Die Geschichte der Bibelkritik. Von der altlateinischen Zeit bis zur Bibelkritik heute


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

19 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


1
1. Einleitung
Die Bibel ist kein wirklich junges literarisches Werk. Über die Jahrtausende wurden
ihre Texte auf verschiedenste Materialien kopiert, es gibt keine Textsammlung auf der
Welt, die
,,so oft vervielfältigt, übersetzt und mit solchem Interesse gelesen worden ist
wie das NT
"
1
. So mag es sicherlich nicht verwundern, dass es
,,einen fast unglaublichen
Reichtum von Abweichungen unter den einzelnen Handschriften
"
2
gibt. Und genau hier
setzt die Bibelkritik ein. Während der ganzen Geschichte des Umgangs mit den
biblischen Werken gab es verschiedenste Personen, die versucht haben die Texte
kritisch zu bearbeiten um so dem Chaos etwas Herr zu werden. Der Weg der Geschichte
der Bibelkritik soll nun nachgegangen werden, soweit es möglich ist in diesem Rahmen.
Es dürfte klar sein,
,,daß Lachmann nicht ohne die jahrhundertelangen Bemühungen der
Theologen um die Edition biblischer Texte zu verstehen ist
"
3
, weshalb es wichtig ist die
Geschichte der Bibelkritik wenigstens etwas zu kennen und ihre früheren Methoden
kennenzulernen, sind es doch diese Methoden, die später Lachmann als Grundlage für
die Erarbeitung seiner textkritischen Methoden heranziehen wird. Zwar wird er sie
verbessern und in einem ganzen Methodengebäude zusammenfügen, aber ohne die
Bibelkritik hätte Lachmann eine sehr wichtige Stütze gefehlt für seine Arbeit. Somit
kann ein Gang durch die Geschichte der Bibelkritik zu einem besseren Verständnis der
Arbeit Lachmanns führen. Es soll dabei die Kontinuität philologischer Bibelarbeit
aufgezeigt und verdeutlicht werden, deren Verlauf sich nahtlos mit dem Beginn der
textkritischen Arbeiten Lachmanns verbindet. Die Bibelkritik ist also ein wichtiges
Kapitel der Textkritik.
Somit soll zuerst ein Blick geworfen werden auf die altlateinische Zeit, der Zeit vor der
Vulgata. Nicht fehlen dürfen Hieronymus und die Vulgata, die zum absoluten
Standardtext werden sollte damals. Der Hauptfokus soll dann auf Erasmus und seinem
Textus receptus liegen, denn
,,die Phase der intensivsten Entwicklung auf dem Gebiete
der Bibelphilologie und der Bibelübersetzung liegt deutlich im ersten Drittel des 16.
Jahrhunderts
"
4
. Zum Abschluss gibt es einen kurzen Blick auf die Situation der
Bibelkritik heute.
1
Vogels 1923, 1
2
Vogels 1923, 1
3
Reinitzer 2003, 301
4
Holeczek 1975, 7

2
2. Die altlateinische Zeit
Wie schon weiter oben erwähnt ist die altlateinische Zeit die Zeit vor der Vulgata, eine
Zeit in der Unmengen an Abweichungen vorherrschen und es zwar einzelne
philologische Bemühungen gibt, aber noch keinen unumstößlichen Einheitstext für alle.
Insofern soll nur ein kleiner Blick auf diese Zeit geworfen werden, die jedoch auch
wichtige Vorbilder für spätere Bibelkritiker hervorgebracht hat und somit nicht ganz
unter den Tisch fallen kann.
Eines dieser Vorbilder ist
,,Origines aus Alexandria (später in Caesarea)"
5
, der vor allem
bekannt ist für
,,seine textkritische Arbeit am gesamten Alten Testament im
Hebräischen und in verschiedenen griechischen Übersetzungen
"
6
. Das Ziel des Origines
(185
­ 254) war dabei die ,,Aufklärung über Varianten in den griechischen
neutestamentlichen Handschriften
"
7
. Interessant an den Methoden des Origines ist, dass
sie
,,noch heute für jegliche textkritische Arbeit Gültigkeit"
8
besitzen. Dies erklärt auch,
weshalb Erasmus später bei seinen bibelkritischen Arbeiten teilweise die Kommentare
des Origines heranziehen wird. Es lässt sich somit sagen, dass Origines einer der
wichtigsten Bibelkritiker der altlateinischen Zeit war.
Bei seiner Arbeit ging er nicht anders vor als andere Textkritiker heutzutage. Zuerst
sammelte er verschiedene Handschriften, die für ihn zugänglich waren. Danach kam es
zur
,,Kollation und Feststellung ihrer Abweichungen untereinander"
9
und abschließend
ging es ihm darum die Ursachen der Abweichungen herauszuarbeiten, womit er sich
eine
,,Identifizierung von Fehlern"
10
erhoffte. Außerdem veränderte er so wenig wie
möglich am Text, er stellte die Fehler nur heraus, wobei zu erwähnen sei,
,,kleinere
Abweichungen wurden stillschweigend verbessert
"
11
.
Das Ergebnis seiner Arbeit hat Origines in Hexapla dargestellt, er hat also
,,sämtliche
ihm bekannten Textformen des AT, inklusive des hebräischen Originals und dessen
Text in Umschrift in sechs Spalten dokumentiert und die Abweichungen durch
textkritische Zeichen markiert
"
12
. Was Origines geleistet hat, erinnert schon sehr stark
5
Metzger 1966, 151
6
Metzger 1966, 151
7
Metzger 1966, 151
8
Heide 2006, 154
9
Heide 2006, 154
10
Heide 2006, 154
11
Heide 2006, 151
12
Heide 2006, 112

