Deutsche Außenpolitik im Wandel?

Eine Untersuchung des Zivilmachtkonzepts seit Beginn der Großen Koalition im Jahr 2013


Masterarbeit, 2017

86 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Forschungsdesign
a. Theoretischer Hintergrund
b. Zivilmachtkonzept
c. Forschungsstand
d. Methode
i. Koalitionsvertrag
ii. Regierungserklärung
iii. Weißbuch

3. Empirie
a. Außenpolitische Grundsätze der Bundesregierung
i. Koalitionsvertrag
ii. Regierungserklärungen
iii. Weißbuch 2016: Zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr
b. Verhalten der Bundesregierung in der Praxis
i. Ukraine-Konflikt
1. 2013/ 2014
2. 2015
3. 2016/ 2017
ii. Die Kriege in Syrien und im Irak und die Bekämpfung des IS
1. 2013/ 2014
2. 2015
3. 2016/ 2017

4. Bewertung
a. Gestaltungswille
b. Nationale Zielsetzungen
c. Internationale Zielsetzungen – organisatorisch
d. Internationale Ziele – inhaltlich
e. Außenpolitischer Stil
f. Außenpolitische Instrumente

5. Fazit

6. Literatur

a. Gedruckte Quellen

b. Internetquellen

1. Einleitung

In den vergangenen Jahren flammte wieder eine außenpolitische Debatte auf, die Deutschlands Rolle in einer veränderten internationalen Ordnung hinterfragte (Vgl. dazu „Neue Macht - Neue Verantwortung“ Ein Papier der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und des German Marshall Fund of the United States (GMF) Berlin, Oktober 2013). Vor dem Hintergrund vermehrter Auslandseinsätze der Bundeswehr und der ökonomischen Rolle Deutschlands in der EU, wird in dem Papier „Neue Macht. Neue Verantwortung“ ein konkretes außenpolitisches Konzept der Bundesregierung erwartet.

Schon in den 1990er Jahren wurde nach dem Ende des Kalten Krieges diskutiert, welche außenpolitische Rolle Deutschland nach der Wiedervereinigung einnehmen werde (Vgl. Hellmann 1997; McAdams 1997; Peters 1997). In den Debatten der 90er Jahren wurde nach der Wiedervereinigung von einer nun ansetzenden Normalisierung der deutschen Außenpolitik gesprochen (Vgl. Mützenich 2005: 99). Es war nicht klar was genau damit gemeint war, jedoch implizierte eine Normalisierung eine Veränderung und einen Wandel der bisherigen Außenpolitik ein. Das wurde zum einen aufgrund der neuen territorialen Größe Deutschlands erklärt und zum anderen mit der neuen machtpolitischen Konstellation in Europa, die nach dem Ende des Kalten Krieges entstand. Die ersten Auslandseinsätze der Bundeswehr seit dem Zweiten Weltkrieg auf dem Balkan gaben schienen diese Annahmen zu bestätigen.

Auch die aktuelle Debatte befasst sich mit einer Änderung bzw. einem Wandel deutscher Außenpolitik. Diese Debatte wurde zusätzlich vom damals amtierenden Bundespräsidenten Joachim Gauck, damaligen Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen befeuert, die auf der 50. Münchner Sicherheitskonferenz im Jahr 2014, eine aktivere Rolle Deutschlands in der internationalen Sicherheitspolitik forderten (Vgl. Gauck, Joachim. Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014. http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2014/01/140131-Muenchner-Sicherheitskonferenz.html. 31.01.2014, Von der Leyen, Ursula. Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014. http://www.nato.diplo.de/contentblob/4123416/Daten/3885836/redevdleyensiko2014.pdf. 31.01.2014, Steinmeier, Frank-Walter. Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014. https://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2014/140201-BM_M%C3%BCSiKo.html. 01.02.2014.).

In diesem Zusammenhang sprachen einige Beobachter, unter anderem Jochen Bittner, der auch an dem Papier „Neue Macht, Neue Verantwortung“ mitgewirkt hatte, von einem „außenpolitischen Kurswechsel“, der hier eingeleitet wurde (Bittner/ Naß, Kurs auf die Welt. Zeit Online. http://www.zeit.de/2014/07/deutsche-aussenpolitik-sicherheitskonferenz. 06.02.2014.).

Ausgehend von dieser Debatte soll in dieser Arbeit untersucht werden, ob es eine Veränderung der deutschen Außenpolitik gab. Dabei wird als Ausgangspunkt der Untersuchung die Konstituierung der aktuellen Bundesregierung genommen. Zusammenfassend stellt sich folgende Forschungsfrage:

Inwiefern gab es seit Dezember 2013 einen Wandel der deutschen Außenpolitik?

Der Untersuchungszeitraum ist neben der Möglichkeit die komplette Legislaturperiode zu erfassen, außerdem interessant, da in diesem Zeitraum besonders sichtbar wird, dass „die Welt aus den Fugen geraten ist“ (Steinmeier, Frank-Walter, Rede beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Stuttgart. http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2015/150607_Rede_BM_Kirchentag_Kofi_Annan.html. 07.06.2015.). In der Ukraine bricht vor den „Toren“ der EU ein ein Krieg aus. In Syrien und im Irak steigt der sogenannte Islamische Staat auf. Diese Konflikte fordern das Machtgefüge der internationalen Beziehungen heraus (Jäger, Thomas. Wenn die Welt nicht mehr ins Weltbild passt. Cicero.de. http://cicero.de/aussenpolitik/auswaertiges-amt-wenn-die-welt-nicht-mehr-zum-weltbild-passt. 25.11.2016.). Darüber hinaus drängt sich nach dem Regierungswechsel in Washington die Frage auf, welche Bedeutung die NATO, Deutschlands wichtigstem Militärbündnis, noch hat. Wurde mit der sogenannten „Bierzelt“ Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel ein neuer Weg in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik eingeschlagen? (Vgl. Stürmer, Michael. Die Welt. Die deutsche Frage ist wieder da. 30.05.2017. S.4).

Vor diesem Kontext soll also die Frage nach dem Wandel der deutschen Außenpolitik beantwortet werden.

