Das Identifikationspotenzial von gastronomischen und kaufmännischen Berufen

Eine explorative Studie


Masterarbeit, 2017

173 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

ABSTRACT

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

TABELLENVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG
1.1 METHODISCHER AUFBAU DER ARBEIT

2 IDENTITÄT (IS)
2.1 IDENTITÄTSTHEORIE NACH GEORG HERBERT MEAD
2.2 IDENTITÄTSTHEORIE NACH ERIK HOMBURGER ERIKSON
2.3 IDENTITÄTSTHEORIE NACH LOTHAR KRAPPMANN
2.4 IDENTITÄTSTHEORIE NACH HANS-PETER FREY UND KARL HAUßER
2.5 IDENTITÄTSTHEORIE NACH HEINER KEUPP
2.6 ZWISCHENFAZIT DER IDENTITÄTSTHEORIEN

3 BERUFLICHE IDENTITÄT (IS)
3.1 BERUFLICHE IDENTITÄT NACH HEINEMANN UND RAUNER
3.2 BERUFLICHE IDENTITÄT NACH LEWALTER, WILD UND KRAPP
3.3 BERUFLICHE IDENTITÄT NACH KEUPP
3.4 EINE MÖGLICHE DEFINITION DER BERUFLICHEN IDENTITÄT

4 AUSBILDUNG DEUTSCHLAND
4.1 KÖCHIN/KOCH (WK-J)
4.1.1 Zahlen, Daten, Fakten
4.1.2 Die Ausbildung
4.1.3 Aktuelle Marktlage
4.1.4 Lohn
4.1.5 Veränderungen der beruflichen Anforderungen
4.1.6 Die beruflichen Zukunftschancen
4.2 KAUFFRAU/KAUFMANN FÜR BÜROMANAGEMENT (IS)
4.2.1 Zahlen, Daten, Fakten
4.2.2 Die Ausbildung
4.2.3 Aktuelle Marktlage
4.2.4 Lohn
4.2.5 Veränderungen der beruflichen Anforderungen und Prestige
4.2.6 Die beruflichen Zukunftschancen

5 BERUFLICHE IDENTITÄT IN STUDIEN (WK-J)
5.1 STUDIE I
5.2 ZUSAMMENSETZUNG BERUFLICHER IDENTITÄT NACH RAUNER
5.2.1 Berufliches Engagement
5.2.2 Betriebliches Engagement
5.2.3 Arbeitsmoral
5.2.4 Berufliche Identität
5.3 IDENTITÄT UND ENGAGEMENTSPROFILE EINZELNER BERUFE
5.4 ENTWICKLUNG BERUFLICHER IDENTITÄT ÜBER DIE AUSBILDUNGSJAHRE
5.4.1 Das stabile und gleichbleibend hohe berufliche Engagement
5.4.2 Die U-förmige Entwicklung von beruflichem Engagement
5.4.3 Das Absinken des beruflichen Engagements und der Identität
5.5 ZUSAMMENFASSENDE CHARAKTERISIERUNG
5.6 FAZIT
5.7 STUDIE II
5.7.1 Übergeordnete Fragestellungen und Erhebungsdesign des Gesamtprojektes
5.7.2 Exemplarische Befunde
5.8 FAZIT

6 QUALITATIVE FORSCHUNG RAHMENLEHRPLAN
6.1 HANDLUNGSKOMPETENZ (IS)
6.2 KOMPETENZEN AUS DEM RAHMENLEHRPLÄNEN (IS+WK-J)
6.2.1 Fachkompetenz
6.2.2 Selbstkompetenz
6.2.3 Sozialkompetenz
6.2.4 Methodenkompetenz
6.2.5 Kommunikative Kompetenz
6.2.6 Lernkompetenz
6.3 BERUFLICHE IDENTITÄT ALS BESTANDTEIL DER HANDLUNGSKOMPETENZ
6.4 LERNFÖRDERLICHE ARBEIT (IS)
6.5 ZWISCHENFAZIT

7 ENTWICKLUNGSAUFGABEN IN DER BERUFSBILDUNG (WK-J)
7.1 IDENTIFIKATION UND SELBSTBESTIMMUNG
7.1.1 Identifikation durch Passung
7.1.2 Passungen Holland Berufsbild Köchin/Koch
7.1.3 Passungen Holland Berufsbild Kaufrau/-mann für Büromanagement
7.1.4 Selbstbestimmung
7.2 KOMPETENZ
7.3 ANERKENNUNG UND SOZIALE EINGEBUNDENHEIT
7.4 FAZIT

8 QUALITATIVE SOZIALFORSCHUNG (IS)
8.1 GÜTEKRITERIEN
8.2 ERHEBUNGSTECHNIK
8.2.1 Pretest
8.2.2 Praktische Umsetzung der Interviews
8.2.3 Transkription
8.3 KATEGORIEN
8.3.1 Allgemein
8.3.2 Identifikation und Passung
8.3.3 Soziale Eingebundenheit und Anerkennung
8.3.4 Gestaltung
8.3.5 Qualität
8.3.6 Orientierung (konkrete berufliche Inhalte und das Kompetenzerleben)
8.3.7 Interessenentwicklung
8.4 DIE INTERVIEWTEN IM GESAMTBILD
8.4.1 Köche (WK-J)
8.4.2 Kauffrauen für Büromanagement (IS)
8.5 REFLEXION DER ANGEWENDETEN FORSCHUNGSMETHODEN

9 FAZIT
9.1 AUSBLICK

LITERATURVERZEICHNIS

ANHANG 1: WAHLQUALIFIKATIONEN IM DETAIL

ANHANG 2: TRANSKRIBIERTE INTERVIEWS

ABSTRACT

Um das Identifikationspotenzial von kaufmännischen und gastronomischen Berufen zu erforschen, haben wir uns dafür entschieden, exemplarische Berufe aus den jeweiligen Sektoren mithilfe von Interviews zu untersuchen. Aus persönlichen Gründen haben wir im Sinne unserer Ausbildungen den Beruf Köchin/Koch gewählt. Das Interesse an den kaufmännischen Berufen existiert aufgrund unseres Unterrichtfaches Betriebswirtschaftslehre. Diesbezüglich haben wir uns für den Ausbil- dungsberuf Kauffrau/-mann für Büromanagement entschieden, weil dieser Beruf zum einen neu konstruiert wurde und er zum anderen der beliebteste Ausbildungsberuf Deutschlands ist. Aus vo- rangegangenen Studien, welche sich mit der Entwicklung von beruflicher Identität beschäftigt ha- ben, ging eindeutig hervor, dass Köche und Köchinnen über eine höhere berufliche Identität verfü- gen als Auszubildende aus kaufmännischen Berufen. Der Unterschied in dieser Masterarbeit be- steht darin, dass im Folgenden nicht nur die berufliche Identität der Befragten, sondern auch die Hintergründe der Berufe untersucht werden. Dafür wurde das Identifikationspotenzial von zehn Auszubildenden der eben genannten Berufe mit qualitativen Interviews untersucht, welche in Form eines leitfadengestützten Experteninterviews geführt wurden. Die Erstellung des Interviewleitfa- dens erfolgte mithilfe der von uns zuvor ausgewerteten Theorie dieser Arbeit. Die genaue Analyse der beiden untersuchten Ausbildungsberufe erfolgte durch ein von uns weiterentwickeltes Modell. Die Auswertung hat ergeben, dass die Köchinnen und Köche eine größere Leidenschaft für ihren Beruf entwickelt haben. Grundsätzlich haben alle zehn befragten Experten/Expertinnen im Laufe ihrer Ausbildung eine hohe berufliche Identität ausgebildet. Für uns als zukünftige Berufsschulleh- rerinnen war diese Arbeit von Relevanz, um in der Zukunft die Identitätsentwicklung unserer Schü- lerinnen und Schüler positiv zu beeinflussen.

The purpose of this study is to research on potential of identification of apprentices in commercial and gastronomical professions and we have decided to investigate on the potential by interviews in two exemplary professions of this categories. This Master Thesis was written by two vocational school teacher students in the faculty of Nutritional Science and Home Economics of the Universi- ty of Hamburg. We have chosen to focus in the gastronomic professions on apprentices becoming a Chef as both of us have successfully completed an apprenticeship as Chef and have worked as chefs for several years. Furthermore, in the commercial professions, we have decided to focus on apprentices becoming management assistant in office communication since business administra- tions will be one of the subjects we will teach and the education program was subject of a recon- struction in 2014. Also management assistant in office communication is most popular and has the highest demand for apprenticeships in Germany. Previous studies carried out to survey on the level of identification with different professions revealed that chefs develop a higher identification with their profession than commercial professionals do. Other than previous studies, this thesis is not restricted to the level of identification of the interviewees with their profession but also considers and respects basic backgrounds of the earlier mentioned professions such as but not limited to ex- pectations and liberties at gaining and training of skills and abilities.The potential of identification was surveyed by holding qualified interviews with ten apprentices whereas a standardized ques- tionnaire served as guidance through the interviews. The questionnaire used during the interviews has been produced basis the Theory defined and analyzed initially in this this Thesis. The final analysis of the identification with the profession within the two defined professions was carried out with a analysis tool developed by us and which widely represents the development of identification in the professions. The analysis result states basically all of the interviewees had developed a high identification with their profession, but that becoming chefs have developed a higher level of pas- sion and identification with their profession. As becoming vocational school teachers this Thesis was of relevance in order to support and positively influence on the development of identification of our future students.

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

ABBILDUNG 1: BERUFLICHE IDENTITÄT NACH RAUNER (ORIGINALABBILDUNG)

ABBILDUNG 2: BERUFLICHE IDENTITÄT NACH KEUPP (ORIGINALABBILDUNG) (KEUPP, 2002, S. 218)

ABBILDUNG 3: BERUFLICHE IDENTITÄT NACH LEWALTER ET AL. (ORIGINALABBILDUNG) (LEWALTER, WILD, & KRAPP, 2001, S. 15)

ABBILDUNG 4: ORIGINALABBILDUNG DER VOLLSTÄNDIGEN HANDLUNG NACH BIBB (BERUFSBILDUNG, 2016)

ABBILDUNG 5: TZI (ORIGINALABBILDUNG) (COHN & FARAU, 1984)

ABBILDUNG 6: ENTWICKLUNGSAUFGABEN IN BERUFLICHEN ÜBERGÄNGEN (ORIGINALABBILDUNG) (THOLE, 2015, S. 8)

ABBILDUNG 7: INTERESSENENTWICKLUNG DER KÖCHE (EIGENE DARSTELLUNG)

ABBILDUNG 8: INTERESSENENTWICKLUNG DER KAUFFRAUEN FÜR BÜROMANAGEMENT (EIGENE DARSTELLUNG)

ABBILDUNG 9: ENTWICKLUNG BERUFLICHER IDENTITÄT, EIGENE DARSTELLUNG

Tabellenverzeichnis

TABELLE 1: DAS 8-STUFEN-MODELL NACH ERIKSON

TABELLE 2: NEUABSCHLÜSSE DER AUSBILDUNGSVERTRÄGE ZUR KÖCHIN/ZUM KOCH NACH JAHREN

TABELLE 3: NEUABSCHLÜSSE DER BÜROMANAGEMENTAUSZUBILDENDEN NACH JAHREN

TABELLE 4: VERDIENST BÜROMANAGEMENTKAUFFRAU/-MANN (DEUTSCHE HANDWERKSZEITUNG, 2017)

TABELLE 5: BERUFLICHE IDENTITÄT NACH AUSBILDUNGSBERUFEN. (ORIGINALABBILDUNG) (HEINEMANN & RAUNER, 2008, S. 15)

TABELLE 6: SPEZIFISCHE INTERESSEN NACH LEWALTER, WILD UND KRAPP

TABELLE 7: KOMPETENZMATRIX NACH EVANET - KÖCHINNEN/KÖCHE

TABELLE 8: KOMPETENZMATRIX NACH EVANET - KAUFFRAU/-MANN FÜR BÜROMANAGEMENT

1 Einleitung

Im Laufe unseres Lebens, insbesondere im Studium beim Beginn neuer Seminare, wurden wir des Öfteren gefragt: ÄWer sind Sie? Können Sie sich kurz vorstellen?“ Doch wer sind wir eigentlich?

