Räume machen Schule

Die Bedeutung konzeptioneller Raumgestaltung zur Förderung des Lern- und Sozialverhaltens an Grundschulen


Diplomarbeit, 2004

174 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

Liste verwendeter Abkürzungen

I Einleitung
1 Ausgangslage
2 Methode und Aufbau der Arbeit
3 Hypothesen
4 Sozialpädagogische Intention

II Die Rolle der Bildung und Erziehung in Deutschland
1 Arbeitsgesellschaft und Pädagogik
2 Die Umbruchsituation der Schule in Deutschland

III Der soziologische Kontext als bedeutender Aspekt der Entwicklung
1 Die kindliche Sozialisation in der Individualgesellschaft
1.1 Begriffsklärung
1.2 Sozialisationsinstanzen
2 Die Problematik der sozialen Schicht
3 Die neue Armut
4 Die Kindheit im Wandel
4.1 Wandel der Familie
4.2 Das Spiel und Freizeitverhalten
4.3 Die multimediale Gesellschaft
4.4 Normen und Werte
4.5 Die multikulturelle Gesellschaft
5 Zusammenfassung

IV Psychologische Grundlagen für die Entwicklung des Lern- und Sozialverhaltens von Kindern
1 Die Entwicklung des Kindes bis zum 12. Lebensjahr
1.1 Allgemeine Erklärungen für Entwicklung
1.2 Entwicklungstheorien
1.2.1 Aspekte der psychoanalytischen Theorie
1.2.2 Aspekte der kognitiven Entwicklungstheorie
1.3 Entwicklungsstörungen
2 Das Lernen
2.1 Die Theorie des Lernens
2.1.1 Definitionen
2.1.2 Modelle
2.2 Das soziale Lernen
2.3 Störungen im Lern- und Sozialverhalten bei Kindern
2.4 Bewältigung
3 Die Wahrnehmungsprozesse
3.1 Theoretische Grundlagen der Sinneswahrnehmung
3.2 Die Funktion der Sinneswahrnehmung
4 Zusammenfassende Erkenntnisse

V Die Schule als Ort pädagogischen Handelns
1 Lern- und Lebensraum Schule
1.1 Kurzer historischer Überblick der Schulentwicklung
2 Die Grundschule
2.1 Stellung der Grundschule in der Gesellschaft
2.2 Aufgaben und Ziele der Grundschulkonzeption
2.3 Die Rolle der Lehrer
2.4 Freie Grundschulen
3 Das Schulklima als Qualitätsmerkmal des pädagogischen Prozesses
4 Zusammenfassende Ergebnisse

VI Räume
1 Dimensionen des Raumbegriffs
1.1 Definitionen
1.2 Der Lebensraum des Menschen
1.3 Die Gestalt des kindlichen Lebensraumes
1.3.1 Der öffentliche Raum als kindlicher Lebensraum
1.3.2 Der Lebensraum als physikalisch materieller Raum
2 Der pädagogische Raum als physikalisch materieller Raum
2.1 Zusammenspiel von Architektur und Bildung am Beispiel des Architekten Hans Scharoun
2.2 Die Bedeutung der organischen Architektur im Schulbau
3 Die Wahrnehmung der Schulräume bei Grundschülern
3.1 Kriterien der Beurteilung
3.2 Zusammenhang von Raumgestaltung und Sinnesentwicklung
3.3 Die Wirkung der Formen und Farben
3.3.1 Die Sprache der Formen
3.3.2 Bedeutung der Farbe
4 Die Bedeutung des Klassenraumes
5 Zusammenfassung

VII Die Herausforderung der Raumgestaltung an Schulen als Implikator für die pädagogische Praxis in Grundschulen
1 Konzepte und Modelle
1.1 Das Waldorfschulmodell
1.1.1 Der Impuls
1.1.2 Grundzüge der Pädagogik
1.1.3 Die Bedeutung der Sinne in der Waldorfpädagogik
1.1.4 Die Bedeutung des Bauens in der Waldorfpädagogik
1.2 Das Würzburger Modell
2 Veränderte Schulräume – erhöhte Qualität des Lehrens und Lernens
2.1 Die Modernisierung der Erika-Mann-Grundschule als exemplarische Darstellung der Qualitätssteigerung
2.1.1 Vorstellung des Projektes
2.1.2 Die Zeitschiene
2.1.3 Umfeld
2.1.4 Ziele
2.1.5 Konzeptioneller Hintergrund
2.1.6 Prozess
2.1.7 Fazit

VIII Zusammenfassende Ergebnisse
1 Belegung bzw. Widerlegung der Ausgangshypothesen
2 Diskussion und Ausblick

Literaturverzeichnis

Eidesstattliche Erklärung

Anlagenverzeichnis

Danke

allen Menschen,

die mir mit Rat und Tat,

aufmunternden und tröstenden Worten

und hilfreichen Ideen zur Seite gestanden haben.

Besonderer Dank gilt meinem Mann, Friedhelm Steffens,

und Dr. Heidrun Gehrke für die inhaltliche Unterstützung,

meinen Freundinnen Marina König, Hannelore Regel und Annette Rose für die Schreibhilfe, das Korrekturlesen und das Binden der Arbeit. Ohne sie wäre die Arbeit nicht das, was sie geworden ist.

Liste verwendeter Abkürzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

TIMSS Third International Mathematics and Science Study (Dritte Internationale Mathematik- und Naturwissenschaftsstudie)

vgl. vergleiche

Der einfacheren Lesart wegen wird von der Verfasserin die, auch in der Fachliteratur durchaus übliche, männliche Sprachform verwandt, ohne dass daraus eine männlich dominierte Sichtweise verstanden werden soll.

I Einleitung

Seit der Veröffentlichung internationaler Bildungsvergleiche findet in der Gesellschaft eine breite Auseinandersetzung mit dem Thema Schule statt.

Räume machen Schule – ist das wieder einer der unzähligen Versuche, etwas über eine dringend notwendige Schulreform zu sagen, ist es die Betrachtung eines Modethemas?

1 Ausgangslage

Als Sozialpädagogen sind wir ständig mit der misslichen Lage konfrontiert, in welcher sich unsere Gesellschaft mit ihrem Bildungsauftrag befindet. Schulunlust und Schulverweigerung scheinen zuzunehmen, schauen wir uns die Klientel der Jugendhilfe an. Schüler von 12, 13 Jahren, die monatelang der Schule fern bleiben, sind keine Seltenheit. Eltern, Lehrer und auch die Jugendhilfe sind oft machtlos. In den seltensten Fällen liegt dem Problem eine pathologische Schulangst zugrunde. Die Gründe für die so genannte „Null-Bock-Stimmung“ sind sehr komplex und erfordern eine Entwicklung von Konzepten zur Lösung dieser Problematik. Gewaltbereite und demotivierte Schüler machen den Lehrern das Unterrichten schwer. Viele überforderte, verbitterte Lehrer geben ihre hohen Ideale, ihre einstmals wertschätzende, motivierte Grundhaltung auf und erfüllen nur noch ihre Pflicht. Der Enthusiasmus ist einem Überlebenskampf gewichen, darf man Frau Bayerwaltes’ Schilderungen in ihrer Auseinandersetzung „Nachdenken über Schule“ Glauben schenken. Die Presse berichtet im September 2004 von fast 5800 Lehrern, die sich allein im Jahre 2002 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzen ließen, manche waren erst Anfang vierzig. (vgl. SPIEGEL SPEZIAL 2004, S. 68) Gewalt und Schulvandalismus sind Themen, die Experten immer dringlicher als Mahnung für bestehende gesellschaftspolitische Dilemmata ins Feld führen.

Zum Erreichen des Zieles allseitig gebildete, kreative, sozial befähigte und lebensfrohe Menschen für die gesellschaftliche Zukunft heranzubilden, wird eine innovative, zukunftsgerichtete Schulkonzeption benötigt.

Neue, unterschiedliche Wege müssen beschritten werden. In diesen Kontext gehört auch die räumliche Gestaltung unserer Schulen. Welche Veränderungen hier Antwort auf die derzeitigen Bildungsanforderungen der Gesellschaft geben können, muss hinreichend erforscht werden.

Ein Blick in die Wirklichkeit des deutschen Schulalltags, wie sie zum einen in der Presse und in der zur Verfügung stehenden Literatur beschrieben und zum anderen von der Verfasserin täglich wahrgenommen wird, bestärkt nicht nur den Wunsch nach einer Reform in der Schulbildung, sie impliziert die Frage, welche Rolle die Sozialarbeit in diesem Kontext zukünftig zu spielen hat.

2 Methode und Aufbau der Arbeit

Diese Arbeit wird aufgrund einer Analyse interdisziplinärer Sekundärliteratur verfasst, wobei zur Belegung der Hypothesen unterschiedliche Studien verwendet werden.

Sie ist in acht Kapitel untergliedert, in denen sich ein zunächst sehr weit gefasster Komplex theoretischer Grundlagen immer mehr auf die konkreten Hypothesen hin verdichtet. Am Ende findet sich eine Diskussion, in welcher die praktische Relevanz dieses Themas im Hinblick auf Realisierbarkeit und Zukunftsträchtigkeit geprüft wird.

Die unterschiedlichen Anlagen am Schluss der Arbeit dokumentieren zum einen den Inhalt mit Fotos und Abbildungen, zum anderen finden sich hier angegebene Quellen, die nicht in das Literaturverzeichnis aufgenommen werden konnten.

Die Situation in der sich Bildung und Erziehung in unserem Land befinden, also die Ausgangssituation des Themas soll im zweiten Kapitel dieser Arbeit beschrieben werden. Hier werden deutlich die Probleme benannt, die sich aus den immer schlechter werdenden Chancen auf einen guten Beruf, sowie auf eine sinnvolle Lebensgestaltung in einem sicheren gesellschaftlichen Kontext ergeben. Es erfordert ein Umdenken in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen, will man diese Probleme lösen.

