Die Pestordnungen des 17. und 18. Jahrhunderts als Wegbereiter des modernen Gesundheitswesens?

Struktureller Aufbau von Pestordnungen in Preußen


Hausarbeit, 2015

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Pestordnungen – Inhalt und Veränderungen vom 14. bis 18. Jahrhundert
2.1 Pestordnungen im 14. Jahrhundert
2.2 Pestordnungen im 16. Jahrhundert
2.3 Pestordnungen im 17./18. Jahrhundert

3. Gesundheitswesen
3.1 Definition Gesundheitswesen

4. Preußische Rechtsquellen
4.1 Vorsorge (1664-1729)
4.1.1 Vorsorge in den Jahren 1664-1680
4.1.2 Vorsorge im Jahr 1709
4.1.3 Vorsorge im Jahr 1729
4.2 Fürsorge (1709-1729)
4.2.1 Fürsorge im Jahr 1709
4.2.2 Fürsorge im Jahr 1729
4.3 Nachsorge (1709-1729)
4.3.1 Nachsorge im Jahr 1709
4.3.2 Nachsorge im Jahr 1729

5. Fazit

Quellen und Literatur

Quellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Ende 2014 meldete die Weltgesundheitsorganisation den erneuten Ausbruch der Pest in Madagaskar.[1] Bereits in den Jahren zuvor hatte die Insel an der Ostküste Afrikas mit der Infektionskrankheit zu kämpfen gehabt (so z.B. 2009 und Anfang 2011[2] ). Die Pest ist keinesfalls besiegt. Was aber festgehalten werden kann, ist die Tatsache, dass im Vergleich zu den drei großen Pestepidemien die Sterbezahlen deutlich geringer geworden sind. Starben vor 1348/49 noch ca. 25 Millionen Menschen weltweit an der Pest[3], so zählte die Weltgesundheitsorganisation im Jahr 2014 weltweit nur noch 1000 bis 2000 Pestfälle.[4] In Madagaskar fordert sie beispielsweise nur noch einige hundert Todesopfer.[5] Für die Bekämpfung einer Infektionskrankheit spielt auf nationaler (z.B. in Deutschland) sowie internationaler (Weltgesundheitsorganisation) Ebene insbesondere die Vor-, Für-, und Nachsorge eine große Rolle. Das ist aber nicht nur im 21. Jahrhundert so.

Bereits im 16. Jahrhundert wurden in Preußen erste Schritte unternommen, die Vorsorge zu etablieren, um das Wohlbefinden der Staatsbürger zu erhalten. Dazu wurden Verordnungen hinsichtlich der Kontrolle von „Heilanstalten, Apotheken und Arzneipreise[n]“ von Johann Georg (1525-1598), Kurfürst von Brandenburg, erlassen.[6] Am 12. November 1685 befehligte Friedrich Wilhelm, Markgraf von Brandenburg, Erzkämmerer und Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches sowie Herzog von Preußen, in einem Medizinaledikt eine zentrale Behörde einzurichten: Das Consilium medicum. Zu den vorherigen Verordnungen von Johann Georg kam die Kontrolle (diese umschloss die Prüfung und Aufsicht) des ganzen Heilpersonals, die Kontrolle der Verschreibung und Verteilung von Arzneimitteln und die Kontrolle der Kurpfuscherei (alternative Heilmittel) hinzu.[7]

Interessant ist nun, dass in der Sammlung Preußischer Rechtsquellen im fünften Teil des Corporis Constitutionem Marchicarum im zweiten Kapitel („Von Pest-Ordnungen und dahin gehörigen Sachen“) der vierten Abteilung die Ausbreitung der Pest in den Nachbarländern Preußens 1664 erwähnt wird[8] und 1719 zusätzlich zum Collegium medicum ein Collegium sanitatis gegründet wurde, das sich „den Aufgabenbereichen Seuchenbekämpfung und Sanitätspolizei“[9] widmete. Laut Robert Jütte, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Stuttgart, waren Collegium medicum und Collegium sanitatis in ihrer Funktion als Medizinalkollegien „Vorläufer unserer modernen Gesundheitsbehörden“.[10] 1725, ebenfalls noch in dem Zeitraum, in dem die Pest in Preußen wütete, wurde ein Medizinaledikt erlassen, welches sich, Moritz Pistor (1835-1924; deutscher Arzt) zufolge, als „Grundlage der […] preußischen Medizinal-Verfassung“[11] bezeichnen lässt. Das lässt vermuten, dass für die Bekämpfung einer Infektionskrankheit über die Jahrhunderte hinweg also immer wieder die Gründung von Einrichtungen und das Erlassen von Ordnungen gegen ihre Verbreitung eine große Rolle spielten. Anhand dieser Verkettungen, deren zeitliche Abfolge auf eine Entwicklung hindeutet, ergibt sich die Frage: Inwiefern können die Pestordnungen des 17. und 18. Jahrhunderts als Wegbereiter des Gesundheitswesens angesehen werden?