Bevor jedoch auf den theoretischen und inhaltlichen Hintergrund von Außenpolitik bzw. deutscher Außenpolitik eingegangen wird, soll vorher geklärt, was Wandel überhaupt bedeutet. Um diesen Begriff erfassen zu können, muss zunächst der Ausgangspunkt definieren, von was es denn einen Wandel bzw. Veränderung gibt. Von welcher Ausgangssituation gehen wir aus? Eine Möglichkeit diese Ausgangssituation zu bestimmen und auf Veränderung hin zu überprüfen, wäre eine Längsschnittstudie, die verschiedene Bundesregierungen im Bereich der Außenpolitik vergleichen würde. Hierzu würde man die außenpolitischen Handlungen der jeweiligen Bundesregierung miteinander vergleichen und Veränderungen überprüfen. Eine solche Herangehensweise würde den Vorteil des einfachen Vergleichs anbieten, wodurch bei der Untersuchung homogene Skalen und Messinstrumente hätten.

Der Nachteil wäre allerdings eine stark quantitative Arbeitsweise gewesen, die einen Mangel an theoretischer Reichweite und theoretischer Erfassung der Außenpolitik hätte. Außerdem wäre die Zahl der untersuchenden Faktoren, die außenpolitisch relevant wären, enorm. Eine Eingrenzung wäre wahrscheinlich möglich, jedoch dem Rahmen einer Masterarbeit nicht entsprechend.

Nun könnte man nach einer allgemeingültigen Definition von deutscher Außenpolitik nachschlagen und eine Veränderung anhand dieser Definition überprüfen. Allerdings wird es schwierig sein eine allgemeingültige Definition von deutscher Außenpolitik zu finden, insbesondere da es sich nicht um einen statischen Begriff handelt.

Die Bestimmung der Ausgangssituation wird in dieser Arbeit vielmehr anhand eines Theorieansatzes der internationalen Beziehungen geschehen. Es wird quasi eine idealtypische Verortung der deutschen Außenpolitik gemacht, die dann auf die Außenpolitik der aktuellen Bundesregierung überprüft wird. Dieser Idealtypus wird der Zivilmachtansatz sein. Die Forschungsfrage, ob es einen Wandel der deutschen Außenpolitik gab, wird von der Leitfrage unterstützt: Ist Deutschland eine Zivilmacht?

Insbesondere Hanns W. Maull, Knut Kirste und Sebastian Harnisch haben diesen Begriff für Deutschlands Rolle in den internationalen Beziehungen geprägt. Bei mehreren Untersuchungen zwischen 1990 und 2006 wurde immer wieder untersucht, ob Deutschland noch einer Zivilmacht entspricht (Vgl. dazu Harnisch 2001; Harnisch/ Maull 2001; Kirste 1998; Kirste/ Maull 1998; Maull 1990; 1992; 1997; 2000; 2007.). Dabei kommen sie wiederholt zum Schluss, dass Deutschland weiterhin die meisten Übereinstimmungen mit einer Zivilmacht hat (Vgl. Maull 2007: 82).

Nachdem vorgestellt wurde wie der Wandel überprüft werden soll, wird im nächsten Schritt der Begriff der Außenpolitik und speziell der deutschen Außenpolitik erläutert. Anschließend wird kurz vorgestellt was unter Zivilmacht verstanden wird. Eine ausführlichere Beschäftigung mit dem Zivilmachtbegriff findet in Kapitel 2.b statt.

Der Begriff Außenpolitik beschreibt die Politik eines Nationalstaates im Verhältnis zu anderen Staaten bzw. über deren Grenzen hinweg (Vgl. von Bredow 2008: 36.). Politikbereiche der Außenpolitik sind die Diplomatie, Sicherheitspolitik aber auch Wirtschafts-, Handels-, Bildungs-, Gesundheits-, Verkehrs- und Kulturpolitik. Im Zuge der Globalisierung und im europäischen Rahmen durch die europäische Integration verschwimmen zusehends die Grenzen zwischen Innen- und Außenpolitik (Ebd.: 42).

Die hier angewandte Definition bezieht sich vor allem auf die staatlich verfasste Außenpolitik. Denn außenpolitische Handlungen können auch von nichtstaatlichen Akteuren betrieben werden. Wie z.B. von Unternehmen, Verbänden, Stiftungen und Parteien. In dieser Arbeit wird der Fokus jedoch auf den engen Begriff der Außenpolitik liegen, der sich auf die wichtigsten staatlichen Akteure der Außenpolitik, den politischen Entscheidungsträgern, beschränkt. Diese sind im vorliegenden Fall die Bundesregierung, mit Beiträgen der Bundeskanzlerin, dem Bundesaußenminister und der Bundesverteidigungsministerin.

Wie schon erwähnt ist auch die Sicherheitspolitik ein Teil der Außenpolitik. Dieser Teilbereich der Außenpolitik befasst sich mit der Sicherheit des jeweiligen Staates und mit der Sicherheit in den internationalen Beziehungen. Dabei gibt es verschiedene Ansichten was Sicherheit bedeutet. Zum einen beschreibt ein enger Sicherheitsbegriff alle Maßnahmen eines Staates, die darauf abzielen, eine Bedrohung der Unversehrtheit seines Territoriums und der Stabilität seines Gesellschaftssystems zu vermeiden (Vgl. Hellmann 2007: 606 ff.). Nach dieser Definition stehen militärische Mittel im Vordergrund. Eine andere Herangehensweise an den Sicherheitsbegriff befasst sich auch mit den wirtschaftlichen und sozialen Aspekten, die den Ursprung für mögliche Bedrohungslagen sichtbar machen und in Form der Entwicklungszusammenarbeit bekämpfen (Ebd.).

Deutsche Außenpolitik hatte sich in der Vergangenheit besonders in diesem Bereich, der Entwicklungshilfe, engagiert. Diese Form der internationalen Zusammenarbeit wurde auch als „Scheckbuchdiplomatie“ bezeichnet. Weiterhin ist Deutschland eines der größten Geberländer in der internationalen Entwicklungshilfe (Vgl. Geber im Vergleich. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. https://www.bmz.de/de/ministerium/zahlen_fakten/oda/geber/index.html. 12.04.2017.).

Der Fokus in dieser Arbeit liegt aber weniger in der wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit, sondern auf dem diplomatischen und sicherheitspolitischen Gebiet. Deshalb folgt nun eine Vorstellung des historischen Kontextes deutscher Außen- und Sicherheitspolitik.

