Politische Regulierung der Versicherungswirtschaft durch EU-Richtlinien. Die Beispiele Solvency II und Omnibus II


Akademische Arbeit, 2016

36 Seiten, Note: 3.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Theoretische Grundlage
2.1 Regulierung
2.2 Regulierung im Politikfeld Finanzmarktpolitik
2.2.1 Evolution der Finanzmärkte
2.2.2 Besonderheiten der Finanzmarkt(-regulierung)
2.2.3 Gründe für Regulierung im Policyfeld Finanzmarktpolitik
2.3 Vierdimensionales Regulierungsregime nach Gottwald

3 Versicherungswirtschaft

4 Solvency II
4.1 Die Richtlinie
4.2 Die Akteure
4.3 Entwicklung ex ante Finanzkrise

5 Finanzkrise

6 Entwicklung ex post Finanzkrise: die Reaktion der politischen Akteure hinsichtlich von Solvency II
6.1 EIOPA und OMNIBUS II
6.2 Implementierung und Ratifizierung von Solvency II

7 Theoretische Analyse

8 Fazit

9 Anhang
9.1 Abkürzungsverzeichnis
9.2 Bibliografie

1 Einleitung

Am 01. Januar 2016 trat die Richtlinie „Solvency II“ der Europäischen Union in Kraft. Mit neuen Vorschriften hinsichtlich der Kapitalhinterlegung, der Führung von Versicherungsunternehmen sowie der Berichterstattung an Aufsichtsbehörden wirkt sich diese regulative Direktive erheblich auf die europäische Versicherungswirtschaft aus. In Deutschland wurde die „Solvency II“-Richtlinie[1] über das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) implementiert. Zweck dieser Richtlinie ist die Minimierung des Risikos der Insolvenz eines Versicherungsunternehmens sowie die Vereinheitlichung der Aufsicht von Versicherungsunternehmen innerhalb des europäischen Binnenmarktes.[2]

In dieser Hausarbeit betrachte ich die politische Regulierung der Versicherungswirtschaft durch die Richtlinien der Europäischen Union: Solvency II und Omnibus II. Dieses Thema ist einerseits dadurch interessant, dass die politische Regulierung im Politikfeld Finanzmarkt durch die Globalisierung beschleunigt wurde und spätestens durch die Subprime-Finanzkrise 2008 in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist. Andererseits ist die Aktualität der Ratifizierung für mich ein Grund, mich diesem Thema zu widmen. Zuletzt nimmt die Versicherungsbranche eine fundamentale Rolle in der deutschen Volkswirtschaft[3] ein und agiert durch ihre Produkte als Scharnier zwischen Volks- und Finanzwirtschaft. Daher gilt es, die politische Regulierung der Versicherungsbranche genau zu betrachten.

Jörn-Carsten Gottwald liefert eine umfassende theoretische Grundlage, auf welcher ich meine Analyse von Solvency II und Omnibus II maßgeblich aufbaue. Der Autor beschreibt regulative Muster in der Finanzmarktpolitik; Gottwald entwickelt ein vierdimensionales Regulierungsregime mit folgenden Merkmalen: „Organisation“, Leitprinzipien“, „Strategische Akteurskonstellation“ sowie „Politische Gestaltungskapazität“.[4] Somit setze ich meine Hausarbeit in Kapitel 2 mit einer Erläuterung der Theorie Gottwalds fort. Zuvor skizziere ich Theorien zur Regulierung im Allgemeinen. Im Anschluss gehe auf das (Politik-)Feld Finanzmarktpolitik mit seinen Besonderheiten ein und erläutere ebenso die Bedeutung der Versicherungswirtschaft. Kapitel 3 beginne ich mit der Darstellung von Solvency II. Danach gehe ich kurz auf die Europäische Union und deren maßgeblichem Akteur der Versicherungswirtschaft ein: die European Insurance and Occupational Pensions Authority (EIOPA). Des Weiteren bilde ich in Kapitel 5 die Entwicklung der Finanzkrise ab; letztere werde ich aufgrund des Umfanges der Hausarbeit lediglich skizzieren. Im folgenden Kapitel gehe ich auf die Reaktion der politischen Akteure ein: die Gründung der EIOPA und deren Funktionen im Rahmen der Zusatzrichtlinie Omnibus II. Hierbei interessiert es mich besonders, ob und wenn ja, wie, die Finanzkrise die Regulierungspläne der Europäischen Union beeinflusst hat. Anschließend widme ich mich der Implementierung der Richtlinien. Darauffolgend analysiere ich das Erläuterte aus dem Blickpunkt der Regulierungstheorie von Gottwald. Die Hausarbeit schließe ich mit einem Fazit meiner Ergebnisse sowie mit einem wissenschaftlichen Ausblick ab.

