Tabuthemen in der Grundschule. Das Potential von Kinderliteratur im Umgang mit existenziellen Fragen und ihre Umsetzung im Literaturunterricht


Masterarbeit, 2017

74 Seiten, Note: 1,8


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Tabuthemen in der Grundschule - Eine pädagogische Auseinandersetzung unter Berücksichtigung des Lehrplans
2.1 Ausgewählte Tabuthemen und ihre Bedeutung für die kindliche Entwicklung
2.2 Der Lehrplan und die Thematisierung von Tabuthemen

3. Potentiale von literarischen Texten im Literaturunterricht
3.1 Die historische Entwicklung der Kinder und Jugendliteratur
3.3 Tabuthemen als Gegenstand modernerer Kinder- und Jugendliteratur
3.4 Literarisches Lernen nach Spinner: Die elf Aspekte und ihr Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung

4. Der Junge, der Gedanken lesen konnte -Potential des Buches im Umgang mit existentiellen Fragen
4.1 Die Autorin
4.2 Inhaltsangabe
4.3 Die Gattungsvielfalt des Romans und ihre Wirkung
4.4 Eignung für den Literaturunterricht
4.5 Existentielle Fragen im Buch

5. Konzeption der Unterrichtsreihe
5.1 Grundlagen der Unterrichtsplanung
5.2 Rahmenbedingungen und literarische Vorläuferkompetenzen
5.3 Zielsetzungen und die Darstellung ausgewählter Methoden
5.4 Die Unterrichtsreihe

6. Zusammenfassung und Ausblick

7. Literaturverzeichnis
7.1 Buchquellen
7.2 Zeitschriften
7.3 Internetquellen
7.4 Abbildungsverzeichnnis

1. Einleitung

„Die Tabuverbote entbehren jeder Begründung, sie sind unbekannter Herkunft; für uns unverständlich, erscheinen sie jenen selbstverständlich, die unter ihrer Herrschaft leben.“ (Freud 2012, S. 26)

Sigmund Freud beschreibt ein Tabu als ein gesellschaftliches Verbot, welches das Individuum als selbstverständlich akzeptiert, ohne die Tabuisierung zu verstehen. Meistens ist es eine stillschweigende Vereinbarung, über die weder geredet werden darf, noch dessen Inhalt zu einer Handlung werden sollte.

Tabuisierungen sind Teil eines kulturellen, historischen, gesellschaftlichen und politischen Konstrukts.

Spätestens seit Philippe Ariès die „Geschichte der Kindheit“ untersuchte, wissen wir, dass bereits in Gesellschaften im Mittelalter tabuisiert wurde. In feudalen Herrschaftsformen gab es Unterscheidungen von geltenden Tabus bezogen auf die jeweilige Gesellschaftsschicht. Das andere Kindheitsverständnis war verantwortlich dafür, dass das Verhalten von Kindern keine andere Bewertung gegenüber den Erwachsenen erfuhr. Gesellschaftliche Normen und Regeln galten für jeden Menschen hinsichtlich seiner Schicht.

Durch den Rückgang feudalistischer Strukturen und die damit verbundenen aufklärerischen Tendenzen änderte sich die Auffassung von Kindheit (vgl. Kränzl- Nagl/Mierendorff 2007, S. 10). Kindheit wurde als eine von Erwachsenen steuerbare Entwicklungsphase wahrgenommen (ebd.). Erwachsene bestimmten über Bezugspunkte kindlicher Lebenswelten. Dieses Verständnis breitete sich langsam im europäischen Raum aus; in den Bildungsschichten vollzog sich dieser Wandel als erstes (vgl. Kränzl- Nagl/Mierendorff 2007, S. 10f.).

Die veränderte Auffassung hatte zur Folge, dass der Kindheit ein Schutz-, Schon- und Lernraum zugesprochen wurde (ebd.). Es resultierte eine breite Tabuisierung bestimmter Themen wie Sexualität, Liebe und Arbeit, die vom Alter abhängig gemacht wurde und nicht von der gesellschaftlichen Zugehörigkeit zu einer Klasse (ebd.). Diese besondere Stellung, die Kindheit als Lebensphase im Leben eines Individuums einnimmt, wurde über die Jahrhunderte bewahrt, verfeinert und ausdifferenziert.

