Zum Verhältnis von Wetter und Musik. Am Beispiel der "Xaversongs" im Rahmen des Orkans Xaver 2013


Hausarbeit (Hauptseminar), 2014

59 Seiten, Note: 1,0

Anonym (Autor:in)


Leseprobe


1 Einleitung
,,Atmosphäre ist ursprünglich ein meteorologischer Begriff und bezeichnet die
Totalität des Luftraums. Seit Jahrhunderten aber, und zwar in den meisten
europäischen Sprachen, bezeichnet dieser Ausdruck auch die emotionale Tönung
des Raumes beziehungsweise räumlicher Konstellationen. [...]Ich würde sagen,
dass Atmosphäre die Sphäre gespürter leiblicher Anwesenheit ist (Boehme 2006).
Gehen wir von diesem Begriff aus, dann kann er sowohl das Wetter als auch den
Gefühlsraum, in dem man sich befindet, bezeichnen."
1
Wie der Philosoph Gernot Böhme bereits andeutet, besteht ein enges Verhältnis
zwischen Atmosphäre und Wetter. Folgt man dem Musikwissenschaftler und
Philosophen Marcel Dobberstein, so habe gerade die Musik das Potenzial, auf
eine gefühlhafte Atmosphäre hinzudeuten, Erinnerungen an solche zu wecken und
somit Referenzbezüge vorzulegen.
2
Um eben diesen Referenzbezug soll es im
Folgenden gehen, wenn von Xaversongs die Rede ist. Xaver war ein Orkan, der
Anfang Dezember 2013 Nordeuropa traf und z.T. verheerende Schäden
anrichtete.
3
Die mediale Berichterstattung war- gerade auf den Social Media
Seiten- enorm. Die folgende Arbeit konzentriert sich auf die Thematisierung von
Xaver durch die hamburg.de Seite auf twitter.com und die zeitonline Seite auf
facebook.com.
4
Die hamburg.de Seite auf twitter begann damit ihre Follower
1
1
Böhme, Gernot: Wetter und Gefühle. In: Profile. Internationale Zeitschrift für Veränderung,
Lernen, Dialog 18, o.O. 2009, S. 23-31, hier: S.23.
2
Dobberstein, Marcel: Musik und Mensch: Grundlegung einer Anthropologie der Musik. Berlin
2000. S. 137.
3
Am 5.12.2013 erreichte der Orkan die deutsche Nordseeküste und wanderte am 7.12. als
schwaches Tief Richtung Ural ab. Schwere Schäden hinterließ er in Schottland, sowie an den
Küsten mit schweren Sturmfluten und starkem Schneefall im Binnenland. Trotz der
Vorsichtsmaßnahmen konnte nicht verhindert werden, dass es in Europa mindestens 11 Todesopfer
gab.
(N.N.: Orkan in der Ticker-NachleseElf Tote: "Xaver" hinterlässt Spur der Verwüstung.
URL:http://www.focus.de/panorama/wetter-aktuell/orkantief-im-live-ticker-elf-tote-xaver-
hinterlaesst-spur-der-verwuestung_id_3456501.html (19.01.2014).).
s. Abb. 1 im Anhang, VII.
Laut dem Onlineinformationsdienst für Schadensschätzungen bei Naturkatastrophen AIR
Worldwide liegen die versicherten Sachschäden in ganz Europa bei schätzungsweise 0,7 bis
1,4 Milliarden Euro (N.N.: Posting date 12/12/2013, 11:00:00 AM. URL: http://alert.air-
worldwide.com/EventSummary.aspx?e=726&tp=65&c=1 (19.01.2014).).
In Deutschland aufgekommene Schäden waren durch präzise Wettervorhersagen und den
Küstenschutz nicht so verheerend, wie zuvor befürchtet, sodass sich die Schäden laut
Rückversicherungsmakler Aon Benfield vorerst auf 100­200 Millionen Euro beziffern lassen (dpa:
ExpertenOrkan 'Xaver' kostet Versicherer in Deutschland bis zu 200 Millionen Euro. URL: http://
www.focus.de/finanzen/news/wirtschaftsticker/experten-orkan-xaver-kostet-versicherer-in-
deutschland-bis-zu-200-mio-euro_id_3474507.html (19.01.2014).).
4
Am 04.12.2013 war auf dem Twitteraccount von hamburg_de erstmals die Rede von Xaver. Am
05.12.2013 wurden Xaversongs von der zeitonline Seite auf facebook.com gesammelt. Um diese
Untersuchung einzugrenzen, orientiere ich mich an diesen Daten und beziehe mich in der
folgenden Untersuchung bei den Songs von hamburg.de auf den Zeitraum vom 04.12. bis zum
09.12.2013 und bei den Songs von zeitonline auf den 05.12.2013.