2 Theoretische Grundlage

Dieses Kapitel bildet die theoretische Grundlage meiner Hausarbeit. Wie bereits zuvor erläutert, werde ich zunächst Theorien zu politischer Regulierung - ohne dabei einen Schwerpunkt auf ein Politikfeld zu setzen - skizzieren. Im Anschluss fokussiere ich mich auf politische Regulierung im Policyfeld Finanzmarktpolitik mit besonderem Schwerpunkt auf das vierdimensionale Regulierungsregime nach Gottwald.

2.1 Regulierung

Der Begriff Regulierung bezeichnet die staatliche Aufsicht über die Marktakteure und umfasst staatliche Regelsetzung, Regelüberwachung und Regeldurchsetzung sowie die Sanktionierung von Regelverstößen.[5] So beschreibt Jörn-Carsten Gottwald die Rolle und Funktion staatlicher Regulierung gegenüber privaten Akteuren. Das regulative Verhältnis staatlicher und privater Akteure ist gemäß dem Autor nicht auf ein Politikfeld beschränkt, sondern erstreckt sich über ein weites Feld marktwirtschaftlicher Aktivitäten.[6]

Gemäß Baldwin und Cave gibt es drei Ebenen der Reichweite politischer Regulierung in den privaten und gesellschaftlichen Sektoren. Erstens ein spezielles Set an Regularien, welche mit direkter Umsetzung verbunden sind. Jene sind dementsprechend meinst technokratischer Natur. Zweitens, differenzieren die Autoren die regulative Reichweite des Staates als gesteuerten Einfluss. Die dritte Form, gemäß Baldwin und Cave, ist die Reichweite der umfassenden sozialen Kontrolle und Einflussnahme.[7]

An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass es sich bei dem Begriff Regulierung nicht zwangsläufig um eine staatliche Einflussnahme mit dem Ziel der Einschränkung privater Aktivitäten handeln muss. Staatliche Akteure können mit ihren Regularien ebenso Marktaktivitäten stimulieren.

Gottwald erläutert dazu: „ [D]er Marktschaffung dienen alle staatlichen Aktivitäten, um die physische Existenz von Handelsplätzen als Ort des Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage zu sichern.[8] Weiterhin gehören dazu die juristische Rahmensetzung sowie Definitionen von Produkten oder Dienstleistungen, welche private Akteure in nationalen wie internationalen Märkten schützen.[9] Perez und Westrup schlagen in die gleiche Kerbe. Die Autoren sprechen in ihrer Arbeit davon, dass die Deregulierung und Liberalisierung der nationalen Finanzmärkte ein wesentlicher Bestandteil nationalstaatlicher Finanzmarktpolitik in Europa von den 80er Jahren bis zur Finanzkrise 2008 gewesen ist. Dies sei ein Trend gewesen, der sich - wenn auch zeitlich versetzt - in den marktwirtschaftlich orientierten Staaten Europas[10] durchgesetzt hatte.[11] Renate Mayntz geht in ihrer Abhandlung chronologisch noch einen Schritt zurück; sie nennt die Deregulierung des Finanzmarktes nach dem Zusammenbruch der festen Wechselkurse des Bretton-Woods Systems als Beispiel für die Schaffung von Märkten.[12] Somit lässt sich konstatieren, dass der Begriff Regulierung nicht nur als Einschränkung der Marktaktivitäten, sondern auch als Förderung jener begriffen wird.