In der Grundschule würde diese Frage wahrscheinlich noch recht knapp beantwortet werden, doch im Laufe des Lebens und der Erweiterung des Lebenslaufes weiten sich die Antworten aus. Beispielsweise bezeichnen sich die Schülerinnen und Schüler eines Gymnasiums als Gymnasiasten oder Abiturienten. Im Laufe der Berufsausbildung wür- den Befragte auf die Frage ÄWer sind Sie?“ sicherlich ÄAzubi“ antworten und im besten Falle voller Stolz den Ausbildungsberuf nennen. Dabei wird meist der aktuelle Lebens- abschnitt erwähnt. Trotz unserer Berufsausbildungen im gastronomischen Bereich wür- den wir uns derzeit als Studentinnen für das Berufsschullehramt oder demnächst als Referendarinnen vorstellen. In naher Zukunft werden wir uns als Lehrerinnen bezeich- nen. Der Lebenslauf formt unsere Identität und wird von uns selbst gestaltet. Die wis- senschaftliche Annährung an das Themengebiet ÄIdentität“ erfolgte in den Seminaren ÄBerufliche Sozialisation und pädagogische Professionalisierung“ sowie ÄBerufliche Identität - ein Mythos der modernen Arbeitswelt?“. Dadurch wurde unser Interesse ge- weckt, uns zunächst mit unserer eigenen Identität zu beschäftigen und diese zu hinter- fragen. Im weiteren Verlauf haben wir begonnen, das Thema berufliche Identität an unserer Kernpraktikumsschule genauer zu beobachten. Hierbei ist uns unter anderem aufgefallen, dass die Lehrerinnen und Lehrer (im Folgenden mit LuL abgekürzt) die Schülerinnen und Schüler (im Folgenden mit SuS abgekürzt) in ihre Berufe eingruppie- ren und ihnen somit bestimmte Berufe zuordnen. Gemeint sind hiermit Aussagen wie beispielsweise Ätypisch Köche, nur am Rauchen“. An unserer Praktikumsschule haben die Köchinnen und Köche regelmäßige Präsentationen ihrer gekochten Speisen durch- geführt, wozu andere Schulklassen sowie LuL der Schule eingeladen wurden. Dieses hat den Köchinnen und Köchen die Möglichkeit geboten, innerhalb der Berufsschule Anerkennung für ihren Beruf zu erlangen. Wie sich im späteren Verlauf dieser Master- arbeit noch herausstellen wird, wirkt sich eine positive Anerkennung förderlich auf die Bildung von beruflicher Identität aus. Auch wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir uns im Laufe unserer Ausbildung zur Hotelfachfrau/Köchin durch Lob und Anerken- nung besser mit dem Beruf identifizieren konnten. Dadurch haben wir begonnen, uns damit zu beschäftigen, welche unterschiedlichen Ausbildungen von beruflicher Identität es in verschiedenen Berufsfeldern gibt. Dieses führte uns zu einer Studie von Felix Rauner, die den Beweis lieferte, dass Köchinnen und Köche über eine hohe berufliche Identität verfügen.

Bei der Durchsicht der beruflichen Identität der einzelnen Berufe ist uns aufgefallen, dass insbesondere die Berufe aus dem kaufmännischen Bereich eine vergleichsweise niedrige berufliche Identität aufweisen. Dadurch wurde unser Interesse geweckt, die Gründe dafür zu identifizieren, und wir wurden zu unserer Fragestellung mit dem The- ma ÄDas Identifikationspotenzial von gastronomischen und kaufmännischen Berufen - eine explorative Studie.“ geführt. Durch unsere bereits genannten Ausbildungen in der Gastronomie und unser Unterrichtsfach Betriebswirtschaftslehre sind wir an der Ent- wicklung von beruflicher Identität in beiden Wirtschaftszweigen interessiert. Für die Untersuchung der gastronomischen Ausbildungsberufe war uns schnell klar, dass wir das Identifikationspotenzial von Köchinnen/Köchen untersuchen möchten. Die Studie von Felix Rauner liefert bereits eindeutige Befunde, welche wir näher beleuchten wol- len. Im Bereich der kaufmännischen Berufe haben wir uns für den erst seit 2014 beste- henden Ausbildungsberuf Kauffrau/-mann für Büromanagement entschieden. Zum einen zählt der Beruf mit den 28.656 neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen im Jahre 2016 zu den beliebtesten Ausbildungsberufen Deutschlands. (Bundesinstitut für Berufsbildung - Datenblatt - Kaufmann/-frau für Büromanagement, 2016) Zum anderen besteht die Überlegung, dass der Beruf aufgrund des erst kürzlich überarbeiteten Rah- menlehrplanes eine modernere Struktur aufweist und damit eine geeignete Basis für die Entwicklung von beruflicher Identität darstellt. Aus diesem Grund möchten wir die Rahmenlehrpläne des Ausbildungsberufes Köchin/Koch mit dem Rahmenlehrplan der Kauffrauen/-männer für Büromanagement vergleichen. Dafür haben wir uns ergänzend vorgenommen, als Teil der qualitativen Forschung eine Kompetenzmatrix nach Tramm in dem Feld BE für beide Berufe nachzubilden. Damit verfolgen wir das Ziel, einen besseren Überblick über die identitätsfördernden Inhalte der Rahmenlehrpläne zu erhal- ten. Ein großer Teil dieser Masterarbeit widmet sich den Interviews der Sozialfor- schung. Durch die Forschungsmethode der qualitativen Interviews ergibt sich für uns die Möglichkeit, die berufliche Identität von Auszubildenden aus dem kaufmännischen Bereich und aus dem gastronomischen Sektor miteinander zu vergleichen. Dabei soll auch der Frage nachgegangen werden, in welcher Ausgeprägtheit das Identifikationspo-tenzial der untersuchten Berufe für die Entwicklung von beruflicher Identität verantwortlich ist. Dabei schwingt die Überlegung mit, dass sich der Identitätsbegriff in den letzten Jahrzehnten verändert hat. So war es vor 50 Jahren vielerorts noch eine Selbstverständlichkeit, wenn Söhne das Handwerk von ihrem Vater übernommen haben. Das Traditionsbewusstsein hat sich mit der Globalisierung verändert. Zu damaligen Zeiten haben sich die Menschen auch an örtlichen Gegebenheiten orientiert, während es junge Menschen heutzutage vermehrt in die Großstädte zieht.1

1.1 Methodischer Aufbau der Arbeit

Für die Erforschung des Identifikationspotenzials der gewählten Ausbildungsberufe Kauffrau/-mann für Büromanagement und Köchin/Koch haben wir dieses aus mehreren Perspektiven beleuchtet. Um uns dem Thema der Identität beziehungsweise der berufli- chen Identität anzunähern, wird im ersten Kapitel die Identität mithilfe verschiedener Autoren und ihrer Identitätstheorien wie Mead, Erikson, Krappmann, Frey & Haußer nach der differenzierten Literaturanalyse beschrieben. Im Anschluss daran erfolgt im zweiten Kapitel eine Beschreibung des Begriffes und der Entstehungsmutmaßungen zur beruflichen Identität nach Rauner, Keupp und Lewalter, Wild mit Krapp. Die Literatur- recherche der verschiedenen Identitätstheorien soll Aufschluss über den Entstehungs- prozess von Identität geben. Im dritten Kapitel werden die exemplarisch ausgewählten Berufe Köchin/Koch und Kauffrau/-mann für Büromanagement beschrieben. Dafür werden Zahlen, Daten und Fakten ausgewertet und ein Blick auf die beruflichen Anfor- derungen und die derzeitige Ausbildungssituation geworfen. Zudem werden die Verän- derungen der beruflichen Anforderungen, die beruflichen Zukunftschancen und die Lohnunterschiede thematisiert. Im Kapitel vier beschäftigen wir uns zunächst mit den Studien ÄEngagement und Ausbildungsorganisation - Einstellungen Bremerhavener Auszubildender zu ihrem Beruf und ihrer Ausbildung“ und ÄEinstellungen sächsischer Auszubildender zu ihrem Beruf und ihrer Ausbildung“. Die Studie in Bremerhaven wurde von Felix Rauner, Lars Heinemann und Andrea Maurer entworfen, ausgeführt und evaluiert. Die Studie in Sachen wurde von Matthias Pfeiler, der Landesinitiative QEK Sachen und der Handwerkskammer Dresden in Anlehnung an Felix Rauner, Lars Heinemann und Andrea Maurer der Uni Bremen durchgeführt. In den Studien wird die berufliche Identität in verschiedenen Ausbildungsberufen und unterschiedlichen Kate- gorien verglichen. Diese Untersuchung bietet unter anderem einen spannenden Blick- winkel auf die von uns untersuchten Berufe. Des Weiteren wurde die Interessenentwick- lung in der beruflichen Ausbildung von Lewalter/Wild und Krapp betrachtet. Das Kapi- tel fünf definiert die Handlungskompetenzen, um daraufhin die Rahmenlehrpläne der beiden ausgewählten Berufe vergleichen zu können. Um die Entstehung von beruflicher Identität genauer zu beleuchten, wird im Kapitel sechs ein Modell untersucht, welches die Entwicklung von beruflicher Identität genauer aufschlüsselt. Dafür wird ein Modell von Christiane Thole in Anlehnung an das Modell der Themenzentrierten Interaktion nach Ruth Cohn ausführlich dargestellt und erweitert. Die gesichtete Literatur dient der Erstellung des Interviewleitfadens. Die Interviews wurden mit der Methode des leitfa- dengestützten Experteninterviews durchgeführt. Dafür wurden sowohl fünf Kauffrauen für Büromanagement als auch fünf Köche befragt. Die Auswertung der Interviews soll ergänzend zu der zuvor getätigten Triangulation der theoretischen Befunde Aufschluss über das Identifikationspotenzial der einzelnen Berufsfelder bieten.

