Die innerparteiliche Struktur und Entscheidungsfindung der AKP. Erdoğan als das Gesicht der Partei von 2002-2014


Hausarbeit (Hauptseminar), 2017

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


2
1
Einleitung
1.1
Hinführung
,,Liebe Freunde,
heute ist ein wichtiger Tag. Heute ist der Tag, an dem das türkische Parteileben die Füh-
reroligarchie in der türkischen Politik zum Einstürzen bringen wird und anstatt einem Führer-
verständnis, wird die Repräsentation des kollektiven Gedankens an diesem Tag, in die Ge-
schichte eingehen. [...]. Der heutige Tag wird als der Geburtstag der AKP in die Geschichte
eingehen. Nach dem heutigen Tag wird in unserer Türkei nichts mehr wie früher sein. Wir
glauben daran, und wir sagen ihnen, dass sie uns ab jetzt vertrauen können."
1
Bei der Parteigründung der Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP= Adalet ve
Kalkinma Partisi) erklärt Erdoan als Ziel die innerparteiliche Demokratie. Was ist davon heu-
te übriggeblieben?
Die deutsch-türkischen Beziehungen scheinen vor dem bevorstehenden Referendum am 16.
April 2017 in der Türkei vor einem neuen Tiefpunkt zu stehen. Zunächst einmal war da der
heftige Streit zwischen Deutschland und der Türkei um Wahlkampfauftritte türkischer Politi-
ker. Zuvor heizten die öffentlichen Debatten um das Böhmermann- Schmähgedicht über
Erdoan oder die Bundestagsresolution zum Völkermord an den Armeniern die Spaltung. Die
Diskussionen Kreisen im Wesentlichen um die Person des aktuellen Staatspräsidenten der tür-
kischen Republik: Recep Tayyip Erdoan. Hierbei ist in der Argumentation ein Erdoanzent-
rismus festzustellen, welcher die restlichen politischen Akteure in der Türkei übergeht und zu
einem Zerrbild der inneren Verhältnisse der Türkei führt.
Ein wichtiger Akteur, welcher häufig vernachlässigt wird, ist die seit 2002 durchgehend regie-
rende Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung. Inspiriert durch den Besuch zweier Prosemi-
nare ,,Schlüsselwerke der Parteiensoziologie" und ,,Einführung in das politische System der
Türkei", möchte sich die vorliegende Arbeit sich mit den innerparteilichen Strukturen der AKP
beschäftigen, mit dem Ziel die innerparteiliche Entscheidungsfindung zu erklären. Die Position
und Stellung von Recep Tayyip Erdoan, welcher von 2001 bis 2014 Vorsitzender der Partei
war soll hierbei entschlüsselt werden.
Die AKP war durch ihr Bekenntnis zu innerparteilichen Demokratie ein vielversprechendes
Symbol eines demokratischen Aufbruchs in der Türkei.
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1
Recep Tayyip Erdoan, 14 August 2001, Ankara
2
http://www.yargitaycb.gov.tr/sayfa/siyasi-partiler-ve-tuzukler/1093

