Irreführungstaktiken. Grenzen der Anfechtung wegen Täuschung (white lies)


Seminararbeit, 2017

33 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Rechtssprechungsverzeichnis

A. Einleitung

B. Irreführungstaktiken in Vertragsverhandlungen

C. Der Anfechtungstatbestand nach § 123 Abs. 1 BGB als rechtliche Grenze
1. Tatbestandsmerkmale
a. Arglistige Täuschung
b. Kausalität
c. Widerrechtlichkeit
2. Rechtsfolge

D. Die listige Täuschung

E. Irreführungstaktiken in den Grenzen zur Anfechtung
1. Similar-to-me-Taktik
2. Besseres Angebot (Better BATNA)
3. Taktik der kleinen Menge
4. Lüge über die Rechtslage

F. Die Rolle des ZOPAs in Bezug zur Anfechtung

G. Ergebnisse

Literaturverzeichnis

Rechtssprechungsverzeichnis

Amtsgericht Düsseldorf - 57 C 6993/13 Urteil vom 08.10.2013

BAG - 1 AZR 594/56 Urteil vom 05.12.1957

BGH - III ZR 92/79 - BGHZ 80, 153-172 Urteil vom 12. März 1981

BGH - VIII ZR 101/73 Urteil vom 21.01.1975 BGHZ 63, 382-388

OLG Oldenburg - 1 U 121/05 Urteil vom 12.01.2006

A. Einleitung

„ Like it or not, you are a negotiator [...] Everyone negotiates something every day. “

Dieser Beginn des wohl einflussreichsten Verhandlungsbuches aller Zeiten „Getting to YES“, stellt die große Relevanz der Thematik um das Verhandeln dar.1 Statistisch gesehen führt jeder Deutsche pro Tag im Durchschnitt drei bis fünf Verhandlungen im täglichen Geschäft als Teil der Kommunikation.2 Die Vertragsverhandlung ist somit das zentrale Mittel für einen Vertragsschluss. Dabei verfolgt jeder Mensch unterschiedliche Ziele, Interessen und Positionen, weshalb Interessenskonflikte im sozialen Miteinander nicht zu vermeiden sind.3 Jeder Verhandler wird bis zu seiner ethischen Grenze versuchen, das jeweils beste persönliche Ergebnis zu erzielen. Dabei werden meist verschiedene Taktiken und Techniken angewendet, die auch unter Druck- und Irreführungstechniken bekannt sind.

Doch wo ist die Grenze zur arglistigen Täuschung nach § 123 Abs.1 BGB bei Vertragsverhandlungen zu ziehen? Dieser Frage soll in der vorliegenden Arbeit nachgegangen werden. Dabei liegt der Fokus auf Irreführungstaktiken außerhalb des Vertragsgegenstandes bei B2B Vertragsverhandlungen. Außerdem soll nur die aktive Täuschungshandlung betrachtet werden, die sich von der Täuschung durch Verschweigen abgrenzen lässt.

B. Irreführungstaktiken in Vertragsverhandlungen

Es existiert eine Vielzahl an Verhandlungstaktiken, die angewendet werden, um ein besseres Verhandlungsergebnis zu erzielen. Die Verhandlungstaktiken lassen sich jedoch zunächst von den Verhandlungstechniken abgrenzen. Techniken sind die Basis der Taktiken, wobei jede Taktik aus einer oder mehreren Techniken bestehen kann.4

Verhandlungstaktiken sind vor allem auf die Erreichung kurzfristiger Ziele ausgerichtet. Sie sollen helfen einzelne Verhandlungsziele zu erreichen und dienen zum Beispiel der Informati- onsbeschaffung über die Gegenseite. Sie werden genutzt um einen Vorteil gegenüber der Ge- genseite zu entwickeln oder auszubauen. Die vielen verschiedenen Arten von Taktiken lassen sich grob aufteilen in Irreführungstaktiken, Drucktaktiken, rationale Überzeugungstaktiken, ju- ristische Taktiken sowie die Behavioural Economics.5