Die Kindheit erhielt neue Zugeständnisse; ihnen wurden spezielle Bedürfnisse eingeräumt, die erwachsener Fürsorge bedurften. Ein behutsamer, rücksichtsvoller und verständnisvoller Umgang unter stetiger Berücksichtigung der kindlichen Sichtweise entwickelte sich zum allgemeinen Duktus von Gesellschaft und Wissenschaft. Unvorteilhaft ist jedoch immer noch, dass bestimmte Tabus, die sich im Rahmen der Aufklärung wie ein Mantel um den Begriff Kindheit legten, nach wie vor als in Mittel gesehen werden, um Kinder vor negativen Einflüssen zu schützen, obwohl mittlerweile erwiesen ist, dass sich Heranwachsende bezüglich der tabuisierten Thematiken existentielle Fragen stellen und aufgrund dessen eine Enttabuisierung pädagogisch sinnvoll wäre. Damit könnten Kinder in ihrer Ich-Bildung unterstützt werden, anstatt sich schwierigen Fragen ohne Hilfestellungen und Vorbildinstanzen nähern zu müssen. Ein Beispiel für einen tabuisierten Themenkomplex ist die Thematik des Todes. Obwohl der Tod allgegenwärtig in Erscheinung unterschiedlicher Phänomene in der Lebenswelt von Kindern anklingt (Tod eines Familienmitglieds, Unfall, Nachrichten), sehen es viele Erwachsene als unzumutbar an, wenn Kinder zu einer Beerdigung mitgenommen werden. Hier kommt ein Beschützerinstinkt zum Tragen, den Pädagogen und Eltern ihren Schützlingen gegenüber für angemessen halten (vgl. Morgan 2003, S. 16). Meist unterliegt einer Tabuisierung bestimmter Themen der Gedanke, dass der Kindheitsverlauf sorglos und unbekümmert verlaufen sollte. Unter Umständen sind es genau die tabuisierten Bereiche alltäglichen Lebens, über die sich ein Kind im Verlauf seiner Entwicklung existentielle Fragen stellt und eigenständig nach Antworten sucht. Der Definition nach bedeutet „existentiell“ im engeren Sinne „lebensnotwendig, daseinsbedingend, vital“ (Duden 2013). Demnach kann eine Frage nicht existentiell angesehen werden, denn eine Beantwortung dieser beeinflusst nicht die weitere Lebensfähigkeit.

Ein philosophisches Verständnis von existentiellen Grundfragen lässt jedoch den Gedanken zu, dass es sich hierbei um Fragen handelt, von denen die Entwicklung eines Kindes in entscheidender Weise abhängt und maßgeblich geprägt wird. Existentielle Fragen kindlicher Weltsichten zu kategorisieren, erscheint nahezu unmöglich, denn diese wohnen einem Individuum inne und können nur bedingt verallgemeinert werden. Der deutsche Philosoph Julian Nida-Rümelein stellte in einem philosophischen Gespräch mit Kindern fest, dass Überlegungen zu der Frage „Wer bin ich“ formuliert wurden (vgl. http://www.focus.de/familie/lernen/kinderfragen/warum-darf-man- muecken-toeten-katzen-aber-nicht-philosophieren-mit-kindern-im- alltag_id_2324786.html).

Diese zeigen beispielhaft, wie weitreichend das Feld von existentiellen Fragen sein kann. Sie können einen konkreten lebensweltlichen Bezug darstellen, aber auch einem philosophisch-theoretischem Gedankenkonstrukt entspringen.

In dieser Arbeit werden fünf Bereiche aufgezeigt, in denen sich viele Heranwachsende im Verlauf ihrer Entwicklung Gedanken machen. Diese Überlegungen erfolgen unterbewusst den aktuellen Bewertungs- und Handlungsdynamiken der Gesellschaft folgend. Die Festlegung von existentiellen Fragen in bestimmten Kategorien wie Scheidung, Gewalt, Tod und Liebe wird somit dem pädagogischen sowie dem literarischen Zeitgeist angepasst und liefert damit Rückschlüsse auf den Wandel vom Kindheitsverständnis, den wir in den letzten 30 Jahren mitverfolgen konnten. Die Bereiche werden aus schulischer Sicht als Tabuthemen angesehen. Der gesellschaftliche Drang, Kinder durch eine Tabuisierung vor schwierigen Bereichen kultureller Lebenswirklichkeiten zu schützen, steht in einem Spannungsverhältnis zu kindlichem Wissendurst und Entdeckergeist.

Überlegungen dahingehend, ob Kinder des westlichen Kulturraumes sich auch in Zukunft ähnlichen existentiellen Fragen hingeben werden oder sich ihr Entwicklungshorizont auf gänzlich andere Aspekte ihrer Lebenswirklichkeit beziehen wird, ist schwer einzuschätzen und kann im Rahmen dieser Arbeit nicht erfasst werden. Konstrukte wie Tod, Gewalt, Abschied und Liebe scheinen jedoch von ihrer Bedeutsamkeit für Kinder relativ zeitlos zu sein. Scheidungen und sogenannte Patchwork-Familien stellen allerdings eins neuzeitliches Phänomen dar, welches aus einer veränderten Auffassung von Familie, Ehe, Religion und einem emanzipierteren Frauenbild resultiert. Kinder aus anderen Gesellschaftsformen, beispielsweise aus polygamen Gesellschaften, haben aufgrund der seltenen Trennungen eine zur westlichen Zivilisation veränderte Lebenswelt, wodurch eine entwicklungspsychologische Auseinandersetzung mit Scheidung nicht notwendig ist. Tabuthemen hängen demnach immens von gesamtgesellschaftlichen Gegebenheiten ab.

Ein schulischer Erziehungs- und Bildungsauftrag ist als Momentaufnahme gesellschaftlicher Tendenzen zu verstehen. Daher können die aufgenommenen Aspekte im Lehrplan als Indikatoren für gewünschte Normen- und Wertevermittlungen interpretiert werden.

Um festzustellen, ob und wie weit eine Unterstützung der Kinder hinsichtlich existentieller Fragen im Schulauftrag aufgenommen wird, erfolgt ein Blick in den Lehrplan für Grundschulen in Nordrhein-Westfalen. Vorher werden die einzelnen Tabuthemen genannt und erläutert.