aufzufordern Songs, mit denen sie Xaver assoziieren zu posten. Die Seite
zeitonline auf facebook.de wiederum postete einen Screenshot davon und forderte
ebenfalls User auf Xaversongs zu posten.
5
Das Ergebnis ist eine sehr
umfangreiche Sammlung von Xaversongs ganz unterschiedlicher Art, sodass die
User durch das Posten einen Wetterbezug zu den Liedern haben entstehen lassen.
Musik bzw. die Songs sind hier als integrativer Bestandteil von Gesellschaft und
Kultur zu verstehen.
6
Das Forschungsinteresse dieser Untersuchung ist es
herauszufinden, welche Rolle Musik hier spielt, wie Xaver assoziiert ist bzw. ob
eine derartige Aussage überhaupt getroffen werden kann. Weiter soll geklärt
werden, ob sich Tendenzen abzeichnen und welche Funktion das Sammeln von
Songs hier einnimmt. Aspekte rund um das Thema Musik werden vielfach auch
außerhalb der klassischen Musikwissenschaften untersucht. So widmet sich die
volkskundliche Lied- und Musikforschung (insbesondere die Kommission zur
Erforschung musikalischer Volkskulturen und Kommission für Lied-, Musik- und
Tanzforschung ) u.a. der Rezeption des populären Liedes. Diese, sowie weitere
aus den Musikwissenschaften stammenden Ansätze werden im Lauf der Arbeit
aufgegriffen und diskutiert. Das Forschungsfeld Wetter wird von einer Vielzahl
Disziplinen, wie der Soziologie, Philosophie oder Literaturwissenschaft
untersucht. Für besonders relevante Beiträge sind hier Lars Clausen, Gernot
Böhme und Friedrich Christian Delius zu nennen, dessen Arbeiten an das hier
erhobenen Material geknüpft werden. Delius untersuchte anhand von Romanen
den Anteil des fiktiven Wetters und fragte nach seiner dortigen Funktion. Er stellte
fest, dass durch das Wetter in der epischen Fiktion eine relativ große Wirkung
erzielt wird. Wetter versteht Delius daher Kunstmittel und Ausdruck
gesellschaftsbedingter Denkweisen.
7
Die volkskundliche Wetterforschung
beinhaltet folgendes Verständnis: ,,Als ein unaufkündbarer Bestandteil der
Umwelt ist das Wetter Rahmen und Prägefaktor des Kulturverhaltens, als
Gegenstand unseres Bewußtseins und Handelns ist es Deutungs- und
2
5
siehe Abb.2 im Anhang, VII.
6
Vgl. Rösing, Helmut: Soundscape- Urbanität und Musik. In: Kaden, Christian/ Kalisch, Volker
(Hg.): Musik und Urbanität. Arbeitstagung der Fachgruppe Soziologie und Sozialgeschichte der
Musik in Schmöckwitz/ Berlin vom 26. bis 28. November 1999. Musik- Kultur. Eine
Schriftenreihe der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf, Band 9, Essen 2002, S. 24- 35, hier:
S. 25.
7
Delius, Friedrich Christian: Der Held und sein Wetter. Göttingen 2011 (zuerst 1970). S.13.

Bearbeitungsmaterie."
8
Wetter gilt als klassisches Gebiet der Volkskunde, welches
Aspekte wie populäre Wetterweisheiten und - prognostik, Wetterfrömmigkeit,
Geschichte und Organisation des Wetterwissens, Wetterbewußtsein, Bewältigung
des Wetters und die Analyse kultureller Interpretationen extremer Wetterereignisse
beinhaltet.
9
Zur Beantwortung der Untersuchungsfragen wird zunächst das Gesamtmaterial
vorgestellt, bevor exemplarisch für die sich daraus ergebenen Kategorien
qualitative Text- und Klanginterpretationen durchgeführt werden und das
Phänomen mit den relevanten Kontexten gedeutet wird. Theoretisch wird eine
Anlehnung an die Differenzierung zwischen den Emotionen der Musikrezeption
des Musikphilosophen Peter Kivy stattfinden.
3
8
Hartmann, Andreas: Wetter und Wahrheit. Volkskundliches zur Meteorologie. In: Becker,
Siegfried u. a. (Hg.): Volkskundliche Tableaus. Festschrift für Martin Scharfe. Münster 2001, S.
97-106, hier: S. 97.
9
Vgl. Hartmann 2001.
Vgl. Hirschfelder, Gunther: Extreme Wetterereignisse und Klimawandel als Perspektive
kulturwissenschaftlicher Forschung. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde, Band 112,
Wien 2009. S. 5-25.

