Queerness in Science-Fiction am Beispiel der Zeichentrickserie "Steven Universe". Eine Welt ohne Diskriminierung und Intoleranz aufgrund von Gender und Sexualität


Bachelorarbeit, 2017

48 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Queer: Begriffserklärung

3. Queerness in Science-Fiction
3.1. Science-Fiction als Genre
3.2. Neue Welten in Science-Fiction
3.3. Die Funktion von Science-Fiction für Sexualität, Gender und Queerness

4. Queerness in Science-Fiction: STEVEN UNIVERSE
4.1. Einführung in die Welt von STEVEN UNIVERSE
4.2. Einordnung in das Science-Fiction Genre

5. Queerness und Gender in STEVEN UNIVERSE
5.1. Die Crystal Gems und Gender
5.2. Steven und Gender
5.3. Sexualität und Fusion
5.4. Akzeptanz der Queerness in STEVEN UNIVERSE

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis
7.1. Quellen
7.2. Darstellungen

8. Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

„I will fight for the place where I'm free to live together and exist as me!”1

Garnet, S TEVEN U NIVERSE

Der Wunsch nach Akzeptanz scheint ein grundlegender, menschlicher Traum zu sein. In Zeiten von verstärkter Political Correctness und Kritik an sogenannten „Gutmenschen,“ welche ein liberales und offenes Leben anstreben, wird genau dieser Wunsch durch Außenstehende, die bereits ihren tolerierten Platz in der Gesellschaft gefunden haben, lächerlich gemacht. Der Wunsch nach Akzeptanz kann bedeuten, dass keine Beleidigungen über ein bestimmtes Erscheinungsbild gemacht werden, aber auch, dass Menschen beispielsweise ihre Sexualität frei leben dürfen, ohne hierfür strafrechtlich verfolgt zu werden. Nicht jede*r möchte sich anpassen und ein Teil der vorhandenen Gesellschaft sein, aber den Wunsch nach grundlegender Sicherheit und Freiheit können sicherlich nur wenige leugnen. Gerade Menschen, die durch ihr Ansehen oder ihre Lebensweisen Diskriminierung erfahren, träumen von anderen Welten, in denen diese Tatsachen, die in ihrer Gesellschaft als „Probleme“ aufgefasst werden, zur Norm werden. Science-Fiction bringt diese Träume ans Licht, oder eher gesagt auf die Leinwand, auf das Blatt oder in die Konsole.

Science-Fiction ist ein Genre, welches Alternativen zur Realität bieten kann. Wir können zwar nicht in diese Welten flüchten und unser irdisches Leben vergessen, doch bieten sie Vorstellungen von einem Leben, das für viele Menschen wünschenswert sein könnte. Sie regen somit zum Nachdenken und zu Diskussionen an, die im besten Fall zu einem Wandel in der Gesellschaft führen könnten. Eine Serie, die eine solche Wirkung haben könnte und eine neue Welt bietet, in der Gender und Sexualität frei gelebt werden können und Queerness ein Teil des normalen Alltags ist, ohne Diskriminierung und Intoleranz, ist STEVEN UNIVERSE.

Im Folgenden wird zunächst der Begriff der Queerness definiert. Anschließend wird das Genre der Science-Fiction vorgestellt. Darauffolgend wird untersucht, welche Möglichkeit das Genre zur Darstellung von Gender, Sexualität und somit auch Queerness bietet. Nach den allgemeinen Untersuchungen wird auf die Serie STEVEN UNIVERSE und dessen Einordnung in das Science-Fiction Genre eingegangen, gefolgt von einer Analyse zu ihrem Bezug zum Thema Queerness. Zuletzt wird analysiert, inwiefern Akzeptanz in der Serie und in Bezug auf dessen Ausstrahlungen eine Rolle spielt, wonach ein abschließendes Ergebnis dargestellt wird. Ziel der Untersuchung liegt darin zu erforschen, wie STEVEN UNIVERSE ihrem Publikum das Thema Queerness beibringt und wie diese Darstellung von den Zuschauerinnen und Zuschauern rezipiert wird, vor allem in Bezug auf das Genre der Science-Fiction.

