Zukunftsfähige Arbeit in einem neuen Wirtschaftssystem


Essay, 2001

20 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

Einstieg

Arbeit und Ökologie

Arbeit und sozialpsychologische Gesichtspunkte

Wirtschaftsdemokratie und politökonomische Veränderungen

Im Essay verwendete Literatur:

Einstieg

Daß die Werkzeuge zur Arbeitstätigkeit die wichtigsten Insignien des frühen Menschen wären und den sich aus dem archaischen Zustand heraus entwickelnden Menschen charakterisieren, wird immer wieder zu Unrecht angenommen. Sehr viel wahrscheinlicher ist, die sozialen Aktivitäten des Rituals, der Sprache trugen weit mehr zur Entwicklung der Gattung Mensch bei, als der Gebrauch von Werkzeugen. Lewis Mumford meint, die Herstellung und Verwendung von Werkzeugen blieb für lange Zeit, im Vergleich zu zeremoniellen Handlungen und der Sprachentwicklung, rückständig. Soziale Solidarität spielte eine große Rolle[i]. Friedrich Engels behält sicher nach wie vor recht, wenn er rohe urkommunistische Züge feststellt. Analoge Hinweise erhält man auch aus der Matriarchatsforschung, wie sie z.B. von Heide-Göttner-Abendroth vorgestellt wird. Die heutigen Gesellschaften gingen aus diesen Formationen von Gentilordnung ja ursprünglich hervor.

Die Tragik der Zivilisation besteht darin, die Proportionen völlig umgekehrt zu haben. Die Entwicklung der Technosphäre, des ursprünglichen Benutzens von Werkzeugen nahm ein Maß an, nicht zuletzt im zurückliegenden Jahrhundert, das die Balance zwischen technisch-materieller Infrastruktur und den menschlichen, den seelisch-kulturellen Eigenressourcen in erheblichem Maße zerstört hat. Die geistige Entwicklung, die Kompetenzen der Solidarität sind gegenüber denen der Technosphäre weitgehend zurückgeblieben, haben sich in weit geringerem Maße erneuert, sind möglicherweise in manchen Punkten auch rückläufig, worauf Erich Fromm zu Recht aufmerksam macht.[ii]

Die Problematik der Arbeit ruht auf dieser Grundsituation auf. Der Mensch mußte auf das heutige Arbeiten im Laufe der Geschichte erst zugerichtet werden, durch diejenigen, die über ausreichend Vermittlungsmacht verfügten in den real existierenden sozioökonomischen Bedingungen. Der Erfolg dieser Auffassung von Arbeit konnte sich aber nur etablieren, weil er auch durch die einzelnen Menschen selbst, in ihrer Mehrzahl jedenfalls, mitgetragen wurde, und nicht völlig gegen sie durchgesetzt werden mußte. Das eigene Interesse am finanziellen Erfolg, an der Absicherung der eigenen Familie, sorgte vermutlich sehr stark dafür, daß diese Option an Boden gewann. Wer sich die Konflikte am Ausgang des Mittelalters in Europa anschaut, wird sehr schnell feststellen, die Erfahrungen der bisherigen Arbeitsrhythmen ließen sich nur sehr zögerlich abbauen. Man kann dies sehr schön daran sehen z. B., wie schwer es war, genauere Zeiteinteilungen für zu leistende Arbeit einzuführen.

Mit dem Aufkommen kapitalistischer Wettbewerbswirtschaft beginnt sich unser moderner Zeitbegriff zu entwickeln, die Minuten wurden kostbar. Man betrachtete die allzuvielen Feiertage als Unglück, die Arbeit stieg zum höchsten Wert auf, die Tüchtigkeit zählte immer mehr.[iii] Jedoch setzte sich dieser Zug nicht widerstandslos durch, erst die Wirkmächtigkeit der neuen kapitalgetriebenen Produktivkräfte vermittelte ihm im Laufe der Zeit die nötige Schubkraft. Ein Blick auf die chinesische Feudalordnung macht darauf aufmerksam, ihr fehlte beispielsweise dieses Zusammenspiel gesellschaftlicher Kräfte und Ereignisse, das in Europa den Weg für die kapitalistische Formation bahnte.

All dies zeigt, unsere Auffassungen zum Thema Arbeit findet schon von dem geschichtlichen Hervorgehen aus gesehen, vielerlei Umstellungen und Verstellungen, von denen wir uns so weit wie möglich frei machen sollten, wenn wir befragen, wie wir in einer zukünftigen Gesellschaftsordnung Arbeit und die politökonomische Einfassung optimal verortet sehen wollen, welche Varianten denkbar sind.

