Bourdieus Begriff der symbolischen Gewalt im Kontext von Subjektivierung

Und seine Bedeutung für professionelle Handlungskompetenzen in der Sozialen Arbeit und Sozialpädagogik


Hausarbeit, 2016

12 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Subjektivierung

3. Systemische Gewalt nach Bourdieu

4. Zusammenhänge von systemischer Gewalt und Subjektivierung

5. Bedeutung für professionelle Handlungskompetenzen

6. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die vorliegende Ausarbeitung befasst sich mit Subjektivierungsprozessen und den dahinterliegenden gesamtgesellschaftlichen Einflüssen. Vor allem auf den Zusammenhang von versteckten systemischen Gewaltverhältnissen und Subjektivierungs- beziehungsweise Identitätsbildungsprozessen soll im Folgenden eingegangen werden. Die Ausarbeitung wird im Kontext des Seminars zu professionellen Handlungskompetenzen in der Sozialen Arbeit verfasst. Anlass war ein Referat, welches sich mit der Thematik der Subjektivierung befasste. Da dabei jedoch lediglich ein einführender Einblick in die Grundzüge von Subjektivierungsprozessen gegeben werden konnte, soll an dieser Stelle nun eine vertiefende Auseinandersetzung mit der Thematik folgen. Die Fragestellung, die sich daraus ergeben hat, befasst sich damit, welche gesamtgesellschaftlichen Prozesse Einfluss nehmen auf die Subjektivierung einzelner Individuen? Dabei wird die Hypothese vertreten, dass Subjektivierungseffekten symbolische Macht- und Gewaltverhältnisse zugrunde liegen, die diese beeinflussen. Ziel der Arbeit ist es daher zum einen ein Verständnis dafür zu schaffen, was mit dem Konzept der Subjektivierung gemeint ist. Zum anderen sollen die oben erwähnten Macht- und Gewaltverhältnisse aufgedeckt und beschrieben werden, sowie deren Einwirken auf die Subjektivierung. Aufgrund der gegebenen Rahmenbedingungen kann dabei leider nur oberflächig in die Thematik eingeführt werden. An dieser Stelle wird bei weiterem Interesse auf das Selbststudium verwiesen. Ziel der Ausarbeitung kann es daher nicht sein, umfassende Erkenntnisse zu vermitteln. Es wird auch kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Darüber hinaus stellen die erwähnten symbolischen Macht- und Gewaltverhältnisse nur eine Perspektive dar, mit der sich das Konzept der Subjektivierung betrachten lässt. Abschließend wird folgend der Aufbau der Ausarbeitung erläutert. Zunächst wird auf das Konzept der Subjektivierung eingegangen. Es werden Begrifflichkeiten geklärt, sowie Subjektivierungseffekte und -prozesse verdeutlicht. Im folgenden Kapitel wird dann Bourdieus Konzept der symbolischen Gewalt angeführt. Eingangs wird auf ein verändertes Auftreten von Gewalt hingewiesen, um anschließend die symbolische Gewalt näher zu beschreiben. Daraufhin wird auf den Zusammenhang der beiden Konzepte eingegangen, um aufzuzeigen, warum Bourdieus Konzept geeignet ist, Subjektivierungsprozesse zu erläutern und ergänzend zu betrachten. Im Anschluss sollen die gewonnenen Erkenntnisse genutzt werden, um zu erläutern, welche Konsequenzen sich für professionelles Handeln ergeben. Abschließend wird die Ausarbeitung in einem Fazit noch einmal reflektiert. In diesem wird Bezug auf die anfangs gestellte Fragestellung genommen und offengebliebene Aspekte angesprochen.

