Allparteilichkeit in der Mediation. Eine Betrachtung der notwendigen Werte aus psychologischer und philosophischer Sicht


Hausarbeit, 2017

19 Seiten


Leseprobe


I
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis ... I
I.
Einleitung ... 1
II.
Etymologien und Abgrenzung der Hauptbegriffe ... 3
1.
Ethik ... 3
2.
Psychologie... 3
III.
Allparteilichkeit und ihre zugehörigen Werte ... 5
1.
Werte ... 5
1.1
Einfühlung und Nächstenliebe ... 5
1.2
Weisheit ... 7
1.3
Beherrschung ... 8
1.4
Vertrauen und Glaube ... 9
1.5
Bescheidenheit und Distanz ... 10
2.
Zwischenfazit Werteerarbeitung nach Hartmann bezogen auf die Mediation /
Allparteilichkeit ... 11
3.
Entwicklung der Werte ... 11
3.1
Wertephilosophie ... 12
3.2
Werteerwerb ... 13
IV.
Fazit ... 16
Literaturverzeichnis ... 17

1
I.
Einleitung
Um den Lesefluss dieser Arbeit nicht unnötig zu stören beziehungsweise zu komplizieren wird in
der Folge für Begriffe, welche sowohl eine weibliche wie auch männliche Bezeichnung haben, nur
die weibliche aufgeführt. Die Autorin ist sich der Genderthematik bewusst, verzichtet aber absicht-
lich auf die männliche Form, nicht zuletzt, da es sich bei der Autorin um eine Frau handelt.
Der Begriff der Allparteilichkeit in der Mediation ist zentral, ohne diese ist eine Mediation nicht
durchführbar. Allparteilichkeit bedeutet, sich den Teilnehmenden einer Mediation in gleicher Weise
verpflichtet zu fühlen. Die Mediatorin versucht die verschiedenen Sichtweisen in anteilnehmender
Art zu verstehen und nicht zu werten. Sie vertritt alle Parteien gleichwertig und ergreift keine Partei
für eine bestimmte Seite.
1
Die Mediatorin ist sich bewusst, dass sie sich in puncto Ergebnis der Me-
diation neutral verhalten muss. Sie darf kein Eigeninteresse an einer bestimmten Lösung haben, die
Parteien nicht beeinflussen, keine eigenen Ideen und Ansichten einbringen und soll alle Teilnehmen-
den gleich und vorurteilsfrei behandeln.
2
Bei der Allparteilichkeit ist die Mediatorin in einer Bringschuld gegenüber den Parteien. Sie über-
nimmt die Führung des Prozesses, ist den Konfliktparteien zugewandt und gewährleistet, dass durch
diese Steuerung alle Parteien gleichwertig und gleichmässig miteinbezogen werden. Während des
Ablaufs der Mediation überprüft die Mediatorin immer wieder, dass die abgemachten Regeln einge-
halten werden. Aus- und Abschweifungen sollten vermieden, Ungleichgewichte zwischen den Me-
dianten ausgeglichen werden. Die Person der Mediatorin hat vertrauenserweckend zu wirken und
eine dem Prozessablauf förderliche Atmosphäre zu kreieren. Die Hohlschuld gegenüber den Medi-
anten besteht darin, sich während der Mediation regelmässig rück zu versichern, dass die Parteien
die Allparteilichkeit gewahrt sehen.
3
Die Allparteilichkeit hat ihre Grenzen bei Unfairness der Parteien, rechtswidrigen Beschlüssen oder
Entscheidungen, die ganz klar einer Partei extreme Vorteile bringen. Tritt dies ein, sollte die Media-
torin Stellung beziehen und dem Fortgang der Mediation oder dem erzielten Ergebnis, nicht zustim-
men.
4
Diese Arbeit befasst sich mit der Allparteilichkeit in einem übergeordneten Kontext. Sie macht kei-
nen Unterschied zwischen Neutralität und Allparteilichkeit, da die Neutralität als ein Bestandteil der
1
H
ÖSEL
, S. 44.
2
H
AAS
/W
IRZ
, S. 24.
3
R
ODIGAST
, S. 25-26.
4
H
AAS
/W
IRZ
, S. 25.

2
Allparteilichkeit angesehen wird. Der Begriff wird von der philosophischen und psychologischen
Seite her erörtert. Welche (ethischen) Werte beinhaltet die Allparteilichkeit? Soll die Mediatorin be-
stimmte Werte verinnerlicht haben, um der Allparteilichkeit in der Mediation gewachsen zu sein?
Wie kommt der Mensch zu diesen Werten? Sind sie angeboren? Hat jede Person dieselben Werte?
Sind die Werte erziehungsabhängig? Wenn ja, können sie in einer späteren Lebensphase noch er-
worben werden?
Diese Fragen führen zu folgender Zielsetzung der Arbeit:
In einem ersten Teil soll versucht werden zu klären, welche (philosophischen/wertethischen)
Werte benötigt werden, um die Allparteilichkeit in einer Mediation zu leben und zufrieden-
stellend umzusetzen. Um die Werte zu beleuchte, wird vor allem das Buch «Ethik» von
Nicolai Hartmann beigezogen. Nach Gerhard Danzer, Dr. med. et phil., gilt das Werk
«Ethik» von Nicolai Hartmann als eines der besten für ethische Fragestellungen und Phäno-
mene des 20. Jahrhunderts.
5
Nicolai Hartmann wurde 1882 geboren und starb 1950. Er gilt
als einer der angesehensten Philosophen seiner Zeit.
6
In dem zweiten Teil soll versucht werden, die Frage zu beantworten, ob diese Werte sich bei
jedem Menschen finden und ob sie charakterabhängig sind. Welche Rolle spielt die Erzie-
hung und Selbsterziehung? Mithilfe der Tiefenpsychologie erfolgt ein Klärungsversuch,
welcher sich bewusst auf die Individualpsychologie nach Alfred Adler beschränkt. Es würde
den Rahmen dieser Arbeit sprengen, Sigmund Freud und Carl Gustav Jung ebenso umfas-
send zu berücksichtigen.
Diese Zielsetzungen führen zu der Hypothese, dass nicht alle Menschen gleich gut oder gar nicht
geeignet sind, den Beruf einer Mediatorin auszuüben.
5
D
ANZER
,
S.
47.
6
D
ANZER
,
S.
46.