Zusätzlich entscheidet Gottwald zwischen kurzfristigen beziehungsweise an aktuellem Marktgeschehen ausgerichteten Regularien und langfristiger politischer Steuerung mit Hilfe regulativer Richtlinien oder Gesetze.[13] Krisenmanagement von Nationalstaaten lässt sich in die „Kategorie kurzfristig“ einordnen, langfristige Gestaltung des Marktes wie zum Beispiel die Einrichtung des europäischen Binnenmarktes durch den Maastrichter Vertrag in die letztere Kategorie.

2.2 Regulierung im Politikfeld Finanzmarktpolitik

Im vorherigen Kapitel habe ich hinsichtlich der Regulierungstheorien eingeleitet. Auch wenn ich schon einige Beispiele aus der Finanzmarktpolitik erläutert habe, möchte ich dieses Kapitel der Regulierung diesem Politikfeld widmen. Aufgrund der historischen beziehungsweise politischen Hintergründe werde ich dieses Theoriekapitel ebenso mit deskriptiven Beschreibungen - bis zur Finanzkrise 2008[14] - aus den Finanzmärkten und der Finanzmarktpolitik durchsetzen, um das Verständnis um die Verknüpfung von Empirie und Theorie für den Leser zu erhöhen. Zunächst gehe ich auf die Evolution der Finanzmärkte und deren Regulierung im 20. Jahrhundert ein. Im Anschluss lege ich die Besonderheiten der Finanzmarkt(-regulierung) dar und zeige daraufhin die Gründe für die politische Regulierung des Politikfeldes auf.

2.2.1 Evolution der Finanzmärkte

Renate Mayntz urteilt, dass die Finanzmärkte „ traditionell der Selbstregulierung überlassen[15] seien. Der Eingriff staatlicher Akteure begrenzte sich auf die Reaktion auf Krisen des Marktes. Der Versuch der Behebung der Probleme im Rahmen eines Krisenmanagements war die primäre Reaktion der politischen Regulierung. Ein Beispiel im 20. Jahrhundert ist die Krise in den Vereinigten Staaten von Amerika zu Beginn der dreißiger Jahre. Die Politik reagierte mit einer einschränkenden Regulierung des Investmentgeschäftes. Der Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems und die damit zusammenhängende Auflösung der Wechselkursbindung war der erste große Einschnitt auf den Finanzmärkten nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie zuvor bereits beschrieben, reagierten die Nationalstaaten mit einer Liberalisierung der Finanzmärkte. Dieser Effekt sorgte ebenso für die Internationalisierung der Finanzindustrie. Technische Errungenschaften trugen ebenfalls zur internationalen Verbreitung der Finanzindustrie bei. Die Finalisierung der Uruguay-Runde im Jahr 1994, die unter anderem die Gründung der World Trade Organization einläutete, beschleunigte die Internationalisierung der Finanzmärkte und vereinfachte das Angebot transnationaler Finanzdienstleistungen von Banken wie Versicherungen. In der Europäischen Union wurde mit Abschluss der Maastrichter Vertrages der europäische Binnenmarkt geschaffen[16], welcher gerade in Europa die Finanzmarktpolitik auf die Tagesordnung brachte.

Perez und Westrup analysieren in ihrer Arbeit, die Entwicklung der Finanzmarkt(-regulierung) in europäischen Nationalstaaten, welche ich aufgrund meines Arbeitsthemas hier auch kurz darstellen möchte. Die Autoren identifizieren zwei Phasen der Finanzmarkt(-regulierung) in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien. Die erste Phase in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist, übereinstimmend mit den Ausführungen von Mayntz, durch eine Deregulierung des Kreditsystems gekennzeichnet. Diese erfolgte in den Nationalstaaten allerdings in unterschiedlichen Etappen. Die Autoren begründen dies mit ihrer These, dass Finanzmarktregulierung nicht durch Marktmechanismen, sondern durch makroökonomische Entscheidungen der Politik gesteuert wird. Damit begründen sie die verschiedenen Geschwindigkeiten der Finanzmarktregulierung in den genannten Staaten. Die ersten Reformschübe, gemäß Perez und Westrup, fanden während der genannten ersten Phase in Frankreich, Großbritannien und Spanien statt und waren von deregulierenden Reformen geprägt. Die exportorientierten Ökonomien Deutschland und Italien stiegen erst zu Beginn der neunziger Jahre auf den Deregulierungszug auf. Sicherlich auch bedingt durch die von Mayntz beschriebenen Faktoren. Zur Jahrtausendwende verzeichnen die Autoren, bedingt durch die Gründung neuer Aufsichtsbehörden in beispielsweise Deutschland und Großbritannien[17], ein Ende des sich traditionell selbstregulierenden Finanzsektors.[18] Auf weitere nationale Unterschiede, die Perez und Westrup sehr anschaulich erläutern, gehe ich aufgrund des Themas sowie des Umfanges meiner Hausarbeit an dieser Stelle nicht weiter ein.

