Handlungsoptionen in der Sozialen Arbeit zur Verbesserung der Lebensumstände geduldeter Frauen in Deutschland

Bedürfnisse und Probleme geflüchteter Frauen


Hausarbeit, 2016

19 Seiten, Note: 1,4


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung
1.1. Hinführung zum Thema
1.2. Auseinandersetzung mit dem Flüchtlingsbegriff

2. Einblick in die Lebenswelt geduldeter Frauen
2.1. Rechtliche Lage
2.1.1. Asylverfahren
2.1.2. Duldungsstatus
2.2. Soziale Lage
2.2.1. Geschlechtsbedingte Fluchtbedingungen und -hindernisse
2.2.2. Konsequenzen aus dem Duldungsstatus

3. Handlungsmöglichkeiten der Sozialen Arbeit
3.1. Beratungsarbeit
3.1.1. Beratungsarbeit am Beispiel der geduldeten Frauen
3.1.2. Daraus resultierende Anforderungen an Sozialarbeiter*innen
3.2. Empowerment
3.2.1. „Women in Exile“
3.2.2. Handlungsperspektiven im Rahmen der Fragestellung

4. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

1.1. Hinführung zum Thema

In der Literatur finden sich diverse Werke, welche die Frage nach der Lebenswelt von geflüchteten Menschen erforschen und behandeln. Insbesondere die strukturellen Lebensbedingungen, z.B. die rechtliche Lage (Aufenthaltsstatus) und damit einhergehende Restriktionen in nahezu allen Lebensbereichen (Arbeitsmarkt, Bildung, Freizeitgestaltung,…) (vgl. Gag, Voges 2014) sowie die psychosozialen Folgen für das Individuum (vgl. Grafe 2013) werden intensiv beleuchtet. Weiterhin wird die Frage nach der besseren gesellschaftlichen Integration sowie die Handlungsfähigkeit der geflüchteten Menschen, insbesondere der Jugendlichen, unter Berücksichtigung oben genannter Aspekte viel diskutiert (vgl. Geiger 2016, Seukwa 2010). Obwohl weltweit etwa die Hälfte der Migrant_innen weiblich sind (vgl. Morokvasic 2009, S. 29), bleiben geschlechtsspezifische, bzw. weibliche Perspektiven auf die Themen Flucht, Integration sowie Asyl im wissenschaftlichen Diskurs bis heute stark unterrepräsentiert[1] und Frauen[2] wurden lange nur als familiäre ‚Anhängsel‘ von Arbeitsmigranten gesehen (vgl. Potts, Prasske 1993, S.8). Auch in der Praxis und in den Empowermentbewegungen, z.B. bei Flüchtlingsselbstorganisationen, welche häufig männlich dominiert sind, finden feministische Perspektiven sowie die Wünsche und Bedürfnisse weiblicher geflüchteter Menschen nicht ausreichend Beachtung (vgl. Women in Exile 2016, o.S.). Die bildungspolitische Relevanz der Fragestellung nach der Handlungsfähigkeit in der sozialen Arbeit mit geduldeten Menschen steht in Anbetracht der aktuellen politischen Lage sowie des medialen Diskurses außer Frage (vgl. Seukwa 2010, S.4). Die vorliegende Arbeit widmet sich ebendieser Frage und untersucht die Lebenslage geduldeter Frauen in Deutschland sowie die besonderen Umständen, welche sich durch die Mehrfachdiskriminierung sowie die Intersektionalität in den Bereichen des Asylstatus Duldung und dem Geschlecht ergeben. Zunächst wird die Lebenswelt geflüchteter Frauen in der BRD beleuchtet. Hierbei berücksichtigt werden, neben geschlechtsunspezifischen Aspekten, wie die rechtliche Lage, z.B. der Aufenthaltsstatus und damit zusammenhängende Regelungen und Restriktionen, insbesondere auch geschlechtsspezifische Umstände, welche sich aus der oben genannten Intersektionalität ergeben. Hierfür wird die soziale Lage der geflüchteten Frauen beleuchtet, welche materielle Aspekte wie die Wohnsituation oder die Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beleuchtet. Anschließend widmet sich die Arbeit der Frage, wie die gewonnenen Erkenntnisse hilfreich für eine Soziale Arbeit mit geflüchteten Frauen aussehen können. Hierzu werden Herausforderungen an ein Beratungsangebot aber auch explizit an Pädagog*innen oder Sozialarbeiter*innen herausgearbeitet. Des Weiteren wird ein kurze Vorstellung einer Empowermentbewegung geflüchteter Frauen erfolgen sowie daran orientiert weitere Handlungsperspektiven für die Soziale Arbeit mit ebendiesen gegeben.

