Aufgabenfelder von Inklusionshelfern. Aktuelle Umsetzung von Inklusion im deutschen Schulsystem

Aus Sicht zweier Inklusionshelferinnen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein


Forschungsarbeit, 2016

25 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Theorieteil: Forschungsüberblick
2.1 Von der Exklusion zur Inklusion in Deutschland
2.2 Herausforderungen von Inklusion an Regelschulen
2.3 Inklusionhelferinnen als Unterstützung für Kinder mit Förderbedarf.

3 Untersuchungsdesign/Methodik
3.1 Qualitative Datenerhebung mittels leitfadengestützten Interviews
3.2 Datengenerierung und Auswertung
3.3 Schwierigkeiten

4 Vorstellung der Ergebnisse
4.1 Berufserfahrung und Arbeitsumfeld der Interviewten
4.2 Akzeptanz von И an der Schule/im Klassenraum
4.3 Aufgaben von Inklusionshelferinnen
4.4 Berufsfremde Aufgaben und der Umgang mit solchen
4.5 Chancen und Stärken von Inklusion
4.6 Probleme bei der Umsetzung und Baustellen von Inklusion
4.7 Vision: Traumschule im inklusiven System

5 Zusammenfassung und Ausblick

6 Quellen und Literaturverzeichnis

7 Anhang
7.1 InterviewLeitfaden (Formal; Sie)

Abstrakt: Inklusion ist in der weltweiten Diskussion nichts neues. In Deutschland steckt die Umsetzung sowie die Forschung jedoch noch in den Kinderschuhen. Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskovention hat Deutschland sich ver­pflichtet sein Schulsystem umzustellen und will bis 2018 dieses flächendeckend bewältigt haben. Einen wichtigen Beitrag hierzu leisten die InklusionshelferInnen, welche für Kinder mit Behinderungen einen Nachteilsausgleich schaffen sollen, in dem sie die Kinder begleiten und im (Schul-)Alltag so weit wie nötig unterstützen, ohne dabei ihre selbständige Entwicklung einzuschränken. Im Rahmen dieses Bei­trags werden zwei Inklusionshelferinnen zu ihren subjektiven Erfahrungen im Arbeit­salltag mithilfe eines Leitfadens interviewt. Die Befragten berichten von ihren Erfahrungen im Berufsalltag, was bereits gut läuft und wo noch Baustellen im inklu­siven System bestehen, die behoben werden müssen. Zum Abschluss dürfen sie ihre Vision einer „Schule für Alle“ darlegen. Die beiden Interviews werden ausgewertet und miteinander verglichen. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass noch viele Baustellen auch gerade außerhalb des Schulsystems schon bei der Lehrerausbil­dung und in der Zeit nach der Schule bestehen, die konkret angegangen werden müssen. Die Aus- und Weiterbildung für Lehrkräfte muss sich mehr den neuen Her­ausforderungen stellen. Insgesamt ist der Ansatz positiv zu bewerten, da alle betei­ligten Parteien sehr gut sozialisiert werden und Berührungsängste abgebaut werden.

Schlagworte: Inklusion, Schulbegleitung, Inklusionshelfer, Regelschule, qualitative Interviews, subjektive Erfahrungen, inklusive Zusammenarbeit, Lehrerbildung

1 Einleitung

„Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich Deutschland verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem zu etablieren“ (Aktion Mensch 2012, 2). Den­noch steckt die im internationalen Schulbild alltägliche inklusive Beschulung in Deutschland in den Kinderschuhen und belegt einen der letzten Ränge (ebd.). Inklu­sion heißt eine Gesellschaft zu etablieren, in der jeder Mensch - gleich welcher Her­kunft, Sozialstatus, Fähigkeiten und Beeinträchtigungen - an allen Prozessen teilhaben und sie mitgestalten kann.

