Chile, sociedad y cultura. Zum didaktischen Potential des abiturrelevanten Themenfeldes im Spanischunterricht


Masterarbeit, 2016

81 Seiten, Note: 2,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung

1. Einführung in das Themenfeld Chile, sociedad y cultura
1.1 Chile: Eine Annäherung an das Land
1.2 Die politische Situation seit den 1970er Jahren
1.2.1 Die Regierungszeit Salvador Allendes (1970-1973)
1.2.2 Militärdiktatur unter Pinochet (1973-1990)
1.3 Chile heute - 40 Jahre nach dem Putsch

2. Das didaktische Potential des Themenfeldes Chile, sociedad y cultura für den Spanischunterricht
2.1 Warum Chile? Begründung des Themenfeldes Chile, sociedad y cultura
2.2 Das Thema Chile, sociedad y cultura in den bildungsplanerischen Vorgaben des Landes NRW für das Fach Spanisch
2.3 Kompetenzförderung durch das Themenfeld Chile, sociedad y cultura
2.3.1 Förderung funktionaler kommunikativer Kompetenzen
2.3.2 Förderung interkultureller kommunikativer Kompetenzen

3. Methodische Hinweise zum Umgang mit dem Themenfeld Chile, sociedad y cultura
3.1 Didaktisches Potential unterschiedlicher Medien zum Thema Chile,
sociedad y cultura
3.1.1 Schrifttexte
3.1.2 Visuelle, auditive und audiovisuelle Medien
3.1.3 Digitale Medien
3.2 Didaktisches Potential spanischer Lehrwerken zum Thema Chile, sociedad y cultura
3.2.1 Das Lehrwerk „Bachillerato“ von Klett

4. Das Themenfeld Chile, sociedad y cultura im Spanischunterricht am Beispiel eines chilenischen Films
4.1 Vorstellung des Films Machuca
4.2 Warum Machuca? - Zur Frage der unterrichtlichen Eignung des Films
4.3 Didaktisch-Methodische Überlegungen zum Umgang mit dem Film Machuca

5. Schlussbetrachtung

6. Literaturverzeichnis
6.1 Literatur
6.2 Internetquellen

7. Anhang

0. Einleitung

Chile oder: El último rincón del mundo - so bezeichnen die Aymara-Indianer das lateinamerikanische Land in ihrer Sprache. Keine ganz unpassende Bezeichnung, die auf das Kap Horn zurückgeht, dem südlichsten Zipfel Chiles und heute noch als Ende der bewohnten Welt bezeichnet wird.

Denkt man an Chile, fällt einem ein Land voller Gegensätze ein. An der Westküste Südamerikas gelegen, besticht das Land durch seine markante, langgezogene, aber gleichzeitig sehr schmale Ausdehnung. Entsprechend hat Chile landschaftlich alles zu bieten, denn es vereint eine große Vielfalt an Klima- und Landschaftszonen. Ebenso vielseitig gestaltet sich die chilenische Gesellschaft, die sich zum Großteil aus Mestizen mit europäischen, aufgrund der kolonialen Vergangenheit überwiegend aus Spanien stammenden Vorfahren, sowie der indigenen Bevölkerung zusammensetzt. Entsprechend geprägt ist das gesellschaftliche Leben mit seinen Traditionen und seiner Kultur. Dies zeigt sich vor allem im Großraum der Hauptstadt Santiago de Chile - das pulsierende politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum des Landes. Wirtschaftlich gesehen gehört Chile aufgrund seines anhaltenden Wirtschaftswachstums und seiner aktuellen politischen Stabilität zu den führenden Nationen Lateinamerikas. Aus politischer Sicht hat das Andenland in den letzten Jahrzehnten wiederholt für Aufmerksamkeit in der Welt gesorgt: Durch den „Weg zum Sozialismus“ unter Allende, den Militärputsch von 1973 und die in der Folgezeit installierte Diktatur unter Pinochet bis 1990, die erstmalige Wahl einer Frau in das höchste Amt eines Landes und durch den Tod des ehemaligen Diktators im Jahre 2006 (vgl. LIPortal, 27.10.2016).

Diese Arbeit widmet sich dem Land Chile - im Konkreten dem Themenfeld Chile, sociedad y cultura - welches im Jahre 2017 erstmals obligatorisch ist für die schriftlichen Abiturprüfungen des Faches Spanisch. Primäres Ziel ist es, den Stellenwert und Nutzen dieses Themenfeldes für den Spanischunterricht der Sekundarstufe II hervorzuheben.

Der Theorieteil beginnt mit einer Einführung in den thematischen Gegenstand dieser Arbeit: das Land Chile. Allgemeine Informationen sowie ein Überblick über die historische Entwicklung sollen grundlegende Kenntnisse über das Land vermitteln und somit ein für den weiteren Verlauf der Arbeit wichtiges Basiswissen schaffen.

Anschließend erfolgt die Erarbeitung des didaktischen Potentials dieses Themenfeldes für den Spanischunterricht, durch die sich interessante Fragestellungen ergeben. Es soll geklärt werden, warum das Thema Chile allgemein für den Spanischunterricht relevant ist. Weiterhin gilt es zu ergründen, wieso der Fokus gerade auf Chile und nicht auf ein anderes, lateinamerikanisches Land gelegt werden sollte und wie dies durch die bildungsplanerischen Vorgaben des Landes NRW begründet wird. Darauffolgend soll untersucht werden, welche Kompetenzen durch das Themenfeld gefördert werden können. Der Fokus liegt hier auf den beiden übergeordneten Kompetenzen „Funktionale kommunikative Kompetenz“ und „Interkulturelle kommunikative Kompetenz“.

Das dritte Kapitel befasst sich anschließend mit methodischen Aspekten zum Themenfeld Chile, sociedad y cultura. Hierbei sollen unterschiedliche Medien - unterteilt in „Schrifttexte“, „Visuelle, auditive und audiovisuelle Medien“ und „Digitale Medien“ - und ihr Potential für die Bearbeitung der Thematik Chile herausgestellt und diverse Beispiele genannt werden. Auch der Umgang eines ausgewählten spanischen Lehrwerks mit dem neuen Themenfeld soll vergleichend dargestellt und bewertet werden.