2. Queer: Begriffserklärung

Bevor die Analyse der Queerness in Science-Fiction bzw. in der Serie STEVEN UNIVERSE beginnen kann, muss vorerst erläutert werden, was Queerness genau bedeutet. Der Begriff „Queer“ hat einen starken inhaltlichen Wandel erlebt und wird auch heute mit verschiedenen Hintergedanken verwendet. Dieses Adjektiv ist ungefähr seit dem 16. Jahrhundert ein Teil der englischen Sprache und galt als Bezeichnung für etwas, dass seltsam oder eigenartig war und nicht der allgemeinen Norm entsprach. „Queer“ galt zudem lange als eine Beleidigung oder Diffamierung für Menschen, welche von den gesellschaftlich geprägten heterosexuellen Normen abwichen. Seit ca. 1990 gilt dieser Begriff als sogenanntes Geusenwort, was bedeutet, dass die Personen, die sonst unter diesem Begriff diskriminiert werden, ihn neu definieren und zu ihrer eigenen Selbstbezeichnung nutzen.2

Die New Yorker Gruppierung „Queer Nation“ war eine der ersten, die den Begriff in dieser nun positiven Form nutzte und sich mit dessen Hilfe gegen Gewalt an schwulen und lesbischen Personen einsetzte.3 Heutzutage gilt „queer“ als Selbstzuschreibung von Personen, welche sich nicht innerhalb der heteronormativen Gesellschaft einordnen möchten oder einordnen lassen möchten, was unter anderem schwule, lesbische, bisexuelle, trans* und inter*4 Personen miteinbezieht. Diese Personen passen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Geschlechtsidentität oder -darstellung nicht in die vorhandene gesellschaftliche Norm, welche das Bild der Heteronormativität weiterführt. Heteronormativität nimmt an, dass lediglich Homosexualität „normal“ und „richtig“ ist und schreibt dieser eine gewisse Natürlichkeit zu, die auf ein veraltetes, vermeintlich traditionelles Verständnis der Geschlechter und vor allem der Darstellung der Geschlechterrollen basiert, welches das Leben von vielen Menschen stark einschränken möchte, denn „[…] it disallows anything outside a remarkably limited range of behaviors.“5 Genau dieses Bild einer heteronormativen Gesellschaft voller Restriktionen wird durch Aktivist*innen angekämpft, welche das Wort „Queer“ für sich zurückgewinnen möchten.6

„Queer“ ist in seiner neuen Bedeutung ein sehr fluider und sich ständig wandelnder Begriff, unter dem auch nicht alle das gleiche verstehen, gerade wenn es sich um die persönliche Beschreibung der Identität einer Person handelt, da Identitäten ebenfalls nicht starr und determiniert sind. Allgemein kann dennoch gesagt werden, dass die Hauptaspekte bei der Selbstzuschreibung „queer“ vor allem gesellschaftliche Akzeptanz und die Aufhebung von Differenzen und die damit verbundenen Diskriminierungen sind.7

Aus diesem Wandel des Wortes ist ebenfalls die Bewegung der Queer Studies entstanden. Diese ist aus den Lesbian- und Gay-Studies gewachsen und erweitert dessen Methoden, indem die „Natürlichkeit“ von Geschlecht und Sexualität hinterfragt und die Binarität der Geschlechter dekonstruiert werden. Grundlage hierfür ist die weit vertretene und von Judith Butler primär geprägte Annahme, dass das biologische Geschlecht, auch „Sex“ genannt, und das sozial-konstruierte Geschlecht, das „Gender“, voneinander zu trennen sind und nicht miteinander übereinstimmen müssen, so wie es die angebliche „Natürlichkeit“ der Heteronormativität vorsieht.8 Der neue Begriff des Queer-Seins und die Ziele der Queer Theory streben beide ein neues Weltbild an, welches die Normen der Gesellschaft dekonstruiert und neu aufbaut, mit Platz für alle Menschen.

Wie viele Geusenwörter aber ist diese Bewegung nicht überall angekommen bzw. akzeptiert worden. Für viele schwingt die negative Konnotation noch zu sehr mit oder es wird befürchtet, dass die Bezeichnung „queer“ zu sehr das Andersartige betont und es dadurch erst als von der Norm abweichend wahrgenommen wird. In diesem Fall wird von „Othering“ oder „Andersmachen“ gesprochen, was nach wie vor ein wichtiges Thema innerhalb der Gender und Queer Studies ist.9 Wie sich der Begriff in Zukunft weiterentwickeln wird lässt sich nur vermuten, doch die momentanen Bewegungen und öffentlichen, positiven Nutzungen des Wortes, um alle Menschen mit einzubeziehen, welche mit einbezogen werden möchten, sind ein Indiz dafür, dass der Begriff immer weiter seine negativen Zuschreibungen verliert.