Folgend wird das Potential von Kinderliteratur im Umgang mit existentiellen Grundfragen untersucht. Hier wird die Frage behandelt, wieso ein Lernen am Text für Kinder gehaltvoll sein kann und wie gute Kinder- und Jugendliteratur dazu beitragen kann, Kindern eine Erstbegegnung mit existentiellen Grundfragen zu ermöglichen. Dahingehend wird das Buch „Der Junge, der Gedanken lesen konnte - Ein Friedhofskrimi“ von Kirsten Boie vorgestellt. Es wird analysiert, interpretiert und auf seine vielseitigen Zieldimensionen und der damit verbundene Eignung hinsichtlich einer unterrichtlichen Thematisierung von Tabuthemen untersucht.

Im anschließenden Kapitel wird ein Unterrichtskonzept entwickelt, das eine Vereinbarkeit von Lehrplan, literarischem Lernen und Tabuthemen darstellt. Hier wird insbesondere auf eine Klärung existentieller Fragen im unterrichtlichen Kontext abgezielt. Dieser Unterrichtsentwurf kann als eine Möglichkeit verstanden werden, existentielle Fragen im Unterricht einzubetten, welchen innerhalb des literarischen Lernens begegnet wird.

Zuletzt wird ein Resümee aus vorherigen Erkenntnissen gezogen, welches einen Ausblick auf die zukünftige unterrichtspraktische Tätigkeit liefert.

2. Tabuthemen in der Grundschule - Eine pädagogische

Auseinandersetzung unter Berücksichtigung des Lehrplans Ausgelöst durch den dynamischen Prozess der ständigen Neuakzentuierung von Kindheit und ihren unterschiedlichen Entwicklungsphasen, findet im Unterricht eine zunehmende Thematisierung schwieriger Inhalte statt. In diesem Abschnitt werden fünf Tabuthemen skizziert, die exemplarisch für den gesellschaftlichen Wandel hinsichtlich einer Öffnung in diesen Bereichen stehen. Dennoch ist per Definition immer noch von Tabus zu sprechen, da sich nach wie vor der Gedanke verbreitet ist, Kinder müssten vor diesen Themen bewahrt und geschützt werden. Nichtsdestotrotz stellen sich Heranwachsende gerade in diesen mitunter komplexen, philosophischen und kulturrelevanten Themengebieten existentielle Fragen; sie finden sich innerhalb der persönlichen Entwicklung in einem Spannungsfeld zwischen Konfrontation und Vorenthaltungen vor.

Die Relevanz für die kindliche Persönlichkeit wird jeweils herauskristallisiert.

2.1 Ausgewählte Tabuthemen und ihre Bedeutung für die kindliche Entwicklung

1) Scheidung, Trennung und Patchwork-Familien

Eine Gesellschaft befindet sich in einem dynamischen Prozess der Weiterentwicklung. Während die Ehe früher weitestgehend unter dem kirchlichen Ausspruch „bis, dass der Tod euch scheidet“ geschlossen wurde und aufgrund der gesellschaftlichen Konventionen meist ein Leben lang hielt, wird sie heutzutage in westlichen Kulturkreisen vermehrt geschieden.

Die Statista GmbH hat ermittelt, dass die Ehescheidungen sich im vergangenen Jahr auf eine Zahl von 166335 beliefen (vgl. https://de.statista.com/themen/134/scheidung/). Mit einer Anzahl von 400115 werden zwar mehr als das zweifache an Ehen jährlich geschlossen, allerdings liegt eine Scheidungsquote von ca. 41 Prozent aller geschlossenen Ehen vor (ebd.).

Diese hohen Zahlen und die Tatsache, dass Kinder mit Scheidung in ihrer Lebenswelt konfrontiert werden, zeigen, dass eine Thematisierung in der Grundschule relevant ist. Rund 15,5 % Prozent aller Kinder leben bei einem alleinerziehenden Elternteil (ebd.).

Eine Scheidung bringt tiefgreifende Veränderungen mit sich, die die Heranwachsenden im höchsten Maße beeinflussen können. Durch eine Trennung erleben sowohl die Kinder als auch die Eltern eine schwierige Phase.

Sie müssen sich den Veränderungen anpassen. Dieser Veränderungsprozess ist insbesondere für Kinder sehr belastend, die oft noch keine emotionalen Fähigkeiten ausgeprägt haben, mit einer Trennung umzugehen (vgl. Klein 2010, S. 62). In der neuen Situation finden sich Kinder mit Problemen konfrontiert, die sie so in ihrer bisherigen Biographie noch nicht erlebt haben.

Aus Scheidungen resultieren häufig finanzielle Nachteile, die die Heranwachsenden unmittelbar erfahren (vgl. Klein 2010, S. 63). Spürbar wird das in der Ernährungs- und Gesundheitsversorgung, dem Ausbleiben von Urlaubsreisen, beim Einkauf von Schulutensilien oder bei der Auswahl der Anziehsachen (Klein 2010, S. 66). Durch eine Trennung zerfällt das bisher bekannte und haltgebende Familienmodell. Dadurch kann dem Kind eine Bezugsperson und damit ein Sozialisationspartner verloren gehen, beispielsweise dann, wenn dem Kind wenig oder kein Kontakt zum Vater zugesprochen wird und keine andere Person die Vorbildfunktion einnehmen kann (vgl. Staub/Felder 2004, S, 40).

