Psychische Folgen des Nationalsozialismus an Beispielen ehemaliger KZ-Häftlinge


Diplomarbeit, 2000

184 Seiten, Note: Gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

I. Zielstellung und Aufbau der Arbeit
a. Zielstellung
b. Aufbau der Arbeit

II. Einleitung
a. Geschichtlicher Rückblick
b. Begriffsabgrenzung

III. Ideologie und Rassenwahn im Dritten Reich
a. Verfolgte Gruppen
b. Die Verfolgung der Juden- Der Versuch der Auslöschung eines gesamten Volkes

IV. Das System nationalsozialistischer Konzentrationslager
a. Zahlenmäßige Entwicklung und Verbreitung der Konzentrationslager
b. Die „gesetzlichen“ Grundlagen für die Greueltaten des SS-Apparates
c. Konzentrations- und Vernichtungslager als Ort der Systematisierung von Gewalt und Terror
c.a. Einschüchterungs-, Folter- und Terrormethoden der SS in den Konzentrations- und Vernichtungsöagern
c.a.a. Die Standortwahl der Konzentrationslager
c.a.b. Die Lebensbedingungen im KZ
c.a.c. Der quälende Hunger
c.a.d. Der lagerinterne Normen- und Strafsystem
c.a.e. Angst und Abschottung
c.a.f. Extremer Platzmangel
c.a.g. Entindividualisierung
c.a.h. Die Brechung des Einzelnen
c.a.i. Muselmänner
c.b. Greueltaten in Konzentrations- und Vernichtungslagern – ein Zeugnis menschlicher Inhumanität
c.b.a. Die Arbeit als Foltermethode
c.b.b. Todesmärsche
c.b.c. Medizinische Experimente
c.b.d. Greuel an Kindern
c.b.e. Die Hinrichtung
d. Die Ausbeutung der KZ-Häftlinge für die Industrie

V. Die Lagerorganisation
a. Die Spitze der Hierarchie
b. Das Lagerpersonal
c. Die Verwaltung
d. Das Sanitätswesen
e. Der Politische Sektor
f. Das Bewachungspersonal
g. Die Häftlingsfunktionäre
h. Die Organisation unter den Häftlingen

VI. Das Konzentrationslager Mauthausen
a. Standortwahl
b. Häftlingszusammensetzung
c. Häftlingsidentifikation
d. Mauthausen – ein Lager der Lagerstufe III
e. Räumliche Anordnung und spezielle Einrichtungen des Konzentrationslagers Mauthausen
Abbildung 1
Abbildung 2
Abbildung 3
Abbildung 4
Abbildung 5
Abbildung 6
Abbildung 7
Abbildung 8
Abbildung 9
Abbildung 10
Abbildung 11
Abbildung 12
Abbildung 13
Abbildung 14
Abbildung 15
Abbildung 16
Abbildung 17
Abbildung 18
Abbildung 19
f. Arbeits- und Tagesablauf im KZ Mauthausen
g. Verpflegung der Häftlinge
h. Nebenlager
i. Die Befreiung Mauthausens

VII. Das Leben im KZ und seine Folgen dargestellt an Hand von Interviews mit Betroffenen
a. Forschungleitende Fragen
b. Methodik
c. Persönliche Daten - Charakterisierung der Interviewpartner
d. Auswertung der Interviews vor dem Hintergrund der forschungsleitenden Fragen
e. Zusammenfassende Schlußfolgerungen

VIII. Anhang
a. Interviews mit ehemaligen Kz-Häftlingen
a.a. Irma Trksak
b.b. Dr. Hermann Lein
c.c. Leo Kuhn
d.d. Mag. Kurt Hacker
b. Erklärungen der Fachausdrücke

IX. Quellenangaben
Abbildungen:Abbildung 1
Abbildung 2 Abbildung 3
Abbildung 4
Abbildung 5
Abbildung 6
Abbildung 7
Abbildung 8
Abbildung 9
Abbildung 10
Abbildung 11
Abbildung 12
Abbildung 13
Abbildung 14
Abbildung 15
Abbildung 16
Abbildung 17
Abbildung 18
Abbildung 19