2. Subjektivierung

Im Folgenden soll verdeutlicht werden, was unter dem Begriff der Subjektivierung verstanden wird. Dabei wird zum einen auf die Begrifflichkeit selbst eingegangen, zum anderen aber auch auf die mit dem Begriff verbundenen gesamtgesellschaftlichen Prozesse. Betrachtet man die Gesellschaft aus einer subjektanalytischen Perspektive, so richtet sich das Hauptaugenmerk des Forschungsinteresses auf (soziale) Praktiken, welche ihre jeweils spezifischen Subjektformen hervorbringen. Unter einer Praktik ist dabei ein sozial konstruiertes, routiniert und ritualisiertes, körperliches Verhalten zu verstehen. Damit einher geht eine spezifische Art des Denkens, Interpretierens und Erleben. Betrachtet man soziale Praktiken, so lassen sich diese zwischen intersubjektive, interobjektive und selbstreferentiellen Praktiken differenzieren. Reckwitz betont dabei, dass jedoch nur die intersubjektiven, sprich Umgang zwischen Personen, und die selbstreferentiellen Praktiken, sprich Umgang mit sich selbst, Subjektivierungseffekte auslösen, da nur bei diesen beiden ein sozialer interaktiver Prozess möglich ist. Praktiken auf ihre Subjektivierungseffekte oder -aspekte hin zu betrachten, bedeutet zu rekonstruieren, welche spezifischen Subjekte in ihnen subjektiviert werden. Soziale Praktiken sind durch Codes strukturiert. Unter Codes werden Systeme unterschiedlicher Komplexität verstanden, die Differenzierungen ermöglichen. (Vgl. RECKWITZ 2010, S. 135f.). Diese Differenzierung ist häufig hierarchisch aufgebaut. So kann mittels Codierung beispielsweise zwischen Konformität und Devianz unterschieden werden (vgl. RECKWITZ 2010, S. 139). Diese Codierung des gesellschaftlich Anerkannten reguliert die Subjektivierung, indem sich die Codes im Wissen der Subjekte verfestigen. Darüber hinaus nehmen Diskurse (künstlerische oder schriftlich-textuelle) durch Thematisierung und Mediatisierung einzelner Subjektformen Einfluss auf die Subjektivierung. Subjektformen sind dabei zum einen als Typisierungen, zum anderen als anzustrebende Muster zu verstehen. Einzelne Subjekte subjektiveren sich innerhalb der Subjektformen, werden zugleich aber auch von diesen subjektiviert. (Vgl. RECKWITZ 2010, S. 140). Subjektivierung offenbart sich dabei als dualistisches Konzept. Zum einen ermöglicht sie Zugang und Teilhabechancen, zum anderen jedoch exkludiert sie und versagt den Betroffenen die Teilhabe an bestimmten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens (vgl. RIEGER-LADICH 2011, S. 60). Mit der Subjektivierung und der daraus resultierenden möglichen Markierung von Andersartigkeit geht die Gefahr einher, dass Identitäten von Betroffenen festgeschrieben werden und diese gegenüber Anderen de-privilegiert werden. Aus einer anerkennungstheoretischen Perspektive kann es dabei durchaus sinnvoll sein, Individuen aufgrund ihrer verschiedenen Identitäten hin zu betrachten . Dass diesen verschiedenen Identitäten dabei eine sozial konstruierte Subjektivierung zu Grunde liegt, darf an dieser Stelle jedoch nicht unbeachtet bleiben. Beispielsweise lässt sich die sozialkonstruierte Identität Bildungsferne Schicht nicht auf alle Betroffenen dieser Zuschreibung gleichermaßen anwenden, da innerhalb dieser Identität verschiedenartige Individuen zu verorten sind. (Vgl. ROSE 2014, S. 139ff.). Damit wird deutlich, dass Subjektivierung auch mit Stigmatisierung in Zusammenhang steht. Diese Stigmatisierung hat eine Festschreibung sozial konstruierter Identitäten zur Folgen und verstellt damit die Möglichkeit, anders auf die Identität zu reagieren, als durch erneute Bestätigung dieser. (Vgl. BAECKER 1994, S. 93). Mit der Zuschreibung von Identitäten ist gleichzeitig auch die Zuschreibung gewisser Lebensausdrücke verbunden und damit die Herausbildung von Machtstrukturen (vgl. PETERS 2009, S. 83). Im negativen Fall fallen diese Machtstrukturen zu Ungunsten der Betroffenen aus. Die Frage, die sich daraus ergibt, lautet, warum Betroffene dennoch in gesellschaftlich zugeschriebenen Rolle verharren. Der Frage kann im nächsten Kapitel mit Bourdieus Konzept der symbolischen Gewalt begegnet werden.