2 Identität (IS)

Damit das Identifikationspotenzial von gastronomischen und kaufmännischen Auszu- bildenden erfasst werden kann, ist es erforderlich, sich mit der Identität zu beschäftigen und genauer zu definieren. Im Folgenden wird der Begriff als solcher näher betrachtet und daraufhin in verschiedenen Theorien der Identität mithilfe der entsprechenden Lite- ratur weiter analysiert. Dabei wurden die verschiedensten Autoren ausgewählt: Zum einen die Theorien von den Gründervätern der Identität Georg Herbert Mead und Erik Homburger Erikson. Zum anderen Theorien, welche im deutschen Sprachraum veröf- fentlich wurden, wie z. B. von Lothar Krappmann sowie Hans-Peter Frey und Karl Haußer. Abschließend wurde das neuere Theoriemodell von Heiner Keupp mit in den Fokus gerückt, um sich nicht nur auf die grundlegende Literatur zu beschränken.

Das Wort ÄIdentität“ lässt sich von dem lateinischen Wort Äidem“ ableiten und bedeutet so viel wie Äderselbe“ bzw. Ädasselbe“. Im mathematischen Bereich und unter der Ver- wendung des Adjektivs Äidentisch“ ist diese hbersetzung auch völlig legitim. Jedoch ist es nicht möglich, von dieser Übersetzung auf die Bedeutung des Substantives zurückzu- schließen.

Im Duden ist das Substantiv ÄIdentität“ wie folgt bestimmt:

1. a. Echtheit einer Person oder Sache; völlige Übereinstimmung mit dem, was sie ist oder als was sie bezeichnet wird
b. (Psychologie) als >Selbst< erlebte innere Einheit der Person (Bibliographisches Institut, 2017)

Daran wird deutlich, dass es sich bei dem Substantiv ÄIdentität“ um Individualität, um Einzigartigkeit handelt und nicht wie beim Adjektiv um dasselbe. Jedes Individuum ist anders, jeder Mensch lässt sich von einem anderen unterscheiden, zum Beispiel anhand der objektiv erkennbaren Merkmale wie Geschlecht, Körpermerkmale, Herkunft, Spra- che, Bildung, Werte oder Religion. Dies gilt ebenso für die zusammengesetzten Sub- stantive mit Identität wie Identifikationsnummer, welche auf jedem Ausweis in der Bundesrepublik Deutschland zu finden ist, oder eben auch wie im Titel unserer Arbeit das Identifikationspotenzial, welches sich ebenfalls von Individuum zu Individuum unterscheidet.

Mit dem Begriff ÄIdentität“, deren Entstehung und Veränderung hat sich eine Reihe von Autoren beschäftigt. Einige werden im Folgendem mit ihren Modellen zur Identität kurz dargestellt. Natürlich erhebt diese Auswahl keinen Anspruch auf Vollständigkeit, auch eine dezidierte Auseinandersetzung mit den einzelnen Theorien ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich. Jedoch soll mithilfe dieser Beschreibungen das grundlegende Verständnis zur Identität geschaffen werden.

2.1 Identitätstheorie nach Georg Herbert Mead

Um den Begriff ÄIdentität“ näher zu erläutern, ist eine Betrachtung des folgenden Autors unerlässlich. Der US-amerikanische Philosoph, Soziologe und Psychologe Georg Herbert Mead hat sich in seinen Arbeiten intensiv mit dem Konstrukt der Identi- tät befasst. Die menschliche Kommunikation ist laut Mead Ausgangspunkt der Identität. Der Mensch ist in der Lage, auf Zeichen und Gesten zu reagieren und diese in ganze Handlungszusammenhänge zu bringen, diese bezeichnet Mead als Symbole. Wenn eine soziale Gruppe diese Symbole gleich interpretiert, spricht er von signifikanten Symbo- len. Durch die Fähigkeit des Menschen zu denken, kann er seine Reaktionen auf das Verhalten anderer verzögern, dies unterscheidet ihn vom Tier, so Mead.

,,Identität entwickelt sich; sie ist bei der Geburt anfänglich nicht vorhanden, entsteht aber innerhalb des gesellschaftlichen Erfahrungs- und Tätigkeitsprozess, das heißt im jeweiligen Individuum als Ergebnis seiner Beziehungen zu diesem Prozess als Ganzem und zu anderen Individuen innerhalb dieses Prozesses.“ (Mead, 1973, S. 117) Während der Entwicklung der Identität unterscheidet Mead zwei soziale Phasen, und zwar Äplay“ und Ägame“. Beim Äplay“ versetzt sich das Kind in eine andere Rolle, z. B. beim Spie- len von Mutter und Kind. Meist ist dies eine Rolle, die dem Kind sehr vertraut ist. Mead nennt diese andere Person signifikante andere. Wenn nun zu dem Spiel mehrere Han- delnde und auch noch Regeln dazukommen, spricht Mead vom Ägame“, welches mit Wettkampf übersetzt werden kann. Hier versetzt sich das Kind bzw. der Jugendliche in mehrere Rollen wie bei einem Mannschaftsspiel. Das führt dazu, dass das Kind nun wissen muss, welches Verhalten von ihm erwartet wird, und es muss wissen, wie und auch warum die anderen wie handeln. Diese anderen bezeichnet Mead dann als genera-lisierte andere. ÄInsofern kann man den generalisierten Anderen auch als die Summe der Erwartungen aller und letztlich als die Normen und Werte der Gesellschaft, die einer bestimmten Situation relevant sind, bezeichnen.“ (Abels, Identitäten, 2016, S. 511)

Des Weiteren beschreibt Mead das ÄI“ und das ÄMe“. Das ÄI“ ist der impulsive Teil des Ichs. ÄSeine biologische Basis ist ein konstitutioneller Antriebsüberschuss.“ (Abels, Identitäten, 2016, S. 512) Dieser Teil ist nicht sozialisierbar, d. h., auch wenn ein ein- deutiges Bild von den generalisierten anderen vorliegt, kann das impulsive Ich anders reagieren als von anderen gewünscht und manchmal auch zur eigenen Überraschung. Das ÄMe“ ist der reflektive Teil des Ichs. Dieser Teil setzt sich aus einer Reihe von Er- fahrungen, vom Verhalten anderer in bestimmten Situationen und den daraus entstande- nen Bildern über uns selbst zusammen. Dieser reflektive Teil wird immer wieder neu konstruiert, vor allem durch neue Situationen oder Handlungen anderer. Wenn das ÄMe“ nun immer wieder in Einklang mit dem ÄI“ gebracht wird, entsteht, soweit es möglich ist, ein einheitliches Selbstbild und damit das ÄSelf“ (übersetzt Identität). (Mead, 1973, S. 200ff)

Heinz Abels hat die Theorie Meads wie folgt zusammengefasst: ÄIndem wir uns in die Rolle des Anderen hineinversetzen und uns vorstellen, wie er auf uns reagieren wird, betrachten wir uns auch selbst, wie wir reagieren. Wir werden auf uns selbst aufmerk- sam, ja mehr noch: Wir sehen uns mit den Augen des Anderen, und erst auf diesem Umweg über den Anderen werden wir uns selber bewusst!“ (Abels, Identitäten, 2016, S. 510)

2.2 Identitätstheorie nach Erik Homburger Erikson

,,Erikson ist ein Freudianischer Ichpsychologe (ego-psychologist). Das bedeutet, dass er davon ausgeht, dass Freuds Theorien grundsätzlich korrekt sind, eingeschlossen der eher kontroversen Ideen wie etwa der Ödipuskomplex2, aber er akzeptiert auch die The- orien über das Ich.“ (Boeree, 2006, S. 6) Eriksons Schlüsselwerk ist das 1959 in Ameri- ka erschienene Buch ÄIdentität und Lebenszyklus“. Das Buch besteht aus drei Aufsät- zen, welche sich schrittweise dem Problem der psychosozialen Entwicklung annähern. Erik Homburger Erikson hat in Harvard sein Stufenmodell der psychosozialen Entwick-lung in Anlehnung an das Freudsche Modell der psychosexuellen Entwicklung, welches fünf Phasen inkludierte, weiterentwickelt. ÄDie Entwicklung läuft ihm zufolge nach dem epigenetischen Prinzip ab. Dieses Prinzip besagt, dass wir uns durch eine festge- legte Entwicklung unserer Persönlichkeit in acht Stadien entwickeln.“ (Boeree, 2006, S. 6) In jeder dieser acht Phasen, die alle zu einer bestimmten Zeit im Leben ablaufen, kommt es zu einer entwicklungsspezifischen Krise, deren Lösung den weiteren Entwicklungsweg vorgibt.

Die erste Stufe findet im Kleinkindalter 0 - 1 Jahr statt und wird auch als oralsensorische Phase bezeichnet. Hier entwickelt das Kleinkind Vertrauen oder Misstrauen, dabei ist es von den Eltern abhängig, ob ein Neugeborenes Vertrauen oder Misstrauen entwickelt. (Jörissen, 2010, S. 44) (Boeree, 2006, S. 9)

Die zweite Stufe betrifft Kinder im Alter von ca. 18 Monaten bis zu vier Jahren. Diese Stufe bezeichnet Erikson auch als anal-muskuläre Phase. Die zweite Stufe wird sowohl von den Eltern als auch von weiteren Personen geprägt. Die zentrale Entwicklungsauf- gabe besteht darin, einen Sinn für Autonomie und den eigenen Willen zu erlangen. Da- für ist es notwendig, Zweifel und Scham zu minimieren. (Jörissen, 2010, S. 44) (Boeree, 2006, S. 9-10)

Die dritte Stufe findet im Alter zwischen drei und sechs Jahren statt und wird genitallokomotorische Stufe genannt. Die entwickelte Grundstärke ist die Entschlusskraft, dafür müssen die Kinder in der Phase lernen Initiative zu ergreifen, ohne dabei viel Schuld zu empfinden. (Jörissen, 2010, S. 44)

Die vierte Stufe betrifft Kinder im Schulkindalter zwischen sechs und zwölf Jahren und wird als Latenzperiode bezeichnet. Die Kinder erwerben Kompetenz, indem sie Leistungsfähigkeit entwickeln und das Empfinden von Minderwertigkeitsgefühlen unterdrücken lernen. (Boeree, 2006, S. 11-12)

Die fünfte Stufe, die Adoleszenz, ist in der Pubertät angesiedelt und endet meist zwi- schen 13 und 20 Jahren. In dieser Phase ist es essenziell, die sogenannte Ich-Identität zu erreichen. In der Adoleszenz entwickeln sich die Pubertierenden vom Kind zum Er- wachsenden und suchen sich einen Platz in der Gesellschaft. In dieser Zeit beenden die Jugendlichen häufig auch ihre schulische Laufbahn und werden mit der Frage konfron-tiert, welcher beruflichen Tätigkeit sie zukünftig nachgehen wollen. Wenn diese Phase erfolgreich ausbalanciert ist, wird nach Erikson die Glaubwürdigkeit erreicht. Damit ist beispielsweise Loyalität oder die Fähigkeit, gemäß gesellschaftlicher Standards zu leben, gemeint. In der Adoleszenz haben die Heranwachsenden häufig auch erste sexuelle Gefühle und Erfahrungen. (Jörissen, 2010, S. 13)