Unabhängig davon, wie eine Scheidung bzw. Trennung verläuft, erlebt das Kind einen Verlust. Problematisch ist dies im Besonderen deshalb, da ein Kind kognitiv und emotional noch nicht ausgereift, nicht gefestigt ist und Stabilität benötigt. Ein Kind, welches von einem elterlichen Scheidungsprozess betroffen ist, versteht sich unter Umständen als Auslöser der Trennung.

Ziel der Schule sollte es daher sein, Kindern in solchen Bereichen weiterzuhelfen, damit die Schülerinnen und Schüler lernen, mit solchen Extremsituationen umzugehen und zu reflektieren, dass eine Veränderung der Familienstruktur immer Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung nimmt.

2) Liebe

In der Grundschule befassen sich vor allem Mädchen ab ca. 8 Jahren bereits mit dem Gefühlskonstrukt der Liebe. In einer von Studenten durchgeführten Untersuchung, wurde die Frage „Denkst du schon an Liebe?“ von vielen Mädchen der dritten und vierten Klasse bejaht (Richter 2001, S. 176). Während Jungen sich eher für Sexualität und den Körper des anderen Geschlechts interessieren, sind es vorwiegend Mädchen, die sich für die Gefühlswelt einer Liebesbeziehung sowie sich für den Austausch von Zärtlichkeiten zwischen Erwachsenen begeistern (ebd.). Beide Geschlechter beklagten, dass ihnen wenige Möglichkeiten eingeräumt würden, mit Erwachsenen über Liebe zu sprechen (ebd.).

Erstaunlicherweise begründeten die Kinder dies auch mit der eigenen Person: „Man spricht darüber doch eher mit Freunden“ (Richter 2001, S. 177). Zum anderen wurden die Erwachsenen dafür verantwortlich gemacht, dass dieses Thema nicht angesprochen wird: „Man denkt, Erwachsene verstehen das nicht“ (Richter 2001, S. 177). Gleichzeitig wurde Erwachsenen in diesem Kontext vorgeworfen, verklemmt und „peinlich berührt“ (Richter 2001, S. 177) zu sein.

Laut Karin Richter zeigen sich Widersprüchlichkeiten beim Thematisieren der Liebe: Während innerhalb der Medien (Fernsehen) eine völligen Enttabuisierung von Liebe und Sexualität vorzufinden ist, bleibt diese Thematik im Alltag der Kinder weitestgehend tabuisiert (vgl. Richter 2001, S. 177). Diese Diskrepanz zwischen entwicklungstypischen Fragen von Heranwachsenden und medial enthemmten und familiär begrenzten Schwierigkeiten im Umgang mit Liebe aufzuarbeiten, zeigt sich für die Schule als besondere Herausforderung.

Liebe im Unterricht aufzugreifen und Kindern zu gewähren, eigene Gedanken dazu zu äußern, ist höchst relevant. Hier bietet sich Kinderliteratur in hohem Maße an, da sie mithilfe der entspannten Atmosphäre offener Unterrichtsmethoden ein Heranführen an das Thema ermöglichen kann.

3) Sexualität

In der Nachkriegszeit war Sexualität noch ein verbreitetes Tabuthema. In naturwissenschaftlichen Schulbüchern wurden Menschen oftmals ohne Geschlechtsorgane dargestellt. Vor allem die weibliche Sexualität wurde lediglich im Kontext der Ehe und Schwangerschaft betrachtet. Heute wird der Bereich der Sexualität bereits im Lehrplan der Grundschule aufgegriffen; sexuelle Aufklärung ist als fester Bestandteil von Schule im Sachunterricht etabliert (vgl. Richter 2001, S. 186).

Die Sexualität eines Kindes ist vielschichtig, von Neugier geprägt und unbefangen (vgl. Philipps 2005, S. 1). Sie erfährt noch keine Unterscheidung von „Zärtlichkeit, Sinnlichkeit und genitaler Sexualität“ (Philipps 2005, S. 1). Diese Trennung lernen die Heranwachsenden erst im Grundschulalter kennen. Ihre sexuelle Neugier zeigt sich dann vor allem durch einen egozentrischen Trieb, der sie erforschen lässt und einen

Drang nach Freude auslöst. Dem Kind ist daran gelegen, eigenen Wünschen nachzugehen und nicht Nächstenliebe auszudrücken, wie es häufig die Intention von Erwachsenen ist (ebd.).

Die Tabuisierung entsteht dadurch, dass Kindern schon früh das Gefühl vermittelt wird, sich für den eigenen Körper schämen zu müssen. Fortfolgend erleben Kinder, dass sie ihrer Neugier im Verborgenen nachzugehen haben; im Abstand zur elterlichen Kontrollinstanz, da die Erwachsenen häufig beschämt oder überfordert reagieren, wenn ein Kind aufgrund seiner Neugier erforscht. Dabei wäre eine verständnisvolle Aufklärung angemessen, ohne ein Schamgefühl unnötig zu verstärken, welches sich spätestens mit dem Einsetzen der Pubertät selbstständig ausprägt. Im Bereich der Sexualität zeigt sich ein merkwürdiger Widerspruch bezüglich der gesellschaftlichen Verschlossenheit und der schulischen Offenheit, die im Lehrplan festgehalten wird.