3. Queerness in Science-Fiction

Wie hängt nun der Begriff der Queerness mit Science-Fiction zusammen? Um diesen Punkt zu untersuchen, muss vorerst klargestellt werden, was Science-Fiction als Genre definiert und was dessen Möglichkeiten sowie dessen Funktionen in der Gesellschaft sind. Die Medien scheinen in vielen modernen Gesellschaften fast omnipräsent zu sein und haben somit eine große Wirkungsmacht auf das Denken von zahlreichen Menschen. Im Folgenden wird erläutert, wie genau Science-Fiction als Genre diese Macht nutzen kann, vor allem in Bezug auf Gender, Sexualität und Queerness, denn „issues related to the gender-media nexus are more complicated than ever“10 und müssen entsprechend untersucht werden.

3.1. Science-Fiction als Genre

Science-Fiction ist ein Genre, welches sich nicht leicht definieren oder von anderen Genres abgrenzen lässt. Der Duden beschreibt den Begriff Science-Fiction als „Bereich derjenigen (besonders im Roman, im Film, im Comicstrip behandelten) Thematiken, die die Zukunft der Menschheit in einer fiktionalen, vor allem durch umwälzende Entwicklungen geprägten Welt betreffen.“11 Der Unterschied zum nahe verwandten Fantasy Genre liegt darin, dass hier die Fantasie und das Geheimnisvolle im Vordergrund liegen, und diese neu erschaffenen Welten sich wie Mythen, Märchen oder Sagen mehr von der Realität bzw. von einer in der Zukunft möglichen Realität abgrenzen.12 Natürlich sind diese Grenzen nicht strikt zu verstehen, denn oft sind die Genregrenzen fließend, sodass eine Art Hybrid entstehen kann. Wie der Name schon sagt, vereint Science-Fiction die zwei eher gegensätzlichen Begriffe der Wissenschaft und der Fiktion miteinander, um neue Geschichten zu schaffen. Dies verleiht dem Genre ein hohes Spektrum an Möglichkeiten, eine Art weitergedachte Gegenwart zu kreieren.

Die Geschichte des Science-Fiction Genres ist sehr komplex und lässt sich auf kein genaues Startdatum zurückverfolgen. Während Mary Shellys Frankenstein, or the Modern Prometheus aus dem Jahr 1818 oft als erster Science-Fiction-Roman angesehen wird, gibt es ebenfalls Ansichten, welche das Genre bis zur Kopernikanischen Wende zuordnen, da hier Wissenschaft und die Hinterfragung dessen zu einem großen öffentlichen Thema gemacht wurden.13 Eine genaue Wiedergabe der Geschichte von Science-Fiction würde den Umfang dieser Untersuchungen sprengen. Im Rahmen der Queer Science-Fiction wird jedoch noch kurz auf einige Geschichten eingegangen, welche das Genre als solches prägten. Heutzutage ist das Genre kaum noch von der Mediengeschichte wegzudenken, ob im Bereich der Literatur bzw. des Comics oder des Films. Auch die moderneren Medien der Serie und des Videospiels bedienen sich oft dem Science-Fiction-Genre, mit namenhaften Titeln wie DOCTOR WHO oder STAR TREK im Bereich der Serie und HALO oder PORTAL im Bereich des Videospiels.

Science-Fiction ist ein Genre, in dem sowohl große weltbekannte Hits produziert wurden, das sich aber dennoch eine eigene und spezifische Nische erbaut hat. Was macht Science-Fiction zu einem so spannenden und beliebten Thema unserer Zeit? Mit dieser Frage beschäftigen sich zahlreiche Wissenschaftler*innen, die hierbei auf die unterschiedlichsten Aspekte eingehen. Zwar ist dies nicht das Thema der vorliegenden Untersuchung, doch es ist für den weiteren Lauf der Analyse bedeutend, deutlich zu machen, was Science-Fiction genau definiert und wieso es so oft als Genre gewählt wird. Im Folgenden wird Science-Fiction als allgemeines Genre untersucht, ohne dass sich starr auf ein Medium konzentriert wird, da hier vorerst die Inhalte der Medien im Vordergrund stehen.

