien, Umwelt- und Umgebungseinflüsse oder aktive Anpassungen an eine Umwelt, in der gewisse Verhaltensweisen sanktioniert werden. So kompensieren Erwachsene ihre starke motorische Unruhe beispielsweise mit sportlichen Aktivitäten. Die Symptomatik des Aufmerksamkeitsdefizits bleibt allerdings bestehen, sowie die Impulskontrolle auch Erwachsenen noch schwer fällt und zusätzlich häufig eine Emotionsregulationsstörung hinzukommt.

Damit ist eine rasche Auslösung von Wut oder Trauer gemeint. Üblicherweise stellen sich ADHS Betroffene wegen depressiver Verstimmungen oder Angstproblemen beim Arzt oder Psychologen vor. Deshalb werden meist die Komorbiditäten erkannt und behandelt, während die Diagnose ADHS sehr selten als Erstdiagnose vorkommt. (vgl. Kahl, et al., 2012, S. 131ff)

Die folgende Tabelle von Kahl et. al stellt die Symptomatik mit Beispielen aus dem Alltag sehr übersichtlich dar:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Auffällige Funktionsbereiche bei erwachsenen ADHS-Patienten und typische, von Patienten häufig geschilderte Symptome (Kahl, et al., 2012)

2.5 Diagnostik

In meiner Fragestellung kommt auch die Gestaltung der Diagnostik vor. Ich möchte versuchen, die Diagnostik bei Erwachsenen mit ADHS vorzustellen und herauszufinden, inwiefern sie sich von jener der Kinder differenziert.

Im Wesentlichen unterscheidet sich der Diagnoseablauf im Erwachsenenalter von dem bei Kindern und Jugendlichen nicht. Allerdings wird bei Erwachsenen noch zusätzlich Augenmerk auf Komorbiditäten gelegt, um deren Symptomatik sich von denen der ADHS abzugrenzen. In den Klassifikationssystemen DSM-IV und ICD-10 sind die Diagnosekriterien für ADHS nicht erwachsenenspezifisch formuliert, werden aber klinisch für Erwachsene verwendet.

Die Diagnosen im ICD-10 werden wie folgt angeführt:
F90.0 einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung
F90.1 hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens
F98.8 sonstige näher bezeichnete Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend

Bedeutsam für erwachsenenspezifische und verhaltensnah formulierte Diagnosekriterien sind die Wender-Utah-Kriterien, die für jedes Kriterium mehrere Symptome aufführen.

Dabei werden folgende sieben Kriterien aufgelistet:

1. Aufmerksamkeitsstörung
2. Motorische Hyperaktivität
3. Affektlabilität
4. Desorganisiertes Verhalten
5. Affektkontrolle
6. Impulsivität
7. Emotionale Überreagibilität

Für die Diagnosestellung der ADHS müssen die Kriterien 1 und 2 erfüllt sein und zudem 2 der Kriterien 3-7 vorliegen.

Als weitere Möglichkeit bietet sich die Durchführung eines allgemeinen psychiatrischen semistrukturierten Interviews (z.B. SKID) an.

Durch die gut geordnete Form des Interviewbogens fällt es gerade Menschen mit ADHS leichter, thematisch nicht abzuschweifen und somit dem Interviewer genaue und prägnante Antworten zu geben. Wünschenswert wäre es, die Eltern oder Partner der Patienten zu befragen, da die Angehörigen häufig exakter die Symptomausprägung beschreiben können. Bei der Diagnosestellung wird auch eine Kindheitsanamnese durchgeführt, v.a. ADHS-Symptome und Entwicklungs­auffälligkeiten, ebenso werden Zeugnisse und Schulberichte häufig als relevante Informationen verwertet. Wichtig ist es auch, organisch-psychische Störungen auszuschließen, da die ADHS-Symptomatik auch Folge einer neurologischen bzw. internistischen Grunderkrankung oder Nebenwirkungen von Medikamenten sein können. Zusätzlich ist es auch empfehlenswert ein EEG zu erstellen und die Schilddrüse untersuchen zu lassen. (vgl. Schmid, 2012, S.17-19; vgl. Dilling; Mombour; Schmidt, 2014, S. 362 & 394)

Nachfolgend werden die vier Typen von AD(H)S aufgezeigt, die allerdings nicht in sich identisch sein müssen und sich in Stärke sowie Ausprägung der Symptome unterscheiden:

1. AD(H)S-Mischtyp, dabei sind alle Komponenten vorhanden
2. Vorwiegend unaufmerksame AD(H)S Typ
3. Vorwiegend hyperaktiv-impulsive AD(H)S Typ
4. AD(H)S-Residual Typ, dabei sind Jugendliche oder Erwachsene gemeint, bei denen nicht mehr alle Symptome stark ausgeprägt sind, die früher vorhanden waren. (vgl. Reimann-Höhn, 2016, S. 20)

2.5.1 Pflegeprozess

Im Folgenden möchte ich in Bezug auf die Diagnostik etwas näher auf den Pflegeprozess eingehen. Dabei möchte ich versuchen das Pflegemodell von Hildegard Peplau verständlich darzulegen, da ich die Struktur dessen gerade im psychiatrischen Bereich als sehr passend empfinde. Peplau legt dabei sehr viel Wert darauf, die zwischenmenschlichen Fähigkeiten innerhalb des Pflegeprozesses zu fördern, die eng verbunden sind mit den Kommunikationsfähigkeiten der Interaktionspartner.

Peplau beschreibt in ihrem Modell Rollen und Phasen von Pflegekräften und betont die Wichtigkeit der Beziehung zwischen Pflegekräften und Patienten. In Bezug auf den Pflegeprozess möchte ich kurz die vier Phasen interpersonaler Beziehungen von Peplau beschreiben.

[...]

Ende der Leseprobe aus 44 Seiten

Details

Titel
ADHS im Erwachsenenalter
Untertitel
Wenn der Zappelphilipp erwachsen wird und wie die Pflege darauf eingehen kann
Note
1
Autor
Jahr
2017
Seiten
44
Katalognummer
V379453
ISBN (eBook)
9783668596900
ISBN (Buch)
9783960952084
Dateigröße
3663 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
ADS, Ritalin, Methylphenidat, Coaching, Psychoedukation, Adhärenz, Compliance
Arbeit zitieren
Tamara Teubner (Autor:in), 2017, ADHS im Erwachsenenalter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/379453

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