4) Gewalt und Aggression

Aggressives Verhalten sowie Gewalt von Kindern und Jugendlichen als Täter und Opfer sind schon seit dem Ende der 1980er Jahre Bestandteil eines gesellschaftlichen Diskurses in Deutschland (vgl. Lösel/Bender 1998, S. 13). Die Diskussionen darüber wurden durch Medienberichte angestoßen, die eine starke Zunahme von Kinder- und Jugendgewalt beschrieben. Die resultierende Unsicherheit der Bevölkerung veranlasste die damalige Bundesregierung, bestehend aus FDP und CDU/CSU, im Jahr 1987 eine Kommission zur Untersuchung von Gewaltursachen einzusetzen. Sie sollte in einer Sekundäranalyse, der Analyse bereits erhobener Daten, die Ursachen von „der politisch motivierten Gewalt, der Gewalt auf Straßen und Plätzen, der Gewalt im Stadion, der Gewalt in der Schule und der Gewalt in der Familie“ (Saathof 1990) untersuchen.

Die Kommission betrachtete demnach zwei Gewaltmerkmale, die Schule direkt oder indirekt betreffen; die Gewalt in der Schule und die in der Familie. Kinder, die ein gewaltbereites Verhalten zeigen, fallen auf, da sie Menschen in Ihrer Umgebung seelisch oder physisch verletzen wollen (vgl. Ratzke et al. 1997, S. 155). Es ist davon auszugehen, dass asoziales Verhalten immer in Wechselwirkung mehrerer Faktoren zustande kommt, die sich im Wesentlichen aus den vier Bereichen „Individuum, Familie, Schule und Gesellschaft“ (Ratzke et al. 1997, S. 155) zusammensetzen.

Anders als beispielsweise bei der Thematik einer Scheidung kann die Schule als ein direkter Problemfaktor fungieren, sodass das Spannungsverhältnis von Individuum und Schule gewaltbereites und aggressives Verhalten begünstigen kann. Allerdings ist der Konflikt oft auf soziale Defizite zurückzuführen, welche sich bereits in einer intrafamiliären Beziehungsdynamik entwickelt haben (vgl. Ratzke et al. 1997, S. 156). Dennoch kann das Verhalten durch Stresssituationen in der Schule weiter gefestigt werden (ebd.).

Die asozialen Schülerinnen und Schüler sehen sich in der Schule einem Sozialraum ausgesetzt, dessen Anforderungen sie nur unzureichend entsprechen können (vgl. Ratze et al. 1997, S. 162). Durch die resultierende Überforderung werden bereits erlernte, negative Handlungsweisen, mit denen sich das Kind in früheren Lebenssituationen behauptet hat, auf die Gegebenheiten der Institution übertragen.

Es liegen hautsächlich drei Risikofaktoren vor, die die Aggressions- und Gewaltbereitschaft von Schülerinnen und Schülern in der Schule verstärken können:

1. Schulisches Leistungsversagen
2. Vernachlässigung der Bedürfnisse der Kinder
3. Konkurrierende Atmosphäre anstelle von Teamwork (Ratzke et al. 1997, S. 162ff.)

Die Lehrkräfte müssen in diesen Punkten sensibel vorgehen und Lösungen finden, damit der Schulbesuch auch für aggressive und gewalttätige Kinder funktionieren kann. Gewalt an Schulen gehört zum täglichen Metier und kann unter Umständen von diesen verstärkt werden. Daher ist es zwingend notwendig, Regeln festzulegen, die ein friedliches Miteinander ermöglichen. Die Arbeit mit literarischen Texten kann unterstützend wirken, indem sowohl Tätern als auch Opfern Identifikations- und Orientierungshilfen zu bieten.

5) Sterben, Tod und Abschied

Bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts waren Sterben, Tod und Abschied streng tabuisierte Themen, die in Gesprächen mit Kindern wenig bis keine Beachtung fanden und bewusst vermieden wurden. Es galt als allgemeine Maxime, Kindern einen Schutzraum zu gewährleisten und sie nicht durch einen leichtfertigen Umgang mit der Schwere der Thematik zu traumatisieren (vgl. Richter 2001, S. 216). Heranwachsende sehen sich jedoch unweigerlich mit der Problematik konfrontiert, beispielsweise weil Familienmitglieder oder Haustiere sterben. Aufgrund dessen hat sich ein Wandel in pädagogischen Konzepten vollzogen, der die Kinder- und Jugendliteratur beeinflusst hat. Bereits im Kindergartenalter bilden Kinder Vorstellungsentwürfe aus. Die Auseinandersetzung erfolgt in einem Zusammenspiel aus kognitiven Überlegungen, emotionaler Befindlichkeit und bisherigen Erfahrungen (vgl. Witt-Loers 2013, S. 26). Obwohl dies ein individueller Prozess ist, lassen sich Parallelen zwischen den Konzepten erkennen, die Schülerinnen und Schüler in Bezug auf den Tod entwickeln (ebd.).

Wird Kindern die Endgültigkeit und das Ausmaß des Todes bewusst, entsteht eine eindeutig negative Assoziation, die mitunter Angst auslöst. Sie empfinden ihn als etwas Bedrohliches und Grauenhaftes (vgl. Maksim/Sommer-Himmel 2007).