Zunächst werde ich meine Fragestellung kontextualisieren, indem ich einen kurzen Überblick zum Inhalt von Pestordnungen und deren Veränderung im 14., 16. und schließlich im 17. und 18. Jahrhundert gebe. Danach erfolgt eine kurze Definition des Begriffes Gesundheitswesen, die aus dem Jahre 2007 stammt, um einen Ausblick geben zu können, welche Aufgaben ein Gesundheitswesen heutzutage hat. Im Fokus des dritten Teils steht die Betrachtung der ergriffenen Maßnahmen zur Vor-, Für- und Nachsorge der Pest in der Frühen Neuzeit in Preußen. Dafür werde ich mich thematisch geordnet auf umfangreiche Quellen der Sammlung Preußischer Rechtsquellen Corpus Constitutionum Marchicarum (1737-1755), herausgegeben von Christian Otto Mylius in Berlin und Halle, die eine Ansammlung von Edikten, Reglements und Ordnungen enthält, stützen. Der gewählte Zeitraum ist Mitte des 17. bis Mitte des 18. Jahrhunderts, spezifischer die Jahre 1664-1680, 1709 und 1729, da die Quellen aus diesem Zeitraum besonders ergiebig für die Untersuchung der ersten Sprösse des Gesundheitswesens in Preußen sind. Die Quellen, die ich zur Untersuchung herangezogen habe, stammen jeweils von drei unterschiedlichen Markgrafen von Brandenburg: Friedrich Wilhelm der Große Kurfürst (1620-1688), Friedrich I. König in Preußen (1657-1713) und dessen Nachfolger Friedrich Wilhelm I. (1688-1740), da so ein allmählicher Wandel verdeutlicht werden kann. Auf den Punkten eins bis vier aufbauend, werde ich zum Schluss bewerten, inwieweit die Pestordnungen des 17. und 18. Jahrhunderts als Wegbereiter des Gesundheitswesens in Preußen erachtet werden können.

Nicht ausführlicher beschäftigen werde ich mich mit dem sprachlichen Aufbau der Pestordnungen, den Entwicklungen im Gesundheitswesen für das Vieh, weiteren Seuchen, die zu einer Etablierung des Gesundheitswesens beigetragen haben könnten, einen anderen Zeitrahmen als die Mitte des 17. bis die Mitte des 18. Jahrhunderts oder die Bedeutung der Aufklärung für das Gesundheitswesen da dies den Rahmen dieser Hausarbeit übersteigen würde.

2. Pestordnungen – Inhalt und Veränderungen vom 14. bis 18. Jahrhundert

2.1 Pestordnungen im 14. Jahrhundert

Im 14. Jahrhundert wurden besonders in italienischen Städten vielerlei Maßnahmen präventiver Art ergriffen, die ihre Triebfeder in der Miasmen-Theorie fanden. Dazu zählten die Isolierung sowohl von kranken Menschen als auch solchen, die lediglich im Verdacht der Seuche standen, das Ausräuchern von Häusern, das Benutzen von Duftwässern und das Tragen von Schutzmasken, um die schlechten Gerüche abzuhalten und zu vertreiben. Des Weiteren das Säubern der Straßen und das Verriegeln von Häusern, in denen Infizierte wohnten.[12] Als wirksamstes Mittel gegen die Pest galt die „Flucht aus den verpesteten Gebieten“[13].