Zwei große Zäsuren haben die deutsche Außenpolitik in den vergangenen 70 Jahren geprägt. Zum einen die Kapitulation Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg und die Entstehung von zwei deutschen Staaten. Womit auch deutschen Großmachtfantasien ein Ende gesetzt wurde. Die zweite Zäsur fand mit dem Ende des Kalten Krieges statt und gipfelte in der deutschen Wiedervereinigung (Vgl. Hellmann, Wolf, Schmidt 2007: 23 ff.).

Zwischen diesen Ereignissen hatten beide deutschen Staaten keine volle Souveränität, folglich war es schwierig eigene Akzente in der Außenpolitik zu setzen. Trotz dieser Umstände schaffte es die Bundesrepublik Deutschland sich ein außenpolitisches Profil zu verschaffen. Nach der aggressiven und auf Machtexpansion ausgerichteten Außenpolitik des nationalsozialistischen Deutschlands, welches zum Zweiten Weltkrieg führte, fand nun eine komplette Umkehr von dieser Politik statt. Das Militärische sollte so wenig wie möglich eine Rolle in der deutschen Außenpolitik spielen. Wenn es doch militärische Handlungen geben sollte, dann nur im Rahmen internationaler Strukturen. Die Integration und die Einbettung der Bundesrepublik Deutschland in internationale Organisationen war oberste Priorität der deutschen Außenpolitik der Nachkriegszeit (Vgl. Baumann 2007: 66). Die Isolation nach dem Zweiten Weltkrieg sollte überwunden werden. Es wurde ein klares Bekenntnis zum westlichen Bündnis gemacht, als sich die Ost-West-Blockbildung nach dem Zweiten Weltkrieg abzeichnete. Es sollten keine „deutschen Sonderwege“ geben. Diese multilaterale Ausrichtung der deutschen Außenpolitik bekam in den 1970er im Zuge der Entspannungspolitik einen neuen Aufschwung, als unter Willy Brandt erstmals Gespräche mit den Staaten des sogenannten Ostblocks geführt wurden.

Im Großen und Ganzen konnte man diese Außenpolitik in folgender Formel zusammenfassen:

- „never again“, nie wieder sollte eine aggressive militärische Politik von Deutschland ausgehen.
- „never alone“, nie wieder sollte ein deutscher Alleingang in der internationalen Politik begangen werden, bi- und insbesondere multilaterale Außenpolitik sollten die nach Großmacht strebende NS-Außenpolitik ablösen.
- „politics before force“, diplomatische Mittel sollten bei der Lösung von internationalen Konflikten immer Vorrang haben, militärische Mittel sollten nur als ultima ratio eingesetzt werden und das dann auch nur in Zusammenarbeit mit anderen Staaten (siehe Punkt 2).

Der historische Hintergrund spielt also seit der Gründung der Bundesrepublik eine wichtige Rolle bei der Ausgestaltung der deutschen Außenpolitik.

Wie sieht aber der verfassungsrechtliche Rahmen der Außenpolitik aus? Dazu wird nun das Grundgesetz auf außenpolitische Aussagen betrachtet.

Schon in der Präambel des Grundgesetzes wird auf die herausragende Bedeutung der europäischen Zusammenarbeit eingegangen. Deutschland soll „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt […] dienen“ (Präambel Grundgesetz). Auf dem Weg zu einem vereinten Europa, soll „die Bundesrepublik“ bei der „Entwicklung der Europäischen Union“ mitwirken (Artikel 23, GG). Dadurch wird deutlich, welche herausragende Bedeutung die Zusammenarbeit über nationalstaatlichen Grenzen hinweg für Deutschland hat. Wie diese Zusammenarbeit zustande kommt, wird in Artikel 24 festgelegt. Dieser besagt, dass „der Bund durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen“ kann (Art. 24, GG), womit in erster Linie die Europäische Union aber auch andere internationale Organisationen gemeint sind. Außerdem wird in diesem Artikel von „einem System […] kollektiver Sicherheit“ gesprochen, was eine rechtliche Grundlage für die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit anderen Staaten legt, insbesondere denkt man da an das transatlantische Militärbündnis NATO. Angriffskriege werden abgelehnt und sind verfassungswidrig (Art. 26, GG).

Verfahrensrechtliche Regeln, welche Staatsorgane für außenpolitische Handlungen zuständig sind, werden im Grundgesetz auch genannt. Die Gestaltung der auswärtigen Beziehungen wird dabei generell der Bundesregierung unterstellt. Nach Art. 32 (1) GG ist der Bund zuständig für die Pflege der Beziehungen zu anderen Staaten, auch kommt ihm die ausschließliche Gesetzgebung für die auswärtigen Angelegenheiten und die Verteidigung zu (Art 73 (1) S. 1 GG). Unter den Akteuren auf der Bundesebene nimmt die Bundesregierung eine herausgehobene Rolle ein. Ausgestattet mit einem umfassenden Initiativrecht und einem allgemeinpolitischen Handlungsauftrag ist sie die wichtigste Trägerin der auswärtigen Gewalt. Die Bundesregierung ist, vorrangig in Gestalt des Auswärtigen Amtes (AA), zuständig für die Unterhaltung diplomatischer Beziehungen zu anderen Ländern. Sie handelt die völkerrechtlichen Verträge und Abkommen aus und hat weite Befugnisse bei deren Interpretation und Fortentwicklung (Vgl. Wolfram 2007: 159 ff.).

Trotzdem spielen auch die Legislative und die Judikative bei der Einschränkung der Exekutive im Bereich der Außenpolitik eine wichtige Rolle. So ist der Auswärtige Ausschuss des Bundestages verfassungsrechtlich vorgeschrieben. Dieser begleitet die Regierungsarbeit in außen- und sicherheitspolitischen Fragen. Im außenpolitischen Entscheidungsprozess ist das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe formal nicht als Akteur vorgesehen. Allerdings wurden und werden dem höchsten deutschen Gericht immer wieder auch außen- und sicherheitspolitische Fragen zur abschließenden juristischen Klärung vorgelegt, in deren Rahmen es dann Kompetenzabgrenzungen und -zuschnitte für die verantwortlichen Akteure vornimmt. Insbesondere zu europapolitischen Fragen spielte das Bundesverfassungsgericht immer wieder eine wichtige Rolle (Vgl. Ebd.: 161 ff.). Ungeachtet dieser Entwicklung ist die Außenpolitik weiterhin eine Domäne der Exekutive.