In die sechste Stufe ordnet Erikson die Phase des jungen Erwachsenenalters zwischen 18 und 30 Jahren ein. Hierbei stellt vor allem die Bindung an andere Menschen bzw. einen Partner eine der wesentlichen Entwicklungsaufgaben dar, woraus auch die Fähigkeit zur Fürsorge resultiert. (Jörissen, 2010, S. 14)

Die siebte Phase ist die des mittleren Erwachsenenalters. Diese findet ungefähr ab Mitte der 20er bis zu den späten 50er Jahren statt. Hier besteht die wesentliche Entwicklungs- aufgabe darin, eine Balance zwischen Generativität und Stagnation zu finden. (Jörissen, 2010, S. 15)

In der achten Phase wird die spätere Erwachsenenphase im Alter um die 60 Jahre betrachtet. Hier besteht die Entwicklungsaufgabe darin, eine Ich-Integrität zu entwickeln. Dabei spielt der Umgang mit dem Altern eine zentrale Rolle, indem sich die Personen mit dem alternden Körper und dem Zustand, nicht mehr gebraucht zu werden, abfinden müssen. (Jörissen, 2010, S. 16-17)

Dieses 8-Stufen-Modell ist in der folgenden Tabelle in Anlehnung an Mück noch einmal zusammenfassend dargestellt. (Mück, 2003)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Das 8-Stufen-Modell nach Erikson

Zum Verständnis der Psyche des Menschen bediente sich Erikson der Identität, genauer der Ich-Identität. Erikson teilt die Ich-Identität in einen inneren und einen äußeren Teil. Der innere Teil ist der Äder gleich bleibt“ (Erikson, 1973, S. 36), man ist in der Lage, Äsein Selbst als etwas zu erleben, das Kontinuität besitzt“. (Erikson, 1973, S. 36) Das heißt, der Mensch weiß, dass er ein Individuum ist, dass er eine eigene Meinung haben kann und dass er sich von seinem Inneren her nicht verändern kann, denn das ist es, was ihn ausmacht. Der äußere Teil bezieht sich im Wesentlichen auf die ÄIdentifikation des Individuums mit den Idealen und großen Errungenschaften seiner Kultur“. (Erikson, 1973, S. 229 ff.) Damit meint Erikson, dass der Mensch in der Lage ist, die verschiede- nen Umwelteinflüsse anzunehmen und sie so in das eigene Ich zu transportieren, dass es neu transkribiert werden kann. In diesem Zusammenhang grenzt sich Erikson besonders von Freud ab, denn hier räumt Erikson ein, dass die Entwicklung des Ichs nicht nur von psychosexuellen Kräften abhängt, sondern dass es auch immer eine soziale Komponente bei der Entstehung des eigenen Ichs gibt.

2.3 Identitätstheorie nach Lothar Krappmann

Laut Krappmann entwickelt sich die Identität im Laufe von Kommunikations- und Interaktionsprozessen. Jede Kommunikation und die entsprechenden Verhaltensweisen wie Mimik und Gestik formen die Identität immer wieder neu. Die Sprache ist bei Krappmann der Schlüssel zur Identität. Jeder Kommunikationsprozess läuft anders ab.

Das hängt nach Krappmann damit zusammen, dass sich das Individuum in jedem ein- zelnen Kommunikationsprozess in eine andere Rolle begibt. Als Beispiel seien an dieser Stelle Gespräche mit der Mutter und Gespräche mit dem Chef zu nennen. Als Toch- ter/Sohn bzw. Arbeitnehmer werden zwei verschiedene Rollen eingenommen. Diese Rollendistanz, wie auch Ervin Goffman sie nennt, ist eine identitätsfördernde Fähigkeit. (Krappmann, 1969, S. 132) Außerdem ist den Arbeiten Krappmanns zu entnehmen, dass auch die Erwartungshaltungen anders gelegt sind. Das Gespräch mit der Mutter ist privater und gefühlsbetont, während das Gespräch mit dem Chef fernab von Gefühlen sein dürfte, und anders wird es auch nicht erwartet. Das heißt, der Mensch muss sich in jedem Kommunikationsprozess und in jedem Handeln in den anderen hineinversetzen können, damit er dann auch weiß, was von ihm erwartet wird. Gelingt dies nicht, weil der Kommunikationspartner sich so sehr seinem Gegenüber anpasst, bezeichnet Krappmann dies als Grenze der Empathiefähigkeit. Denn so ist der andere nicht mehr er selbst. Diese Empathie wird von Krappmann als zweite identitätsfördernde Fähigkeit bezeichnet, siehe hierzu auch Identitätstheorie nach George Herbert Mead. (Krappmann, 1969, S. 132) ÄObwohl gemeinsames Handeln und Kommunikation auf der einen Seite voraussetzen, dass die Partner sich in Handlungsorientierung und Sprache einander an- gleichen, muss jeder auf der anderen Seite verdeutlichen, Äwer er ist“, um den Ablauf von Zusammenkünften vorhersehbar und auf diese Weise planbar zu machen.“ (Krappmann, 1969, S. 7) Jeder Mensch hat jedoch auch seine eigenen Bedürfnisse und Wünsche und möchte diese im Interaktionsprozess mit anderen umsetzen. ÄDass Rollen zweideutig sind und die Motivationsstrukturen einander wiederstreben, weshalb auch nicht alle Bedürfnisse in einer Situation befriedigt werden können, muss man auch aus- halten können.“ (Abels, Identitäten, 2016, S. 524) Diese identitätsfördernde Fähigkeit bezeichnet Krappmann als Ambiguitätstoleranz. (Krappmann, 1969, S. 132) Da in sol- chen Handlungen aber meist mehrere Akteure agieren, besteht nun die Schwierigkeit, sich jedem Kommunikationspartner empathisch gegenüber zu verhalten und dennoch seinen Bedürfnissen treu zu bleiben. ÄSchließlich muss man auch zeigen, wer man ist, was impliziert, dass man ein persönliches Profil sowohl gegenüber den Normalitätser- wartungen der Anderen als auch in der Kontinuität der eigenen Biographie zeigt. Diese Fähigkeit wird als Identitätsdarstellung bezeichnet.“ (Abels, Identitäten, 2016, S. 524)

Dieses Abwägen zwischen dem Grundsatz der Selbsttreue, persönliche Identität, und dem Grundsatz des empathischen Interagieren mit anderen, soziale Identität, nennt Krappmann balancierende Identität oder auch Ich-Identität. ÄIdentität ist nicht mit einem starren Selbstbild, das das Individuum für sich entworfen hat, zu verwechseln; vielmehr stellt sie eine immer wieder neue Verknüpfung früherer und anderer Interaktionsbeteiligungen des Individuums mit den Erwartungen und Bedürfnissen, die in der aktuellen Situation auftreten, dar.“ (Krappmann, 1969, S. 9)

,,Dieses Konzept der balancierenden Identität hat für Krappmann allerdings noch eine gesellschaftskritische Dimension: Es will Ädas Individuum nicht an vorgegebene Ver- hältnisse anpassen“ (Abels, Identitäten, 2016, S. 524) und kann es auch nicht Ävor den widersprüchlichen Anforderungen einer in sich zerstrittenen Gesellschaft schützen.“ (Abels, Identitäten, 2016, S. 524) Damit meint er aber nicht die Gesellschaft an sich, sondern die Institutionen, welche die Gesellschaft inne tragen. Diese wirken heutzutage anders auf die Betroffenen und nehmen eine andere Stellung in der eigenen Entwick- lung ein.

2.4 Identitätstheorie nach Hans-Peter Frey und Karl Haußer

Identität wird als Äselbstreflexiver Prozess eines Individuums verstanden. Eine Person stellt Identität über sich her, indem sie ihr Wissen, ihre Erfahrungen über sich selbst verarbeitet“ (Frey & Hausser, 1987, S. 4), oder etwas genauer: ÄIdentität entsteht aus situativer Erfahrung, welche übersituativ verarbeitet und generalisiert wird.“ (Frey & Hausser, 1987, S. 21)

Bei Frey und Haußer steht die Verbindung von den drei Teilbereichen der menschlichen Identität, Selbstkonzept, Selbstwertgefühl und Kontrollinstanz, im Vordergrund. Dabei ist das Selbstkonzept die kognitive Komponente, das Selbstwertgefühl die emotionale Komponente und die Kontrollüberzeugung die motivationale Komponente des Indivi- duums.

Bei dem Selbstkonzept geht es um Fragen zur eigenen Person, also wer, wie oder was bin ich. Um ein Selbstkonzept zu entwickeln, muss die Person über ihre eigenen Vorlie- ben, Gefühle, Emotionen und Fähigkeiten Bescheid wissen und es entsteht durch die Verschränkung von genetischen und sozialen Faktoren. Das heißt auch, dass Individuen in dieser Theorie eine entscheidende Rolle innehaben. Das Selbstwertgefühl ist mit den Emotionen eines Menschen eng verbunden. Wie wertgeschätzt fühlt er sich in seiner eigenen Rolle oder in der Interaktion mit anderen? Dieses Selbstwertgefühl lässt sich verändern, und zwar zum einen über ein verändertes Selbstkonzept und zum anderen durch die Veränderung der Kontrollinstanz. Ist das Selbstkonzept positiv und konsistent aufgebaut, ist das Selbstwertgefühl ebenfalls positiv. Die Kontrollüberzeugung oder Kontrollinstanz hat zwei Richtungen, in die es sich entwickeln kann, einmal die Hal- tung, die eigene Situation gestalten zu können, und zum anderen der eigenen Lage aus- geliefert zu sein.