3.2. Neue Welten in Science-Fiction

Science-Fiction hat die Möglichkeit, seine Zuschauer*innen und Leser*innen in neue Welten hinein zu versetzen, welche zwar nicht genau unserer heutigen Welt entsprechen, aber nahe genug an sie herankommen, um diese zu verstehen und diese als alternative Welten wahrzunehmen, in denen ein Leben gar möglich wäre. Natürlich unterscheiden sich Science-Fiction-Geschichten sehr, und diese können, wie bereits erwähnt, nicht leicht zusammengefasst werden. Dennoch haben sie alle etwas gemeinsam. Egal ob sie in der Vergangenheit, der Gegenwart oder in der weit entfernten Zukunft auf einem anderen Planeten spielen, die Leser*innen oder Zuschauer*innen können sich in ihr wiederfinden. Diese Welten sind andere Versionen unserer heutigen Welt.

Inwiefern sind sie „anders“? Es gibt zwei Arten von Science-Fiction, die diese Frage beantworten: “harte” und “weiche” Science-Fiction. „Harte“ Science-Fiction legt ihren Wert vor allem auf wissenschaftliche und technische Genauigkeit, wobei „weiche“ Science-Fiction philosophische, soziologische und kulturelle Probleme untersucht.14 Diese Aspekte sind alle präsent in unserem Leben auf der Erde und Science-Fiction bietet uns neue Möglichkeiten, diese wahrzunehmen oder unser jetziges Leben zu hinterfragen. Das Genre gibt uns die Chance, neue Lebensweisen, Techniken, Ideen, oder ganz neue Gesellschaften „auszuprobieren“ und über diese zu reflektieren. Autor Brian Attebury forscht zum Thema Gender in Science-Fiction und fasst diese Besonderheit des Genres wie folgt zusammen:

So storytelling is a way of thinking about things, and science fiction is a form of storytelling that invites us to challenge standard notions of nature and culture. SF’s unique innovation within the code of narrative is to incorporate signs derived from science and technology in such a way as to evoke a sensation of strangeness-not mere novelty but a recording of categories. Ideally, this recording carries over from the fiction to the reader’s own experience and thus becomes the ‘sense of wonder’ invoked in fan discussions of the best SF stories. The pull toward strangeness invites the SF writer to investigate aspects of society, self, perception, and the physical universe that are difficult or impossible to represent through conventional realism.15

Science-Fiction hat somit das Potenzial, mit dieser genannten Fremdheit und dessen Anziehungskraft ihrem Publikum Einblicke in neue, sogar manchmal sehr real mögliche, Welten zu bieten.

Die Frage, ob diese neuen Welten erstrebenswert sind, ist nicht für alle Geschichten des Genres gleich zu beantworten. Neben den klassischen Modellen der Dystopie, oder des Schreckbildes, und der Utopie, oder des Wunschbildes,16 kommt es natürlich auch auf die persönliche Meinung der Individuen an, welche das Medium konsumieren und darauf, ob die dargestellten Welten ihren Wertvorstellungen entsprechen oder mithilfe von Selbstreflexion ihre Ansichten verändern können bzw. wollen. Somit gibt es sicherlich keine oder nur sehr wenige Science-Fiction-Welten, welche von allen Zuschauer*innen oder Leser*innen als bessere Alternative zu ihrem jetzigen Leben in der Gesellschaft angesehen werden, da alle Menschen individuelle Bedürfnisse und Ziele besitzen. Gewiss ist aber, dass diese vorgestellten Themen, welche oft von den uns bekannten Normen abweichen, zum Nachdenken anregen und uns beinahe zwingen, unsere jetzige Welt zu hinterfragen:

Readers are asked to accept these features as literal truths about the imaginary universe of the fiction, but at the same time they are invited to map the new fictional (dis)order onto the world of experience.17

Was genau hinterfragt werden soll und als möglicherweise erstrebenswert dargestellt wird, liegt in der Hand der Macher*innen der jeweiligen Serie, des Films oder der Literatur.

3.3. Die Funktion von Science-Fiction für Sexualität, Gender und Queerness

Ein häufiges Thema von Science-Fiction ist die Sexualität oder das Geschlecht der Menschen oder Kreaturen in der „neuen“ Welt und dessen Auswirkung auf die Lebensweisen. Diese Themen sind nach wie vor für viele Gesellschaften aktuell, was sie für Science-Fiction-Geschichten spannend macht, da sie die modernen Überlegungen und Auseinandersetzungen der Menschheit reflektieren können.: “If sexual difference is the question of our times, it is therefore a question for sf […]”18 Manche Science-Fiction- Geschichten setzen diese Aspekte in den Mittelpunkt, wobei sie bei anderen Erzählungen lediglich ein Teil des Ganzen sind, und nicht als Träger der Geschichte, sondern als Hintergrundinformation dienen. Je nachdem, wie diese Themen dargestellt werden, hat dies eine bedeutsame Wirkung auf das Zusammenspiel der jeweiligen Gesellschaft. Science-Fiction strebt in diesen Fällen einen Wandel an, denn, wie The Routledge Companion to Media and Gender bereits in seiner Einleitung erwähnt, sei dies dringend notwendig:

Representations of gender and sexuality in entertainment forms still tend to reinforce sexual difference and imbalances of power in ways that disadvantage gay, lesbian, bisexual, and transgendered people.19

Heteronormativität ist häufig ein normaler Teil von Science-Fiction-Welten und dient als realistisch und als dem Publikum bekannte Grundlage für diese fiktiven Geschichten. Wie genau gegen dieses heteronormative Weltbild im Genre angekämpft wird ist so breit und vielseitig wie das Science-Fiction Genre selbst, da Autor*innen, die sich mit diesem Thema auseinandersetzten, schon viele Möglichkeiten entdeckt haben, diese Normen aufzubrechen und neue Welten zu kreieren, in denen dieser Begriff keine Bedeutung mehr zugeschrieben wird.

Ein Beispiel für die Auflösung von Heteronormativität sind Welten, in denen es lediglich ein Geschlecht gibt, denn so können keine heterosexuellen Beziehungen stattfinden und die Geschlechter können auf eine ganz neue Weise untersucht werden, denn: „One way to find out just how men and women really differ might be to catch them by themselves.”20 Gerade dieses Schema war in den 1970er-Jahren in der Literatur bedeutsam, da sich vor allem weibliche Autorinnen nicht zwingend mit den vorherigen Utopien identifizieren konnten bzw. diese nicht als Wunschwelten für sowohl Männer und Frauen ansahen. Interessant ist hierbei die Tatsache, dass es nur wenige Utopien gibt, in denen nur Männer Leben. Attebury regt das Science-Fiction-Publikum an “to look through these fictional lenses and see which offer visions of a future worth steering toward.”21 Natürlich ist es nicht realistisch, dass ein komplettes Geschlecht aus der Gesellschaft verschwindet, noch ist dieses für die meisten Menschen wünschenswert, doch der Gedanke, dass Frauen mehr Verantwortung oder Macht in der Gesellschaft zugeschrieben werden sollte ist kein fremder Gedanke des Feminismus. Science-Fiction- Geschichten müssen und können nicht immer hundertprozentig auf die Realität bezogen werden, denn sie sind nach wie vor Fiktion und eine Form des Entertainments, welches, gerade im Bereich des Mainstreams, viele Menschen ansprechen möchte und auch wirtschaftliche Ziele besitzt.

Science-Fiction-Pionierin Ursula K. Le Guin stellt in ihrem Roman Left Hand of Darkness von 1970 eine Welt dar, in der es keine sexuellen Differenzen mehr gibt. Dies eliminiert somit ganz die Gefahr vor Sexismus oder Diskriminierung bezüglich einer nicht heterosexuellen Beziehung, da es einfach keine Heterosexualität geben kann. Sie bietet ihren Leser*innen eine alternative Welt, über die sie reflektieren können. Manche Leser*innen könnten in dieser Welt viele Vorteile in Vergleich zu ihrem jetzigen Leben sehen, wobei andere durch eine Gleichstellung mehr Probleme oder auch weniger Privilegien hätten als zuvor. Diese Überlegungen haben zu vielen weiteren Gedankenexperimenten geführt, in denen Sex und Gender auf unterschiedlichste Art und Weise behandelt wurden, vor allem von weiblichen Autorinnen.22

Und was ist, wenn diese Vorstellungen gar nicht so abwegig wären? Der Traum von einer Welt, in der Menschen die gleichen Chancen haben und nicht aufgrund ihrer „Differenzen“ bzw. Abweichungen von der Norm diskriminiert werden ist einer, welcher nicht nur für Science-Fiction Autor*innen bedeutsam ist, sondern auch für die Queer Theory. Beide streben nach der Aufhebung von Normen und von der Gesellschaft vorgegebene Natürlichkeiten:

If we then take as the central task of queer theory the work of imagining a world in which all lives are livable, we understand queer theory as being both utopian and science fictional, in the sense of imagining a future that opens out, rather than forecloses, possibilities for becoming real, for mattering in the world. We begin to understand the importance of sf as a genre for exploring possibilities, as well as for interrogating the consequences of societies and futures in which conditions render the lives of many unlivable - sometimes in unbearable literal ways.23

Somit kann Science-Fiction als ein Weg dienen, diese Ungleichheiten in unserer Gesellschaft deutlich zu machen. Diese Themen werden meist nicht direkt angesprochen oder mit unserer Gesellschaft verglichen, denn dies könnte den künstlerischen oder auch mainstream-tauglichen Effekt zerstören. Science-Fiction als Genre hat die Kraft, gesellschaftliche Themen für seine Zuschauer*innen oder Leser*innen auf eine ganz besondere Weise darzustellen.