I. Zielstellung und Aufbau der Arbeit

a. Zielstellung

Die vorliegende Arbeit versucht einen Einblick in die Vernichtungsmaschinerie in Form der Konzentrationslager während des Dritten Reiches zu geben. Um dies zu erreichen, gliedert sich die Arbeit in einen theoretischen und einen empirischen Teil. Der theoretische Teil soll vor allem einen Überblick über die Ideologie, die im Dritten Reich herrschte und auf die sich das Phänomen der Konzentrationslager stützte, das System der KZs und die Organisation der Konzentrationslager geben. Dazu wird der erste Teil der Arbeit in vier Kapitel gegliedert.

b. Aufbau der Arbeit

Das erste Kapitel wird sich mit der Ideologie des Dritten Reiches auf die sich das System der Vernichtungslager stütze, befassen. In diesem Kapitel soll vor allem aufgezeigt werden, wie sich Hitlers Rassenwahn äußerte, auf welche Bevölkerungsgruppen er sich bezog und welche Dimensionen er annahm. Der Schwerpunkt wird hier auf dem Endziel der Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa liegen. Darüber hinaus wird auch aufgezeigt werden, daß sich das Ziel der Vernichtungsmaschinerie auch auf andere Gruppen, wie z.B. Russen, Polen und andere Nationalitäten, Homosexuelle, Zigeuner, religiöse Sekten etc. bezog.

Das zweite Kapitel ist dem System der KZs als Vernichtungslager gewidmet. Eine Schlüsselrolle spielte hier die Tatsache, daß der Vernichtungsapparat der SS vor allem ab 1941 einem geradezu industriell betriebenen Massenmord gleichkam. Nachdem auf die Entstehung der KZs mit Anfang 1933 eingegangen wird, wird auch der Tatsache Augenmerk geschenkt werden, daß es anfangs eher politische Häftlinge, später jedoch vorwiegend unerwünschte Bevölkerungs-gruppen waren (die bereits oben erwähnten Gruppen), gegen die sich die „Säuberungsmaßnahmen“ richteten. Auch werden die „gesetzlichen“ Grundlagen beleuchtet, die der nationalsozialistischen Maschinerie die rechtliche Grundlage boten, Menschen willkürlich in die Lager einzuweisen (Verordnungen, die die Polizei zur Schutzhaft ermächtigten, das Ermächtigungsgesetz vom 24.3.1933, das Reichsbürgergesetz, etc.).

Einen weiteren Schwerpunkt dieses Kapitels soll die Tatsache bilden, daß mit Voranschreiten des Krieges immer mehr ausländische Häftlinge aus allen Teilen Europas für die Überflutung der Konzentrationslager sorgten, trotzdem die Todesraten rasant stiegen. Schließlich soll die Rolle der Häftlinge als Arbeitskräfte für die Industrie behandelt werden.

Im dritten Kapitel wird die lagerinterne Organisation der KZs behandelt. Es soll aufgezeigt werden, wie die Lager organisiert waren, welche Hierarchie es beim Bewachungspersonal in den KZs gab, aber auch wie die Lagerleitung für eine Organisation unter den Häftlingen sorgte.

In Kapitel V sollen schließlich die in den ersten drei Kapiteln gemachten Aussagen an dem konkreten Beispiel Mauthausen demonstriert werden.

Der auf den theoretischen folgende empirische Teil stützt sich vor allem auf vier Interviews, die mit ehemaligen KZ-Häftlingen geführt wurden. In den Interviews wird auf die Bedingungen in den KZs, auf die Folgen, die der dortige Aufenthalt auf überlebenden Häftlinge hatte, auf Überlebensstrategien der Häftlinge und auf sonstige Gründe, die für ein Überleben möglicherweise ausschlaggebend waren, wie z.B. Abstammungsgründe, besondere Verhältnisse zum Bewachungs-personal, Solidaritätshandlungen, etc. eingegangen werden. Auch soll versucht werden, mittels der Interviews Information darüber zu gewinnen, inwieweit die Erlebnisse im KZ die Psyche der Betroffenen verändert hatten. Schließlich soll auch abgeklärt werden, inwieweit die Häftlinge mit der Tatsache psychisch belastet waren, daß sie für eine Kriegsmaschinerie, die zu ihrer eigenen Vernichtung beitrug, als Arbeitskräfte eingesetzt wurden.