Dennoch lässt sich die europäische Finanzmarktpolitik zu Beginn des 21. Jahrhunderts im Gesamtbild als deregulierend beschreiben. Der Financial Services Action Plan förderte die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Banken und Versicherungen: „ die europäische Rechtsetzung auf diesem Gebiet bedeutete Liberalisierung, nicht restriktive Regulierung.[19]

2.2.2 Besonderheiten der Finanzmarkt(-regulierung)

Gottwald erörtert vier besondere Merkmale der Finanzmärkte in seiner Habilitationsschrift:

I. „hohe Marktvolatilität
II. Anfälligkeit für Marktrisiken
III. Regulierungsspirale
IV. Regulierungswettbewerb“[20]

Die ersten beiden Punkte erschließen sich aus der globalen Suche der Anleger nach den höchsten Renditen für ihr investiertes Geld. Ein Faktor, welcher diese Suche enorm beschleunigt ist die fortschreitende Digitalisierung, welche den Transfer von Kapital nahezu in Echtzeit zulässt. Somit lassen sich große Geldmengen zügig von A nach B bewegen, was zu einer großen Volatilität der Finanzmärkte führen kann. Zudem nutzt Gottwald den Begriff „Herdenverhalten“[21] ; er beschreibt damit das Phänomen, dass Anleger und insbesondere Fondsmanager, welche qua natura die größten Kapitalmengen anlegen einem Investitions-Herdentrieb folgen, indem sie, das von ihnen gemanagte Kapital dort anlegen, wo es ihre Berufskollegen getan haben. Dies kann laut Gottwald zu einer enormen Verzerrung tatsächlicher Marktverhältnisse führen und somit große Investmentblasen generieren, welche - sofern sie platzen - zu einer Finanz- und im Anschluss volkswirtschaftlichen Krise führen können.[22]

Mit der Regulierungsspirale legt Gottwald den ständigen Wettlauf zwischen Regulierern und Regulierten dar. Endet die Möglichkeit des Angebotes eines Finanzproduktes durch staatliche Regulierung, erstellt die Finanzindustrie ein neues Produktpaket, mit mutmaßlich gleichem Inhalt, welches von der neunen Regulierung nicht erfasst ist.[23] Demnach lässt sich schließen, dass es einen ewigen Teufelskreis zwischen Staat und Finanzwirtschaft gibt, er sich durch das Inkrafttreten neuer Gesetze sowie die Entwicklung neuer Finanzprodukte stets weiterdreht.

Das vierte Merkmal der Finanzmärkte, welches Gottwald einbringt ist der Regulierungswettbewerb.[24] Für Staaten, die den Großteil ihres Bruttoinlandsproduktes im tertiären Sektor erwirtschaften, ist die Reichweite der staatlichen Regulierung eine klarer Standortvor- oder nachteil, ähnlich der Steuerpolitik. Um die größten Finanzunternehmen, wie Banken und Versicherungen, anzulocken, ist es ein Anreiz, die restriktive Regulierung so gering wie möglich zu halten. Zudem hat das Prestige einer florierenden Börsenlandschaft für die jeweiligen nationalen Ökonomien enorm zugenommen: „ Hinzu kommt, dass sich Börsenindices zu einem zentralen Indikator für ökonomische Leistungsfähigkeit und wirtschaftspolitische Glaubfähigkeit entwickelt haben und damit das Interesse der staatlichen Akteure an einer langfristigen, positiven Finanzmarktentwicklung gesteigert [hat].[25]