Wenn eine Welt oder ein Universum dargestellt wird, dessen Gender- oder Sexualitätsnormen stark von denen abweichen, die wir in unserer Gesellschaft kennen, wird dies jeweils auf eine individuelle Weise wahrgenommen, was zum Beispiel von persönlichen Vorkenntnissen oder Erfahrungen abhängen könnte, sowie von generellem Interesse und Aufmerksamkeit beim Betrachten. Aber egal ob direkt oder indirekt, sie werden dennoch wahrgenommen. Auch wenn diese Wahrnehmungen so unterbewusst wie möglich sind, sehen die Betrachter*innen eine andere Gesellschaft, die nicht genau so funktioniert wie unsere, aber dennoch auf ihre eigene Art und Weise trotzdem funktioniert. Woran das genau liegt, bleibt den Zuschauer*innen oder Leser*innen selbst überlassen. Dass diese Gesellschaften, vor allem bei dystopischen Erzählungen, auch nicht funktionieren oder gar eine zerstörerische Kraft aufbauen, regt ebenfalls zum Denken an. Mittlerweile, gerade in den Zeiten von Fake-News und sogenannten alternativen Fakten24 ist deutlicher als je zuvor, wie stark die vor allem populären Medien die Macht haben, unser Denken oder sogar unser Handeln zu beeinflussen. Entsprechend sind es nicht nur Themen von Sexualität oder Gender welche behandelt werden oder werden können, sondern ein weites Spektrum an Themen, welche für die jeweiligen Macherinnen und Macher von oft persönlicher Bedeutung sind. Science-Fiction ermöglicht Kritik an der Vergangenheit und bietet Verbesserungsvorschläge für die Zukunft.25

Durch dieses deutliche Bewusstmachen von Gender und Sexualität in Science-Fiction ist das Thema nicht mehr aus dem Genre wegzudenken. Auch wenn sich Gender beispielswese nicht anders verhält, als in der jetzigen Welt, dann müsse dies laut Attebury dennoch begründet werden:

[…] it is virtually impossible for an SF writer to take gender for granted any more. If a writer wishes to portray unchanged sex roles in the future or in an alien society, that fact has to be explained somehow.26

Die Darstellungsformen von Queerness in Science-Fiction sind zahlreich und das Thema wird nicht immer gleichermaßen behandelt. Geschlechterforscherin Wendy Gay Pearson betont in ihrem Aufsatz Alien Cryptographies: The View From Queer, dass ein Werk nicht queer ist, wenn es lesbische oder schwule Personen beinhalte, welche Teil einer Welt sind, die sonst heteronormative Werte beibehält.27 Queer Science-Fiction müsse Pearson zufolge neue Kulturen aufbauen, in denen Queerness weder eine Seltenheit, noch eine Besonderheit sei. In ihrem Aufsatz Queer Theory in The Routledge Companion to Science Fiction sagt sie:

Sexuality can only take place, like every aspect of human life, within culture; it is culture that gives meaning to what we are and to what we do. And, in our culture, discourses of normalcy have predominantly come to shape the interpretive habits and skills we bring to bear on manifestations of sexuality. It is this these discourses which most need to be challenged by sf’s power to imagine alternative possibilities for the ways in which we live, and love, in the world. If it takes a television show like Buffy or a novel like A Paradigm of Earth to do that, well, bring on the lesbian, gay, and bisexual vampires, and the queer blue aliens.28

Somit muss die Bedeutung von dem, was als normal angesehen wird, sich wandeln. Dem zugrunde liege, so Pearson, „the vision of a future in which queerness in neither hidden nor revealed as difference, [Hervorh. im Original] but is simply there.”29 Wenn dies der Fall wäre, dann gäbe es, laut Pearson, auch keine Gefahr des Othering oder der Diskriminierung.