Während für Inklusion neben Behinderungen auch soziale und kulturelle Herkunft relevant sind, legt diese Arbeit den Schwerpunkt auf die Inklusion von Menschen mit Behinderungen. Fokussiert wird die Thematik der Inklusionshelferinnen[1] (IH) im (Regel-)Schulkontext, die Kindern mit Behinderungen im Unterricht begleiten, ihnen die Teilnahme am Unterricht ermöglichen und durch ihre Unterstützung für Nach­teilsausgleiche sorgen. Durch dieses System gibt es immer mehr Schulen, in denen Lehrkräfte die Anwesenheit anderer Erwachsener in ihren Klassen erleben.

Die Frage, die sich im Rahmen der Arbeit stellt, ist welche Aufgaben den IH zufallen und wie ihre Anwesenheit durch Schule und Lehrkräfte akzeptiert wird. Im deutschsprachigen Raum existieren hierzu bisher wenige Forschungen. Hypothesen, die in dieser Arbeit untersucht werden sollen sind: (1) IH werden oft für Aufgaben außerhalb ihres Tätigkeitsbereiches eingesetzt. (2) Die Akzeptanz der Lehrkräfte von zusätzlichen Personen im Klassenraum fehlt noch, was häufig zu Missverständnissen und Reibereien führen kann. (3) Für die erfolgreiche „Inklusive Schule“ müssen noch viele Baustellen in der Umsetzung behoben werden. Um den Hypothesen nach­zugehen, werden zwei IH mittels explorativer Interviewstudie zu ihren Erfahrungen befragt und ihre Sicht auf die aktuelle Lage ausgewertet und reflektiert.

Der erste Teil der Arbeit gibt einen theoriegeleiteten Überblick über den Fort­schritt von Inklusion in Deutschland. Dabei werden Charakteristika des deutschen Schulsystems im historische Verlauf beleuchtet, die erklären, weshalb der Weg zur Inklusion in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern so eine große Umstellung und Herausforderung birgt. Danach wird das Konzept der IH vom aktuellen Stand erklärt. Im zweiten Teil folgt eine Beschreibung des Untersuchungsdesigns und der methodischen Vorgehensweise. Der Interviewleitfaden wird vorgestellt und die Aus­wertungsmethode erläutert, sowie auf eventuelle Schwierigkeiten eingegangen. Darauf folgt im dritten Abschnitt die Vorstellung der ausgewerteten Ergebnisse aus den Interviews. Den Abschluss bildet eine Auswertung der Hypothesen im Licht der Ergebnisse sowie ein Ausblick für weitere Forschungsansätze.

2 Theorieteil: Forschungsüberblick

2.1 Von der Exklusion zur Inklusion in Deutschland

Schon zur Gründung von Schulsystemen im Mittelalter wurden Selektionsme­chanismen - damals ständebasiert - etabliert und hielten sich bis zur Zeit der Wei­marer Republik, in der die Stände vollständig durchs Leistungsprinzip abgelöst wurden. Für Behinderungen war im Regelschulsystem kein Platz und durch die radi­kale Auslöschung im Nationalsozialismus verschwand das Thema für einige Zeit ganz. Später wurden diese Kinder durch die Unterbringung an Sonderschulen aus dem Landschaftsbild der Regelschulklassen exkludiert.

„Die Geschichte der deutschen Förder- und Sonderschüler/innen ist eine lange Geschichte der Diskriminierung und Ausgrenzung. Behinderte Kinder oder solche, denen diese Zuschreibung zukam, wurden immer schon in Sonderanstalten verwiesen.“ (Reich 2012, 33)

Sonderschulen waren zum einen der gut gemeinte Versuch, den Kindern eine ihren Anforderungen gerechte Bildung zu liefern; zum Anderen stellten sie jedoch auch schulkonforme Lösungen dar, um im Rahmen äußerer Differenzierung pädagogisch zu bewältigende Problemlagen zu neutralisieren (vgl. Opp/Puhr/Sutherland 2007, nach Herz 2010; Praschak 2010; Ricken 2010).