3. Systemische Gewalt nach Bourdieu

Der Begriff der Gewalt ist heute nicht allein für physischen Handlungen zu reservieren. Es lässt sich ein Perspektivenwechsel bei der Wahrnehmung von Gewalt beobachten. Dass Gewalt nicht mehr mit rein physischen Akten zu verbinden ist, hat zur Folge, dass andere, facettenhafte Formen von Gewaltverhältnissen kaum zu beobachten sind und daher auch von den jeweils Betroffenen nur schwer als Gewalt definiert werden kann. Gewalt verschwindet jedoch nicht, sie vollzieht einen Wandel. Das hat zur Folge, dass es mehr indirekte und subtile Gewalt gibt, die sich im Selbstbild der Betroffenen verankert und von diesen so verinnerlicht wird. Daraus resultiert eine stellvertretende Gewaltausübung über die Betroffenen gegen sich selbst. Darüber hinaus lässt sich in der Moderne ein wachsendes Einverständnis mit staatlich ausgeübter Gewalt beobachten. (Vgl. RIEGER-LADICH 2011, S. 61f.). Diese staatliche Gewaltausübung findet ihre Materialisierung beispielsweise in Form von Institutionen wieder. Man spricht an dieser Stelle von institutionalisierter Gewalt. Dies meint, die strukturelle Benachteiligung bestimmter Identitäten mittels ungleichen Chancen und Vorbehalt von Teilnahmemöglichkeiten (vgl. RIEGER-LADICH 2011, S. 60). An dieser Stelle zeigt sich, die Vielschichtigkeit des Gewaltbegriffes. Gewalt ist dabei nicht mehr zwangsläufig auf die Ausübung des Physischen angewiesen, um Betroffenen auf massive Weise in ihren Handlungsspielräumen und Möglichkeiten einzuschränken. (Vgl. RIEGERL-LADICH 2011, S. 78). Diese veränderte Form des Gewaltverhältnisses beschreibt Bourdieu mit dem Begriff der systemischen Gewalt. Dieses Konzept geht dabei von einem Gesellschaftsbild aus, das geprägt ist von einer systematisch ungleichen Verteilung von Ressourcen. Das Konzept ermöglicht dabei, mögliche gesellschaftliche Ursachen von Subjektivierungseffekten zu beleuchten. Bourdieu verwendet jedoch nicht den Begriff des ‚Subjekt‘ sondern spricht von Akteur_innen. Der Vorteil des ‚Akteur_innen‘ Begriffs ist die Kontierung von Akteur_innen als aktive Teilnehmer_innen. Auf die Bedeutung der aktiven Teilnahme wird im Späteren noch Bezug genommen. Bourdieus Interesse gilt dabei hauptsächlich denjenigen Bereichen, in denen sich Gesellschaft und Kultur produzieren, aber auch reproduzieren. Diese wären unter anderem Bildungseinrichtungen, Literatur, Sprache und staatliche Organe. (Vgl. RECKWITZ 2010, S. 40). Wie bereits anfangs zu diesem Kapitel beschrieben, lässt sich symbolische Gewalt nur schwer enttarnen, da sie sich zum einen nicht direkt lokalisieren lässt, und zum anderen von den Betroffenen nicht als Gewalt wahrgenommen wird. Durch die Verinnerlichung