3
II. Etymologien und Abgrenzung der Hauptbegriffe
1. Ethik
Gemäss Duden leitet sich das Wort Ethik von «Ethos» ab. Das Ethos ist die sittliche Haltung, die
moralischen Grundsätze des Lebens. Die Abstammung ist griechisch, lateinisch und bedeutet: Her-
kommen, Charakter, Gewohnheit.
Ethik ist die Lehre der Sitten, die Gesamtheit der moralischen Lebensgrundsätze
.
7
Der englische Philosoph John Stuart Mill ist verantwortlich für die utilitaristische Ethik. Diese be-
sagt, dass der Wert einer Handlung daran gemessen wird, wie er dem sozialen Wohl aller dient. Der
Einzelne kann auf seinen Vorteil bedacht sein, wenn sein Handeln der Allgemeinheit nützt und somit
als gut eingestuft werden kann.
8
Friedrich Nietzsche entlarvte viele der bis dahin gültigen Werte als intolerant und entartet. Er setzte
sich für eine Umwandlung der Werte in neue ethische Lebensweisen und Verhalten ein, die dem
Individuum und der Kultur nützlich wären.
9
Nicolai Hartmann schuf ein eigenes Ethiksystem, das sich auf Nietzsche bezog, aber auch auf Mo-
ralvorstellungen der alten Griechen.
10
2. Psychologie
Gemäss Duden leitet sich das Wort Psychologie aus dem Wort Psyche ab. Psyche ist die Seele, das
Wesen, die Eigenart. Entlehnt aus dem griechischen «psyche», was Atem/Seele bedeutet. Psycholo-
gie ist die Lehre von den Zuständen und den Erscheinungen des bewussten und unbewussten See-
lenlebens.
11
Die Tiefenpsychologie umfasst 3 verschiedene Richtungen.
Sigmund Freud, der Verfechter der Trieblehre, des Ich und Über-Ich, der Schöpfer der Psy-
choanalyse.
12
7
D
UDEN
, S. 261.
8
D
ANZER
,
S. 53.
9
D
ANZER
,
S. 53.
10
D
ANZER
,
S. 53.
11
D
UDEN
, S. 662.
12
D
ANZER
,
S.
190-193.

4
Alfred Adler, der Begründer der Individualpsychologie.
13
Er ist der Verfechter einer Ich-
Psychologie, welche sich weg von der Triebpsychologie nach Sigmund Freuds bewegt.
14
Seiner Auffassung nach wird die Persönlichkeit in der Kindheit gebildet. Soll ein Mensch in
seiner Gesamtheit verstanden werden, ist seine Kindheit zu beleuchten; dort wurden die Ant-
worten auf die Anforderungen des Lebens quasi "antrainiert".
15
Heute noch lebende Psychologen, welche die Individualpsychologie weiterentwickelt haben,
sind Josef Rattner und Gerhard Danzer.
Carl Gustav Jung, der Mystiker, bildet den dritten Teil der Sparte der Tiefenpsychologen.
16
Er arbeitete mit Archetypen.
17
13
D
ANZER
,
S.
204.
14
D
ANZER
,
S.
209.
15
A
DLER
,
Kindererziehung, S.
17.
16
D
ANZER
,
S.
216.
17
D
ANZER
,
S.
220.

5
III. Allparteilichkeit und ihre zugehörigen Werte
Der Mensch bezieht Stellung mit seinem Verhalten beziehungsweise seinem Ethos. Seine Antworten
auf Ereignisse bilden sich aus seinem persönlichen Standpunkt, welcher Interesse und wertende Füh-
lung voraussetzt. Die Allparteilichkeit erwächst aus diesem Standpunkt und darum ist die richtige
Orientierung des Wertgefühls so wichtig. Vielen ist die Grenze ihrer eigenen Interessen auch die
Grenze ihrer moralischen Welt.
18
Die Mediatorin braucht ein ausgebildetes Spektrum an Werten, an Ethos, an Offenheit für alle Par-
teien, um allparteilich Handeln zu können.
Nach Joseph Duss-von Werdt, gemäss «Politis» braucht sie Eigenschaften, wie: «Vertrauen, Unpar-
teilichkeit, Weisheit, Mässigung und Ehrenhaftigkeit. »
19
Die Mediatorin sollte davon absehen, nach eigenen moralischen Massstäben die Medianten subjektiv
zu bewerten. Moral beruht auf mutmasslichen und ideellen Einschätzungen und ist unterteilt in Gut
und Böse. In der ethischen Begründung oder Bewertung eines Konflikts werden Handlungen unvor-
eingenommen betrachtet und dadurch Lösungen gefunden, die für die Konfliktparteien angemessen
sind.
20
1. Werte
Im Folgenden werden in den Ziffern 1.1.-1.5 die zentralen Werte für die Allparteilichkeit hergeleitet,
beziehungsweise erklärt. In einem ersten Schritt wird dabei zusammenfassend jeweils auf das Wert-
verständnis gemäss Nicolai Hartmann und seinem Buch «Ethik» eingegangen. Nach Darlegung des
Wertverständnisses nach Hartmann erfolgt in einem zweiten Schritt jeweils die persönliche Ansicht
der Autorin und die entsprechende Einbindung dieser Werte in die Allparteilichkeit als Vorausset-
zung einer erfolgreichen Mediation.
1.1 Einfühlung und Nächstenliebe
Gemäss Hartmann ist das Bewusstsein seiner Selbst und das Bewusstsein für das Fremde gegenseitig
voneinander abhängig, da der Mensch aus Egoismus und Altruismus besteht. Von Beginn an steht
der Mensch im Zusammenhang von "ich" und "du" und somit erhöht jede selbst gemachte Erfahrung
das Verständnis für das Fremde. Das Grundverhältnis von "ich" und "du" ist gegeben und darum
18
H
ARTMANN
, S. 11.
19
P
OLITIS
in:
J
OSEPH
D
USS
-
VON
W
ERDT
, S. 155.
20
S
CHMIDT
-S
ALOMON
, S. 197.