In Deutschland ist der Blick auf Schule in der Vergangenheit durch das Idealbild der „homogenen Lerngruppe“ geprägt, welches im internationalen Vergleich durch ein hochselektives Schulsystem von Anfang an etabliert wurde (vgl. Schwohl/Sturm 2010). Einige Vorkehrungen zur Homogensierung, die z.T. bis heute bestehen, sind z.B. Jahrgangsklassen, Klassenwiederholung, Schulformwechsel und Ausgliederung Hochbegabter oder Förderbedürftiger (vgl. Martizen/Sturm2010).

„Historisch betrachtet kann man diesen Grundzug der Schule [als Ort für Homogenisierungsbe­strebungen durch äußere Differenzierung] als Signatur einer im 19. Jahrhundert errungenen Mo­dernisierung der öffentlichen Erziehung begreifen, die sich seither als überaus stabil erwiesen hat“ (Maritzen/Sturm2010, 85)

Dabei haben bereits Klafki und Stöcker (1976) herausgearbeitet, dass Homoge­nität maximal in Hinsicht eines Kriteriums (z.B. Alter) herstellbar ist, die Heteroge­nität aber sonst überwiegt. Seit den 1980er Jahren werden daher Diskussionen zur integrativen Beschulung förderbedürftiger Kindern geführt, die als Vorläufer der Ent­wicklung einer „Schule für alle“ betrachtet werden können (Schwohl/Sturm 2010). Dabei wurde diese Diskussion nicht nur pädagogisch, sondern vor allem politisch und gesellschaftskritisch motiviert, denn Inklusion bedeutet immer die Inklusion von Menschen in die Gesellschaft; und diese Gesellschaft muss die Rahmenbedingungen für eine gelingende Umsetzung von Inklusion bieten (vgl. Beck/Degenhart 2010; Herz 2010; Richter 2010; Schwohl/Sturm 2010).

Zum heutigen Zeitpunkt steht Deutschland vor der Herausforderung, dass bis 2018 alle Regelschulen inklusive Schulen für Alle sein sollen. Das bedeutet, dass sie allen Kindern, egal welcher bspw. Herkunft, Sozialstatus, Geschlecht aber auch egal welcher körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen, Fähigkeiten und Bega­bungen einen chancengleichen Zugang zu Bildung ermöglichen.

2.2 Herausforderungen von Inklusion an Regelschulen

Chancengleicher Zugang kommt mit vielen Konsequenzen für die Schulen daher, gerade in Hinblick auf Kinder mit Behinderungen. Die UN-Behindertenrechtskon- vention verpflichtet das Bildungssystem (§24), die Bedingungen an den Schulen so zu schaffen, dass alle Kinder und Jugendliche „ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten ent­sprechend lernen können“ (Ricken 2010,315).

Im Index für Inklusion ist klar definiert, dass Behinderungen nicht zwangsläufig an der Person liegen, sondern explizit „durch die Umgebung oder durch diskriminie­rende Haltungen, Handlungen, Kulturen, Strukturen und institutionelle Praktiken“ (Boban/Hinz 2003,14) geschaffen werden können. Um diese Behinderungen konsequent abzubauen, wird von Schulen ein Perspektivwechsel verlangt, bei dem Barrieren und Mechanismen von Exklusion gezielt wahrgenommen und auf ein Minimum reduziert werden (vgl. Boban/Hinz 2003 ; Schwohl/Sturm 2010; Rath/Pluhar 2010; Wagner 2013).

Die Schulentwicklung diskutiert Maßnahmen zur Veränderung schulischer und unterrichtlicher Prozesse, um der heterogenen Schülerschaft gerecht zu werden. Dabei müssen die Änderungen von jeder Schule einzeln in Bezug auf die eigene indi­viduelle Schülerschaft vorgenommen werden (vgl. Schwohl/Sturm 2010; Beck/Degenhart 2010; Arnold 2010). Der Index für Inklusion nennt drei Ebenen auf denen Schulentwick­lung stattfinden muss, um zu gelingen: Inklusive Kulturen schaffen, inklusive Struk­turen etablieren und inklusive Praktiken (weiter-)entwickeln (Boban/Hinz 2003).

