Die gesunde Stimme im Lehrerberuf. Vorschläge zur Stimmprophylaxe und Auswirkungen von Stimmstörungen


Examensarbeit, 2015

94 Seiten, Note: 1,8

T. W. (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Stimme
2.1 Stimmerzeugung
2.2 Klangformung
2.3 Atmung
2.3.1 Atemarten
2.3.2 Atemtypen
2.3.3 Atemstütze

3 Die Stimme im Lehrerberuf
3.1 Stimmliche Anforderungen im Unterricht
3.2 Stimmleistungen einer gesunden Stimme
3.3 Ausbildungsbedingungen
3.4 Initiative „Sprecherziehung im Lehramt“

4 Stimmstörungen
4.1 Organische Stimmstörungen
4.2 Hormonelle Stimmstörungen
4.3 Funktionelle Stimmstörungen
4.3.1 Phonoponosen
4.3.2 Phononeurosen
4.3.3 Dysodie

5 Stimmstörungen bei Lehrern
5.1 Ursachen
5.2 Auswirkungen
5.3 Prophylaxe
5.3.1 Vor dem Unterricht
5.3.1.1 Stimmvorsorge
5.3.1.2 Stimmhygiene
5.3.1.3 Übungen
5.3.1.3.1 Atemübungen
5.3.1.3.2 Stimmübungen
5.3.1.3.3 Übungen für die Artikulationsmuskulatur
5.3.1.3.4 Gesangsübungen
5.3.1.3.5 Körperübungen
5.3.2 Während des Unterrichts
5.3.2.1 Körperhaltung
5.3.2.2 Strategien der Stimmschonung während der Sprechsituation
5.3.3 Nach dem Unterricht
5.4 Behandlungsmöglichkeiten
5.4.1 Erste-Hilfe-Kasten
5.4.2 Funktionelle Stimmbehandlungsmethoden

6 Burn-out und Stimmstörungen?
6.1 Entstehung und Ursachen von Burn-out
6.2 Möglichkeiten der Prävention
6.3 Selbsthilfe bei Stresssituationen
6.4 Zusammenhänge mit Stimmstörungen

7 Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang
1. Kapitel
Besondere Stimmformen
Abb. 5, Abb. 6
3. Kapitel - Heiserkeit
4. Kapitel
Ansprechpartner
Service-Adressen
Fakten zu Stimmstörungen bei Lehrern
Abb. 9
Ü bungen
5. Kapitel
Burn-out Fakten
Kurze Link-Liste
Abb. 13

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Die Zwerchfell- oder Bauchatmung (Gutzeit, 2013, S. 18)

Abbildung 2: Die Oktavbereiche (Ziegenrücker, 2009, S. 35)

Abbildung 3: Durchschnittliche Werte des Stimmumfanges (Nawka & Wirth, 2008, S. 90)

Abbildung 4: Übung zur Randschwingung der Stimmlippen (Bergen, 2012, S. 51)

Abbildung 5: Ansatzrohr (Lemke, 2012, S. 56)

Abbildung 6: Bau des Kehlkopfes (Seidner, 2007, S. 32)

Abbildung 7: Spüren Sie nach einem Unterrichtstag eine Veränderung Ihrer Stimme? (Raab, 2012, S. 73)

Abbildung 8: Wann sind die Veränderungen feststellbar? (Raab, 2012, S. 74)

Abbildung 9: Innere und äußere Störfaktoren (nach Gundermann, 1995) (Wendler & Seidner, 2005, S. 152)

Abbildung 10: Übung für die Mittelstimme (Bergen, 2012, S. 53)

Abbildung 11: Erweiterung der vorherigen Übung (Bergen, 2012, S. 53)

Abbildung 12: Übung für die Höhe (Bergen, 2012, S. 55)

Abbildung 13: Ermüdungsmerkmale der Informationsverarbeitung (Richter & Hacker, 2012, S. 78)

Abkürzungsverzeichnis:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Einleitung

„Über die Stimme offenbaren wir uns ganz. Sie verrät schonungslos unser tatsächliches Befinden, […] im weitesten Sinn unsere seelische Gestimmtheit“ (S. 26f.). So schreibt Ingrid Amon 2011 in ihrem Buch Die Macht der Stimme über den Zusammenhang von Stimme und Persönlichkeit. Ich teile ihre Ansicht. Selbst wenn wir gekonnt lächeln, ohne uns danach zu fühlen, ist spätestens am Klang der Stimme zu hören, wie es uns wirklich geht. Deshalb ist es nicht nur interessant, sondern für zukünftige Lehrer1 durchaus wichtig, zu wissen, wie die eigene Stimme funktioniert und wie sie gesund zu erhalten ist. Der Leh- rer muss auch an schwachen Tagen seine Schüler mit Stimme und Präsenz mitreißen kön- nen. Das ist nur möglich, wenn er weiß, wie erstere durch gezielte Übungen und Stimmhy- giene für den Unterricht aufgewärmt werden kann und wie er sich in der Freizeit vom stimmintensiven Beruf des Lehrers erholt. Des Weiteren sollte ein Pädagoge Überblick über prägnante Stimmstörungen haben, um so außerdem einschätzen zu können, an wel- cher Stelle er Hilfe braucht und an wen er sich am besten diesbezüglich wendet. Die Stim- me als relevantes Werkzeug des Lehrers darf nie vernachlässigt werden, denn bei länger- fristigem Stimmverlust ist eine Ausübung des Berufes nicht möglich.

Als Studentin des Faches Musik musste ich mich schon des Öfteren mit meiner Stimme auseinandersetzen, z. B. im Sprecherziehungs- oder Gesangsunterricht. Es war interessant, als meine Gesangslehrerin mir erörterte, was meine Stimmlippen oder mein Kehlkopf ma- chen könnten, wenn ich die Gesangsübung richtig durchführen würde und als sie mir erläu- terte was meine Stimme im Gegensatz dazu in diesem Moment machte. Nicht nur durch das Fach Musik war mir die Wichtigkeit einer gesunden Stimme im Lehrerberuf bewusst geworden, sondern auch durch schulpraktische Übungen und diverse andere Unterrichtsbe- suche. In diesen konnte man gezielt andere Kommilitonen oder Lehrer hinsichtlich ihres Umgangs mit der Stimme beobachten. Bei einigen Studenten waren hierbei schon grobe Mängel zu erkennen (z. B. kehlkopflastige Sprechweisen), die im Berufsleben weitrei- chende Folgen haben könnten. Daraufhin wuchs mein Interesse, sich mit dem Phänomen Stimme konkreter auseinanderzusetzen, vor allem im Hinblick auf den Lehrerberuf.

Nicht nur Stimmgebung oder stimmliche Anforderungen des Lehrerberufes werde ich in dieser Arbeit betrachten, sondern zudem die Vielzahl an Stimmstörungen und was diese für Auswirkungen auf den Sprecher haben. Dementsprechend sollen Vorschläge zur Stimmprophylaxe und Möglichkeiten der Hilfe bei Stimmkrankheiten gegeben werden.

Die Arbeit zielt darauf ab, den Leser anzuregen, sich intensiver mit seiner Stimme ausei- nanderzusetzen. Diese wird nicht nur zur Kommunikation oder zum Gesang gebraucht, sondern auch zur Ausübung eines Sprechberufs wie z. B. Lehrer oder Schauspieler. Prob- leme mit der Stimme betreffen schnell das gesamte Leben, legen sich auf die Psyche, ma- chen den Beruf unerträglich und beeinflussen die Beziehungen des stimmkranken Men- schen. Sie können außerdem zu anderen Erkrankungen oder Überforderungen führen, wes- halb ein weiterer Untersuchungspunkt der Zusammenhang von Stimmstörungen mit der Volkskrankheit Burn-out ist. Im Verlauf meiner Examensarbeit werde ich die folgenden Fragen beantworten:

- Welche Organe spielen eine Rolle beim Sprechvorgang?
- Welche Anforderungen werden an eine gesunde Stimme gestellt?
- Worin liegen die Ursachen und Risikofaktoren von Stimmstörungen?
- Wie kann einer Stimmstörung vorgebeugt werden?
- Inwiefern können Stimmstörungen zu einem Burn-out führen?