Irreführungstaktiken sollen, wie der Name schon verrät, den Verhandlungspartner bezüglich relevanter Entscheidungen in die Irre führen. Oft werden eigene Informationen, die für die Ge- genseite relevant sein könnten, verschleiert um die Gegenseite über eigene Präferenzen im Un- klaren zu lassen.6 Hier kommt es nicht nur auf rationales Verhalten an, sondern vor allem auf Verhandlungsgeschick. Menschen finden es generell unangenehm zu lügen, da es als unmora- lisch in der Gesellschaft angesehen wird.7 Trotzdem verfügen sie naturgemäß über Schwächen und neigen daher schnell zum „selektiven Lügen“.8 Viele der angewendeten Irreführungstakti- ken sind aus juristischer Sicht nicht zulässig oder problematisch und können zu einer arglistigen Täuschung oder einem Betrug führen.9

C. Die Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB als rechtliche Grenze

Der § 123 Abs. 1 BGB schützt die rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung, indem eine Willens- erklärung nur dann wirksam ist, wenn sie frei von Täuschung und Drohung abgegeben wurde. Im Umkehrschluss ist eine Willenserklärung also nicht frei von Täuschung oder Drohung, wenn der Vertragspartner arglistig getäuscht wurde. Der § 123 BGB gilt für alle Arten von Willens- erklärungen. Bei einer Drohung ist es wichtig, dass die Beeinflussung vom Bedrohten erkannt wird, um überhaupt eine Wirkung zu entfalten. Bei der Täuschung hingegen soll der Getäuschte gerade nicht bemerken, dass er getäuscht wurde. Es handelt sich somit um eine verdeckte Be- einflussung der Willensbildung.10 Der Getäuschte richtet seine Entscheidung anhand der gege- benen Tatsachen und Informationen aus und wird durch die Täuschung verschiedene Gesichts- punkte anders gewichten und bewerten.

1. Tatbestandsmerkmale

a. Täuschung

Der Begriff der Täuschung ist weder in § 123 Abs. 1 BGB noch in anderen Vorschriften, die Aspekte der Täuschung regeln, definiert. Der im Strafrecht definierte Begriff ist trotz seiner Ähnlichkeit nicht maßgebend, da im Strafrecht das Tatbestandsmerkmal des vermögensrecht- lichen Schadens erforderlich ist. Als wichtiges Merkmal der Täuschung wird das Ergebnis, der Irrtum, beim Getäuschten angesehen. Hier ist es unerheblich, ob es sich um einen sogenannten Inhaltsirrtum gemäß § 119 BGB handelt oder um einen Motivirrtum.11 Uneinigkeit besteht über das Bezugsobjekt des Irrtums. Hier ist fraglich, ob die Täuschung sich auf Tatsachen beziehen muss, oder ob auch Werturteile einen Irrtum begründen können.12 Marktschreierische Anprei- sungen sind aber in jedem Fall hier nicht zu berücksichtigen, ihnen kommt keine sachliche Bedeutung zu, da sie von einen verständigen Menschen nicht ernst genommen werden wür- den.13 Geprüft werden muss dennoch, ob die Äußerung in ihrem Kern eine Aussage enthält, die eine tatsächliche Behauptung darstellt.14

Weiterhin setzt § 123 Abs. 1 BGB die Arglistigkeit der Täuschung voraus. Unter der arglistigen Täuschung ist folgendes zu verstehen: „Sie setzt, wie der strafrechtliche Betrug, eine Täu- schung zum Zweck der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums voraus, sie erfordert aber im Gegensatz zum StGB 263 weder eine Bereicherungsabsicht des Täuschenden noch eine Schädigung des Vermögens des Getäuschten. Die Täuschung kann durch positives Tun oder Unterlassen begannen werden. Sie muss rechtswidrig sein und erfordert in subjektiver Hinsicht Arglist.“15 Fahrlässige Täuschungen sind somit nicht als arglistig anzusehen. Es ist Vorsatz erforderlich, jedoch keine Absicht. Dabei muss der Täuschende sich der Unrichtigkeit seiner Behauptungen bewusst sein oder sie zumindest für möglich halten. Auch bedingter Vorsatz genügt, um die andere Partei arglistig zu täuschen, sogenannte unrichtige Behauptungen ins „Blaue hinein“.16 Selbst ein Irrtum, der aus einer Täuschung mit guter Absicht entstanden ist, ist als arglistig zu betrachten, da der rechtsgeschäftlich Handelnde selbst über sein „Bestes“ zu entscheiden hat. War die Täuschung wirklich zum Besten des Getäuschten, würde er sie nicht anfechten wollen.17 Die Anforderungen an den Täuschenden sind relativ gering gehalten. Hier ist es ausreichend, dass dem Täuschenden bewusst war, dass die von ihm gemachten Angaben unrichtig und geeignet sind, einen Irrtum beim Verhandlungspartner hervorzurufen.18 Hat er die Angaben hingegen nur grob fahrlässig verkannt, ist die Anfechtung ausgeschlossen. Die Arglist erfordert keine moralisch verwerfliche Gesinnung. Arglistig ist demnach mit vorsätzlich gleichzusetzen, da die Arglist keine eigenständige Bedeutung hat.19