2 Hauptteil
2.1 Xaversongs
Wie bereits angedeutet, kamen bei dem Sammeln von Xaversongs eine Vielzahl
von Liedern zusammen (88 insgesamt), die sowohl hinsichtlich der
Musikstilrichtung, als auch in Bezug auf die in den Songtexten behandelte
Thematik sehr heterogen sind. Dennoch zeichnen sich gewisse Tendenzen ab, die
eine induktive Kategoriendefinition ermöglichten und im Anschluss an die
Vorstellung des Gesamtmaterials anhand von vier Beispielsongs analysiert
werden.
Für das Forschen mit und Erforschen von neuen Medien wurde von diversen
Kulturanthropologen wie Stefan Beck bereits plädiert.
10
Dennoch ist das
Ethnografieren in und mit digitalen Medien ein noch immer neues Feld, welches
es mit diesem Beitrag zu erweitern gilt. Das Sammeln der Xaversongs wird hier
als kulturelle Praktik der online communities verstanden. So schreibt Alexander
Knorr in seinem Aufsatz über eine online community, dass in den Portalen ein
ganz eigener Habitus herrscht
11
, Lotte Nordhus versteht Online- Netzwerke sogar
als Erweiterung der alltäglichen Welt.
12
An diesen Ansätzen orientiert sich auch
dieser Beitrag. Nichtsdestotrotz bedarf die Arbeit mit dem hiesigen
Untersuchungsgegenstand einer Reflexion des Feldzugangs, der beim Forschen
im Internet kein klassischer ist und eine gewisse Anonymität der User
13
beinhaltet, da diese außerhalb ihrer geposteten Kommentare nicht zu Wort
kommen. Hier empfiehlt es sich, grundlegende Ansätze der historischen
Ethnografie, welche das Archiv als Wissensspeicher und kulturelles Gedächtnis
betrachtet, mitzudenken. Quellen werden hier als Momentaufnahmen betrachtet,
an die man die Frage stellen muss, an welche Praktiken ihre Aussagen gekoppelt
4
10
Vgl. Beck, Stefan: media.practices@culture. Perspektiven einer Kulturanthropologie der
Mediennutzung. In: Stefan Beck (Hg.): Technogene Nähe. Ethnographische Studien zur
Mediennutzung im Alltag. Ethnographische und ethnologische Studien 3, Münster u.a. 2000, S.
9-17.
11
Vgl. Knorr, Alexander: The online nomads of cyberia. Presentation given during the workshop
Understanding media practices at the 9th EASA Biennial Conference: Europe and the World,
18th-21st. September 2006, Bristol 2006.
12
Vgl. Nordhus, Lotte: Die Schweizer Minarett-Initiative im Spiegel von Facebook ­ Eine
Analyse der Diskussionen vor der Abstimmung 2009. O.O. 2012. In: Zurawski, Nils / Schmidt,
Jan-Hinrik / Stegbauer, Christian (Hrsg.): Phänomen ,,Facebook". Sonderausgabe von
kommunikation@gesellschaft, Jg. 13, Beitrag 5. Online-Publikation: URL:http://nbn-resolving.de/
nbn:de:0228-201213057 (25.02.2014).
13
Vgl. Sade-Beck, Liav: Internet Ethnography: Online and Offline. In: International Journal of
Qualitative Methods Volume 3 (2), o.O. 2004, S. 45-51.