Die Arbeit ist in fünf Kapitel gegliedert. Zunächst werden die Stimme - Stimmerzeugung, Klangformung und Atmung - betrachtet. Hierbei liegt der Fokus auf der Funktionsweise der Stimme. Die am Stimmprozess beteiligten Organe sowie verschiedene Atmungsarten und -typen werden hinsichtlich ihrer Tätigkeiten berücksichtigt. Darauf folgt eine Betrach- tung der Stimme im Lehrerberuf. Stimmleistungen einer gesunden Stimme, die möglichst jeder Lehrer erbringen sollte, stehen hier im Mittelpunkt. In diesem Kapitel wird außerdem ein Projekt vorgestellt, welches sich mit dem Phänomen Stimme in der Lehrerausbildung auseinandersetzt. Dem schließt sich ein Abschnitt über Stimmstörungen an, der einen Ein- blick in die Vielzahl von möglichen Stimmkrankheiten geben soll, beginnend mit der Fra- gestellung was unter Stimmstörungen verstanden wird und endend mit der Störung der Singstimme (Dysodie). Darauf aufbauend erfolgt die Analyse von Stimmstörungen bei Lehrern. Hierbei werden nicht nur Ursachen und Auswirkungen betrachtet, sondern auch Möglichkeiten der Prophylaxe und Hilfe. Hinzu kommt eine Vielzahl an Übungen für die Stimme, Atmung und den ganzen Körper, welche unter dem Punkt Prophylaxe vorgestellt werden. Im letzten Abschnitt wird der Zusammenhang zwischen Stimmstörungen und der Volkskrankheit Burn-out hergestellt. Abschließend erfolgt ein Fazit, um meine Erkenntnis- se zusammenzufassen.

Die Stimme

Jeder benötigt sie, um sich zu verständigen. Ob es um Telefongespräche mit der Freundin, Einkaufen in der Stadt oder Unterredungen beim Arzt geht, ohne Stimme wäre vieles uns Vertraute komplizierter.

Dieses einführende Kapitel nutze ich dazu, das Phänomen Stimme in seiner Funktionswei- se näher zu erläutern. Im Anhang befindet sich ein kurzer Exkurs zu besonderen Stimm- formen.

Wenn sich dem Thema Stimme zugewendet wird, sollte interessieren, wie es überhaupt zur Klangformung kommt und so ist die Frage - Welche Organe spielen eine Rolle beim Sprechvorgang? - unausweichlich.

Stimmerzeugung

„Als Stimmwerkzeuge […] bezeichnet man die Muskeln des gesamten Stimmapparats“ (Brunsing, 2010, S. 20). Das grundlegende Organ zur Tonerzeugung ist dabei der Kehl- kopf. Dieser bildet den Abschluss der Luftröhre nach oben und besteht aus mehreren Knorpeln, die mit Bändern und Membranen sowie einer großen Anzahl von Muskeln ver- bunden sind (vgl. Amon, 2011, S. 80f.). Die primäre Funktion des Kehlkopfes ist die At- mung sowie das Verschließen der Luftröhre beim Schlucken; erst sekundär kommt die Stimmgebung hinzu (vgl. Gutzeit, 2013, S. 21). Die feinste, der fast 60 Muskeln und Mus- kelgruppen um den Kehlkopf, ist die Stimmlippenmuskulatur, welche zopfartig angeordnet ist und die Feinspannung der Stimmlippen bei der Tonproduktion ermöglicht (vgl. Amon, 2011, S. 81). „Bei den Stimmlippen handelt es sich um Schleimhautfalten, die sich um den Stimmmuskel herumlegen“ (Thömmes, 2011, S. 48).

Zur Tonerzeugung nutzt der Kehlkopf das Prinzip von Orgelpfeifen. Die Stimmritze, das ist der Raum zwischen den Stimmlippen, auch Glottis genannt, wird dabei durch Atemluft in periodische Schwingungen versetzt (vgl. Amon, 2011, S. 81). Von der Lunge aus strömt dazu Luft durch die Luftröhre zu den locker geschlossenen Stimmlippen. Diese werden wegen des entstehenden Drucks wie ein Verschluss aufgesprengt. Durch den beständigen Wechsel von Druck und Unterdruck entstehen rhythmische Luftstöße, die das menschliche Ohr als Ton wahrnimmt (vgl. Thömmes, 2011, S. 50). Die Klangform wird durch das Zusammenwirken von Lippen, Zähnen, Zunge und Gaumen bestimmt.

Die Form der Stimmritze verändert sich immer dann, wenn die Stimmlippen ihre Stellung verändern. Bei geräuschloser Atmung hat die Stimmritze die Form eines schmalen und lang gezogenen Dreiecks. Bei der Stimmgebung allerdings liegen die Stimmlippen parallel zueinander, sodass die Stimmritze nur als kleiner Längsspalt zu sehen ist. Ganz geschlossen ist die Stimmritze z. B. beim Husten (vgl. ebd., S. 49).

Die Stimmbänder, das sind die elastischen Ränder der Stimmritze, werden von den Mus- keln des Kehlkopfes kontrolliert und bestimmen im Zusammenspiel mit ausgestoßener Luft die Höhe und Intensität eines erzeugten Tones (vgl. Amon, 2011, S. 81). Die Tonhöhe einer Stimme ist dabei von der Länge der Stimmlippen abhängig, schreibt Thömmes (2011). Umso länger diese sind, umso tiefer ist der Ton. Männer besitzen Stimmlippen, welche im Durchschnitt um ein Viertel länger als die von Frauen sind (vgl. S. 50). Aber nicht nur vom Geschlecht ist die Länge der Stimmlippen abhängig, sondern auch vom Al- ter. Kinder haben kürzere Stimmlippen als Erwachsene, demnach höhere Stimmen. Bei Jungen verändert sich dies in der Pubertät. Wenn Kehlkopf und Stimmlippen wachsen, kommt es nach einiger Zeit zum Stimmbruch (vgl. Gutzeit, 2013, S. 22f.).

Es ist also ersichtlich, dass es sich beim Sprechvorgang um ein Zusammenwirken von verschiedenen Organen handelt, wobei im Mittelpunkt der Kehlkopf steht.

Klangformung

„Bewusste Verformungen der Ansatzräume bilden die Grundlage für die Lautbildung“ (Seidner, 2007, S. 50). Umgangssprachlich als Ansatzrohr bezeichnet, erzeugen diese die Gesamtheit aller Räume oberhalb der Stimmlippenebene (vgl. ebd., S. 42f.). Zu den Ansatzräumen zählt schon der Kehlkopfeingang. Rachen, Mundhöhle und Nasen- haupthöhlen formen die Klangräume, welche sich oberhalb des Kehlkopfes befinden, wo- bei die Schleimhautauskleidung die Klangbildung wesentlich beeinflusst (vgl. ebd., S. 43). Der Rachenraum ist dabei in drei Abschnitte eingeteilt: der untere Abschnitt, der Kehlra- chen, erstreckt sich vom Eingang der Speiseröhre bis zur Zungenwurzel. Der Mundrachen reicht von dieser bis zur Höhe des Gaumensegels und der Nasenrachen von der Höhe des Gaumensegels bis zur Schädelbasis. Vom Rachen bestehen Verbindungen zu den Nasen- haupthöhlen und zur Mundhöhle sowie über den Kehlkopfeingang zum Kehlkopfinneren. Den wichtigsten Bereich für die Lautbildung in den Ansatzräumen stellt die Mundhöhle dar, weil sie durch eine große Anzahl an gefiederten Muskeln2 am meisten veränderlich ist und bis auf den harten Gaumen nur bewegliche Wände enthält. Die beiden Nasenhaupt- höhlen, welche durch die Nasenscheidewand, Septum genannt, getrennt sind, spielen für den Stimmklang als Resonanzräume eine Rolle und auch für die Bildung von Nasallauten (vgl. ebd., S. 43f.).

Veränderungen der Ansatzräume bezüglich ihrer Gestalt werden durch die beweglichen Anteile, die Artikulatoren, erreicht. Dazu zählen Gaumensegel, Kehlkopf, Kiefer, Lippen und Zunge, welche im Folgenden betrachtet werden (vgl. ebd., S. 44). Das Gaumensegel ist vielfältig für die Klangbildung im Nasenrachen und den Nasenhaupt- höhlen nutzbar, indem sich dieses durch verschiedene Muskeln hebt und spannt (vgl. ebd., S. 43f.).

Lippen und Wangen zählen zur Gesichtsmuskulatur, durch die sehr vielseitige und gut ab- gestimmte Bewegungen möglich sind. Auch Unterkiefer und Zähne sind wichtige Voraus- setzungen bei der Klangbildung, vor allem im Hinblick auf die Artikulation (vgl. ebd., S. 44).

Eine besondere Beweglichkeit und Formbarkeit der Zunge wird durch die, in verschiedenen Richtungen angeordnete, Zungenmuskulatur ermöglicht (vgl. ebd.). „Die daraus folgenden unterschiedlichen Gestaltungen des Mundhohlraumes bilden die Grundlage für die Erzeugung verschiedener Vokale“ (ebd.).

Nach Meinung der Mehrzahl aller Sprechlehrer, ist es jedem Menschen möglich zu einer klangvollen und guten Sprechstimme zu kommen, indem die Resonanzräume optimal ausgenutzt werden. Ausnahmen bilden dabei organische Fehlbildungen wie z. B. Polypen oder eine gekrümmte Nasenscheidewand. Wenn von einer strahlenden Singstimme gesprochen wird, ist der Sachverhalt etwas anders, hier sprechen wir von einer angeborenen Beschaffenheit der Resonanzräume (vgl. Amon, 2011, S. 86).