1.2. Auseinandersetzung mit dem Flüchtlingsbegriff

An dieser Stelle soll davor gewarnt werden, das Geschriebene zu verallgemeinern und Individuen auf Aussagen über jene zu reduzieren. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit Frauen, welche eine traumatische Fluchterfahrung haben, potentiell verängstigt sein oder Opfer von sexualisierter Gewalt sein können(!). Was damit ausgedrückt werden soll ist, dass diese Aussagen nicht für alle geflüchteten Frauen gleichermaßen gelten. Wenn in der vorliegenden Arbeit beispielsweise von verängstigten und hilflosen Frauen in Gemeinschaftsunterkünften gesprochen wird, heißt das ausdrücklich nicht, dass diese Beschreibungen per se auf alle Frauen, welche in diesen leben, zutreffen. Vielmehr soll beleuchtet werden, unter welchen Belastungen einige der Frauen leben müssen, um einen Einblick in deren Lebenswelt sowie die Möglichkeit der Perspektivübernahme zu bieten. Die Frauen, über jene im Folgenden geschrieben wird, werden als handlungsmächtige, eigenständige Individuen verstanden, welche sich nicht durch bestimmte Aspekte homogenisieren oder auf diese reduzieren lassen. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben, alle Aspekte, welche diese Frauen beeinflussen können, zu berücksichtigen, jedoch soll mit der Darstellung der Auswahl möglicher Empfindungen und Verfassungen einen Einblick in die Lebenswelt der Frauen gegeben werden, welche sich in den jeweiligen Situationen befinden. Aus ebendiesem Grund wird in der vorliegenden Hausarbeit auf den Begriff Flüchtlingsfrauen, welcher sich in dem medialen Diskurs dominiert, verzichtet. Im Folgenden wird der Terminus geflüchtete, bzw. geduldete Frauen verwendet, um den Fokus auf den Individuen zu belassen, anstatt sie aufgrund bestimmter Merkmale einer homogenen Masse zuzuschreiben. Weiterhin wird, in Anlehnung an Seukwa, der Flüchtlingsbegriff nicht als Persönlichkeitsmerkmal angesehen, sondern als vorrangig rechtliche aber auch soziale Konstruktion, die einen bestimmten Status (den des Flüchtlings) und damit einhergehend rechtliche Grundlagen sowie Privilegien und Benachteiligungen produziert (vgl. Seukwa 2010, S. 3).

2. Einblick in die Lebenswelt geduldeter Frauen

In dem pädagogischen Diskurs steht es inzwischen nicht mehr außer Frage, dass soziale Kompetenzen wie Empathie und die Fähigkeit der Perspektivübernahme Grundvoraussetzungen für eine pädagogische Praxis sind (vgl. Liekam 2004). Des Weiteren sind gewisse theoretische Grundkenntnisse bezüglich der Rechtslage sowie, der aus dieser bedingten, Lebenswelt geduldeter Menschen und explizit geduldeter Frauen vonnöten, um Aussagen über die Handlungsmöglichkeiten der eben genannten zu treffen und Handlungsoptionen für Unterstützer*innen jeglicher Art zu erarbeiten. Aus diesem Grund beschäftigt sich der folgende Abschnitt mit der Lebenswelt geduldeter Frauen. Hierbei werden die rechtlichen Rahmenbedingungen, wie das Asylverfahren und die Duldung, näher erläutert sowie anschließend die soziale Lage, in welcher sich die geduldeten Frauen aufgrund des rechtlichen Status befinden, beleuchtet.