Zivilmacht. Ausgehend von dem vorgestellten Begriff der Außenpolitik und speziell der deutschen Außenpolitik, wird im Folgenden das Zivilmachtkonzept vorgestellt, woran ein Wandel der deutschen Außenpolitik überprüft werden soll. Diese Vorstellung ist jedoch nur auf die wichtigsten Punkte beschränkt, eine ausführlichere Behandlung, die auch den Ursprung und die theoretische Konzeption enthält, folgt in einem späteren Kapitel.

Auf einen Satz zusammengefasst strebt eine Zivilmacht eine Zivilisierung der internationalen Beziehungen an. Dabei ist kennzeichnend für Zivilmächte, dass sie multilaterales Handeln bevorzugen, also die Zusammenarbeit im Rahmen von internationalen Organisationen oder mit anderen Akteuren der internationalen Beziehungen. Jedoch wird auch unilaterales Handeln nicht völlig ausgeschlossen, wenn dies z.B. in Form einer Initiative im Rahmen einer internationalen Organisation geschieht und somit international legitimiert ist. (Vgl. Maull 2007: 75 ff.).

Zivilmächte berücksichtigen außerdem den Einfluss von Normen und Werten in ihrem außenpolitischen Verhalten. Sie streben schließlich eine Zivilisierung der internationalen Beziehungen an. Trotzdem beanspruchen auch Zivilmächte, wie der Name es schon verrät, Macht und Gestaltungswillen, um das Ziel der Zivilisierung zu erreichen. Neben politischen Mitteln wie der Diplomatie gehören auch militärische Mittel zu den außenpolitischen Instrumenten einer Zivilmacht. Der Begriff Zivilmacht ist kein Gegenbegriff zu Militärmacht, das wurde oft missverstanden (Vgl. Maull 2014: 130).

Als die ersten Arbeiten über den heutigen Zivilmacht-Begriff erschienen, Ende der 1980er von Hanns W. Maull, wurde die Bundesrepublik Deutschland mit Japan als eine idealtypische Zivilmacht definiert (Maull 1990: 105 ff.).

Nun werden im nächsten Kapitel die Details und Hintergründe zum Zivilmachtansatz vorgestellt.

2. Forschungsdesign

a. Theoretischer Hintergrund

Der Zivilmacht-Begriff im politikwissenschaftlichen Kontext taucht zum ersten Mal in den Arbeiten von Francois Duchene auf. Dieser forschte in den 1970er Jahren über die damalige Europäische Gemeinschaft. Duchene befasste sich mit der Rolle und der Bedeutung der damaligen Europäischen Gemeinschaft in den internationalen Beziehungen vor dem Hintergrund der Supermächte USA und Sowjetunion. Dabei kam er zum Schluss, dass die Zuschreibung als Zivilmacht am plausibelsten und angemessensten für die Europäische Gemeinschaft sei (Vgl. Duchene 1973: 34) Durch die zwischenstaatlichen Beziehungen der europäischen Mitgliedsländer unter dem Dach der EG und den Beziehungen zwischen EG-Institutionen, die außerhalb der EG waren, wurde eine Zivilisierung der Internationalen Beziehungen vorangetrieben (Ebd.). Die Motivation der europäischen Länder im Rahmen der EG zusammenzuarbeiten und die Europäische Gemeinschaft zu einem solchen Akteur zu formen, entsprang nicht nur aus ideellen- und wirtschaftlichen Gründen, sondern auch machtpolitischen. Die Entstehung des Zivilmacht-Konzepts verdankte es den Gegebenheiten nach dem Zweiten Weltkrieg, als die ehemaligen Hegemonialmächte Europas (Großbritannien, Frankreich, Deutschland) in ihrer Bedeutung für die Weltpolitik geschrumpft waren. Durch die Europäische Gemeinschaft konnten sie machtpolitisches Gewicht in den internationalen Beziehungen wiedergewinnen. Besonders für das isolierte Nachkriegs-Deutschland waren die europäischen Strukturen wichtig, um international wieder eine Rolle zu spielen. (Vgl. Duchene 1973: 21).

Der Politikwissenschaftler Duchene wandte den Begriff Zivilmacht erstmals für die Beschreibung von Akteuren der Internationalen Politik. Die Ursprünge und die Grundlagen des Begriffs sind jedoch in der Soziologie zu finden. Im Jahr 1939 beschrieb der deutsche Soziologe Norbert Elias in seiner Zivilisierungstheorie („Über den Prozess der Zivilisation“) die kulturelle Entfaltung bestimmter Verhaltensweisen, vor allem der Selbstkontrolle des zivilisierten Menschen. Die Entstehung des modernen Staates ist das Ergebnis eines Prozesses vom „Erwachsenwerden der Menschheit“. Die Monopolisierung der Staatsgewalt ist eins der wichtigsten Punkte dabei. Darauf aufbauend entwickelte Dieter Senghaas das „zivilisatorische Hexagon“, was die Entwicklung des modernen Staates im politikwissenschaftlichen Kontext konkretisierte. Darin stellte er sechs Eckpunkte dar, die einen funktionierenden modernen Staat vorrausetzen. Diese sind:

- die Entprivatisierung von Gewalt und die Herausbildung eines legitimen Gewaltmonopols.
- die Kontrolle des Gewaltmonopols und die Herausbildung von Rechtsstaatlichkeit als Voraussetzung dafür, dass das öffentliche Gewaltmonopol nicht despotisch missbraucht wird.
- Interdependenzen und die Entprivatisierung von Gewalt bildet sich eine zunehmende Affektkontrolle im gegenseitigen Umgang miteinander heraus.
- demokratische Beteiligung bei öffentlichen Entscheidungsfindungen.
- Schaffung von sozialer Gerechtigkeit.
- Bereitschaft zur produktiven Auseinandersetzung mit Konflikten und kompromissorientierte Konfliktfähigkeit (konstruktive Konfliktkultur) (Vgl. Senghaas 1995: 196 - 223).