Das dritte und vierte Kapitel beschäftigt sich mit den Aspekten, die für das Lern- und Sozialverhalten Relevanz haben. Theoretische Grundlagen für den Erwerb sozialer Fähigkeiten, die Problematik mangelnder sozialer Kompetenzen und Lernschwierigkeiten werden im soziologisch-psychologischen Kontext reflektiert. Geprüft werden zu verallgemeinernde Tendenzen im Sozialverhalten von Kindern unserer Gesellschaft und welche Möglichkeiten neben anderen grundlegenden Aspekten auch gerade die Gestaltung von Räumen für die Herausbildung sozialer Kompetenzen haben kann. Inwieweit kann die Raumgestaltung einen Beitrag zur Bewältigung heutiger komplizierter Lebensaufgaben leisten.

Dabei ist die Wahrnehmungsfähigkeit von höchster Bedeutung. Der Entwicklung der Sinnesorgane beim jüngeren Schulkind im Hinblick auf die Anreize, welche Schule mit ihren Räumen dafür bieten kann, soll anklingen. In diesem Zusammenhang wird auf die Bedeutung der Sinneserfahrung und die wichtigsten Aspekte einer gesunden Sinnesbildung eingegangen und damit ein Bogen zur Bedeutung der äußeren Gestalt der Schule, d.h. zu schulräumlichen Bedingungen gespannt.

Das fünfte Kapitel ist dem Lernort Schule, insbesondere der Grundschule gewidmet. Es geht um die Grundlegung der Bildung. Wie die Struktur der Grundschulbildung aussieht, die Kinder auf ein selbst bestimmtes und wertorientiertes Leben in der Gesellschaft grundlegend vorbereiten muss, wird verglichen damit, wie die Lern- und Lebenssituation in der Schule aussehen sollte. Die pädagogische Verantwortung, die Lehrer, Erzieher und auch Sozialpädagogen haben um dem Kind Lust auf Lernen im umfassendsten Sinne zu machen, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wird die Grundschulzeit in ihrer Bedeutung unterschätzt, werden Chancen einer wesentlichen Persönlichkeitsbildung zu körperlich und seelisch gesunden Menschen vertan.

Das Thema „Raum“ liegt im Trend derzeitiger erziehungswissenschaftlicher Forschung, wobei der Begriff von dieser, wie auch von der Sozialwissenschaft, mehrdeutig verwendet wird. Es soll angesichts der kontroversen Diskussionen über den Stellenwert von Bildung in Deutschland untersucht werden, ob der „Pädagogische Raum“ zu einem Modethema avanciert oder ob sich daraus richtungweisende Impulse für ein angemessenes pädagogisches Handeln ableiten lassen.

Dazu muss geklärt werden, von welchem Raum hier die Rede ist. Die Vielschichtigkeit des Begriffs erfordert es, die Dimension der jeweils erörterten Bedeutung genau zu beschreiben. Aus der Komplexität und Mehrdeutigkeit des Begriffes „Pädagogischer Raum“ soll im sechsten Kapitel der vorliegenden Arbeit der dreidimensionale Raum im Sinne von projektierter und / oder gebauter, man könnte auch sagen „materialisierter“ Pädagogik herausgegriffen werden. Hierfür werden Untersuchungen von Schulräumen richtungweisend sein. Darüber hinaus soll in diesem Kapitel die pädagogische Wirkung des räumlichen Arrangements betrachtet werden, also der Versuch, den gestalteten Raum selbst als wesentliches Bildungselement zu verwenden. Es geht um die Transformation des erlebten Außenraumes ins Innere, um langfristige Einflüsse, die sich als Bewahrung von Erinnerung bildend auswirken. So wird der äußere Raum, der Lern-Ort mit seinen gestalterischen Möglichkeiten und seiner Wirkung auf die am Lernprozess Beteiligten Grundschüler, den größten Teil der Aufmerksamkeit erhalten.

Im siebenten Kapitel werden dann exemplarisch zwei Konzepte vorgestellt, die mit der Gestaltung von Räumen Erfahrungen in unterschiedlicher Weise haben. Ein Beispiel aus der Praxis bildet den Abschluss des inhaltlichen Teils. Das Projekt einer Modernisierung wird als anschauliches Beispiel beschrieben, erhebt jedoch keinen Anspruch auf zu verallgemeinernde Empirie.

Wie sich die Gestaltung von Räumen im Zentrum des Bildungsprozesses, des Lehrens und Lernens, im Inneren der Lehrer und Schüler, als Bewältigung von Leben und damit auf die Zukunft unserer Gesellschaft auswirkt, ist die spannende Frage. Darauf soll der Blick am Ende gerichtet werden.

3 Hypothesen

Die Raumgestaltung bildet eine entscheidende Grundlage für positives Lern – und Sozialverhalten an Grundschulen dar.

1. Aufgrund der Krise des Bildungssystems in Deutschland sind grundlegende konzeptionelle Veränderungen erforderlich.
2. Veränderte pädagogische Konzepte verlangen veränderte Schulräume.
3. Die Lern- und Sozialbedingungen der Schüler sind erheblich von den so genannten äußeren Bedingungen abhängig.
4. Konzeptionell gestaltete Schulräume verbessern deutlich die Arbeitsbereitschaft und das Sozialverhalten der Schüler.
5. Schön gestaltete Schulräume erhöhen die Lernfreude und senken die Schulunlust.
6. Die Art der Gestaltung einer Schule bezeugt die Wert- bzw. Geringschätzung den Lernenden gegenüber. Sie hat Auswirkung auf ihr Selbstwertgefühl.
7. Haben die Schüler Anteil an der Gestaltung ihrer schulischen Umgebung, verbinden sie sich mit diesen Räumen und achten sie.
8. Formen und Farben wirken sich harmonisierend auf die Arbeitsatmosphäre, auf das innere Gleichgewicht bei Lehrern und Schülern aus.

Wird der hohe Stellenwert räumlicher Gestaltung nicht erkannt, verzichtet Schule auf eine entscheidende Möglichkeit für die Sinnesbildung sowie die Entwicklung von Lernfreude einerseits und sozialer Kompetenzen andererseits.

4 Sozialpädagogische Intention

Sozialarbeiter haben die Möglichkeit, die Prozesse des Bildungssystems quasi von einer Metaebene aus betrachten zu können. Da ihnen der Blick nicht durch die Aufgabe des Lehrens „verstellt“ ist, sind sie eher in der Lage, den komplizierten sozialen Prozess in der Schule zu recherchieren und könnten als Anwälte von Schülern und Lehrern auch hier die, der Jugendhilfe staatlich zugeschriebene, „Wächterfunktion“ übernehmen. Sie könnten zu konstruktiven Mahnern und Mitgestaltern der Bildungspolitik werden. Dies setzt ihre Einbeziehung in den Bildungsprozess voraus.

Im Hinblick auf die Installation von Ganztagsschulen sollten Sozialpädagogen in konzeptionelle Planungen eingebunden werden, da sie im Raum der veränderten Kindheit eine Bildungs- und Erziehungsarbeit zu leisten haben.

Ein Grundstein der Einbeziehung ist durch die Schulsozialarbeit gelegt. Leider wird dieses Arbeitsfeld häufig als ein Hilfsarrangement für den reibungslosen Ablauf des Schulalltags gesehen, indem für schwierige Schüler ein Ansprechpartner vorhanden ist. Als wirkliche Zusammenarbeit im Sinne der Veränderung in Planung und Organisation von Schule, oder gar als Einmischung in Bildungspolitik wird diese Arbeit nicht verstanden.

Die klassische Sozialarbeit findet heute aber mehr denn je im Kontext der „Hilfen“ statt, das heißt, sie ist permanent auf Defizite ausgerichtet. Oft kommt die Arbeit von Sozialarbeitern einer Feuerwehrfunktion gleich, d.h. sie müssen das in den Brunnen gefallene Kind vor dem Ertrinken retten. Sozialarbeiter/ Sozialpädagogen wünschen sich die Chance, die Kinder im Vorfeld das Schwimmen lehren zu können. Doch angesichts knapper Haushaltskassen geraten präventive Maßnahmen im Rahmen des SGB VIII immer mehr aus dem Blick zu bewilligender Jugendhilfemaßnahmen.

Einmischung in die Bildungspolitik – hier könnte und müsste Sozialarbeit ein neues Feld eröffnen, welches zu bearbeiten für die Zukunft unserer „digitalen“ Arbeitsgesellschaft unerlässlich ist. Sie könnte agieren statt immer nur auf die Auswirkungen negativer gesellschaftlicher Bedingungen reagieren zu müssen.

Einmischung in Bildungsaufgaben bedeutet aber auch die Forderung nach einer sich verändernden Schule, die zugunsten einer interdisziplinären Zusammenarbeit ihre Selbstreflexivität aufgeben muss.

Als Antwort auf heutige Bedingungen wird Bildungspolitik nicht umhin kommen Programme zu erstellen, die sozialwissenschaftliche im gleichen Maß wie erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse einbeziehen und bei deren Umsetzung die Disziplinen gemeinschaftlich die Verantwortung übernehmen müssen. Allein in einer solchen interdisziplinären Zusammenarbeit liegen Erfolg versprechende Möglichkeiten für die Bewältigung der Zukunft unserer Gesellschaft.

Das Erkennen der Bedeutung des Pädagogischen Raumes für die Förderung des Lern- und Sozialverhaltens von Schülern ist ein Schritt auf dem Weg dieser Zusammenarbeit. Hier wäre eine fruchtbringende Zusammenarbeit von Architektur, Pädagogik, Psychologie und Soziologie wünschenswert.

II Die Rolle der Bildung und Erziehung in Deutschland

Das Interesse der Verfasserin an der Rolle von Bildung und Erziehung in unserem Land ist, wie einleitend schon erwähnt, der besonderen Brisanz der Bildungssituation geschuldet, in welcher das Thema der Raumgestaltung scheinbar eine untergeordnete Rolle einnimmt.