Kritisch betrachtet könne dies aber auch eine Auswirkung auf die persönliche Identität oder Wahrnehmung haben, da die Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder einer Gemeinschaft fehle. Der Science-Fiction-Film INSTINCT aus dem Jahr 2006 stellt genau dieses Problem dar, indem eine Welt existiert, in der Homosexualität und Heterosexualität gleichgestellt sind und in der Gesellschaft gleichmäßig verteilt sind. Jede*r kann sein Geschlecht umoperieren lassen und ist frei von gesellschaftlichen Vorgaben und Idealen. Es bildet sich eine Untergrund-Gemeinschaft, welche diese Umstände beklagt. Dadurch, dass alle gleich sind, ist es nicht mehr etwas Besonderes, queer zu sein. Eine Figur sagt sogar, es sei „früher“ besser gewesen, als Gewalt und Vorurteile herrschten, da diese eine besondere Art der Anerkennung waren.30 Inwiefern dies begründet ist, hängt von der persönlichen Wahrnehmung ab, aber es zeigt sich dennoch, dass Science-Fiction auch in diesem Fall ein gesellschaftliches Thema im Bereich der Queerness auffasst und es auf eine ganz eigene Weise darstellt und einen Diskurs beginnt. Dieses Sichtbarmachen von Sexualität und dessen Alternativen zu unseren jetzigen Normen ist besonders bedeutsam, denn „unlike the differences of race and biological sex, sexual difference is often invisible.“31

In der Geschichte der Science-Fiction sind nicht nur die inhaltlichen Themen und dessen Absichten für die Gender und Queer Studies von Bedeutung, sondern auch die Autor*innen selbst. Eine Autorin, welche das Genre maßgeblich beeinflusst hat, ist Alice B. Sheldon. Sie schrieb erfolgreiche Science-Fiction-Werke wie Houston, Houston, Do You Read? and The Women Men Don't See und erhielt für ihre Schriften renommierte Preise. Allerdings veröffentlichte sie diese unter ihren männlichen Pseudonym, James Tiptree, Jr., welcher seinem Publikum ein Rätsel war und über den viel spekuliert wurde. Tiptree habe eine einzigartige Sicht auf die Dinge, gerade auf Sexualität und Geschlecht, und sein Geschlecht sei ihm hierfür eine Hilfe. Science-Fiction-Autor Robert Silverburg sagte bespielsweise: „It has been suggested that Tiptree is female, a theory that I find absurd, for there is to me something ineluctably masculine about Tiptree's writing."32

Sheldon versuchte mit ihrem männlichen Pseudonym die Mauer zwischen männlichen und weiblichen Science-Fiction-Autoren und Autorinnen zu brechen und bewies sich als ausgesprochen erfolgreich. Sie war somit ein wichtiger Bestandteil des Reifungsprozesses des Genres und stellte neue Anforderungen an die Vorstellungen der Leser*innen, vor allem in Bezug auf Geschlechterfragen. Erst kurz vor ihrem Tod gab Sheldon ihr langes Geheimnis bekannt, wodurch das Genre des Science-Fiction stark beeinflusst wurde. Es wurde deutlich, dass das Geschlecht des Autors oder der Autorin stark mit dessen Werken und vor allem dessen Blick auf die Welt verbunden wird. Sheldon setzt sich als Ziel, dies in Frage zu stellen und schrieb somit Science-Fiction- Geschichte.33

[...]


1 Cartoon Network UK: STEVEN UNIVERSE | EXTENDED THEME SONG | CARTOON NETWORK. In: Youtube, 14.11.15. URL: https://www.youtube.com/watch?v=Ip1eVBs7hC4 (01.04.17), TC: 00:02:15-00:02:25.

2 Vgl. Jan Hedde: Serie “Das Wort”, Aus der Gosse auf die Straße. In: Spiegel Online, 31.07.2016, URL: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/queer-eine-begriffserklaerung-a-1105388.html (15.02.2017).

3 Vgl. Anna Babka/Gerald Posselt: Gender und Dekonstruktion. Begriffe und kommentierte Grundlagentexte der Gender- und Queer-Theorie. Wien 2016, S. 83f.

4 Das Sternchen wird hier genutzt, um das breite Spektrum an Menschen zu erfassen, die sich mit diesen Begriffen oder Abwandlungen derer identifizieren, da es beispielsweise transgender sowie transsexuell als Zuschreibung gibt, die unterschiedlich und individuell genutzt werden.

5 Wendy Gay Pearson: Queer Theory. In: Mark Bould u.a. (Hrsg.): The Routledge Companion to Science Fiction. London 2009, S. 298-307, S. 304.