Atmung

„So wie ohne Atmung kein Leben möglich ist, gibt es ohne Atmung auch keine Stimme“ (Thömmes, 2011, S. 32). Demnach hat die Atmung zwei wichtige Funktionen für den Menschen. Lebensnotwendig ist der Gasaustausch, bei welchem in der Phase der Einat- mung, oder auch Inspiration, Sauerstoff in den Körper aufgenommen und vage gesagt Kohlenstoffdioxid während der Ausatmung, bzw. Exspiration, abgegeben wird. Nach der Ausatmung erfolgt jeweils eine kurze Atempause, in der sich die, an der Atmung beteiligten, Muskeln lockern können (vgl. ebd.).

Die Sekundärfunktion der Atmung soll an dieser Stelle eine größere Rolle spielen, hierbei handelt es sich um die Stimmerzeugung. In den folgenden Abschnitten werden verschiedene Atemarten und -typen vorgestellt und auch der Begriff Atemstütze, um den Zusammenhang zwischen Stimmerzeugung und Atmung zu verdeutlichen.

Atemarten

Es gibt zwei Möglichkeiten zu atmen, die stumme Atmung und die Stimmatmung. Erstgenannte kommt einmal bei der Ruhe- und der Leistungsatmung vor.

Bei der Ruheatmung wird durch die Nase geatmet, dabei bilden die Stimmlippen ein läng- liches Dreieck, Lateralstellung genannt (vgl. Nawka & Wirth, 2008, S. 11). Als aktive Pha- se wird die Einatmung genannt, in welcher die Muskulatur des Zwerchfells aktiv ist. In der Ausatmung fällt die Muskulatur zusammen (vgl. Amon, 2011, S. 67). Die gesamte Ausat- mung erfolgt dabei passiv. Frequenz und Volumen der Atmung sind abhängig vom Alter, Geschlecht, Gewicht und den Umweltbedingungen sowie der psychischen Situation. Wenn die Vergrößerung bzw. Verkleinerung des Brustkorbes bei der Atmung nach allen Seiten gleichmäßig erfolgt, sprechen Nawka & Wirth (2008) von einer physiologisch gesunden Atmung. Hierbei ist ebenfalls die tiefste Einatmung möglich. Ein- und Ausatemphase sind ungefähr gleich lang (vgl. S. 11).

Die Leistungsatmung dagegen setzt bei körperlicher Belastung ein. Die Inspirationsmuskulatur wird hier stärker beansprucht als in Phasen der Ruhe, dadurch nimmt die Dehnung der Lunge zu (vgl. ebd., S. 12).

Die Stimmatmung wird unterschieden in Sprech- und Singatmung. Die Sprechatmung, welche auch Phonationsatmung genannt wird, hat zwei Aufgaben. Sie stellt einmal das erforderliche Volumen an Luft zur Verfügung, welches durch vertiefte Einatmung gewon- nen wurde und baut andererseits einen geeigneten subglottischen Anblasedruck auf. Das heißt, dass sich ein Druck von unten (sub) gegen die Stimmritze (Glottis) aufbaut und die Stimmlippen darauf reagieren, indem sie sich öffnen. Im Vergleich zur Ruheatmung haben wir hier eine kürzere Einatmungs- und eine verlängerte Ausatmungsphase. Das Einat- mungsvolumen ist nur wenig erhöht im Vergleich zur Ruheatmung (vgl. ebd., S. 19).

Im Unterschied zur Sprechatmung sind die Ausatmungszeiten bei der Singatmung wesent- lich länger. Es wird stärker die zur Verfügung stehende Ausatmungsluft durch aktives Einatmen genutzt, was es möglich macht, den subglottischen Druck zu regulieren (vgl. ebd.). Das bedeutet die Einatmungsphase muss aktiver sowie beschleunigter sein, wohingegen die Ausatmungsphase verlängert und verlangsamt ist.

Atemtypen

Wir unterscheiden vier verschiedene Formen der Atmung, die nach den Körperabschnitten bezeichnet werden, in denen die stärkste Atembewegung auftritt.

Bei der Bauchatmung senkt sich das Zwerchfell während der Einatmungsphase, weshalb die Baucheingeweide nach unten gedrängt werden. Das hat die Folge, dass sich die Bauch- decke nach außen drückt. So entsteht Platz für die Ausweitung der Lunge. Bei der Ausat- mungsphase wölbt sich das Zwerchfell dann nach oben. Die Luft wird aus der Lunge ge- stoßen und es ist wieder Platz für die Eingeweide, weshalb als Folge daraus die Bauchde- cke abflacht (siehe Abb. 1). Diese Form der Atmung ist die ökonomischste. Sie sorgt ei- nerseits für gute Verdauung und hilft, den Körper zu entspannen. Die Phase der Ausat- mung ist hier etwa doppelt so lang wie die Einatmung (vgl. Gutzeit, 2013, S. 18f.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Die Zwerchfell- oder Bauchatmung

Die Brust- oder Rippenatmung ist vielleicht der bekannteste Atemtyp, aber im Vergleich zur Bauchatmung weniger ökonomisch. Es erfolgt hier eine seitliche Ausdehnung der Lun- ge bei der Einatmung. Dabei werden meist die Schultern mit hochgezogen. Bewegung ist nur im Brust- und eventuell noch im Schultergürtelbereich zu spüren. Oft tritt diese At- mung in Angst-, Anstrengungs- oder Stresssituationen auf, wobei sie zudem sehr flach ist. Brust und Bauch als Atemräume werden nicht ausreichend genutzt (vgl. ebd., S. 19).

Bei der Schulter- oder Schlüsselbeinatmung handelt es sich um Rippenatmung, auch als kostale Atmung bezeichnet. In der Einatmungsphase erhebt sich dabei der gesamte Schul- tergürtel. Dieser Atemtyp ist eine pathologische (krankhafte) Atmung, denn er kann zu Stimmstörungen führen und tritt z. B. bei Asthma-Patienten auf (vgl. Nawka & Wirth, 2008, S. 12).

Die Bauch-Zwerchfell-Flanken-Atmung ist, wie der Name schon sagt, eine Mischatmung. Die Einatmung, verbunden mit einer Erweiterung des Brustkorbs, wird in erster Linie durch Kontraktion, also Zusammenziehen der Muskeln, und Tiefertreten des Zwerchfells ermöglicht. Der zweite Punkt ist das aktive Heben der Rippen. Diese Form der Atmung wird als natürlich oder auch physiologisch bezeichnet (vgl. ebd.).

Atemstütze

„Als Stütze bezeichnet man den Halt, den die Einatmungsmuskulatur dem Zusammensinken des Brustkorbes und der Lunge entgegensetzt“ (Nawka & Wirth, 2008, S. 103). Ziel der Atemstütze ist eine verlängerte Ausatemphase und die bewusste Führung des Ausatemluftstromes. Während des Sprechens soll versucht werden, die Bauchdecke nicht fallen zu lassen, sondern diese bewusst zu führen und so die Einatemspannung des Zwerchfells aufrechtzuerhalten (vgl. Thömmes, 2011, S. 43).

Im Rücken und in den Seiten wird während des Sprechens oder auch Singens eine Einat- mungstendenz aufrechterhalten, wodurch Atemdruck und Stimmbandschluss im Gleich- gewicht bleiben. Dabei spielt sich die Zwerchfelltätigkeit in der Tiefe ab und auch der Kehlkopf bleibt in tiefer und damit entspannter Lage (vgl. Bergen, 2012, S. 29). Die Tief- stellung des Zwerchfells sollte möglichst lange erhalten bleiben, um so Luftdruck unter- halb der Stimmritze aufzubauen, welcher zum Erzeugen von Tönen notwendig ist. Die Atemstütze sorgt für einen längeren Sprechzeitraum und wer diese beherrscht, kann seine Stimme kräftiger und resonanzreicher erklingen lassen (vgl. Thömmes, 2011, S. 43f.).

Nicht nur im Gesang ist es schwierig sich das, was unter Atemstütze verstanden wird, vor- zustellen. Oft wird daher von Atemkontrolle oder auch Atemführung gesprochen. Wichtig für die Atemstütze ist eine gestärkte Zwischenrippenmuskulatur, da diese den Brustkorb offen hält und das schnelle Zusammensinken verhindert. Es wird ein federnder und elasti- scher Wechsel zwischen Einatmung und Ausatmung angestrebt (vgl. Bengtson-Opitz, 2008, S. 55).

Wird der Stützvorgang nicht natürlich ausgeführt, kann es zum Über- bzw. Unterstützen kommen. Das Resultat vom Überstützen sind gestemmte, mit Kraft erzeugte, Töne. Die Folgen davon sind Stimmschäden. Beim Unterstützen ist die Stimme leise oder auch be- haucht. Das Singen hoher oder leiser Töne wird erschwert (vgl. Nawka & Wirth, 2008, S. 104f.).