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Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, ein differenzierteres Bild über die Strukturen
der Partei zu erstellen, um so die innerparteilichen Entscheidungsprozesse und Willensbildung
zu entschlüsseln.
Im Fokus soll hierbei die innerparteiliche Willensbildung, entlang der Differenzierung von
Entscheidungsinhalten (personelle und inhaltliche Entscheidungen) und Entscheidungsorten,
aufgearbeitet werden.
Akteure der Parteiführung und der Parteispitze übernehmen eine Führungsfunktion und sind
bestrebt die meisten Entscheidungsprozesse gegenüber der mittleren Parteielite und der unbe-
teiligten Parteibasis.
In meinem Literaturkorpus habe ich neben deutsch- und englischsprachiger auch türkischspra-
chige Literatur verwendet, die ich selbst beim Zitieren direkt ins Deutsche übersetzen werde.
Zur befriedigenden Entgegnung dieser Frage ist in einem ersten Schritt erst einmal jedoch not-
wendig, einen Abriss über den Begriff innerparteilichen Demokratie zu geben und seine we-
sentlichen Bausteine zu beschreiben.
1.2
Innerparteiliche Demokratie
In ihrem Kern beschäftigt sich die innerparteiliche Demokratie mit der internen Machtvertei-
lung einer politischen Partei (Cross 2013: 101).
Historisch betrachtet sind die hypothetischen und empirischen Beschäftigungen mit dem The-
ma ,,Innerparteiliche Demokratie" nicht neu. Von den bedeutenden Pionieren der Parteienfor-
schung wurde längst die antidemokratische Binnenstruktur mit dem ,,ehernen Gesetz der Oli-
garchie" als folgenschweres Verhängnis der gegenwärtigen Massenparteien gezeichnet (Ostro-
gorski 1982; Michels 1949).
In ihnen handeln eine Vielzahl von Gruppen, Flügeln und Subeinheiten, die miteinander rivali-
sieren, um Einflussnahme kämpfen oder auch innerparteiliche Bündnisse schmieden, um be-
stimmte Ziele zu realisieren. Ob sich dabei ein dominantes Führungszentrum herausbilden
kann, das den Kurs hierarchisch steuert, oder ob es viele verschiedene Machtzentren gibt, wird
sich je nach Partei anders darstellen (Detterbeck 2011: 86).
Der Anklang der Theorie der innerparteilichen Demokratie macht aber auch ihre kritische Be-
leuchtung erforderlich. Um eine umfassendere Analyse im geringen Spielraum dieser Arbeit zu
zulassen, soll konkret die Frage behandelt werden: Wie sieht die innere Struktur der AKP aus
und welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus für die Entscheidungsfindung in der Partei
ableiten?

4
1.3
Methode
,,The nominating process has become the crucial process of party control. The nature oft he
nominating procedure determines the nature oft he party; he who can make the nominations ist
he owner oft he party. This is therefore one oft he best points from which to observe the distri-
bution of power within the party" (zit. nach Yavuz 2009: 99).
Wenn man den Ablauf parteiinterner Entscheidungsprozesse erklären will, ist es notwendig, in
einem ersten Schritt zunächst die Machtverteilung unter den einzelnen innerparteilichen Akteu-
ren auf der Mesoebene zu studieren (Detterbeck 2011: 117).
In der Literatur werden gewöhnlich drei Bereiche (,,Gesichter") der Parteiorganisation geson-
dert: ,,Party Central Office", ,,Party on the Ground" und ,,Party Public Office" (Katz & Mair
1993). Die Untersuchung dieser ,,Gesichter" der Organisation gestattet eine Evaluation der
internen Machtverteilung.
Ohne Zweifel kann ein charismatischer Parteiführer mit Charisma viele Aspekte innerparteili-
cher Willensbildung erklären, aber eine Analyse basierend auf der Theorie von der innerpartei-
lichen Demokratie vermag ein differenzierteres und auch realistischeres Bild zu erzeugen.
1.3
Forschungsstand
Die Arbeiten der Parteiforschung zu internen Willensbildung lassen sich gegenwärtig danach
charakterisieren, ob es sich um Fallstudien handelt, welche grundlegend nur eine Partei in
Gänze in den Mittelpunkt rücken, oder ob es ein oder weniger Betrachtungsweisen innerpartei-
licher Entscheidungsprozesse in einigen Parteien gegenüberstellend analysiert werden. Letztere
Arbeiten kann man alsdann danach trennen, welcher Entscheidungsinhalt bzw. welcher Ent-
scheidungsort in der Parteiorganisation thematisiert wird (Kumbaracibai 2013: 36).
Trotz der in der beachtenswerten Literatur über die türkische Politik, wissen wir wenig über die
AKP und ihre Entscheidungsfindung, vor allem wegen der kurzen Geschichte der Partei und
der fehlenden Aufnahme der theoretischen und vergleichenden Literatur über Parteiorganisati-
onen in türkischen Werken. Die Frage der AKP-Institutionalisierung als Organisation ist in der
umfangreichen Literatur über türkische Parteien nicht systematisch abgedeckt.
Es gab eine Reihe von Studien über die AKP (Joppien 2011; Tepe 2010; Tessler&Altinoglu
2004; Yavuz 2009/2010; Yolda 2010; Çarkoglu&Kalaycioglu 2007). Aber diese Studien kon-
zentrieren sich nicht auf die Organisation und die Institutionalisierung der AKP. In Werken, in
denen kurze Beschreibungen von Merkmalen der Parteiorganisation beschrieben werden, sind
die Grundlagen der theoretischen Literatur über Parteiorganisationen und Entscheidungsfin-
dung nicht vorhanden (Duverger 1954, Katz&Maier 1993; Panebianco 1988; Michels 1949).