gesellschaftlicher Verhältnisse und der Inkorporierung zugeschriebener Identitäten werden die betroffenen Akteur_innen zu Mittäter_innen ihrer eigenen Unterdrückung. Symbolische Gewalt charakterisiert sich damit zum einen darin, dass die Betroffenen sich nicht als betroffen wahrnehmen und zum anderen in Scham, wenn die Betroffenen sich ihrer Unterdrückung bewusst werden. Anstatt sich also gegen die Gesellschaft aufzulehnen, zwingt die Scham über die unterdrückte Identität die Betroffenen in eine passive Haltung, die wiederum starken Einfluss nimmt auf den zur Verfügung stehenden Handlungsspielraum. (Vgl. RIEGER-LADICH 2011, S. 73). Es ist also der Subjektivierung mitgeschuldet, dass sich bestehende gesellschaftliche Ordnungs- und Machtstrukturen sowie die darin manifestierten Bevorzugungen und Ungerechtigkeiten erhalten. Dies führt dazu, dass selbst widrige Lebensbedingungen als natürlich vorkommend erscheinen. An dieser Stelle wird noch einmal betont, dass Bourdieu von Akteur_innen spricht. Es hat sich gezeigt, dass symbolische Gewalt in Form von Subjektivierung von den Betroffenen verinnerlicht wird. Da diese sich, in Folge der Subjektivierung, selbst unterdrücken, spricht Bourdieu an dieser Stelle von hingenommener Komplizenschaft. Der Begriff der Komplizenschaft hebt die teilhabende Rolle an der Unterdrückung hervor. Daher auch der Akteur_innen Begriff. Vor allem der Sozialisation schreibt Bourdieu eine große Bedeutung in diesem Prozess zu. (Vgl. PETERS 2009, S. 31). Systemische Gewalt nimmt dabei in der Gesellschaft, je nach dem in welchem Feld sich die Akteur_innen bewegen, verschiedene Ausprägungen an. Akteur_innen sind jedoch nur dann anfällig für die feldspezifische Form der Gewalt, wenn sie in der Lage sind, die Symbolik zu deuten. Ist dies ihnen nicht möglich, hat die symbolische Gewalt keinen Einfluss auf die Akteur_innen. Anders beschrieben, setzt symbolische Gewalt ein Erkennen und Anerkennen der Gewalt voraus. (Vgl. RIEGER-LADICH 2011, S. 75). Diese Anerkennung ist als der Moment zu verstehen, in dem Akteur_innen sich als Betroffene begreifen und sich damit in der unterdrückten Position verorten. Der Anerkennungsprozess bedarf dabei einer Interaktion, innerhalb derer sich objektive Machtverhältnisse wiederspiegeln. Diese Machtverhältnisse benötigen die Anerkennung des Gegenübers als ein solches, um sich zu reproduzieren. (Vgl. PETERS 2009, S. 82). Mit der Subjektivierungsperspektive des vorherigen Kapitels gesprochen, zeigt sich in dem Prozess von Erkennen und Anerkennen und der daraus resultierenden Konsequenz für die Identität der Akteur_innen (sowohl im Falle von Privilegierung, wie auch von Unterdrückung) der Prozess einer Subjektivierung.