1 Arbeitsgesellschaft und Pädagogik

Auf das grundsätzliche Dilemma der heutigen Pädagogik wird sehr deutlich von Lothar Böhnisch und Wolfgang Schröer in ihrem Buch „Pädagogik und Arbeitsgesellschaft“ eingegangen. Die Kluft zwischen dem immer stärker globalisierten Kapitalismus mit seinen Forderungen und Chancen und einer Erziehung und Bildung, die sich nach wie vor in der Illusion einer relativen Autonomie wähnt, wird immer größer. Da die Ausführungen dieses Buches für das bessere Verständnis der gegenwärtigen Situation der Pädagogik sehr aufschlussreich sind, seien daraus einige Gedanken aufgegriffen.

Bildung und Erziehung, so Böhnisch; Schröer (2001) haben ihre Aufgabe immer dahingehend verstanden, das Humankapital der Gesellschaft optimal auf die Anforderungen der Arbeitsgesellschaft vorzubereiten. Dabei entwickelten sie sich zu großen gesellschaftlichen Subsystemen, die im Laufe der Zeit eine relative Autonomie durch wissenschaftliche Durchdringung der Gesetzmäßigkeiten erlangt haben. Die Arbeitsgesellschaft benötigte in der Vergangenheit immer hoch qualifiziertes Personal. Die Pädagogik hielt Schritt, indem sie Gesetzmäßigkeiten erziehungswissenschaftlich erschloss und zu einem eigenständigen wissenschaftlichen System ausbaute, das einen bedeutenden Platz in der Gesellschaft einnahm. (vgl. ebenda S.9).

Aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts stammt eine pädagogische Profilierung und Reflexivität, die sich den Herausforderungen aus der Spannung zwischen Selbstwerdung des Menschen und arbeitsgesellschaftlicher Zurichtung stellte. Später, etwa im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, kam eine „sozialisatorische Reflexivität“ hinzu, die die sozialen und kulturellen Komponenten der Erziehungsprozesse profilierte (ebenda).

Seinen Höhepunkt erfuhr das Zusammenspiel von ökonomisch- qualifikatorischer Ausschöpfung der Bildungsreserven und sozial-emanzipatorischer Ausrichtung der Bildung im Westdeutschland der 70-er Jahre. Der ökonomisch- soziale Ausgleich von Pädagogik und Arbeitsgesellschaft war gegeben. (ebenda S.10)

Böhnisch und Schröer sehen den heutigen digitalen Kapitalismus mit zunehmend globalisierter Struktur wie er immer neue Rationalisierungs- und Automatisierungsmöglichkeiten findet, um Massen von Menschen freizusetzen, die kaum Chancen der Wiedereingliederung erhalten. Die ökonomische Modernisierung eilt der sozialen Modernisierung unaufhaltsam davon. Die Bildungsaufforderung der Arbeitsgesellschaft ist nur noch ökonomisch, nicht mehr sozial und zunehmend auch individualisiert und privatisiert.

Dem ist die soziale Theorie der Pädagogik nicht gewachsen. Sie versteht sich nach wie vor als gesellschaftlich legitimiertes autonomes System und lebt ihre „Selbstreferenzialität“, aus der sie sich speist und mit der sie sich abgrenzt. Sie kann den Verlust der sozialen Modernisierungslogik zwar beklagen, aber doch nicht aufhalten. Die soziale Theorie der Pädagogik ist nach Böhnisch und Schröer in Frage gestellt (ebenda S.13).

Zunehmend fragen Jugendliche nach dem Sinn pädagogischer Anstrengung, wenn das Ziel, die Einbettung in die Arbeitsgesellschaft, nicht mehr für alle erreichbar ist. Höchste schulische Ergebnisse sind weiterhin die Voraussetzung für den Einstieg in das Erwerbsleben, aber nicht mehr die Garantie dafür. Welche Ziele kann die Pädagogik hier anbieten?

Eine neue wissenschaftliche Pädagogik hieße zunächst, ihre Selbstreferenzialität, also ihre bisherigen Wurzeln in Frage zu stellen. Die neue gesellschaftliche Realität setzt mehr und mehr Menschen frei, die diese Situation zu bewältigen haben. Will die Pädagogik auch dieser Realität der Arbeitsgesellschaft begegnen, muss sie hier anknüpfen. Sie muss die neuen sozialen Bewältigungsprobleme als Belastungen und Ressourcen für sich erschließen um daran anknüpfend ihre Lern- und Hilfsangebote zu gestalten (ebenda S.169).

Nach überwiegender Meinung der Forscher wird es entscheidend für die Zukunft sein, wie man sein Leben bewertet, über welche Bewältigungs- und Problemlösungsstrategien man verfügt und wie flexibel man für Neuanpassungen ist.

Noch versuchen Bildungsprogramme die neuen Flexibilitätsforderungen zu erfassen und einzubeziehen, indem sie die Fähigkeit des Selbstlernens fördern wollen, übersehen aber, dass auch schnellere Verfügbarkeit für einen zunehmenden Teil der Auszubildenden kein Schlüssel zum Einstieg in die Erwerbwelt wird. Sie unterstellen, dass es ein differenziertes Bildungssystem gibt, welches die sozialen Widersprüche in der digitalisierten kapitalistischen Gesellschaft lösen könnte. (vgl. BRAUN/ KRÜGER u.a.,1998 S. 21 ff) Das verhindert eine Kritik an dieser Gesellschaft und mündet in eine Forderung nach mehr Leistung, die die selbst bestimmten Schüler sicherlich erfüllen werden. Einerseits kann der Mensch nur dann flexibler sein, wenn er seine sozialen Bindungen gestalten kann, andererseits kann die Schule in der bisherigen Selbstreferenzialität sich nicht sozial öffnen, ohne die Konflikte der Sozialgesellschaft in ihre Sphären zu holen.

Damit sind aber Lehrer und Schüler überfordert. Schon heute muss ein großer Teil des Unterrichtens dem Schlichten sozialpädagogischer und disziplinarischer Probleme geopfert werden. (vgl. BAYERWALTES 2002)

Multipler sozialemotionaler Stress für Lehrer, Schüler und Eltern ist eine Folge der Spannung zwischen galoppierender Arbeitsgesellschaft und einer selbstreferenziellen Pädagogik, die meint, eine befriedigende Antwort auf alle Anforderungen dieser Gesellschaft finden zu können. (vgl. BÖHNISCH/ SCHRÖER 2001, S.178). Auf die spezielle Situation der Lehrer soll im Kapitel 3.3 noch näher eingegangen werden.

2 Die Umbruchsituation der Schule in Deutschland

Um die besondere Situation besser zu verstehen, in der sich die deutsche Bildungspolitik gegenwärtig befindet, ist es sinnvoll, sich mit den jüngsten Entwicklungen vertraut zu machen. Nicht zuletzt haben diese Entwicklungen auch zur Wahl des Themas dieser Arbeit beigetragen.

Durch die internationalen Vergleichsuntersuchungen in den letzten Jahren steht auch das deutsche Bildungswesen wieder im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Seit dem Sommer 2000 gibt es die PISA Studien. Diese weltweit größten Schülertests werden mit dem Ziel durchgeführt, vergleichbare Daten über die Leistungsfähigkeit der Bildungssysteme der einzelnen Staaten zu liefern. (vgl. Learn:line NRW – Infosite, Okt.04) In Deutschland werden dazu 57.000 Schüler an 1500 Schulen geprüft. (vgl. OECD-Studien, PISA- und IGLU- Studie, Okt.04, S.1)

Zum Erschrecken der Deutschen stellte die erste Veröffentlichung im Dezember 2001 heraus, dass Deutschland in der Lesekompetenz der 15-jährigen erst an 27. Stelle von 32 teilnehmenden Industrienationen stand.

Seit diesem Schock besonders auch für die Kultusminister haben sich viele Politiker, Minister und Verbände geäußert und Reformen vorgeschlagen. Aber voreilige Schlüsse treffen nicht den Kern des Problems. (vgl. Elternverein Nordrhein-Westfalen, Okt. 2004). Der „PISA – Schock“ sitzt tief. Spätestens seit Veröffentlichung der Ergebnisse der PISA- Studie ist klar, dass die gegenwärtige Pädagogik in Deutschland trotz hoher Leistungsanforderungen nicht zu den gewünschten Resultaten führt. (Siehe Anlage 9) „Woran liegt das?“, wird überall gefragt. Die Vermutung liegt nahe, dass ein „Mehr“ an Leistung und eine Aufblähung der Bildungsprogramme nicht der richtige Weg ist. Umso befremdlicher mutet daher die Berliner Rede des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog noch im November 1997 an mit seinem Aufruf zu einem „Ruck“: „Es gibt keine Bildungspolitik ohne Anstrengung,“ sagte er, „wer die Noten aus den Schulen verbannt, schafft Kuschelecken, aber keine Bildungseinrichtungen, die auf das nächste Jahrtausend vorbereiten“. Am Vortag hatte er in einem Interview bereits das Ziel der Anstrengung vorgegeben: „Wir müssen wieder das beste Bildungssystem der Welt bekommen. “ (zit. nach BAYERWALTES 2002, S. 137 )

Neben PISA gibt es seit 2001 auch die Internationale Grundschul- Lese- Untersuchung (IGLU). Hier geht es speziell um die Lesekompetenz von Viertklässlern am Ende der Grundschulzeit.

Aber in allen diesen internationalen Vergleichen schneidet Deutschland regelmäßig unterdurchschnittlich ab. Gründe gibt es viele. Die Wogen schlagen hoch. In einem Artikel zum „PISA“-Schock stellt Lüpke (2002) fest, dass das Konzept „Nachhaltigkeit“ den Pädagogen doch schon seit der UNO Konferenz 1992 in Rio de Janeiro Jahren bekannt sein müsste. Er schreibt in der Zeitschrift „Natur und Kosmos“: „Wer der nachwachsenden Generation Berge von Wissen unter Zeit- und Leistungsdruck eintrichtern will, scheitert zwangsläufig. Anstatt die Kinder zu befähigen, die Probleme der Zukunft zu lösen, produzieren deutsche Schulen Bildungskrüppel, die weder Schulwissen noch die Welt begreifen. Sie lernen nicht fürs Leben, sondern nur für gute Noten – und vergessen postwendend, was ihnen beigebracht wurde. Die Noten, welche die (OECD-) Studie unserem Bildungssystem gab, waren daher katastrophal.“ (ebenda S. 24).