Ein weiterer entscheidender Faktor dieses Politikfeldes ist die enge Verflechtung der Finanzindustrie mit der Volkswirtschaft. Perez und Westrup haben dieses Phänomen in ihrer Arbeit identifiziert. Diese enge Verflechtung erhöht die Dringlichkeit für die Politik, regulativ aktiv zu werden. Die Änderung der Spareinlagen von Privatanlegern in risikobehafteten Produkten wie Aktien oder Anleihen ist ein Umstand, welcher die Verzahnung und Auswirkung der Finanzwirtschaft auf die tatsächliche Volkswirtschaft signifikant erhöht. Perez und Westrup weisen nach, dass sich die Produktauswahl der Anleger von 1980 bis 2000 erheblich gen risikobehafteten Produkten orientiert hat. Somit ist nicht nur die Verzahnung zwischen Finanz- und Volkswirtschaft größer. Im Falle eines Finanzmarktversagens - bei einer nicht vorhandenen oder nicht funktionierenden Regulierung - sind die politischen Kosten für die betroffene Regierung sehr hoch.[26] Die Finanzindustrie ist ergo systemrelevant.

Passend zu den Punkten von Gottwald ergänze ich die Beobachtung von Renate Mayntz, dass die Finanzmärkte erheblich komplexer werden und sich immer weiter internationalisieren.[27] Des Weiteren nennt Mayntz eines der wichtigsten Merkmale der internationalen Finanzmarkt(-regulierung). Sie beschreibt jenes Regulierungssystem als „ fragmentiert[28], es besteht keine einheitlich rechtlich bindende Instanz auf globaler Ebene, welche den Finanzmarkt reguliert.[29] Wir finden hier also ein hierarchieloses System vor.

2.2.3 Gründe für Regulierung im Policyfeld Finanzmarktpolitik

Auch wenn ich bereits im vorherigen Kapitel einige Gründe für die Finanzmarkregulierung angerissen habe, möchte ich in diesem Kapitel nochmals explizit darauf eingehen, um meine spätere Analyse von Solvency II zu ermöglichen.

Einer der Gründe für eine Regulierung des Finanzmarktes, ist das Versagen beziehungsweise der Zusammenbruch des Finanzmarktes. In diese Kerbe schlägt auch Gottwald. Er schreibt, dass der „ Schutz der Konsumenten vor Marktversagen[30] einer der wichtigsten Gründe von staatlichem Einschreiten in private Aktivitäten sei. Der Staat setzt demnach Regulierung ein, um den Bürger vor den Konsequenzen eines Marktausfalles zu schützen. Wie zuvor bereits erläutert kann der Staat dies mit kurzfristigen Maßnahmen - Krisenmanagement - oder mit langfristigen Maßnahmen - regulativen Gesetzen, die präventive Wirkung haben sollen.

Ein zweiter Grund den Gottwald darlegt ist die „ Eindämmung des „systemischen Risikos“ [31]. Das Finanzsystem sei so ausgelegt, dass einzelne Fehler sich einer „ Kettenreaktion auslösen[32] können. Dies kann schlussendlich dazu führen, dass der gesamte Finanzmarkt und damit auch die Volkswirtschaft zusammenbrechen.[33] Diese Argumentation führt mich zu einem Punkt von Perez und Westrup, welchen ich schon zuvor nannte: Die Systemrelevanz der Finanzmärkte. Durch die entstandene Systemrelevanz ist die politische Bedeutung der Finanzmarktregulierung angestiegen[34] ; ein weiterer Grund für staatliches Einschreiten in die Finanzmärkte. In die gleiche Kerbe schlägt Mayntz, wenn sie in ihrem Aufsatz schreibt, dass „ nicht nur die wirtschaftliche sondern auch die politische Bedeutung des Finanzsystems die Politik seit der frühen Neuzeit immer wieder veranlasst, […] regelnd […] einzugreifen.[35] Ferner nennt die Autorin die Komplexität des Finanzsystems als weiteren wichtigen Grund für staatliche Regulierung. Das System sei dermaßen gewachsen, dass die Beobachtung durch staatliche Behörden unabdingbar sei, um Schaden beziehungsweise Fehlverhalten zu verhindern.[36]