Zu diesem Zweck werden 7 forschungsleitende Fragen gestellt, die im Anschluß an die Interviews vor dem Hintergrund der Aussagen der Interviewten ausgewertet werden.

Eine zusammenfassende Schlußbetrachtung wird die Arbeit abrunden.

Das äußerst bedrohte Leben verlöscht bis auf eine Sparflamme, die sich nachher meist nicht wieder aufdrehen läßt und deren Licht [...] immer einen begrenzten Schein wirft.

(Armanski)

II. Einleitung

a. Geschichtlicher Rückblick

Ende der 30er Jahre trat das nationalsozialistische Deutschland unter der Führung des Diktators Hitler den Kampf um die Hegemonie in Europa und in der Folge um die Weltherrschaft an. Zuerst wurde unter der deutschnationalen Lösung „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ im März 1938 Österreich militärisch besetzt. Im gleichen Jahr wurden mit Hilfe der Regierungen von Großbritannien, Frankreich und Italien die befestigten Randgebiete der Tschechoslowakei abgetrennt. Im März 1939 wurde das restliche tschechoslowakische Staatsgebilde zerschlagen und die Länder Böhmen und Mähren okkupiert. Als dann unmittelbar nach einem Freundschafts- und Nichtangriffsvertrag (samt geheimen Zusatzabkommen) mit der Sowjetunion (23.8.1939) die deutschen Truppen im Morgengrauen des 1. September 1939 zum Überfall Polens antraten, setzte Hitler-Deutschland eine bewaffnete Auseinandersetzung in Gang, die sich bald zu einem Weltbrand ausbreitete. So begann der bisher blutigste Krieg der Menschheit und die nationalsozialistischen Machthaber begannen sofort die erste Phase ihrer Weltherrschaftspläne zu realisieren: Zuerst erfolgte die „Rückdeutschung der fremdvölkischen“ Polen, dann die „Ausmerzung der bolschewistischen Untermenschen“ und die unter der Bezeichnung „Endlösung der Judenfrage“ stattgefundene Ermordung der europäischen Juden.

In den ersten Jahren des zweiten Weltkrieges besetzten Soldaten der Deutschen Wehrmacht zahlreiche europäische Länder; im Sommer 1941 wurde in einem Vernichtungskrieg die Sowjetunion überfallen. Den Spuren der Militärstiefel folgten in allen okkupierten Ländern die Experten der deutschen Wirtschaft, der Banken und die fanatisierten Organe des nationalsozialistischen Terrorapparates: die Angehörigen der unter dem Zeichen eines Totenkopfes gekennzeichneten Gliederung der NSDAP. Es waren die Männer der Schutzstaffel (SS) als Angehörige der Geheimen Staatspolizei (GESTAPO), des Sicherheitsdienstes (SD), der Exekutionseinheiten (Einsatzkommandos) und als Erbauer von Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslagern. Infiziert von einer rassistischen Wahnidee und einem barbarischen Slawen- und Fremdenhaß hatten diese Organe den Auftrag, erbarmungslos alle Juden, Marxisten und die slawische Intelligenz festzunehmen und entweder sofort zu ermorden oder in den Konzentrationslagern durch den Einsatz für schwerste Arbeiten der Vernichtung zuzuführen (Österreicher in nationalsozialistischen Konzentrationslagern, o. J., S. 2f).

b. Begriffsabgrenzung

Da diese Arbeit dem Phänomen der Konzentrationslager gewidmet ist, soll vorerst abgeklärt werden, was damit gemeint ist. In den Jahren 1933 und 1934 die als die Etablierungsphase des Nationalsozialismus gelten, hatten die Konzentrationslager mehrere Aufgaben. Ihre eindeutige Hauptfunktion war jedoch „die umfassende und möglichst gründliche Ausschaltung des politischen Gegners, die Einschränkung seiner Handlungsmöglichkeiten durch ´Konzentration´ im Lager (Tuchel 1991, S. 5). Der Ausdruck Konzentrationslager entstand also dadurch, daß sämtliche politische Gegner und unerwünschte Gruppen in Lagern konzentriert wurden.