Ein Konzept eines erwachsenen Menschen vom Tod lässt sich in vier Kategorien unterteilen:

- „Nonfunktionalität - Erkenntnis, dass alle lebensnotwendigen Körperfunktionen mit dem Eintritt des Todes aufhören.
- Kausalität - Betrifft die Ursachen des Todes. Sie sind physikalischer bzw. biologischer Art.
- Irreversibilität - Unumkehrbarkeit des einmal eingetretenen Todes.  Universalität - Einsicht, dass alle Lebewesen sterben müssen.“ (Maksim/Sommer-Himmel 2007)

Die Trauerfrage wird in diesem Konzept nicht berücksichtigt, dennoch liegt hier ein ganzheitliches Bild vom Sterben zugrunde.

Anzumerken ist, dass neben der wissenschaftlich-pragmatischen Konzeptionierung des Todes auch Jenseitsvorstellungen abhängig von Überzeugen und Religionszugehörigkeit zum Tragen kommen.

Stirbt das Haustier oder ein Familienmitglied empfindet ein Kind Verlust. Die Endgültigkeit kann dem Kind erst bewusst werden, wenn es ein vielschichtiges Konzept vom Tod entwickelt hat.

Hinsichtlich des Todes kann die Schule den Schülerinnen und Schüler Hilfestellungen bieten und Verarbeitungswege vermitteln, um Verlusterfahrungen aufzuarbeiten. Die literarische Auseinandersetzung mit dem Tod, insbesondere die Trauerbewältigung literarischer Figuren, können die Perspektiven auf den Tod und den Umgang mit Trauer erweitern.

2.2 Der Lehrplan und die Thematisierung von Tabuthemen

Wie aus der bisherigen Arbeit hervorgeht, stellt sich jedes Kind, bezogen auf die persönliche Lebenswirklichkeit, existentielle Fragen. Beziehen sich die Fragen auf ein tabuisiertes Themenfeld, sind die Heranwachsenden häufig auf sich selbst gestellt. Fortfolgend erfolgt eine Betrachtung des Lehrplans für Grundschule in Nordrhein- Westfalen. Der Lehrplan wird hinsichtlich der fünf skizzierten Tabuthemen auf Möglichkeiten der Einbettung im Unterricht untersucht. Auf Grund dessen, dass sich diese Arbeit insbesondere mit dem Potential von Literatur innerhalb des literarischen Lernen befasst, wird der Lehrplan für das Fach Deutsch besonders betrachtet.

Das Fach Deutsch gliedert sich in vier Unterpunkte:

- 1. Sprechen und Zuhören
- 2. Schreiben
- 3. Lesen - mit Texten und Medien umgehen
- 4. Sprache und Sprachgebrauch untersuchen

(Lehrplan NRW 2008, S. 22)

Diese Bereiche werden durch Kompetenzerwartungen mit Inhalt gefüllt. Es werden offene Kompetenzerwartungen ausgearbeitet, die Schülerinnen und Schüler am Ende der Schuleingangsphase sowie am Ende der vierten Klassen beherrschen sollen. Der erste Kompetenzbereich weist eine passende Formulierung auf, die an Tabuthemen als möglichen, inhaltlichen Schwerpunkt in Kinder- bzw. Jugendbüchern anknüpft.

„Die Schülerinnen und Schüler beschreiben eigene Gefühle (z.B. Angst in Streitsituationen) und reagieren auf die Befindlichkeiten anderer.“

(Lehrplan NRW 2008, S. 28)

Hier kann sich beispielsweise ein Literarisches Gespräch an die Rezeption eines Textes anschließen. Die Schülerinnen und Schüler erkennen unter Umständen Parallelen zu ihrer eigenen Gefühls- und Gedankenwelt, Artikulieren Ängste oder Befürchtungen, um in einem Austausch mögliche Befindlichkeiten zu erklären und Fragen zu stellen. Dies koppelt sich an eine Kompetenzerwartung aus dem Bereich „ Lesen - mit Texten und Medien umgehen“:

„Die Schülerinnen und Schüler nehmen zu Gedanken, Handlungen und Personen in Texten Stellung.“

(Lehrplan NRW 2008, S. 32)

Hier wird die Perspektivenübernahme, ein Aspekt literarischen Lernens, als Kompetenzerwartung im Lehrplan aufgenommen. Hierdurch werden die Selbstreflexion und die Empathiefähigkeit gefördert.

Die skizzierten Standards beziehen sich zwar auf Schreib- oder Leseprozesse, die beispielsweise auf eine Verbesserung des Wortschatzes abzielen, allerdings werden keine Vorschläge einer geeigneten Verknüpfung von Inhalt und zu erwerbenden Kompetenzen gemacht. Dadurch erfahren auch Tabuthemen im Lehrplan keine explizite Berücksichtigung. Aufgrund der Offenheit kann eine Lehrperson ein Buch altersbezogen und lernzielorientiert auswählen, in welchem idealerweise Tabuthemen thematisiert und Kindern in ihrer Erfahrungs- und Gefühlswelt eine Weiterentwicklung ermöglicht wird. Weitere Kompetenzformulierungen zeigen ein Lernen an Literatur auf, lassen einen Spielraum für eine offene Auslegung der Standards sowie einer expliziten Umsetzung im Unterricht zu.