Im folgenden, praxisorientierten Teil der Arbeit werden schließlich didaktisch­methodische Überlegungen zum Umgang mit dem Themenfeld Chile, sociedad y cultura angestellt. Der Fokus liegt dabei auf dem chilenischen Film Machuca aus dem Jahre 2004, der die Freundschaft zweier Jungs unterschiedlichster Herkunft zur Zeit des Militärputsches in Chile behandelt. Dazu erfolgt zunächst eine Heranführung an den Film in Form einer inhaltlichen Vorstellung, sowie einem Kommentar zur unterrichtlichen Eignung dieses Films im Kontext des übergeordneten Themenfeldes. Anschließend werden konkrete Aufgabenvorschläge erarbeitet, die die curricularen Vorgaben zur Kompetenzförderung im Fach Spanisch berücksichtigen und entsprechend in Aufgaben zur Förderung der funktionalen kommunikativen und der interkulturellen kommunikativen Kompetenz unterteilt werden.

Abschließend soll ein Fazit der gesamtem Arbeit die wesentlichen Ergebnisse und ihre Konsequenzen zusammenfassen und bewerten. Literaturgrundlage bildet eine breit gefächerte, aktuelle Fachliteratur, die ergänzt wird durch bildungspolitische Vorgaben und Richtlinien des Landes Nordrhein-Westfalen, sowie die Kernlehrpläne des Faches Spanisch für Gymnasien und Gesamtschulen. Da das Themenfeld Chile, sociedad y cultura allerdings den Vorgaben für das Zentralabitur 2017 in Nordrhein-Westfalen entspricht und somit relevant wird für Schülerinnen und Schüler[1] der gymnasialen Oberstufe, liegt die Konzentration im Speziellen auf dem Kernlehrplan für die Sekundarstufe II.

1. Einführung in das Themenfeld Chile, sociedad y cultura

1.1 Chile: Eine thematische Annäherung an das Land

Chile - offiziell República de Chile - liegt an der Westküste Südamerikas und grenzt im Norden und Osten an die Nachbarländer Peru, Bolivien und Argentinien, sowie im Westen und Süden an den Pazifischen Ozean. Zum Territorium des Landes zählen zudem einige Inseln, u.a. die Osterinseln, sowie Teile der Antarktis (vgl. Länder-Lexikon, 18.11.2016).

Das Land zeichnet sich durch seine markante Form aus: Mit einer Durchschnittsbreite von nur knapp 180 Kilometern ist Chile nicht sehr breit, mit knapp 4500 km jedoch sehr lang. Dieser enormen Nord-Süd-Ausdehnung verdankt Chile ein vielseitiges Landschaftsbild - aufgeteilt in Nord-, Zentral- und Südchile -, welches gezeichnet ist durch Regenwälder, Wüstenflächen und Eisbergen sowie durch Vulkane und dem Bergmassiv der Anden. Entsprechend der geographischen Struktur lassen sich ebenso vielseitige Klimazonen beobachten: Der Norden ist gekennzeichnet durch ein tropisch-subtropisches Klima und gilt als eine der niederschlagsärmsten Regionen der Welt. Je weiter südlich man sich innerhalb Chiles befindet, desto kälter und regenreicher werden die Regionen, bis hin zu einem subarktischen Klima ganz im Süden (vgl. Länder-Lexikon, 18.11.2016). Daher wird Chile auch als „Land der Gegensätze“ bezeichnet (vgl. LIPortal, 27.10.2016).

Im Jahre 2016 bemisst sich die Bevölkerungszahl Chiles auf circa 18 Millionen Einwohner (Stand September 2016 des Auswärtigen Amtes), die sich aufgrund klimatischer und geographischer Gegebenheiten besonders auf Zentralchile konzentriert. Weiße und Mestizen, die vor allem auf spanische Vorfahren aufgrund der Kolonisation zurückblicken, machen den größten Anteil der Bevölkerung aus, nur noch wenige Prozent gehören zu den ursprünglich einheimischen, indigenen Bevölkerungsgruppen wie die Mapuche oder die Aymara (vgl. Auswärtiges Amt, 27.10.2016; vgl. LIPortal, 27.10.2016). Hauptstadt des Landes ist Santiago de Chile und gleichzeitig das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum. Dies lässt sich damit erklären, dass im Großraum Santiago fast die Hälfte der chilenischen Bevölkerung lebt (vgl. LIPortal, 27.10.2016).

Aktuelles Staatsoberhaupt der demokratischen Präsidialrepublik ist Michelle Bachelet Jeria, die bereits von 2006 bis 2010 das höchste Amt des Landes bekleidete und somit die erste Frau an der Regierungsspitze (vgl. Gobierno de Chile, 21.11.2016).

Aus Sicht der Wirtschaft kann Chile als Vorzeige- bzw. Modellstaat Südamerikas bezeichnet werden aufgrund seines stabilen Wirtschaftswachstums und seines starken Außenhandels, der vor allem auf die reichhaltigen Rohstoffvorkommen wie Kupfer zurückzuführen ist. Weitere wichtige Wirtschaftszweige sind zudem die Land- und Fischwirtschaft (vgl. Auswärtiges Amt, 27.10.2016).

Auch in kultureller Hinsicht hat Chile einiges zu bieten: Die Gesellschaft „zeichnet sich durch eine ausgeglichene Mischung aus Traditionen und Moderne aus“ (Botschaft der Republik Chile, 14.11.2016) und pflegt diese gleichermaßen. So erlebt Chile derzeit auch eine „Etappe großer kultureller Aktivität“ (Botschaft der Republik Chile, 14.11.2016). Die bekanntesten Persönlichkeiten, die einem bei dem Gedanken an Chile in den Sinn kommen, sind sicherlich die beiden Literaturnobelpreisträger Gabriela Mistral und Pablo Neruda. Doch auch andere Autoren und Schriftsteller, sowie Künstler anderer Bereiche wie Musik oder Film (Bsp: !No! von Pablo Larraín) erreichen internationales Ansehen und Erfolge (vgl. LIPortal, 27.10.2016).

Das Land ist jedoch auch gezeichnet von einer einschneidenden Phase im 20. Jahrhundert, die bis heute die chilenische Gesellschaft prägt: Vor über 40 Jahren putschte das chilenische Militär gegen den amtierenden Präsidenten Salvador Allende, welcher das Land demokratischer machen wollte, jedoch auf großen Widerstand stieß und eine Welle von Demonstrationen und Protesten auslöste. Die anschließend errichtete Diktatur unter Augusto Pinochet sollte eine der systematischsten und brutalsten Diktaturen Lateinamerikas werden, g e p rä g t v o n p o l i ti s c h e n V e rf o l g u n g e n u n d m a s s i v e n Menschenrechtsverletzungen (vgl. Straßner 2007, 10.11.2016).

