Gesellschaftsvertrag contra sozialgeschichtliche Evolution: Jean-Jaques Rousseau und Friedrich A. von Hayek


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

22 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhalt

I. Einleitung

II. Die Grundlegung der Vertragsidee
II.1 Rousseaus Erkenntnisinteresse
II.2 Der Naturzustand
II.2.1 Der Naturzustand im Diskurs über die Ungleichheit
II.2.2 Der Naturzustand im Contract Social
II.3 Der Begriff der Freiheit
II.4 Der Gesellschaftsvertrag
II.4.1 Der Souverän
II.4.2 Grenzen souveräner Gewalt

III. Hayeks ideale liberale Gesellschaftsordnung
III.1 Freiheit und Zwang
III.2 Die Evolution der Moral
III.3 Das Kriterium der Individualität
III.4 Kritik am Rationalismus

IV. Synthese Rousseau – Hayek
IV.1 Ähnlichkeiten
IV.2 Gegensätze

V. Zusammenfassung

VI. Literatur

I. Einleitung

Notwendigerweise stellen sich Theoretiker der politischen Philosophie seit jeher Fragen nach dem Funktionieren menschlichen Zusammenlebens. Sei es, dass besonders gut funktionierende politische Gesellschaften das Rätsel der idealen Mechanismen aufgeben, oder aber das Scheitern mit schmerzhaften Folgen wie Kriegen und Diktaturen die Frage nach dem Warum aufwerfen. Neben verschiedensten Lösungen gilt die vertragliche Regelung menschlichen Miteinanders als Mittel, um im Rahmen einer normativen Diskussion Argumente für die Legitimation politischer Herrschaft zu entwickeln. In dieser Arbeit soll der Argumentationsgang in Jean Jacques Rousseaus Theorie des Gesellschaftsvertrags unter die Lupe genommen werden.

Der traditionellen Vertragstheorie des französischen Rationalisten soll anschließend ein völlig andersartiger Zugang zum Gesellschaftsproblem gegenübergestellt werden. Zwar ist Friedrich A. von Hayeks Lösung der evolutionistischen Theorie gesellschaftlicher Funktionen nicht neu. Seine deutliche Kritik an der bewussten Konstruktion einer Gesellschaftsordnung insbesondere im vierten Kapitel seines Werkes „Die Verfassung der Freiheit“ stellt gleichzeitig ein Argument für seinen Entwurf dar. Zentrale Punkte der Untersuchung in der Synthese werden Freiheit, Moral und Zwang sein. Auch soll geklärt werden, ob sich neben den grundsätzlichen Unterschieden Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Theorieansätzen finden lassen.

Da Hayeks Werk noch relativ aktuell ist, werde ich direkt davon ausgehend argumentieren. Zwar verwende ich zu Rousseau die übliche Sekundärliteratur. Dennoch möchte ich so nah wie möglich am Original bleiben. Nicht die Frage, was sagen andere Autoren über die Aussagen der Theoretiker, interessiert, sondern, was sagen Rousseau und Hayek selbst zu den oben genannten Punkten.

II. Die Grundlegung der Vertragsidee

Aus einer Zeit des Umbruchs, dem Übergang „from status to contract, von der geburtständischen Privilegienordnung zu einer vertraglich geregelten Ordnung freier und gleicher Rechtssubjekte“[1], stammt der Anreiz für politische Theoretiker, darüber nachzudenken, wie sich angesichts der freien Geburt des Menschen politische Herrschaft rechtfertigen ließe. Die traditionellen „authoritätsverleihenden Instanzen“[2] Natur, Gott und Abstammung reichten aus Sicht der neuzeitlichen Denker nicht mehr aus, um Herrschaft zu begründen. Prinzipiell galt es, Herrschaft aus der Zustimmung der ihr unterworfenen Individuen zu legitimieren und Staat und Verfassung als kontraktualistisch zu bertrachten.[3] Dieser konstruktive Kontraktualismus nahm eine dreistufige Reflexionsform an: vom Naturzustand über den Vertrag bis hin zum Staat führte die Argumentation in einem kategorialen Rahmen, der noch in der modernen politischen Philosophie wirksam ist.[4] Auch Rousseau begreift ganz in der Tradition seiner Zeitgenossen die Gesellschaft nicht als göttliche Anordnung, „sondern [als] eine Einrichtung, die aus katastrophalen Notsituationen entstanden ist: Die Menschen müssen sich vereinigen, weil sie isoliert den Kräften der Natur nicht widerstehen können.“[5]

II.1 Rousseaus Erkenntnisinteresse

„Ich will untersuchen, ob es in der bürgerlichen Ordnung irgendeine rechtmäßige und sichere Regel für das Regieren geben kann [...].“[6] (CS I, Einleitung; S. 5)