Das Modell vom interdisziplinären Unterricht offenbart weitere Anknüpfmöglichkeiten. Interdisziplinärer (fächerübergreifender, fächerverbindender, vernetzter) Unterricht beschreibt ein Konzept, in dem sich der Unterrichtsgegenstand vom reinen Fachunterricht löst (vgl. Warwitz 1974, S. 12ff.).

Das Konzept soll die Fächer nicht dauerhaft ablösen, sondern lediglich an passenden Stellen ergänzen, sodass Schülerinnen und Schüler einer übergeordneten Fragestellung nachgehen können bzw. eine fundierte, weitgreifende Einsicht gewinnen. Peterßen beschreibt fächerübergreifenden Unterricht als eine Möglichkeit, um

Schülerinnen und Schüler Sachkompetenzen, Sozialkompetenzen, Methodenkompetenzen und Moralkompetenzen zu vermitteln, die ein nachhaltiges Abwägen von Handlungsalternativen erlauben (vgl. Peterßen 2000, S. 65).

Während im Fach Deutsch keine konkreten Hinweise auf Tabuthemen vorliegen und die Thematisierung praktisch nur über literarisches Lernen und den damit verbundenen Kompetenzen eingebunden werden kann, findet sich im Lehrplan für den Sachunterricht eine Standardformulierung hinsichtlich des Tabuthemas Sexualität, wie Richter bereits erwähnt hat. Mithilfe einer interdisziplinären Annäherung an den Sachunterricht könnte im Deutschunterricht angeknüpft werden.

Der Bereich „Sachunterricht gliedert sich in fünf Bereiche:

- 1. Natur und Leben
- 2. Technik und Arbeitswelt
- 3. Raum, Umwelt und Mobilität
- 4. Mensch und Gemeinschaft
- 5. Zeit und Kultur

(Lehrplan NRW 2008, S. 38)

Im Bereich Mensch und Gemeinschaft findet sich der Schwerpunkt Freundschaft und Sexualität.

Anhand eines Kinderbuches, welches sich mit der Thematik auseinandersetzt, kann die Perspektive von Heranwachsenden auf Sexualität, mit Bezug auf die eigenen lebensweltlichen Konfrontationen, geschult werden, während sich die sachunterrichtliche Dimension auf die fachliche Klärung fokussiert:

„Die Schülerinnen und Schüler kennen die Bezeichnungen für die Geschlechtsorgane und wissen um deren Bedeutung für die sexuelle Entwicklung.“

(Lehrplan NRW 2008, S. 48)

Letztendlich sollten Unterrichtsinhalte niemals kontextlos behandelt werden, sondern mit anderen Unterrichtinhalten und Fächern verknüpft werden, sodass dieses Tabuthema in Form einer interdisziplinären Verbindung mit dem Deutschunterricht, genauer mit einem Kinderbuch, Anklang finden kann.

Zuletzt lohnt sich ein Blick in den Religionsunterricht. Im Lehrplan finden sich keine Hinweise, die die oben genannten Tabuthemen zum Ausdruck bringen, allerdings ist in allen Weltreligionen ein Verständnis vorhanden, was sich mit Konzepten von Jenseitsvorstellungen befasst.

Insbesondere im Christentum, Judentum und Islam gilt das Leben nach dem Tod als ebenso wichtig, wie das Leben in der Gegenwart. Infolge der Auseinandersetzung mit der Lehre der Religionen bleibt eine Konfrontation mit der Frage nach dem Tod und den Jenseitsbildnissen der jeweiligen Religion nicht aus.

Im Lehrplan für Grundschulen in NRW werden einige Kompetenzstandards formuliert, die es ermöglichen, dass Tabuthemen in der Unterrichtsgestaltung behandelt werden können. Es obliegt weitestgehend der Lehrkraft, inwieweit sie eine Relevanz in den Verarbeitungsprozessen existentieller Fragen im Unterricht sieht.

Spinner und viele weitere Autoren stellen im Zusammenhang mit literarischem Lernen fest, dass dieses immer auch eine Persönlichkeitsentwicklung darstellt, sodass eine Verarbeitung von existentiell wichtigen Fragen einen nicht unerheblichen Teil der unterrichtlichen Arbeit an einem literarischen Buch darstellen kann. Der Lehrplan offeriert Kompetenzbereiche, die sich direkt oder indirekt mit Aspekten des literarischen Lernens verbinden lassen.

3. Potentiale von literarischen Texten im Literaturunterricht

In diesem Kapitel wird die geschichtliche Entwicklung der Kinder- und Jugendliteratur dargelegt, die Aufschlüsse über das Potential von literarischen Texten hinsichtlich eines Umgangs mit existentiellen Fragen im Rahmen der Persönlichkeitsentwicklung liefert. Der flexible Charakter der Kinder- und Jugendliteratur, sich dem kindlichen Horizont anzunähern, erklärt sich aus einem Produkt unterschiedlicher Strömungen dieser Disziplin, dessen Anfang in der Entdeckung der Kindheit liegt.

Vor allem neuere didaktische Überlegungen haben das Potential und den Nutzen, den ein junger Leser aus der literarischen Textarbeit gewinnen kann, herausgearbeitet. Die Kinder- und Jugendliteratur beinhaltet ein breites Angebot, welches sich schwierigen Thematiken nähert, die vor einigen Jahrzehnten noch tabuisiert waren.