1.2 Die politische Situation seit den 1970er Jahren

1.2.1 Die Regierungszeit Salvador Allendes (1970-1973)

Seit der Weltwirtschaftskrise 1929 hatte Chile sich durch eine politische Stabilität ausgezeichnet, die jedoch Ende der sechziger Jahre durch soziale Unruhen und höhere Gewaltbereitschaft aufgrund der unbefriedigenden sozialen Situation vieler Chilenen ins Wanken geriet. Infolgedessen kam es vor dem Wahlsieg Allendes bereits zu einer Spaltung der Gesellschaft (vgl. Rinke/Schulze 2012: 510; vgl. Ruderer 2010: 48).

Salvador Allende, Kandidat des linken Parteienbündnisses Unidad Popular, wurde 1970 schließlich Präsident - der erste demokratisch Gewählte in Chile (vgl. LIPortal, 27.10.2016) - und erregte damit die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit. Allendes Regierung wollte durch Reformen Chiles Weg zum Sozialismus ebnen (vgl. Grünewald 2009b: 26). Dieses „Experiment [...] galt für viele als hoffnungsvoller neuer Weg innerhalb der Blockkonfrontation des Kalten Kriegs“ (Ruderer 2013: 1).

Unter anderem sollten wichtige Industriezweige verstaatlicht werden, die Umverteilung von Reichtum erfolgen, sowie eine Sozialpolitik zugunsten der benachteiligten Bevölkerungsgruppen geführt werden, indem man unter anderem jedem Chilenen den Zugang zum Bildungs- und Gesundheitswesen ermöglichte (vgl. LIPortal, 27.10.2016).

Konnte die Unidad Popular zunächst einige schnelle Erfolge mit ihrer Reformpolitik verbuchen, häuften sich durch diese ebenso schnell die innen- und außenpolitische Probleme. So zog die Regierung Allende vor allem den Unmut der USA auf sich, denn die vorgenommene Verstaatlichung der Kupferindustrie betraf in der Mehrheit US-amerikanische Unternehmen. Zudem hatte die USA schon zuvor den demokratischen Sozialismus in Form von Allende zu verhindern versucht (vgl. Ruderer 2013: 1f.).

Oppositionelle Kräfte, zu denen v.a. die konservativen Eliten, Großunternehmer und das Militär gehörten, versuchten schließlich auch mit Hilfe der USA gegen die Regierung Allende vorzugehen (vgl. Ruderer 2010: 48). Die Gesellschaft spaltete sich in der Folge weiter in zwei politische Lager auf - Gegner und Anhänger Allendes -, die sich auch in den unterschiedlichen

Gesellschaftsschichten widerspiegelten (vgl. Rinke/Schulze 2012: 510). Diese Radikalisierung zeigte sich immer häufiger durch Demonstrationen und Streiks, dessen Akteure nicht mehr vor gewaltsamen Auseinandersetzungen zurückschreckten (vgl. LIPortal, 27.10.2016). 1973 wurde immer deutlicher, dass das „sozialistische Experiment“ Allendes zum Scheitern verurteilt war und Chile kurz vor Ausbruch eines Bürgerkrieges stand (vgl. Imbusch [et al.] 2004: 12; vgl. Grünewald 2009b: 27). Am Morgen des 11. September 1973 kam es schließlich zum Militärputsch unter ihrem Befehlshaber Augusto Pinochet und setzte die amtierende Regierung ab (vgl. Grünewald 2009b: 27).

1.2.2 Militärdiktatur unter Pinochet (1973-1989)

Der 11. September 1973 hatte Chile letztendlich in eine der längsten und gewalttätigsten Diktaturen der jüngeren Geschichte des lateinamerikanischen Kontinents geführt (vgl. Imbusch [et al.] 2004: 12). Dennoch vermochte es „keine andere Diktatur und ihre Führungsmannschaft [...], ihr Land auf eine so weitreichende und tiefgreifende Weise unter hohen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Kosten zu transformieren [und zu modernisieren]“ (Imbusch [et al.] 2004: 12f.).

Pinochets Diktaturpolitik basierte einerseits auf einer brutalen, menschenverachtenden Repressionspolitik, andererseits aber auch auf einer neoliberalen Wirtschafts- und Sozialpolitik (vgl. Ruderer 2010: 49).

Die von den Chicago Boys[2] ins Leben gerufenen wirtschaftsliberalen Reformen, stabilisierten zwar die Wirtschaft, hatten jedoch verheerende soziale Folgen. Während lediglich der kleine Teil der chilenischen Oberschicht vom wirtschaftlichen Kurs Pinochets profitieren konnte, mussten die sozial schwachen Bevölkerungsgruppen materielle, rechtliche und soziale Einbußen hinnehmen (vgl. Grünewald 2009b: 27). Die soziale Ungleichheit zwischen Arm und Reich war zu dieser Zeit so groß wie nie (vgl. Ruderer 2010: 49).

Die Repressionspolitik äußerte sich in ihrer Hauptphase bis 1979 in politischen Verfolgungen, Folter, „Verschwindenlassen“, Mord und enormen Menschenrechtsverletzungen. Anschläge auf Oppositionelle wurden verübt, Fußballstadien zu Konzentrationslagern umgebaut und geheime Haft- und Folterzentren errichtet (vgl. Ruderer 2010: 50). Hunderttausende Chilenen begaben sich ins ausländische Exil (vgl. Grünewald 2009b: 27). Genaue Zahlen lassen sich nicht nennen, denn Historiker schätzen die von der chilenischen Wahrheitskommission[3] ermittelten Werte als zu niedrig ein (vgl. Ruderer 2013: 3). Erst Anfang der achtziger Jahre reagierte Pinochet mit der Verabschiedung einer neuen Verfassung auf den Druck des Auslandes und der katholischen Kirche und schränkte seine Politik der Unterdrückung ein, wenngleich es weiterhin zu menschenrechtsverletzenden Aktionen gegen die Bevölkerung kam (vgl. Ruderer 2010: 51f.). In erster Linie sollte diese neue, autoritäre Verfassung die Militärherrschaft legitimieren und sprach Pinochet als Machthaber umfassende Handlungskompetenzen zu (vgl. Ruderer 2013: 4). Eines konnte Pinochet allerdings nie erreichen: Die Opposition gänzlich zum Schweigen bringen. Wirtschaftliche Krisenzeiten in Kombination mit großen sozialen Spannungen boten ihr einen Nährboden für Kritik und die Organisation von Demonstrations- und Protestbewegungen (vgl. LIPortal, 27.10.2016). 1988 gelang es den Oppositionellen durch ein Plebiszit[4], Pinochets Macht einzuschränken und diesen bei Neuwahlen im Folgejahr schließlich durch das Parteienbündnis der Concertación unter dem Christdemokraten Patricio Aylwin zu ersetzen (vgl. Grünewald 2009b: 28). Dieses Parteienbündnis bewerkstelligte in der Folgezeit eine friedliche Transición Chiles hin zur Demokratie (vgl. Imbusch [et al.] 2004: 13), ein mühevoller Prozess der drei wesentliche Aufgaben implizierte: 1. Festigung der demokratischen Stabilität, 2. Erarbeitung von Wirtschafts- und Sozialreformen für Wachstum und soziale Gerechtigkeit, und 3. Die gerichtliche Behandlung und Ahndung der Menschenrechtsverletzungen (vgl. Lechner/Güell 2004: 298; vgl. Rinke/Schulze 2012: 511).