2.1. Rechtliche Lage

Im Folgenden werden die rechtlichen Rahmenbedingungen, welche für geflüchtete und explizit für geduldete Menschen gelten dargestellt. Um nicht den Rahmen dieser Hausarbeit zu sprengen, ist es nicht möglich, den kompletten rechtlichen Rahmen darzustellen, in welchem sich diese Personen in Deutschland bewegen, jedoch ist es meines Erachtens nach unabdingbar gewisse Gesetzgebungen zu betrachten, um die Lebenslage geduldeter Menschen und explizit die geduldeter Frauen einschätzen zu können. Weiterhin erschwert die regelmäßige Änderung, bzw. Anpassung der Gesetzeslage in der Flüchtlingspolitik eine längerfristig aktuelle Darstellung einzelner Gesetzte. Aus diesem Grund, werden relevante Gesetze wie beispielsweise die Residenzpflicht sowie ihre Bedeutung für die Fragestellung verkürzt dargestellt und Verweise auf weiterführende Informationen gegeben. Den Leser*innen bleibt es überlassen, das Beschriebene auf Aktualität zu überprüfen und sich, bei Interesse, detailliert zu informieren. Der Fokus wird im folgenden Abschnitt auf diejenigen rechtlichen Aspekte gelegt, welche für die Fragestellung relevant sind, wobei kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird, es soll lediglich ein Einblick in die Belastungen gegeben, werden welche sich durch den gesetzlichen Rahmen ergeben.

2.1.1. Asylverfahren

Wenn geflüchtete Menschen ohne Einreisepapiere in Deutschland ankommen, dürfen sie einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden BAMF) stellen. Dort wird geprüft, ob die BRD zuständig für den jeweiligen Antrag ist oder ob bereits ein Asylantrag in einem anderen EU Mitgliedsstaat gestellt wurde. Ist dies der Fall folgt eine inhaltliche Prüfung, in welcher die Antragssteller*innen glaubhaft und detailliert darstellen müssen, warum sie asylberechtigt seien. Diese persönlichen Anhörungen stellen oftmals die einzige Chance für die geflüchtete Person dar, ihre Situation darzulegen und ein Anrecht auf Asyl zu erhalten. Nichtsdestotrotz sind hinreichend Fälle bekannt, in welchen diese nicht differenziert und sorgfältig durchgeführt wurden, weil die Mitarbeiter*innen im BAMF überbelastet[3] (vgl. Schröder 2011, S.7) sowie teilweise(!) unmotiviert sind und die Anhörung Asylsuchender als „eine lästige Pflicht“ (Grentz et al. 2015, S. 131) ansehen. In der Literatur sind genügend Beispiele zu finden, in welchen vorschnell und ohne angemessene Begründung geurteilt wurde (vgl. ebd., S. 127). Die bei Grentz et al. dargestelltenHieDie DD Ablehnungsbescheide mit der Begründung, dass der*die Antragstellende nicht glaubhaft darlegen konnte, warum er*sie schutzbedürftig sei, zeigt, dass die persönliche Anhörung eher einem Verhör gleicht, in welchem die asylsuchende Person sich beweisen und rechtfertigen muss. Dass diese Prozedur mit starken psychischen Belastungen einhergeht und die Asylberwerber*innen stark unter Druck gesetzt werden, da dies ihre einzige Chance auf ein Leben im Aufnahmeland darstellt, ist unschwer vorstellbar. Weiterhin ist es leicht nachvollziehbar, dass in diesen Anhörungen, welche in einigen Fällen sogar unter erschwerten Bedingungen, z.B. durch die Nichtanwesenheit eines Dolmetschers, stattfinden und in welchen verlangt wird, dass die Betroffenen ihre zum Teil traumatischen Erlebnisse detailliert beschreiben, Unstimmigkeiten und Widersprüche, durch die Angst etwas falsches zu sagen oder schlicht aufgrund von Missverständnissen, entstehen können. Es ist, wie oben genannte Beispiele zeigen, hinreichend bekannt, dass diese Faktoren in vielen Fällen nicht ausreichend berücksichtigt werden. Abgesehen von den zuvor erläuterten, können bereits bei dieser belastenden Prozedur zusätzliche geschlechtsspezifische Probleme auftreten. Ein Beispiel der Rechtsanwältin Susanne Schröder berichtet von der Anhörung einer Asylbewerberin, welche laut einem psychologischen Gutachten, aufgrund einer Vergewaltigung, Angst vor Männern habe. Der Mann, welcher den Sprachtest bei der Anhörung ausführte, beschrieb die Bewerberin als unauffällig und normal und wies ihren Antrag unter anderem mit der Begründung ab, ihre Geschichte sei aufgrund ihrer Reaktion unglaubwürdig (vgl. Schröder 2011, S.7). Weiterhin kann es für eine alleinreisende Frau, welche im Herkunftsland aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung, in der Öffentlichkeit stets von einem Mann oder der Familie vertreten wurde, ungewohnt sein, sich und die persönlichen Bedürfnisse gegenüber fremden Menschen, insbesondere Männern zu artikulieren, geschweige denn, von traumatischen, sexuellen Übergriffen zu berichten (vgl. Potts, Prasske 1993, S. 35)[4]. Viele der geflüchteten Frauen kommen aus patriarchalischen Gesellschaften, in denen Sexualität tabuisiert wird und in welchen die Konsequenzen eines Sexualverbrechens verheerend sind. Wie unschwer vorstellbar, werden die wenigsten Frauen von Vergewaltigungen oder anderen geschlechtsspezifischen Fluchtgründen berichten, wenn ihr Ehemann präsent ist und sie Sanktionen seinerseits zu befürchten haben (vgl. ebd. S.36).