Zivil bzw. Zivilisierung beschreibt also die fortschreitende Regulierung von zwischenmenschlichen Beziehungen in einer Gruppe, insbesondere bei der Konfliktaustragung. Am besten zu sehen ist das im Ausdruck des modernen Staates, der die Eigenschaften des „zivilisatorische Hexagon“ enthält. In den internationalen Beziehungen hat sich jedoch bislang kein Weltstaat entwickelt, der das Gewaltmonopol auf sich vereint. Nun müsste man annehmen, dass in den internationalen Beziehungen immer noch ein Zustand ähnlich wie in den vorstaatlichen Gesellschaften herrscht, nämlich Anarchie. Von dieser Annahme geht die Theorie des Realismus aus. Diese Theorie ist eine von mehreren Meta- bzw. Großtheorien der Internationalen Beziehungen, die Erklärungen für das außenpolitische Handeln der internationalen Akteure suchen. Bevor das analytische Konzept der Zivilmacht vorgestellt wird, sollen zunächst kurz vier Großtheorien der Internationalen Beziehungen präsentiert werden. Das soll dazu dienen, den Zivilmachtansatz besser einzuordnen. Dabei handelt es sich um folgende vier Theorien: Realismus, Institutionalismus, Liberalismus und Sozialkonstruktivismus.

Der Realismus, der schon wie erwähnt, davon ausgeht, dass die Strukturen der internationalen Beziehungen anarchisch geordnet sind, wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der beiden Weltkriege und als Gegenbewegung zum Idealismus entwickelt. Diese Anarchie könne nur durch eine Politik des Mächtegleichgewichts oder durch eine hegemoniale Ordnung geregelt werden. Die Hauptakteure sind die souveränen Nationalstaaten. Der Neo-Realismus unterscheidet sich darin, dass die unsicheren Strukturen der Internationalen Beziehungen die Akteure zu egoistischen Handlungen treiben, anstatt das Streben nach Macht (Vgl. Schimmelfing 2008: 68 ff.).

Der Institutionalismus, der vor dem Hintergrund der Entspannungspolitik im Ost-West-Konflikt in den 1970er Jahren entstand, geht von rational handelnden Akteuren aus, die Kooperationen eingehen. Diese Akteure sind Staaten, aber auch gesellschaftliche Gruppen. Diese Kooperationen münden oft in der Bildung von internationalen Institutionen oder Regimen, die eine bessere Zusammenarbeit in den internationalen Beziehungen ermöglichen (Vgl. Schimmelfing 2008: 112).

Der Liberalismus, auch entstanden im Zuge der Entspannungspolitik der 1970er Jahre und mit dem Ende des Kalten Krieges, betrachtet Individuen und Gruppen als die entscheidenden Akteure der Internationalen Politik. Erstgenannte üben durch Wahlen Einfluss auf die Regierungen der Nationalstaaten aus. Nach dieser Theorie sind Demokratien immer friedlich zueinander (Vgl. Schimmelfing 2008: 156 ff.).

Der Sozialkonstruktivismus hat sich in Abgrenzung zu diesen Theorien entwickelt, da keine das Ende des Ost-West-Konflikts vorhersagen oder erklären konnten. Aus sozialkonstruktivistischer Perspektive wird davon ausgegangen, dass sich die „Realität“ oder die „soziale Welt“ nicht unmittelbar erschließen lässt (Vgl. Ulbert 2003: 401). Sie wird vielmehr durch gemeinsames Handeln und gemeinsam geteilten Vorstellungen bzw. Werte und Normen konstruiert. Die Strukturen und Prozesse in den internationalen Beziehungen sind dynamisch, sie können sich verändern (Vgl. Ebd.: 406). Diese Annahme wurde insbesondere durch das Ende des Kalten Krieges sichtbar. Nach dem Sozialkonstruktivismus sind die Interessen der Akteure nicht definitiv vorgegeben und für alle Zeiten festgelegt. Die Akteure begründen sich selbst und ihre Interessen erst mit und durch die Ideen (Vgl. Ebd.: 410 ff.). Von diesem Standpunkt aus, können Akteure, in diesem Fall politische Akteure, Selbstbilder über ihre Rolle und ihr Auftreten in den internationalen Beziehungen entwickeln. Diese Selbstbilder kann man als Rollenkonzepte bezeichnen. Ein solches Rollenkonzept ist das der Zivilmacht. Damit wären wir nach der semantischen Definition zur inhaltlichen Definition der Zivilmacht gelangt. Die Rollenkonzeption nimmt die innenpolitischen Prozesse und Einflüsse in die Rollengestaltung mit ein (Vgl. Rosenau 1961: 31). Die Struktur der Internationalen Beziehungen ist danach weiterhin wichtig für das Handeln der Staaten, jedoch nimmt auch die politische Kultur und das Rollenverständnis des jeweiligen Landes bei der Gestaltung der Außenpolitik eine wichtige Bedeutung ein. Nicht nur das Selbstbild des Akteurs ist entscheidend, sondern auch die Erwartungshaltung von anderen Akteuren. Was wiederum die Bedeutung der Strukturen hervorhebt (Vgl. Holsti 1970: 234.).

b. Zivilmachtkonzept

Ausgehend von diesen theoretischen Grundlagen wurde das heute uns bekannte und in dieser Arbeit verwendete Zivilmachtkonzept von Hanns W. Maull und Knut Kirste konzipiert (Maull 1990, Kirste/ Maull 1996). Diese stellten klare Kriterien und Handlungsweisen von Zivilmächten dar, auch Rollenelemente genannt. Die drei wichtigsten Rollenelemente davon sind:

1. die Zivilisierung der internationalen Beziehungen. Eine Zivilmacht strebt eine regelgeleitete Weltordnung, es soll die sogenannte Anarchie in den internationalen Beziehungen überwinden.
2. Auf dem Weg dahin, muss eine Zivilmacht bereit sein, Teile seiner Souveränität abzugeben.
3. Eine Zivilmacht ist bereit internationale Normen auch dann zu befolgen, wenn unmittelbare nationale Interessen dies nicht unbedingt nahelegten.

Eine Zivilmacht ist sich also bewusst, dass das eigene Wohl abhängig von den Strukturen der Internationalen Beziehungen ist. Deshalb würde eine isolationistische oder eine nach machtstrebende Politik, die keine Zivilisierung der internationalen Beziehungen anstrebt, dem Rollenkonzept der Zivilmacht widersprechen.

Zusammenfassend ist „eine Zivilmacht […] ein Staat, dessen außenpolitisches Rollenkonzept und Rollenverhalten gebunden (ist) an Zielsetzungen, Werte, Prinzipien sowie Formen der Einflussnahme und Instrumente der Machtausübung, die einer Zivilisierung der internationalen Beziehungen dienen.“ (Kirste/ Maull 1996: 300).