3
an moderne philologische Vorgehensweisen und man kann ihn als einen der wichtigsten
altlateinischen Vertreter der Bibelphilologie bezeichnen. Somit verdienen besonders die
Arbeiten des Origines besondere Erwähnung, wenn es um die bibelkritische Arbeit zur
Zeit der Altlateiner geht.
3. Hieronymus und die Vulgata
Den ersten wirklich großen Meilenstein in der Geschichte der Bibelkritik gibt es mit der
Arbeit von Hieronymus (347
­ 420), denn immerhin war er es, der zum ersten Mal
richtige Ordnung in das Chaos der voneinander abweichenden Handschriften gebracht
hat, was auch die immense Wirkung seines Werks verdeutlicht.
Da es in der altlateinischen Zeit relativ chaotisch zuging, wie schon weiter oben
erwähnt, herrschte vor und zu der Zeit von Hieronymus ein buntes Sammelsurium mehr
oder weniger stark voneinander abweichende Texte vor. Die vielen abweichenden Texte
wurden zwar geduldet, solange sie nicht den Sinn der Bibel verfälschten oder gar von
Häretikern missbraucht wurden, jedoch entstand mit der Zeit
,,das kirchliche
Bedürfnis
"
13
nach einer
,,Einheitlichkeit der Form"
14
. Es war für den Papst nicht mehr
tragbar, dass es so starke Abweichungen zwischen den Texten gab, die im Umlauf
waren zu dieser Zeit.
Diesem Handschriftenchaos sollte sich nun Hieronymus annehmen,
,,der theologische
Berater des Papstes Damasus in Bibelfragen
"
15
. Den Auftrag für einen einheitlichen
Text hat Hieronymus also ganz von oben erhalten, entsprechend erklärt sich auch,
weshalb er so gründlich an der Vulgata gearbeitet hat. Dabei war es so, dass
,,ihm
Arbeitsmaterial von einer Güte zur Verfügung stand, wie wir es nicht mehr besitzen
"
16
,
was sich etwa daran zeigt, dass
,,die Vulgata richtige Lesarten erhalten hat, die sich
sonst nirgendwo mehr finden oder wenigstens im Originaltext fehlen
"
17
.
Für das AT griff Hieronymus auf das hebräische Original zurück, er hat somit
,,das AT
nach dem masoretischen Text, dessen Existenz inzwischen auch schon aus
13
Vogels 1923, 116
14
Vogels 1923, 117
15
Vogels 1923, 116
16
Vogels 1928, 79
17
Harnack 1916, 129

4
vorchristlicher Zeit (Qumran) bekannt ist
"
18
revidiert. Die Arbeit am NT war jedoch
deutlich arbeitsintensiver, denn er wusste,
,,der einzig gangbare Weg, um der
Unsicherheit und jener Verwirrung in der lateinischen Überlieferung ein Ende zu
machen, war der, daß man auf den griechischen Text zurückgriff
"
19
.
Über seine genauen Methoden dabei ist nicht viel bekannt, jedoch zeigt sich, dass er
,,nicht zur ersten besten Hs"
20
gegriffen hat, denn
,,nur die beste Überlieferung ist ihm
gut genug
"
21
gewesen. Er hat somit die verschiedenen griechischen Handschriften erst
einmal gesichtet und, soweit es ihm mit seinen beschränkten Mitteln fähig war,
minderwertige Handschriften ausgesondert. Er dürfte dabei nach dem Prinzip
vorgegangen sein, dass die ältesten Handschriften die Besten sind, da er keine anderen
Methoden zum Erkennen minderwertiger Handschriften kannte. Bei der Wahl der
lateinischen Handschrift ist er weniger wählerisch, er nimmt einfach
,,einen der
umlaufenden Texte
"
22
um daraus mithilfe der griechischen Handschriften eine revidierte
Form des NT zu machen.
Damit beginnt die eigentliche Arbeit des Hieronymus, er fängt an den
,,lateinischen
Kodex mit einer griechischen Hs
"
23
zu vergleichen und hat dann überall
,,dort
emendiert, wo eine Abweichung vorlag
"
24
. Dies soll jedoch nicht heißen, dass er wild
alles verbessert hat, was ihm falsch vorkam. Sein oberstes Ziel war
,,unter möglichster
Schonung nur dort einzugreifen, wo eine Änderung geboten schien
"
25
. Bevor er etwas
änderte, machte er sich erst genau Gedanken darüber und warf bei Schwierigkeiten
einen Blick in andere Handschriften. Es war ihm auch äußerst wichtig
,,unter
weitgehender Schonung des Sprachkleides seiner lateinischen Vorlage deren Fehler
auszubessern
"
26
. Er wollte damit verhindern, dass es zu Uneinheitlichkeiten bei der
Sprachform kommt, damit er am Ende auch einen sauberen und gut lesbaren Text vor
sich hatte und keine Mischung verschiedener Sprachstile, immerhin sollte es ein
Einheitstext werden. Hieronymus ist äußerst gründlich bei seiner Arbeit gewesen,
,,selbst der Wortfolge schenkt Hieronymus so weitgehend Aufmerksamkeit, daß er an
18
Heide 2006, 182
19
Vogels 1928, 8-9
20
Vogels 1928, 68
21
Vogels 1928, 68
22
Vogels 1923, 117
23
Vogels 1928, 54
24
Vogels 1928, 54
25
Vogels 1923, 117
26
Vogels 1928, 9