Der Verfasserin scheint auffällig, dass in all den Bildungsstudien um ein vergleichbares Leistungsniveau in keiner Darstellung soziale Kompetenzen untersucht werden.

Im Zusammenhang mit der vorliegenden Arbeit ist es besonders wichtig, den Stellenwert von Elementar- und Primarbereich der Bildung in Deutschland zu benennen. Zu oft wird im Zusammenhang mit Bildung sofort von Sekundar-II- und Tertiärbereich gesprochen. Bisher wurde „das Ziel der Grundschule (...) hauptsächlich darin gesehen, den Schülern die Grundlage für eine weiterführende Bildung zu vermitteln.“ (Schuster, 2004, S. 1) Demgegenüber steht die Forderung Haarmanns (1999) „Die Grundschule nicht als Zulieferschule zu verstehen, da sie einen eigenständigen Bildungsauftrag hat.“ (ebenda S. 22, 23; siehe auch Kapitel 3.1).

In allerjüngster Zeit scheint sich aber auch hier ein neuer Trend abzuzeichnen. Die neue Studie „Bildung neu denken! Das Finanzkonzept“, die am 27. Oktober 2004 in Berlin vorgestellt wurde, fordert die Bundesregierung auf, 34 Milliarden Euro mehr (das sind 30% mehr als heute) für Bildung auszugeben. (vgl. HARMSEN, 2004, S. 15). Interessanterweise soll dabei die größte Investition (12,97 Milliarden Euro mehr) in die Grundschule (Primarschule) gehen. Bisher „liegt Deutschland weiterhin unter dem internationalen Durchschnitt“. (BMBF / KMK 2004, S. 11)

Dabei kommt auch das Konzept der Ganztagsschulen in die Diskussion. „Der Staat soll seine Verantwortung künftig vor allem auf eine qualitativ hohe Grundbildung im Alter von vier bis 14 Jahren konzentrieren.“ (HARMSEN, 2004, S. 15)

In einem „Spiegel spezial“ - Interview äußert der Koordinator der PISA Studie, Andreas Schleicher, zur Zukunftsfähigkeit des deutschen Schulwesens: „Die Ganztagsschule ist eine notwendige Voraussetzung für ein erfolgreicheres Schulsystem. In den meisten Staaten mit guten Pisa- Ergebnissen ist sie selbstverständlich. (...) Außerdem hat man erkannt, wie wichtig es ist, einen klaren Bildungsauftrag für die Elementarbildung zu schaffen. (...) Vor Jahren hieß es noch: Der Kindergarten hat doch nichts mit Bildung zu tun.“ (SPIEGEL, 2004, S. 12, 13).

Das Konzept der Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern ist im Rahmen dieser Arbeit insofern interessant, als dass damit auch das Raumkonzept in Grundschulen eine neue Dimension erlangt.

Von der Senatsverwaltung Berlin für Bildung, Jugend und Sport ist dazu zu lesen: „Der Ausbau von Ganztagsangeboten mit ihrem Integrationskonzept von Bildung, Erziehung und Betreuung wird vorangetrieben: In Berlin werden mindestens 30 Ganztagsgrundschulen eingerichtet; die Früh- und Spätbetreuung wird gesichert. Die ‚verlässliche Halbtagsgrundschule’ soll bis zum Ende der Legislaturperiode eingeführt sein und mit den ergänzenden Angeboten des Offenen Ganztagsbetriebes und außerschulischen Angeboten zu einer gesamtstädtischen Angebotsstruktur führen. (...) Diese landeseigene Zielsetzung stimmt überein mit bundesweiten Entwicklungen zum Ausbau von Ganztagsschulen.“ (Gesamtkonzept für die Ganztagsbetreuung, 2004, S.2). Der Vorsitzende des Ganztagsschulverbands Stefan Appel befürchtet, „dass viele Schulen sich nun zu Verwahranstalten mit Suppenausgaben entwickeln könnten. Zudem lasse sich schwer kontrollieren, was Rektoren mit dem Fördergeld anstellten. ‚Niemand kann sicher sein, ob sie es für neue Ganztagsprojekte verwenden oder einfach nur die marode Turnhalle sanieren, die ohnehin dran gewesen wäre.’“ (zit. nach SPIEGEL special 2004, S. 7).

Interessanterweise kommt in den Diskussionen um neue Ganztagsschulen das Thema Raumgestaltung fast nicht vor. Hier sieht die Verfasserin der vorliegenden Arbeit mit einigem Befremden, dass eine große Gelegenheit versäumt wird, die Chancen des Neuaufbruchs in der Grundschule auch für die Umsetzung von Raumkonzepten zu nutzen.

Das Anliegen dieser Arbeit bekommt durch die aktuelle Situation der Grundschule in Deutschland eine neue, zur Diskussion herausfordernde Brisanz.

Zusammenfassend ergeben sich aus Sicht der Verfasserin folgende Schwerpunkte, die für die Zukunft von Bildung in unserem Land von Bedeutung sind und das Thema dieser Arbeit in einen zukunftsgerichteten Bildungskontext stellen.

- Bildung und Erziehung müssen heute ganzheitlich, d.h. in einem umfassenden Sinne verstanden werden. Bildung ist z.B. auch die Interaktion von Kindern an informellen Plätzen. Wenn Bildung so verstanden, wird hat die Sozialpädagogik einen neuen Stellenwert im Bildungskontext.
- Eine Schule mit Zukunft muss sich sozialräumlich öffnen. Der Sozialraum ist hypothetisch vielleicht mehr pädagogischer Raum als die Schule. Dem steht allerdings die zukünftig stärkere Institutionalisierung durch die flächendeckende Einführung der Ganztagsschulen gegenüber. Hier gilt es Verbindungen zu schaffen. Insofern hat auch der physikalisch-materielle Raum eine erhebliche Bedeutung.
- Schule steht im Kontext globaler und gesellschaftlicher Entwicklung, sie kann aus sich heraus, ohne die Bedingungen der Gesellschaft einzubeziehen keine Persönlichkeiten bilden
- Die Bildungsperspektiven des 21. Jahrhunderts müssen vordergründig Bewältigungsdimensionen haben. Bildung und Erziehung müssen ein Stück Lebens-(krisen-) Bewältigung ermöglichen. Lehrer dürfen nicht mehr in erster Linie nur Lehrstoff vermitteln, d.h. sie sollten nicht ausschließlich berufsfixiert lehren.
- Bewältigung von Leben in einer unüberschaubaren pluralistischen, krisengeschüttelten und orientierungslosen Gesellschaft verlangt unterschiedliche Angebote von Bewältigungsstrategien. Eine nicht zu unterschätzende Grundlage bietet aus Sicht der Verfasserin die Gestalt des materiellen Raumes.

III Der soziologische Kontext als bedeutender Aspekt der Entwicklung

Im vergangenen Kapitel wurde eine kurze Beschreibung der Rahmenbedingungen der Gesellschaft und Kultur unseres Landes im Hinblick auf die Bildung und Erziehung gegeben.

In diesem Kapitel soll es um soziologische Phänomene unserer modernen bzw. postmodernen[1] Gesellschaft gehen, in der sich kindliche Entwicklung in Abhängigkeit pluraler Einflüsse vollzieht. Soll die Bedeutung des Themas erfasst werden, scheint es der Verfasserin unerlässlich, diese Einflüsse zu benennen, in die Schule als Bildungsinstitution wie auch Sozialpädagogik mit ihrem Auftrag eingebettet sind.

Verständlicherweise können in diesem Rahmen weder der Gesellschaftsbegriff, noch andere soziologische Termini zufrieden stellend beschrieben werden, aber es soll der „Raum“ in dem Entwicklung stattfindet, von dem sie abhängig ist, in Ausschnitten fokussiert werden.

Die Bedingungen für Sozialisation, Erziehung und Bildung sind offensichtlich vom sozialen Wandel der Gesellschaft unmittelbar betroffen. Die Erwerbsarbeit wird wie oben angedeutet immer knapper. Böhnisch und Schröer (2001) stellen unmissverständlich klar, in welcher Krise sich ein Bildungssystem befindet, in dem Motivation und Ziel des Lernens, nämlich später gute Berufschancen zu haben, mehr und mehr wegbrechen. (vgl. ebenda S.164 ff) Die veränderten Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt führen in der Verbindung mit den neuen Bildungsprozessen zu Einbrüchen in den „Normalbiografien“, so Hanna Kieper. (vgl. KIEPER, PAUL 1998, S. 43)

Heutige Kinder erleben die Tätigkeiten, die Arbeit der Eltern nicht mehr so unmittelbar wie die Kinder vergangener Generationen. Der Wert von Arbeit wird am finanziellen Gewinn gemessen. (ebenda) Neben der Veränderung auf dem Arbeitsmarkt sind eine Reihe anderer Veränderungen für die soziale Struktur der Gesellschaft ausschlaggebend.