4. Zusammenhänge von systemischer Gewalt und Subjektivierung

Im folgenden Kapitel soll der Frage nachgegangen werden, warum sich Bourdieus Konzept der systemischen Gewalt mit den Erkenntnissen über Subjektivierung in Verbindung bringen lässt. Zunächst lässt sich bei beiden Prozessen die Einflussnahme auf das Handeln Einzelner beobachten. Darüber hinaus stehen Subjektivierungsprozesse sowie auch systemische Gewalt immer im Kontext von Identitätszuschreibungsprozessen. Diese Prozesse haben ihren Ursprung in gesamtgesellschaftlichen Einflussmechanismen. Im Kontext der Subjektivierung wird im Falle der Betroffenen dabei von Subjekten gesprochen, denen Identitäten zugeschrieben werden. Bourdieu hingegen spricht an dieser Stelle von Akteur_innen, denen eine komplizenhafte Rolle zukommt. Inwieweit diese Rolle auch im Falle des Subjektivierungskonzept gesprochen werden kann, muss dabei an anderer Stelle untersucht werden. Eine weitere Ähnlichkeit findet sich, wenn man die sozialen Praktiken den feldspezifischen systemischen Gewaltverhältnissen gegenüberstellt. Praktiken sowie auch Gewaltverhältnisse produzieren dabei jeweils spezifische, dem Kontext angelehnte Subjekte bzw. Identitäten. Hier lässt sich auch eine Nähe zu Bourdieus ‚Habitus‘ Begriff beobachten. Praktiken wurden dabei als soziale Konstruktionen beschrieben, die das Verhalten einzelner Subjekte beeinflussen. Ähnlich verhält es sich mit systemischen Gewaltverhältnissen. Auch diese beeinflussen das Handeln der Akteur_innen. Im Kontext von Subjektivierung wurde aufgezeigt, dass sowohl interpersonelle wie auch selbstreferentielle Praktiken (sprich, die Interaktion mit Anderen, sowie der Austausch mit der eigenen Person) Subjektivierungseffekte auslösen. Die Interaktion mit Anderen schreibt dabei Identitäten zu, während diese dann im selbstreferentiellen Umgang gefestigt und verinnerlicht werden. Auch im Falle von systemischer Gewalt wird der Interaktion eine große Bedeutung zugesprochen. Interaktion ist für das Erkennen der eigenen Unterdrückung (der Identität) von Nöten. Dieses Erkennen steht dabei in Verbindung mit Anerkennung und führt zu Veränderungen und Verinnerlichung auf Seiten der Akteur_innen. Dies hat bei beiden Konzepten Auswirkungen auf die Teilhabechancen und Exklusion der Betroffenen. Darüber hinaus lässt sich bei beiden Konzepten eine stigmatisierende Wirkung feststellen. Auch, wenn im Hinblick auf das Konzept der Subjektivierung der Begriff der Gewalt nicht auftaucht, lässt sich auch dort Gewalt in Form des gesellschaftlichen Einwirkens auf ein Subjekt beobachten. Es zeigt sich also, dass beide Konzepte, das der Subjektivierung sowie das der systemischen Gewalt, große Ähnlichkeiten aufweisen. Gerade im Hinblick auf Subjektivierungs- und Identitätszuschreibungsprozesse wird die Bedeutung gesellschaftlicher Wirkungsmechanismen offenbart. An dieser Stelle zeigt sich nun, dass Subjektivierung mittels dem Konzept der systemischen Gewalt umfassender beleuchtet und ergänzt werden kann. Im Folgenden wird auf die Konsequenzen eingegangen, die diese Erkenntnisse mit sich bringen.