2.2 Pestordnungen im 16. Jahrhundert

Im Jahre 1549 wurde auf Geheiß des Bürgermeisters und Rates von Königsberg, welches seit 1724 die Königliche Haupt- und Residenzstadt in Preußen war, ein Pestbuch vom deutschen Arzt Andreas Aurifaber publiziert. Er spezifizierte die Maßnahmen, indem er sie in „vorbeugende öffentliche Maßnahmen“ und „individuelle vorbeugende Maßnahmen“ unterteilte.[14]

Zu den vorbeugenden öffentliche Maßnahmen gehörte wenig das Haus zu verlassen und jegliche Feierlichkeiten zu untersagen, das Verbot, die Nachttöpfe auszugießen und die Aufforderung durch Räucherungen die üblen Gerüche zu vertreiben.[15]
Zu den individuellen vorbeugenden Maßnahmen zählte das Tragen von „Holzbüchsen mit Schwämmen, die mit Riechstoffen getränkt“ waren, die Kontrolle des Gewichts durch „Diät“ oder „Abführen“ sowie „Aderlässe“. Die Menschen sollten sich „nicht baden“, sondern lediglich „Abreibungen mit warmen Tüchern […] vornehmen“. Auch zu den Ruhezeiten wurden besondere Verordnungen angeführt: „höchstens sieben Stunden Schlaf, höchstens eine Stunde Mittagsruhe“.[16]

Es werden zahlreiche Ordnungen zur Vorsorge genannt, die Für- und Nachsorge bleiben hierbei weitestgehend aus. Aurifaber erklärt dies so: „Es ist recht und wohl gesagt […], es sey rhümlicher und heilsamer, das man praeserviret, als curiert“(!)[17]. Wer also genügend Vorsorge leistet, müsse sich nicht mit der Für- oder Nachsorge auseinandersetzen.

2.3 Pestordnungen im 17./18. Jahrhundert

Vergleicht man die Ordnungen aus dem 14. Jahrhundert mit denen aus dem 16. und schließlich dem 17. und 18. Jahrhundert, wird erkennbar, dass viele Ähnlichkeiten der späteren mit den früheren Ordnungen bestehen. Im 14. und 16. Jahrhundert wurden jedoch überwiegend Maßnahmen zur Vorsorge ergriffen. So bleibt die Vermutung, dass man erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts begann, sich auch mit der Für- und Nachsorge, die zentrale Säulen eines Gesundheitswesens darstellen, zu beschäftigen und eben dieses erst im 17. und 18. Jahrhundert vorangetrieben wurde.

3. Gesundheitswesen

Als Fortführung der in Punkt 2.3 genannten Vermutung und damit auch im Hinblick auf die Wider- oder Belegung der in dieser Arbeit vorgestellten These, erfolgt zunächst eine Definition des Begriffes Gesundheitswesen, um anhand dieser deutlich zu machen, weshalb der Schwerpunkt im weiteren Verlauf auf die Untersuchung der Vor-, Für-, und Nachsorge gelegt wird.

3.1 Definition Gesundheitswesen

Der Begriff Gesundheitswesen definiert die „Gesamtheit der Einrichtungen und Personen, welche die Gesundheit der Bevölkerung fördern, erhalten und wiederherstellen sollen“.[18] Das Gesundheitswesen beschäftigt sich also mit der Vor-, Für- und Nachsorge der Gesundheit der Bevölkerung.

4. Preußische Rechtsquellen

Im weiteren Verlauf werde ich die Ordnungen in die Bereiche Vor-, Für-, und Nachsorge unterteilen und innerhalb dieser Subkategorien zu den drei gewählten Zeitperioden bilden, um einen allmählichen Wandel zu verdeutlichen. Dafür werde ich mich auf umfangreiche Quellen der Sammlung Preußischer Rechtsquellen Corporis Constitutionum Marchicarum (1737-1755), herausgegeben von Christian Otto Mylius in Berlin und Halle, stützen.

Der gewählte Zeitraum ist Mitte des 17. bis Mitte des 18. Jahrhunderts, da die Quellen aus diesem Zeitraum besonders ergiebig für die Untersuchung der ersten Sprösse des Gesundheitswesens in Preußen sind und ein allmählicher Wandel deutlich wird. Der Übersichtlichkeit halber seien vorab die äußeren Kriterien der informativsten und daher für mich wesentlichsten Quellen genannt.