1 Die kindliche Sozialisation in der Individualgesellschaft

1.1 Begriffsklärung

Die Individualisierung ist ein entscheidendes Merkmal der Moderne. Schon zu Beginn der Industrialisierung, als Erbe der Aufklärung, wurde durch die erweiterte Arbeitsteilung eine daraus folgende Schwächung sozialer Bande erkannt. Klassische Soziologen wie G. Simmel, E. Durckheim, M. Weber sprechen von einer ersten Phase des Individualisierungsprozesses. Seit dem Ende der 50er Jahre kann mit A. Giddens und U. Beck von einer „Radikalisierung und Universalisierung“ dieses Prozesses gesprochen werden. In allen modernen demokratischen Gesellschaften sind gleiche Merkmale zu verzeichnen, welche hier kurz benannt werden:

- Zunehmende Pluralisierung von Lebensstilen
- Zerfall traditionaler Bindungen
- Zwang zur reflexiven Lebensführung
- Steigerung der Bildung
- Sinn- und Identitätsfindung als individuelle Leistung
- Zunahme ökonomisch und utilitaristisch geprägter Beziehungen[2] einerseits
- Konzept der romantischen Liebe andererseits

(vgl. Studienportal: www.fernuni-hagen.de/ksw, 8.10.2004; www.matheboard.de/lexikon, 8.10.2004)

Der Begriff Sozialisation kommt aus dem Lateinischen und bedeutet verbinden, vereinigen. (vgl. SCHAUB; ZENKE 2002, S. 519)

Nach Geulen und Hurrelmann (1980) wird Sozialisation als ein „Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und materiellen Umwelt“ (ebenda S. 51) bezeichnet. Hurrelmann sieht mit anderen Sozialisationstheoretikern den „Menschen als sich entwickelndes, autonomes Subjekt (...), das seiner selbst mächtig und in schöpferisch tätiger Auseinandersetzung mit der Welt Ausgangspunkt von Aktivität und Geschichte ist.“ (zit. nach NISSEN 1998, S. 22)

Der Sozialisationsprozess erfolgt lebenslang in Abhängigkeit von der Kultur, der Gesellschaft, welche die Bedürfnisse des in ihr lebenden Menschen reguliert. Durch die unterschiedlichen Instanzen erlernt der Mensch anerkannte Kriterien, Verhaltensmuster und Einstellungen, die ihn prägen. „Aufgrund dieser vielfältigen Erfahrungen und Lernprozesse wird das Individuum zum Mitträger einer Kultur, so dass das alltägliche Verhalten für die meisten Lebenssituationen im Einzelnen überwiegend sozial programmiert ist.

Dies stabilisiert Individuum und Gesellschaft und sichert außerdem Kommunikation und Kontinuität. Das Individuum wird zur soziokulturellen Persönlichkeit.

Die Sozialpsychologen sprechen von der Internalisierung einer Kultur.“ (SCHAUB; ZENKE 2002, S. 519)

Durch die Entwicklung einer inneren Spontaneität und Anregungen von außen erwirbt das Kind die Fähigkeit zu urteilen und sein Verhalten an dem der Umwelt zu reflektieren Es macht sich Erwartungen bewusst und trifft Entscheidungen.

Nach und nach entwickelt es Möglichkeiten für sein Leben, ein Lebenskonzept. „Im Sozialisationsprozess ist das Individuum folglich nicht Objekt der

soziokulturellen Beeinflussungen, vielmehr ist es von Anbeginn an der Gestaltung seiner soziokulturellen Persönlichkeit beteiligt.“ (SCHAUB; ZENKE 2002, S. 520)

Die komprimierten Ereignisse als Bedingungen kindlicher Sozialisation beschreiben Hanna Kieper und Annegret Paul (1998) wie folgt: „Die Lebenswirklichkeit von Kindern ist heute in vielen Bereichen wirtschaftlich überformt. Die Sozialisation von Kindern ist auch von wirtschaftlichen Bedingungsfaktoren bestimmt. (...) Kindheit ist ein Teil des chronologisierten, lebenslaufbezogenen Integrationsmodus in modernen Gesellschaften, in denen die Individuen einem verzeitlichten, standardisierten Lebenslaufregime unterliegen.“ (ebenda S. 43)

1.2 Sozialisationsinstanzen

Um den Sozialisationsprozess in seinen verschiedenen Ebenen zu verdeutlichen soll die Ordnung und Erweiterung der unterschiedlichen Sozialisationsinstanzen in Anlehnung an den Lebenslauf nach dem Muster konzentrischer Kreise[3] graphisch dargestellt beschrieben werden. (vgl. SCHAUB; ZENKE 2002, S. 520)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

ABBILDUNG 1 (Eigenerstellung, Steffens 2004)

Die wirkungsvollste Sozialisationsinstanz ist die Familie. Bronfenbrenner (1993) sieht durch sie die nachhaltigsten Entwicklungschancen für ein Kind gegeben. (vgl. ebenda, S. 75) (siehe Anlage 1)

Die sekundären Sozialisationsinstanzen gewinnen während der Schulzeit zusammen mit der Teilnahme an Veranstaltungen der Vereine, Kirchen u.a. Institutionen zunehmend an Bedeutung. Die Erziehung und Bildung verstehen Sozialwissenschaftler nach Schaub und Zenke als „absichtlichen, formalisierten und kontrollierten Teilprozess der Sozialisation“. (SCHAUB; ZENKE 2002, S. 519-520)

Durch alle Sozialisationsinstanzen machen die Heranwachsenden Erfahrungen, die ihre soziokulturelle Persönlichkeit lebenslang beeinflussen. Auf die Aneignung des Lebensraumes Schule als Sozialisationsinstanz wird a.a.O. noch näher eingegangen.

An dieser Stelle soll der Einfluss einiger herausragender soziologischer Faktoren auf den Sozialisationsprozess betrachtet werden, zunächst der schichtenspezifische Aspekt der kindlichen Sozialisation.

2 Die Problematik der sozialen Schicht

Als Schicht wird eine Gruppe in der Gesellschaft bezeichnet, die sich durch gemeinsame Merkmale wie Schulabschluss, Ausbildung, Beruf, Einkommen auszeichnet und von anderen unterscheidet. Von der Auswahl dieser Merkmale hängt die Zuweisung des Einzelnen zu der jeweiligen Schicht ab. (vgl. SCHAUB; ZENKE 2002, S. 468)

Zwischen Sozialisationsprozessen, Familienerziehung, Schullaufbahn und Berufschancen der Kinder einerseits und ihrer Zugehörigkeit zu einer Schicht andererseits bestehen deutliche Zusammenhänge.“ (ebenda) Festmachen lässt sie sich an der „unterschiedlichen sozialen, intellektuellen und materiellen Ausstattung von Kindheit, an den Rollen und Normen, die erlernt werden, an den Investitionen in die Zukunft der Kinder sowie an den Lebensplänen, die Eltern für ihre Kinder entwerfen.“

(ebenda)

Als Paradigma der schichtspezifischen Sozialisationsforschung bezeichnet Bertram das folgende Mehrebenenmodell.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

ABBILDUNG 2 (vgl. BERTRAM 1978, S. 218)

In diesem Schema werden vier unterschiedlich hierarchisch angeordnete Ebenen beschrieben. Es eröffnet die Möglichkeit, einer interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Soziologie, Psychologie und Pädagogik. Die Frage nach der sozialen Ungleichheit wird verknüpft mit individual- und sozialpsychologischen Aussagen über den Erziehungsprozess in der Familie, ohne dass eine Disziplin die andere dominiert. (ebenda) Die Schichtung beeinflusst den Sozialcharakter der Familie, der wiederum vom beruflichen Status abhängig die Erziehung und damit die Sozialisation des Kindes beeinflusst. Diese wirkt sich auf den Schulerfolg genauso aus wie die Begabung und die Kontakte des Kindes zu Gleichaltrigen. Rolff (1972) betont, dass das schulische Wertesystem stärker mit den Einstellungen und Verhaltensweisen der Mittel- und Oberschicht übereinstimmt, sodass die Kinder aus der Unterschicht es besonders schwer haben, einen guten Schulerfolg zu erreichen. (zit. nach BERTRAM 1978)

3 Die neue Armut

Ein herausragendes Kriterium für den Sozialisationsprozess ist die Armut. Das Erscheinungsbild und die Ursachen von Armut sind vielfältig. Die Forschung über Auswirkungen der Armut steht in der Bundesrepublik Deutschland erst am Anfang, es herrscht bisher nicht einmal Konsens über den Armutsbegriff. (vgl. HANESCH 2001, S. 81 ff)

Leider lässt sich Armut immer nur relativ beschreiben, ist im pädagogischen Wörterbuch nachzulesen. Sie stellt in jedem Fall eine Benachteiligung einzelner gegenüber den Lebensbedingungen der Masse dar.

In Deutschland gilt als arm, wer Sozialhilfe bezieht (das trifft auf rund 3% der Bevölkerung zu) oder maximal die Hälfte des durchschnittlichen Pro- Kopf-Einkommens erreicht (etwa 10% der Bevölkerung). Bei Kindern und Jugendlichen bis zum Alter von 17 Jahren liegen die Anteile wesentlich höher: 9% sind Empfänger von Sozialhilfe und 16% erreichen die Hälfte des nach einem bestimmten Schlüssel errechneten Durchschnittseinkommens für diese Altersgruppe nicht.“ (vgl. SCHAUB; ZENKE 2002, S. 177) Auch hier ist der Armutsbegriff nur an das Einkommen, an die Ressourcenausstattung gebunden. Einer Betrachtung der gesamten Lebenslage, einmal in ihrer tatsächlichen materiellen Unterversorgung und zum anderen in ihrer psychosozialen Benachteiligung in der jeweiligen zeitlichen Dimension, gelten unterschiedliche Forschungsansätze. Der Begriff „Neue Armut“ thematisiert seit den 80er Jahren den Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und Armut. (vgl. HANESCH 2001, S. 82, 83)

Durch Untersuchungen in Amerika stellt Bronfenbrenner (1993) Armut als hohen Risikofaktor für die kindliche Entwicklung dar. Kinder aus armen Verhältnissen können ihr Potential nicht entfalten, „werden sich selbst zur Last und kein Gewinn für die Gesellschaft.“ (ebenda, S. 75)

Es wird deutlich, dass Armut also ein Problem für die Entwicklung von Kindern ist. Kinder aus armen Familien haben häufig weniger Möglichkeiten der Befriedigung ihrer Bedürfnisse, die sich aber an den Möglichkeiten anderer, finanziell gut gestellter Familien orientieren. Starke Einschränkungen vermindern die Lebensqualität der Kinder in hohem Maße, sodass oft eine Abnahme der Aktivitäten und Motivation im schulischen wie im Freizeitbereich zu verzeichnen ist. Armutsfamilien haben einen hohen Anteil an sozialpädagogischen Betreuungen.

Ein näheres Eingehen auf das Thema Armut wäre von erheblichem Interesse für die Beschreibung kindlicher Sozialisationsmöglichkeiten in unserem Land, muss aber in diesem Rahmen vernachlässigt werden.