6
Egoismus und Altruismus untrennbar verknüpft.
21
Das Verhältnis ist nicht statisch, nicht immer im
Gleichgewicht und kann sich verschieben. In den Verschiebungen sind wesentliche Wertunter-
schiede zu erkennen. Das Einfühlen oder Mitfühlen ist umso grösser, als das eigene Erfassen von
Gefühlen ist. Kein Mensch ist fähig zu fühlen was Andere empfinden, wenn er selbst unfähig ist, bei
sich Gefühle zu erkennen und zu begreifen. Das eigene Empfinden bereitet das Terrain für die Wahr-
nehmung des "du".
22
Die Nächstenliebe enthält die Richtung auf den Mitmenschen, auf das "du". Es ist nicht die Liebe in
dem Sinne gemeint, welche normalerweise darunter verstanden wird, sondern die Gesinnung, bezie-
hungsweise das Bemühen und schlussendlich das Handeln im Hinblick auf das "du". Es beschreibt
das Eintreten für das "du", wie für die eigene Person. Ein moderneres Wort dafür ist Altruismus.
23
Die Nächstenliebe steuert immer auf das "du" hin, ohne zu beurteilen, ob die andere Person ihrer
würdig ist, oder ob sie einen Anspruch darauf hat, und ohne die Leistung des Mitmenschen zu be-
werten.
24
Die Nächstenliebe befindet das Wohlsein des "du" für prioritär und sie widersetzt sich al-
lem was Unglück bringt. Sie schaut jedes Mal von Neuem, aus der gegebenen Situation heraus, was
notwendig ist und handelt erfinderisch.
25
Es ist ersichtlich, dass für die Handhabung der Allparteilichkeit die Einfühlung und die Nächsten-
liebe zentral sind. Die Nächstenliebe könnte allgemein ausgedrückt auch als Menschenliebe bezeich-
net werden. Ohne die Mitmenschen zu achten und ihnen Wohlwollen entgegenzubringen, ist die
Allparteilichkeit nicht praktizierbar, sprich eine Mediation nicht durchführbar.
Ein gutes Bewusstsein seiner Selbst und seiner Gefühle zu haben, sowie über eine gute Wahrneh-
mung des Gegenüber zu verfügen, gewährleistet, dass das Fremde anerkannt wird, ohne zu werten
und Partei zu ergreifen. Um dieses Selbstbewusstsein zu erlangen, braucht es ständige Reflexion und
Auseinandersetzung mit der eigenen Person, sowie Weiterentwicklung der eigenen Werte.
Wichtig ist das Wohlergehen der Parteien im Blick zu haben und sich allem, was Ungemach für diese
bedeutet, zu widersetzen. Ein solches Ungemach wäre zum Beispiel, für eine Partei mehr einzustehen
oder sie gegenüber der Anderen zu bevorzugen.
21
H
ARTMANN
,
S.
77.
22
H
ARTMANN
, S. 78-79.
23
H
ARTMANN
, S. 450.
24
H
ARTMANN
,
S.
450.
25
H
ARTMANN
, S. 451.