sind und welche Formen ,,das Auftreten der Aussagen bestimmen und welche
gesellschaftlichen Bedingungen und Regime des Sagbaren dieses Auftreten
strukturieren und konstituieren."
14
Nicht außer Acht zu lassen ist hierbei, dass das
Arbeiten im Archiv ein Arbeiten mit ,,zufälligen wie sozial hergestellten
Fragmenten und Lücken"
15
ist.
Die umfassende Darstellung, welche Aspekte wie die Popularität miteinbeziehen
würde, übertrifft die Möglichkeiten dieser Studie. ,,Der Popularitätsgrad von
Musik lässt sich heute über Stil- und Genregrenzen hinweg angeblich direkt
messen. Die Zahl der verkauften Tonträger, die Sendehäufigkeit und die
Einschaltquoten bei Rundfunk und Fernsehen sowie Konzertbesucherzahlen
liefern einen relativ verlässlichen Eindruck von der Verbreitung verschiedener
Stücke und Stile. Bei einer solchen rein quantitativen Bestimmung von
musikalischer Popularität bleibt allerdings unklar, ob die Musik, die viel gekauft
und gesendet wird, tatsächlich eine bedeutende Rolle im Leben der Menschen
spielt."
16
Daher wurde eine Schwerpunktsetzung zugunsten der Aspekte
Veröffentlichungszeit, Musikstilrichtung, Thema des Songtextes und Wetterbezug
vorgenommen. Die Kategorisierung in die Veröffentlichungszeit ist hier von
Relevanz, um zum einen Tendenzen in Gesamtmaterial aufzuzeigen und zum
anderen zu schauen, ob die Veröffentlichungszeiten im Verhältnis zu ähnlichen
Wetterextremen stehen. Die Einordnung in Musikstilrichtungen erfolgt um zu
schauen, ob es sich hier um populäre Musik oder eher Randgenres handelt und um
festzustellen, wie heterogen/ homogen die Genres sind, und ob es ,,das Genre" für
Xaver gibt. Die Themen der Songtexte sind für den Wetter/Xaverbezug relevant
und zeigen weitere Assoziationen auf. Betrachtet man die Veröffentlichungen, so
fällt auf, dass die Entstehungszeiträume weit auseinanderliegen (1947-2013),
wobei die Mehrzahl der Lieder in den Jahren zwischen 2001- 2013 entstanden und
ein weiterer großer Teil 1981-2000 veröffentlicht wurde. In dem Zeitraum von
2001-2010 kamen vermehrt Wetterextreme wie Hurrikans, Taifuns, Wirbelstürme,
5
14
Imeri, Sabine, Franka Schneider (2013): Historische Ethnografie als reflexiver
Forschungsmodus. In: Reinhard Johler, Christian Marchetti, Bernhard Tschofen, Carmen Weith
(Hg.): Kultur_Kultur. Denken. Forschen. Darstellen. 38. Kongress der Deutschen Gesellschaft für
Volkskunde in Tübingen vom 21. bis 24. September 2011, New York, München, Berlin 2013,
S.
213-224, hier: S. 214.
15
Ebd. S. 220.
16
Pfleiderer, Martin: Rhythmus. Psychologische, theoretische und stilanalytische Aspekte
populärer Musik. Bielefeld 2006, S.8.

Hitzewellen, extreme Dürren und Hochwasser auf, sodass in dem Medien oft von
der Dekade der tödlichen Wetter- Extreme die Rede ist.
17
Bezug genommen wird
bei diesem Ausdruck auf die internationale Langzeitstudie von Wetterdiensten.
18
Ob ein Zusammenhang zwischen dem Entstehungszeitraum der Xaversongs und
den Wetterextremen besteht, kann in diesem Rahmen der Untersuchung nicht
geklärt werden, könnte jedoch als eine Fragestellung für eine weitere
Untersuchung dienen. Die große Mehrzahl der Songs sind englischsprachig,
knapp ein Viertel sind deutschsprachig. Hinsichtlich der Musikstilrichtungen fällt
auf, dass etwa die Hälfte der Lieder dem Genre Rock angehören (49%). Poplieder
sind am zweithäufigsten zu finden (17%) und am dritthäufigsten sind es Lieder
aus dem Genre Alternative (9%).
19
Musikstilrichtung
Häufigkeit
Rock
43
Pop
15
Alternative
8
R&B/ Soul
5
Blues
3
Electronic
3
Rock/ Pop
2
Hip Hop/ Rap
1
Jazz
1
Klassik
1
Metal
1
Dance
1
Weltmusik
1
Electronic/ Dance
1
Schlager
1
Funk/ Soul
1
6
17
Vgl. Burmeister, Thomas: 2001-2010 ­ Dekade der tödlichen Wetter-Extreme. In: Die Welt.
URL: http://www.welt.de/wissenschaft/umwelt/article117673940/2001-2010-Dekade-der-
toedlichen-Wetter-Extreme.html (02.03.2014).
18
Vgl. World meteorological organization: The global climate 2001­2010 a decade of climate
extremes summary report, WMO-No. 1119, 2013. URL: http://library.wmo.int/pmb_ged/
wmo_1119_en.pdf (02.03.2014).
19
Die Zuordnung der Lieder zu den Genres erfolgte durch die Musikstilzuschreibung des iTunes
Store.