b. Kausalität

Weiterhin setzt der § 123 Abs. 1 BGB eine Kausalität zwischen der Willenserklärung und der Täuschung voraus. Dieser Kausalzusammenhang zeigt sich im Sinn einer Doppelkausalität. Hier muss die getäuschte Person erst dem Irrtum unterliegen und daraufhin zur Abgabe der Willenserklärung gebracht worden sein.20 Hat die Person jedoch Kenntnis von der wahren Sachlage, kann sie sich nicht auf einen Irrtum berufen. Jedoch gilt dies nicht für das Kennen- müssen der wahren Sachlage. Selbst grobe Fahrlässigkeit schadet hier nicht, wodurch die Kau- salität der Täuschung allein subjektiv aus der Sicht des Getäuschten zu betrachten ist.21

c. Widerrechtlichkeit

Obwohl die Widerrechtlichkeit bei der arglistigen Täuschung im Gegensatz zur Drohung in § 123 Abs. 1 BGB nicht explizit genannt wird, geht der Gesetzgeber nach herrschender Meinung davon aus, dass eine arglistige Täuschung immer rechtswidrig ist.22 Die Täuschung ist stets widerrechtlich, weshalb der § 123 Abs. 1 BGB die Pflicht zur Wahrheit festlegt.23 Der Gesetz- geber übersah hier aber, dass es Ausnahmefälle gibt, in denen die Widerrechtlichkeit fehlen kann und die somit nicht zu einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung berechtigen.24 Diese Besonderheit besteht bei unzulässigen Fragen. Bei einer solchen Frage darf der Befragte die Aussage verweigern oder wahrheitswidrig antworten.25 Hier wird die implizierte Widerrecht- lichkeit des § 123 Abs. 1 BGB also widerlegt. Es erfolgt eine teleologische Reduktion, bei der die Widerrechtlichkeit stets geprüft werden sollte. Besonders häufig tritt diese Ausnahme bei Vertragsverhandlungen über den Abschluss eines Arbeitsverhältnisses auf. Unzulässige Fragen des Arbeitgebers sind hier als rechtswidriger Angriff auf ein geschütztes Rechtsgut zu klassifi- zieren. Es besteht ein sogenanntes „Recht auf Lüge“, welches dem Befragten als Notwehr zur Verfügung steht. Es findet somit eine teleologische Reduktion der Norm auf ihren Zweck statt.

Die Antwort auf eine zulässig gestellte, aber falsch beantwortete Frage stellt aber dann wieder- rum eine arglistige Täuschung im Sinne des § 123 Abs. 1 BGB dar.26 Der § 123 BGB impliziert in manchen Fällen eine Aufklärungspflicht, bei der Fragen der Gegenseite vollständig und rich- tig beantwortet werden müssen. Ein erheblicher Verdacht ist der anderen Seite ebenso mitzu- teilen, wie besonders wichtige Umstände, die die Gegenseite in ihrer Willensbildung beeinflus- sen könnte.27

2. Rechtsfolge

Die Rechtsfolge einer arglistigen Täuschung ist das Anfechtungsrecht des Getäuschten. Die zunächst wirksame Willenserklärung wird durch die Anfechtung rückwirkend, ex tunc, nichtig. Die hiervon geltende Ausnahme, bei der die Anfechtung nur ex nunc wirkt, gilt bei bereits vollzogenen Arbeits- und Gesellschaftsverträgen.28 Sind die Interessen des Getäuschten zum Zeitpunkt der Anfechtung jedoch nicht mehr beeinträchtigt, ist die Anfechtung ausgeschlossen.