Dieser nüchternen und neutralen Beschreibung der Einrichtung eines Konzentrationslagers fehlt jedoch der Aspekt des Terrors und der Repressionen der Anwendung physischer und psychischer Gewalt, die diese Institutionen verkörperten. Sofsky (1993) (MT, S. 204) bezeichnet die Konzentrationslager als einen Ort des institutionalisierten und habitualisierten Terrors, der einer eigenen extremen Normenwelt des Lagers unterlag. Nach Sofsky gipfelte dieser Terror in der allfälligen Selektion, als beispiellose Situation absoluter Macht, in welcher der einzelne Gewalträger die Serie auf der Drehscheibe des Todes bewegt.

In der „Kurzgeschichte der Konzentrationslager“ wird zwischen Konzentrationslager und Vernichtungslager wie folgt unterschieden: (1) Konzentrationslager: Die im nationalsozialistischen Deutschland (1933 bis 1945) errichteten Konzentrationslager (Abkürzung KZ) waren Sammellager für Zivilgefangene und eines der grausamsten Terrormittel des Hitler-Regimes. Politische Gegner, anfangs vor allem Kommunisten, Sozialisten und Angehörige anderer politischer Parteien, Juden, Priester, Zigeuner sowie nach 1939 Millionen Ausländer wurden ohne Gerichtsverfahren in den Konzentrationslagern inhaftiert. Bis etwa Winter 1941/42 dienten die Konzentrationslager der Aufrechterhaltung des Hitler-Terrors und waren zugleich eine Stätte der Ausbeutung unter sklavenartigen Bedingungen. Nach diesem Zeitpunkt mußten die KZ-Insassen auch noch für die Rüstung der Armee arbeiten. Aus den Konzentrationslagern wurden manchmal einzelne Häftlinge (vorwiegend Deutsche und Österreicher) entlassen.

(2) Vernichtungslager: Außer den Konzentrationslagern gab es auch Vernichtungslager. In diesen, so z.B. in Auschwitz-Birkenau, Treblinka, Sobibor, Kulmhof, Belzec usw. sind Millionen von Juden aus ganz Europa nach (oder ohne) Selektion (Auslese vom Gesichtspunkt des Arbeitseinsatzes) sofort in zu diesem Zwecke installierten Gaskammern ermordet worden. Welches Ausmaß die Verfolgungen unter der nationalsozialistischen Terrorherrschaft angenommen haben, zeigen deutlich die Gesamtzahlen der beim Internationalen Suchdienst des Internationalen Roten Kreuzes in Arolsen bis jetzt festgestellten Lagerhaftstätten (nicht Gefängnisse oder Kriegsgefangenenlager). Es gab in den von deutschen Truppen setzten Gebieten in Europa 1226 Hauptlager, 1011 Neben- oder Außenlager und 114 Vernichtungs- und Judenlager (Kurzgeschichte der Konzentrationslager, o.J., S. 2f).

Seit die Grausamkeiten, die sich in Konzentrations- und Vernichtungslagern ereignet haben, publik geworden sind, hat man sich immer wieder gefragt, wie so viel Unmenschlichkeit möglich war, und um welche Art von Phänomen es sich dabei gehandelt haben kann. So stellt auch Levi, die Frage: „Haben wir der rationalen Durchführung eines unmenschlichen Plans beigewohnt oder einem (in der Geschichte bis jetzt und immer noch unzureichend erklärten) Ausbruch kollektiven Wahnsinns? Einer Logik, die das Böse wollte, oder dem Nichtvorhandensein von Logik? Wie so oft in den Dingen des menschlichen Lebens existieren die Alternativen gleichzeitig“ (Levi, 1990, 107).