Pinochet selbst hatte sich durch ein Gesetz abgesichert, sodass eine Verurteilung zunächst nicht möglich war. Er blieb sogar noch für einige Jahre als Oberkommandeur des Heeres auf der öffentlichen Bühne (vgl. Grünewald 2009b: 28). Erst 1998 gelang seine Festnahme in London, sodass in der Folgezeit eine Anklage gegen die Menschenrechtsverletzungen durch sein Regime erhoben wurde (vgl. Huneeus 2004: 227). Aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes konnte das Verfahren jedoch nicht beendet werden. 2006 verstarb Pinochets, ohne je zur Rechenschaft gezogen worden zu sein (vgl. Grünewald 2009b: 28).

1.3 Chile heute - 40 Jahre nach dem Putsch

Heute ist das Land eine Präsidialrepublik unter der Führung von Präsidentin Michelle Bachelet von der Sozialistischen Partei, „das erste demokratisch gewählte Staatsoberhaupt Chiles, das einen erneuten Einzug in das Präsidialamt geschafft hat“ (Auswärtiges Amt, 27.10.2016).

Bachelet, selbst Folteropfer des Militärregimes (vgl. Ruderer 2013: 10), sieht sich auch 40 Jahre nach der Diktatur noch vor großen Aufgaben, denn das politische Erbe ist allgegenwärtig - die aktuelle Verfassung stammt immer noch aus Zeiten der Militärdiktatur. Aktuell gibt es Anstrengungen, diese durch eine neue Verfassung abzulösen (vgl. Auswärtiges Amt, 27.10.2016).

Auch weite Teile der chilenischen Bevölkerung stellen das neoliberale System aus der Pinochet-Zeit inzwischen infrage. Vorreiter war und ist hier die Studentenbewegung mit ihren Protesten gegen das Bildungssystem, denn Chancengleichheit und eine allumfassende soziale Mobilität fehlen im heutigen Chile noch (vgl. Kenner 2013: 27). Neben die Forderungen der Studenten treten zudem die der Mapuche zur Rückgabe angestammter Gebiete, die ihnen durch Landraub schon zur Zeit der spanischen Kolonie weggenommen wurden (vgl. Painemal 2013: 30). Seit der Militärdiktatur hat keine der demokratischen Regierungen eine politische Antwort auf diese Forderungen gegeben (vgl. Painemal 2013: 30).

Die Spaltung der chilenischen Gesellschaft zeigt sich insbesondere auch beim Thema der Vergangenheitsbewältigung und -aufarbeitung, die noch lange nicht abgeschlossen ist (vgl. Andreas 2012: 6). Einfluss auf diesen Prozess nehmen dabei die lange Dauer der Diktatur, der Ablauf der Transición, die die neoliberale Verfassung bis heute übernommen hat und den Akteuren des Regimes zwangsläufig noch Handlungsbefugnis einräumte ohne konsequente Strafverfolgung, sowie das Ausmaß der politischen Verbrechen und der Menschenrechtsverletzungen (vgl. Dimitroff 2013: 44; vgl. Ruderer 2013: 6 ). Pinochets Tod im Jahre 2006 verdeutlichte diese Spaltung besonders, denn er rief einerseits Freudenfeste, andererseits tiefe Trauer hervor (vgl. Dimitroff 2013: 44). Dies zeigt Chiles Uneinigkeit gegenüber der politischen Vergangenheit. Die politische Rechte verteidigt die Diktatur und beruft sich auf ihre guten Seiten. Sie sei die einzige Möglichkeit gewesen, einen drohenden Bürgerkrieg, auf den die linke Regierung zusteuerte, zu verhindern (vgl. Lateinamerika- Nachrichten 2013: 6). Auch wenn Viele die Menschenrechtsverletzungen verurteilen, loben sie dennoch Pinochets Wirtschaftspolitik - diese Aussagen spiegeln allerdings wohl eher die Ansichten der obrigen Gesellschaftsschichten Chiles und der Eliten wider, bedenkt man, dass gerade sie durch Pinochets Wirtschaftspolitik profitierten, die schwächeren Bevölkerungsschichten dagegen kaum bis gar nicht (vgl. Grünewald 2009b: 27).

2. Das didaktische Potential des Themenfeldes Chile, sociedad y cultura für den Spanischunterricht

2.1 Warum Chile? Begründung des Themenfeldes Chile, sociedad y cultura

Mit Inkrafttreten der neuen Kernlehrpläne für die gymnasiale Oberstufe im Bundesland Nordrhein-Westfalen 2014 hat es auch für das Fach Spanisch Veränderungen und Neuerungen gegeben. Neben neuen einheitlichen, obligatorischen Standards in den Prüfungsformaten, hat auch ein neues Themenfeld den Einzug in die Vorgaben zum schriftlichen Abitur gefunden - das Thema Chile, sociedad y cultura.

Hier stellt sich zunächst die Frage, warum das Thema Chile im Allgemeinen relevant für den Spanischunterricht ist. Weltweit gibt es über 450 Millionen Spanisch-Sprecher, womit sich das Spanische als eine der meistgesprochenen Sprachen auf der Welt konstituiert. Die meisten Hispanohablantes leben, neben Spanien, auf dem amerikanischen Kontinent (vgl. Grünwald 2009a: 10). Demnach sollten lateinamerikanische Themen mehr Beachtung im Spanischunterricht finden. Bisher zeigt die Praxis, dass Lateinamerika im Allgemeinen noch nicht gleichwertig zu Spanien behandelt wird, weder in Curricula oder Lehrwerken, noch im Spanischunterricht, und somit noch nicht den Stellenwert erlangt hat, dem Spanien von Grund auf zugestanden wird. Dem versucht der neue Kernlehrplan Spanisch nun gerecht zu werden, indem es den Fokus auf das lateinamerikanisches Land Chile lenkt und somit auf einen wichtigen Teil der hispanophonen Welt. Offizielle Landessprache in Chile ist das Spanische, auch wenn es - wie im lateinamerikanischen Spanischen üblich - über Eigentümlichkeiten, sogenannte Sprachvarietäten im Vergleich zur norma castellana verfügt, welche sich sowohl in Aussprache und Wortschatz, als auch in der Grammatik zeigen (vgl. Grünwald 2009a: 19f.). Zudem kann Chile ebenfalls auf eine Kolonialgeschichte unter der spanischen Krone zurückblicken, die bis heute das Land prägt und sich besonders in der ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung zeigt.