D. Die listige Täuschungshandlung

Die teleologische Reduktion des § 123 BGB in Bezug auf unzulässige Fragen vor allem im Arbeitsrecht ist ein anerkanntes Rechtsinstitut.29 Das Tatbestandsmerkmal der Widerrechtlich- keit ist hier nicht einschlägig. Es ist daher anzunehmen, dass noch weitere Fälle existieren könnten, die durch die Norm zu breit erfasst werden. Es stellt sich die Frage, ob es in Ausnah- mefällen Täuschungshandlungen gibt, die nicht als arglistig eingestuft werden sollten, sondern eine teleologische Reduktion des § 123 Abs. 1 BGB erfordern. Vor allem bei B2B Vertrags- verhandlungen drängt sich der Begriff der „listigen“ Täuschung auf, die bestimmte Täu- schungshandlungen während einer Verhandlung nicht als arglistig klassifiziert, sondern viel- mehr ein schlaues und kluges Verhandlungsgeschick erkennt und daher gerade nicht zu einer Anfechtung berechtigen soll.30

In der Rechtsprechung trat der Begriff der „listigen“ Täuschung bisher nur in Verbindung mit § 138 Abs. 2 BGB auf. Hier verwendete der BGH (1981) erstmalig die „listige“ Täuschung in Verbindung mit der Frage zur Sittenwidrigkeit eines Ratenkreditvertrages.31 Zwar wurde der Vertrag letztendlich als Verstoß gegen die guten Sitten eingestuft, jedoch konnte dieses Ergebnis nicht an einem erheblichen Ungleichgewicht zwischen der Leistung und der Gegenleistung festgemacht werden, welches als arglistig bezeichnet werden würde. Hier wurde die Zinshöhe, die 100% über dem durchschnittlichen Marktzins lag, als „listige“ Täuschung angesehen und damit nicht als wucherisches Rechtsgeschäft im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB. Damit wurde eine erste Abstufung des Wuchers eingeführt, die darauf schließen lässt, dass diese Möglichkeit auch bei der arglistigen Täuschung besteht.

Einen weiteren Anhaltspunkt stellt das „Sandhaufentheorem“ nach Rolf Bender dar. Es stellt ein Szenario dar, in dem eine Polizeiverordnung verböte „Sandhaufen“ wegzuräumen.32 Es ergäbe sich unter anderem das Problem, wie viele Sandkörner einen Sandhaufen ergeben. Des Weiteren stellt sich auch die Frage der Nachweisbarkeit der Menge an Sandkörnern und als Letztes die in diesem Zusammenhang wichtigste Frage, nach dem „Alles oder Nichts-Prinzip“. Häufig knüpft das Gesetz bei dem Eintritt einer Rechtsfolge an den Umstand an, ob ein be- stimmtes variables Merkmal mehr oder weniger erfüllt ist.33 Es ist somit fraglich, ob es nur ein „Entweder-Oder-Prinzip“ gibt, oder ob verschiedene Stufen existieren. Bender stellt folgende These auf: „ Wenn eine Rechtsfolge von einer Voraussetzung abh ä ngt, die einerseits kontinu- ierlich ver ä nderlich ist, andererseits aber in einem bestimmten Ausma ß vorliegen mu ß , dann sollte in der Regel das Ausma ß der Rechtsfolge stufenweise dem Ausma ß der jeweils vorliegen- den Voraussetzung folgen (Rechtsfolgentreppe). “ 34

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Schaubild zur idealtypischen Rechtsfolgentreppe (Quelle: Bender, Gesetzgebungstheorie, Juristische Logik, Zivil- und Prozessrecht, S. 35)

Das Schaubild zeigt die Unterteilungen der Verhaltensweise eines Schadenverursachers. Im Gegensatz zum „Alles-oder-Nichts-Prinzip“, welches nur einen Grenzpunkt kennt (Ja oder Nein), existieren hier zwei Grenzpunkte bei denen die Entscheidung zur Einordnung schwieri- ger wird. Allerdings ist nach dem Stufenmodell der Beurteilungsspielraum und die Folgen mög- licher Irrtümer geringer.35 Die Stufen können als Sandhaufen verschiedener Größen angesehen werden, die erreicht werden müssen um eine passende Rechtsfolge einzuleiten. Bender verwen- det ebenfalls den Begriff der „listigen“ Täuschung, die noch keinen Sandhaufen darstellt und somit auch keine Rechtsfolge nach sich zieht.36 Diese Gedanke dieser Herangehensweise könnte auch auf die arglistige Täuschung angewendet werden, da sich vor allem in der Praxis von B2B Vertragsverhandlungen Fälle häufen, bei denen eine Irreführung als listige Täuschung angesehen wird und eher als besonders gute und schlaue Taktik bewundert wird, anstatt diese als arglistige Täuschung zu degradieren.