Arbeit und Ökologie

Gehen wir jetzt in die Gegenwart, dann setzt uns die ökologische Stabilität den Rahmen, innerhalb derer Arbeit überhaupt noch stattfinden darf und vor allen Dingen welche Arbeit noch Legitimität im Sinne von Zukunftsfähigkeit besitzt. Über das Maß für ökologisches Arbeiten und Wirtschaften herrscht heute mehr Konfusion als Klarheit, wenn wir von einigen allgemeinen Eckdaten, wie Kohlendioxidreduktion, weniger Bodenversiegelung oder Verringerung des Energie- und Rohstoffeinsatzes beim Herstellungsprozeß mal absehen wollen. Die erforderlichen quantitativen Veränderungen werden dann doch sehr verschieden eingeschätzt.

Dabei können wir selbstverständlich z.B. die amerikanische Position, etwa von Präsident Bush Junior, getrost als eine Politik staatlich organisierter Kriminalität ignorieren. Obwohl die USA weltweit für 25% der Kohlendioxidemissionen verantwortlich sind, scheint man dort weiter auf dem Negativtitel „Land der unbegrenzten Energieverschwendung“ zu beharren, um dem eigenen Wirtschaftsfundamentalismus zu frönen. Bush läßt wissen: Das Gewinnstreben der nationalen Wirtschaft geht vor Umweltvorsorge.

Die Schwierigkeit beginnt dort, wo wir über Selbstbegrenzung zu reden haben und deren Ausmaße, bezogen auf das globale Ganze und dann natürlich auch aufgegliedert auf die einzelnen Produkte und ihre Herstellungsorte. Die Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ hält fest, in den reichen Ländern hätten wir bis 2050 90% des Treibhausgases CO2 zu reduzieren und ebenfalls um 90 % den Verbrauch von nicht erneuerbaren Ressourcen. Dabei wird davon ausgegangen, in Ländern, wo elementar soziales Elend herrscht, muß zumindest soviel Entwicklungsraum sein, dieses zu beseitigen, ohne das westliche Entwicklungsmodell jedoch nachzubauen. Berücksichtigt werden muß auch das starke Bevölkerungswachstum in vielen „Drittewelt“staaten.[iv]

Unterm Strich kommt man global gesehen auf eine Kohlendioxidreduktion von 50 %. Nun ist die spannende Frage, wird das ausreichen? Jeden Tag schicken wir um die 100 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre, und was davon bis in die oberen Luftschichten gelangt, bleibt dort ungefähr 100 Jahre klimawirksam. Wir packen also auf die bestehende Last jedes Jahr noch ein gigantisches Paket an Klimagasen drauf. Es ist wenig überzeugend, wenn wir nun in 50 Jahren erst nach und nach nur noch 50 Millionen Tonnen CO2 jeden Tag in die Luft blasen, daß dies uns ökologische Stabilität garantieren könnte. Diese Sicht dürfte sich als sehr blauäugig herausstellen. Dies ist nur eines von vielen Indizien, daß wir es uns nicht zu einfach machen dürfen, wenn wir uns über die Begrenzung unserer Arbeitsgesellschaft und die Abmaße dabei verständigen wollen.

Aber was bedeutet ökologische Krise bezogen auf die Arbeitsgesellschaft? Wir müssen sehen, daß jede Arbeitstätigkeit mit nicht erwünschten Effekten verbunden ist, also zum Beispiel die Klimakatastrophe vorbereitet, das Waldsterben fördert und den Artenschwund weiter vorantreibt. Beim Joghurt oder Käse wird, vermittelt über die Massentierhaltung, das hochwirksame Treibhausgas Methan freigesetzt. Werden die Waren quer durch die Republik gefahren oder gar quer durch die Europäische Union, hängt ebenfalls Klimathema und das Waldsterben daran. Fast alle Güter, die wir heute im Geschäft oder bei einer Firma kaufen können, die also vorher in einem Arbeitsprozeß hergestellt wurden, haben ihren spezifischen ökologischen Rucksack. Jedes Arbeitsprodukt in der Industriegesellschaft ist mit ökologischen Zerstörungskapazitäten verkoppelt, wenngleich das Ausmaß sehr verschieden sein kann. Wird das Fernsehgerät insgesamt im eigenen Land hergestellt, statt in China, Japan und USA zugleich, verbunden mit enormen Transportwegen, kann die ökologische Bilanz des im eigenen Lande fabrizierten Geräts sehr deutlich günstiger ausfallen. Nur darf man sich aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch diese Geräte enorme Belastungen für die Naturkreisläufe darstellen, ebenso wie die Autoflut und die vielen anderen Dinge, die wir aufgrund unseres Lebensstandartes beim Arbeiten und Konsumieren vernutzen. Die Grundlast unserer Industriegesellschaft ist um mehrere Größenordnungen zu hoch. Friedrich Schmidt-Bleek spricht davon, wir müßten unsere Gesellschaft um etwa den Faktor zehn dematerialisieren, mit der Option, diesen Prozeß über viele weitere Jahrzehnte hinweg fortzuschreiben.[v] Überdies brauchen wir im Energiebereich etwa ähnlich drastische Einsparungen und müssen die Energie, die noch benötigt wird, über solare Energieerzeugung, wie Photovoltaik, Wasser- und Windkraft sowie in begrenztem Maße über Biomasse gewinnen. Auf einen ausgewogenen Mix kommt es an. Das bedeutet natürlich einschneidende Konsequenzen für unsere Arbeitsgesellschaft.

