Die Rolle Hagens im Nibelungenlied


Hausarbeit, 2001

21 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung

I. Hagen von Tronje - Charakter und Status
I.2. Funktion am Königshof
I.2.1. Der Berater
I.2.2. Der Intrigant

II. Hagens Veränderung im zweiten Teil des Nibelungenlieds
II.1. Der scheiternde Intrigant
II.2. Der Warnende
II.3. Der Held und Heerführer
II.3.1. Hagens Verhalten auf der Reise
II.3.2. Hagen an Etzels Hof
II.3.2.1. Hagens Verhalten Kriemhild gegenüber
II.3.2.2. Die Zuspitzung des Konflikts
II.3.2.3. Hagens Rolle im Kampf
II.3.2.4. Hagens Tod

III. Zusammenfassung

0. Einleitung

In Hagen von Tronje begegnet uns die vielleicht widersprüchlichste Figur der mittelalterlichen Literatur. Seine Beurteilung spaltet die Leserschaft des Nibelungenliedes in zwei Lager. Die einen bewundern seinen Mut und seine Konsequenz, die sich positiv von der Schwäche und dem Wankelmut der burgundischen Könige abheben und ihn zur stärksten Persönlichkeit an diesem Hof machen. Die anderen sehen in ihm nichts weiter als einen Schurken, den hinterhältigen Mörder Siegfrieds.

In der bildenden Kunst finden sich viele Darstellungen, die dieser negativen Sichtweise Rechnung tragen: Hagen als der Verschlagene, dessen finsteres und heimtückisches Wesen sich nicht nur in seiner Mimik und Gestik (gebückter Gang, grimmiger Blick, heimliche Blicke über die Schulter) sondern auch in seiner meist dunkel gehaltenen Kleidung äußert und ihn somit in starken Kontrast zu Siegfried, der Lichtgestalt, setzt. Zuweilen besteht sogar eine vage Ähnlichkeit Hagens mit dem Urbild des Verräters, Judas. Allerdings zeigt sich der oben angedeutete literaturkritische Dissens in der Interpretation seiner Rolle auch hier: den negativen Darstellungen stehen positive gegenüber, die ihn als „christlichen Ritter“[1] oder als „Inkarnation heroischer und martialischer ‚Tugenden’“[2] zeigen.

Wie soll man diese Uneinigkeit verstehen?

Es braucht nicht eigens erwähnt zu werden, dass viele literarische Figuren nach ihrem ersten Erscheinen in der Literatur von den Schriftstellern späterer Jahrhunderte gerne in den unterschiedlichsten Kontexten und Ausformungen wiederaufgenommen werden. Die neuen Gestaltungen weisen dann aber in aller Regel trotz verschiedener Abweichungen von der Vorlage doch noch einige markante Charakterzüge auf, die an das Vorbild erinnern bzw. dazu dienen, sie einem bestimmten Typus zuzuordnen. Betrachtet man die Beurteilung Hagens in der Rezeption durch die Leser bzw. durch die Künstler, stößt man, wie oben schon erwähnt, auf eine ungewöhnliche Heterogenität. Ist diese dadurch zu erklären, dass die literarische Vorlage, also das Nibelungenlied, in diesem Bereich besonders viel Interpretationsspielraum lässt? Ist Hagen hier etwa ein „Mann ohne Eigenschaften“, dessen Figur je nach Belieben in diese oder jene Richtung hin gedeutet werden kann?

Ich möchte im Folgenden die Rolle Hagens im Nibelungenlied darstellen. Dazu soll zunächst seine Funktion am burgundischen Königshof im ersten Teil unter Berücksichtigung seiner charakterlichen Besonderheiten untersucht werden. Danach soll seine Funktion im zweiten Teil erforscht und den vorhergehenden Untersuchungen gegenübergestellt werden. Anschließend wird die Frage nach der Ursache der Widersprüchlichkeit dieser Figur vor dem Hintergrund der Ergebnisse dieser Untersuchungen erörtert. Die Einteilung des Nibelungenlieds in einen ersten (bis zum Hortraub nach dem Tod Siegfrieds) und einen zweiten Teil (von der Brautwerbung Etzels bis zum Untergang der Nibelungen) erfolgt in Übereinstimmung mit der gängigen Forschungsliteratur.