Das erste Kapitel schaffte einen Überblick über die Funktionsweise der Stimme und beantwortete die Frage: Welche Organe spielen eine Rolle beim Sprechvorgang? Stimmerzeugung geschieht durch Zusammenarbeit von verschiedenen Organen. Der Kehlkopf ist mit einer großen Anzahl von Muskeln und Muskelgruppen verbunden, unter denen sich auch die Stimmlippenmuskulatur befindet. Zur Tonerzeugung wird Luft aus den Lungen in Schwingungen versetzt, diese gelangt durch die Luftröhre zu den Stimmlippen. Rhythmische Luftstöße, die für das Öffnen und Schließen der Stimmlippen sorgen, werden vom Menschen als Töne wahrgenommen.

Die eigentliche Klangformung wird durch Ansatzräume erzeugt, die alle Räume oberhalb der Stimmlippen miteinbeziehen. Den größten Einfluss auf die gebildeten Klänge hat die Mundhöhle, da sie am meisten veränderlich ist und bewegliche Anteile enthält. Zu den sogenannten Artikulatoren gehören das Gaumensegel, der Kehlkopf sowie Lippen und Wangen als Teil der Gesichtsmuskulatur, Unterkiefer und Zähne. Erst durch die Muskulatur der Zunge ist es möglich verschiedene Vokale zu erzeugen.

Auch die Atmung trägt zur Stimmgebung bei. Wir sprechen während wir atmen. Bei der sogenannten Stimmatmung wird zwischen Sprech- und Singatmung unterschieden. Im Ge- gensatz zur stummen Atmung ist die Ausatmungsphase hier wesentlich länger als die In- spiration. Unterschieden wird außerdem nach dem Körperabschnitt, in welchem die At- mung am Stärksten auftritt. Als physiologische Atmung wird dabei die Bauch- bzw. Zwerchfellatmung verstanden, da hierbei die Verdauung begünstigt wird und der Körper sich entspannt.

Ziel eines jeden, der häufig aktiv mit seiner Stimme umgeht, sollte eine gelungene Atemstütze sein, da diese es ermöglicht, die Ausatemluft zu führen und die Phase der Exspiration zu verlängern.

Im folgenden Kapitel soll es um die Stimme im Lehrerberuf gehen. Um zu veranschaulichen, dass der Lehrberuf stimmintensiv ist, beginnen die nachfolgenden Ausführungen bei den stimmlichen Anforderungen. Dem schließen sich u. a. Stimmleistungen einer gesunden Stimme und Ausbildungsbedingungen an.

Die Stimme im Lehrerberuf

Lehrer und Erzieher gehören zu einer Berufsgruppe, deren Stimme stetig belastet wird und die mit wechselnden Sprechumgebungen zu tun hat. Für die Stimme bestehen dabei große Unterschiede, denn ob der Lehrer nun Schwimm- oder Schulgartenunterricht gibt, je nach Räumlichkeit ist diese unterschiedlich einzusetzen. Umso größer die Entfernung zwischen Lehrer und Schüler ist, desto mehr Aufwand muss betrieben werden, um sich untereinan-der zu verständigen (vgl. Aich, 2009, S. 145).

Welche Anforderungen werden an eine gesunde Stimme gestellt? Stimmliche Anforderungen gibt es viele im Lehrerberuf. In diesem Kapitel sollen dazu die Stimmleistungen einer gesunden Stimme betrachtet werden. Ebenfalls erfolgt die Beschäftigung mit den Ausbil-dungsbedingungen und einem aktuellen Projekt zur Lehrerstimme.

Stimmliche Anforderungen im Unterricht

Die stimmlichen Anforderungen werden durch die Räumlichkeiten beeinflusst. Je mehr Schall ein Raum trägt, desto lauter ist es auch. Die Gespräche der Schüler werden viel stärker gehört. Was kann der Lehrer dagegen tun? Wenn er versucht, immer mit seiner Stimme dagegen anzugehen, wird der Lärmpegel nur erhöht und der Lehrer schadet zusätz-lich sich selbst. Ziel sollte es sein, die Lautstärke zu senken. Das gelingt wahrscheinlich nicht für den ganzen Unterricht aber für einzelne Abschnitte (vgl. ebd., S. 145f.).

Die Aufmerksamkeit der Schüler soll nicht nur mithilfe der Stimme auf den Lehrer gelenkt werden, sondern auch durch ein gutes Lern- und Arbeitsklima. Schüler merken durchaus, ob der Lehrer seinen Beruf gern ausübt, inwiefern dieser routiniert ist im Umgang mit Schülern oder ob er sich schnell von ihnen provozieren lässt. Wichtig ist mit aktiver Prä-senz in den Klassenraum zu treten, in Ruhe einzuatmen und auf dem Ausatemstrom ruhig und langsam das Thema der Stunde zu verkünden. Auch sollte der Lehrer den Schülern immer Zeit zum Antworten geben, wenn Fragen gestellt werden. Er muss die Stille im Klassenraum ertragen können. Wichtig ist der Blickkontakt zu den Schülern, während er spricht und wenn die Schüler sich zu Wort melden. Stumme Zeichen oder der Einsatz von akustischen Signalen können dabei helfen, die Stimme zu schonen. Schüler sind durchaus einfallsreich beim Ausdenken verschiedener Signalzeichen (vgl. ebd., S. 146f.).

Im Folgenden werden die Anforderungen an die Stimme genauer betrachtet. Menschen, die einen Sprechberuf ausüben, sind anfälliger für Stimmstörungen. Lehrer betreiben gewis- sermaßen Leistungssport mit ihrer Stimme, weshalb z. B. häufiger Erkältungen oder Hei- serkeiten bei ihnen auftreten. Vielen Pädagogen ist das nicht bewusst. Deshalb wäre eine praktische Stimmbildung während des Studiums notwendig, um schlechte Gewohnheiten bezüglich der Stimme abzutrainieren und Möglichkeiten zur Erholung und Regeneration dieser zu bieten (vgl. Knie, 2008, S. 70).

Lehrer fungieren als Vorbilder für ihre Schüler, das muss auch auf den Umgang mit der Stimme bezogen werden. Wie kann ein Schüler lernen sich deutlich zu artikulieren, wenn sein Lehrer immer nuschelt? Beziehungsweise, wie soll er seinem Lehrer 90 Minuten lang zuhören, wenn dieser mit seiner Stimme eine einschläfernde Wirkung erzielt? Deswegen ist die gute Verständlichkeit des Unterrichtsstoffs ein wesentlicher Punkt im Lehr-Lern- Prozess (vgl. ebd., S. 71). „Kinder und Jugendliche entwickeln leichter einen physiologisch ökonomischen Stimmgebrauch, wenn sie dafür geeignete Vorbilder haben“ (ebd.).

Um den Schülern das Zuhören zu erleichtern, ist ein angenehmer Klang der Lehrerstimme wichtig, tief und voll aus dem Bauch heraus, der an die Raumgröße und Akustik angepasst ist. Vokale und Konsonanten sollten gut artikuliert werden und in einem getragenen Sprechtempo erklingen. Die Stimme muss bis zu den letzten Bankreihen klar und deutlich zu hören sein, weshalb es sich empfiehlt, eher langsam als schnell zu sprechen. Gelingt es dem Lehrer mit Sprache zu überzeugen, passt sich auch die Körpersprache dem an und er fühlt sich in seinem Tätigkeitsfeld wohl. Bevor Unterricht erteilt wird, hat der Lehrer die Möglichkeit, durch verschiedene Handlungen seine Stimme zu erwärmen. Es kann auf der Fahrt zur Schule ein einfaches Lied gesungen oder gesummt und vor dem Klingeln, durch stimmhaftes Gähnen oder Seufzen, die Stimme angeregt werden. Hier lässt sich ein Ver- gleich zum Leistungssportler ziehen. Wie auch in diesem Bereich, muss eine Aufwärmung vor anstrengenden Tätigkeiten erfolgen, damit der Sport dann aktiv betrieben werden kann (vgl. ebd.).

Besondere Anforderungen hinsichtlich der Stimme werden an Sport- und Musiklehrer ge- stellt. Im Sportunterricht sind die Schüler oft auf verschiedene Hallenteile aufgeteilt und diese sind von der Akustik nicht gut an die Stimme angepasst. Um sie zu schonen, sollten wichtige Dinge bereits vor Betreten einer Sport- bzw. Schwimmhalle besprochen werden, sodass der Lehrer in der Halle möglichst wenig sprechen muss. Des Weiteren sollte das Schreien durch den ganzen Raum vermieden werden, Ansprachen an die Schüler können besser vor der gesamten Gruppe gehalten werden. Um Einzelne zu ermahnen, kann der Lehrer sich mit Hilfsmitteln wie einer Trillerpfeife durchsetzen, ohne seine Stimme einset- zen zu müssen (vgl. ebd., S. 71f.).