Ausgehend von dieser Definition werden nun die konkreten Rollenkriterien vorgestellt, mit denen das Rollenkonzept einer Zivilmacht überprüft wird. Dazu wurden neben dem Aufsatz von Knut Kirste und Hanns W. Maull aus dem Jahr 1996, die Zivilmacht-Studie aus dem Jahr 1997 herangeführt (Vgl. Kirste/ Maull 1996; Maull u.a. 1997). In dieser Studie, die von Hanns W. Maull geleitet wurde, unter Mitarbeit von Ulf Frenkler, Sebastian Harnisch, Knut Kirste und Wolfram Wallraf, wurden Zivilmacht-Qualitäten von den USA, Japan und Deutschland überprüft. Außerdem wurden hier zum ersten Mal die Rollenkriterien einer Zivilmacht in einer großangelegten Studie angewandt.

Die Operationalisierung des Zivilmachtbegriffs wurde von diesen Arbeiten übernommen. Dort wurde zunächst eine Unterteilung der Analyseebene vorgenommen, um das Rollenkonzept einer Zivilmacht zu verorten. Diese sogenannten „Zentralbereiche“ sind:

1. der Gestaltungswille:

Eine Zivilmacht verfügt über den Willen, die internationalen Beziehungen zu gestalten. Dieser Gestaltungswille drückt sich dadurch aus, dass Zivilmächte „global führend mitwirken durch kollektive, partnerschaftliche Bemühungen“ (Maull u.a. 1997: 23). Sie übernehmen „Initiative, geben Anstöße und haben eine Vorreiterrolle“ bzw. „eine Beispielfunktion“ in den internationalen Beziehungen (Vgl. Ebd.). Außerdem sind Zivilmächte bereit „internationale Verantwortung“ zu übernehmen, jedoch erheben sie „keinen exklusiven Führungsanspruch“ (Ebd.). Diesen Führungsanspruch erheben sie insbesondere bei der „Mitwirkung in internationalen Institutionen (Vgl. Ebd.).

Für die vorliegende Arbeit wird das bedeuten, dass die Außenpolitik der Bundesregierung auf ihren Machtfaktor hin überprüft wird. Kann man einen deutschen Führungsanspruch aus den Ergebnissen erkennen? Dieser Frage wird im Kapitel 4.a nachgegangen.

2. die nationalen Zielsetzungen:

Dieser Bereich befasst sich mit der Innenperspektive einer Zivilmacht. Eine Zivilmacht handelt im Sinne einer Maximierung des nationalen Wohlstands. Das bedeutet jedoch nicht, dass unilaterales Handeln bevorzugt wird. Es bedeutet nur, dass das oberste Ziel einer Regierung eines Zivilmachtstaates die Wohlstandsteigerung ist (Vgl. Ebd.). Eine Außenpolitik, die ausschließlich auf eine Machterweiterung des eigenen Staates hinausläuft, wird abgelehnt. Um diesen Punkt besser zu erfassen, wäre eine Untersuchung von wirtschafspolitischen Handlungen vorteilhaft gewesen. Jedoch werden in dieser Untersuchung wirtschaftspolitische Maßnahmen in der Außenpolitik nicht den Kern der Empirie und der Analyse bilden, so dass dieses Kriterium eine geringere Rolle bei der Beantwortung der Forschungsfrage spielen wird.

3. die internationalen Zielsetzungen in organisatorischer Hinsicht:

Eine Zivilmacht setzt sich in der internationalen Zusammenarbeit für eine „arbeitsteilige Organisation der Internationalen Beziehungen.“ ein (Vgl. Ebd.). Nationalstaatliche Souveränität wird teilweise abgegeben und soll an supranationale Organe übertragen werden. Die „Bejahung von Bindung und Einbindung; Autonomieverzicht; Bereitschaft, internationale Normen für sich als bindend anzuerkennen“ trifft auf eine Zivilmacht zu (Ebd.). Darüber hinaus setzt sich eine Zivilmacht für die Bildung und Erweiterung von „Regime(n)- und Institutionen […]“ (Ebd.) ein. Eine Verrechtlichung der Internationalen Beziehungen, wie in Form des Völkerrechts, wird angestrebt. Insbesondere wird eine starke Rolle der Vereinten Nationen und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, im weiteren Verlauf als OSZE bezeichnet, befürwortet.

4. die internationalen Ziele in materiell-inhaltlicher Hinsicht:

Neben der Gestaltung der internationalen Beziehungen in organisatorischer Hinsicht, steht auf der Ebene der internationalen Ziele in materiell-inhaltlicher Hinsicht die normative Rollengestaltung einer Zivilmacht im Fokus. Eine Zivilmacht handelt werteorientiert, wenn sie sich für die Durchsetzung und Förderung von universellen Werten einsetzt. Diese universellen Werte werden an die nationalen Interessen geknüpft. Was bedeutet, dass auch die Außenpolitik sich an diesen Werten orientiert und nicht abgekoppelt ist (Vgl. Kirste/ Maull 1996: 302). Eine Unterscheidung zwischen Außen- und Innenpolitik wird überwunden. Deshalb kann eine Zivilmacht Menschenrechtsverletzungen und eine „bad governance“ in anderen Staaten nicht einfach hinnehmen. Hier wird es spannend zu beobachten sein, inwieweit diese Motive bei der Gestaltung der Außenpolitik der aktuellen Bundesregierung verfolgt wurden.

5. der außenpolitische Stil:

Nachdem vorgestellt wurde, von welcher Perspektive eine Zivilmacht die internationalen Beziehungen betrachtet, wird nun vorgestellt wie sich die konkreten Handlungen kategorisieren lassen. Der außenpolitische Stil bzw. das spezifische außenpolitische Handlungsmuster einer Zivilmacht ist durch ein „partnerschaftlich bzw. kollektives Handeln“ (Vgl. Maull u.a. 1997: 28) gekennzeichnet. Nationale Alleingänge werden grundsätzlich abgelehnt. Zivilmächte handeln auf internationaler Bühne als kollektive Akteure, die immer an Kooperationen gebunden sind. Solche Akteure, die in den internationalen Beziehungen unilateral handeln, werden von Zivilmächten abgelehnt. Bei der Bildung und Etablierung von internationalen Institutionen, sind Zivilmächte, wie schon oben angedeutet, bereit, Souveränitätsrechte zu übertragen. Informelle Bündnisse, die nur bei Bedarf gebildet werden und ausschließlich machtpolitischen Interessen dienen, werden nicht unterstützt. Internationale Kooperation und Souveränitätsübertragung wird insbesondere im Bereich der Sicherheitspolitik gefördert (Vgl. Ebd.). Die Lösung von Konflikten und Problemen auf internationaler Ebene wird jedoch am meisten durch Verhandlung, Vermittlung und Schlichtungsverfahren verfolgt. Die Ansicht, dass es sich bei den internationalen Beziehungen um Null-Summen-Spiele handelt, also dass es Gewinner und Verlierer gibt, wird abgelehnt (Vgl. Kirste/ Maull 1996: 302). Dieses Kriterium wird bei der Analyse angewendet, indem die Ergebnisse daraufhin überprüft werden, welche Bedeutung andere Staaten und internationale Organisationen bei der deutschen Außenpolitik hatten und wie diese anderen Akteure einbezogen wurden.