Wir werden auch in dieser Arbeit keine eindeutige Antwort auf diese Frage finden; es soll jedoch versucht werden, mit Hilfe der Aufarbeitung diverser Literatur und den im empirischem Teil folgenden Interviews wesentliche Perspektiven des damaligen Geschehens aufzuzeigen.

„Ich kann nicht abseits stehen, weil es für mich abseits kein Glück gibt, wie es ohne Wahrheit kein Glück gibt.“ Hans Scholl, 28.10.1941

„Wie könnte man da von einem Schicksal erwarten, daß es einer gerechten Sache den Sieg gebe, daß sich kaum einer findet, der sich ungeteilt einer gerechten Sache opfert.“ Sophie Scholl, 22.6.1940

III. Ideologie und Rassenwahn im Dritten Reich

Hitlers Ideologie und somit die Ideologie des Dritten Reiches stütze sich auf einen Haß der jüdischen Rasse, und auf eine Reinhaltung der deutschen Rasse, was sich in einer Verfolgung und Vernichtung von Juden und vielen anderen Gruppen äußerte. In den folgenden beiden Abschnitten dieses Kapitels soll ein Überblick über die verfolgten Gruppen und Nationalitäten (erster Abschnitt) und im speziellen über die gnadenlose Verfolgung von Juden (zweiter Abschnitt) gegeben werden.

a. Verfolgte Gruppen

Neben der Verfolgung und geplanten Vernichtung der jüdischen Rasse, auf die im nächsten Abschnitt noch im Detail eingegangen wird, gab es noch eine Vielzahl anderer Gruppen von Menschen, die Hitlers Verfolgung und Repressionen ausgesetzt waren. Bereits im März 1933 errichteten die Nationalsozialisten in leeren Fabrikhallen oder ähnlichen Räumlichkeiten „wilde“ Konzentrationslagern (Bastian, 1994, S. 10). In diesem Zusammenhang schrieb Rudolf Diels, seinerzeit Leiter der Politischen Abteilung des Berliner Polizeipräsidiums, später über jene Tage:

„Nicht nur die Kommunisten, sondern jeder, der sich einmal gegen Hitlers Bewegung ausgesprochen hatte, war gefährdet [...] In diesen Märztagen entstanden die Konzentrationslager in Berlin.“ (Diels, 1950, S. 223).

Trotzdem waren es zu Beginn vor allem politisch anders Gesinnte, die in Konzentrationslagern inhaftiert waren (Hier waren es vor allem die Kommunisten und Sozialdemokraten, die als Staats- und Volksfeind stigmatisiert waren (Tuchel 1991, S. 5. Mit dem Fortschreiten der nationalsozialistischen Herrschaft waren jedoch immer mehr andere Bevölkerungsgruppen von den Verfolgungsmaßnahmen betroffen. Vor allem als das Polizeiwesen unter die SS-Herrschaft und unter die SS-Ideologie unterworfen wurde, änderte sich auch die Funktion der Konzentrationslager. Während im Konzentrationslager Dachau vorwiegend politische Häftlinge inhaftiert waren, brachte die Gestapo als Einweisungsbehörde eine immer größere Anzahl von – wie sie von der SS genannt wurden – Asozialen, daß heißt, Homosexuellen, Zeugen Jehovas, Arbeitsscheuen, Landstreichern und Raufbolden (Bastian, 1994, S. 20f.)

Von Verfolgung waren aber auch „niederwertige Rassen“ (Slawen, Zigeuner und vor allem Juden) betroffen. Sie waren es, die anscheinend auch aufgrund ideologischer Aspekte besonders harter Verfolgung ausgesetzt waren (Kirstein, 1992, S. 27.)