2.1.2. Duldungsstatus

Nach der Anhörung steht den Asylbewerber*innen meist eine Wartefrist von durchschnittlich drei bis sechs Monaten bevor, in welcher sie ausharren müssen, ohne zu wissen wie das Ergebnis und somit auch ihre unmittelbare Zukunft aussehen wird. Werden ihren Darlegungen bei der Anhörung Glauben geschenkt und ihre Fluchtgründe als begründet (vgl. §3 Abs. 1 AsylVfG) angesehen, bekommen sie eine Aufenthaltserlaubnis. Ist dies nicht der Fall, bekommen sie einen Ablehnungsbescheid und müssen die Bundesrepublik in der Regel innerhalb 30 Tagen verlassen. Können bzw. dürfen die geflüchteten Menschen nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden, erwartet sie eine „Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“ (§60a AufenthG), die sogenannte Duldung, welche ihnen zwar erlaubt in Deutschland zu bleiben, jedoch erhalten sie, aufgrund der vorgesehenen, schnellstmöglichen Abschiebung nicht die Möglichkeit an Integrationsmaßnahmen teilzuhaben und somit auch keine Bleibeperspektive (vgl. Geiger 2016, S. 13). Geduldete Menschen führen ein Leben auf dem Abstellgleis und leiden unter starken rechtlichen und damit zwangsläufig auch gesellschaftlichen Restriktionen. Sie müssen oft in stark beengten Gemeinschaftsunterkünften ohne jegliche Privatsphäre leben und haben durch den eingeschränkten Zugang zum Bildungs- und Arbeitsmarkt kaum Möglichkeit der sozialen Integration in die Gesellschaft. Auf die genannten Aspekte sowie die sonstigen sozialen Auswirkungen, welche sich aus diesen prekären Lebensumständen und dem Status der Duldung, explizit auch für geduldete Frauen ergeben, wird in Kapitel 2.2 näher eingegangen.

2.2. Soziale Lage

2.2.1. Geschlechtsbedingte Fluchtbedingungen und -hindernisse

Für die Fragstellung, in welchem besonderen Maße Frauen von der Fluchterfahrung und der Situation, welche sie im Aufnahmeland erwartet, betroffen sind, ist es meines Erachtens nach notwendig, die besonderen geschlechtsspezifischen Fluchtgründe sowie ihren Zusammenhang mit der Fragestellung der vorliegenden Arbeit zu untersuchen. Die Fluchtgründe von Menschen allgemein können vielseitig sein und werden bei Gandenberger ausführlich dargestellt (vgl. Gandenberger 2003, S.282ff). Nichtdestotrotz treten bei Frauen, welche die Entscheidung treffen, in ein anderes Land zu fliehen, weitere Bewegründe auf sowie zusätzliche Hindernisse, welche sie auf ihrer Reise überwinden müssen.