E. Irreführungstaktiken in den Grenzen zur Anfechtung

Es stellt sich nun die Frage, ob auf Grundlage der teleologischen Reduktion des § 123 Abs. 1 BGB in Bezug auf unzulässige Fragen, vorranging in Arbeitsverhältnissen oder auch bei Mietverträgen, sowie durch Benders Sandhaufentheorems auch weitere ausnahmsweise rechtmäßige Fälle denkbar sind, die keine Widerrechtlichkeit implizieren und als „White Lies“ (Notlügen) keine arglistige Täuschung darstellen. Anhand vier ausgewählter Irreführungstaktiken soll nun im Folgenden geprüft werden, wo sich die Grenzen der Irreführung in Vertragsverhandlungen zeigen bzw. inwieweit Irreführungstaktiken aus juristischer Sicht angewendet werden dürfen und ob es weitere Ausnahmefälle geben kann, in denen ein sogenanntes „Recht zur Lüge“ besteht, welches die Widerrechtlichkeit nicht impliziert.

1. Similar-to-me

Der Similar-to-me-Effekt wird auch als Sympathie-Effekt bezeichnet, bei dem Personen sich aufgrund ihrer Ähnlichkeiten sympathisch sind.37 Er wurde unter anderem durch Studien von Tsui & O´Reilly (1989) entdeckt.38 Der Similar-to-me-Effekt verändert unsere Urteilsfähigkeit, da Ähnlichkeiten wie beispielsweise Hobbys auch auf andere Situationen übertragen werden.39

Sympathie erleichtert die Zusammenarbeit und stärkt die positive Wahrnehmung über eine Per- son, „Who is like me must be good.“40 Der Effekt sollte allerdings nicht zu stark angewendet werden, da Menschen sehr viel Wert auf Individualität legen.41 Diese Art Bedrängnis könnte sich dann schnell in das Gegenteil umwandeln. Ähnlichkeiten können durch verschiedene As- pekte auftreten, wie zum Beispiel Alter, Geschlecht, Einstellungen, Hobbies, Beruf oder soziale Interessen.42 Vor allem zu Beginn eines Gespräches empfiehlt es sich Gemeinsamkeiten her- auszustellen, um einen guten Einstieg in die Verhandlung zu ermöglichen. Besonders gut eignet sich dafür der „Smalltalk“ zu Beginn einer Vertragsverhandlung. Hier werden Höflichkeiten und erste Eindrücke ausgetauscht und es gestaltet sich einfach, dort auch auf Gemeinsamkeiten einzugehen und diese mit ins Gespräch einzubinden, bevor die Verhandlung letztendlich startet.

Problematisch wird es dann, wenn über Vorlieben getäuscht wird. Dies kann am klassischen Beispiel von Fußballvereinen demonstriert werden. Um eine bessere Atmosphäre zu schaffen, behauptet der Verhandler Mitglied es Borussia Dortmund zu sein, obwohl er eigentlich mit dem FC Bayern München sympathisiert und dort eine Vereinsmitgliedschaft besitzt. Durch diese vorgespielte Gemeinsamkeit kann unter Umständen ein Zugehörigkeitsgefühl entstehen, wel- ches den Verhandler sympathischer erscheinen lässt. Dieser Effekt ist stark subjektiv von den Einstellungen der jeweiligen Personen abhängig und nicht immer entfaltet er eine gleich starke Wirkung. Rechtlich gesehen stellt sich aber die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Täuschung und ob der Getäuschte zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung berechtigt ist, wenn er die Täuschung aufdeckt.

Nicht jede Täuschung der Similar-to-me-Taktik kann aufgedeckt bzw. bewiesen werden. Lügen über bestimmte Vorlieben bspw. beim Essen oder Länder und Urlaubsziele können sich ändern bzw. gibt eine einmal angegebene Vorliebe keine Garantie dafür ab, dass diese auch in ein paar Jahren noch besteht. Demnach ist es fast unmöglich, solche Täuschungen nachzuweisen, da sie auf persönlich subjektiven Ansichten beruhen.