Die Adressaten sind in allen Quellen die Staatsbürger der Kurmark und Mark Brandenburg. Die Quellen stellen Ordnungen auf, welche einer Ausbreitung der Pest entgegenwirken sollen. Gemeinsam haben sie u.a. das L.S., also den Hinweis locus sigilii, der auf den Platz hinweist, an dem das Siegel bei der Originalausgabe zu finden ist. Mit diesem Hinweis wird auf einen Abdruck der originalen Verordnung hingewiesen. Die Originalquellen wurden ursprünglich einzeln veröffentlich und später in der Sammlung zusammengetragen.

Die ersten drei Quellen zu den Jahren 1664-1680 wurden jeweils von Friedrich Wilhelm, Markgraf von Brandenburg, Erzkämmerer und Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches (HRR) sowie Herzog von Preußen, in Köln an der Spree gegengezeichnet. Das Patent No. I. Pest-Patent, daß keine Waaren noch Personen von infi-cirten Orten ins Land einzulassen.(!) v om 31.07.1664 und das Edikt No. II. Edict, daß in denen Residenzien und Vorstädten keine von inficirten Orten kommende Personen oder Sachen aufzunehmen, bey Staupenschlägen und ewiger Landes=Verweisung.(!) vom 08.09.1680 beschäftigen sich beide mit den Regelungen für Waren und Personen von infizierten Orten. Die dritte Quelle Patent, daß niemand von Fremden und Reisenden an ungewöhnlichen Passagen über die Ströhme sich übersetzen lassen, noch sonst einiger Schleiff=Wege bedienen solle.(!) vom 30.10.1680 ist ein Patent, in dem sich den Fremden und Reisenden gewidmet wird. Alle drei sind im Corpus Constitutionum Marchicarum (CCM) im 5. Teil, der 4. Abteilung im 1. Kapitel von Medicinal-Sachen(!) zu finden.

Die nächste Quelle wurde von König Friedrich I. und I.M.H. Blaspil in Köln an der Spree gegengezeichnet. Es handelt sich um ein Reglement No. XVI. […] wie es bey jetzigen gefährlichen Pest=Läufften in Städten, Flecken und Dörffern soll gehalten werden. Nebst einem dienlichen Consilio Medico.(!) vom 14.11.1709, das Vorschriften zum Verhalten in Städten, Flecken und Dörfern und ein Consilio Medico beinhaltet. Die Quelle ist im CCM im 5. Teil, der 4. Abteilung im 2. Kapitel Von Pest=Sachen(!) zu finden.

Die fünfte Quelle No. XXVII. Erneuertes Edict wegen der Vieh=Seuche, und was vor Anstalten dagegen zu machen.(!) ist ein am 24.12.1729 verfasstes Edikt samt Anlagen (No. I. und II.), das sich dem vorschriftsmäßigen Verhalten bei einer Viehseuche widmet. Es wurde sowohl von König Friedrich Wilhelm I. als auch Schlippenbach in Berlin gegengezeichnet. Die Quelle ist im CCM im 5. Teil, der 4. Abteilung im 3. Kapitel Vom Vieh-Sterben zu finden.