Um eine Identität ausbilden zu können, müssen diese drei Teilbereiche miteinander ver- schmelzen, doch dabei entstehen vier Problemfelder. Das erste ist das Realitätsproblem, eine Übereinkunft zwischen der Außen- und der Innenwelt3. Das heißt, das Individuum nimmt die Außenwelt wahr, verknüpft sie mit seiner eigenen sogenannten Innenwelt, indem es diese beiden miteinander vergleicht, überprüft und ausselektiert, und gibt dann die Ergebnisse in Form von Reaktionen wieder nach außen ab. Das zweite ist das Kon- sistenzproblem. Inwieweit gelingt es, dass das Individuum sich in seiner Innenwelt ver- ändert, ohne dass es dabei ein völlig anderes Individuum bezogen auf die Außenwelt wird. Einfacher gesagt, wie kann man sich selbst treu bleiben. Das dritte Problem ist das Kontinuitätsproblem. Dieses Problem birgt ebenfalls die Frage, wie sich das Individuum selber treu bleiben kann, nur bezogen auf die zeitliche Komponente. Das vierte Problem ist das Individualitätsproblem. Jeder will einzigartig und unverwechselbar sein und eine Identität ausbilden, die im besten Fall keinem anderen Menschen gleicht. (Frey & Hausser, 1987)

2.5 Identitätstheorie nach Heiner Keupp

Heiner Keupp hat den Begriff ÄPatchworkidentität“ in die Identitätsdebatte eingeführt. Damit meint er die Verschränkung der einzelnen Teilidentitäten, die ein Individuum im Laufe seines Lebens durchläuft. Laut Keupp ist Identität ein evaluativer Prozess, der nicht abschließbar ist. Das Ziel ist besteht darin, eine Passung zwischen dem subjektiven Inneren und dem gesellschaftlichen Äußeren herzustellen. Aus Identitätsentwürfen, die nur im Geiste stattfinden, werden eventuell Identitätsprojekte. Diese Projekte sind je- derzeit veränderbar. Um diese Identitätsprojekte umzusetzen, bedarf es einer Identitäts- bildung. Die Metaebene der Identitätskonstruktion setzt sich aus einer oder mehreren dominierenden Teilidentitäten, dem Identitätsgefühl und der biografischen Kernnarrati- on zusammen. Dominierende Teilidentitäten sind bestimmte Teilidentitäten aus einem jeweiligen Lebensbereich. Das Identitätsgefühl entsteht aus der reflektierten Auseinan- dersetzung mit sich selbst (Selbstgefühl) und wie es die alltäglichen Aufgaben bewältigt (Kohärenzgefühl). Die biografische Kernnarration sind die Teile der Identität, die dem Individuum bewusst sind und die es auch mit anderen durch Artikulation mitteilt. Aus diesen dreien entsteht wiederum die Handlungsfähigkeit, sich selbst, der Gesellschaft und dem eigenen Alltagsleben anzupassen, es aber auch zu gestalten und zu verändern. (Keupp, 2002, S. 189-271)

Abschließend lässt sich dieser Prozess wie folgt zusammenfassen:

,,Identität ist nicht etwas, das man von Geburt an hat, was die Gene oder der soziale Status vorschreiben, sondern wird vom Subjekt in einem lebenslangen Prozeß entwi- ckelt. Identität verstehen wir als einen fortschreitenden Prozeß eigener Lebensgestal- tung, der sich zudem in jeder alltäglichen Handlung (neu) konstruiert. Identität wird also nicht vom Subjekt ab und zu gebildet, beispielsweise wenn es sich fragt: Wer bin ich eigentlich? Oder von anderen in einen analogen Dialog verwickelt und gefragt wird: Wer bist du? Subjekte arbeiten (indem sie handeln) permanent an ihrer Identität.“ (Keupp, 2002, S. 215)

2.6 Zwischenfazit der Identitätstheorien

Zu Beginn möchten wir an dieser Stelle darauf hinweisen, dass jede vorgestellte Theorie ihre Berechtigung in der Literatur als Identitätstheorie hat. Es gibt nicht die eine richtige Theorie, alle tragen zu einem Identitätskontrukt bei. Bei der folgenden Zusammenfas- sung soll allerdings der Fokus auf die Relevanz bezüglich des Identifikationspotenzials von Auszubildenden gerichtet sein. Daraus resultiert, dass wir uns mit den einzelnen Vorzügen der Theorien in Bezug auf unser Forschungsinteresse beschäftigen.

Jede der einzelnen Theorien definiert ihren eigenen Entstehungsprozess der Identität. Bei G. H. Mead ist es das Self (Identität), das sich aus dem Me und dem I ergibt. Bei Krappmann ist es die balancierende Ich-Identität, die sich aus der personalen und der sozialen Identität zusammensetzt. Bei Erikson ist die Ich-Identität durch einen inneren und einen äußeren Teil gekennzeichnet. Bei Frey und Haußer entsteht die Identität durch die Verschränkung und Ausbalancierung von dem eigenen Selbstkonzept, dem Selbstwertgefühl und der Kontrollüberzeugung. Bei Keupp ist eine Reihe von reflektiven Maßnahmen über sich selbst und andere nötig, um eine Identität ausbilden zu können.

Es geht in allen Theorien um das einzelne Individuum und wie es sich in der Gegenwart von anderen Individuen darstellt und entwickelt. Des Weiteren lässt sich festhalten, dass es in allen Theorien um einen Prozess handelt, denn eine Identität ist nicht von Grund auf gegeben. Diesbezüglich sind sich alle Autoren einig. Auch wenn Erikson und Mead von einem inneren bzw. impulsiven Ich sprechen, so ist dies nur ein Teil und nicht die gesamte Identität. Somit lässt sich weiter festhalten, dass sich Identität im Laufe des Lebens entwickelt und von jedem Einzelnen so konstruiert wird, dass sie für einen selbst stimmig ist. Es bringt nicht viel, sich hinter einer Maske zu verstecken oder sich in eine Rolle zu versetzen, siehe hierzu die Arbeiten von Goffman ÄWir spielen alle Theater“. Das geht immer nur für eine bestimmte Situation, aber nicht über ein ganzes Leben hinweg. Also steht die Entwicklung des eigenen Ichs im Vordergrund.

Laut Meads Theoriemodell tragen wir alle schon ein Stück Identität in uns, das impulsive Ich (I). Damit lässt sich zumindest die umgangssprachliche Redewendung ÄIch kann nicht aus meiner Haut“, die meist eher unangemessene4 Reaktionen in sich trägt, erklären. Das Me sollte diese nach genauer Reflexion an die entsprechende Situation anpassen. Bei den Auszubildenden ist dieser Sachverhalt ebenso zu beobachten. Während sie sich noch im Elternhaus ihren Gefühlsausbrüchen keiner Erklärung veranlasst fühlen, kann das im berufsschulischen Kontext ganz anders gesehen werden.

Bei Eriksons Theoriemodell ist die Adoleszenz die Phase, in der sich die Identität entwickelt. Das heißt, dass die Auszubildenden, mit denen wir in der Berufsschule arbeiten, gerade in dieser Phase sind und es somit von besonderer Brisanz ist, das Identifikationspotenzial zu entdecken und entsprechend zu fordern und zu fördern. Sonst würde diese Krise nicht positiv abgeschlossen werden können, was wiederum eine Reihe von neuen Problemen mit sich brächte, auch im Zusammenhang mit der Gesundheit. Burnout wäre nur eine zu nennende Folge.

In der Theorie Krappmanns geht es um eine balancierende Identität. Es soll ein Gleichgewicht zwischen dem persönlichen und dem sozialen Ich entstehen. Die Interaktion mit anderen SuS und neuen LuL, das Gefühl, sich auf der Arbeit in Hierarchieebenen einordnen zu müssen, um so seinen eigenen Platz finden zu können, die Kommunikation mit anderen Gesellschaftssystemen als eigenständiges Individuum und die eigenen Wünsche und Bedürfnisse nicht zu vernachlässigen, stellen eine besondere Herausforderung für die Auszubildenden dar. Auch hier kann und muss die Berufsschule und somit wir das Potenzial erkennen und entwickeln.

In der Theorie von Frey und Haußer wird klar, in welchem Dilemma jeder von uns bei der Suche nach seiner persönlichen individuellen Identität ist. Sie beschreiben in ihrer Theorie eine Reihe von Problemen (Realitätsproblem, Konsistenzproblem, Kontinui- tätsproblem, Individualitätsproblem), denen wir uns, besonders im Alltag, stellen müs- sen. Aber auch, dass eine innere Sicherheit, ja eine innere Ausgeglichenheit und die Akzeptanz sich selbst gegenüber einen enormen Beitrag dazu leisten, sich selbst mit der Außenwelt zu arrangieren.

Bei Keupps Theoriemodell wird deutlich, aus wie vielen Aspekten sich die Identität zusammensetzt. Aus jeder erlebten Situation und jedem Prozess, welches das Individuum verarbeitet, werden Teilidentitäten gebildet. Eine Teilidentität ist somit auch die berufliche Identität und deshalb werden wir im nächsten Kapitel wieder auf Keupp und seine Annahme über die Identitätsentwicklung zurückkommen.

Zum Abschluss der Versuch einer Definition von Identität nach Heinz Abels.

,,Identität ist das Bewusstsein, ein unverwechselbares Individuum mit einer eigenen Lebensgeschichte zu sein, in seinem Handeln eine gewisse Konsequenz zu zeigen und in der Auseinandersetzung mit Anderen eine Balance zwischen individuellen Ansprü- chen und sozialen Erwartungen gefunden zu haben.“ (Abels, Identitäten, 2017, S. 200)

3 Berufliche Identität (IS)

Der Begriff Äberufliche Identität“ ist genauso schwierig allgemeingültig festzulegen bzw. zu definieren, wie der Begriff ÄIdentität“. Jedoch werden aus einer Reihe von wis- senschaftlichen Disziplinen, z. B. aus der Soziologie, der Psychologie oder auch der pädagogisch-erzieherischen Sichtweise, viele Annahmen über berufliche Identität ge- troffen.

3.1 Berufliche Identität nach Heinemann und Rauner

Zum einen haben sich Rauner und Heinemann in ihren Studien mit der Entstehung und Zusammensetzung der beruflichen Identität beschäftigt. Dabei haben sie sich intensiv mit der Entstehung der Identität im berufsschulischen Rahmen auseinandergesetzt, was uns dazu veranlasst, diese Autoren und deren Verständnis zum definitorischen Verste- hen heranzuziehen.

Rauner und Heinemann unterscheiden zwischen dem beruflichen Engagement, dem betrieblichen Engagement und der Arbeitsmoral. Diese drei Kategorien sind gleichermaßen daran beteiligt, eine berufliche Identität auszubilden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Berufliche Identität nach Rauner (Originalabbildung)

Bei dem beruflichem Engagement geht es vorrangig darum, die eigenen Kenntnisse5, Fähigkeiten6 und Fertigkeiten7 in die Arbeitssituation einbringen zu können, zu dürfen und zu wollen. ÄIn der beruflichen Bildung geht es immer um zweierlei: um die Aneig- nung des beruflichen Könnens und Wissens und um die Entwicklung beruflicher Identi- tät und das daraus entspringende berufliche Engagement.“ (Heinemann & Rauner, 2008, S. 12)

Beim betrieblichen Engagement handelt es sich vor allem um das Erbringen von Leistungen im Sinne des Betriebes und die entsprechende Zugehörigkeit der z. B. Auszubildenden zum Betrieb, inwieweit werden sie involviert, gefördert und gefordert. Je nachdem, wie die Auszubildenden dies empfinden, ist die Bindung zum Betrieb höher oder geringer. Jedoch kann auch die Produktpalette oder Dienstleistung, die das Unternehmen anbietet, ein Grund dafür sein, ein höheres betriebliches Engagement auszubilden. ÄDie Bindung an den Betrieb und ein auf ihn bezogenes Engagement in der Arbeit hängen nicht im selben Maße mit der Entwicklung beruflicher Identität zusammen wie die Bindung an den Beruf.“ (Heinemann & Rauner, 2008, S. 20)

Die Arbeitsmoral trägt ebenso zu einer Ausbildung von beruflicher Identität bei. Unter der Arbeitsmoral sind Aspekte Äwie Pünktlichkeit, Tüchtigkeit oder Verlässlichkeit, ohne dass dies von der jeweiligen Arbeit gefordert wäre“ (Heinemann & Rauner, 2008, S. 22), zu verstehen.