Des weiteren stellt sich die Frage, warum ausgerechnet Chile relevant ist und nicht ein anderes, lateinamerikanisches Land im Spanischunterricht behandelt werden sollte. Neunzehn süd- und mittelamerikanische Länder, in denen Spanisch entweder Amts- oder Nationalsprache ist und jedes natürlich seine Eigenheiten und thematischen Vorzüge bietet, machen eine Auswahl relevanter Themen für den Spanischunterricht nahezu unmöglich (vgl. Grünewald 2009a: 224) - gäbe es keine Kerncurricula und Schullehrpläne, die zumindest eine gewisse Einschränkung der Themenfelder des soziokulturellen Orientierungswissen machen. Dennoch nimmt Chile innerhalb des lateinamerikanischen Kontinents - insbesondere aufgrund seiner neuzeitlichen politischen Vergangenheit - eine Sonderstellung ein. Weltweit wurde hier erstmals eine Diktatur demokratisch abgewählt, der Ex-Diktator behielt aber dennoch eine starke Machtposition in der Folgezeit (vgl. Ruderer 2013: 6). Chile ist ein lehrreiches Beispiel für Demokratie- und Menschenrechtsbildung im Sinne von Demokratieverständnis, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten und der Vergangenheitsbewältigung und -aufarbeitung. Zusätzlich spricht die aktuelle Relevanz der Thematik für eine Behandlung Chiles im Spanischunterricht, da das Ende der Diktatur noch nicht all zu lange zurück liegt. So ist die Aufarbeitung der Vergangenheit im Land selbst noch lange nicht abgeschlossen, denn es existieren noch 'Hinterlassenschaften' aus der Zeit der Diktatur (z.B. die Verfassung) und juristische Prozesse gegen verantwortliche Akteure des Militärregimes bestimmen noch heute das Land (vgl. Andreas 2013: 6).

Für Chile als Thema im Spanischunterricht spricht des weiteren das anhaltende Wirtschaftswachstum des Landes, welches es zu einem Vorzeigeland in Lateinamerika macht, sowie die sozialen Bewegungen und Umbrüche, die ihre Ursprünge in den letzten 40 Jahren haben: Die Gesellschaft zerfällt immer stärker in die kleine Gruppe der Gewinner des Wirtschaftsaufschwunges und in die große, weiter wachsende Gruppe der Verlierer. Diese Spaltung der Gesellschaft führt zu sozialen Anspannungen, die sich in Chile unter anderem in den Studentenbewegungen und der Bildungspolitik oder in der Minderheitenfrage der Mapuche.

Das Themenfeld des Kernlehrplans gibt die Behandlung mit Chiles Gesellschaft und Kultur vor, ist also weitestgehend offen angelegt. Daher ist die Behandlung des Themenfeldes natürlich auf vielfältige Weise möglich, unabdingbar scheint es dennoch, den Schülern gerade die einschneidenden historischen und politischen Entwicklungen näher zu bringen, die prägend waren und sind für alle Bereiche des alltäglichen Lebens, um sich - im Sinne einer Erziehung zu Menschlichkeit, Demokratie und Freiheit als übergeordnetes Erziehungs- und Bildungsziel - kritisch mit chilenischen Lebenswirklichkeiten und politischen Realitäten auseinanderzusetzen, sie reflektiert zu beurteilen und eine eigene Wertposition zu beziehen. So kann die politische Vergangenheit Chiles auch als „Negativ-Modell“ bewertet werden und die Auseinandersetzung mit dieser das (politische) Verantwortungsbewusstsein der Schüler stärken (Andreas 2013: 6f.).

Es sollte berücksichtig werden, dass das Thema sehr komplex ist und sich für Schüler unter Umständen als schwierig oder problematisch darstellen kann. Dies gilt beispielsweise „für die historisch noch recht nahe und gerade im Land selbst auch noch vergleichsweise wenig bearbeitete Erfahrung mit der Militärdiktatur und den damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen“ (Wilneder/Wolfgarten 2015: 1).

Den Fokus auf das Leben chilenischer Kinder und Jugendlicher zu setzen, scheint auf den ersten Blick angemessener für die Unterrichtspraxis zu sein, da die Schüler aufgrund der Vergleichbarkeit zur eigenen Lebenswirklichkeit mehr Interesse und Motivation entwickeln und diese Fokussierung keine so schnelle Überforderung verursacht. Dennoch sind die historischen und politischen Umstände der Militärdiktatur notwendige Wissensgrundlage für das Verständnis gegenwärtiger Situationen und Entwicklungen in Chile - als Beispiel kann hier die chilenische Studentenbewegung angeführt werden -, um diese kritisch hinterfragen und bewerten zu können (vgl. Wilneder/Wolfgarten 2015: 1f.).

Die unterrichtliche Beschäftigung mit Chile bietet darüber hinaus die Möglichkeit, dieses Themenfeld fächerübergreifend zu behandeln, in Form einer Unterrichtseinheit oder eines Unterrichtsprojektes zum Themenfeld Chile, sociedad y cultura. Zum einen erlaubt ein fächerübergreifender Unterricht, das Thema ganzheitlich anzugehen und so den Schülern einen mehrperspektivischen Blick zu ermöglichen. Andererseits steht im fächerübergreifenden Unterricht mehr Zeit zur Behandlung eines Themas zur Verfügung. Die große Themenfülle stellt Lehrkräfte im Fachunterricht vor die Herausforderung, aufgrund der im Vergleich dazu begrenzten Unterrichtszeit im Vorfeld entscheiden zu müssen, welche Unterthemen behandelt und welche zwangsläufig vernachlässigt werden können. Dem kann der fächerübergreifende Unterricht zumindest teilweise entgegentreten.