7
1.2
Weisheit
Nach Hartmann sind Werte die der Weisheit nützen die Wahrheit, die Einsicht und das Wissen. Ein-
fühlen, was in der Welt an Werten vorhanden ist, führt zu einer Weltbezogenheit, nicht zu einer
Weltentrücktheit.
26
Nicht nur die durch Denken erschlossene, also apriorische, ethische Intuition, die
Lebensklugheit oder die intellektuelle Einsicht machen die Weisheit aus. Die Weisheit ist eine spe-
zielle Lebenseinstellung, beziehungsweise eine Affirmation der ethischen Kultur, die lebensbejahend
ist und die Person durchdringt. Eine spezielle Einstellung dem Leben gegenüber, das heisst dem
Eigenen wie dem Fremden.
27
Nach Platon wendet der Weise seine Wertmassstäbe in allen Lebens-
lagen an, ist von ihnen erfüllt und schaut durch sie auf das Leben.
28
Nach Sokrates ist die Weisheit
ein Ideal, auf das hinzuleben ist. Eine innere Stimme, die ihm ein Zeichen gibt, wenn er fehlgeleitet
wird.
29
Sie ist ein ahnendes Wertgefühl und sieht mehr, als das, was im Moment gerade ersichtlich
ist. Die Selbsterkenntnis, ein nüchterner Blick auf sich selbst, wie man ist und wie man sein sollte,
ist ein Teil der Weisheit und hilft dabei, diese
innere Stimme zu entwickeln.
30
Die Weisen sind ge-
genüber allem offen, lernen immer dazu, nehmen alles auf und versuchen immer moralisch zu wach-
sen.
31
Sie sind interessiert am Fremden, an der Eigenart des Gegenübers. Beides wollen sie verstehen
und tolerieren, auch wenn sie es nicht nachvollziehen können.
32
Die Weisen strahlen Ruhe und Be-
sonnenheit aus, schauen mit einem liebenden und nüchternen Blick auf ihr Gegenüber. Gleichgültig-
keit, Neid, Feindseligkeit sind ihnen fremd. Die Weisen haben einen wertgeleiteten Sinn für die
Wirklichkeit, ohne lebensfremden, nicht erfüllbaren Anspruch ans Leben.
33
Sie leben im Bewusst-
sein ihres eigenen "nicht-Könnens" und "nicht-Wissens" und anerkennen fremde Überlegenheit. Ihre
Grundstimmung dem Leben gegenüber ist Dankbarkeit und ein Staunen bezüglich der Wertfülle und
des Reichtums des Lebens. Aus diesem Erfahrungsschatz heraus wirken sie ungewollt als Vorbilder
und Erzieher der Menschen.
34
26
H
ARTMANN
,
S. 428.
27
H
ARTMANN
,
S. 428.
28
P
LATON
in:
H
ARTMANN
,
S. 430.
29
S
OKRATES
in:
H
ARTMANN
,
S. 430.
30
H
ARTMANN
,
S. 430.
31
H
ARTMANN
,
S. 431.
32
H
ARTMANN
, S. 431.
33
H
ARTMANN
,
S. 431-432.
34
H
ARTMANN
, S. 432.

8
Gemäss diesen Ausführungen lässt sich zeigen, dass für die Allparteilichkeit die Weisheit, welche
aus Wahrheit, Wissen und Einsicht besteht, eine wünschenswerte, ja ideale Eigenschaft ist. Es ist
aber auch eine Eigenschaft, an welcher ein Leben lang gearbeitet werden muss. Es braucht viele
Jahre an Erfahrung und gelebter Allparteilichkeit, um weise zu werden. Es ist eine immer wieder-
kehrende Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit.
Die Offenheit gegenüber dem Fremden zu wahren, das Verstehen und Tolerieren der Andersartigkeit,
die Wahrung der Ruhe und Besonnenheit und die Selbsterkenntnis, all diese besonderen Einstellun-
gen den Menschen gegenüber, helfen die Allparteilichkeit während der ganzen Mediation nicht aus
den Augen zu verlieren. Durch die innere Stimme geleitet und gewarnt zu werden, wenn die Allpar-
teilichkeit im Begriff ist verloren zu gehen oder wenn Partei ergriffen wird für eine Seite, ist wün-
schens- und erstrebenswert. Dazu gehört viel Wissen um die Materie, durch Reflexion gewonnene
Einsicht und gelebte Weisheit.
1.3
Beherrschung
Die Beherrschung ist eine moralische Kraft, deren Bedeutung die Harmonie des Selbst ist. Sie ist
nicht negativ zu werten, da es nicht um Einengung der Affekte an sich geht, sondern um eine innere
Entwicklung und Formung dieser. Die Affekte sind beteiligt am inneren Aufbau des Selbst, ohne sie
gibt es kein seelisches Leben.
35
Die Beherrschung ist die Tugend des Masshaltens und gibt dem
Gefühlsleben eine positive Form. Sie ist eine innere Moral, ein innerer Zustand des Rechts. Sie findet
die Krönung in der inneren Schönheit des charakterlich reifen und starken Menschen und in der
inneren Harmonie.
36
Das Besondere an dieser Tugend ist ihre, in einem hohen Ausmass, Erwerbbar-
keit.
37
Aus diesem Grund wurde die Beherrschung schon von Platon als eine der niedrigsten Tugend-
werte gesehen.
38
Sie ist eine Mindestanforderung, über welche der Mensch verfügen sollte, aber
trotzdem oder grad deswegen, keine leichte Aufgabe. Ihre Erwerbung beginnt mit kleinen Schritten,
wie der Selbstüberwindung, dem Erreichen eines Lebensstils oder des Ausbildens eines festen Wil-
lens über innere Zweifel und mündet ein in die innere Disziplin, Selbstbeherrschung und -leitung.
39
Es ist evident, dass in der Mediation, in Bezug auf die Allparteilichkeit, die Beherrschung und das
Masshalten ein eminent wichtige Werte sind. Die Mediatorin muss sich hinsichtlich der Medianten
35
H
ARTMANN
,
S.
436-437.
36
H
ARTMANN
,
S.
437.
37
H
ARTMANN
,
S.
438.
38
P
LATON
in:
H
ARTMANN
,
S. 438.
39
H
ARTMANN
, S. 438.