6. die außenpolitischen Instrumente:

Der letzte Bereich befasst sich mit den außenpolitischen Instrumenten einer Zivilmacht. Welche konkreten Mittel setzt eine Zivilmacht in der Außenpolitik ein? Diese sind bei einer Zivilmacht vor allem politische. Das drückt sich in Form von Verhandlungen, Konditionalität und Sanktionen aus (Vgl. Kirste/ Maull 1996: 303). Bei internationalen Konflikten wird zu allererst auf Verhandlungen gesetzte, diese finden idealerweise in multilateralem Rahmen statt. Konditionelle Maßnahmen gehen dagegen einen Schritt weiter und dienen dazu da, den Druck auf die Verhandlungspartner zu erhöhen. Beispiele von Konditionalität finden sich im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, wenn Hilfen an bestimmte Vorgaben geknüpft werden. Konditionalität setzt aber voraus, dass die jeweiligen Verhandlungspartner in einer Beziehung stehen, damit Bedingungen überhaupt gestellt werden können. Als letztes politisches Mittel werden Sanktionen eingesetzt. Sanktionen werden meistens nach gescheiterten Verhandlungen eingesetzt. Können aber auch als Druckmittel während laufenden Verhandlungen eingesetzt werden.

Militärische Mittel werden nicht kategorisch ausgeschlossen, sollen aber nur im Rahmen kollektiver Sicherheitsstrukturen beschlossen werden. Im Idealfall legitimiert durch einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates (Vgl. Maull 2014: 129). Zivilmächte sind keine pazifistischen Mächte, das wurde fälschlicherweise oft angenommen (Vgl. Ebd.). Trotzdem zeichnen sich Zivilmächte dadurch aus, dass sie sich für Rüstungskontrollen und Abrüstung einsetzen (Vgl. Maull 1997: 29).

c. Forschungsstand

Nachdem der theoretische Rahmen vorgestellt wurde, soll im Folgenden ein Überblick über ausgewählte Literatur zum Thema deutsche Außenpolitik und Zivilmacht vorgestellt werden.

Als Einführung in die deutsche Außenpolitik bietet das Studienbuch von Wilfried von Bredow eine gegenwartsbezogene Einführung in die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland und ihre Geschichte an. Es behandelt systematisch die Grundlinien und Schwerpunkte dieser Außenpolitik, ihre wichtigen Institutionen und Akteure, die entscheidenden Stationen seit der Gründung der Bundesrepublik und die Einbindung des Landes in europäische und atlantische Strukturen. Neben den grundlegenden Aspekten befasst sich diese Einführung besonders mit der Entwicklung der deutschen Außenpolitik seit den weltpolitischen Umbrüchen 1989/90(Vgl. von Bredow, Wilfried. Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung. 2. Auflage. Wiesbaden 2008). Jedoch ist an dem Buch die Vernachlässigung von zeitgeschichtlichen Hintergründen (Vgl. Steininger, FAZ vom 02.12.2006) und eine geringe theoretische Erfassung zu kritisieren. Das Zivilmachtkonzept wird komplett vernachlässigt.

Etwas umfassender ist das von Siegmar Schmidt, Gunther Hellmann und Reinhard Wolf herausgegebene Handbuch zur deutschen Außenpolitik. In diesem Handbuch wird erstmals eine aktuelle Gesamtschau der deutschen Außenpolitik vorgelegt. Dabei werden die Kontinuitäten und Brüche seit 1989 sowohl für Wissenschaftler als auch für politisch interessierte Leser gut dargestellt (Siegmar Schmidt, Gunther Hellmann, Reinhard Wolf (Hrsg.). Handbuch zur deutschen Außenpolitik. Wiesbaden 2007). Aus diesem Buch waren insbesondere die Texte von Thomas Risse, Hanns W. Maull, Rüdiger Wolfram, Reinhard Bettzuege, Gunther Hellmann und Johannes Varwick für diese Arbeit interessant. Diese befassen sich mit grundlegenden Eckpfeilern („Grundgesetz und Außenpolitik“, Rüdiger Wolfram, S. 157-168; „Deutsche Identität und Außenpolitik“, Thomas Risse, S. 49-61; „Auswärtiger Dienst“, Reinhard Bettzuege, S. 225-245), spezifischen Bereichen („Sicherheitspolitik“, Gunther Hellmann, S. 605-617; „Bundeswehr“, Johannes Varwick, S. 246-258)) und theoretischen Erfassungen („Deutschland als Zivilmacht“, Hanns W. Maull, S. 73-84) der deutschen Außenpolitik.

Die ersten Zivilmacht Konzeptionen von Hanns W. Maull sind jedoch schon 1990 in seinen Schriften zur deutschen und japanischen Außenpolitik zu finden (Germany and Japan: The New Civilian Powers. 1990). Dieses Konzept wurde in den 1990er Jahren von weiteren Autoren mit- und weiterentwickelt (Knut Kirste, Sebastian Harnisch). Dabei ist das Projekt „Zivilmächte“, das im Rahmen der Deutschen Forschungsgemeinschaft, unter Leitung von Hanns W. Maull geführt wurde, zu erwähnen. In dieser Studie wurden die deutschen, amerikanischen und japanischen Außenpolitikstrategien von 1985 bis 1995 auf ihre Zivilmachtqualitäten hin überprüft.