Im Folgenden sollen Beispiele für mögliche, mit dem Spanischunterricht verknüpfbare Fächer und Themen im Kontext einer fächerübergreifenden Unterrichtseinheit bzw. eines fächerübergreifenden Unterrichtsprojektes zum Themenfeld Chile, sociedad y cultura dargestellt werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Natürlich wird eine Kombination aller Fächer kaum realisierbar sein, dennoch wäre es sicherlich möglich, das Fach Spanisch mit einem oder zwei weiteren Fächern zu verbinden.

Im Folgenden soll eine Darstellung der bildungsplanerischen Vorgaben Nordrhein-Westfalens zum Themenfeld Chile, sociedad y cultura erfolgen.

2.2 Das Thema Chile, sociedad y cultura in den bildungsplanerischen Vorgaben des Landes NRW für das Fach Spanisch

Mit dem Themenfeld Chile, sociedad y cultura hat, im Vergleich zu den letzten Schuljahren, nun ein lateinamerikanisches Land den Einzug in die schriftlichen Abiturvorgaben des Landes Nordrhein-Westfalen erhalten. Zwar gab es auch in den vorherigen Vorgaben Themen, die den lateinamerikanischen Kontinent berücksichtigten, allerdings nicht in diesem konkreten Format. Das Thema Movimientos migratorios: El conflicto Norte-Sur tal como se refleja en la frontera entre México y Estados Unidos nennt zwar Mexiko als Handlungsort, der Fokus lag dabei jedoch eher auf der Migrationsthematik. Das zweite Thema Facetas de Latinoamérica deckte zwar unter anderem den inhaltlichen Aspekt La diversidad y la riqueza étnica y cultura ab, dennoch wurden hier keine weiteren Vorgaben gemacht. Die Erarbeitung des Themas sollte „am Beispiel eines lateinamerikanischen Landes“ erfolgen (Ministerium für Schule und Weiterbildung 2013: 3). Mit den Abiturvorgaben für das Jahr 2017 - und, wie bisher veröffentlicht, auch fortführend bis 2019 - ändert sich dies, indem der Fokus nun im Speziellen auf das Land Chile geworfen wird. Dieses Themenfeld ist - ebenso wie alle anderen - „obligatorisch für den Unterricht in der gymnasialen Oberstufe“ (Ministerium für Schule und Weiterbildung 2014b: 1), um sicherzustellen, dass alle Schüler „gleichermaßen über die notwendigen inhaltlichen Voraussetzungen für eine angemessene Bearbeitung der zentral gestellten Aufgaben verfügen“ (Ministerium für Schule und Weiterbildung 2014b: 1). Die Realisierung dieser neuen, thematischen Fokussierung durch die Vorgaben obliegt der Verantwortung der Lehrkräfte (vgl. Ministerium für Schule und Weiterbildung 2014b: 1). Grünewald führt an, dass eine weitere thematische Konkretisierung „bis ins kleinste Detail“ allerdings nicht erfolgt in den Vorgaben, um den Lehrkräften Entscheidungsfreiheiten bei der Schwerpunktsetzung einräumen zu können (vgl. Grünewald 2009a: 135).

Auf Nachfrage, warum sich das Schulministerium Nordrhein-Westfalen für das Land Chile als obligatorisches Abiturthema entschieden hat, argumentierte die Fachaufsicht Spanisch[5], dass Chile mit Blick auf die Themen „Gegenwärtige politische und gesellschaftliche Diskussionen“ und „Globale Herausforderungen und Zukunftsentwürfe“ des soziokulturellen Orientierungswissens des Kernlehrplans Spanisch für die Sekundarstufe II, die unter anderem am Beispiel eines lateinamerikanischen Landes erarbeitet werden sollen, über eine besondere Relevanz und Beispielhaftigkeit für diese Themen verfügt. Dieses soziokulturelle Orientierungswissen berücksichtigt im Allgemeinen „soziokulturell und global bedeutsame Themen und deren Darstellung in den spanischsprachigen Texten und Medien“ (vgl. Ministerium für Schule und Weiterentwicklung 2014a: 11) und bindet daran den Kompetenzerwerb im Sinne des Leitzieles der interkulturellen Handlungsfähigkeit (vgl. Ministerium für Schule und Weiterentwicklung 2014a: 15).

Im Anhang findet sich zusätzlich ein konkretisiertes Unterrichtsvorhaben zum Themenfeld Chile, sociedad y cultura, ausgegeben von der Schulentwicklung NRW im Kontext eines Beispiels für einen schulinternen Lehrplans zum neuen Kernlehrplan für die gymnasiale Oberstufe im Fach Spanisch (Abb. 1). Allerdings wurde von Seiten der Fachaufsicht auch nicht ausgeschlossen, dass in den kommenden Jahren das Themenfeld Chile, sociedad y cultura durch ein anderes, lateinamerikanische Land ersetzt werden könnte.

2.3 Kompetenzförderung durch das Themenfeld Chile, sociedad y cultura

Eines der übergeordneten Ziele des Fremdsprachenlernens ist die Befähigung zu einer erfolgreichen Kommunikation in der Zielsprache (vgl. Grünewald 2009a: 85). Dazu benötigen Lerner bestimmte Kompetenzen. Dieser Begriff meint

„[die] bei Individuen verfügbaren oder von ihnen erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ (Weinert 2001: 27, zit. nach Meißner/Tesch 2010: 14).

Eine Kompetenz ist also eine Fähigkeit, um mit bestimmten Aufgaben und Situationen angemessen umgehen zu können (vgl. Meißner/Tesch 2010: 15). Um im Fremdsprachenunterricht ihren Erwerb zu gewährleisten, werden in den bildungsplanerischen Richtlinien verschiedene Kompetenzbereiche und -erwartungen festgelegt und beschrieben. Im Kernlehrplan für das Fach Spanisch findet sich dabei eine Aufteilung in fünf Kompetenzbereiche (vgl. Abb. 2). Im Folgenden soll eine Fokussierung auf die darin enthaltenen, übergeordneten Felder „Funktionale kommunikative Kompetenz“ und „Interkulturelle kommunikative Kompetenz“ erfolgen, um eine theoretische Grundlage für den praxisorientierten Teil dieser Arbeit zu schaffen. Dazu sollen sie zunächst im Einzelnen skizziert und anschließend konkret mit dem Themenfeld Chile, sociedad y cultura verknüpft werden. Natürlich können die vorgestellten Möglichkeiten der Kompetenzförderung ebenso mit anderen Themenfeldern (durch entsprechende Anpassung) gefördert werden. Dies betrifft vor allem die funktionalen, kommunikativen Teilkompetenzen. Auf konkretere Beispielmaterialien wird bei den Ausführungen bewusst verzichtet, da hierfür ein eigenes Kapitel vorgesehen ist (vgl. Kapitel 3.1).