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1.4
Aufbau
Neben der Einleitung (Kapitel 1) und der Schlussbetrachtung (Kapitel 4) besteht die Untersu-
chung aus einem Hauptteil, welcher sich wie folgt gliedert: Der erste Abschnitt gibt einen kur-
zen Überblick über das türkische Parteiensystem und ordnet die AKP in diese ein (2.1). Der
folgende Abschnitt beschreibt die innerparteiliche Struktur der AKP (2.2) Der dritte Abschnitt
analysiert die innerparteilichen Entscheidungsinhalte- und Orte (3.1 ­ 3.2).
2
Die AKP im türkischen Parteiensystem
2.1
Die Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung ­ eine kurze Replik
Die Position der politischen Parteien als ,,Symbol, ja als unabdingbare Voraussetzung der De-
mokratie" zeichnet sich durch die durch den Kemalismus als ideologischem Bedingungsrah-
men gezogene Grenzen und durch viele begleitende Untersagungen aus, die ihre Wurzeln im
Putsch vom 12. September 1980 haben; dieses Konzept wurde im Parteiengesetz von 1983
festgeschrieben und geht zum Teil über die durch die Verfassung vorgegebenen Restriktionen
hinaus (Rumpf 2016: 37f.).
Das Parteiengsetz von 1983 SPK (2820) reguliert alle Parteien in der Türkei. Das Gesetz bein-
haltet Regeln wie Parteien gegründet und organisiert werden müssen. Zusammenfassend lässt
sich sagen, dass das türkische Parteiensystem durch das Parteiengesetz und dem Wahlgesetz
geformt wird (Kumbaracibai 2013: 53).
Im Sommer 2001 entwickelte sich die AKP von Führern und Mitgliedern auf, die sich von der
islamistischen FP - dem Nachfolger des RP - abgebrochen hatten, als das FP vom Verfas-
sungsgericht aufgelöst wurde, das entschieden hatte, dass es eine Bedrohung für den Kern lai-
zistischen der Republik darstellt (Hermann 2008: 125).
Die autoritären Strukturen der Vorgänger-Partei Refah von Necmettin Erbakan wurde mit der
Gründung der AKP versucht zu überwinden. Während der Klientelismus ein immerwährendes
Merkmal der türkischen Politik war, entstand die AKP im Jahr 2001 in der politischen Szene
mit der Behauptung, dass es im Gegensatz zu anderen politischen Parteien, die durch Korrupti-
onsskandale und Finanzkrisen gebrandmarkt sind, transparent bleiben würde. Allerdings fand
keine strukturelle Umwandlung in der Beziehung zwischen Staat und Wirtschaft statt - nur die
Akteure veränderten sich (Ta 2015: 785).
So war die AKP auch ein Gegenmodell zu den Parteien der Vergangenheit. Allein durch ihren
Namen ,,Adalet ve Kalkinma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) nahm sie Be-
zug auf die Parteien der Gegenwart und Vergangenheit. Die von der Partei vorgezogene