2.3 Vierdimensionales Regulierungsregime nach Gottwald

Gottwald hat in seiner Habilitationsschrift ein vierdimensionales Regulierungsregime entwickelt, auf welches meine Analyse von Solvency II primär stützen werde.

Die erste Dimension, gemäß Gottwald, ist die „ Organisation eines Regulierungsregimes[37]. Einerseits unterscheidet Gottwald diesbezüglich zwischen der Homogenität und der Heterogenität eines Regimes. Ein Regime ist homogen, wenn zum Beispiel das für die Regulierung zuständige Ministerium oder eine Aufsichtsbehörde sektorübergreifend strukturiert sind. In diesem Fall wäre die Aufsichtsbehörde für die Regulierung von Banken und Versicherungen zuständig. Eine sektorale Einteilung in jeweils eine Aufsichtsstelle für Banken und für Versicherungen wäre nach Gottwald eine heterogene Organisation des Regulierungsregimes.[38] Zudem nennt Gottwald acht Ebenen der Organisation: „ 1.Kunden/Wähler 2. Intermediäre 3. Selbstregulierungsorganisationen (SROs) 4. Handelsaufsicht 5. administrative Marktaufsicht 6. (nationale) politische Aufsicht 7. Supranationale Aufsicht 8. Transnationale Ebene[39].

Leitprinzipien sind die zweite Dimension von Gottwalds Regulierungsregime; drei Leitprinzipienpaare Gottwalds stechen dabei heraus. Die ersten Leitprinzipien, welche der Autor gegenüberstellt sind die der freien Marktwirtschaft und jenes der staatlichen Umverteilung, ergo geht es hier um die Beziehung zwischen Staat und privaten Akteuren. In den westlichen Marktwirtschaften2 des 21. Jahrhunderts hat sich das Prinzip der freien Marktwirtschaft durchgesetzt - in Europa mehr staatlich gesteuert als in den Vereinigten Staaten von Amerika.[40] Die Tiefe der Regulierung ist entscheidend, um eine Einordnung vorzunehmen.

Für die Finanzmarktregulierung ist die Wahrung der Systemstabilität das alles übergeordnete Leitprinzip “.[41] Daraus erschließen sich nach Gottwald zwei Regulierungsmethoden, welche sich gegenüberstehen: Auf der einen Seite die Förderung und Sicherstellung der Marktverhältnisse, sodass sich Unternehmen innerhalb der „Gesetze des Marktes“ bewegen; auf der anderen Seite die Schaffung des Schutzes der privaten Anleger, wodurch das Misstrauen der Privatanleger in das Agieren der Finanzindustrie beseitigt werden solle. Folglich stehen Markttransparenz und Marktrestriktionen gegenüber.[42] Staatliche Akteure sollten, abgeleitet aus den Leitprinzipien Gottwalds, also die Balance zwischen der Sicherstellung eines funktionierenden Marktes als auch den Schutz der Privatanleger finden, um einerseits die Finanzindustrie sowie andererseits die Gesellschaft mit ihrer Politik zufriedenzustimmen.

Des Weiteren setzt sich Gottwald mit der Konstellation der Akteure innerhalb des Regulierungsregimes auseinander; die dritte Dimension. Zunächst unterscheidet der Autor zwischen zwei Akteurstypen: staatlichen und privaten. Weiterhin differenziert er innerhalb dieser Typen. Er nennt hier auf staatlicher Seite beispielsweise Regierungen, Parteien oder Internationale Organisationen. Hinsichtlich privater Akteure zählt Gottwald unter anderem Finanzunternehmen wie Banken, Versicherungen und Fondsgesellschaften, zivilgesellschaftliche Verbände sowie Privatanleger. Weiterhin unterscheidet Gottwald hinsichtlich seiner dritten Dimension, ob in einem Regulierungsregime eine Verteilungskonstellation oder ein Netzwerk vorherrscht. Eine Verteilungskonstellation ist gemäß Gottwalds durch eine Dominanz eines Akteurs oder einer Akteursgruppe qua natura gekennzeichnet. Mithilfe struktureller Vorteile haben Akteure mit speziellen politischen Zielen[43] es einfacher, diese dem Staat gegenüber durchzusetzen. Akteure mit breiten Forderungen haben demnach ein Nachteil.[44]