4.1 Vorsorge (1664-1729)

4.1.1 Vorsorge in den Jahren 1664-1680

In den ersten Ordnungen zur Pest von Friedrich Wilhelm werden überwiegend Maßnahmen hinsichtlich der Isolation ergriffen. Im Pest-Patent vom 31. Juli 1664 betreffen diese Maßnahmen insbesondere die Grenzgebiete. Es wird veranlasst, dass die Ein- und Ausreise kontrolliert und eingegrenzt wird, indem keine Reisenden aus Seuchengebieten oder Gebieten, die im Verdacht der Seuche stehen, „durchgelassen werden“[19] und auch niemand an „solche verdächtige[n] Oerter [reist]“(!)[20]. Zudem durften keine „Erbschafften oder andere Waare[n] […] ins Land [gebracht werden]“(!)[21]. Häuser, in denen ein Pestfall auftrat, sollten vernagelt und eine Ein- und Ausgangssperre verhängt werden.[22] Die Häuser wurden also versiegelt und die darin befindlichen Kranken von der Kommunikation mit gesunden Menschen abgehalten. Am 8. September 1680 wurde erneut eine Ordnung zur Ein- und Ausreise erlassen. Es sollten „keine von inficirten Orten kommende Personen oder Sachen auf[genommen], oder [beherbergt werden]“(!)[23]. Dies sollte unter Androhung von Strafe gewährleistet werden.[24] Bei Unsicherheiten, ob die Person von einem gesunden Ort kam oder nicht, mussten die Pässe „dem Magistrat jedes Orts zuforderst vor[gezeigt], und deren Bescheides [gewartet werden]“(!)[25]. Zudem sollte niemand ohne Pass aufgenommen werden. Beinahe eineinhalb Monate später, am 30. Oktober, wurde die Kontrolle noch einmal verschärft. Die Beamten und Zollverwalter waren verpflichtet, „[sich] aufs genaueste nach eines jeden Orts Zu=stand [zu] erkundigen und da sie das allergeringste vermercken, dass die Contagion einiger Orten sich eingeschlichen, aufs Schleunigste unterthänigst anhero berichten sollen.“(!)[26] Somit bestand für sie Meldepflicht. Parallel dazu wurden die Bestimmungen zur Ein- und Ausreise spezifiziert. Wachen sollten dafür sorgen, dass „niemand verdächtiges durchgelassen […] w[u]rde […]“[27]. Dafür wurden sie „auf den Landstrassen an den Gränzen und überall, so weit jedwedens Revier sich erstrecket“(!)[28] postiert. Neben- und Schleichwege sollten verhauen und nur Landstraßen offen gelassen werden, an denen es Wachen gab.[29] Nur Personen, die einen „beglaubten Paß […], daß [sie] von gesunden Orten komme[n]“(!)[30] vorzeigen konnten, sollten durchgelassen werden. In gleichem Maße wurde mit den Überfahrten verfahren. Sie wurden eingeschränkt, „dass niemand bey Leib und Lebens=Strafe sich über Unsere Ströhme an unge=wöhnlichen […] sehen lassen soll[t]e“(!)[31], bis auf „gewisse Passagen zur Uber=fahrt […] die übrigen […] allesamt ab[geschafft]“(!)[32] und nur denjenigen erlaubt, die einen beglaubigten Pass und Schein besaßen. Die beteiligten Obrigkeiten waren 1664 überwiegend Beamte und Magistrate und 1680 Wachen, Beamte und Zollverwalter.

4.1.2 Vorsorge im Jahr 1709

Friedrich I. weitete die Maßnahmen zur Prophylaxe aus und fügte auch vermehrt Ordnungen betreffend der Für- und Nachsorge hinzu. Im Reglement vom 14. November 1709 betreffen diese Maßnahmen nicht nur Grenzgebiete, sondern insbesondere die innere Ordnung.

An gesunden Orten sollte eine Kontrolle von Einreisenden, in diesem Fall werden spezifisch die „Jahrmarckts=Leute“(!)[33] genannt, erfolgen. Die Individualisierung des Passträgers wurde durch „Beschreibung der Statur, Kleidung, Haar“ eingeführt.[34] Es reichte nicht mehr, dass Fremde einen Schein und Pass vorweisen konnten. Bevor sie von Einwohnern aufgenommen werden durften, sollten sie examiniert und erst dann durchgelassen werden.[35]

Die Kommunikation wurde weiter eingeschränkt, indem ein Briefwechsel-Verbot zwischen Gesunden und Infizierten auferlegt wurde.[36] Zudem gab es bei viel frequentierten Geschäften („Apothecken, […] Kra=mern, Beckern, Bierzäpffern und dergleichen Leute[n]“(!)[37] ) Gitter, vor denen jeder stehen bleiben musste. Damit sollte Fremden die Angst vor infizierten Orten genommen und einer Ansteckung vorgebeugt werden.[38]

Jegliches Vergnügen wurde verboten und es folgte die Forderung, die „Feyerung des Sonnta=ges, streng und heilig zu halten“(!)[39]. Die Rückkehr zur Frömmigkeit wurde verlangt, da die Pest als Strafe Gottes für die Sünden der Menschen und damit als „göttliche[r] Zorn“[40] angesehen wurde.

Das erste Mal wurde die Bevölkerung Preußens explizit zur Stadtreinigung bzw. Stadtsäuberung aufgefordert. Dies beinhaltete z.B. „Rinnen und Kanäle mit frischem Wasser täglich nach[zuspülen] und aus[zukehren]“[41] und das Verbot, die Nachttöpfe auszugießen[42].