Im Musikunterricht ist der Lehrer einer Doppelbelastung ausgesetzt. Er hat, wie die ande- ren Pädagogen, dafür Sorge zu tragen, dass seine Stimme im Klassenraum gut verständlich und interessant für alle Schüler klingt. Des Weiteren wird gesungen, und zwar mit der ganzen Klasse. Dabei muss darauf geachtet werden, dass bei zunehmender Lautstärke nicht auch die Singstimme des Lehrers lauter wird, da diese noch anfälliger für Stimmschäden ist als die Sprechstimme. „Singen ist ein viel komplexerer Vorgang als Sprechen und benötigt daher mehr Muskeltätigkeit“ (ebd., S. 73). Um hohe Töne klar und deutlich singen zu können, muss die Lehrperson vor dem Unterricht eingesungen sein, sonst ist eine physiologische Nutzung der Stimme nicht möglich. Es kann auch ein gemeinsames Einsingen mit den Schülern stattfinden. Außerdem sollte zwischen den Unterrichtsstunden ausreichend getrunken werden, um die Stimmlippen feucht zu halten.

Stimmleistungen einer gesunden Stimme

Eine gesunde Stimme kann vieles mit Leichtigkeit, aber genauso einfach ist es möglich durch fehlerhaftes Nutzen dieser, Störungen oder Beeinträchtigungen hervorzurufen. In diesem Abschnitt erfolgt die genaue Beschreibung aller Stimmleistungen, um gleichzeitig zu zeigen, welche Anforderungen an die Stimme gestellt werden.

„Die Tonhöhe hängt ab von der Zahl der Stimmlippenschwingungen pro Sekunde“ (Nawka & Wirth, 2008, S. 87). 440 Schwingungen pro Sekunde entsprechen z. B. dem Kammerton a1, dies ist der gemeinsame Ton, auf welchen Instrumente einer Musikgruppe eingestimmt werden. Der höchste erreichbare Ton für den Menschen ist e4 und der am tiefsten erreichbare C1 (vgl. ebd.).3 Um die Tonhöhe zu steigern, ist eine Zunahme der Stimmlippenspannung erforderlich, die eine gesunde Stimme einfach aufbringen kann. Eine Spannungsabnahme führt dementsprechend zur Senkung der Tonhöhe (vgl. Schutte & Seidner, 2005, S. 85). Bei Personen mit funktionellen Stimmstörungen treten dagegen Tonhöhenschwankungen auf, die auch als Flattern bezeichnet werden (vgl. Nawka & Wirth, 2008, S. 89).

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Abb. 2: Die Oktavbereiche

Der Umfang einer Stimme wird durch den jeweils tiefsten und höchsten Ton begrenzt, den der Mensch singen kann. Dabei bezieht sich der physiologische oder absolute Umfang „vom tiefsten, leise und locker anklingenden oder summend erreichten Ton bis zum höchs- ten Ton“ (Seidner, 2007, S. 112). Dieser als extrem anzusehende Umfang ist, im Hinblick auf die stimmtechnische Schulung, als Leistungsgrenze interessant, sollte aber nicht über- reizt werden. Wird der musikalische Tonumfang, der Bereich, welcher für die Gesangsar- beit unmittelbar zur Verfügung steht, oft überschritten, kann die Stimme durch chronische Überanstrengung dauerhaft geschädigt werden (ebd.). Der musikalische Stimmumfang beträgt bei Durchschnittsstimmen weniger als zwei Oktaven, wobei der physiologische bis zu vier Oktaven ergeben kann. Als pathologisch ist ein absoluter Stimmumfang von weni- ger als 1,5 Oktaven anzusehen. Die größten Stimmumfänge finden sich bei Sopran- und bei Bassstimmen. Ein durchschnittlicher Mezzosopran kann die Töne von g bis f2 singen, eine geschulte Gesangsstimme der gleichen Stimmlage kann ungefähr von g bis c3 singen. Auch bei den anderen Stimmlagen treten signifikante Unterschiede zwischen der Durch- schnitts- und Gesangsstimme auf (vgl. Nawka & Wirth, 2008, S. 89ff.). In der Abbildung 3 sind die durchschnittlichen Stimmumfänge der Stimmlagen bei Erwachsenen dargestellt. Die Lautstärke, hier auch als Stimmstärke bezeichnet, wird mit der Maßeinheit Dezibel

(dB) gemessen und entspricht dem Schalldruckpegel. Sie ist eine Funktion des subglotti- schen Drucks. Wird die Lautstärke beim Singen oder Sprechen variiert, so ändert sich der Schwingungsablauf der Stimmlippen. Oft kommt es bei ungeübten Stimmen bei einer Stei- gerung der Tonhöhe zu einer Zunahme an Lautstärke, auch wenn dies nicht unbedingt ge- wollt ist (vgl. Schutte & Seidner, 2005, S. 85). Eine Stimme wird hinsichtlich ihrer Stimm- stärke als gesund bezeichnet, wenn sie eine gleichmäßige Modulation (Variation) zwischen forte (laut) und piano (leise) zulässt und die ausgeglichene Registermischung erhalten bleibt. Stimmklänge, die als hart und laut, bzw. als ängstlich und leise beschrieben werden, sind als Fehlverhalten anzusehen (vgl. Kasper, 2005, S. 51). Wenn die Sprechstimme ganz leise eingesetzt wird, kann sie bis auf 45 dB in ihrer Stimmstärke sinken, wobei die Rufstimme etwa einen Wert von 90 bis 110 dB hat.

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Abb. 3: Durchschnittliche Werte des Stimmumfanges

Interessant sind die Ergebnisse in einem Modellversuch an der Kieler Humboldt-Schule, wobei die Lautstärke in unterschiedlichen Situationen gemessen wurde. Während einer Klassenarbeit betrug sie 45 dB, auf dem Pausenhof 80 dB und bei der Ansprache des lautesten Lehrers sogar 100 dB (vgl. Eberhart & Hinderer, 2014, S. 69f.). Der Maximalpegel liegt bei 126 dB (vgl. Nawka & Wirth, 2008, S. 92).

Auch die Phonationszeit (Tonhaltedauer) dient als Maß für die Leistungsfähigkeit einer Stimme. Die maximale Tonhaltedauer ist abhängig von unterschiedlichen Faktoren, u. a. Stimmlippenschluss, Lautstärke, Art des Sprachlautes, Alter und Geschlecht und emotiona- ler Zustand. Als normal wird beim Mann eine Tonhaltedauer von 26 Sekunden angesehen, bei Frauen 21 Sekunden. Aufgrund von Stimmstörungen kann wegen zu hohen Luftver- brauchs die Phonationszeit verkürzt sein. Bei Männern gelten unter 8 Sekunden als patho- logisch, bei Frauen unter 7 Sekunden. Bestimmen kann der Lehrer seine Phonationsdauer leicht selbst, indem nach maximaler Einatmung auf dem Vokal a flüsternd ausgeatmet wird. Mithilfe einer Stoppuhr kann das Ergebnis festgehalten werden (vgl. ebd., S. 94).

Der Stimmklang ist im Idealfall „edel, brillant, rund, weich, obertonreich und klar“ (Kas- per, 2005, S. 50). Jeder Mensch besitzt eine individuelle Klangfarbe. Bei näselnden Klän- gen sowie belegten Stimmen liegt ein Fehlverhalten vor (vgl. ebd.). Auch ist die Klangfar- be abhängig von der Anzahl und Stärke der im Klang enthaltenen Obertöne. Es werden verschiedene Formen des Stimmklanges unterschieden. Eine helle Klangfarbe entsteht bei- spielsweise bei geöffnetem Ansatzrohr, eine Dunkle bei verengter Mundöffnung und ver- längertem Ansatzrohr. Des Weiteren wird nasaler, gepresster oder doppeltöniger Stimm- klang unterschieden. Unter Letzterem ist ein gleichzeitiges Vorliegen von zwei verschie- denen Grundfrequenzen zu verstehen. Ein Grund für diesen Stimmklang kann eine über- mäßige bzw. ungleichartige Spannung der Stimmlippen sein (vgl. Nawka & Wirth, 2008, S. 75f.). Die Stimmqualität betreffend sind alle Klänge mit pathologischen Geräuschantei- len unter Heiserkeit zusammenzufassen (vgl. Schutte & Seidner, 2005, S. 124). Eine physiologische Stimme ist in der Lage einen Ton von bestimmter Höhe nachzusingen. In der Fachsprache wird das als Intonationssicherheit beschrieben. Diese Fähigkeit ist u. a. abhängig von der Musikalität eines Menschen, seiner Stütze, der Atmung, dem Gehör oder dem Tonvorstellungsvermögen. Das Tongedächtnis lässt sich durch das Nachsingen ver- schiedener Töne prüfen. Von einem absoluten Gehör wird gesprochen, wenn die gehörten Töne nicht nur richtig nachgesungen, sondern auch bezeichnet werden können. Das Repe- tieren (Wiederholen) von einzelnen Tönen gestaltet sich wesentlich einfacher, als ver- schiedene Intervalle4 zu wiederholen (vgl. Nawka & Wirth, 2008, S. 109). Unter Stabilität einer Stimme ist die Fähigkeit zu verstehen, eine bestimmte Tonhöhe zu halten, ohne dass der Ton unsauber wird oder abbricht. Bei Menschen mit funktionellen Stimmstörungen sind Tonhöhenschwankungen verstärkt. Gesunde Stimmen weisen nur 1-2 Halbtöne Abweichung beim Halten eines Tones auf, das entspricht 7-10 Hertz. Diese Schwankungen entstehen durch Aktivitätsvariationen in der Kehlkopfmuskulatur (vgl. ebd.).