4 Die Kindheit im Wandel

Weitere Aspekte für die Kindheit der Moderne bzw. Postmoderne liegen im so genannten Wandel der Kindheit. Der Fokus gilt hier besonders dem Stadtkind. Jahrzehntelang konnte die kindliche Lebenswelt als relativ konstant angesehen werden. Seit etwa 25 Jahren hat die „veränderte Kindheit“[4] das verstärkte Interesse von Pädagogen und Sozialwissenschaftlern gefunden. Es hat den Anschein, dass die tiefgreifenden Veränderungen der kindlichen Lebenswelt dringend wissenschaftlich reflektiert werden müssen, sollen Schulkinder von heute verstanden werden. (vgl. FÖLLING- ALBERS 1999, S. 34) Ariès stellt in seinem Buch „Geschichte der Kindheit“ die These auf, „Kindheit und Jugend (...) seien Produkte eines ganz spezifischen sozialgeschichtlichen Veränderungsprozesses seit Beginn der Neuzeit.[5] (zit. nach ebenda)

In den beiden o.g. Einflüssen, Schichtung und Armut, auf die kindliche Sozialisation sind gleichsam auch Aspekte für eine veränderte Rolle der Kindheit benannt. Immer mehr, so Kieper und Paul gleicht sich schulische Lernarbeit an die Erwerbsarbeit an. Die Lernzeit dehnt sich immer mehr aus. Die Kindheit ist nicht mehr klar getrennt vom Erwachsenenleben, sie wird „einstrukturiert“, geht fließend in die Jugendphase über. (vgl. KIEPER; PAUL 1999, S. 46- 49)

Individuelle Biografieverläufe werden heute deutlich intensiver als noch vor wenigen Jahrzehnten von der Bildung bestimmt. Qualifizierungsmaßnahmen, die allerorts verlangt werden, sowie die hohe Wertigkeit von Abschlüssen implizieren ein Lernen, das nicht mehr nur auf die Kindheit und Jugend beschränkt ist. Eltern lernen häufig parallel zu ihren Kindern. Früher klar definierte Grenzen zwischen den Generationen verschieben sich damit.

Einerseits nähern sich Kinder damit eher den Erwachsenen an, andererseits verbringen sie mehr denn je ein Leben in speziell für sie geschaffenen Räumen unter Gleichaltrigen. Die Kindheit heute bezeichnen Kieper und Paul (1999) als „Risikokindheit“. Sie endet häufig schon mit elf Jahren, wird verstärkt durch Umweltkrisen und Instabilität des Lebenslaufs belastet. Kinder erhalten einen permanenten Einblick in die Welt der Erwachsenen, werden durch die Medien mit Informationen gesellschaftlicher Phänomene wie Krieg, Gewalt, Sex, Kriminalität usw. konfrontiert. (vgl. ebenda, S. 46- 49)

In den 80er Jahren spricht N. Postmann vom „Verschwinden der Kindheit“ durch den Einfluss der Medien. Davon ist heute nicht mehr die Rede, so U. Nissen, aber der Begriff „Medienkindheit“ bezeugt den überragenden Einfluss der Medien auf die kindliche Sozialisation. (zit. nach ebenda)

Wissenschaftler sehen eine Gefährdung der Qualität Kindheit durch die ständige Präsenz des Fernsehens und anderer Medien. Die elektronischen Medien bestimmen trotz ihrer Augenfälligkeit nur einen Teil der vielschichtigen Veränderungen aller Lebensbereiche der Kinder. (vgl. FÖLLING- ALBERS 1999, S.35)

Maria Fölling- Albers beschreibt exemplarisch fünf Themenbereiche welche für diese Veränderungen von hoher Relevanz sind und die den Wandel der Kindheit noch einmal explizit verdeutlichen.

4.1 Wandel der Familie

Die familiale Lebenswelt der Moderne verändert sich analog zum gesellschaftlichen Wandel. Es kann mit Schefhold von einem neuen Paradigma der familialen Lebensformen gesprochen werden, welche der gesellschaftlichen Individualisierung und Pluralisierung geschuldet ist. Die Familie wird deshalb nicht „aufgelöst“, sondern hat sich in ihrer Struktur verändert. (vgl. SCHEFHOLD 2001, S. 1126)

Die Anzahl junger Familien mit Kindern schwindet durch lange Ausbildungszeiten und veränderte Rollen besonders der Frauen. Biographisch spätere Familiengründungen sind ein Grund für den Geburtenrückgang. Der Rückgang der Geburtenrate zeigt u. a. deutlich, welche Ansprüche, vielleicht auch Ängste, z.B. in Bezug auf die wirtschaftliche Situation einer Familie maßgebend sind. Nach Bertram haben nur noch 8-12% aller Haushalte in großen Städten zwei oder mehr Kinder. (vgl. FÖLLING- ALBERS 1999, S.35) Geschwisterkinder sind also durchaus keine Selbstverständlichkeit mehr. Ein weiterer entscheidender Wandel der Familie liegt in der Zunahme der so genannten „Eineltern- Familien“, die, durchaus keine homogene Struktur aufweisen. Es gibt den hohen Anteil der Scheidung- und Trennungskinder. Die Kinder, die bei Ledigen aufwachsen, sind meist auch Einzelkinder (88% lediger Mütter haben nur ein Kind!). Jedes sechste Kind wuchs 1991 mit nur einem Elternteil auf. Auch wenn die Vorurteile gegen Alleinerziehende in den letzten 20 Jahren abgebaut wurden, bestehen rechtliche und finanzielle Benachteiligungen nach wie vor. Nur 20% der Alleinerziehenden verfügen über ein gesichertes Einkommen verfügen. (vgl. FRISÉ 1993, S. 110)

Reinhart Lempp postuliert wie Bronfenbrenner eine „dritte Instanz[6] (ebenda, S. 75) gerade für Einzelkinder von Alleinerziehenden. Die Gefahr einer zu engen, ungesunden Bindung des einen Elternteils an das Kind erschwert die Entwicklung erheblich. „Kinder brauchen nicht nur einen einzigen Menschen, mit dem sie sich identifizieren können.“ sagt Professor Lempp in einem Interview. (zit. nach ebenda, S. 112)

Eine Familienkonstellation mit Eltern und vielen Kindern, manchmal auch noch den Großeltern, findet sich heute nur noch in Ausnahmen. Aber auch die übliche Kleinfamilie (Mutter, Vater Kind(er) ist vielfältigen Konstellationen gewichen. Trennungen und Wiederverheiratungen, manchmal mehrfach, „produzieren“ Stieffamilien oder so genannte „Patchworkfamilien“.

Als letzten Punkt der familialen Veränderungen spricht Fölling- Albers (1999) die Erwerbstätigkeit der Mütter an, die eine institutionelle Betreuung der Kinder

erforderlich macht. Damit einher geht die veränderte Rolle der Frau und Mutter in unserer individualisierten, pluralistischen Welt, auf die an dieser Stelle jedoch nicht weiter eingegangen werden soll. (vgl. ebenda S. 37)

4.2 Das Spiel und Freizeitverhalten

Die veränderte Umwelt wirkt sich auf das Spiel- und Freizeitverhalten der Kinder und damit prägend auf ihre Entwicklung aus. Die urbane, moderne Umwelt mit separierten Plätzen für Kinder, der sich ständig erhöhende Straßenverkehr, die Ausgliederung handwerklicher Bereiche an die Stadtränder mit einer Konzentration von Gewerbeflächen und viele andere Aspekte moderner Stadt- aber auch Landgestaltung verdrängen die Kinder aus den Straßen und führen zur „Verhäuslichung“ und zu einer „Verinselung“ der kindlichen Lebenswelt[7]. Die Verhäuslichung beschreibt Nissen analog zur Verinselung. Zinnecker spricht von der „verhäuslichten Kindheit“, die die „Straßenkindheit“ (ZINNECKER 2001, S. 36) weitgehend abgelöst hat. Sie ist mit dem Geburtenrückgang ebenfalls der Individualisierung geschuldet. Die Kinder treffen sich weniger selbstverständlich auf der Straße, um sich dort unter Gleichaltrigen zu sozialisieren, wie es zu Beginn des 20. Jahrhunderts zumindest für die Kinder der städtischen Arbeiterfamilien und teilweise auch der kleinbürgerlichen Familien normal war. Ohne Vorgaben, nach eigenen Regeln, konnten die Kinder spielen und entdecken. Sie forderten sich selbst heraus, benötigten Kreativität und gewannen Handlungsperspektiven waren für ihre Zukunft die nicht selten politischer Art. (vgl. ZINNECKER 2001, S. 36 und NISSEN 1998, S. 164)[8]

Fanden sich früher die Freundschaften hauptsächlich unorganisiert in der Nachbarschaft, werden sie heute, wie in der Erwachsenenwelt, eher organisiert und „interessengeleitet“ gepflegt. Die Freizeit ist in einem Terminkalender geplant durch feste Verbindlichkeiten (Anmeldung, Kosten) und natürliche spontane Spiele werden seltener. In eigens für sie geschaffenen Treffpunkten und Räumen können heutige Kinder ihren Kameraden meist nur begegnen, wenn dies von Erwachsenen organisiert wird, denn die kommerziellen und pädagogischen Angebote finden nicht mehr in der unmittelbaren Wohnumgebung statt. Sie sind über den urbanen Raum verteilt, eben wie Inseln. (vgl. NISSEN 1998, S. 166 ff)

Allerdings hat der öffentliche Raum (z.B. Straße)auch heute noch eine Bedeutung bei der Sozialisation von Kindern aus unteren sozialen Schichten, besonders von Jungen. (vgl. NISSEN in: Handbuch Deutsches Jugendinstitut 1993, S. 241-246)

Auf den Lebensraum der Kinder als pädagogischen Raum wird im Kap. VI noch ausführlich eingegangen.