Offen bleibt an dieser Stelle, wie sich dieses hohe Vertreten des Genres erklären
lässt und ob es als Charakteristikum ausgemacht werden kann, dass im Genre
Rock häufiger Wetter- Sturm- und/ oder Naturmetaphern verwendet werden. Die
kriminologische Sozialforscherin Juliane Klein konstatiert in ihrem Beitrag zur
Musikzensur in der DDR die Verwendung von Metaphern in ostdeutscher
Rockmusik als Charakteristikum, um politische Botschaften zu übermitteln.
20
Dieser Zugang (den Song in seinen historischen Kontext einzubetten und
herauszufinden, inwiefern die verwendeten Metaphern in einem evtl. politischen
Zusammenhang stehen) kann für eine weitere Untersuchung hilfreich sein.
Die Themen der Songtexte habe ich mir durch qualitative Textinterpretation
erschlossen und verschlagwortet. Ob ein Wetter/ Xaverbezug vorliegt habe ich
zum einen auf Basis der Songtexte und des Titels und zum anderen aufgrund der
Klänge (vornehmlich Geräusche, die Wetterereignisse sonifizieren) ausgemacht.
Bis auf zwei Songs hatten alle Lieder einen mehr oder weniger direkten
Wetterbezug, wie diese Übersicht zeigt:
Wetterbez
ug durch:
Kein
Wetter/
Xaverbez
ug
ersichtlich
bzw.
unklar
Wetter/
Xaverbez
ug durch
Titel
Wetter/
Xaverbez
ug durch
Songtext
Wetter/
Xaverbez
ug durch
Titel und
Songtext
Wetter/
Xaverbez
ug durch
Klänge
Wetter/
Xaverbez
ug durch
Klänge
(und Titel
und/oder
Songtext)
Anzahl der
Songs
2
6
7
64
3
6
Tendenzen
hinsichtlic
h
transportie
rter
Atmosphär
e
1 a)
Tendenzen
: Mystisch,
melancholi
sch,
negativ
=> 45
1 b)
Tendenzen
: fröhlich,
erleichtert,
positiv
=> 19
2 a)
Tendenzen
: Mystisch,
melancholi
sch,
negativ
=> 3
2 b)
Tendenzen
: fröhlich,
erleichtert,
positiv
=> 3
In %
2,3 %
6,8 %
7,9 %
72,7 %
3,4 %
6,8 %
7
20
Klein, Juliane: Musik unter staatlicher Kontrolle ­ Musikzensur in der DDR. URL: http://
criminologia.de/2013/07/musik-unter-staatlicher-kontrolle-musikzensur-in-der-ddr/(02.03.2014).