Die Tragfähigkeit der Stimme wird bei großen oder akustisch ungünstigen Räumen benö- tigt. Oft bereitet es Menschen Schwierigkeiten sich durchzusetzen oder konsequent zu sein, wenn ihnen die Stimme Probleme bereitet. Dabei ist es für den Lehrer wichtig, wahrge- nommen zu werden. Dazu muss neben einer durchsetzungsfähigen Stimme, die Person standhaft in ihrem Auftreten sein. Mit Tragfähigkeit ist nicht unbedingt nur die Lautstärke gemeint, sondern vielmehr ein Stimmklang, welcher für seine Zuhörer durch bestimmte Klanganteile gut wahrnehmbar ist (vgl. Nollmeyer, 2012, S. 50f.). Je tragfähiger, desto geringer ist der erforderliche Energieaufwand einer Stimme, um Informationen zu kom- munizieren. Deshalb ist es Ziel jeder Stimmtherapie oder auch Stimmausbildung, die Trag- fähigkeit der Stimme zu verbessern (vgl. Nawka & Wirth, 2008, S. 111).

Die mittlere Sprechstimmlage befindet sich im unteren Drittel des individuellen Stimmum- fangs eines Menschen, sie hängt von Alter, Umgebungslärm und Stimmung ab. Beurteilt wird diese nach zwei Kriterien: Dem Abstand zur unteren Stimmgrenze und dem Vergleich mit dem statistisch bestimmten Normbereich, Indifferenzlage genannt (vgl. ebd., S. 78). „Die mittlere Sprechstimmlage (Sprechtonhöhe) wird aufgrund des in der Sprachmelodie am häufigsten auftretenden Grundtons bestimmt“ (ebd., S. 79). Zur Bestimmung können Wochentage oder Zahlen aufgezählt werden und die Tonhöhe der Stimme wird dann mit dem Klavier oder Keyboard verglichen. Die Indifferenzlage von Frauen liegt zwischen g- c1 und die der Männer zwischen G-c. In dieser Lage kann mühelos, ohne großen Kraft- aufwand, gesprochen werden (vgl. ebd.). Der Kehlkopf befindet sich dabei in entspannter Tiefstellung, daraus folgt eine Verlängerung des Ansatzrohres. Die Resonanz der Stimme ist optimal. Ein geringer Atemdruck reicht aus, um die Stimmlippen zum Schwingen zu bringen. In der Indifferenzlage ist die Stimme zudem ausdrucksstärker und modulationsfä- higer, was dem Zuhörer erleichtert, den Inhalt zu erfassen und weniger für Ermüdung und Langeweile sorgt. Dagegen bedeutet ein dauerhaftes Abweichen der mittleren Sprech- stimmlage von der Indifferenzlage eine große Stimmbelastung und hat schädliche Auswir- kungen auf die Stimme. Dazu zählen u. a. Räusperzwang, Trockenheitsgefühle und Sprechunlust sowie stimmliche Ermüdung. Zuhören wird hier als unangenehm und an- strengend empfunden, weshalb die Konzentration schnell nachlässt, was für den Lehrer in der Schule ungünstig ist (vgl. Lemke, 2012, S. 53ff.).

Unter Stimmgattungen sind die hohen und tiefen Stimmlagen von Männern und Frauen zu verzeichnen. In der Reihenfolge von hoch zu tief lauten die Bezeichnungen: Sopran, Mez- zosopran, Alt (Frauenstimmen); Tenor, Bariton und Bass (Männerstimmen). Im Chorge- sang werden die einzelnen Gattungen meist noch in zwei Stimmen untergliedert, z. B. Sop- ran 1 und Sopran 2. Diese Bezeichnungen sind starr. Oft gibt es Übergänge zwischen den hohen und tiefen Lagen. Stimmstörungen können auch daher kommen, dass eine Person jahrelang in der falschen Stimmlage im Chor gesungen hat. Eine bestimmte Stimmgattung muss nicht das ganze Leben auf den Sänger zutreffen. Stimmen verändern sich und es kann durchaus sein, dass eine ursprüngliche Altistin die Sopranstimme singen kann (vgl. Seid- ner, 2007, S. 119). Das Einordnen der Stimmgattung wird nach vielen Kriterien bestimmt: Einmal nach dem Stimmumfang und nach der Registerverteilung (über das Stimmregister wird als nächstes informiert) sowie nach der mittleren Sprechstimmlage und dem Stimm- klang, wobei noch weitere Kriterien eine Rolle spielen können (vgl. Nawka & Wirth, 2008, S. 100f.). Kasper (2005) ist der Ansicht, dass sich die verschiedenen Stimmgattungen durch die unterschiedlichen anatomischen Gegebenheiten des Körpers und des Stimmorgans erklären lassen. Hohe Stimmlagen, dazu gehören Sopran und Tenor, haben breite und muskulöse Stimmbänder, diese können hohe Spannungen aufbauen und demnach auch hohe Töne erzeugen. Alt und Bass dagegen weisen eher lange und schmale Stimmbänder auf, welche einen satten und tiefen Klang erzeugen (vgl. S. 34f.).

Des Weiteren wird innerhalb der Stimmgattungen nach Stimmtypen unterschieden. Diese Einteilung erfolgt nach der Struktur der Stimme (Stärke, Klangfarbe, Beweglichkeit, Tem- perament, Ausdruck etc.), wobei unterschiedliche Anforderungen an die einzelnen Stimm- typen gestellt werden. Ein lyrischer Tenor muss z. B. in der Höhe von c2 bis d2 singen kön- nen, wogegen ein schwerer Heldentenor nur bis b1 singt (vgl. Nawka & Wirth, 2008, S. 103).

Die Stimme besteht aus drei Registern, die bei Frauen und Männern gleich bezeichnet werden. Das Brustregister nutzt als Resonanzraum den Brustraum. Das mittlere Register dagegen braucht die unteren und mittleren Rachenräume und den Mundraum. Beim Kopf- register (oder auch Oberklang) werden der Nasenrachenraum, die Nasennebenhöhlen und die Stirnhöhlen für gute Resonanz verwendet (vgl. Kasper, 2005, S. 37). Ein Schwingen der Stimmbänder in voller Länge und Breite geschieht nur bei der Vollstimmfunktion. Sie beansprucht das untere Drittel des Stimmumfangs, also das Brustregister (vgl. ebd., S. 31). „Mit zunehmender Höhe der Töne werden die Stimmbänder stärker angespannt und ver- längern sich“ (ebd., S. 33). Die Schwingung kommt nun stärker bei den mittleren Partien der Stimmbänder zustande und verlagert sich zu den Stimmbandrändern (Mittelstimmfunk- tion). Von der Randstimmfunktion wird gesprochen, wenn nur noch die Stimmbandränder schwingen, hierbei wird das obere Drittel des Stimmumfangs begünstigt. Es besteht eine Verbindung zum Kopfregister (vgl. ebd.).

Da die unterschiedlichen Register verschiedene Resonanzräume benötigen, muss die Stimme während des Singens lernen umzuschalten, wenn sie z. B. eine bestimmte Höhe erreicht hat. Wird versucht in dieser weiter mit dem Brust- oder dem mittleren Register zu singen, bricht die Stimme einfach ab. Diesen Vorgang kann jeder an seiner eigenen Stim- me ausprobieren, indem langsam Tonleitern auf- und abwärts gesungen werden. Versucht der Lehrer konsequent den Stimmklang, der bei den tieferen Tönen vorherrschend war, bei den höheren beizubehalten, werden ungeübte Sänger womöglich ein Knacken spüren, be- vor die Stimme abbricht. Dauerhaftes Arbeiten gegen die Gegebenheiten der Stimme ist schädlich für diese.