Diese eher institutionalisierten Begegnungsorte oder Lernorte neben der Schule[9] (z.B. Musik, Sport, Theater) der Kinder sind „Inseln“, welche meist nur in Abhängigkeit von den Erwachsenen „bereist“ werden. Fölling- Albers spricht auch von einer „Angebotskultur“, die ausgesprochen abhängig ist vom Status der Eltern und damit eine Chancenungleichheit aufbaut. (vgl. FÖLLING- ALBERS 1999, S.36)

4.3 Die multimediale Gesellschaft

Ein entscheidender Aspekt der veränderten kindlichen Lebenswelt liegt, wie oben erwähnt, in unserer Mediengesellschaft. Fölling- Albers (1999) stützt sich auf Untersuchungen des Dortmunder Instituts für Schulentwicklungsforschung, wenn sie den zahlenmäßig auffallend hohen Besitz unterschiedlichster elektronischer Medien bei Kindern beschreibt. Schon kleine Kinder wachsen mit täglichem Fernsehen auf, welches nicht selten Erziehungsaufgaben übernehmen muss (Ruhigstellen, Belohnung usw.) Die Vielschichtigkeit der Auswirkungen des Fernsehkonsums kann nicht im Einzelnen dargelegt werden, jedoch ist auch hier eine schichtspezifische Abhängigkeit zu vermerken. Kinder aus Unterschichten sehen in der Regel weit mehr und undifferenzierter fern als Kinder aus gehobeneren sozialen Schichten, die das Fernsehen öfter als Informationsquelle benutzen. (vgl. FÖLLING- ALBERS 1999, S.39) Einen zunehmend hohen Stellenwert nimmt der Computer mit seinen Spielmöglichkeiten ein. Auch hier werden die Kinder eher zu Konsumenten, auf jeden Fall aber nicht zu sozial Agierenden. Nicht selten ersetzt er die Spielgefährten, beeinflusst damit in hohem Maße die Herausbildung sozialer Kompetenzen negativ. Darauf wir noch a.a.O. eingegangen.

4.4 Normen und Werte

Eine weitere Veränderung zeigt sich an den heutigen Normen in der Erziehung. Die Ziele sind verändert und der Umgang mit den Kindern ist liberaler geworden. Werte wie z.B. Gehorsam, Mut und Zurückhaltung sind zugunsten des Selbstbewusstseins, der Kreativität und der Selbstständigkeit gewichen. Von Erziehung zur Beziehung, vom Gehorchen zum Verhandeln, so zitiert Fölling-Albers Zinnecker und Büchner (1983). Dem autoritären Erziehungsstil ist ein partnerschaftlicher gegenübergestellt. Trotz des Eingehens auf die jeweiligen kindlichen Bedürfnisse erwarten Eltern gesellschaftlich konformes Verhalten von ihren Kindern. Die Erwartungen haben sich nur verlagert von Wohlverhalten zu hohen Lernerfolgen, die durch Einsicht und Vernunft erreicht werden sollen. (vgl. FÖLLING- ALBERS 1999, S. 40,41)

4.5 Die multikulturelle Gesellschaft

Als letzten Grund der veränderten kindlichen Lebenswelt nennt Fölling-Albers die multikulturelle Gesellschaft als Alltag auch in unseren Schulen: „ Das Zusammenleben mit verschiedenen Kulturen, Religionen und Rassen stellt besonders hohe Ansprüche an Toleranz und Verständnis. Toleranz und Verständnis kann man nicht verordnen. Sie müssen gelebt und erfahren werden. Das erfordert Geduld, Zeit, Ruhe und Empathie. Stress und Leistungsdruck wirken diesen Ansprüchen entgegen.“ (FÖLLING- ALBERS 1999, S. 42)

5 Zusammenfassung

Eine besondere Bedeutung für die Pädagogik hat das Wissen um die Wechselwirkungen von Gesellschaft und Individuum. Die Struktur einer Gesellschaft ist permanenten Veränderungen unterworfen. Mit der schwindenden Erwerbsarbeit wandelt sich neben den sozialen Verhältnissen auch die Rolle von Bildung. Soziologische Theorien über den Einfluss bestimmter Strukturen der Gesellschaft auf den Erziehungs- und Bildungsprozess müssen verstanden und berücksichtigt werden, um Kinder in ihrer Entwicklung positiv unterstützen zu können. Die Kindheit hat sich gewandelt. Es besteht ein sehr widersprüchliches Verhältnis zur Erwachsenenwelt. Einerseits sind sie

„ausgegliedert“ aus dem Erfahrungsraum der Erwachsenen in eigene für sie geschaffene Räume unter Gleichaltrigen, andererseits werden sie durch die Medien massiv mit ihm konfrontiert. Häufig sind Kinder mit der Informationsflut überfordert.

Die Medien nehmen in der „gewandelten Kindheit“ eine überdimensionale, problematische Rolle ein. Viele für die Sozialisation wichtige Erfahrungen werden nicht mehr unmittelbar sondern „aus zweiter Hand“ vermittelt. (siehe auch Kap. IV, 2)

Die Verhäuslichung und Verinselung der Kindheit sind Merkmale einer „Institutionalisierung“ von Kindheit und äußern sich zum einen in Rückzug in private Räume, zum anderen in speziell betreute institutionalisierte Freizeiträume. Damit kommt dem „Lernort Straße“ mit seiner Selbstregulation eine eher untergeordnete Rolle zu.

Auf Grund zunehmender Differenzierungsprozesse in unserer pluralistischen, multikulturellen und medialen Industriegesellschaft und auf Grund zunehmender Individualisierungsprozesse haben Kinder Anforderungen zu erfüllen, die ihnen eine schöpferische Auseinandersetzung mit der Umwelt abverlangen. Damit der Sozialisationsprozess gelingen kann, in welchem Kinder zu einem autonomen und aktiven Selbst gelangen, ist zu erkunden, welche „gegenströmlichen“ Interventionen sinnvoll sind, um ein Gleichgewicht zwischen persönlichen, individuellen und gemeinschaftlich lebenserhaltenden Interessen herzustellen.

IV Psychologische Grundlagen für die Entwicklung des Lern- und Sozialverhaltens von Kindern

In diesem Kapitel geht es um einige theoretischen Grundlagen, welche für das Lern- und Sozialverhalten von Kindern Relevanz haben. Das Wissen um die psychologischen Phänomene der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes ist für jeden pädagogischen Prozess unerlässlich. Die Auswahl und Gewichtung der zu beschreibenden Hintergründe richtet sich nach den von der Verfasserin als bedeutend empfundenen Bereichen im Fokus dieses Themas und erhebt keinesfalls Anspruch auf Vollständigkeit.

1 Die Entwicklung des Kindes bis zum 12. Lebensjahr

Entwicklung ist ein vielseitiger und kontinuierlicher Prozess. Es kann festgestellt werden, das es im Leben des Menschen bestimmte Entwicklungsschritte gibt, die allmählich und kontinuierlich vorbereitet in einem bestimmten Moment erreicht werden und selbst wiederum Voraussetzung für neue Entwicklungsetappen sind.

Mit den Phänomenen menschlicher Entwicklung beschäftigt sich die Entwicklungspsychologie. Sie ist ein Teilgebiet der Psychologie, in dessen Rahmen die individuelle Entwicklung des Menschen als Folge von Veränderungen erforscht, beschrieben und erklärt wird. Sie führt durch den menschlichen Lebenslauf (vgl. OERTER; MONTADA 2002)

1.1 Allgemeine Erklärungen für Entwicklung

Im psychologischen Wörterbuch findet sich u.a. folgende Definition für den Begriff Entwicklung:

Der psychologische Entwicklungsbegriff umfaßt neben den biogenetisch bedingten körperlichen Veränderungen alle Bedingungen und inneren Vorgänge, die dem Erleben, Erkennen und Verhalten aufgrund von Prozessen der kognitiven Organisation und Steuerung im Sinne der Selbstregulation wachsende Differenzierung und Komplexität sowie eine, einzelne Funktionen übergreifende, hierarchische Integration verleihen. Entwicklung gilt als eine geordnete, zeitlich gerichtete Veränderungsfolge, die sich durch den Ablauf irreversibler Schritte, sog. Entwicklungsphasen, -stufen oder -stadien näher charakterisieren läßt. Entwicklung vollzieht sich im Bezugssystem von Interaktionen zwischen endogenen und exogenen Bedingungen; betrachtet man die postnatale Entwicklung als lebenslangen Prozeß, so nimmt die Bedeutung exogener Bedingungen dabei beständig zu ( Sozialisation).“ (SCHAUB; ZENKE 2002, S. 155)

Bei der Beschreibung menschlicher Entwicklung wird einmal nach Lebensperioden, zum anderen nach Funktionsbereichen gegliedert.

Die hier von Oerter (2002) grob eingeteilten Perioden zur Analyse des menschlichen Verhaltens sind:

- Säuglingsalter (Geburt bis erstes Lebensjahr)
- Kindesalter (frühes: erstes bis sechstes Lebensjahr; mittleres: sechstes bis zehntes Lebensjahr und spätes: zehntes bis zwölftes Lebensjahr)
- Jugendalter oder Adoleszenz (zwölftes bis einundzwanzigstes Lebensjahr; häufig auch unterteilt in Vor- und Nachpubertät)
- Erwachsenenalter (21. bis zum 65. Lebensjahr)
- Alter

(vgl. ebenda S. 209 ff)

Die Funktionsbereiche von Entwicklung wirken eng zusammen und bedingen sich gegenseitig. Sie sind im biologischen, psychologischen, sozialen und geistigen Bereich festzumachen.

Oerter (2002) beschreibt die einzelnen Funktionsbereiche explizit:

- geistige Entwicklung (Denken, Begriffsbildung logisches Operieren, Gedächtnisprozesse)
- Sprachentwicklung
- Entwicklung der Motivation und Handlungssteuerung
- Entwicklung moralischer Urteilsfähigkeit und Aufbau von Werterhaltung

(ebenda)

Von Relevanz für diese Arbeit sind besonders die Phasen der mittleren und späten Kindheit. Die Art der Bewältigung des Säuglingsalters und der frühen Kindheit wirkt sich erheblich auf die weitere Entwicklung des Menschen aus.