Involvierte Obrigkeiten waren Garnisonen, mit denen einzelne Gebiete ausgestattet wurden[43], „um die Einwohner in Gehorsam zu halten“[44]. „Jungens und Einfältige“(!)[45] wurden als „Thor=Wachten“(!)[46] durch verantwortungsvolle ersetzt. „[…] Gesundheits=Director, Prediger, Medicus, Chi-rurgus, oder Gassen=Inspector“(!)[47] waren zur Meldung von Kranken in einem Haus verpflichtet.[48]

4.1.3 Vorsorge im Jahr 1729

Friedrich Wilhelm I. organisierte im Edikt vom 24. Dezember 1729 (samt Anlage No. I. und II.) die Vorsorge innerhalb und an den Grenzgebieten Preußens.

Die Kommunikation wurde weiter eingeschränkt, indem „[d]ie Land=Räthe […] bey angehen=dem Vieh=Sterben allen Umgang der Leute im Dorffe, mit angrenzen=den Dörffern hemmen, [mussten]“(!)[49]. Um ein- oder ausreisen zu dürfen, musste eine vom Dorfschulzen attestierte Reinigung des Gesindes, das mit krankem Vieh Kontakt hatte, vonstattengehen.[50] Bauern sollten „zur Praeservirung der gesunden Oerter und Dörfer“(!)[51] postiert werden und „bey starck einreissende[m] Sterben und ansteckender Kranckheit [des Viehs]“(!)[52] die infizierten Orte abriegeln.

Prediger und Wehmütter durften sich zwischen den Orten bewegen, mussten aber vor der Rückkehr die Vorschriften („sich und ihre Kleider waschen, reinigen und auswittern“[53] ) einhalten. Der Pass eines jeden Ein- und Ausreisenden sollte „[…] mit einem Siegel […] gestempelt seyn“(!)[54], das bestätigte, dass die jeweilige Person von einem „gesunden Ort“[55] kam.

Zudem wurde eine Art Schutzkleidung vorgeschrieben, die eine Ansteckung vom Vieh zum Menschen verhindern sollte. Die Menschen, die mit dem kranken Vieh in Berührung kamen, mussten Kleidung aus Leinen oder Leder tragen und sich nach einem Kontakt „jedesmahl wieder waschen, und räuchern“(!)[56].

Die eingesetzten Obrigkeiten waren zu diesem Zeitpunkt vor allem der Dorfschulze, aber auch Bauern werden erwähnt.

4.2 Fürsorge (1709-1729)

4.2.1 Fürsorge im Jahr 1709

Vermehrte Ordnungen zur Fürsorge lassen sich besonders 1709 finden. Erste Institutionen wurden in Form von Quarantänehäusern entfernt von den bewohnten Gebieten eingerichtet. Die Häuser wurden einem Quarantänemeister unterstellt[57] und sollten „verdächtige, nicht aber von inficirten Orten kommende Personen, und […] Sachen ein=und auf[zu]nehmen“(!)[58]. Die Quarantäne betrug mindestens 30 bis 40 Tage[59]. Die unter Quarantäne stehenden durften sich außerhalb des Hauses aufhalten, mussten dabei jedoch darauf achten, dass sie keinen Kontakt zu anderen Personen hatten.[60] An diesem Punkt verweben sich Vor- und Fürsorge.