Auch lassen sich unterschiedliche Formen des Stimmeinsatzes (Art und Weise wie die Phonation beginnt) unterscheiden. Beim gehauchten Einsatz fließt der Atemstrom schon, während sich die Stimmlippen einander nähern. Diese beginnen allmählich zu schwingen, nur geht ihnen bereits Luft voraus. Vor dem eigentlichen Stimmklang ist ein reibeartiges ‚H‘ zu hören (vgl. Seidner, 2007, S. 106). Wenn sich die Stimmlippen fest aneinanderle- gen, sprechen wir vom Glottisschlageinsatz. Sie werden auseinandergetrieben durch den Luftstau unterhalb der Stimmritze (Glottis) und beginnen dann zu schwingen. Hierbei wird der stimmhygienische feste Einsatz mit weichem Glottisschlag vom stimmschädigenden harten Einsatz mit hartem Glottisschlag unterschieden (vgl. ebd.). Die physiologische Va- riante „entsteht durch eine nur leichte Anspannung der Stimmlippen in Phonationsstellung, sodass ein geringer subglottischer Druckanstieg nötig ist, um den Verschluss mit einem leisen Knacklaut zu lösen“ (ebd., S. 107). Dieser Einsatz wird bei Worten mit vokalischem Anlaut gebraucht. Physiologisch gesehen am besten ist der weiche Stimmeinsatz, bei wel- chem die Stimmlippen bei Phonationsbeginn leicht aneinander liegen. Dabei ist nur ein schmaler Spalt in Form einer Ellipse vorhanden. Die Stimmlippenschwingungen sind gleichmäßig und es wird keine Luft verschwendet im Gegensatz zum gehauchten Einsatz. Außerdem erfolgt kein Kraftverlust wie beim harten Einsatz (vgl. Nawka & Wirth, 2008, S. 79f.). Als Letztes ist noch der gepresste Einsatz anzuführen, welcher in semitischen Sprachen vorkommt und dort auch in der Schrift besonders gekennzeichnet ist. Hierbei klingt die Stimme rau und knarrend, die Stimmlippen werden aneinandergepresst und der Kehlkopf wird gehoben, dabei ist der Atemdruck erhöht. Diese Variante des Stimmeinsatzes ist nicht als physiologisch zu sehen, optimal sind weiche Stimmeinsätze sowie feste mit weichem Glottisschlag (vgl. ebd., S. 80).

Im Unterschied zum Stimmeinsatz wird der Stimmansatz in den Ansatzräumen gebildet und nicht im Kehlkopf. Er wird mit der Fähigkeit assoziiert, den optimalen Stimmklang schnell und unabhängig von Tonhöhe oder Register zu finden (vgl. Seidner, 2007, S. 107). Durch das Tonvorstellungsvermögen vor der Tongebung erfolgt nach Nawka & Wirth (2008) der richtige Stimmansatz (vgl., S. 110).

Eine Herausforderung stellt oft der Vokalausgleich dar. Dabei geht es darum, wenn auf gleicher Tonhöhe von einem hellen Vokal wie e oder i zu einem dunklen Vokal (o, u) ge- wechselt wird, dass der Klang nicht abbricht und eine Verbindung zwischen beiden Voka- len hergestellt wird (vgl. ebd., S. 113). Optisch sollte es sich dabei um eine schmale und ovale Mundeinstellung handeln, die bei jedem Vokal auftritt, sodass Kehlstellung und Re- gistermischung immer gleich sind. Falsch wäre es, jedem eine andere Mundform zu geben, was dementsprechend unterschiedliche Kehlstellungen und Registermischungen hervorbringen würde (vgl. Kasper, 2005, S. 55).

Ausbildungsbedingungen

Dass die Ausbildungsbedingungen angehender Lehramtsstudenten, bezüglich Angeboten der Sprecherziehung oder Stimmbildung, nicht besonders gut sind, wagt kaum einer zu bestreiten. „Die in der DDR seit 1974 gesetzlich vorgeschriebene Stimmtauglichkeitsunter- suchung wurde ersatzlos gestrichen“ (Lemke, 2012, S. 102). In der DDR gewährte diese Untersuchung zumindest, dass Studienbewerber vor dem Studium therapiert und beraten wurden, wenn Auffälligkeiten der Stimme vorlagen. Sie wurden zusätzlich sensibilisiert und erkannten den Wert der Stimme als ihr zukünftiges Handwerkszeug für das Berufsle- ben (vgl. ebd.).

Wenn Studenten ihre Stimmtauglichkeit für einen Sprechberuf überprüfen möchten, gilt es eine möglichst umfassende Beschreibung der jeweiligen Stimmleistung zu erreichen, die mithilfe von den hier aufgeführten Aspekten vonstattengehen kann (vgl. Nawka, 2012, S. 40).

Ein Bestandteil der Tauglichkeitsuntersuchung ist die auditiv-perzeptive Stimmbeurtei- lung, die Wahrnehmung der Stimme durch die Umgebung. Hier wird mithilfe eines Dia- gramms der Grad der Heiserkeit (keine, geringgradige, mittelgradige oder hochgradige) bestimmt. Als wesentliche Konstituenten davon sind Rauigkeit und Behauchtheit der Stimme anzusehen (vgl. ebd., S. 40f.). Der stimmbildende Apparat muss funktionieren. „Als Voraussetzung für einen Stimmberuf muss der laryngoskopische5 Befund eine norma- le Atembeweglichkeit der Stimmlippen und eine normale anatomische Struktur aufweisen“ (ebd., S. 43).

Des Weiteren ist auch der Stimmumfang eines Sprechers ein wesentlicher Aspekt. Mithilfe eines Stimmumfangsprofils werden alle singbaren Töne und die möglichen Variationen an Lautstärke dargestellt. Die Fläche, welche sich dann im Diagramm ergibt, wird Stimmfeld genannt. Für Lehrer, die nicht das Fach Musik unterrichten, ist das Sprechstimmprofil ent- scheidender. Dieses zeigt, in welcher Lautstärke gesprochen wird. Dabei müssen Zahlen- reihen in vier Stimmintensitäten (leise, Gesprächslautstärke, Vortragslautstärke und Ruf- stimme) vorgetragen werden. Nur wenn ein Lehrer bei der Rufstimme 90 dB oder mehr erreicht, ist er für seinen Beruf qualifiziert. So ist erkennbar, dass über eine Stimmreserve verfügt wird und eine Steigerungsfähigkeit der Stimme möglich ist (vgl. ebd., S. 44f.). Auch wird in einer Stimmtauglichkeitsuntersuchung gemessen, wie lange es der Person möglich ist, einen Ton auszuhalten. Umso mehr Luft bei der Stimmgebung verloren geht, umso kürzer kann der Ton ausgehalten werden. Dieser Aspekt der Untersuchung wird als Bestimmung der Aerodynamik während der Phonation bezeichnet (vgl. ebd., S. 47). Als Letztes ist die Selbstwahrnehmung entscheidend. Sobald ein Patient sich durch Ein- flüsse seiner Umgebung oder aufgrund eigener Erfahrung an einen Arzt wendet und schil- dert, dass er sich in seiner Stimmfunktion eingeschränkt fühlt, sollte dessen Einschätzung ernst genommen werden (vgl. ebd.).

An der Universität Rostock gibt es keine Stimmtauglichkeitsuntersuchungen. Im Laufe des Studiums muss ein Sprecherziehungskurs von zwei Semesterwochenstunden absolviert werden, was zudem bei den modularisierten Lehramtsstudiengängen (Lehrerprüfungsverordnung von 2012) gar nicht mehr obligatorisch ist.

Nicht nur die Bedingungen in Rostock sind unzureichend. Von allen Bundesländern Deutschlands finden sich in sieben keine obligatorischen Angebote für Sprecherziehungs- unterricht, in zwei Bundesländern gibt es lediglich für Studierende des Lehramts Deutsch Angebote und in drei Bundesländern existiert ein obligatorisches Angebot von einer Se- mesterwochenstunde für das gesamte Studium (vgl. Lemke, 2012, S. 102). In Baden-Württemberg ist ein Student zur ersten Staatsprüfung zugelassen, wenn er eine Veranstaltung in Sprecherziehung belegt hat. Zu Zielen, Inhalten und dem Umfang des Kurses finden sich keine weiteren Angaben in den Prüfungsordnungen der Lehrämter für Grund- und Hauptschule, Realschule und Sonderschule. In der Prüfungsordnung für Gym- nasiallehrer fehlt dieser Punkt gänzlich. Sprecherziehungsunterricht ist für diese Studenten nicht verpflichtend (vgl. Wagner, 2012, S. 105). Doch gibt es eine Ausnahme. Studenten, welche Deutsch als vertieftes Fach studieren, können im Hauptstudium bis zu vier Semes- terwochenstunden zur Verbesserung ihrer sprecherischen Kompetenzen nutzen (vgl. ebd., S. 116).

Veränderungen bei den genannten Zahlen sind durchaus möglich, da viele Lehramtsstudi- engänge infolge des Bologna-Prozesses auf die Form Bachelor und Master ausgerichtet wurden, bzw. werden. Doch wenn überdacht wird, dass in einem ganzen Lehramtsstudium nur circa 14 mal 90 Minuten Sprecherziehungsunterricht, oder weitaus weniger, erteilt wird, ist es kaum verwunderlich, dass vermehrt Stimmprobleme bei Lehrern oder auch Studenten auftreten. Der physiologische Umgang mit der Stimme wurde nie gelehrt.