Dieses Ziel setzt sich Rousseau am Anfang seines Werkes „Vom Gesellschaftsvertrag“. In diesem Satz werden bereits die Art des Untersuchungsverfahrens, als auch die Untersuchungsgegenstände angeschnitten. So wird deutlich, dass Rousseau von einem gegebenen Zustand, dem der bürgerlichen Ordnung, ausgeht, um in einer rekursiven Untersuchungsweise Rechtmäßigkeit und Normen einer Regierungsform zu entwickeln, die dem von ihm entworfenen Idealtypus entsprechen.[7]

„Es geht ihm weniger um einen bestimmten Modus der Gesetzgebung, sondern um die Rechtlichkeit eines gesellschaftlichen Zustandes.“[8]

Bei der Setzung von Normen als allgemeiner Leitfaden für den Gesellschaftsvertrag orientiert sich Rousseau am Maßstab eines Lebens in einer sittlichen Gemeinschaft freier Bürger. Die Theorie der legitimen Herrschaft, wie sie bereits Hobbes und Locke vorgezeichnet hatten, verknüpft er dabei mit der antiken politischen Philosophie, „der Klugheitslehre vom guten Regieren.“[9]

II.2 Der Naturzustand

Die Naturzustandsbeschreibungen sind für die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags von zentraler Bedeutung. Sie bilden die Quelle, aus der die Theoretiker ihre Argumentation für den Vertrag speisen. Die Unannehmlichkeiten des Naturzustandes liefern das Problem, „für das das vertragliche Einigungsverfahren ein Lösung bilden soll.“[10] Anders als es der traditionelle Argumentationsdreischritt des klassischen Kontraktualismus verlangt, Naturzustand-Vertrag-Staat, baut Rousseau die erste Stufe des Naturzustandes im CS keineswegs so solide aus, wie es beispielsweise John Locke oder Thomas Hobbes taten. Dies scheint auch der Grund zu sein, warum viele Interpreten Rousseaus Diskurs über die Ungleichheit unter den Menschen[11] und die darin enthaltene Naturzustandstheorie als Ausgangspunkt für seine staatsphilosophische Vertragstheorie heranziehen.

II.2.1 Der Naturzustand im Diskurs über die Ungleichheit

Rousseaus 1755 erschienenes Werk „Discours sur l`Origine de l`inégalité parmi les Hommes“ zeichnet die Entstehung der Gesellschaft nach, ausgehend vom solitären und vollkommen unabhängigen Naturmenschen, über Geselligkeit und gegenseitige Abhängigkeit, die die Vergesellschaftung schließlich unausweichlich machen.

„Jede Anhänglichkeit ist ein Zeichen von Schwäche; wenn keiner von uns eines anderen bedürfte, dächte er gar nicht daran, sich mit ihnen zusammenzutun. So entsteht gerade aus unserer Schwäche unser zerbrechliches Glück. [...]“[12]

Dabei dient Rousseau der Naturzustand als „affirmativer Ausgangspunkt seiner Kulturkritik.“[13] Sein Hauptargument ist die Korruption der naiven und natürlichen Selbstliebe des Naturmenschen im Prozess der Zivilisation zugunsten der Eigenliebe, die aus der Wahrnehmung des „Daseins und Soseins der Anderen“[14] und den entsprechenden Reaktionen darauf entspringt. In aufeinander folgenden sozialgeschichtlichen Etappen rekonstruiert Rousseau die Entstehung der Gesellschaft und folgt in der Argumentation dem klassischen Kontraktualismus seiner Vordenker. So wird der vorvertragliche Zustand aufgrund unterschiedlicher Besitzverhältnisse sowohl für Arme als auch für Reiche unerträglich und besonders für letztgenannte zu einer lebensgefährlichen Bedrohung. Um dieser Situation zu entkommen,

„entsann schließlich der Reiche [...] den durchdachtesten Plan, der jemals in den menschlichen Geist gekommen ist: Dieser bestand darin, gerade die Kräfte derjenigen, die ihn angriffen, zu seinen eignen Gunsten zu gebrauchen, aus seinen Gegnern seine Verteidiger zu machen, ihnen andere Grundsätze einzuflößen [...].“[15]

Mit einem Täuschungsvertrag, der auf Scheingründen basiert, sichern sich die Besitzenden ihre Ruhe. Rousseau hat die Ausgangslage geschaffen, um „das historisch Frühere oder dessen Phantasmagorie zur kritischen Instanz gegen das Gegenwärtige“[16] erheben zu können.