Schwieriger wird es, wenn die Tatsache, wie bei dem Beispiel des Fußballclubs klar bewiesen werden können, indem die Mitgliedschaft nachgeprüft wird und anhand von Tatsachen belegt werden kann, dass es sich um eine Lüge handelt. Hier hilft das Harvard Verhandlungskonzept.

Es verlangt, dass Menschen und Probleme getrennt voneinander betrachtet werden sollen. Men- schen sind keine Roboter und haben starke Emotionen, die sich häufig mit der objektiven Sach- lage des Problems vereinen.43 Um neutrale Verhandlungsbedingungen zu schaffen, sollte daher rational verhandelt werden und die Emotionen soweit wie möglich außen vor gelassen wer- den.44 Das menschliche Problem, in diesem Falle die Sympathie beim Similar-to-me-Effekt, sollte ausgeblendet werden und die Vertragsverhandlung getrennt davon betrachtet werden. Folgt man den Anweisungen des Harvard Verhandlungskonzeptes, dürfte es also einen bevor- zugten Vertragsschluss aufgrund von Sympathien gar nicht erst geben. Die Realität sieht jedoch anders aus. Wie das Harvard Konzept bereits erkannt hat, sind Menschen keine Roboter und sie agieren nicht wie der Homo Oeconomicus es vorschreibt ausschließlich rational. Manche Emotionen können nicht ausgeblendet werden und schleichen sich außerdem unterbewusst ein. Trotzdem sind nicht alle Emotionen schlecht und können sogar die Vertragsverhandlung positiv beeinflussen, sie sollten nur nicht vordergründig eine Rolle spielen, da sich sonst bei Verhand- lungen leicht verrannt werden kann.45 Würde man das Harvard Konzept anwenden, würde es das Problem des Similar-to-me-Effektes also gar nicht geben, denn der rationale Verhandler lässt sich durch Sympathieeffekte, wie beispielsweise gleiche Vorlieben bei Fußballmannschaf- ten, nicht beeinflussen. Trotzdem bleibt zu erwähnen, dass es sich hier um eine theoretische Handlungsempfehlung handelt. Emotionen sind nicht per se schlecht und positive Emotionen können auch zu einem besseren Vertragsschluss beitragen, indem sie sich auf die Atmosphäre auswirken.

Die Similar-to-me-Taktik täuscht weder mittelbar noch unmittelbar über das „Produkt“ bzw. den zu verhandelnden Vertrag, sondern lediglich über Aspekte außerhalb dieser Sphäre. Diese Konstellation erinnert an den Motivirrtum gem. § 119 Abs. 1 BGB. Hier geht der Erklärende von einem falschen Umstand aus, der ihn dazu bewegt hat, den Vertrag abzuschließen. Der Irrtum über den Beweggrund, durch welchen er den Vertrag abgeschlossen hat, ist unbeachtlich und berechtigt ihn nicht zu einer Anfechtung.46 Hier wäre es möglich den Rechtsgedanken auf die Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB zu übertragen.

[...]


1 Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept, 2006, S. 1.

2 Marc Opresnik, Die Geheimnisse erfolgreicher Verhandlungsführung, 2014, S. 4.

3 Schott/Troczynski, Verhandeln, 2012, S. 8.

4 Krebs/Jung, Die Vertragsverhandlung, 2016, S. 441.

5 Krebs/Jung, Die Vertragsverhandlung, 2016, S. 445-446.

6 Krebs/Jung, Die Vertragsverhandlung, 2016, S. 446.

7 Aquino/Becker, Lying in negotiations: How individual and situational factors influence the use of neutralization strategies, 2005, S. 622.