6 Vgl. ebd.

7 Vgl. Nadla Cho: Being Queer Means… In: The Huffington Post, 29.06.2013, URL: http://www. huffing- tonpost.com/nadia-cho/being-queer-means_b_3510828.html (15.02.2017).

8 Vgl. Judith Butler: Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity. New York/London 1999, S. 22-33.

9 Vgl. Christine Riegel: Bildung - Intersektionalität - Othering: Pädagogisches Handeln in widersprüchlichen Verhältnissen. Bielefeld 2016, S 51-55.

10 Cynthia Carter u.a.: Introduction: re-imagining media and gender. In: ders. (Hrsg.): The Routledge Companion to Media & Gender. New York/London 2013, S. 1 - 19, S.1.

11 Duden Online: Stichwort: Science-Fiction, URL: http://www.duden.de/node/680019/revisions/1644247/ view (01.04.17).

12 Vgl. Duden Online: Stichwort: Fantasy, URL: http://www.duden.de/node/680111/revisions/1161007/ view (01.04.17).

13 Vgl. Adam Roberts: The Copernican Revolution. In: Mark Bould u.a.: (Hrsg.): The Routledge Companion to Science Fiction. London 2009. S. 3-12, S.3-5.

14 Vgl. Filmlexikon Uni Kiel: Stichwort: Science Fiction I, URL: http://filmlexikon.uni-kiel.de/in- dex.php?action=lexikon&tag=det&id=5716 (01.04.17).

15 Brian Attebery: Decoding Gender in Science Fiction. New York/London 2002, S.4f.

16 Vgl. Wilhelm Voßkamp: Emblematik der Zukunft, Poetik und Geschichte literarischer Utopien von Thomas Morus bis Robert Musil. Berlin 2016, S. 5-7.

17 Attebery: Decoding Gender in Science Fiction, S. 9.

18 Pearson: Queer Theory, S.300.

19 Carter u.a.: re-imagining media and gender, S. 3.

20 Attebery: Decoding Gender in Science Fiction, S. 106.

21 Ebd. S. 12f.

22 Vgl. ebd., S. 107-124.

23 Wendy Gay Pearson u.a.: Introduction: Queer Universes. In: ders. (Hrsg.): Queer Universes. Sexualities in Science Fiction. Liverpool 2008, S. 1-11, S. 5.

24 Vgl. Marina Weisband: “Alternative Fakten”, Keine Macht der Lüge. In: Zeit Online, 28.01.2016, URL: http://www.zeit.de/2017/05/alternative-fakten-luegen-donald-trump-regierung-methode (14.02.17).

25 Vgl. Robin Roberts: A New Species: Gender and Science in Science Fiction. Urbana/Chicago 1993, S. 13.

26 Attebery: Decoding Gender in Science Fiction, S.6.

27 Vgl. Wendy Gay Pearson: Alien Cryptographies: The View From Queer. In: Pearson u.a. (Hrsg.): Queer Universe: Sexualities in Science Fiction. Liverpool 2008, S.14 - 38, S. 30.

28 Pearson: Queer Theory, S. 307.

29 Pearson: Alien Cryptographies, S. 15.

30 Vgl. Pearson: Queer Theory, S. 305f.

31 Pearson: Alien Cryptographies, S. 20.

32 Jane Donawerth: Frankenstein’s Daughters. Women Writing Science Fiction. New York 1997, S. 124.

33 Vgl. ebd., S. 124f.

Ende der Leseprobe aus 48 Seiten

Details

Titel
Queerness in Science-Fiction am Beispiel der Zeichentrickserie "Steven Universe". Eine Welt ohne Diskriminierung und Intoleranz aufgrund von Gender und Sexualität
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für Medien, Kultur und Theater)
Note
1,3
Autor
Jahr
2017
Seiten
48
Katalognummer
V378031
ISBN (eBook)
9783668554054
ISBN (Buch)
9783668554061
Dateigröße
595 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Queerness, Science Fiction, Steven Universe, Queer Studies, Gender Studies, Feminismus, Zeichentrick, Cartoon, Serie, Kinderserie, Fernsehen, Cartoon Network, LGBT, LGBTQIA, Television, SciFi
Arbeit zitieren
Antonia Meier (Autor:in), 2017, Queerness in Science-Fiction am Beispiel der Zeichentrickserie "Steven Universe". Eine Welt ohne Diskriminierung und Intoleranz aufgrund von Gender und Sexualität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/378031

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