2.3.1 Funktionale kommunikative Kompetenzen

Die funktionale kommunikative Kompetenz gliedert sich in die fünf Teilkompetenzen Hör-/Hörsehverstehen, Leseverstehen, Schreiben, Sprechen und, seit der Veröffentlichung des GeR 2001, auch die Sprachmittlung (vgl. Steveker 32012 : 49). Des weiteren wird die Verfügung über sprachliche Mittel und kommunikative Strategien ebenfalls unter dem Oberbegriff der funktionalen kommunikativen Kompetenz gefasst (vgl. Abb. 2; Ministerium für Schule und Weiterbildung 2014a: 18).

Die Teilkompetenzen lassen sich wiederum unterschiedlich einteilen: Hören und Sprechen sind mündliche, Schreiben und Lesen dagegen schriftliche Fertigkeiten. Parallel dazu können sie auch ihren Verarbeitungsphasen nach kategorisiert werden: Demnach gehören Hören und Lesen zum rezeptiven Sprachverstehen, welches in einer produktiven Sprachäußerungen in Form von Sprechen und Schreiben führt (vgl. Steveker 32012: 49f.). Im Unterricht werden die Teilkompetenzen selten isoliert erworben, sondern sind miteinander verknüpft bzw. stehen in Wechselbeziehungen zueinander (vgl. Naxhi 2010: 18). Daher sollten sie auch stets gleichgewichtig und integrativ geschult werden (vgl. Steveker 32012 : 49).

Hör-/Hörsehverstehen

Der erste Kontakt mit dem Spanischen erfolgt in der Regel über das Hörverstehen. Dabei geht es um das Verstehen gesprochener Texte unterschiedlicher Herkunft und Situation unter Rückgriff auf bereits vorhandenes Wissen (vgl. Fäcke 2011: 121).

Das Hörverstehen ist vor allem in zwei Kontexten erforderlich: In der face-to- face Interaktion und in der medialen Kommunikation (vgl. Grünewald 2009a: 188) - in der Alltagskommunikation macht Hören ca. 45% aus (vgl. Thiele 2012: 83) - und gilt als Grundlage zum Erwerb aller anderen sprachlichen Fertigkeiten (vgl. Naxhi 2010: 18). Durch die Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes stellt aber gerade das Hören für Schüler eine große Herausforderung dar. Daher ist es von Seiten der Lehrperson wichtig, häufige und vielfältige Hörgelegenheiten zu schaffen, sowie der Lerngruppe Erschließungshilfen mit an die Hand zu geben (vgl. Steveker 320 12 : 57). Das Hörsehverstehen erfordert als Erweiterung des Hörverstehens die Kombination von auditiven und visuellen Aspekten. Da hierbei mehrere Wahrnehmungskanäle angesprochen werden, kann der Verstehensprozess begünstigt werden. So werden beispielsweise Nachrichten im Fernsehen mutmaßlich zunächst besser verstanden als im Radio (vgl. Fäcke 2011: 122).

Das Hör-/Hörsehverstehen kann durch auditive bzw. audiovisuelle Medien im Unterricht gefördert und geschult werden (vgl. 3.1.2). Mit Blick auf Chile ist das Hörverstehen eine sehr wichtige Fertigkeit, da das lateinamerikanische Spanisch viele verschiedene Varietäten hat; manche betreffen den gesamten Kontinent, andere wiederum nur einzelne Regionen und Länder. Die Hauptunterschiede betreffen vor allem die Aussprache und den Wortschatz sowie einige grammatikalische Besonderheiten (vgl. Grünewald 2009a: 19).

Auch das chilenische Spanisch hält eine Fülle von Wörtern und Wendungen bereit, die nur innerhalb der Landesgrenzen oder in einigen Nachbarländern verwendet werden. Die äußert sich natürlich auch in der Aussprache der Chilenen, die selbst für fortgeschrittene Spanischlerner „einem Abenteuer gleich kommt“ (ContactChile, 09.12.2016).

„Die Chilenen gehören zu den Schnellsprechern in der hispanischen Welt [und verschlucken dabei häufig] Verständnis fördernde Wortteile, insbesondere das Endungs-'s', so dass man Singular und Plural meist nur erraten kann“ (ContactChile, 09.12.2016).

Hinzu kommen grammatikalische Veränderungen gegenüber der kastilischen Sprachnorm. Zu den elementarsten zählen:

- die 2. Person Plural vosotros gibt es nicht, sie wird ersetzt durch die 3.

Person Plural ustedes mit entsprechender Konjugation

- die Endungen der 2. Person Plural -as bzw. -es werden ebenfalls ersetzt

durch die Endungen -ai bzw. -ís

- die bedeutungsverstärkende Wortdopplung
- die Verwendung der Diminutivform -ito bzw. -ita für weitere Funktionen

(u.a. Zuwendung, Dringlichkeit, Wichtigkeit); ist somit also nicht nur eine Verniedlichungsform bzw. die Bedeutung „klein“ (vgl. ContactChile, 09.12.2016)

Diese sprachlichen Varietäten, sowie die Dialektik und Umgangssprache, verlangen den Schülern ein hohes Niveau des Verstehens gesprochener Sprache ab (vgl. Bartoli Kucher, 2013: 233f.). Daher sollten sie auf diese „Stolpersteine“ ausreichend im Unterricht vorbereitet werden, um in realen Kommunikationssituationen mit chilenischen Spanischsprechern nicht überrumpelt zu werden, sondern Interaktionen adäquat bewältigen zu können. Eine solche Vorbereitung leisten am ehesten authentische Hör- und Hörsehtexte[6] aus Chile, da diese für das muttersprachliche Publikum produziert und folgerichtig nicht verändert bzw. vereinfacht wurden. So wäre es denkbar, einen chilenischen Radiobeitrag oder eine Nachrichtensendung, die Wettervorhersage, Interviews oder Werbespots, sowie Lieder, Hörbücher und

Filme chilenischer Künstler in die unterrichtliche Arbeit einfließen zu lassen.

