Welche Gründe sieht Walter Benjamin für die Veränderung des menschlichen Rezeptionsverhaltens bei der Betrachtung eines Films, im Gegensatz zu früheren Kunstformen?


Seminararbeit, 1998

15 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Kultwert und Austellungswert – Definitionen

3 Die Trennung der Kunst vom Kult, ihre „Fundierung“ auf die Politik und die Folgen für das menschliche Rezeptionsverhalten

4 Benjamins Vergleiche des Films mit den klassischen Darstellungsformen: Gemälde und Theater

5 Der Verfall der Aura durch die Reproduktion und Benjamins Rückschluß auf damit verbundene gesellschaftliche Bedingungen

6 Mögliche Ansatzpunkte für eine Interpretation von Walter Benjamins Aussagen aus dem Blickfeld der neunziger Jahre

7 Quellennachweise

1 Einleitung

Als einen entscheidenden Faktor der gerade aufkommenden Kunstrichtung „Film“ auf dem Weltmarkt, im Gegensatz zu bereits bestehenden Kunstformen, beschreibt Walter Benjamin unter anderem das sich verändernde Rezeptionsverhalten des Konsumenten.

Aufgrund der in diesem Aufsatz noch darzulegenden filmwirtschaftlichen und psychologischen Gegebenheiten wirken, so W. Benjamin, sich diese Veränderungen sowohl auf die Kunst an sich, als auch auf die Gesellschaft als Ganzes aus und bewirken so die Entstehung einer neuen „Mediengeneration“.

Die genannten Bedingungen für eine sich weiterentwickelnde Form der Apperzeption sollen in dieser Arbeit betrachtet werden.

2 Kultwert und Austellungswert – Definitionen

„Die Rezeption von Kunstwerken erfolgt mit verschiedenen Akzenten, unter denen sich zwei polare herausheben. Der eine dieser Akzente liegt auf dem Kultwert, der andere auf dem Austellungswert des Kunstwerkes“ (1)

Walter Benjamin beschreibt die prinzipielle Wirkung eines Kunstwerks auf den Rezipienten mit den Begriffen Kult- und Austellungswert.

Ausgehend von der These, das „Ur-Kunstwerk“ basiere auf dem magischen bzw. religiösen Ritual stellt er fest:

„Wie nämlich in der Urzeit das Kunstwerk durch das absolute Gewicht, das auf seinem Kultwert lag, in erster Linie zu einem Instrument der Magie wurde, das man als Kunstwerk gewissermaßen erst später erkannte, so wird heute das Kunstwerk durch das absolute Gewicht, das auf seinem Austellungswert liegt, zu einem Gebilde mit ganz neuen Funktionen, von denen die uns bewußte, die künstlerische, als diejenige sich abhebt, die man später als eine beiläufige erkennen mag.“ (2)

Mit diesem Zitat konstatiert der Autor darüber hinaus bereits die Wandlung der Sichtweise auf ein Kunstwerk durch den Faktor der Zeit. Doch welchen prinzipiellen Unterschied sieht er bei der Rezeption von beispielsweise einer Höhlenmalerei und einer Photographie?

Die Höhlenmalerei entstammt höchstwahrscheinlich einem Ritual, sei es z.B. das der Jagd oder der Fruchtbarkeit. Sein Sinn ist die Greifbarkeit eines für seine Zeitgenossen abstrakten Sachverhaltes. Seine Kontemplation erfordert die Aufmerksamkeit und Phantasie des Betrachters durch die meist rudimentäre Darstellungsweise. Ästhetische oder zur Ausstellung geeignete Gesichtspunkte treten bei der Schaffung in den Hintergrund, um dem Ritual, zu dessen Zweck das Werk entstand, volle Aufmerksamkeit zu verschaffen. Den Film beschreibt er als das Gegenstück dieser Theorie:

„Der Film drängt den Kultwert nicht nur dadurch zurück, daß er das Publikum in eine begutachtende Haltung bringt, sondern auch dadurch, daß die begutachtende Haltung im Kino Aufmerksamkeit nicht einschließt.“ (3)

Eine geschichtliche Wandlung tritt somit ein: W. Benjamin beschreibt die „Zurückdrängung“ des Kultwertes durch eine eher inaktive Haltung des Publikums zum Kunstwerk, welche wiederum durch „die Ausrichtung der Realität auf die Massen und der Massen auf sie“ (S. 16) begründet ist.

Es wird durch den Aspekt der Unterhaltsamkeit der Austellungswert die Grundlage künstlerischen Schaffens in unserer Zeit. Er betont auch das die „Leistung des Darstellers einer Reihe von optischen Tests unterworfen “ ist und das dies „keine Haltung“ sei, „der Kultwerte ausgesetzt werden können.“(28)

„Der vor dem Kunstwerk sich Sammelnde versenkt sich darein; er geht in dieses Werk ein,(...). Dagegen versenkt die zerstreute Masse ihrerseits das Kunstwerk in sich.“ (4)

Durch die Verdrängung des kultischen Ansatzes aus der Kunst der Moderne stellt sich für W. Benjamin die Frage nach der „Echtheit“ eines Werkes und deren Bedeutung für dessen Charakter.