Die Mehrzahl der Songs erhält seinen Wetter/ Xaverbezug durch den Titel und
den Songtext und hier insbesondere durch metaphorische Verwendungen. An
zweiter Stelle stehen die Lieder, die ihren Bezug durch den Songtext haben und an
dritter Stelle sind die Lieder, die durch ihren Titel und/ oder Songtext und ihre
Klänge einen Wetter/ Xaverbezug haben. Basierend auf dieser
Häufigkeitsverteilung habe ich die folgenden zwei Hauptkategorien und vier
Unterkategorien entwickelt, welche sich auf die Lieder beziehen, die oben rot und
dunkelblau markiert sind:
1. Lieder mit Wetter/ Xaverbezug durch Titel und Songtext
1 a) Tendenzen hinsichtlich transportierter Atmosphäre: mystisch, melancholisch,
negativ
1 b) Tendenzen hinsichtlich transportierter Atmosphäre: fröhlich, erleichtert,
positiv
2. Lieder mit Wetter/ Xaverbezug durch Klänge (und Titel und/ oder Songtext)
2 a) Tendenzen: mystisch, melancholisch, negativ
2 b) Tendenzen: fröhlich, erleichtert, positiv.
Die Songtexte der Kategorie 1a) behandeln in den selteneren Fällen das reine
Naturereignis wie den Sturm, Wind oder Regen. Vielmehr werden durch die
Verwendung von Begriffen der Meteorologie und der Natur
21
Missstände,
Unzufriedenheit oder Negatives ausgedrückt. Der Musikwissenschaftler Helmut
Rösing definiert Musik als das Medium der Emotion.
22
In der Mehrzahl der Songs
ist Liebeskummer oder Verlangen das Thema. Das Aufkommen eines Sturmes
wird häufig mit dem Aufkommen einer Veränderung oder Revolution
thematisiert . Auch das Thema der Katastrophe und des Ausnahmezustandes wird
behandelt. Verzweiflung, die Sehnsucht nach etwas nicht Erfüllbarem,
Depressionen, Alleine- Sein, sowie Fragen an das Leben, die Empörung dem
Willen einer höheren Macht ausgesetzt zu sein, die Empörung über Fehlverhalten
oder Unrecht sind ebenso Leitmotive wie das Böse. Die in Kategorie 1b)
behandelten Themen drehen sich größtenteils um mehr oder weniger direkte
8
21
Ähnliches konstatiert Rösing für den Verlauf der abendländischen Musikgeschichte: Vgl. Rösing
2002, S.26.
22
Vgl. Rösing 2002, S.30.

Liebeserklärungen, Freiheit, Bereit-Sein, Dankbarkeit, Hoffnung, Rückkehr nach
emotional schwieriger Zeit, vergangenem Zustand der Welt und der Sehnsucht
nach Natur, sowie vereinzelt um Themen wie das Wirken eines Menschen auf sein
Umfeld, Alltag oder Regen. Hier scheint die Wettermetapher als Schritt für etwas
neues, positives verwendet zu werden. Bei Kategorie 2 wird der Wetterbezug
zusätzlich durch Klänge hergestellt, welche unterschiedliche Atmosphären
transportieren. Kategorie 2a) lässt durch unnatürliche, verstellte Stimmen und
Donner- oder Zerstörungsgeräusche eine mystische, betrübte Atmosphäre
entstehen. In der Kategorie 2b) sind die Melodien klarer erkennbar, die Stimmen
singen einheitlich und es werden hohe Töne von diversen Instrumenten
verwendet.
Auffallend bei der Betrachtung des Gesamtmaterials ist die Verwendung von
Begriffen aus der Natur, die sowohl positiv, als auch negativ konnotiert sein
können.
2.2 Musik- und Textinterpretation von ausgewählten Songs
Nachdem ein Eindruck von dem Gesamtmaterial entstanden ist, werden im
Folgenden ausgewählte Songs nach der qualitativen Text- bzw. Klanganalyse
interpretiert. Ausschlaggebend bei der Wahl der Songs für Kategorie 1a) und 1b)
war das behandelte Thema, welches dem am häufigsten vorkommendem in der
jeweiligen Kategorie entspricht.
Exemplarisch für die Kategorie 1a) wird der Song Stormy Weather aus dem Jahr
1961, geschrieben von Harold Arlen und Ted Koehler und gesungen von Ella
Fitzgerald analysiert, dessen Text den Liebeskummer zum Thema hat. Bereits der
Titel stellt den ersten Wetterbezug her. In dem Songtext geht es um eine Frau, die
beklagt, dass das Gute und Fröhliche mit der Trennung ihres Mannes
verschwunden sei und sie dem machtlos ausgesetzt ist. Utz Jeggle verweist in
Bezug auf Wetter auf das Gefühl, einer höheren Macht ausgesetzt zu sein, die
ehrfürchtiges Verhalten mit sich zieht.
23
Seitdem sei ihr Leben hoffnungslos leer,
9
23
Jeggle, Utz: Vom richtigen Wetter. Regeln aus der kleinbäuerlichen Welt. In: Michel, Karl
Markus/ Spengler, Tilman (Hg.): Das Wetter. Kursbuch 64, o.O. 1981, S. 115-130, hier: S. 117.