Dass jede Identitätsentwicklung bei jedem Menschen anders verläuft, haben wir bereits im vorherigen Kapitel festgehalten, dass sich aber auch die berufliche Identität von Beruf zu Beruf unterschiedlich entwickelt, haben Rauner und Heinemann ebenso erwähnt. ÄBerufliche Identität hat für verschiedene Berufe eine unterschiedliche Bedeutung. Und auch wie sich die berufliche Identität z. B. eines Bürokaufmannes oder -frau entwickelt, unterscheidet sich von der Entwicklung beruflicher Identität z. B. [einer Köchin/eines Koches].“ (Heinemann & Rauner, 2008, S. 12)

Des Weiteren haben Rauner und Heinemann berufliche Identität wie folgt beschrieben: ÄBerufliche Identität ist das Ergebnis eines Entwicklungsprozesses, der auf das Engste mit der Entwicklung beruflicher Kompetenz verknüpft ist. Genau genommen ist die Entwicklung beruflicher Identität eine Dimension der beruflichen Kompetenzentwicklung.“ (Heinemann & Rauner, 2008, S. 12)

3.2 Berufliche Identität nach Lewalter, Wild und Krapp

Als eine weitere Annahme beruflicher Identität wird in diesem Kontext auf das Modell von Lewalter, Wild und Krapp Bezug genommen (siehe Abbildung 3). Auch wenn dieses Modell im Rahmen eines Projektes - Interessenentwicklung in der beruflichen Ausbildung - entstand, ist eine der Kernfragen, wie sich die berufliche Identität im Sinne der motivationalen Orientierungen entwickelt. (Lewalter, Wild, & Krapp, Interessenentwicklung in der beruflichen Ausbildung, 2001, S. 15)

Das Modell beschreibt berufliche Identität als eine Folge von strukturellen Bedingungs- variablen sowie situativen Bedingungen und Prozessen. Die dispositionalen Merkmale der Auszubildenden lassen Rückschlüsse auf die Identitätsdefinition nach Frey & Haußer zu. ÄZu den dispositionalen Merkmalen der Lernenden zählen kognitive (z. B. Vorwissen, Intelligenz, Präferenzen für bestimmte Lernstrategien) und affektiv- motivationale Faktoren (z. B. Ausbildungsinteresse, motivationale Orientierung, Selbstwirksamkeiterwartung).“ (Lewalter, Wild, & Krapp, Interessenentwicklung in der beruflichen Ausbildung, 2001, S. 15) Dabei gehen Lewalter, Wild und Krapp davon aus, dass die Lernmotivation der Lernenden innerhalb kürzester Zeit einen erheblichen Einfluss auf die Erlebensqualitäten hat und langfristig die Entwicklung allgemeiner mo- tivationaler Orientierungen bezüglich der beruflichen Bildung positiv beeinflusst. Eine berufliche Identität kann sich nur dann herausbilden, wenn sich die gewünschten Inte- ressen des Individuums und dessen Bedürfnisse im Einklang befinden. So beschreiben Lewalter, Wild und Krapp (2001), dass das Bedürfnis nach Kompetenz (das Erleben der eigenen Handlungsfähigkeit), Autonomie (das Erleben von Handlungsfreiheit) und so- zialer Zugehörigkeit (das Erleben von Akzeptanz in der Bezugsgruppe) im Beruf einen zentralen Stellenwert für die berufliche Identität und die Identifikation mit den beruflichen Tätigkeiten hat. (Heid, Minnameier, & Wuttke, 2001, S. 111-113)

3.3 Berufliche Identität nach Keupp

Wie bereits im vorherigen Kapitel kurz erläutert, hat sich auch Keupp mit der Identitätsentwicklung auseinandergesetzt (siehe Kapitel 2.5). Dort wurde bereits die Identitätsarbeit als evaluativer Prozess, also die Handlungen der einzelnen Person und deren Reflexion als wichtige Komponente zur Bildung von Identität beschrieben.

,,Jede unserer Handlungen wird stets unter kognitiven, emotionalen, körperbezogenen, produktorientierten und sozialen Aspekten (ohne, dass wir es explizit wahrnehmen) reflektiert.“ (Keupp, 2002, S. 192) An dem Modell zur Identitätskonstruktion nach Keupp, siehe Abbildung 2, lässt sich erkennen, dass aufgrund dieser Handlungen und der Art und Weise, wie diese Handlungen reflektiert werden, Teilidentitäten entstehen können. Es gibt mehrere Teilidentitäten, es werden nur nicht alle gleich gewichtet. In einer Lebensphase ist die eine Teilidentität dominanter und in einer anderen Lebenspha- se ist eine andere Teilidentität dominanter. Eine Teilidentität ist demzufolge auch die berufliche Identität.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Berufliche Identität nach Keupp (Originalabbildung) (Keupp, 2002, S. 218)

Jede Teilidentität enthält gewisse Standards, welche die Personen eigenständig entwickeln, um zu definieren, wer sie, zumindest in einer bestimmten Lebensphase, glauben zu sein. Diese Standards werden wiederum von den fünf zentralen Erfahrungsmodi des Selbst konstruiert. (Keupp, 2002, S. 219)

Für die berufliche Identität sind folgende Standards zu nennen:

- Kognitive Standards (wo man selbst seine beruflichen Stärken und Schwächen sieht)
- Soziale Standards (die von einer Person wahrgenommene Fremdeinschätzung der eigenen beruflichen Fähigkeiten und Kompetenzen)
- Emotionale Standards (wo man sich auf der Basis des entwickelten Selbstwertgefühls sicher fühlt und Vertrauen in das eigene berufliche Handeln entwickelt hat)
- Körperorientierte Standards (die von einer Person erfahrenen körperlichen Fähigkeiten für das jeweilige berufliche Tun)
- Produktorientierte Standards (das, was man durch die eigene berufliche Tätigkeit glaubt, bewirken oder herstellen zu können) (Keupp, 2002, S. 219)

Jeder einzelne Standard kann als alleiniges Merkmal gelten. Es müssen nicht alle Stan- dards innerhalb der jeweiligen Teilidentität konsequent und einheitlich zueinander pas- sen, es ist auch möglich, dass sich zwei Standards konträr zueinander verhalten. ÄZum Beispiel die Wahrnehmung der Außeneinschätzung (sozialer Standard) sehr viel besser ausfällt als die des eigenen Selbstwertgefühls (emotionaler Standard) oder umgekehrt“. (Keupp, 2002, S. 219)

3.4 Eine mögliche Definition der beruflichen Identität

Nachdem der Begriff der beruflichen Identität von drei Autoren beleuchtet wurde, findet sich zum Schluss noch eine sehr detaillierte Definition zur beruflichen Identität aus dem Lexikon der Psychologie.

,,Berufliche Identität (= I.) [engl. vocational identity], [AO, PER], die I. ist Teil der Ge- samtidentität einer Person und bezieht sich auf den Lebensbereich Beruf und Arbeit. I. ist die Innensicht der Person im Ggs. zu Persönlichkeit als Außensicht. Für I. sind Fra- gen der Gleichheit und Verschiedenheit in der Zeit, in Lebensbereichen und im sozialen Vergleich wesentlich. Dazu gehört es, Kontinuität und Veränderbarkeit der eigenen Per- son in Arbeit und Beruf im Verlauf der Zeit zu erleben, Konsistenz und Verschiedenheit in versch. Lebensbereichen zu erfahren und Einzigartigkeit und Gleichwertigkeit ge- genüber Vergleichspersonen in Beruf und Arbeit wahrzunehmen. Zudem spielt das Er- leben personaler Kontrolle in Beruf und Arbeit eine Rolle. Das I.erleben muss dabei nicht mit den tatsächlichen Ereignissen im Lebensbereich Arbeit übereinstimmen. Bspw. kann auch in einer sehr wechselhaften beruflichen Biografie hohe Kontinuität erlebt und durch Verhaltensmuster erklärt werden.“ (Wirtz, 2017)

4 Ausbildung Deutschland

In Deutschland gab es im Jahr 2015 knapp 1,38 Millionen Auszubildende in 328 ver- schiedenen Ausbildungsberufen. Davon sind ungefähr 50 Berufe aus dem kaufmänni- schen Bereich. Jeder dritte Auszubildende beginnt eine Ausbildung im kaufmännischen Bereich. Der beliebteste Ausbildungsberuf bei den Männern ist die Ausbildung zum Kraftfahrzeugmechatroniker, bei den Frauen ist es die Ausbildung zur Kauffrau für Bü- romanagement. (Statista, 2016) Die Ausbildung ist gesetzlich über das Berufsausbil- dungsgesetz beziehungsweise die Handwerksordnung und die Schulgesetze der Länder geregelt. ÄDie Ausbildung an den betrieblichen bzw. überbetrieblichen Lernorten regelt der Bund durch eine Ausbildungsordnung. Für den Lernort Berufsschule wird von der Kultusministerkonferenz ein Rahmenlehrplan für die berufsschulische Ausbildung ver- abschiedet. Maßgeblich für die erfolgreiche Kooperation der Lernorte ist die inhaltliche und konsekutive Abstimmung dieser beiden Ordnungsmittel.“ (Sekretariat der Kultusministerkonferenz, 2011, S. 5)

Im Jahr 2016 hat sich die Ausbildungssituation aufgrund eines stabilen Ausbildungsplatzangebotes bei gleichzeitig leicht sinkender Ausbildungsplatznachfrage im Vergleich zum Vorjahr weiter verbessert. Jedoch bestehen immer Schwierigkeiten darin, Ausbildungsplatzangebote mit der jeweiligen Nachfrage zusammenzuführen. Eine Ursache stellen die rückläufigen Schulabgängerzahlen dar. 2016 wurden bundesweit nur noch 600.900 Ausbildungsplatznachfrager registriert. (Matthes, Ulrich, Flemming, & Granath, 2016, S. 3) Im Vergleich dazu betrug die Nachfrage im Jahr 2011 641.700. (Matthes S. , Ulrich, Granath, & Flemming, 2016)