Leseverstehen

Wie das Hör-/Hörsehverstehen gehört auch das Lesen zum rezeptiven Sprachverstehen. Leseprozesse laufen in der Muttersprache weitgehend automatisiert ab, müssen im Spanischunterricht aber gezielt trainiert werden (vgl. Steveker 320 12 : 50), vor allem deshalb, weil sie nicht im Sprachkontakt erworben werden (können) (vgl. Grünewald 2009a: 195). Lehrkräfte sollten für eine Förderung des Leseverstehens eine große Bandbreite an authentischen Textsorten in der Unterrichtspraxis anbieten (vgl. Fäcke 2011: 127). Dies gilt auch für das Themenfeld Chile, sociedad y cultura. So vermitteln Sach- bzw. Gebrauchstexte (vgl. 3.1.1) zunächst einmal Fakten und Informationen über chilenische Gegebenheiten. Diese könnten zum Beispiel chilenische Zeitungsartikel (z.B. aus El Mercurio [7]) oder Kommentare sein, sowie Reportagen, Interviews und Berichte, die - je nach Schwerpunktsetzung im Unterricht - unterschiedliche kulturelle, politische, wirtschaftliche oder soziale Themen aus Chile behandeln. Zudem wäre auch die Arbeit mit Gebrauchsanweisungen, Rezepten und Werbetexten denkbar. Hinzu kommen literarische Texte, die zwar keine sachlichen Informationen über Chile selbst vermitteln, dennoch Lebensgefühl und Lebenswirklichkeit zu einer bestimmten Zeit der chilenischen Geschichte vermitteln kann, so zum Beispiel zur Zeit der Militärdiktatur unter Pinochet oder aus dem Exil heraus. Hierzu zählen unter anderem Kurzgeschichten, Romane, Dramen, Gedichte oder Liedtexte. Aus beiden Textsorten können gleichermaßen auch interkulturelle Informationen extrahiert werden, denn sie vermitteln - wenn auch nicht immer offensichtlich und in erster Linie - Normen und Werte, Vorstellungs- und Lebensweisen, die die chilenische Gesellschaft prägen. Mit Hilfe verschiedener Lesestile und Erschließungstechniken sollen die Schüler in der Lage sein, die sachlichen und die für interkulturelles Lernen relevanten Informationen aus chilenischen Texten entnehmen zu können, die ihr soziokulturelles Orientierungswissen über Chile und ihre interkulturelle Handlungsfähigkeit erweitern.

Schreiben

Bei der Teilkompetenz Schreiben sind viele Verstehens- und Sprachproduktionsprozesse aktiv (v.a. das „Innere Sprechen“) (vgl. Roche 2013: 235). Zum einen werden fremdsprachliche Lernprozesse unterstützt, die tagtäglich im Unterricht durch gelenkte Schreibaufträge der Lehrperson Beachtung finden (vgl. Fäcke 2011: 128). Andererseits fördert das Schreiben die Ausbildung einer schriftlichen Kommunikationsfähigkeit (vgl. Grünewald 2009a: 198ff.). Dieser Prozess ist produktorientiert und soll Schüler zu eigenständigem, kreativem Schreiben anregen (vgl. Fäcke 2011: 128). Er läuft in aller Regel kontrolliert ab, eingeteilt in Planung, Formulierung und Überarbeitung (vgl. Steveker 32012: 73ff.; Grünewald 2009a: 198f.). Durch die Förderung der Schreibkompetenz im Rahmen des Themenfeldes Chile, sociedad y cultura soll es Schülern vor allem möglich gemacht werden, schriftlich-kommunikative Situationen mit chilenischen Spanischsprechern, wie beispielsweise der Austausch von Briefen, Emails und anderen elektronischen Kommunikationswegen, bewältigen zu können. Ebenso wie im mündlichen, können die Lerner auch im schriftlichen 'Chilenisch' auf Sprachvarietäten und sprachliche Besonderheiten wie Slang oder Umgangssprache stoßen. Vorteil bei einer schriftlichen Kommunikation mit Chilenen ist, dass hier das schnelle Sprechtempo wegfällt und den Schülern entsprechend mehr Zeit für den Verstehensprozess bleibt.

Des weiteren sollen durch authentische chilenische Medien das produktive und kreative Schreiben der Schüler gefördert werden. Hierbei bietet sich Lehrkräften eine so große Fülle an Materialien und Realisierungsformen, dass es unmöglich ist, alle im Rahmen dieser Arbeit aufzuführen. Dennoch soll hier kurz ein Beispiel gegeben werden: Ausgehend vom chilenischen Film Machuca, der Grundlage des praxisorientierten Teils dieser Arbeit sein wird, wären folgende Übungsformen zur Förderung produktiver und kreativer Schreibprozesse denkbar:

- eine Zusammenfassung schreiben
- analytisches Schreiben in Form einer Interpretation oder Stellungnahme
- reaktionsherausforderndes Schreiben in Form eines Leserbriefes, eines Kommentars oder einer Rezension

[...]


[1] Um eine bessere Lesbarkeit zu garantieren, wird auf die Unterscheidung zwischen

Schülerinnen und Schülern verzichtet und durch den allgemeinen Begriff Schüler ersetzt, der als Zusammenfassung beider Formen und damit als gleichrangig zu verstehen ist.

[2] Gruppe chilenischer Wissenschaftler, die an der University of Chicago studiert hatten und durch Privatisierungs- und Regulierungsmaßnahmen versuchten, eine freie Marktwirtschaft in Chile zu etablieren (vgl. Imbusch et. al. 2004: 13).

[3] Kommission zur Ermittlung bzw. Aufklärung politischer Strafangelegenheiten (vgl. Ruderer 2013: 3)

[4] Volksbeschluss, Volksabstimmung, Volksbefragung (Duden online, 21.11.2016)

[5] Emailkontakt mit Juliane Krüger, LRSD, Fachaufsicht Spanisch, Generatie: gymnasiale Oberstufe, i.A. des Ministeriums

[6] Der Begriff „Texte“ meint hier einen übergeordneten Textbegriff, der nicht nur schriftliche Medien, sondern auch auditive und (audio-)visuelle Medien einschließt (vgl. Grünewald 2009a)

[7] http://impresa.elmercurio.com/pages/LUNHomepage.aspx?BodyID=1&dtB=10-12-2016.

Ende der Leseprobe aus 81 Seiten

Details

Titel
Chile, sociedad y cultura. Zum didaktischen Potential des abiturrelevanten Themenfeldes im Spanischunterricht
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Note
2,0
Jahr
2016
Seiten
81
Katalognummer
V373568
ISBN (eBook)
9783668509252
ISBN (Buch)
9783668509269
Dateigröße
1594 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
chile, potential, themenfeldes, spanischunterricht
Arbeit zitieren
Anonym, 2016, Chile, sociedad y cultura. Zum didaktischen Potential des abiturrelevanten Themenfeldes im Spanischunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/373568

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