Dabei kommen die Autoren zu dem Schluss, dass sich ein rollentheoretisches Zivilmachtkonzept für die Außenpolitikanalyse dazu eignet, um „außenpolitisches Verhalten unterschiedlicher Akteure systematisch miteinander vergleichen und bewerten“ (Maull u.a. 1997: 106) zu können.

Das Zivilmachtkonzept eignet sich also dafür da, außenpolitisches Verhalten systematisch zu erfassen.

d. Methode

Nun folgt nach der Vorstellung der Forschungsfrage, der theoretischen Grundlagen und dem Forschungsstand, die Darstellung der Methodik.

Wie schon einleitend erwähnt, wird ein möglicher Wandel der deutschen Außenpolitik anhand des Zivilmachtkonzepts überprüft. Dabei wird das Zivilmachtkonzept als Mustervorlage deutscher Außenpolitik genutzt. Je mehr Übereinstimmungen der aktuellen deutschen Außenpolitik mit dem Zivilmachtkonzept vorhanden sind, desto weniger kann man von einem Wandel sprechen.

Um die aktuelle Außenpolitik bzw. die Außenpolitik der aktuellen Bundesregierung (2013-2017) zu erfassen, wurden folgende Daten genutzt.

Zunächst wurden offizielle Dokumente, wie der Koalitionsvertrag 2013-2017 der Bundesregierung, die Regierungserklärungen der Bundeskanzlerin und das Weißbuch 2016 der Bundeswehr ausgewertet. Darüber hinaus wurden auch Reden und Interviews von wichtigen politischen Entscheidungsträgern der Bundesrepublik zu außen- und sicherheitspolitischen Themen in die Untersuchung genommen. Dies waren Reden vom Bundespräsidenten, Bundesaußenminister und Bundeverteidigungsministerin.

Aus diesen Dokumenten wurden Richtlinien und Konzepte zur deutschen Außenpolitik ausgearbeitet.

In einem zweiten Schritt wurden die tatsächlichen außen- und sicherheitspolitischen Handlungen der Bundesregierung ausgewertet. Um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen, musste eine Eingrenzung der außenpolitischen Handlungen stattfinden. Diese Eingrenzung fand anhand von bestimmten Konflikten, die die internationalen Beziehungen in den vergangenen Jahren beschäftigen. Bei der Auswahl wurde nach der Aktualität und der Relevanz für Deutschland vorgegangen. Der erste Fall ist der Ukraine-Konflikt. Die Ukraine ist erstens unmittelbares Nachbarland Deutschlands und der Europäischen Union. Außerdem waren die Verhandlungen der Beziehungen zwischen der EU und der Ukraine ein Mitauslöser des gewaltsamen Konflikts (Vgl. Mischke, Jakob/ Umland, Andreas. Eine Chance für die Ukraine. Le Monde diplomatique http://www.monde-diplomatique.de/pm/2014/01/10.mondeText1.artikel,a0003.idx,1. 10.01.2014.). Darüber hinaus bezeichnete auch der damalige Bundesaußenminister Steinmeier die Ukraine-Krise wegen der Nähe als „die wichtigste Krise“ für die Rolle Deutschlands (Interview von Frank-Walter Steinmeier im Handelsblatt. http://app.handelsblatt.com/my/politik/international/frank-walter-steinmeier-im-interview-die-lage-ist-gefaehrlicher-als-im-kalten-krieg/13484180.html?ticket=ST-309329-MLT9AtgHe0LwOEveV4GM-ap1. 22.04.2016.).

Das zweite Fallbespiel, woran die außen- und sicherheitspolitischen Handlungen Deutschlands erfassbar gemacht werden, sind die Kriege in Syrien und im Irak sowie die Bekämpfung des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS). Diese Kriege habe ich aus folgenden Gründen als einen Konflikt zusammengefasst. Der Ausbruch und der Verlauf des Syrien-Krieges haben den Aufstieg des IS gefördert (Vgl. Hippler 2015: 59 ff.). Der IS nutzte diesen Machtzuwachs, um auch Gebiete im Irak einzunehmen und weitete dem den Krieg aus (Ebd.). Die Folgen dieser Entwicklungen hatten auch direkte Auswirkungen auf die EU und Deutschland. Das zeigte sich an der erhöhten Terrorgefahr in Europa. Außerdem haben sich die Fluchtbewegungen nach Europa enorm gesteigert, was als Folge dieser Kriege resultiert.

Die außenpolitischen Handlungen werden anschließend mit den vorgestellten Rollenkriterien des Zivilmachtkonzepts auf Grundlage der empirischen Ergebnisse in Kapitel 4 angewendet.

Auch bei der Erfassung der Handlungen wurden vor allem offizielle Dokumente der Bundesregierung ausgewertet. Das waren Pressemeldungen und Artikel der Bundesregierung, des Auswärtigen Amtes und des Bundesverteidigungsministeriums. Außerdem wurden auch Presseartikel, Interviews sowie Dokumente internationaler Organisationen in die Auswertung genommen.

Bevor die empirischen Ergebnisse vorgestellt werden, soll die Bedeutung der schriftlichen Primärquellen explizit dargestellt werden.

i. Koalitionsvertrag

In einem Koalitionsvertrag werden Richtlinien und Schwerpunkte für die zukünftige Regierungsarbeit festgelegt. Dabei muss man jedoch einwenden, dass der Begriff Vertrag nichtzutreffend ist, da es keine rechtliche Bindung hat. Koalitionsverträge sind vielmehr Abmachungen zur Ausgestaltung der Regierungsarbeit. Trotz dieser begrifflichen Verwirrung wird in dieser Arbeit die Bezeichnung Koalitionsvertrag verwendet, da auch dies der gängige und auch offizielle Begriff ist.

[...]

Ende der Leseprobe aus 86 Seiten

Details

Titel
Deutsche Außenpolitik im Wandel?
Untertitel
Eine Untersuchung des Zivilmachtkonzepts seit Beginn der Großen Koalition im Jahr 2013
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf  (Institut für Sozialwissenschaften der Philosophischen Fakultät)
Note
2,7
Autor
Jahr
2017
Seiten
86
Katalognummer
V379334
ISBN (eBook)
9783668562035
ISBN (Buch)
9783668562042
Dateigröße
772 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Deutsche Außenpolitik, Zivilmachtkonzept, Zivilmacht, Rollenkonzept
Arbeit zitieren
Shkelzen Hasani (Autor:in), 2017, Deutsche Außenpolitik im Wandel?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/379334

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