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Schreibweise ist AK Parti (anstatt AKP), wodurch die Bedeutung als tugendhaft aufrichtige
Partei herausgehoben wird, denn ak bedeutet sauber, rein, weiß und unverbraucht (Joppien
2011: 52).
Die AKP ist heute mit 9 367 815 Mitgliedern mit weitem Abstand die größte politische Kraft
in der Türkei ­ als Vergleich hat die zweitgrößte Partei CHP, welche auch die größte Oppositi-
onspartei ist, nur 1 206 018 Mitglieder.
Analysiert man die Mitgliederstruktur der AKP, so fällt in erster Linie auf, dass sich die Partei
entscheidend aus drei verschiedenen Gruppen zusammensetzt. Einstige Mitglieder aus den
Reihen der Millî Görü und somit der verbotenen FP, der DYP, ANAP und MHP sowie auch
einzelnen Sozialdemokraten. Hierbei nehmen die Mitglieder aus den Reihen des Millî Görü
eine gehobene Stellung ein (Hermann 2008: 126).
Übereinstimmend mit den europäischen konservativen Parteien besteht durch den Schwer-
punkt, den die AKP auf traditionelle Werte wie Religion, Familie, Autorität und Moral legt.
Augenfällig ist, welche enorme Wichtigkeit dem Begriff Fortschritt zugeordnet wird, da dieser
im Gegensatz zur konservativ-demokratischen Selbsteinschätzung steht. Die Partei scheint ei-
nen ,,dynamischen Konservatismus" zu verfolgen, der sich unaufhörlich ändert, ohne dabei
jedoch sich selbst in Frage zu stellen. (Joppien 2011: 65).
Anders als europäische konservative Parteien ist die AKP als Bewegung gegen den status quo,
d.h. gegen die Vorherrschaft des Zentrums diametral der Peripherie, zu verstehen. Im Verbin-
dung mit westlichen Konservatismuskonzepten besteht die stärkste Gleichartigkeit mit dem
amerikanischen Modell; starke Parallelen sind die Beständigkeit von Werten und ein Religi-
onsbezug bei gleichzeitig bedingungsloser Bekräftigung von Technik und Wissenschaft. Auf-
grund der bisherigen Untersuchungen scheint die Selbsteinschätzung der AKP als konservativ
plausibel (Joppien 2011: 65).
Auch wenn Demokratisierung einer der Dreh- und Angelpunkte des Konservatismusbegriffs
der Partei ist, bleibt im Kern unklar, was die AKP damit meint. Verfolgt sie ein kleinstmögli-
ches Verständnis von Demokratie als allein auf wiederkehrende Wahlen verringertes System
oder ein maximales Demokratieverständnis, in dem alle Agenten des demokratischen Spiels
entscheidende individuelle Rechte und Freiheiten haben (Joppien 2011: 124)?
2.2
Innerparteiliche Struktur der AKP
Der Aufbau der Partei (zentrale Ebene, regionale Ebene, Bezirksebene, Dorf- und Stadtteilebe-
ne, sowie Frauen- und Jugendabteilugen) entspricht demjenigen anderer türkischer Parteien
(Rashwan 2007: 210; AKP-Statut 2016: 31f.).
Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die innerparteiliche Struktur und Entscheidungsfindung der AKP. Erdoğan als das Gesicht der Partei von 2002-2014
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Note
1,3
Autor
Jahr
2017
Seiten
19
Katalognummer
V374403
ISBN (eBook)
9783668529670
ISBN (Buch)
9783668529687
Dateigröße
632 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
struktur, entscheidungsfindung, erdoğan, gesicht, partei
Arbeit zitieren
Bayram Özmen (Autor:in), 2017, Die innerparteiliche Struktur und Entscheidungsfindung der AKP. Erdoğan als das Gesicht der Partei von 2002-2014, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/374403

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