Heterogenität ist per se weder Chance noch Problem; es kommt darauf an was die Schule daraus macht (vgl. Maritzen/Sturm 2010). Dennoch empfinden Lehrkräfte Hetero­genität oft als Hürde (vgl. Sturm 2010), was mitunter an unzureichender Ausbildung oder Ablehnung von Vornherein liegt. Während international schon bei der Lehrerausbildung sonderpädagogische Grundlagen gelehrt werden, ist diese in Deutschland noch eine gesonderte Ausbildung für Sonderpädagogik (vgl. Reich 2012). In diesem Punkt müssen Regelschullehrkräfte von Grund auf besser ausgebildet werden, um den steigenden Anforderungen heterogener Klassen gerecht zu werden.

Um heterogene Klassen zu unterrichten, kommt es zur Verlagerung des lehrerzen­trierten Unterrichts hin zum Lehrer als Moderator und Lernbegleiter, der durch Bin­nendifferenzierung Lernimpulse gibt und alle auf ihrem individuellen Niveau fördert (Aktion Mensch 2012). Lewis und Norwich (nach Werning 2014,613) kommen zum Schluss, „dass sich der Unterricht für inklusive Lemgruppen nicht grundsätzlich von dem Unterricht an Regelschulen unterscheidet, dass aber für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf mehr Übung, mehr Beispiele, mehr konkrete Erfahrung von Transfermöglichkeiten und mehr sorgsa­me Lemzielüberprüfung („careful assessment“) notwendig sind“.

Doch diese Differenzierung für bestimmte Förderbedarfe muss schon im Studium thematisiert und bei bereits ausgebildeten Lehrkräften durch Schulungen nachgeholt werden, damit diese neue Situation als Chance statt als Hürde wahrgenommen wird.

Um diese Ziel zu erreichen, kann es auch hilfreich sein, die Klassen im Team mit einer weiteren Lehrkraft zu unterrichten, was jedoch mit zusätzlichen sächlichen, personellen und finanziellen Mitteln zusammenhängt, die für diese Arbeit gestellt werden müssen (vgl Paschak 2010). Allerdings besteht die Gefahr, dass „'Inclusive Edu­cation' zur 'Low Cost Education' pervertiert” (Herz 2010), indem am falschen Ende gespart wird, Sonderschulen geschlossen und Lehrstellen gestrichen werden. Dieses darf nicht geschehen, sondern die Sonderschulen sollten als Förderzentren - als „Schulen ohne Schüler“ - bestehen bleiben um als qualitative Unterstützung in pro­blematischen Ressourcensituationen oder bei Fragen und Problemen den Regel­schulen fachmännisch mit Rat und Personal zur Seite stehen (vgl. Rath/Pluhar 2010).

2.3 Inklusionhelferinnen als Unterstützung für Kinder mit Förderbedarf

Neben Förderzentren, welche Schulen schülerunspezifisch durch zusätzliche Lehr­kräfte und Wissen unterstützen, gibt es die Möglichkeit, dass IH ein Kind begleiten, wenn dieses einen Anspruch nach dem SGB Recht hat.

[...]


[1] Je nach Bundesland und Trägerschaft findet man unterschiedliche Bezeichnungen wie Schulbe­gleiter, Inklusionshelfer, Integrationshelfer oder Schulassistent. Der Einheitlichkeit halber wird in dieser Arbeit außerhalb von Zitaten der Begriff Inklusionshelfer (IH) verwendet.

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Details

Titel
Aufgabenfelder von Inklusionshelfern. Aktuelle Umsetzung von Inklusion im deutschen Schulsystem
Untertitel
Aus Sicht zweier Inklusionshelferinnen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein
Hochschule
Leuphana Universität Lüneburg
Note
1,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
25
Katalognummer
V370041
ISBN (eBook)
9783668475212
ISBN (Buch)
9783668475229
Dateigröße
656 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Inklusion, Schulbegleitung, Inklusionshelfer, Regelschule, Interviews, Inklusive Zusammenarbeit
Arbeit zitieren
Sina Laura Rautmann (Autor:in), 2016, Aufgabenfelder von Inklusionshelfern. Aktuelle Umsetzung von Inklusion im deutschen Schulsystem, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/370041

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