5. Bedeutung für professionelle Handlungskompetenzen

Nachdem im vorherigen Kapitel der Zusammenhang zwischen systemischer Gewalt und Subjektivierung verdeutlicht wurde, soll nun darauf eingegangen werden, welche Konsequenzen daraus für eine professionelle Handlungskompetenz entstehen. Ein Problem stellt dabei das Verständnis von Erziehung selbst dar. Geht man davon aus, dass sich gesellschaftliche Machtverhältnisse und Ungleichheiten (unter anderem durch Sozialisation) im Selbstbild der Subjekte verankert haben, kann von einer Erziehung zur Mündigkeit nicht mehr ausgegangen werden. Erziehung muss dafür neu und in Abhängigkeit von gesellschaftlichen Macht- und Unterdrückungsmechanismen gedacht und verstanden werden. (Vgl. PETERS 2009, S. 91). Um subjektivierungskritisches Handeln zu ermöglichen, ist es daher von Nöten, Ziele und Praktiken des Handelns vor eben diesem Hintergrund kritisch zu betrachten (vgl. PETERS 2009, S. 89). Dabei gilt es, die Problematik von Subjektivierung und systemischer Gewalt als sozial konstruiertes Konstrukt, und nicht als etwas natürlich Entstandenes, zu begreifen. Subjektivierungskritische Handlungskompetenzen müssen sich daher zum Ziel setzten, verinnerlichte, gesellschaftliche Symbole der Gewalt und Subjektivierung zu hinterfragen, und zwar im Hinblick auf diejenigen, die als privilegiert aus diesem Prozess hervorgehen.. (Vgl. PETERS, 2009, S. 82). Vorrausetzung für diese Hinterfragung ist es, die Logik von systemischer Gewaltausübung sowie die Kanäle, auf denen sich diese Ausübung vollzieht, transparent zu machen (vgl. RIEGER-LADICH 2011, S. 73). Ein weiterer Aspekt den eine subjektivierungskritische Arbeit beachten muss, ist das Verhältnis von Konformität und Devianz. Dies wird bedeutend, sobald einem Subjekt seine zugesprochene Identität bewusst wird und es damit anfällig ist für die Symbolik der Gewalt. Die Gesellschaft ist dabei auf Seite der Konformität zu verorten, wohingegen das Subjekt (im Falle von Benachteiligung) der Seite der Devianz, sprich der Abweichung, zuzuordnen ist. Ist sich die Soziale Arbeit diesem Spannungsverhältnis nicht bewusst, so geht mit ihrer Hilfe auch die Gefahr einher , dass Hilfe lediglich als Korrektur der Abweichung fungiert, aus Sorge um die Norm. (Vgl. BAECKER 1994, S. 94). Die Hilfe würde damit ihr Hauptaugenmerk auf die Norm richten. Jedoch birgt auch die Arbeit mit der Abweichung, den jeweiligen Identitäten, Gefahren in sich. Hilfe kann so schnell in die Lage kommen, dass sie durch Hervorhebung der Abweichung diese festschreibt. In Folge dessen würden eingeschriebene Hierarchien bestätigt werden und die Hilfe selbst würde zum Mechanismus der Normierung und Stigmatisierung werden. (Vgl. ROSE 2014, S. 140). Im Hinblick auf professionelle Handlungskompetenzen muss daher Zweierlei berücksichtigt werden. Zum einen muss der Zugang zu materiellen Gütern und Teilhabemöglichkeiten analysiert werden. Zum anderen sind die Helfenden selbst in Gewaltverhältnisse involviert. Daher müssen diese verinnerlichten symbolischen Gewaltverhältnisse ebenfalls berücksichtigt und thematisiert werden. (Vgl. PETERS 2009, S. 89). Dieses Kapitel abschließend lässt sich festhalten, dass professionelles Handeln sich bewusst sein muss über die verschiedenen Identitäten und Voraussetzungen, die einzelnen Subjekten innewohnen. Ein Handeln, dass sich dessen nicht bewusst ist, vollzieht sich in Ungleichheit und muss sich der Kritik annehmen, dass sich damit eine Reproduktion und Festigung der symbolischen Gewaltverhältnisse und Subjektivierung vollzieht. Demzufolge ist es lediglich einem professionellen Handeln, das sich den Gewaltverhältnissen und subjektivierten Identitäten bewusst ist, möglich, auf diese angemessen zu reagieren. Nur dadurch wird eine Autonomie und möglicherweise auch Emanzipation der Subjekte ermöglicht. (Vgl. PETERS 2009, S. 95).