9
jederzeit beherrschen können. Beispielsweise bei Antipathie gegenüber einer Seite, bei nicht Billi-
gung der erarbeiteten Lösung, bei nicht Einhalten der Verfahrensregeln, bei einem mühsamen, zähen
Fortschreiten der Mediation, ist die Beherrschung und die innere Aufrechthaltung der Harmonie ein
wichtiger Bestandteil einer schlussendlich gelingenden Mediation. Jeder Verlust der Beherrschung
und des Masshaltens führt zur Einbusse der Allparteilichkeit und zu einem Vertrauensverlust der
Parteien gegenüber der Mediatorin.
Beherrschung ist gleichzeitig ein Wert, der eingeübt werden kann. Gerade bei aufbrausenden Per-
sönlichkeiten braucht es viel Selbstdisziplin und Training, um die Ruhe bewahren zu können.
1.4
Vertrauen und Glaube
Um Vertrauen zu können, braucht es moralischen Mut, seelische Stärke und Bereitschaft zu glauben,
dass die Anderen das ihnen entgegengebrachte Vertrauen rechtfertigen. Entgegengebrachtes Ver-
trauen ist ein Geschenk und eine Anerkennung der anderen Person. Es ist eine hohe Anforderung an
das Gegenüber, das ihm entgegengebrachte Vertrauen zu bestätigen.
40
Die Misstrauischen vergehen
sich am Vertrauen, das ihnen entgegengebracht wird, da sie kein Gefühl haben für die wahrhaftige
Geisteshaltung der anderen Person. Mit ihrer Ungläubigkeit in den anderen Menschen entwertet sie
diesen in seiner Aufrichtigkeit. Vertrauen ist immer ein Wagnis, da sich die vertrauende Person den
Anderen ausliefert und so ein Risiko eingeht. Wird das Geschenk des Vertrauens missachtet, erwei-
sen sich die anderen des Geschenks unwürdig, so sind die, die Vertrauen geschenkt haben, die Ver-
lierer. Aus diesem Grund ist die Fähigkeit zu vertrauen ein sittlicher Wert.
41
Geschenktes Vertrauen
setzt
den Glauben in die anderen voraus, kann also nicht durch Erfahrung erworben werden, da jedes
Mal aufs Neue ein Wagnis damit verbunden ist.
42
Ist jemand nicht fähig an Sachen oder Menschen zu glauben, bedeutet dies Einsamkeit. Glauben an
die anderen befähigt zur Gemeinschaft; Misstrauen ist das Ende davon.
43
Die ethische Kraft, die von
Glaubenden ausgeht, hat einen grossen erzieherischen Wert. Diese Kraft kann den anderen Menschen
befähigen selbst verantwortungsbewusst, aufrecht und verlässlich zu werden. In der Regel bringt
Vertrauen und Zutrauen im Menschen etwas Gutes hervor und Misstrauen etwas Schlechtes. Nur
40
H
ARTMANN
,
S.
469.
41
H
ARTMANN
,
S.
469.
42
H
ARTMANN
, S. 470.
43
H
ARTMANN
,
S.
471.

10
wem Gutes zugetraut wird, lernt geschenktes Vertrauen zu honorieren und wächst dabei an der an
ihn gestellten Aufgabe.
44
Darum kann der Glaube auch Berge versetzen.
45
Es zeigt sich deshalb, dass es bei der Allparteilichkeit von grosser Wichtigkeit ist, an die Medianten
und an das Gute in ihnen zu glauben. Darauf zu vertrauen, dass sie ihren Konflikt lösen können und
auch wollen und, dass sie eine für beide
Seiten akzeptable Lösung finden werden. Ist der moralische
Wert des Glaubens und Vertrauens bei der Mediatorin nicht vorhanden oder schlecht ausgebildet,
werden die Medianten das wahrnehmen und dadurch der Mediatorin kein Vertrauen entgegenbringen
können. Es besteht die grosse Wahrscheinlichkeit des Scheiterns der Mediation. Um beide oder alle
Parteien gleich behandeln zu können, nimmt der Glaube und das Vertrauen in sich selbst als Media-
torin und auch in die Medianten einen hohen Stellenwert ein.
.
1.5
Bescheidenheit und Distanz
Werte wie Vertrauen und Nächstenliebe vermitteln menschliche Fühlung, die wichtig ist, aber gleich-
zeitig wird auch den Wert der Distanz als Gegenstück benötigt. Das aus diesen Werten entstehende
Mitleid kann die andere Person in ihrem Innenleben beeinträchtigen. Sie hat ein Anrecht auf die
Wahrung ihrer Intimität. Da setzt die Distanz die benötigte Grenze. Distanz und Bescheidenheit sind
Werte des moralischen Selbstgefühls.
46
Jede menschliche Nähe braucht eine Begrenzung, damit die
Nähe nicht in Aufdringlichkeit übergeht. Die Wahrung der Distanz ist eine sittliche Tugend. Sie ist
gekennzeichnet durch das Schamgefühl, dass für die anderen empfunden wird, im Angesicht ihrer
Hilfsbedürftigkeit. Es gilt die Intimsphäre der anderen Person zu wahren. Der Mensch, der von sei-
nem Wert überzeugt ist, will kein Mitleid und ist deshalb selbst bescheiden mit seinem Mitleiden,
aus Wertschätzung der anderen Person gegenüber.
47
Hartmann stellt fest: «Nur wer eigene Würde
selbst fühlt, kann fremde Würde respektieren.»
48
Bescheidenheit ist eine moralische Tugend. Innerlich beinhaltet sie, sich selbst zu erkennen und die
Fähigkeit zur selbstkritischen Betrachtung beziehungsweise der Anfang der Weisheit. Äusserlich ist
sie die Anerkennung des sittlichen Wertes der anderen Person.
49
Die Bescheidenen haben als Vorbild
immer die moralisch grössere Person vor Augen und erheben sich selbst nicht über eine moralisch
44
H
ARTMANN
,
S.
472.
45
H
ARTMANN
, S. 473.
46
H
ARTMANN
, S. 475.
47
H
ARTMANN
, S. 478.
48
H
ARTMANN
, S. 478-479.
49
H
ARTMANN
,
S.
475.