5
Hunderten von Stellen ihr zuliebe eingreift
"
27
. Weiterhin fügte er auch
,,fehlende Wörter
und Sätze
"
28
ein, wenn er Lücken im lateinischen Text bemerkte. Aber genau so, wie er
Worte hinzufügte, entfernte er auch
,,fremde Zusätze"
29
und berichtigte
,,falsche
Übertragungen
"
30
. Somit lag ihm am Ende ein sehr gründlich überarbeitetes lateinisches
NT vor, welches mithilfe der griechischen Handschriften von allem bereinigt wurde,
was nicht hineingehörte, sei es dorthin gelangt aufgrund von Verschlimmbesserungen
von Abschreibern oder einfach weil diese unsauber gearbeitet haben. Betrachtet man
also das Vorgehen des Hieronymus, so lässt sich sagen, dass er methodisch so
vorgegangen ist, dass er erst die griechischen Handschriften verglichen hat, um die
bestmöglichen Texte zu finden. Diese für ihn bestmöglichen Handschriften hat er mit
einem zu seiner Zeit vorhandenen lateinischen Text verglichen und diesen so
umgearbeitet, dass er mit dem griechischen Text übereinstimmt, aber
,,sonst hat
Hieronymus am Sprachcharakter seiner Vorlage festgehalten und unter weitgehendster
Schonung des Überlieferten nur dort geändert, wo der Sinn des griechischen Originals
entstellt wiedergegeben war
"
31
.
Dass dies für Erasmus sichtlich viel Arbeit gewesen ist, dürfte deutlich geworden sein,
jedoch ist damit mit der Arbeit noch nicht Schluss gewesen, denn er wollte auch zeigen
,,welche Stücke den einzelnen Evangelisten gemeinsam und welche Sondergut seien"
32
.
Dies bedeutete für ihn noch einmal sehr viel textvergleichendes Arbeiten, aber er
erhoffte sich damit, die zu dieser Zeit vorherrschende Verwirrung bei den Evangelien
etwas zu entwirren. Deshalb stellte
,,er die bei den Griechen eingeführten
Eusebianischen Kanones seiner Arbeit
"
33
voran,
,,da sich mit Hilfe dieser praktischen
Tabellen das Gemeinsame wie das Sondergut der Evangelien leicht erkennen
"
34
lässt.
Ähnlich Origines verdeutlicht Hieronymus die Unterschiede indem er die Texte einfach
nebeneinander stellt, wodurch sich leicht sehen lässt, wo etwas fehlt oder etwas anders
ist. Diese Methode zum Vergleich von Texten hat sich seit der Zeit des Origines bis
heute nicht wirklich geändert.
27
Vogels 1928, 54
28
Vogels 1923, 118
29
Vogels 1923, 118
30
Vogels 1923, 118
31
Vogels 1923, 94
32
Vogels 1923, 117
33
Vogels 1928, 9
34
Vogels 1928, 9
Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Geschichte der Bibelkritik. Von der altlateinischen Zeit bis zur Bibelkritik heute
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Handschrift – Edition - Text: Zur Datengrundlage der Historischen Linguistik
Note
2,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
19
Katalognummer
V376224
ISBN (eBook)
9783668532717
ISBN (Buch)
9783668532724
Dateigröße
482 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hieronymus, Vulgata, Erasmus von Rotterdam, Textus receptus
Arbeit zitieren
Hannes Höbald (Autor:in), 2012, Die Geschichte der Bibelkritik. Von der altlateinischen Zeit bis zur Bibelkritik heute, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/376224

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