Initiative „Sprecherziehung im Lehramt“

Unter der Leitung von Siegrun Lemke wurde 2003 das „Projekt Lehrerstimme“ an der Universität Leipzig gestartet. Dort findet bereits seit Jahren eine enge Zusammenarbeit zwischen Phoniatrie und Sprechwissenschaft statt. Das Projekt wird von Berufsverbänden und wissenschaftlichen Verbänden unterstützt. Zwei konkrete Ziele sind damit verbunden: Es soll eine obligatorische Ausbildung in Sprecherziehung für alle Lehramtsstudenten in Deutschland zu mindestens zwei Semesterwochenstunden stattfinden sowie eine Überprü- fung der stimmlichen Eignung für den Lehrerberuf am Anfang des Studiums (vgl. Lemke, 2012, S. 104).

Das „Projekt Lehrerstimme“ gliedert sich dabei in drei Teilstudien, wobei die erste stimm- liche Auffälligkeiten von Lehramtsstudierenden erfasst hat, welche sich keiner phoniatri- schen Tauglichkeitsuntersuchung stellen mussten. In der zweiten Teilstudie wurde der An- teil von Lehramtsstudierenden ermittelt, welche trotz bescheinigter Tauglichkeit stimmlich als behandlungsbedürftig anzusehen sind und die dritte Teilstudie untersucht und befragt Lehrer von verschiedenen Schulstufen mit und ohne Stimmstörungen (vgl. ebd.).

Unter der Fragestellung: „Wie hoch ist der Anteil stimmlich und sprecherisch auffälliger Lehramtsstudierender?“ (ebd.) wurden Untersuchungen nach einem Beobachtungsbogen zur ersten Teilstudie angestellt. Unter Auffälligkeiten der Stimme sind hier nur Aspekte zu verstehen, welche die Berufsausübung eines Lehrers beeinträchtigen. Die Untersuchungs- schwerpunkte beliefen sich auf Respiration (Atmung), Phonation (Stimme) und Artikulati- on (Aussprache). Insgesamt bezog sich die Untersuchung auf 6.658 Studenten, von denen 5.357 Lehramtsstudierende verschiedener Schul- und Fachrichtungen waren. Die Studie nahm Bezug auf zehn Bundesländer Deutschlands. Hinsichtlich des Funktionskreises At- mung gab es bei 23,9 % der Probanden Auffälligkeiten; Ergebnisse sind dabei nur auf Lehramtsstudenten bezogen. In Bezug auf die Stimme waren es fast 40 % mit Beeinträch- tigung. Der Untersuchungsschwerpunkt Artikulation erfasste ebenfalls nahezu 40 % an Unzulänglichkeiten. Erschreckende Ergebnisse, die zeigen, dass für etwa ein Viertel der Studenten die angebotenen Lehrveranstaltungen nicht ausreichen. Es erfolgte daraufhin eine Zusatzbetreuung an der jeweiligen Hochschule bzw. Universität, die nur durch außer- ordentliches Engagement der Lehrenden möglich war. Bei rund 15 % der Probanden be- stand aufgrund von Stimmstörungen dringender Therapiebedarf. Erhebliche Defizite wur- den mithilfe der Studie auch in den Bereichen Vorlesen und freie Rede ermittelt. Etwa 9 % der Studenten fielen beispielsweise durch monotones Sprechen auf und bei 5,5 % konnte der zu lesende Text nicht sinngerecht wiedergegeben werden (vgl. ebd., S. 104ff.). Die zweite Teilstudie beschäftigte sich nun mit der Frage, ob eine vorangegangene Taug- lichkeitsüberprüfung der Stimme den Anteil auffälliger Studenten herabgesetzt hätte. Die Datenerhebung wurde nach dem gleichen Prinzip, wie in der ersten Teilstudie, betrieben. Es fanden dazu 3.380 Befragungen von Lehramtsstudierenden statt. Die Ergebnisse in den Funktionskreisen Atmung und Stimme waren etwas besser, aber es bestand kein auffälliger Unterschied. Allerdings gab es bei Studenten mit Tauglichkeitsüberprüfung kaum Thera- piebedarf im Studium, weshalb solche Untersuchungen notwendig sind. Ernsthafte Stim- merkrankungen können so erkannt und therapiert werden. Eine Untersuchung ersetzt eine sprecherzieherische Ausbildung keinesfalls. Regeln und Übungen zur Stimmhygiene müs- sen für einen Sprechberuf nichtsdestotrotz erlernt werden (vgl. ebd., S. 107f.). Die dritte Teilstudie befasst sich mit berufsbedingten Stimmstörungen im Lehrerberuf und wird noch in Form einer Fall-Kontroll-Studie umgesetzt. Das bedeutet, eine Gruppe von Patienten mit Stimmstörungen, wird mit einer Gruppe von stimmgesunden Probanden ver- glichen. Zwei der zu untersuchenden Hypothesen lauteten: Lehrer, die Sprecherziehungs- unterricht erhielten, sind weniger gefährdet für Stimmstörungen als diejenigen ohne Unter- richt. Lehrer, denen Stimmtauglichkeit bescheinigt wurde, sind weniger anfällig für Stimmstörungen als Lehrer ohne Tauglichkeitsgutachten. Bisher wurden 95 Personen un- tersucht (Stand: September 2011), sodass noch keine konkreten Aussagen gemacht werden können. Allerdings konnte schon abgeleitet werden, dass bei fehlender Sprecherziehung im Studium das Risiko eine funktionelle Stimmstörung zu erhalten, ungefähr dreimal so hoch ist, wie bei Probanden mit Sprecherziehungsunterricht (vgl. ebd., S. 108f.). Im Mai 2005 wurde dann u. a. durch Siegrun Lemke die Initiative „Sprecherziehung im Lehramt“ gegründet. Koordiniert wird das Ganze durch den Mitteldeutschen Verband für Sprechwissenschaft und Sprecherziehung e. V. (kurz MDVS). Da Lehramtsstudierende nicht zukunftsorientiert auf ihren stimmintensiven Beruf vorbereitet werden, entwickelte die Initiative Grundlagendokumente, um Kosten- und Entscheidungsträger von ihren An- sichten zu überzeugen (vgl. ebd., S. 110).

Zu den formulierten Zielen gehört die Forderung nach einer mindestens drei Semesterwo- chenstunden dauernden sprecherzieherischen Ausbildung für alle Lehramtsanwärter, die in Gruppen bis maximal 15 Personen erfolgen soll.

[...]


1 Aus Gründen der Vereinfachung wird das generische Maskulinum verwendet. Dieses bezieht sich ausdrücklich auf beide Geschlechter.

2 Fiederung meint die Anordnung der Muskelfasern eines Muskels in Bezug auf seine Sehne. Von gefiederten Muskeln wird gesprochen, wenn die Muskelfasern nicht parallel zu ihrer Ansatzsehne verlaufen, sondern schräg dazu (vgl. Morgado-Schwarz, Rosalinda: Skelettmuskulatur. Online verfügbar unter: http://www.rms- gs.de/repetitorium/index-Dateien/anatomie/a273.htm. Zugriff am 14.01.2015).

3 Die hoch bzw. tief gestellten Zahlen dienen zur Veranschaulichung, in welcher Oktave sich die Töne befin- den (siehe dazu Abb. 2). Die tiefste Oktave auf dem Klavier beginnt mit A2 (Subkontra-Oktave). Mit aufstei- gender Tonhöhe werden die Zahlen kleiner (A2, H2, C1). Nach der tief gestellten 1 kommt nur der groß ge- schriebene Buchstabe (große Oktave) und danach geht es mit klein geschriebenen Buchstaben (kleine Okta- ve) weiter. Darauf folgen hoch gestellte Zahlen in aufsteigender Reihenfolge (c1, c2, c3 usw.) auf der Tastatur bis c5, welche als fünfgestrichene Oktave bezeichnet wird (vgl. Ziegenrücker, 2009, S. 34f.).

4 Abstand zwischen zwei Tönen, die gleichzeitig oder nacheinander erklingen.

5 Das Laryngoskop ist ein Gerät zur genauen Betrachtung des Kehlkopfes.

Ende der Leseprobe aus 94 Seiten

Details

Titel
Die gesunde Stimme im Lehrerberuf. Vorschläge zur Stimmprophylaxe und Auswirkungen von Stimmstörungen
Hochschule
Universität Rostock
Note
1,8
Autor
Jahr
2015
Seiten
94
Katalognummer
V374284
ISBN (eBook)
9783668515765
ISBN (Buch)
9783668515772
Dateigröße
2132 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
stimme, lehrerberuf, vorschläge, stimmprophylaxe, auswirkungen, stimmstörungen
Arbeit zitieren
T. W. (Autor:in), 2015, Die gesunde Stimme im Lehrerberuf. Vorschläge zur Stimmprophylaxe und Auswirkungen von Stimmstörungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/374284

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