In großen Städten wurden bei Ansteckung besondere „Medici und Chirurgi Pe-stilentiaril […] [und] Bader, Heb=Ammen, War=tungs=Pflegere, […] bestellet“(!)[61], in kleinen Städten, in denen es häufig nur einen „Medicus, Barbier oder Bader“[62] gab, sollte nur einer von diesen gerufen werden und mit dem „Medico vor=sichtig correspondire[n]“(!)[63]. Der Magistrat und der Gesundheitsdirektor trugen die Verantwortung, zu beaufsichtigen, dass die Helfer in Form von „Prediger[n], Medici[s], Chirurgi[s] und Bader[n], Gassen=Inspector[ibus] und Gassen=Meister[n], Todten=Träger[n] und Todten=Gräber[n], Wartungs=Weiber[n] und Heb=Ammen, welche für die inficirten Personen angenommen w[u]rden […]“(!)[64] keinen Kontakt zu Gesunden hatten. Die medizinische Versorgung war, im Grunde genommen und ohne die Qualität bewerten zu wollen, in Grundzügen auch auf dem Land gegeben und nicht allein auf die Stadt begrenzt. Täglich musste der Gesundheitsdirektor Auffälliges in seinem Quartier „dem ganzen Collegio des Raths eröffnen [und] darüber [Verstorbene und Benennung] selbst ein […] Register halten“(!)[65]. Er wurde also, ebenso wie die Prediger, Medici, Chirurgi und Gasseninspektoren zur Meldepflicht angehalten. Dem Gesundheitsdirektor oblag es ebenso in Absprache mit den Medici und Chirurgi eine Person zur weiteren Versorgung ins Krankenhaus zu schicken[66] oder zu Hause sich selbst und seiner Familie zu überlassen. Ein Kranker[67] belastete die Familie zumeist, da seine Behandlung kostete, er zugleich aber erwerbsunfähig war. Laut Jütte „[…] bedeutete in der Frühen Neuzeit eine Erkrankung [daher] zumeist, dass der Betreffende und damit auch seine Familie auf Almosen angewiesen waren“[68], insbesondere „[w]enn keinerlei finanzielle Ressourcen vorhanden waren“[69]. Da somit häufig das Geld für Nahrungsmittel knapp war oder gänzlich fehlte, „waren mehr Menschen als vorher auf öffentliche bzw. kirchliche Unterstützung angewiesen.“[70] Haushalte, die von Armenhilfe abhängig waren, erhielten Brechhilfe, welche „[…] nicht nur aus Sachleistungen (Brot, Mehl, Speck, Brennholz) [bestand], sondern […] zusätzlich Geld für Medikamente [beinhaltete].“[71]

[...]


[1] Vgl. o.V.: Plague – Madagascar. World Health Organization 2014. Online unter: http://www.who.int/csr/don/21-november-2014-plague/en/ (letzter Zugriff: 15.06.15).

[2] Vgl. o.V.: Auf Madagaskar wütet wieder die Pest. Die Welt 2011. Online unter: http://www.welt.de/gesundheit/article13025762/Auf-Madagaskar-wuetet-wieder-die-Pest.html (letzter Zugriff: 15.06.15).

[3] Vgl. Karl Vocelka: Grundzüge der Bevölkerungsentwicklung Europas vom Mittelalter bis heute (= Demographische und soziale Entwicklung in Österreich bzw. der Habsburgermonarchie vom Mittelalter bis in die Gegenwart). Internetgestützte Lehre Universität Wien 2002. Online unter: http://www.univie.ac.at/igl.geschichte/vocelka/SS2002/vo_ss2002_1504.htm (letzter Zugriff: 15.06.15).

[4] Vgl. o.V.: Auf Madagaskar wütet wieder die Pest. Die Welt 2011. Online unter: http://www.welt.de/gesundheit/article13025762/Auf-Madagaskar-wuetet-wieder-die-Pest.html (letzter Zugriff: 15.06.15).

[5] Vgl. o.V.: Maps and Statistics. Centers for Disease Control and Prevention 2013. Online unter: http://www.cdc.gov/plague/maps/index.html (letzter Zugriff: 15.06.15).

[6] Moritz Pistor (Hg.): Deutsches Gesundheitswesen. Berlin 1890, S. 145.

[7] Ebd.

[8] Vgl. Christian Otto Mylius (Hg.): Corpus Constitutionum Marchicarum, Oder Königl. Preußis. und Churfürstl. Brandenburgische in der Chur- und Marck Brandenburg, auch incorporirten Landen publicirte und ergangene Ordnungen, Edicta, Mandata, Rescripta [et]c. : Von Zeiten Friedrichs I. Churfürstens zu Brandenburg, [et]c. biß ietzo unter der Regierung Friderich Wilhelms, Königs in Preußen [et]c. ad annum 1736. Inclusivè. CCM, 5. Teil, 4. Abteilung, 2. und 3. Kapitel. Berlin und Halle, 1737-1755. Online unter: Maria Federbusch (Hg.): Preußische Rechtsquellen Digital. http://web-archiv.staatsbibliothek-berlin.de/altedrucke.staatsbibliothek-berlin.de/Rechtsquellen/CCMT54/start.html (letzter Stand: 24.11.16).