Eine weitere Gruppe, die unter der nationalsozialistischen Ideologie stark zu leiden hatte, waren Kranke und Behinderte. So wurden in der sogenannten Aktion T4,[1] Tausende Geisteskranke und Behinderte ermordet. Offiziell sollte laut einem Erlaß von Adolf Hitler vom Oktober 1939 Menschen, die als unheilbar krank galten, der Gnadentod gewährt werden. In Wahrheit sah die Aktion so aus, daß Gutachter auf Meldebögen ohne weiteres Aktenstudium „ja“ oder „nein“ notierten, wobei „ja“ Vergasung bedeutete. Insgesamt fielen dieser Mordaktion 80.000 bis 100.000 Kranke und Behinderte zum Opfer (Bastian, 1994, S.14f.)

Angehörige gewisser Nationen wurden ebenfalls verfolgt. Die größte und am härtesten verfolgte Gruppe bildeten darunter die Russen. An ihnen wurden zahlreiche Sonderexekutionen in den Konzentrationslagern verübt. Zu dieser Opfergruppe zählten sowohl russische Kriegsgefangene als auch zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppte russische Zivilisten. Eine weitere verfolgte Nationalität waren die Polen. Ihre Exekution wurde zumeist aus politischen oder aus rassischen Gründen angeordnet. Auch Slawen und Tschechen wurden verfolgt (Kirstein, 1992, S.11ff.)

Weiters wurden Kriegsgegner, radikale Schriftsteller und Anwälte, aber auch Priester in die KZs eingewiesen (Wittfogel, 1991S. 219.)

Auch deutsche und österreichische Häftlinge befanden sich in den Konzentrationslagern. Offenbar im Sinne der faschistischen Rassenlehre wurden ihnen jedoch etwas bessere Lebensbedingungen zugebilligt als den übrigen Gefangenen (Österreicher in Nationalsozialistischen Konzentrationslagern, o.J., S. 5).

b. Die Verfolgung der Juden – der Versuch der Auslöschung eines gesamten Volkes

„Zwölftausend Schurken zur rechten Zeit beseitigt, hätte vielleicht einer Million ordentlicher, für die Zukunft wertvoller Deutschen das Leben gerettet“ – so Adolf Hitler in „Mein Kampf“ (S. 772), wobei er sich auf den ersten Weltkrieg bezieht. Mit den „Schurken“ hat Hitler selbstverständlich die Juden gemeint. Somit konnte am Antisemitismus Hitlers niemals auch nur der geringste Zweifel bestehen. Das bereits im Februar 1920 verabschiedete und im Mai 1926 von Adolf Hitler für „unabänderlich“ erklärte Parteiprogramm der NSDAP unter dem vierten seiner 25 Punkte erklärte: „Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksicht auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.“

Im Jänner 1939 sprach Hitler seinen Antisemitismus und seine damit verbundenen Absichten noch deutlicher aus. Er sagte, daß - sollte es zu einem Krieg in Europa kommen - das Ergebnis dieses Krieges „die Vernichtung der jüdische Rasse in Europa“ sein werde (Bastian 1994, S. 9). Bereits am 30. Jänner 1933, am Tag der Machtergreifung, wurden Repressionen gegen jüdische Mitbürger immer offenkundiger. Im März 1933, wurde von der Parteileitung der NSDAP ein landesweiter Boykott von jüdischen Geschäften angeordnet. Im April wurde ein Gesetz erlassen, in dem verfügt wurde, daß Beamte nicht- arischer Abstammung sofort in den Ruhestand zu versetzen seinen. Im Sommer 1935 folgte eine neue Welle, zumeist gewalttätiger Boykottaktionen. 1936 wurde schließlich in einer Denkschrift des Führers am Parteitag ein Gesetz gefordert, das das gesamte Judentum für alle Schäden, die durch „einzelne Exemplare dieses Verbrechertums“ der deutschen Wirtschaft und damit dem deutschen Volk zugefügt werden, haftbar machte. Es folgten im Jahr 1938 die Reichskristallnacht (die Nacht vom 9. auf den 10. November) und „die erste Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben“, der noch andere derartige Anordnungen folgten (Bastian 1994, S. 12f.)