I. Hagen von Tronje - Charakter und Status

Hagen von Tronje erscheint bereits der in der ersten aventiure des Nibelungenlieds bei der Einführung der wichtigsten Persönlichkeiten des Burgunderhofes. Sein Name wird in einem Atemzug mit dem der königlichen Gefolgsleute – seinem Bruder Dankwart, Ortwin von Metz, Volker von Alzey und den Grafen Gere und Eckewart – genannt[3]. Er erscheint hier also als bloßer Vasall der burgundischen Herrscher. Im Laufe des Geschehens stellt sich jedoch bald heraus, dass er nicht nur ein wichtiger Berater der Könige ist, auf dessen geistige Fähigkeiten sie angewiesen sind, sondern dass er sogar mit ihnen verwandt ist. Nicht zuletzt dank dieser Bindung genießt er das volle Vertrauen des Königshauses, weshalb Kriemhild ihm als ihrem „ mâc “ auch das Geheimnis von Siegfrieds Verwundbarkeit anvertraut[4]. Ausschlaggebend für seine Sonderstellung am Hof sind aber vor allem seine strategische Begabung und sein Wissen.

Auch in seinem Äußeren sticht Hagen in für das Nibelungenlied bemerkenswerter Weise von den anderen Personen ab. Zwar entsprechen seine schöne Gestalt[5] und sein Gang[6] dem Idealbild eines Ritters. Dennoch flößt er seinen Mitmenschen keine Sympathie ein. Schuld daran ist wohl sein schrecklicher Blick – „...und eislîch sein gesihene[7] - vor dem sich vor allem die Frauen fürchten. Die Tochter Rüdigers wechselt vor Angst die Farbe, als sie ihn, den sie von Anfang an „ vorhtlîch[8] findet, küssen muss[9]. Bei der Dienerin Brunhilds hinterlässt er einen ähnlichen Eindruck. Dies liegt daran, dass sich in Hagens Äußerem, genauer gesagt, in seinen Augen, die Seite seines Charakters spiegelt, die in der Folgezeit Eingang in die negativen Hagen-Darstellungen gefunden hat: sein Grimm und seine finsteren Pläne.

„Der dritte der gesellen der ist sô gremelîch

(und doch mit schoenem lîbe küneginne rîch)

von swinden sînen blicken, der er sô vil getuot.

er ist in sînen sinnen ich waene, grimme gemuot.“[10]

Er stellt somit das Gegenbild zu dem jungen, fröhlichen Siegfried dar, der im wahrsten Sinne des Wortes als „bildschön“ beschrieben wird:

„Dô stuont sô minneclîche das Sigmundes kint,

sam er entworfen waere an ein permint

von guotes meisters listen, alsô man im jach,

daz man helt deheinen nie sô scoenen gesach.“[11]

Noch eine zweite wichtige Eigenschaft Hagens tritt in seinem Äußeren zutage. Im Gegensatz zu Siegfried oder auch Giselher, der ja oft den Beinamen „daz kint“ trägt, ist Hagen ein älterer Mann, dessen Haar schon teilweise ergraut ist[12]. Dadurch soll seine Weisheit in den Vordergrund gerückt werden[13]. Diese „Tugend“ steht in jedoch in seltsamem Kontrast zu den beiden wohl markantesten Eigenschaften Hagens, mit denen er zu Beginn des Nibelungenliedes charakterisiert wird: seiner „übermüete“ und seiner „hochverte“[14], also seinem Übermut und seiner Überheblichkeit. Beides sind Untugenden, die nicht nur dem höfischen Ethos widersprechen, sondern die man auch eher einem jungen, unerfahrenen Ritter zuschreiben würde, da sie nicht so recht zu einem welterfahrenen Höfling passen wollen.

I.2. Funktion am Königshof

I.2.1. Der Berater

Nichtsdestotrotz ist Hagen der wichtigste Berater des Königs. Dies zeigt sich schon bei der Ankunft Siegfrieds, als die Burgunden auf seine Kenntnisse zurückgreifen müssen, um den neuen Gast überhaupt identifizieren zu können. Gunther lässt nach Hagen schicken, denn

„Dem sint kunt diu rîche und ouch diu vremden lant.“[15]

Dieser erkennt Siegfried, ohne ihn jemals zuvor gesehen zu haben. Außerdem kennt Hagen Siegfrieds Geschichte und kann daher angemessen auf ihn reagieren: das Wissen um die Unbesiegbarkeit des Xantener Königssohns lässt ihn jeglichen Streit mit ihm vermeiden; das Wissen um seine Charaktereigenschaften machen es ihm in der Folgezeit leicht, Siegfried im Sinne der Burgunden zu manipulieren, ja, es erleichtert am Ende sogar die Durchführung des Mordplans.