8 Voeth/Herbst, Verhandlungsmanagement, 2015, S. 213.

9 Krebs/Jung, Die Vertragsverhandlung, 2016, S. 446.

10 Weiler, Die beeinflusste Willenserklärung, 2002, S. 337.

11 Armbr ü ster in: MüKo BGB, Bd.1, Aufl. 2015, § 123 Rn. 13.

12 Weiler, Die beeinflusste Willenserklärung, 2002, S. 339.

13 Armbr ü ster in: MüKo BGB, Bd.1, Aufl. 2015, § 123 Rn. 15.

14 Ellenberger in: Parlandt: BGB, Bd. 7, 76. Aufl. 2017, § 123 Rn. 3.

15 Ellenberger in: Parlandt: BGB, Bd. 7, 76. Aufl. 2017, § 123 Rn. 2.

16 Ellenberger in: Parlandt: BGB, Bd. 7, 76. Aufl. 2017, § 123 Rn. 11; BGH, 8. Zivilsenat, VIII ZR 101/73, 1975

17 Flume, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 1992, § 29, 3

18 Weiler, Die beeinflusste Willenserklärung, Band 208, S. 353.

19 Armbr ü ster in: MüKo BGB, Bd. 1, 7. Aufl. 2015, § 123 Rn. 17.

20 Armbr ü ster in: MüKo BGB, Bd. 1, 7. Aufl. 2015, § 123 Rn. 20.

21 Armbr ü ster in: MüKo BGB, Bd. 1, 7. Aufl.2015, § 123 Rn. 22.

22 Armbr ü ster in: MüKo BGB, Bd. 1, 7. Aufl. 2015, § 123 Rn. 18.

23 Weiler, Die beeinflusste Willenserklärung, 2002, S. 367.

24 Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 2012, § 19, Rn. 453.

25 BAG, 1 AZR 594/56, 1. Senat, 1957

26 Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 2015, Rn. 40.

27 Ellenberger in: Parlandt: BGB, Bd. 7, 76. Aufl. 2017, § 123 Rn. 5a-5b.

28 Wendtland in: BeckOK BGB § 123 Rn. 38-39.

29 Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 2012, § 19, Rn. 453.

30 Krebs/Jung, Die Vertragsverhandlung, 2016, S. 258.

31 BGH Urteil vom 12.03.1981, Sittenwidrigkeit eines Ratenkredites, III ZR 92/79

32 Bender, Gesetzgebungstheorie, Juristische Logik, Zivil- und Prozessrecht, 1978, S. 34.

33 Bender, Gesetzgebungstheorie, Juristische Logik, Zivil- und Prozessrecht, 1978, S. 34.

34 Bender, Gesetzgebungstheorie, Juristische Logik, Zivil- und Prozessrecht, 1978, S. 34.

35 Bender, Gesetzgebungstheorie, Juristische Logik, Zivil- und Prozessrecht, 1978, S. 34.

36 Bender, Gesetzgebungstheorie, Juristische Logik, Zivil- und Prozessrecht, 1978, S. 39.

37 Hein, Erfolg im Compliance Management, 2016, S. 101; Prewett-Livingston/Feild/Veres/Lewis, Effects of Race on Interview Ratings in a Situational Panel Interview, 1996, S. 179.

38 Tsui/O ´ Reilly, Beyond Simple Demographic Effects: The Importance of Relational Demography in SuperiorSubordinate Dyads, 1998.

39 Ufert, Detlef, Schlüsselkompetenzen im Hochschulstudium, 2015, S.114.

40 Opresnik, The Hidden Rules of Successful Negotiation and Communication, 2013, S. 91.

41 Krebs/Jung, Die Vertragsverhandlung, 2016, S. 349.

42 Krebs/Jung, Die Vertragsverhandlung, 2016, S. 349.

43 Fisher/Ury/Patton, Das Harvard Konzept, 2006, S. 40; Harvard Law School - Daily Blog, https://www.pon.harvard.edu/daily/negotiation-skills-daily/how-emotions-affect-your-talks/.

44 Rosner/Winheller, Meditation und Verhandlungsführung, 2012, S. 83.

45 Krebs/Jung, Die Vertragsverhandlung, 2016, S. 166; Adamczyk/Gessner/Bruno, Menschen einschätzen und überzeugen, 2012, S.151.

46 Bamberger/Roth in: BeckOK BGB, 42. Edition, 2017, § 119, Rn. 37.

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Irreführungstaktiken. Grenzen der Anfechtung wegen Täuschung (white lies)
Hochschule
Universität Siegen
Veranstaltung
Seminar: Taktiken der Vertragsverhandlung
Note
1,3
Autor
Jahr
2017
Seiten
33
Katalognummer
V374481
ISBN (eBook)
9783668521599
ISBN (Buch)
9783668521605
Dateigröße
533 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vertragsverhandlung, white lies, Irreführung, Täuschung, Taktiken
Arbeit zitieren
Lena Dahl (Autor:in), 2017, Irreführungstaktiken. Grenzen der Anfechtung wegen Täuschung (white lies), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/374481

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