4.1 Köchin/Koch (WK-J)

4.1.1 Zahlen, Daten, Fakten

2015 befanden sich 19.935 Jugendliche in der Berufsausbildung zur Köchin/zum Koch, wobei sich darunter 4.761 Köchinnen befanden. Diese Zahl inkludiert alle sich in der Ausbildung befindenden Köchinnen und Köche in Deutschland. (Bundesinstitut für Berufsbildung - Datenblatt - Koch/Köchin, 2016) Weshalb sich herauskristallisiert, dass der Beruf Köchin/Koch von den männlichen Auszubildenden dominiert wird. Als ge- eigneter Schulabschluss zum Ausbildungseintritt wird ein Hauptschulabschluss oder ein Realschulabschluss empfohlen, jedoch kann ein Ausbildungseintritt auch ohne Schulab-schluss erfolgen. Im Jahr 2015 gab es in Schleswig-Holstein insgesamt 408 auszubil- dende Köche, worunter sich 93 Köchinnen befanden. Darunter dominierten mit 204 Auszubildenden diejenigen mit einem Hauptschulabschluss, 18 Personen haben die Ausbildung ohne einen Hauptschulabschluss begonnen. 45 Auszubildende konnten eine Fachhochschulreife oder allgemeine Hochschulreife nachweisen und 141 Auszubilden- de hatten einen Realschulabschluss. (Bundesinstitut für Berufsbildung - Datenblatt - Koch/Köchin, 2016)

4.1.2 Die Ausbildung

Der Beruf Köchin/Koch ist eine duale Ausbildung, bei der im Regelfall die Ausbil- dungsdauer drei Jahre beträgt. Wichtig für den Kochberuf ist das duale System. Kö- chinnen und Köche verrichten alle Arbeiten, die zur Herstellung von Speisen gehören. Dieses inkludiert die Speiseplangestaltung, den ökonomischen Einkauf, die Vor- und Zubereitung der Gerichte und die Präsentation der Speisen. Trotz der vielen handwerk- lichen Komponenten ist der Beruf in dem Dienstleistungssektor angesiedelt. Die Tätig- keitsbereiche sind sehr heterogen und reichen von Küchen in Restaurants, Hotels, Kan- tinen, Krankenhäusern, Pflegeheimen bis hin zu Cateringfirmen. (Smeral, Huber, Mühlberger, & Schwarz, 2009) Dementsprechend variabel sind auch die beruflichen Anforderungen. Die beruflichen Kompetenzen wie organisatorische Fähigkeiten, Team- fähigkeit, Sorgfalt, Verantwortungsbewusstsein, Geschicklichkeit, Kreativität und eine gute körperliche Konstitution sind aber in allen Verpflegungsformen gleich. In Großkü- chen übernehmen die Köchinnen/Köche in der Regel nur kleinere Teilaufgaben. Auf- grund der großen Mengen ist es üblich, dass eine Köchin oder ein Koch ganztägig mit der Erstellung von Gemüsebeilagen oder dem Anrichten von Speisen unter Berücksich- tigung von exakten Mengenangaben beschäftigt ist. Die Führungsverantwortlichen in Großküchen verbringen einen Großteil ihrer Arbeit mit der Kalkulation, dem Einkauf oder mit der Erstellung von Speiseplänen. In kleineren Restaurants ist es keine Selten- heit, dass der Restaurantbetreiber alleine für die Speisenzubereitung und Beschaffung der Lebensmittel verantwortlich ist. Neben den Tätigkeitsfeldern sind auch die qualita- tiven Anforderungen unterschiedlich. In exklusiven Restaurants arbeiten die Köchinnen und Köche filigran und mit den erlesensten Zutaten, wohingegen in anderen Betriebs- stätten wie Kantinen auf eine genaue Einhaltung des Budgets und eine wirtschaftlich effektive Zubereitung geachtet werden muss. Der Beruf Köchin/Koch ist parallel mit den meisten Tätigkeitsfeldern in der Hotellerie und Gastronomie körperlich und geistig sehr anspruchsvoll. In gastronomischen Berufen wird oftmals in den späten Abendstun- den oder am Wochenende wie auch an Feiertagen gearbeitet, wobei regelmäßige Schichtwechsel keine Seltenheit sind. Zudem ist es in den Küchen laut, heiß und es herrscht in vielen Küchen ein rauer Umgangston. Diese Umstände begünstigen die hohe Fluktuation und die abnehmende Beliebtheit. (Piening, Backhaus, Heinemann, & Rauner, 2012, S. 27)

4.1.3 Aktuelle Marktlage

Tabelle Neuabschlüsse

Ein sogenannter Ausbildungsplatzüberschuss zeichnet sich im Ausbildungsberuf Kö- chin/Koch ab, 2011 blieben in dem Ausbildungsberuf 14,8 % der angebotenen Lehrstel- len unbesetzt. (Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2012, S. 25) 2015 lag der Anteil unbesetzter Plätze am betrieblichen Angebot bundesweit bei 20,4 % bei ins- gesamt 11.336 angebotenen Lehrstellen. Damit gehört der Beruf Köchin/Koch zu den zehn Berufen mit überdurchschnittlich hohen Besetzungsproblemen. (Deutscher Gewerkschaftsbund, 2016)

Die vorliegenden Zahlen der Vertragslösungen von auszubildenden Köchinnen/Köchen stellen einen weiteren spannenden Aspekt dar. Die Vertragslösungsquote von Köchin- nen/Köchen ist mit 43,77 % überdurchschnittlich hoch. (Wenzelmann & Lemmermann, 2012, S. 4-5) Als häufigste Ursache für die Auslösung von Ausbildungsverträgen wer- den (acht von zehn) betriebliche Gründe genannt, dazu zählen beispielsweise Konflikte mit dem Vorgesetzten oder Ausbilder. Als weitere Gründe für Vertragslösungen werden ungünstige Arbeitszeiten, nachteilige Überstundenregelungen oder ungünstige Ein- kommensperspektiven erwähnt. (Bott, Braun, & Helmrich, 2014, S. 19)

Ein zusätzlicher Grund kann darin liegen, dass die Erwartungen, welche an die Ausbil- dung gestellt wurden, nicht erfüllt wurden. Die Ursachen dafür können vielfältig sein, neben den oft schlechten Ausbildungsbedingungen sorgt vor allem ein realitätsfremdes Bild von dem Beruf dafür, dass die Erwartungen an die Ausbildung nicht erfüllt werden. Das realitätsfremde Bild wird vor allem durch die zahlreichen Kochsendungen im Fern- sehen vermittelt. ÄUnsere TV-Kollegen haben viel zum positiven Image des Berufes beigetragen, doch die Realität am Herd sieht anders aus.“ (Guldner, 2014)

Die Tabelle 2 zeigt, dass sich die Anzahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge in den letzten zehn Jahren fast halbiert hat. Über die Gründe kann nur spekuliert wer- den. Zum einen ist die Tatsache, dass immer mehr Schulabgänger ihre schulische Lauf- bahn mit dem allgemeinen Abitur abschließen, ein Indikator. Von 2010 auf 2013 hat sich die Anzahl der Abiturienten fast verdoppelt. (DESTATIS, 2013, S. 6-16) Daraus ergibt sich sicherlich auch die Tatsache, dass die Zahl der Studienanfänger von 35,6 % im Jahr 2006 auf 58,2 % im Jahr 2015 angestiegen ist. (STATISTA, 2016)

Neuabschlüsse der Ausbildungsverträge zur Köchin/zum Koch

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2: Neuabschlüsse der Ausbildungsverträge zur Köchin/zum Koch nach Jahren

4.1.4 Lohn

Köchinnen und Köche hatten im Jahr 2016 einen durchschnittlichen Bruttojahresver- dienst von 24.286 Euro. (Statista, 2017) Dieses entspricht einem Bruttolohn von 2.023,83 Euro. Werden die monatlichen Abzüge von Steuern, Sozialversicherung etc. berücksichtigt, scheint dieser Verdienst nicht viel. Ähnlich gestaltet sich die gehalts- technische Situation während der Ausbildung. Die durchschnittliche monatliche Ausbil- dungsvergütung beträgt 765 Euro im Westen und im Osten nur 646 Euro. (Deutsche Handwerkszeitung, 2017)

4.1.5 Veränderungen der beruflichen Anforderungen

Indikatoren für Qualität bilden in der Regel die Arten der angebotenen Speisen wie bei- spielsweise Hausmannskost, bürgerliche, regionale, internationale Küche, Schulspei- sung, Seniorenverpflegung und gehobene Küche. Die angebotenen Speisen unterliegen einem ständigen Trendwechsel, denn die Globalisierung hat auch positive Auswirkun- gen auf die Äneue Küche“. Ein Beispiel, welches die Kochkultur in den 1990er Jahren prägte, war die Erfindung der Molekularküche. Ein spanischer Koch namens Ferran Adriá kreierte mithilfe von Zusatzstoffen und Texturen Gerichte, welche ihr natürliches Aroma besaßen, aber rein von ihrer Konsistenz völlig von dem Naturprodukt abwichen. (Zipprick, 2013, S. 307+321) Der Trend setzte sich weltweit durch und hatte eine Pres- tigeaufwertung des Kochberufes zur Folge, weil die ausübenden Köchinnen und Köche nun auch Ehrendoktor, Erfinder und Künstler zugleich sein können. (Zipprick, 2013, S. 326) Im jetzigen Zeitalter findet die Molekularküche vorwiegend in der Spitzengastro- nomie Anwendung. Eine weitere einschneidende Veränderung stellt die ständige Wei- terentwicklung von sogenannten Convenience-Produkten dar. Mit der Erfindung der Mikrowelle und den optimierten Tiefkühltechniken eroberten halbfertige und fertige Produkte den Markt (Horbelt & Spindler, 2000, S. 36ff) Diese Produkte sind für den Kochberuf Fluch und Segen zugleich. Auf der einen Seite erleichtern sie den Köchinnen und Köchen den Arbeitsalltag immens und sind gerade in Großküchen wie beispiels- weise der Gemeinschaftsverpflegung nicht mehr wegzudenken. (Horbelt & Spindler, 2000, S. 340ff) Auf der anderen Seite entsteht auch eine große Schneise im Kochberuf. Auszubildende aus Großküchen oder auch kleineren Betrieben, welche den Einsatz von Convenience-Produkten bevorzugen, z. B. Blockhouse, erwerben im Laufe ihrer Aus- bildung weniger berufliche Kompetenzen, weil sie einige Speisen wie Kartoffelklöße etc. nicht mehr eigenständig zubereiten. Dagegen haben Auszubildende, welche Produk- te auf traditionelle Weise herstellen, einen Vorteil bezüglich der praktischen Anforde- rungen in der Berufsausbildung und auch bei dem Erwerb beruflicher Handlungskom- petenzen allgemein.

Trotz der beschriebenen Anforderungen geben die Erwerbstätigen im Hotel- und Gast- stättenwesen eine hohe Arbeitszufriedenheit an. 93,6 % beurteilten ihre Zufriedenheit mit sehr zufrieden bzw. zufrieden. Damit liegt die allgemeine Zufriedenheit etwas höher als in anderen Berufen (92,7 %). Besondere Gründe sind hierbei gutes Betriebsklima, Teamarbeit und die Möglichkeit, die eigenen Fähigkeiten anzuwenden. (Bott, Braun, & Helmrich, 2014, S. 42) Dieses scheint zunächst aufgrund der geringen Vergütung und der anspruchsvollen Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen interessant. Jedoch ist dieses ein Hinweis dafür, dass die Branche ein hohes Identifikationspotenzial bietet.