sie fühlt sich elendig und lustlos. Sie betet, um noch einmal fröhlich zu sein und
resigniert gleich darauf, indem sie sagt, dass sie nicht mehr weiter machen kann.
Sie betrauert, sich sogar nachts noch schlecht zu fühlen, ihre Hoffnung schwindet
und sie wird wütend. Dieser Botschaft wird anhand von Metaphern Ausdruck
verliehen. So heißt es in den ersten Sätzen:
Don't know why there's no sun up in the sky
Stormy weather, since my man and I ain't together
Keeps raining all the time
Der Begriff Sonne ist hier eindeutig positiv konnotiert, wie sich in der zweiten
Strophe durch die Phrase Walk in the sun once more bestätigt.
Konträr dazu erfahren die Ausdrücke stürmisches Wetter und dauerhaftes Regnen
eine negative Deutung, was sich in der fünften Strophe verdeutlicht. Hier heisst
es:
Rain pourin' down, blinding every hope I had
This pitter an' patter an' beatin' an' spatterin', drivin' me mad
Das Handeln des Regens, das Klopfen und Prasseln wird sinnbildlich für den
Verlust der Hoffnung verwendet. Die Bedeutungsaufladungen von Sonne gleich
gutem Wetter und daraus resultierend Glücklichsein und Fröhlichkeit, sowie von
Regen und stürmischem Wetter gleich schlechtes Wetter und somit
Unglücklichsein und Unzufriedenheit sind im umgangssprachlichen
Sprachgebrauch häufig vertretene Dualismen, welche dazu dienen eine Stimmung,
Atmosphäre oder Gefühle zu schildern.
24
Daher kann dem Sprechen über das
Wetter eine Bedeutung zuerkannt werden, die über die faktische Darstellung des
Wetterzustands hinaus geht. So konstatiert Andreas Hartmann die Beschäftigung
der Volkskunde/ Kulturanthropologie mit dem Zeichenhaften im Wetter, sowie mit
der medialen Vermittlung von wetterdienstlicher Meteorologie und der dadurch
entstandenen ´gefühlten Temperatur`.
25
Jeggle stellt das Reden übers Wetter als
differenzierten Gesprächsauftakt in der kleinbäuerlichen Welt dar, der semantisch
mehrbödig sein kann und sich immer auf eine landwirtschaftliche Praxis bezieht.
26
10
24
Vgl. Diskussion im Seminar ,,Von Hochs zu Tiefs. Wie das Wetter den Alltag prägt" am
20.01.2014.
25
Vgl. Hartmann 2001, S. 98.
26
Jeggle 1981, S. 115, 117.

Böhme macht eine Verwandtschaft zwischen Wetter und Gefühlen aus, da beide
Atmosphären sind. Hierbei bezieht er sich auf Hermann Schmitz, der in seinem
Band ,,Der Gefühlsraum" den Einfluss der Atmosphäre auf den Zustand des
eigenen Leibes darstellt.
27
Dementsprechend spricht Böhme Atmosphären eine
bedeutende Rolle zu. Sie würden das menschliche Sein, die menschliche
Beziehung zu seiner Umgebung, anderen Menschen und Dingen bestimmen. Und
auch Delius versteht das Wetter als Kunstmittel und Ausdruck
gesellschaftsbedingter Denkweisen.
28
Auf rein textlicher Ebene argumentiert,
ließe sich eine sehnsüchtige, melancholische Atmosphäre zu Xaver ausmachen.
I c h m ö c h t e m i c h b e i d e r I n t e r p r e t a t i o n j e d o c h g e g e n s o l c h e
musikpsychologischen Ansätze der Musikrezeption positionieren, welche von
einer unvermittelten emotionalen Reaktion des Hörers auf die in der Musik
transportierte Emotion oder einer Verschmelzung der wahrgenommenen und
gefühlten Emotionen ausgehen.
29
Vielmehr plädiere ich für eine differenziertere
Perspektive, im Sinne Kivys, welcher argumentiert, dass es die Schönheit der
Musik ist, die den Hörer emotional bewegt. Demnach reagiert der Hörer auf die
transportierte Emotion in der Musik, wenn er sie als schön (z.B. schön traurig)
empfindet. Der Hörer empfindet nicht deshalb die gleichen Emotionen, sondern
eigene, die Kivy als namenlos bezeichnet.
30
Um die zweite Unterkategorie 1b) vorzustellen, wird im Folgenden der Songtext
des Liedes Come rain or come shine aus dem Jahr 1959, geschrieben von Johnny
Mercer und gesungen von Ray Charles, interpretiert. Hier geht es um eine
Liebeserklärung, die der Sänger seiner Geliebten macht. Er schwört ihr die ewige
Liebe ungeachtet der Lebensumstände (ob glücklich oder unglücklich, reich oder
arm). Zur Verdeutlichung dient die Beschreibung von Wetterzuständen, die klar
wiedergeben, welche Vorstellungen von gutem und schlechtem Wetter bestehen:
11
27
Böhme 2009: 24.
28
Delius 201, S.13.
29
Müller, Mira/ Jacobsen, Thomas: Zur kognitiven Elektropsychologie der Musikrezeption:
Zugänge zu Kognition, Emotion und Ästhetik. In: Auhagen, Wolfgang/ Bullerjahn, Claudia/ Höge,
Holger (Hrsg.): Musikpsychologie- Musikalisches Gedächtnis und musikalisches Lernen.
Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie, Band 20, Göttingen 2009. S.40-70,
hier: S.54.
30
Vgl. Kivy, P.: Feeling the musical emotions (A philosophical approach). British Journal of
Aesthetics, 39 (1), o.O. 1999, S. 1-13.