Über eine stufenförmige Entwicklung sind sich bedeutende Entwicklungspsychologen wie Freud, Kohlberg, Erikson und Piaget einig, doch der Gegenstand ihrer Untersuchungen ist unterschiedlich. Manche Entwicklungspsychologen untersuchen die Entwicklung einzelner Prozesse (z.B. Kognition), andere schauen auf die gesamte Persönlichkeit in den verschiedenen Lebensabschnitten. Herausragende Bedeutung für diesen Kontext haben die kognitiven Theorien nach Piaget und Kohlberg und der neuere psychoanalytische Ansatz einer psychosozialen Entwicklung nach Erikson.

Bevor jedoch diese Erklärungsmodelle näher erläutert werden sollen zunächst allgemeine Kennzeichen der Entwicklung nach TRAUTNER (1978) aufgeführt werden.

- Wachstum sowohl im Sinne körperlicher Veränderungen als auch der Zunahme von Wissen und Können und der Ausgliederung von Gefühlen, Motiven und Handlungsmöglichkeiten
- Reifung als Ergebnis der endogenen Entwicklungskontrolle einerseits, als Verbesserung und Differenzierung der Möglichkeiten zur Verarbeitung, Bewertung und Nutzung von Erfahrungen im sozialen Feld andererseits
- die wachsende Bereitschaft, durch Erfahrung, Übung und Beobachtung zu lernen und aus dem Gelernten eigenständige Pläne zu entwickeln und
- Spielregeln und abstrakte Normen bzw. Werte der umgebenden Gruppe bzw. Gesellschaft zu übernehmen und kritisch zu reflektieren (Sozialisation).

(zit. nach FRÖHLICH, S. 156 ff.)

Die biogenetische Entwicklungstheorie, deren Vertreter in der Entwicklung einen vorprogrammierten Prozess der Entfaltung, der sich in Analogie zu körperlichen Reifungs- und Wachstumsprozessen vollzieht, sehen, gibt immer wieder Anlass zu der so genannten Erbe-Umwelt-Kontroverse. Zimbardo (1995) beschreibt erbliche Strukturen als „obere Grenze der Entwicklung“; wie weit ein Mensch an diese Grenze herangelangt, ist von seinen Erfahrungen in der Umwelt abhängig: „Fast jede komplexe Handlung kommt sowohl durch ererbte biologische Einflüsse als auch durch die Erfahrungen der Person, d.h. durch das, was sie gelernt hat, zustande. Erbe und Umwelt stehen in ständiger Interaktion, wobei sie sich in ihrem Einfluß auf die Entwicklung gegenseitig sowohl fördern als auch beschränken.“ (ebenda, S. 65)

Von Oerter (2002) und anderen wird die Auffassung vertreten, dass alterstypische Merkmale nicht mehr zwangsläufig in Erscheinung treten müssen, sie sind das Ergebnis vorangegangener Einflüsse und Ursachen. Damit beschreibt Oerter die menschliche Entwicklung als einen Prozess mit nahezu unendlichen Freiheitsgraden, als komplexes Geflecht von Ursache und Wirkungszusammenhängen. Die Faktoren, die sie beeinflussen sind:

- die Grundausstattung des Menschen (Vererbung)
- das soziale Milieu (auch die Erziehung)
- die ökonomischen gesellschaftlichen Bedingungen
- die Zeit, in der man lebt
- der Kulturkreis
- von außen einfallende Ereignisse (z.B. traumatische oder andere Krisen)
- das gewählte Lebensziel, Lebenskonzept

(vgl. OERTER 2002, S. 209 ff)

Können kleinere Kinder denn ein solches Lebenskonzept besitzen? Für Oerter verfügen Kinder „schon im ausgehenden Vorschulalter über ein differenziertes Selbstkonzept, das mit zunehmendem Alter immer realistischer wird.“ (ebenda S. 217) Bei den 5-8 jährigen sind Komponenten eines stabilen Selbstkonzeptes:

- Selbstwahrnehmung körperlicher Fähigkeiten, körperliche Geschicklichkeit, Interesse an Sport und Spiel
- Wahrnehmung und Bewertung der eigenen Erscheinung (Attraktivität)
- Selbsteinschätzung der Schulfähigkeit in einzelnen Schulfächern, Interesse und Freude an Schulfächern
- Einschätzung der eigenen Effektivität und Tüchtigkeit, des Selbstvertrauens und der Selbsterhaltung
- Selbsteinschätzung den Beziehungen Gleichaltrigen gegenüber (Beliebtheit, wie leicht kann es Freundschaften schließen)

(ebenda, S. 216)

Eine Betrachtung der Gesetzmäßigkeiten sozialer und emotionaler Entwicklung d.h. wie Kinder Beziehungen zu anderen eingehen können, ist unerlässlich für jedwede pädagogische Arbeit. Wie der kindliche Sozialisationsprozess abläuft, lässt sich am Verhalten der Bezugspersonen mit den Kindern, an ihrer emotionalen Bindung, am Erziehungsstil der Eltern festmachen.

Für die Entwicklungsaufgaben während der familiären frühkindlichen Sozialisation beschreiben Clausen (1968) und Zimbardo die Ziele und Aktivität der Eltern.[10]

Nach Zimbardo (1995) ist es „insgesamt das Anliegen der Eltern, den Kindern eine optimale Entwicklung zu ermöglichen, so dass sie zu lebenstüchtigen Erwachsenen heranwachsen (...). In den westlichen Industriegesellschaften gehört die Fähigkeit, stabile und intime Beziehungen zu anderen aufzubauen, zu den erstrebenswerten Verhaltensweisen eines normalen Erwachsenen (Maccoby & Martin 1983).“ (ebenda, S. 81)

Im Folgenden stützt sich die Verfasserin hauptsächlich auf zwei Theoretiker aus der Entwicklungspsychologie, die wohl als bedeutendste Entwicklungspsychologen unseres Jahrhunderts angesehen werden können. Für die analytische Psychologie wird Erik Erikson, für die kognitive Psychologie Jean Piaget vorrangig betrachtet.

1.2 Entwicklungstheorien

1.2.1 Aspekte der psychoanalytischen Theorie

Nach Siegmund Freud entwickelt sich die Persönlichkeit im Spannungsfeld genetisch bedingter Triebansprüche und äußerer Bedingungen der Befriedigung psychosexueller Triebe (Libido). Seine Annahme der Entwicklung in einer Phasenfolge bezieht sich auf die Körperzonen, welche im Verlauf des biogenetischen Reifungsprozesses vorherrschend sind. Das Durchlaufen der oralen, analen, phallischen, Latenz- und genitalen Phase ist nicht unumstößlich festgelegt. Einzelne Phasen können durch Versagen wieder relevant werden und einen Rückfall in frühere Entwicklungsphasen hervorrufen (Regression). Das Ziel Freuds war ursprünglich, Störungen (z.B. Angst- und Zwangsneurosen) bei Erwachsenen auf den Verlauf der (Trieb-) Entwicklung im Kindesalter zurückzuführen. (zit. nach ZIMBARDO 1995, S. 89 und SCHAUB; ZENKE 2002, S. 156 ff)

[...]


[1] Die Moderne begann mit der Zeit der Industrialisierung und der französischen Revolution. Die Industriegesellschaft, die weitgehend von einer Dienstleistungsgesellschaft abgelöst wurde, wird als postmodern bezeichnet.

[2] Selbstverständlich beziehen sich diese Merkmale nicht nur auf private, partnerschaftliche Beziehungen.

[3] In den 50er Jahren hat Elisabeth Pfeil dargestellt, wie Kinder sich ihre räumliche Umwelt als einen Prozess der fortschreitenden Ausdehnung aneignen. (vgl. NISSEN 1998, S. 167)

[4] Im Handbuch „Was für Kinder – Aufwachsen in Deutschland“ herausgegeben vom Deutschen Jugendinstitut 1993, nehmen unterschiedlichste Autoren dazu Stellung.

[5] Nach ihm gibt es die Kindheit als eigenständige Lebensphase, die von Spielen und Lernen geprägt ist erst seit dem 18. Jahrhundert, noch im Mittelalter waren Kinder einfach kleine Erwachsene. (vgl. NISSEN 1998, S. 165)

[6] Mit „dritter Instanz“ meint Bronfenbrenner eine verlässliche dritte Person neben Mutter und Kind, die nicht zwingend von anderem Geschlecht sein muss, die aber den Erziehungsprozess unterstützt. Zum Gelingen eines gesunden Bindungsprozesses ist diese Instanz unverzichtbar.(vgl. FRISÉ 1993, S. 75)

[7] Den Begriff „verinselte Kindheit“ prägte Helga Zeiher als Gegenmodell zum „einheitlichen Lebensraum“ welchen sich Kinder, nach Elisabeth Pfeil, in konzentrischen Kreisen nach und nach erschließen. Dies mag in den 50er Jahren noch Relevanz gehabt haben, bietet aber für das 21. Jahrhundert keine reale Sozialisationsmöglichkeit mehr.(vgl. NISSEN 1998, S.167)

[8] Zu fragen wäre an dieser Stelle, warum die heutigen Straßenkinder, die Jugendhilfe von ihren informellen Plätzen eher in geordnete institutionelle Räume eingliedern will, erfahrungsgemäß nicht diese positiven Lebensimpulse besitzen, sondern eher gelangweilt, destruktiv oder deviant erlebt werden. Darauf wird a.a.O. einzugehen sein.

[9] Der „halböffentliche Raum“ Schule als Sozialisationsinstanz wird im Kapitel IV ausführlich beschrieben.

[10] Eine tabellarische Übersicht der Aufgaben frühkindlicher familiärer Sozialisation findet sich bei Zimbardo 1995, S. 81; siehe Anlage 12

Ende der Leseprobe aus 174 Seiten

Details

Titel
Räume machen Schule
Untertitel
Die Bedeutung konzeptioneller Raumgestaltung zur Förderung des Lern- und Sozialverhaltens an Grundschulen
Hochschule
Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
174
Katalognummer
V37648
ISBN (eBook)
9783638369312
Dateigröße
2697 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Räume, Schule
Arbeit zitieren
Renata Steffens (Autor:in), 2004, Räume machen Schule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/37648

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