11
schlechtere. Ihre Blicke gehen immer in eine aufschauende Richtung. Sie haben immer das Höhere
im Auge.
50
Es ist ersichtlich, dass Bescheidenheit und Distanz zwei wichtige Werte in der Bemühung um die
Allparteilichkeit sind. Um die Medianten gleich zu behandeln ist es von grosser Wichtigkeit sich in
Bescheidenheit zu üben und sich moralisch nicht grösser zu fühlen als die Parteien, die eine Lösung
suchen und sich vielleicht nicht immer adäquat verhalten. Nicht in Mitleid zu verfallen, die Würde
der Medianten zu respektieren, ihnen ihre Intimität zuzugestehen, ist nur mit der nötigen Distanz
möglich. Gelingt das nicht, fühlen sich die Parteien bedrängt
oder empfinden die Mediatorin als
überheblich. Dann ist damit zu rechnen, dass die Mediation zu keinem guten Abschluss kommt.
2. Zwischenfazit Werteerarbeitung nach Hartmann bezogen auf die Media-
tion/Allparteilichkeit
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass durch die Erarbeitung der Werte, welche die Mediatorin
ihre eigenen nennen sollte, um die Allparteilichkeit fundiert handhaben zu können, sichtbar wird,
dass sie über einen komplexen und tiefgründigen Charakter verfügen muss. Sie soll ein tiefes Ver-
ständnis für das Fremde aufbringen, eine grundsätzlich positive Gestimmtheit für den anderen Men-
schen ihr eigen nennen und eine grosse Fülle an Gefühlen, eigenen wie am anderen wahrnehmbare,
haben. Die Mediatorin soll weltbezogen und lebensbejahend, interessiert am Fremden, verstehend
und tolerant sein. Bedeutend ist ausgestrahlte Ruhe und Besonnenheit. Sie soll über die moralische
Kraft der Beherrschung, über eine innere Harmonie und einen reifen Charakter verfügen. Die Medi-
atorin soll den anderen Menschen vertrauen, beziehungsweise ihnen etwas zutrauen, und so in ihnen
das Gute hervorbringen. Sie soll bescheiden sein und die Grenzen der anderen Personen respektieren,
um so ihre Intimität anzuerkennen und ihre Würde zu bewahren.
3. Entwicklung der Werte
Für die folgenden Ausführungen wird die Tiefenpsychologie herbeigezogen, insbesondere die Indi-
vidualpsychologie nach Alfred Adler. Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen alle 3 Richtun-
gen der Tiefenpsychologie zu berücksichtigen. Die Autorin bezieht sich auf Alfred Adler, da er der
Tiefenpsychologe ist, der der Kindheit einen sehr grossen Stellenwert beimisst. Adler ist davon über-
zeugt, dass die Charaktereigenschaften und Werte eines Menschen in der Kindheit erworben werden.
50
H
ARTMANN
, S. 476.

12
Im Folgenden werden in den Ziffern 3.1.-3.2 die Entwicklung der Werte hergeleitet, beziehungs-
weise erklärt. In einem ersten Schritt wird dabei zusammenfassend jeweils mit Hilfe der Individu-
alpsychologie auf die Wertephilosophie und die Werteentwicklung eingegangen. In einem zweiten
Schritt legt die Autorin ihre persönliche Ansicht dar.
3.1 Wertephilosophie
Es wird zwischen einer Welt der Tatsachen und einer Welt der Werte unterschieden. Es ist eine
ontologische Unterscheidung, da Tatsachen sind und Werte sein sollen. Die Werte haben einen For-
derungscharakter, der gesehen und gehört, aber auch übersehen und überhört werden kann. Das Wer-
teorgan besteht aus dem Gewissen, der Persönlichkeit und dem Gefühlsleben der Person.
51
Da der Mensch sich seiner Selbst bewusst und im Besitz einer Wahlmöglichkeit ist, kann er Werte
erfahren und realisieren. Sie sind Ideale in seiner Seele oder Psyche und darum ist der Mensch ein
"Werde-Sein" und kann sich stetig entwickeln und reifen. Werte sind der Ausgleich für die mensch-
lichen Mängel, die Richtschnur, der gefolgt werden kann, um die menschlichen Unzulänglichkeiten
zu überwinden. Der Mensch befindet sich also zwischen der Tatsachen- und der Wertewelt. Er ist
noch nicht in der idealen Welt verankert, aber dazu angehalten, den humanistischen Prozess weiter
zu verfolgen und nach dem Ideal zu streben.
52
Will ein Mensch Erkenntnisse über sich selbst erlangen, muss er sich mit seinem Charakter ausei-
nandersetzen.
53
Der Mensch ist dazu angehalten, sich mit dem Leben und dessen Anforderungen zu
befassen und darauf Antworten zu finden. Er tut das je nach Ausdrucksform seiner Seele und seines
Charakters. Dieser ist die Leitlinie eines Menschen, nach welcher er seiner Mitwelt beurteilt und
seine Mitmenschen behandelt.
54
Die Struktur des Charakters ist gleichbedeutend mit der Orientierung
der Werte, die ein Mensch sein eigen nennt. Oft haben die Menschen wenig Ahnung über ihr Wer-
tesystem, da dies noch unbewusster abläuft wie die Triebe. Es braucht sehr viel tiefenpsychologische
Arbeit, um einem Menschen seine Werte bewusst zu machen, damit er verstehen kann, wie er urteilt.
Jeder Mensch trifft aufgrund seiner Bedingungen in der Kindheit, seiner in die Wiege gelegten Aus-
stattung, also seiner Gene, seiner sozialen und ökonomischen Verhältnisse, seiner Kulturzugehörig-
keit und seiner Erziehung, seine ihm eigene Werteauswahl, nach der er lebt. Die prägendsten Erfah-
rungen werden in der frühen Kindheit gemacht. Da bildet sich der Charakter eines Menschen, der
51
R
ATTNER
, S. 54.
52
R
ATTNER
, S. 56-57.
53
R
ATTNER
, S. 65.
54
A
DLER
, Menschenkenntnis, S. 146.