[9] Eckhard Nagel (Hg.): Das Gesundheitswesen in Deutschland. Struktur, Leistungen, Weiterentwicklung. Köln ⁴2007, S. 29ff.

[10] Robert Jütte: Krankheit und Gesundheit in der Frühen Neuzeit. Stuttgart 2013, S. 25.

[11] Pistor, Deutsches Gesundheitswesen, S. 145.

[12] Vgl. Jütte, Krankheit und Gesundheit in der Frühen Neuzeit., S. 164f.

[13] Klaus Bergdolt: Der Schwarze Tod in Europa. Die große Pest und das Ende des Mittelalters (=C.H.Beck Paperback; 1378). München ³2011, S. 25.

[14] Stephan Jaster: Die medizinische Fakultät der Albertus-Universität und ihre bedeutendsten Vertreter im 16. und 17. Jahrhundert. In: Hanspeter Marti; Manfred Komorowski (Hg.): Die Universität Königsberg in der Frühen Neuzeit. Köln, Weimar, Wien 2008, S. 46f.

[15] Vgl. ebd. S. 47.

[16] Ebd.

[17] Ebd. S. 46.

[18] Nagel, Das Gesundheitswesen in Deutschland, S. 29.

[19] Mylius, Corpus Constitutionum Marchicarum, Spalte 280.

[20] Ebd.

[21] Ebd.

[22] Vgl. Ebd.

[23] Ebd. Spalte 279.

[24] Vgl. ebd. Spalte 280.

[25] Ebd.

[26] Ebd. Spalte 281.

[27] Ebd.

[28] Ebd.

[29] Ebd. Spalte 282.

[30] Ebd.

[31] Ebd.

[32] Ebd.

[33] Ebd. Spalte 300.

[34] Ebd. Spalte 302.

[35] Ebd.

[36] Vgl. ebd. Spalte 298.

[37] Ebd. Spalte 300.

[38] Ebd.

[39] Ebd. Spalte 298.

[40] Ebd.

[41] Ebd. Spalte 299.

[42] Vgl. ebd.

[43] Vgl. ebd. Spalte 298.

[44] Artikel "Garnison", in: Johann Georg Krünitz: Ökonomisch-technologische Enzyklopädie, Band 16 (1779), S. 144 (elektronische Ausgabe der Universitätsbibliothek Trier online unter: http://www.kruenitz.uni-trier.de/). (letzter Zugriff: 24.11.16).

[45] Mylius, Corpus Constitutionum Marchicarum, Spalte 298.

[46] Ebd.

[47] Ebd. Spalte 300.

[48] Vgl. ebd.

[49] Ebd. Spalte 462.

[50] Vgl. ebd.

[51] Ebd. Spalte 463.

[52] Ebd.

[53] Ebd. Spalte 466.

[54] Ebd.

[55] Ebd.

[56] Ebd. Spalte 461.

[57] Vgl. ebd. Spalte 312.

[58] Ebd. Spalte 298f.

[59] Vgl. ebd. Spalte 312.

[60] Vgl. ebd.

[61] Ebd.

[62] Ebd.

[63] Ebd.

[64] Ebd. Spalte 300f.

[65] Ebd.

[66] Vgl. ebd.

[67] Vgl. hierzu Jütte, Krankheit und Gesundheit, S. 176.

[68] Ebd. S. 192.

[69] Ebd.

[70] Ebd. S. 34.

[71] Ebd.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Pestordnungen des 17. und 18. Jahrhunderts als Wegbereiter des modernen Gesundheitswesens?
Untertitel
Struktureller Aufbau von Pestordnungen in Preußen
Hochschule
Universität Hamburg
Note
1,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
19
Katalognummer
V371407
ISBN (eBook)
9783668498990
ISBN (Buch)
9783668499003
Dateigröße
590 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pest, Ordnung, Aufbau, Struktur, Infektionskrankheit, Gesundheit, Prävention, Preußen, Der Schwarze Tod, Pflege
Arbeit zitieren
Sarah Ignor (Autor:in), 2015, Die Pestordnungen des 17. und 18. Jahrhunderts als Wegbereiter des modernen Gesundheitswesens?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/371407

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