3.1 Die historische Entwicklung der Kinder und Jugendliteratur

In den 1990er Jahren etablierten sich in der Forschung zur Kinder- und Jugendliteratur die Begriffe des Handlungs- sowie Symbolsystems. Das Handlungssystem beschreibt konkrete Herangehensweisen, die sich auf die spezifische Art der Literatur beziehen. Dazu zählen beispielsweise Autoren, Buchhändler, Kritiker usw.. Weitere Kategorisierungen zeigen sich im Bereich des staatlichen Schul- und Erziehungssystems oder der pädagogischen Fachöffentlichkeit (vgl. Ewers 2012, S.41f.).

Das Symbolsystem der Kinder- und Jugendliteratur beschreibt ein komplexes Zusammenspiel aus semantischen Regeln, Normen, Konventionen, Stilen, Motiviken und anderen literarischen Aspekten, nach denen Texte der Kinder- und Jugendliteratur im europäischen Kontext verfasst und bewertet werden (vgl. Ewers 2012, S. 174f.). In der Bewertung des Handlungs- und des Symbolsystems grenzt sich die Kinder- und Jugendliteratur von Allgemeinliteratur, welche weniger Kontroll-, und Normeninstanzen unterliegt, ab. Die Literatur, die sich an kindliche Verstehenskompetenzen richtet, bedarf mehr Reglementierungen und Normierung.

Im Zeitalter der Spätaufklärung entwickelte sich die Kinder- und Jugendliteratur dahingehend, dass Bücher für Kinder und Jugendliche neben einer erzieherischen Absicht teilweise auch unter dem Aspekt der Unterhaltung verfasst wurden.

Vorreiter dieser Entwicklung im deutschsprachigem Raum war Joachim Heinrich Campe, der als Schriftsteller, Theoretiker und Herausgeber wichtige Impulse für die Weiterentwicklung von Kinderliteratur setzte:

„Mein erster Grundsatz war, nur solche Stückchen aufzunehmen, welche für Kinder ebenso verständlich als unterhaltend und lehrreich zugleich wären.“ (Campe 1778, S. 3)

Unter diesem Grundsatz analysierte er die Werke seiner Zeit, um nach diversen Bearbeitungsprozessen, die immer eine Einwilligung der anderen Autoren voraussetzte, kindgerechte Texte zu erstellen (vgl. Weinkauff 2015, S.32). In den entstandenen Sammlungen zeigte sich erstmalig eine gewisse Variabilität, welche die Form und Gestaltung von Kinder- und Jugendliteratur betraf.

Allerdings legte Campe einen hohen Wert auf die Unterhaltsamkeit, was sein größter Kritiker Jean Jacques Rousseau anprangerte (vgl. Weinkauff 2015, S. 33).Seine Texte richtete Campe hauptsächlich an Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren, wodurch er eine mitunter stark vereinfachte Sprache verwendete, welche dem damaligen Bild vom begrenzten Auffassungsvermögens von Kindern entsprach (ebd.). Auch wenn seine Texte nach den Maßstäben heutiger Beurteilungskriterien sehr simpel und wenig entwicklungsfördernd erscheinen, hat Campe einen großen Beitrag geleistet, dass das Lesen im Grundschulalter allmählich etabliert wurde.

Der allgemeine Tenor der Zeit war es, das Lesen für Kinder in dieser Altersspanne zu tabuisieren, sodass Campes Ansätze einer der ersten Versuche waren, aus diesem Paradigma auszubrechen.

Jean-Jacques Rousseau, Campes bekanntester Kritiker, sah im verfrühten Lesen eine Gefahr für Kinder. Rousseau beschrieb Lesen als eine „Geißel der Kindheit“:

„Wie ich alle Pflichten von Kindern fernhalte, so nehme ich ihnen die Werkzeuge ihres größten Unglücks: die Bücher. Die Lektüre ist die Geißel der Kindheit und dabei fast die einzige Beschäftigung, die man ihnen zu geben versteht. Erst mit zwölf Jahren wird Emil wissen, was ein Buch ist.“

(Rousseau 1762, S. 100; zitiert nach Weinkauff 2015)

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Details

Titel
Tabuthemen in der Grundschule. Das Potential von Kinderliteratur im Umgang mit existenziellen Fragen und ihre Umsetzung im Literaturunterricht
Hochschule
Universität Siegen
Note
1,8
Autor
Jahr
2017
Seiten
74
Katalognummer
V376571
ISBN (eBook)
9783668560116
ISBN (Buch)
9783668560123
Dateigröße
1826 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Tabuthemen, Kindheit, Tod, Existenzielle Fragen, Kirsten Boie, Der Junge Der Gedanken lesen konnte, Kindliche Entwicklung, Trauer, literarisches Lernen, Potentiale Von Literatur, Spinner, Geschichte der Kindheit, Geschichte der Kinder. und Jugendliteratur, Unterrichtsentwurf, Persönlichkeitsentwicklung
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Daniel Mocki (Autor:in), 2017, Tabuthemen in der Grundschule. Das Potential von Kinderliteratur im Umgang mit existenziellen Fragen und ihre Umsetzung im Literaturunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/376571

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Titel: Tabuthemen in der Grundschule. Das Potential von Kinderliteratur im Umgang mit existenziellen Fragen und ihre Umsetzung im Literaturunterricht



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