6. Fazit

An dieser Stelle werden noch einmal die wichtigsten Erkenntnisse der Arbeit zusammengefasst. Zunächst wird ein Verständnis darüber geschaffen, was unter Subjektivierung zu verstehen ist. Dabei wurde auf die Bedeutung von gesellschaftlichen und sozialen Praktiken eingegangen. Es hat sich gezeigt, dass Subjektivierung sowohl privilegierende als auch benachteiligende Effekte verursachen kann. Im Anschluss wurde dann auf den ‚Gewalt‘-Begriff Bezug genommen. Dabei wurde zunächst dargestellt, dass das Verständnis von Gewalt einen Wandel vollzogen hat. Im Folgenden wurde Bourdieus Konzept der systemischen Gewalt näher beschrieben. Dies wurde genutzt, um der Frage nachzugehen, warum die von Subjektivierung Betroffenen in ihren Rollen verharren. Es zeigte sich, dass Subjektivierung ihren Teil dazu beiträgt, dass sich die Gesellschaft nicht verändert. Mit Bourdieus Konzept konnte darüber hinaus erklärt werden, dass die Betroffenen durch hingenommene Komplizenschaft ihre Rolle weiter festschreiben und gleichzeitig gesellschaftliche Gewaltverhältnisse reproduzieren. Im nächsten Kapitel wurden daraufhin verdeutlicht, dass systemische Gewalt als gesellschaftliche Dimension Subjektivierung befördert. Dies wurde auch mittels verschiedener Zusammenhänge und Gemeinsamkeiten der beiden Konzepte dargestellt. Die Arbeit abschließend wurden die gewonnenen Erkenntnisse genutzt und auf ihre Bedeutung für professionelle Handlungskompetenzen hin reflektiert. Dabei hat sich herausgestellt, dass professionelles Handeln sich den beschriebenen Subjektivierungsprozessen und Gewaltverhältnissen bewusst sein, und ihr Handeln darauf hin reflektieren muss. Geschieht dies nicht, läuft das Handeln Gefahr, die bestehenden Verhältnisse und Identitäten weiter festzuschreiben und damit gesellschaftliche Ungerechtigkeiten zu reproduzieren.

Im Hinblick auf die anfangs beschriebene Fragestellung konnte verdeutlicht werden, dass sich Bourdieus Konzept der systemischen Gewalt als brauchbar erweist, um gesellschaftliche Einflüsse auf die Subjektivierung zu beschreiben. Dabei muss noch einmal gesagt werden, dass zwei so komplexe Konzepte innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen nur bedingt beschrieben und im Hinblick auf ihre Zusammenhänge erläutert werden können. Interessant wäre an dieser Stelle, die gewonnenen Erkenntnisse zu nutzen, um diese mit weiteren Konzepten in Bezug zu bringen. So geht beispielsweise auch Foucault von veränderten und gesamtgesellschaftlichen, sowie dezentralisierten Machtverhältnissen aus, die über ihr Wirken das Handeln Einzelner beeinflussen. Dem nachzugehen bleibt jedoch vorerst Aufgabe des Selbststudiums.

Literaturverzeichnis

Baecker, D. (1994): Soziale Hilfe als Funktionssystem. In: Zeitschrift für Soziologie. 23. Jg./Heft 2 April, S. 93 – 110.

Peters, M. (2009): Zur sozialen Praxis der (Nicht-)Zugehörigkeit. Die Bedeutung zentraler Theorien von Bourdieu und Goffman für einen Blick auf Migration, Zugehörigkeit und Interkulturelle Pädagogik. Oldenburg.

Reckwitz, A. (2010): Subjekt. Oldenburg. 2., unveränderte Aufl.

Rieger-Ladich, M. (2011): Die Gewalt des Symbolischen – und ihre Grenzen oder: Von Kaschmirmänteln und Plattenverkäufern. In: Schäfer, A. / Thompson, C. (Hrsg.): Gewalt. Paderborn et. al.

Rose, N. (2014): Alle Unterschiedlich – Heterogenität als neue Normalität. o.O.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Bourdieus Begriff der symbolischen Gewalt im Kontext von Subjektivierung
Untertitel
Und seine Bedeutung für professionelle Handlungskompetenzen in der Sozialen Arbeit und Sozialpädagogik
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Institut für Erziehungswissenschaft)
Veranstaltung
Professionelle Handlungskompetenzen
Note
2,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
12
Katalognummer
V369992
ISBN (eBook)
9783668476080
ISBN (Buch)
9783668476097
Dateigröße
491 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Subjektivierung, Systemische Gewalt, Bourdieu
Arbeit zitieren
Sebastian Stuhr (Autor:in), 2016, Bourdieus Begriff der symbolischen Gewalt im Kontext von Subjektivierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/369992

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