I'm gonna love you, like nobody's loved you
Come rain or come shine
The days may be cloudy or sunny
Regen und bewölkt werden als schlechtes Wetter klassifiziert, um eine emotional
bedrückte Athmosphäre darzustellen. Konträr dazu fungieren die Begriffe
scheinen und sonnig, welche für die guten Zeiten im Leben und das Glücklichsein
stehen. Auch Böhme verwies auf die Wetterbedingungen als natürliche
Atmosphärenerzeuger.
31
Wie bereits erwähnt, wird kategorienübergreifend in den
Songs die Natur bzw. Naturereignisse in Form von Naturmetaphorik und
Vergleichen thematisiert. Diese Elemente fungieren häufig zur Verdeutlichung der
emotionalen Botschaft. Auch in diesem Xaversong wird dieses rhetorische Mittel
angewandt:
High as a mountain, deep as a river.
Die Liebe zu der Besungenen wird hier verglichen mit der Höhe eines Berges und
der Tiefe eines Flusses, um die Intensität zu beteuern und hervorzuheben. Und
auch hier verweise ich darauf, dass der Songtext bezüglich Xaver als
transportierte Beständigkeit und Gelassenheit interpretiert werden könnte, dies
jedoch lediglich eine Form der Deutung darstellt.
Hinsichtlich der zweiten Hauptkategorie 2 wird ein anderer methodischer Zugang
gewählt. Hauptaugenmerk liegt hier bei den Klängen, daher werden Titel und
Songtext bei der Interpretation außen vorgelassen. Exemplarisch für die Kategorie
2a) stelle ich den Song Hurricane geschrieben von Jared Leto und gesungen von
der Band Thirty Seconds To Mars aus dem Jahr 2009 vor. Ich beziehe mich
hierbei auf die zensierte, 13 minütige Version, die Exzerpte von den Liedern
,,Escape" und ,,Night of the Hunter" von der gleichen Band beinhalten. Der Song
beginnt mit tiefen, monotonen Klängen des Didgeridoos, zwei gesprochenen
Sätzen auf französisch von einer weiblichen Stimme und dem Klang vom Donner.
Es folgen tiefe Klänge der E-Gitarre, erneuter Donner und das Geräusch eines
sich beschleunigenden, schnell fahrendenden Fahrzeuges. Schnelles Trommeln
und das Geräusch eines einfahrenden Zuges folgen. Plötzlich kommen sanftere
Klänge der Harfe auf, die sich in einer einfachen Melodie immer wieder
12
31
Böhme 2009, S.23.
Ende der Leseprobe aus 59 Seiten

Details

Titel
Zum Verhältnis von Wetter und Musik. Am Beispiel der "Xaversongs" im Rahmen des Orkans Xaver 2013
Hochschule
Universität Hamburg  (Institut für Volkskunde/ Kulturanthropologie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
59
Katalognummer
V376183
ISBN (eBook)
9783668533790
ISBN (Buch)
9783668533806
Dateigröße
4484 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Social Media, Peter Kivy Musikstile, wetter, naturkatastrophen, umgang, sturm, überschwemmung, kulturwissenschaften, orkan, musik- und textinterpretationen, musik
Arbeit zitieren
Anonym (Autor:in), 2014, Zum Verhältnis von Wetter und Musik. Am Beispiel der "Xaversongs" im Rahmen des Orkans Xaver 2013, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/376183

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Titel: Zum Verhältnis von Wetter und Musik. Am Beispiel der "Xaversongs" im Rahmen des Orkans Xaver 2013



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