Wie es zu dem ausufernden Antisemitismus in der Mitte dieses Jahrhunderts kommen konnte, ist ein Thema, dem sich nach wie vor Historiker widmen. Armanski sieht die Gründe wie folgt:

„Infolge der Kränkung etwa durch die eigene inferiore Position oder das Fehlen, die Hintansetzung oder die Niederlage der eigenen Nation entstand mit der Romantik bei Intellektuellen und in kleinbürgerlichen Schichten eine deutsch-völkische Identität(ssuche), die im Juden als behaupteten Fremden schlechthin immer wieder einen Sündenbock für die eigene Malaise und ein Ventil der introjizierten Aggression fand“ (Armanski 1993, S.45).

Die deutsche Gründlichkeit, mit der Deutschland von den Juden „gereinigt“ wurde, kann leicht an Zahlen abgelesen werden. Im Januar 1933 lag die Zahl der in Deutschland lebenden Juden bei der damaligen Volkszählung noch bei 525.000 Menschen. Laut Volkszählung vom Mai 1939 lebten 214.000 Juden in Deutschland, deren Zahl – weit überwiegend durch Auswanderung – bis Kriegsausbruch auf 185.000 und bis zum Auswanderungsverbot vom Oktober 1941 nochmals auf ca. 90.000 Menschen absank. Ab 1941 wurden die noch in Deutschland lebenden Juden dann in die Vernichtungslager deportiert. Und so kam es zum letzten Akt im Drama eines sorgfältig geplanten Massenmordes: Im Jahre 1941 begann eine Vernichtungsmaschinerie ihren Betrieb, wie sie die Welt noch nie zuvor gesehen hatte (Bastian 1994, S.14).

Wenngleich die Juden auch als Arbeitskräfte eingesetzt wurden (vgl. dazu vor allem Abschnitt 3.4.), so waren sie letzt endlich doch zur Vernichtung bestimmt:

„Das RSHA war immer für die restlose Beseitigung aller Juden, sah in jedem neuen Tausend Arbeitsfähiger die Gefahr der Befreiung, das am Lebenbleiben durch irgendwelche Umstände.[...] Das RSHA lieferte Häftlinge ein mit dem Endziel der Vernichtung; ob sofort durch Exekution oder durch die Gaskammer oder ob etwas langsamer durch Seuchen [...] blieb sich gleich. Das WVHA wollte die Häftlinge erhalten für die Rüstung (Höß im November 1946, zitiert nach Broszat, Stuttgart 1961, S. 138).

Sehr bedrückend in diesem Zusammenhang war auch die Tatsache, daß die gesamte Welt zusah, und nichts tat bzw. teilweise auch nichts tun konnte. So schrieb Churchill, als er im Juni 1944 erfuhr, daß jetzt täglich 10. 000 bis 12. 000 ungarische Juden nach Auschwitz deportiert wurden, in ratloser Verzweiflung an den Rand eines Berichts: „Was können wir tun? Was können wir sagen?“ (Graml 1988, S. 249). Da sich die deutsche Nation ohnehin schon mit mehreren Ländern, so auch den USA, im Kriegszustand befand, war dem Rest der Welt die Hände gebunden, da die deutsche Führung mit keinerlei Drohungen eingeschüchtert werden konnte.

[...]


[1] Die Aktion trug diese Bezeichnung, weil die zentrale Planung in einer Villa in der Berliner Tiergartenstraße, Nr.4, erfolgt war.

Ende der Leseprobe aus 184 Seiten

Details

Titel
Psychische Folgen des Nationalsozialismus an Beispielen ehemaliger KZ-Häftlinge
Hochschule
Universität Wien  (Politikwissenschaft)
Note
Gut
Autor
Jahr
2000
Seiten
184
Katalognummer
V37259
ISBN (eBook)
9783638366564
Dateigröße
1827 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Psychische, Folgen, Nationalsozialismus, Beispielen, KZ-Häftlinge
Arbeit zitieren
Mag. Karin Stepanek (Autor:in), 2000, Psychische Folgen des Nationalsozialismus an Beispielen ehemaliger KZ-Häftlinge, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/37259

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