Durch die Möglichkeit einer massenweisen Reproduktion durch die Kunstschaffenden wird diese Frage dahingehend erweiterungsfähig, inwiefern mit der Reproduktionstechnik auch der Kultcharakter des Duplikats vernichtet wird:

„Der gesamte Bereich der Echtheit entzieht sich der technischen – und natürlich nicht nur der technischen – Reproduzierbarkeit.“ (5)

und

„Die Reproduktionstechnik, so ließe sich allgemein formulieren, löst das Reproduzierte aus dem Bereich der Tradition ab“ (6)

W. Benjamin schlußfolgert darüber hinaus:

„...die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks emanzipiert dieses (das Kunstwerk, Anm.) zum ersten Mal in der Weltgeschichte von seinem parasitären Dasein am Ritual.“ (7)

W. Benjamin bewertet die Abtrennung des Werkes vom Ritual demnach als eine positive Entwicklung zur Erweiterung der Bedeutung von Kunst im allgemeinen.

Er sieht eine etwaige Begrenztheit der Aussage eines Kunstwerkes in der Tatsache begründet, daß sich selbiges auf ein Ritual stützt und ohne dieses nicht existieren könne. Dieser Gedanke kann soweit als Plädoyer für die Bewegung

„L’art pour l’art“ bezeichnet werden, wenn W. Benjamin ihn nicht durch das Konzept ersetzen würde, die Politik sei die Grundlage kreativen Filmschaffens, im Sinne seiner Entstehung auf der Grundlage gesellschaftlicher Umbrüche.

Diese Umbrüche führten nicht zuletzt zu der Möglichkeit einer Filmproduktion an sich.

„An die Stelle ihrer (der Kunst, Anm.) Fundierung aufs Ritual tritt ihre Fundierung auf eine andere Praxis: nämlich ihre Fundierung auf Politik.“(8)

3 Die Trennung der Kunst vom Kult, ihre „Fundierung“ auf die Politik und die Folgen für das menschliche Rezeptionsverhalten

Die ‚Herauslösung‘ des Reproduzierten Kunstwerkes „aus dem Bereich der Tradition“ erscheint aus heutiger Sicht im wörtlichen Sinne „alltäglich“. Spätestens durch die Erfindung des Buchdruckes und der Weiterentwicklung zu anderen, weitaus besseren und unkomplizierteren Reproduktionsverfahren beschleunigt in einem noch nie dagewesenen Prozeß die Flut an aktuellen Informationen. Am Beispiel einer Zeitung oder eines Magazins läßt sich demonstrieren, daß sich der formelle Inhalt im Sinne der Darstellung innerhalb der Publikationen nicht an Traditionen festmachen läßt, sondern allenfalls der philosophische Hintergrund.

„Die Graphik wurde durch die Lithographie befähigt, den Alltag illustrativ zu begleiten. Sie begann, Schritt mit dem Druck zu halten.“ (9)

In der Lithographie sieht W. Benjamin prinzipiell den Beginn einer neuen Ära des Kunstverständnisses. Diese wurde kurze Zeit später lediglich

„... durch die Photographie überflügelt.“ (10)

Reproduzierte Bildkunst kann dem Menschen nun auch im Alltag ständig präsent und kann von ihm ohne Umstände aufgenommen werden. Wo man früher Ausstellungen, Galerien oder Gotteshäuser besuchen mußte, um sich dem Kunstgenuß hinzugeben, kann man nun auf Reproduktionen in verschiedensten Formen zurückgreifen, welche, allerdings unter Verlust der „Aura“ des Originals, dennoch den Kern des ihm eigenen Kunstgedankens vermitteln würden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Welche Gründe sieht Walter Benjamin für die Veränderung des menschlichen Rezeptionsverhaltens bei der Betrachtung eines Films, im Gegensatz zu früheren Kunstformen?
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Filmwissenschaft)
Veranstaltung
Einführendes Tutorium in die Filmtheorie - Die Technik des Films und die Möglichkeiten ihrer Modulation
Note
1,5
Autor
Jahr
1998
Seiten
15
Katalognummer
V3774
ISBN (eBook)
9783638123310
ISBN (Buch)
9783656246732
Dateigröße
537 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Interpretation des Textes -Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit- von Walter Benjamin im Hinblick auf die heutigen Entwicklungen in der Medienindustrie.
Schlagworte
Welche, Gründe, Walter, Benjamin, Veränderung, Rezeptionsverhaltens, Betrachtung, Films, Gegensatz, Kunstformen, Einführendes, Tutorium, Filmtheorie, Technik, Films, Möglichkeiten, Modulation
Arbeit zitieren
Marcus Robbin (Autor:in), 1998, Welche Gründe sieht Walter Benjamin für die Veränderung des menschlichen Rezeptionsverhaltens bei der Betrachtung eines Films, im Gegensatz zu früheren Kunstformen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3774

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