Klar hervorgehoben sei noch mal: Wenn es nicht gelingt, im Laufe der nächsten Jahrzehnte eine ökologische Zeitenwende als gesellschaftlichen Prozeß zu etablieren, haben wir keine Chance mehr, eine Ordnung mit humanistischen Eckpfeilern zu erhalten. Wir werden dann damit zu tun haben, die schlimmsten Auswüchse von krisendurchsetzten Entwicklungen abzuwehren. Barbarische Formen von Arbeitsverhältnissen sind vorstellbar, ebenso wie die Aufgabe jeglicher ordnenden Funktion des Gemeinwesens. Die ökologische Tragekapazität zu erhalten, ist die entscheidende Vorbedingung, damit sinnerfülltes Arbeiten möglich wird. Heute haben wir eine Situation, wo der materielle Charakter unserer Arbeitstätigkeit sich wie ein tödliches Netz über alle Lebensfunktionen der Gesellschaft legt. Von diesem Gefangensein müssen wir uns befreien, und da stehen alle geistigen und materiellen Strukturen zur Debatte, die die Rettung unserer Kultur verhindern und verzögern. Das bedeutet, wir müssen uns auf eine radikale Umgestaltung unserer Lebenszusammenhänge einstellen und diesen Prozeß selbst aktiv befördern.

Arbeit und sozialpsychologische Gesichtspunkte

In einem nächsten Schritt sei die seelisch-geistige Dimension des Arbeitens betrachtet. Über eine Milliarde Menschen sind auf dem Erdball arbeitslos[vi], wenn wir in konventionellen Kategorien von Arbeitstätigkeit argumentieren. Aber ist es wirklich die Lösung des Problems, wenn wir fast alle in abhängiger Beschäftigung eingebunden sind und eine kleine Minderheit sich daran bereichert, selbst wenn der Staat einiges umverteilt? Wie wollen wir arbeiten, welche Arbeitswelten fördern seelische Gesundheit und erhalten uns die biosphärische Stabilität? Führen wir die Arbeit aus, die unserem eigenen Wesen angemessen ist, ihm entspricht?

[...]


[i] Lewis Mumford; Mythos der Maschine. Kultur, Technik und Macht. Die umfassende Darstellung Entdeckung und Entwicklung der Technik, Frankfurt am Main, 1986, S.82

[ii] Erich Fromm; Sich nicht vom Schein trügen lassen; in: Rainer Funk, Marko Ferst, Burkhard Bierhoff; Erich Fromm als Vordenker. Haben oder Sein im Zeitalter der ökologischen Krise, Berlin 2001

[iii] Erich Fromm; Die Frucht vor der Freiheit, München, 1991, S.48

[iv] Bleischwitz, Reimund/ Loske, Reinhard u.a. (Hrsg. BUND, Misereor); Zukunftsfähiges Deutschland. Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung, Basel, Boston, Berlin, 1996, S.58

[v] Friedrich Schmidt-Bleek; Wieviel Umwelt braucht der Mensch? mips. Das Maß für ökologisches Wirtschaften, Berlin, Basel, Bosten, 1993, S.168, 228

[vi] Matthew Fox; Revolution der Arbeit. Damit alle sinnvoll leben und arbeiten können, München, 1996, S.14

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Zukunftsfähige Arbeit in einem neuen Wirtschaftssystem
Hochschule
Freie Universität Berlin  (OSI)
Veranstaltung
Proseminar: Macht und Herrschaft in der Arbeitswelt
Note
2,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
20
Katalognummer
V3717
ISBN (eBook)
9783638122993
Dateigröße
543 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Der wissenschaftliche Essay ist erschienen in dem Band: Erich Fromm als Vordenker, 2002, www.umweltdebatte.de
Schlagworte
Arbeit, Ökolgie, Sozialpsychologie, Sozioökonomie
Arbeit zitieren
Marko Ferst (Autor:in), 2001, Zukunftsfähige Arbeit in einem neuen Wirtschaftssystem, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3717

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