Hagens Stärke wird durch die Schwäche seines Herrschers unterstrichen. Diese zeigt sich vor allem bei der Kriegserklärung der Sachsen: während Gunther von dieser niederschmetternden Nachricht wie gelähmt scheint[16], reagiert Hagen geistesgegenwärtig. Er schätzt die Lage – anders als beispielsweise Gernot – zu Recht als bedrohlich ein und denkt im Gegensatz zu den anderen sofort daran, Siegfried, den Krieger mit den übermenschlichen Kräften, um Hilfe zu bitten. Mehrere Stellen im Nibelungenlied beziehen sich auf Gunthers Schwäche: sein Unvermögen, Brunhild zu unterwerfen[17] ; sein Wankelmut, der ihn trotz anfänglichen Widerstrebens zunächst in das Mordkomplott gegen Siegfried[18] und später in den Plan des Hortraubes einwilligen lässt[19]. Hier erscheint Hagen als der eigentlich Handelnde. Nicht umsonst steht er für viele Forscher im Mittelpunkt des Nibelungenliedes: in ihren Augen ist „...der Stärkste und Tapferste am Burgundenhof Hagen und nicht Gunther“.[20]

Hagen könnte seine Stärke ohne weiteres auch gegen die Könige einsetzen. Hier kommt aber eine seiner positiven Eigenschaften zum Tragen: seine Loyalität. Er hat seine Fähigkeiten ganz in den Dienst der Könige gestellt. Sein gesamtes Handeln ist auf den Schutz und den Vorteil der burgundischen Herrscher ausgerichtet.

[...]


[1] Wappenschmidt, Heinz-Toni: „Nibelungenlied und Historienmalerei im 19. Jahrhundert. Wege der Identitätsfindung“, in: Heinzle, Joachim/ Waldschmidt, Anneliese: „Die Nibelungen. Ein deutscher Wahn, ein deutscher Alptraum“, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M., 1991, S. 222

[2] Mattausch, Roswitha/ Schmidt-Linsenhoff, Viktoria, zitiert in: ebd. S. 222

[3] „Das Nibelungenlied“, nach d. Text von Karl Bartsch und Helmut de Boor, Reclam, Stuttgart, 1997, 9,1-4. Im Folgenden wird das Nibelungenlied durch die Abkürzung „NL“ ersetzt.

[4] ebd., 898

[5] „mit schoenem libe“; ebd., 413; auch: „der helt was wol gewahsen“ (...), „grôz was er zen brusten“, (...) „diu bein wâren im lanc“; ebd., 1734, 1-4

[6] ebd., 1734

[7] ebd., 1734, 4

[8] ebd., 1665, 4

[9] ebd., 1666, 1-2

[10] ebd., 413

[11] ebd., 286, 1-4

[12] ebd., 1734,3

[13] Mackensen, Lutz: „Die Nibelungen. Sage, Geschichte, ihr Lied und sein Dichter“, Dr. Ernst Hauswedell & Co., Stuttgart, 1984, S. 143

[14] NL, 53

[15] ebd., 82

[16] ebd., 148 und 153

[17] ebd., 637 ff.

[18] ebd., 867

[19] ebd., 1131

[20] vgl. Saran, zit. in: Rollnik-Manke, Tatjana: „Personenkonstellationen in mittelhochdeutschen Heldenepen“, Verlag Peter Lang, Frankfurt a.M., 2000, S. 8

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die Rolle Hagens im Nibelungenlied
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Institut für Germanistik)
Note
1,0
Jahr
2001
Seiten
21
Katalognummer
V3695
ISBN (eBook)
9783638122801
Dateigröße
503 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rolle, Hagens, Nibelungenlied, Hagen von Tronje, Tronje, Intrigant, Hagen, Kriemhild, Etzel, Niebelungenlieds, Königshof, Charakter, Siegfried, Burgunderhof, Heerführer, Held
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Anonym, 2001, Die Rolle Hagens im Nibelungenlied, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3695

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