13
das Resultat der ganzen Wertehaltung ist. Der Mensch als Persönlichkeit sollte permanent reifen,
seine Gefühlswelt entwickeln und so seinen Wertehorizont vergrössern
55
3.2 Werteerwerb
Erik H. Erikson hat die Entwicklung des Kindes in verschiedene Stufen eingeteilt. Jedes Kind absol-
viert eine Entwicklung seiner Tugenden, das heisst seiner Werte. Diese Entwicklung beginnt mit dem
gestillt werden. Wird der Säugling geliebt und gepflegt, entwickelt sich ein Gefühl der Zuversicht,
dass die Menschen ihm gut gesinnt sind. Das Gefühl der Hoffnung oder des Urvertrauens macht sich
breit.
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Auf der Basis des Urvertrauens kann sich darauf der Wille heranbilden. Sollen Schwierigkeiten über-
wunden werden, braucht der Mensch Hoffnung. Ohne diese und ohne den Glauben an die Verwirk-
lichung der Ziele kann sich kein Wille entwickeln. Die erste Erzieherin für die Entwicklung des
Willens ist die Mutter. Deshalb sollte sie eine gute Wahrnehmung für den kindlichen Ansporn und
die kindlichen Anliegen haben.
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Die nächste Entwicklungsstufe ist die Zielstrebigkeit. Ziele, welche nicht auf den Augenblick aus-
gerichtet sind, werden angestrebt. Ohne Wille und Urvertrauen ist dies unmöglich. Wurde in der
frühen Kindheit diese Entwicklungen gehemmt, ist es möglich, dass das Fundament der Tugendent-
wicklung so beschädigt wurde, dass sich keine Zielstrebigkeit heranbilden kann. Somit müssen die
beiden vorhergehenden Phasen neu aufgearbeitet werden, damit sich die dritte Stufe manifestieren
kann.
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Die vierte Stufe ist die Entwicklung der Tüchtigkeit. Diese ist die Grundlage für alle Fähigkeiten, für
die Lebenstüchtigkeit allgemein. Durch die liebevolle und achtsame Fürsorge der Eltern lernt das
Kind seine Aufgaben zu erledigen, richtig zu essen und zu sprechen, sauber, tüchtig und zuverlässig
zu sein. Aus all diesen Vorbedingungen entstammen die Berufstüchtigkeit, die allgemeinen Um-
gangsformen und der Lebensstil.
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Die fünfte Stufe ist die Treue. Nur wenn das Kind all diese Entwicklungsstufen fundiert absolviert
hat, also die wesentlichen Werte erworben hat, kann es dauerhafte Beziehungen zu anderen Men-
schen aufbauen. Ansonsten ist der Mensch zu unbeständig, um treu zu sein, da er sich selbst nicht
treu ist. Aus der Treue entwickelt sich die Liebe. Die Liebe ist eine hohe Leistung, die dem Geist
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, S. 65.
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, S. 66.
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, S. 66.
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ATTNER
, S. 66.
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in:
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, S. 66.

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und der Psyche viel abverlangt. Sie bejaht den Anderen mit all seinen Schwächen und Unzulänglich-
keiten, ohne sich ihn zu Nutze zu machen oder zu dominieren. Der wirklich Liebende ist am Wohl
des Anderen und an seiner Entfaltung so interessiert, wie am eigenen. Die Liebe zu einer Person kann
nur gelingen, wenn allgemein eine bejahende Grundhaltung zu den Menschen besteht.
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Die nächste Stufe ist die Fürsorge. Eine selbstlose Haltung, die das Wohlergehen der anderen Men-
schen im Blick hat. Die Fürsorge entwickelt sich aus der Liebe.
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Die letzte Stufe ist für Erikson die Weisheit. Sie ist höchste Stadium der menschlichen und das Ideal
der kulturellen Entwicklung. Der Mensch ist sich seiner Endlichkeit und der Kleinheit seines Lebens
bewusst. Er gibt deswegen nicht auf, sondern versucht sein Leben und das seiner Mitmenschen freier,
lebenswerter und klarer zu machen.
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Die Anforderungen an die Entwicklung der Werte sind hoch. Charaktermängel, also Mängel in der
Wertepalette, sind Defizite der frühkindlichen Entwicklung. Erst wenn diese durch Nacherziehung
behoben werden, kann sich die Persönlichkeit in der ganzen Fülle entwickeln.
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Die festgestellten
Schwierigkeiten in der Beschaffenheit des Charakters sollten bearbeitet werden, um diesen zu ver-
bessern und die Wertepalette zu vergrössern.
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So kann die Anteilnahme und das Verständnis an der
Mitmenschlichkeit ausgebaut werden.
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Evident ist, dass die Entwicklung der Werte abhängig ist von der Erziehung. Charaktermängel wer-
den in der frühen Kindheit entwickelt. Ebenso spielen die ökonomischen Verhältnisse, die Kulturzu-
gehörigkeit, die Sozialisation der Eltern, das Umfeld, in welchem der Mensch aufwächst und die
Ausstattung der Gene eine grosse Rolle. Sind im Erwachsenenleben Defizite in der Wertpalette vor-
handen, können diese in einer tiefenpsychologischen Auseinandersetzung mit der frühen Kindheit
aufgearbeitet und korrigiert werden. Durch diese Nacherziehung ist es möglich auch als Erwachsener
neue Werte zu entwickeln, das heisst seine Persönlichkeit zu erweitern und ethisch zu wachsen. Dies
ist ein langwieriger Prozess, der je nach dem auch schmerzhaft sein kann.
Da sich die Arbeit umfangtechnisch nur auf die Voraussetzungen der benötigten Werte beschränkt,
muss offengelassen werden, inwiefern die Erfahrung als Mediatorin sich auf die Mediation selbst
auswirkt. Die behandelten Werte bilden die Grundlage für eine gute Mediation. Es ist festzustellen,
dass eine Mediatorin nicht auf allparteilicher Basis mit den Parteien verhandeln, beziehungsweise
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, S. 67.
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, S. 67.
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,
S.
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,
S.
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, S. 103.
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ANZER
, S. 104.