4.1.6 Die beruflichen Zukunftschancen

Den ausgelernten Köchinnen und Köchen stehen nach ihrer Ausbildung zahlreiche Auf- stiegsmöglichkeiten zur Verfügung. Die Beförderungen sind von der/dem Postenche-fin/Postenchef zur/zum Küchenchefin/Küchenchef, zur/zum F&B Managerin/Manager oder zur selbständigen Gastronomin/zum selbstständigen Gastronom zahlreich. Das Angebot an Weiterbildungsmöglichkeiten ist ebenfalls umfangreich. Es werden bei- spielsweise Weiterbildungen zur/zum Küchenmeisterin/Küchenmeister und zur/zum diätisch geschulten Köchin/Koch angeboten. Weitere Möglichkeiten bieten private und staatliche Hotelfachschulen an, wo beispielsweise die Qualifikationen zum/zur Fach- wirt/in im Gastgewerbe, Staatlich geprüften Gastronom/in, Staatlich geprüften Techni- ker/in Lebensmitteltechnik, Staatlich geprüften Betriebswirt/in erworben werden. Diese Fachabschlüsse werden häufig auch als Hochschulzugangsberechtigung akzeptiert. Da- mit kann die die gelernte Köchin bzw. der gelernte Koch ein Studium zum/zur Ökotro- phologe/in, Lebensmitteltechnologe/in oder Lehrer/in an beruflichen Schulen absolvie- ren.

4.2 Kauffrau/Kaufmann für Büromanagement (IS)

4.2.1 Zahlen, Daten, Fakten

Da es im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich ist, jeden einzelnen Beruf des kaufmänni- schen Bereiches näher zu untersuchen, wurde stellvertretend der neu benannte und bei den Frauen beliebteste Beruf Kauffrau/-mann für Büromanagement gewählt, der im Folgenden näher beleuchtet wird. Frühere Bezeichnungen des Berufes lauteten:

- Bürogehilfin/Bürogehilfe (Ausbildungsberuf von 1941 bis 1991)
- Stenosekretärin, Büroassistent/in und Stenosekretär/in, Büroassistent (Ausbil- dungsberuf von 1946 bis 1992)
- Bürokauffrau/Bürokaufmann (Ausbildungsberuf von 1962 bis 2014)
- Fachangestellte/Fachangestellter für Bürokommunikation (Ausbildungsberuf von 1992 bis 2014)
- Kauffrau/Kaufmann für Bürokommunikation (Ausbildungsberuf von 1991 bis 2014)

(Bundesagentur für Arbeit, 2017)

Mit Beschluss der KMK vom 27.09.2013 wurden die letzten drei genannten zu dem Beruf mit der Bezeichnung Kauffrau/-mann für Büromanagement zusammengefasst. (Siehe oben) Die Ausbildung zur/zum Kauffrau/-mann für Büromanagement dauert drei Jahre. (Bundesagentur für Arbeit, 2017) Damit wurden die beruflichen Anforderungen und Veränderungen angepasst. 72.831 Azubis absolvieren derzeit eine Ausbildung zur/zum Kauffrau/-mann für Büromanagement, davon sind 54.453 Frauen. Der Ausbil- dungsberuf ist eher weiblich orientiert im Gegensatz zu dem Beruf der Köchin/des Ko- ches. Um den Anforderungen der Ausbildung gerecht zu werden, wird ein Realschulab- schluss oder die Hoch-/Fachhochschulreife empfohlen. Dies zeigt sich auch in der Sta- tistik des BiBB. So haben im Jahr 2015 etwa 885, darunter 645 Frauen eine Ausbildung zur/zum Kauffrau/-mann für Büromanagement in Schleswig-Holstein begonnen. Sechs hatten zu Beginn der Ausbildung keinen Hauptschulabschluss, 120 einen Hauptschulab- schluss, 492 einen Realschulabschluss, 264 eine Hoch-/Fachhochschulreife und drei Auszubildende haben einen im Ausland erworbenen Schulabschluss, der sich jedoch nicht zuordnen lässt. Insgesamt absolvieren derzeit 2.283 SuS in Schleswig-Holstein diese Ausbildung. Das Alter der Auszubildenden liegt im Durchschnitt bei 20,5 Jahren. (Bundesinstitut für Berufsbildung - Datenblatt - Kaufmann/-frau für Büromanagement, 2016)

4.2.2 Die Ausbildung

Mit dem neuen Ausbildungsberuf zur/zum Kauffrau/-mann für Büromanagement wurde eine einheitliche Ausbildungsgrundlage für Industrie, Handel, Dienstleistung, Hand- werk und den öffentlichen Dienst festgelegt. Während der Ausbildung werden vorran- gig kaufmännische und bürowirtschaftliche Qualifikationen erworben. Um diese Quali- fikationen zu vertiefen bzw. auszubauen, obliegt es den Interessen der SuS, natürlich in Kombination mit ihrem gewählten Ausbildungsbetrieb, welche zwei Vertiefungen sie in ihre Ausbildung integrieren möchten. Die Wahlbereiche (nähere Erläuterungen im An- hang 1), welche die SuS während der Ausbildung nicht gewählt haben, können sie als Zusatzqualifikationen erwerben. Dabei können sich die SuS zwischen zehn verschiede- nen Wahlbereichen entscheiden:

- Einkauf und Logistik
- Marketing und Vertrieb
- Personalwirtschaft
- Auftragssteuerung und -koordination
- Assistenz und Sekretariat
- Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungsmanagement
- Verwaltung und Recht
- Kaufmännische Steuerung und Kontrolle
- Öffentliche Finanzwirtschaft
- Kaufmännische Abläufe in kleinen und mittleren Betrieben

(Bundesagentur für Arbeit, 2017)

Die Kernkompetenzen, die für den Beruf unabdingbar sind, lauten:

- Buchführung, Buchhaltung
- Büroorganisation, Büromanagement
- Büro- und Verwaltungsarbeiten
- Korrespondenz
- Personalwesen
- Postbearbeitung
- Terminplanung, -überwachung

Das Ziel der Ausbildung ist, eine ganzheitliche, prozessorientierte Handlungskompetenz zu erlangen. Damit wird das hohe Identifikationspotenzial deutlich.

4.2.3 Aktuelle Marktlage

Der Beruf Kauffrau/-mann für Büromanagement war im Jahr 2016 der beliebteste Aus- bildungsberuf. (Deutsche Handwerkszeitung, 2017) Rund 28.700 Jugendliche haben in diesem Beruf bundesweit einen neuen Ausbildungsvertrag unterschrieben. Eine histori- sche Betrachtung ist an dieser Stelle leider nicht möglich bzw. scheint nicht repräsenta- tiv, weil der Beruf Kauffrau/-mann für Büromanagement erst 2014 durch die Zusam- menlegung der Berufe Kauffrau/-mann für Bürokommunikation und Bürokauffrau/- mann entstanden ist. Die Zahlen der Neuabschlüsse sind jedoch rückläufig. So haben noch im Jahr 1997 knapp 40.000 SuS eine Ausbildung im genannten Bereich begonnen, derzeit sind es schon 12.000 weniger. (Bundesinstitut für Berufsbildung - Datenblatt - Kaufmann/-frau für Büromanagement, 2016) Dies kann natürlich auch an dem demo- grafischen Wandel oder der Akademisierung, um nur zwei Gründe zu nennen, liegen.

Jedoch verzeichnet der neu zusammengelegte Beruf Kauffrau/-mann für Büromanagement wachsende Ausbildungszahlen, wie in der Tabelle 3 dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 3: Neuabschlüsse der Büromanagementauszubildenden nach Jahren.

Die Vertragslösungen bei den Kauffrauen/-männern für Büromanagement sind im Vergleich zu den Köchinnen/Köchen niedriger. Dabei lag die Vertragslösungsquote 2014 bei 7,5 % und 2015 betrug sie allerdings schon 17,3 %. Die Gründe dafür sind in diesem Rahmen nicht ergründbar.

4.2.4 Lohn

Das durchschnittliche Bruttogehalt als Bürokauffrau/-mann liegt in Deutschland bei circa 2.094 € im Monat. (PMSG PersonalMarkt Services GmbH, 2017) Im Vergleich ist es ähnlich wie in dem Kochberuf (2.023 im Monat). Zum Verglich: Im Jahr 2015 betrug das Durchschnittsgehalt für vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer pro Monat 3.612 Euro brutto. (Haderlein, 2016) Das entspricht einem Jahresgehalt von rund 43.300 Euro. Da- mit liegen die beiden untersuchten Berufe gehaltstechnisch unter dem Durchschnitt. Diese Tatsache macht den Vergleich der beiden Berufe äquivalenter. Die Ausbildungs- vergütung lässt sich in dem Ausbildungsberuf Kauffrau/-mann für Büromanagement in Industrie, öffentlichen Dienst und Handwerk unterteilen. In Abhängigkeit davon, in welchem Wirtschaftszweig die Auszubilden ihre Ausbildung absolvieren, unterscheidet sich die Ausbildungsvergütung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


1 Stichwort Industrialisierung

2 Der Ödipus-Komplex bezeichnet im Modell der psychosexuellen Entwicklungsphasen nach Freud die Summe der Gefühle, wäh- rend das Kind ein Elternteil umwirbt und mit dem anderen Elternteil rivalisiert. (Doc Check Medical Services, 2017)

3 Außen- und Innenwelt: Bei Frey und Haußer ist die Außenwelt all das, was um das Individuum herum passiert und Einflüsse auf ihn hat. Die Innenwelt ist der innere Kern. Ähnlich dem ÄI“ bei Mead.

4 Unangemessen meint in diesem Zusammenhang, jemandem etwas mit Absicht Integrantes oder Böses zu wollen.

5 Kenntnisse: Ist erworbenes Wissen, das eingesetzt werden kann.

6 Fähigkeiten: Sind angeborene Eigenschaften zur Bewältigung einer Aufgabe.

7 Fertigkeiten: Ist die erlernte Beherrschung einer Aufgabe.

Ende der Leseprobe aus 173 Seiten

Details

Titel
Das Identifikationspotenzial von gastronomischen und kaufmännischen Berufen
Untertitel
Eine explorative Studie
Hochschule
Universität Hamburg  (FAKULTÄT FÜR ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT)
Note
1,0
Autoren
Jahr
2017
Seiten
173
Katalognummer
V374494
ISBN (eBook)
9783668547100
ISBN (Buch)
9783668547117
Dateigröße
2121 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Berufliche Identität, Identifikationspotenzial, Handlungskompetenz, Qualitative Sozialforschung
Arbeit zitieren
Wiebke Kruse-Jacobsen (Autor:in)Ilka Sinowzik (Autor:in), 2017, Das Identifikationspotenzial von gastronomischen und kaufmännischen Berufen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/374494

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