II.2.2 Der Naturzustand im Contract Social

Die Geschichtsphilosophie tritt im CS in den Hintergrund. Der „gesellschaftskritischen Sittlichkeitsidylle“[17] im Diskurs über die Ungleichheit wird eine Ausgangslage entgegengesetzt, die Rousseau „knapp und ohne alle Kriegszustandsdynamik“[18] skizziert:

„Ich unterstelle, daß die Menschen jenen Punkt erreicht haben, an dem die Hindernisse, die ihrem Fortbestehen im Naturzustand schaden, in ihrem Widerstand den Sieg davontragen über die Kräfte, die jedes Individuum einsetzen kann, um sich in diesem Zustand zu halten.“ (CS I, 6; S. 16)

Um die unvermeidliche Bedrohung zu umgehen, bleibe den Menschen laut Rousseau nichts anderes übrig, als den Naturzustand zu verlassen, ihre Kräfte zu vereinigen und „ihre Selbsterhaltung kollektiv zu organisieren.“[19] Der Naturzustand interessiert Rousseau im CS nur als Ausgangspunkt auf dem Weg zu seinem eigentlichen Ziel, das sich sowohl inhaltlich als auch in der Form des gedanklichen Zugriffs von demjenigen im Diskurs über die Ungleichheit unterscheidet.

Rousseau verzichtet „auf eine geschichtsphilosophische Relativierung, geht es ihm doch nicht (wie im zweiten Discours) um die Begründung der Gesellschaft schlechthin bzw. um eine Aufzeichnung des Weges der Geschichte zur (aktuellen) Gesellschaft, sondern um die einzig rechtmäßige Staatsverwaltung, die freie Gesellschaft.“[20]

Der CS zielt demnach auf eine künftige Gesellschaft, die mit Hilfe eines Vertrages den Menschen sowohl Schutz als auch Freiheit bietet.

„Anders als im zweiten Discours [über die Ungleichheit] geht es nun nicht um die Korruption der Natur, sondern um deren Rettung in der unvermeidlich gewordenen Entfremdung von ihr.“[21]

[...]


[1] Graf Ballestrem, Karl: Vertragstheoretische Ansätze in der politischen Philosophie. In: Zeitschrift für Politik 30, S. 1-17. Köln, Berlin 1983, S. 2.

[2] Kersting, Wolfgang: Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrages. Darmstadt 1994, S. 11 f.

[3] Vgl. ebd.

[4] Vgl. ebd.

[5] Menschig, Günther: Rousseau zur Einführung. Hamburg 2000 (=Zur Einführung 214), S. 51.

[6] Rousseau, Jean-Jacques: Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts. Durchgesehene u. bibliographisch ergänzte Ausgabe. Stuttgart 1986. Im Folgenden direkt im Text zitiert als CS (Contract Social), mit Buch-/Kapitel- und Seitenangabe.

[7] Vgl. Menschig (2000), S. 53. Und Zerb, Peter: Zur Semantik gesellschaftlicher Freiheit. Eine Analyse des Freiheitsbegriffs bei Thomas Hobbes, John Locke, Jean-Jacques Rousseau, Thomas Paine und John Stuart Mill. Frankfurt am Main 1987, S. 76.

[8] Zerb (1987), S. 78.

[9] Nonnenmacher, Günther: Die Ordnung der Gesellschaft. Mangel und Herrschaft in der politischen Philosophie der Neuzeit: Hobbes, Locke, Adam Smith, Rousseau. Weinheim 1989, S. 245.

[10] Kersting (1994), S. 50.

[11] Rousseau, Jean-Jacques: Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen. Stuttgart 1998.

[12] Rousseau Jean-Jacques: Emile oder über die Erziehung. Stuttgart 1986, S. 458. Zit. n. Menschig (2000), S. 44.

[13] Ebd., S. 31.

[14] Ebd., S. 45.

[15] Rousseau, Jean-Jacques: Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen. Stuttgart 1998, S. 91.

[16] Menschig (2000), S. 48.

[17] Kersting (1994), S. 156.

[18] Ebd.

[19] Ebd.

[20] Zerb (1987), S. 74.

[21] Menschig (2000), S. 97.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Gesellschaftsvertrag contra sozialgeschichtliche Evolution: Jean-Jaques Rousseau und Friedrich A. von Hayek
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Veranstaltung
Hauptseminar: Der Gesellschaftsvertrag
Note
1,5
Autor
Jahr
2002
Seiten
22
Katalognummer
V37799
ISBN (eBook)
9783638370509
Dateigröße
540 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gesellschaftsvertrag, Evolution, Jean-Jaques, Rousseau, Friedrich, Hayek, Hauptseminar, Gesellschaftsvertrag
Arbeit zitieren
Franziska Moschke (Autor:in), 2002, Gesellschaftsvertrag contra sozialgeschichtliche Evolution: Jean-Jaques Rousseau und Friedrich A. von Hayek, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/37799

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