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mediieren kann, sofern sie durch eigene unbehandelte Neurosen oder fehlende Wertausbildung viel-
mehr ein Teil des Problems wird, als zur Lösung des Problems beiträgt. Während, wie in jedem
Beruf, die Erfahrung erst über die Jahre der Ausübung akquiriert werden kann, darf die Mediatorin
nicht durch die Mediation und auf Kosten der Parteien ihre eigenen Konflikte lösen. Die Allpartei-
lichkeit bildet also nicht Gegenstand einer über die Jahre anzueignenden Erfahrung, sondern hängt
von einer gewissen Charaktervoraussetzung der Mediatorin ab und bildet die Grundlage und Voraus-
setzung für eine zielorientierte Konfliktlösung.
Sind die benötigten Werte nicht oder unzureichend vorhanden, besteht die Möglichkeit durch Nach-
erziehung, das heisst Persönlichkeitsentwicklung, in den Besitz dieser zu gelangen, bevor der Beruf
einer Mediatorin ausgeübt wird. Da die Charakterprüfung jedoch bis anhin nicht Teil einer Diplo-
mierung oder Bewilligung bildet, kann auch eine Mediatorin ohne entsprechende Reife eine Media-
tion anbieten. Es wäre deshalb erstrebenswert, dass die berufsausübende Mediatorin auch ohne
Pflicht dazu, sich kontinuierlich mit ihrer Persönlichkeit auseinandersetzt, um ethisch zu wachsen
und so die Allparteilichkeit stetig zu wahren. Es kann deshalb festgehalten werden, dass die Aus-
übung der Allparteilichkeit einer umfassenden Wert- und insbesondere Selbstkenntnis bedarf, um
die Voraussetzung für eine qualitativ gute Mediation erfüllen zu können.

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IV. Fazit
Aufgrund der erarbeiteten Werte, welche für die Handhabung der Allparteilichkeit in der Mediation
unerlässlich sind und die Erarbeitung der Herkunft dieser Werte, kann die Hypothese,
dass nicht alle
Menschen gleich gut oder gar nicht geeignet sind, den Beruf einer Mediatorin auszuüben, bestätigt
werden. Verfügt die Mediatorin nicht über die nötige Wertepalette, um der Allparteilichkeit gerecht
zu werden, ist diese nicht lebbar. Das heisst, die Medianten können nicht sicher sein, dass die Medi-
atorin immer das Wohlergehen beider oder aller Parteien im Auge hat. Sie können nicht sicher sein,
dass die Mediatorin über die nötige Ruhe, Besonnenheit, Selbsterkenntnis und Reflexionsfähigkeit
verfügt. Ebenso wenig können sie sicher sein, dass sie einen hohen Grad an Beherrschung besitzt
und ihren Medianten vertraut und an das Gute in ihnen glaubt. Weiter fehlt auch die Sicherheit, dass
die Mediatorin ihre Intimität wahrt und die nötige Distanz walten lässt, um ihre Würde zu schützen
und sich nicht in ihre Belange einmischt.
Somit kann die Mediatorin wohl ihr Bestes geben, läuft aber in Gefahr, dass die Allparteilichkeit
nicht gewahrt wird und die Mediation dadurch vielleicht nicht befriedigend abgeschlossen werden
kann.

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Literaturverzeichnis
Die nachstehenden Werke werden mit dem Namen des Autors/der Autorin, dem Publikati-
onsjahr und der Seitenzahl zitiert. Bei mehreren Publikationen desselben Autors/derselben
Autorin wird ein präzisierender Zusatz eingefügt.
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Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Allparteilichkeit in der Mediation. Eine Betrachtung der notwendigen Werte aus psychologischer und philosophischer Sicht
Hochschule
Université de Fribourg - Universität Freiburg (Schweiz)
Autor
Jahr
2017
Seiten
19
Katalognummer
V375930
ISBN (eBook)
9783668534902
ISBN (Buch)
9783668534919
Dateigröße
530 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
nicolai hartmann, alfred adler, fairness, allparteilichkeit, mediation
Arbeit zitieren
Carmen Droll (Autor:in), 2017, Allparteilichkeit in der Mediation. Eine Betrachtung der notwendigen Werte aus psychologischer und philosophischer Sicht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/375930

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