Ein weiterer Vorteil der Finanzindustrie, welchen ich einbringen möchte, ist der Faktor der Informationsasymmetrie. Sie verfügen über Wissen und Ressourcen, welche staatlichen Akteuren nur teilweise und anderen privaten Akteuren selten zur Verfügung stehen.[45]

Als zweite Ebene nennt Gottwald die Netzwerkkonstellation. In dieser sind im Vergleich zur Verteilungskonstellation die Machtverhältnisse zwischen den Akteuren ausgeglichen. Zudem sind die Akteure innerhalb eines Netzwerkes zu einem bestimmten Grade voneinander abhängig.[46]

Im Rahmen meiner Analyse von Solvency II werde ich nicht en detail auf die dritte Dimension Gottwalds eingehen, da ich primär die politische Reaktion auf die Finanzkrise erläutern und weniger einen Interessenvergleich einzelner Akteure analysieren möchte.

[...]


[1] anschließend der Lesbarkeit halber als „Solvency II“ bezeichnet

[2] Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht: http://www.bafin.de/DE/Aufsicht/VersichererPensionsfonds/Aufsichtsregime/SolvencyII/solvency_II_node.html (aufgerufen am 22.03.2016)

[3] Im Jahr 2015 betrugen die eingenommenen Beiträge der Erstversicherungsunternehmen über 192 Milliarden Euro. (Quelle: Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V.: „ Statistisches Taschenbuch der Versicherungswirtschaft “ S.1 - http://www.gdv.de/wp-content/uploads/2015/09/Statistisches_Taschenbuch_2015_Versicherungswirtschaft_GDV.pdf; aufgerufen am 22.03.2016)

[4] Vgl.: Gottwald, Jörn-Carsten (2007), Die politische Gestaltung des europäischen Finanzmarktes. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 31-70

[5] Zitat: Gottwald, Jörn-Carsten (2007), Die politische Gestaltung des europäischen Finanzmarktes. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 26

[6] Vgl.: Ebenda, S. 25f.

[7] Vgl.: Baldwin, Robert und Cave, Martin (1999), Understanding Regulation: theory, strategy and practice. Oxford: Oxford University Press; entnommen aus: Ebenda: S. 25

[8] Zitat: Ebenda S. 28

[9] Vgl.: Ebenda S 28f.

[10] Perez und Westrup analysieren in ihrer Arbeit Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien

[11] Vgl.: Perez, Sofia und Westrup, Jonathan (2008), Finance and the Macro-economy: The Politics of Regulatory Reform in Europe. Boston: Center for European Studies Working Paper Series #156, S. 1

[12] Vgl.: Mayntz, Renate (2010), Die Handlungsfähigkeit des Nationalstaats bei der Regulierung der Finanzmärkte. Berlin: Leviathan 38(2), S. 177

[13] Vgl.: Gottwald, Jörn-Carsten (2007), Die politische Gestaltung des europäischen Finanzmarktes. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 29

[14] Die Finanzkrise aus, welche im Jahre 2008 startete beschreibe ich genauer in Kapitel 5, dann im Zusammenhang mit Solvency II

[15] Zitat: Mayntz, Renate (2010), Die Handlungsfähigkeit des Nationalstaats bei der Regulierung der Finanzmärkte. Berlin: Leviathan 38(2), S. 176

[16] Vgl.: Mayntz, Renate (2010), Die Handlungsfähigkeit des Nationalstaats bei der Regulierung der Finanzmärkte. Berlin: Leviathan 38(2), S. 176f.

[17] Gründung der Financial Services Authority (GB) im Jahr 1997 sowie der BaFin (DE) im Jahr 2002

[18] Vgl.: Perez, Sofia und Westrup, Jonathan (2008), Finance and the Macro-economy: The Politics of Regulatory Reform in Europe. Boston: Center for European Studies Working Paper Series #156, S. 1ff.

[19] Zitat: Mayntz, Renate (2010), Die Handlungsfähigkeit des Nationalstaats bei der Regulierung der Finanzmärkte. Berlin: Leviathan 38(2), S. 177

[20] Zitat: Gottwald, Jörn-Carsten (2007), Die politische Gestaltung des europäischen Finanzmarktes. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 57

[21] Zitat: Ebenda. S. 57

[22] Vgl: Ebenda. S. 57f.

[23] Vgl.: Ebenda. S. 59

[24] Vgl.: Ebenda. S. 60

[25] Zitat: Ebenda. S. 60

[26] Vgl.: Perez, Sofia und Westrup, Jonathan (2008), Finance and the Macro-economy: The Politics of Regulatory Reform in Europe. Boston: Center for European Studies Working Paper Series #156, S. 11ff.

[27] Vgl.: Mayntz, Renate (2010), Die Handlungsfähigkeit des Nationalstaats bei der Regulierung der Finanzmärkte. Berlin: Leviathan 38(2), S. 177f.

[28] Zitat: Vgl.: Mayntz, Renate (2010), Die Handlungsfähigkeit des Nationalstaats bei der Regulierung der Finanzmärkte. Berlin: Leviathan 38(2), S. 179

[29] Vgl.: Mayntz, Renate (2010), Die Handlungsfähigkeit des Nationalstaats bei der Regulierung der Finanzmärkte. Berlin: Leviathan 38(2), S. 178f.

[30] Zitat: Gottwald, Jörn-Carsten (2007), Die politische Gestaltung des europäischen Finanzmarktes. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 27

[31] Zitat: Ebenda. S. 27

[32] Zitat: Ebenda. S. 27

[33] Vgl.: Ebenda. S, 27

[34] Vgl.: Perez, Sofia und Westrup, Jonathan (2008), Finance and the Macro-economy: The Politics of Regulatory Reform in Europe. Boston: Center for European Studies Working Paper Series #156, S. 11ff.

[35] Zitat: Mayntz, Renate (2010), Die Handlungsfähigkeit des Nationalstaats bei der Regulierung der Finanzmärkte. Berlin: Leviathan 38(2), S. 176

[36] Vgl.: Ebenda. S. 177

[37] Zitat: Ebenda. S. 36

[38] Vgl.: Ebenda. S. 40

[39] Zitat: Ebenda. S. 37

[40] Vgl.: Ebenda. S. 44f.

[41] Zitat: Ebenda. S. 46

[42] Vgl.: Ebenda. S. 46

[43] In der Regel Unternehmen der Finanzindustrie

[44] Vgl: Ebenda S. 51f.

[45] Vgl.: Wolff, Marvin (2012), Die Problemlösungsfähigkeit der Bankenregulierung im Mehrebenensystem am Beispiel der Eigenkapitalvorschriften des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht. Hannover: Bachelorarbeit am Institut für Politische Wissenschaft, Leibniz Universität Hannover. S. 4

[46] Vgl.: Gottwald, Jörn-Carsten (2007), Die politische Gestaltung des europäischen Finanzmarktes. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 55

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Politische Regulierung der Versicherungswirtschaft durch EU-Richtlinien. Die Beispiele Solvency II und Omnibus II
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
Note
3.0
Autor
Jahr
2016
Seiten
36
Katalognummer
V373199
ISBN (eBook)
9783668524286
ISBN (Buch)
9783668524293
Dateigröße
927 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
politische, regulierung, versicherungswirtschaft, eu-richtlinien, beispiele, solvency, omnibus
Arbeit zitieren
Mosche Orth (Autor:in), 2016, Politische Regulierung der Versicherungswirtschaft durch EU-Richtlinien. Die Beispiele Solvency II und Omnibus II, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/373199

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