Wie bereits erläutert, können sexuelle Übergriffe, unter anderem aufgrund der schlechten Bedingungen in Sammelunterkünften, eine Folge von Flucht sein, jedoch kann sexuelle Gewalt weiterhin sowohl Fluchtursache, wie auch Begleiterscheinung von Flucht sein. Alleinreisende Frauen sind in besonderem Maße für Übergriffe sexueller Natur gefährdet, jedoch schrecken Schlepper oder sonstige ‚Fluchthelfer‘ nicht davor zurück auch begleitete Frauen zu vergewaltigen oder sexuelle Handlungen als Bezahlung von ihren Begleitern einzufordern. So berichtete auch die UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR, „dass Sex auf der Flucht eine gängige Währung ist“ (Mumme 2016, o.S.). Gründe, warum Frauen trotz dieser Gefahren alleine oder in Begleitung ihrer Kinder eine Flucht antreten, können eine drohende Zwangsheirat, Genitalverstümmelung oder ein gewalttätiger Ehemann sein. Weiterhin haben Frauen in vielen Ländern unter politischer Unterdrückung und Verfolgung zu leiden. Im Iran beispielsweise werden Frauen mit körperlicher Gewalt, Gefängnis oder gar dem Tod bestraft, wenn sie bestimmte, nur für Frauen geltende, Normen nicht einhalten. Jedoch haben Frauen in vielen Ländern nicht nur mit staatlicher Repression zu rechnen, sondern auch mit gesellschaftlicher Exklusion, wenn sie sich nicht an das geltende Wertesystem traditioneller Gesellschaften halten (vgl. Soyyigitoglu 1993, S.110).

2.2.2. Konsequenzen aus dem Duldungsstatus

Wie bereits erläutert werden geflüchtete Menschen nach ihrer Ankunft in sogenannten Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht. Die Qualität dieser unterscheidet sich je nach Bundesland und sogar Region maßgeblich. Jedoch sind die Einrichtungen in vielen Fällen überbelegt, unzureichend ausgestattet und bieten keine Möglichkeit der Privatsphäre (vgl. Grentz et al. 2015, S. 141). Die Gemeinschaftsunterkünfte, in welchen geduldete Menschen meist nach der Ablehnung des Asylantrags untergebracht sind, bieten kaum Verbesserungen. Der mediale Diskurs bietet genug Beispiele, in welchen dies deutlich wird (vgl. Lasarzik, Leurs 2014, o.S.). Grentz et al. stellen überdies einige Vorfälle vor, in welchen Bewohner*innen einer Gemeinschaftsunterkunft ein Arztbesuch oder das Rufen eines Krankenwagens verwehrt wurde und dies zu schweren gesundheitlichen Folgen oder sogar zum Tod geführt hat (vgl. Grentz et al. 2015, S. 146 ff). Die fehlende Privatsphäre in den Erstaufnahmeeinrichtungen sowie den Gemeinschaftsunterkünften stellen meines Erachtens nach eine besondere Belastung für geflüchtete Frauen dar. Viele Frauen sind vor bzw. auf ihrer Flucht Opfer von gewalttätigen Männern geworden und in besonderem Maße traumatisiert, nichtsdestotrotz sind sie in vielen Fällen selbst in Deutschland, nachdem sie die aufreibende und gefährliche Reise beendet haben, nicht sicher vor sexuellen Übergriffen. Berichte und Mitteilungen, welche von sexueller Belästigung, tätlichen Übergriffen oder sogar Zwangsprostitution in Sammelunterkünften handeln sind im medialen Diskurs leider keine Ausnahme mehr. Es ist kein Geheimnis, dass viele geflüchtete Frauen über mehrere Monate in ständiger Angst leben müssen. So berichtet Amal, eine Aktivistin von der Flüchtlingsselbstorganisation „Women in Exile“, die verschiedene Heime in Brandenburg besuchte, um die dortigen Zustände zu dokumentieren: „Es gibt keine Frau, die nicht eine Geschichte von aufdringlichen Blicken, widerlichen Kommentaren, unerwünschtem Anfassen oder gar versuchter oder tatsächlicher Vergewaltigung erzählen könnte." (Mumme 2016, o.S.). Weitere Beispiele, welche die unzumutbaren Bedingungen beschreiben sind Fälle, in denen Frauen in Straßenkleidung schlafen oder abends keine Flüssigkeit zu sich nehmen, aus Angst nachts auf die Toilette zu müssen (vgl. Pressemitteilung agisra e.V. 2014). Wie belastend und angsterfüllend diese Umstände, selbst für Frauen ohne vorhergehende traumatische Erfahrungen mit sexueller Gewalt sein müssen, lässt sich nur schwer nachvollziehen. Nichtsdestotrotz gibt es nur selten ausweichende Optionen und die Frauen sind in den meisten Fällen gezwungen mit der Situation umzugehen und zusätzliche, einschränkende Lebensbedingungen und ein Leben in ständiger Angst in Kauf zu nehmen. Richtlinien, wie die Residenzpflicht[5] erschweren zudem, dass Frauen sich zum Beispiel in Frauenhäusern oder sonstigen Anlaufstellen Hilfe suchen können, da diese oftmals außerhalb des erlaubten Bewegungsbereiches liegen (vgl. §61 Abs. 1 AufenthG). Abgesehen davon, dass sich die geflüchteten Menschen meist, aufgrund der Flucht und der unsicheren Zukunftsperspektive, bereits sowieso schon in einer außerordentlichen Stresssituation befinden gilt zu bedenken, dass die Menschen, welche in den Gemeinschaftsunterkünften zusammenleben oftmals aus verschiedenen Ländern kommen und dementsprechend auch verschieden sozialisiert sind. Zu diesen Diskrepanzen kommt noch der Aspekt hinzu, dass einige geduldete Menschen stark frustriert sind, da sie oftmals hochqualifiziert sind und den Wunsch haben in Deutschland zu arbeiten sowie sich aktiv an der Gesellschaft zu beteiligen. Da ihnen dies, aufgrund ihres Status, jedoch verwehrt bleibt (ebd.) und des Weiteren das Problem der fehlenden Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeiten herrscht, ist es unschwer vorstellbar, dass diese Faktoren ein erhöhtes Agressions- sowie Eskalationspotential begünstigen. Dieses muss sich auf traumatisierte und verängstigte Frauen nicht per se in Form von verbalen oder physischen Angriffen auswirken, jedoch stellt es mit Sicherheit eine zusätzlich psychische Belastung sowie Stresssituation dar. Da Gemeinschaftsunterkünfte häufig dezentral liegen und Einschränkungen, wie die Residenzpflicht oder das Asylbewerberleistungsgesetz[6] die Möglichkeiten der Selbstbestimmung eingrenzen, ist es oftmals nicht ohne weiteres möglich, Freizeitangebote wahrzunehmen und dem Alltag in den Gemeinschaftsunterkünften zu entfliehen. Penteker fasst die allgemeine Verfassung geduldeter Menschen in Deutschland treffend wie folgt zusammen:

[...]


[1] Einen historischen Überblick über das Bild der Frau in der Migrationsgesellschaft gibt Huth-Hildebrandt ( vgl. Huth-Hildebrandt 2002)

[2] In der Literatur findet immer häufiger die Schreibweise Frau* Bedeutung, welche all jene mit einbeziehen soll, welche sich als Frau fühlen (z.B. Transfrauen), dies impliziert jedoch m.E., dass diese Personen keine „richtigen“ Frauen seien, deswegen wird hier und im Folgenden die Bezeichnung Frau verwendet, unter welcher alle Menschen benannt werden, welche die Selbstdefinition Frau gewählt haben

[3] Von Januar bis Mai 2015 wurden 141905 Asylerstanträge gestellt, von denen nur 48089 bearbeitet werden konnten. Somit ergab sich innerhalb fünf Monate bereits ein Rückstau von 48089 Asylanträgen (vgl. BAMF Asylgeschäftsstatistik für den Monat Mai 2015)

[4] An dieser Stelle soll vor Verallgemeinerungen gewarnt werden. Frauen, welche alleinreisend nach Deutschland fliehen, werden hier als selbstständige Subjekte wahrgenommen, welche sich nicht auf bestimmte Merkmale reduzieren oder durch diese homogenisieren lassen.

[5] Weiterführende Informationen zur Residenzpflicht sowie aktuellen Änderungen sind hier zu finden: http://www.residenzpflicht.info/, letzer Zugriff, 22.03.2016

[6] Das Asylbewerberleistungsgesetz sichert die Grundversorgung für Asylbewerber*innen, meist in Form von Sachleistungen. Die Bewerber*innen haben in den meisten Fällen keine Möglichkeit der Selbstbestimmung, welche Güter sie in welchem Umfang benötigen. Ein prägnanter Überblick über das Asylbewerberleistungsgesetz ist hier zu finden (Stand 2016): https://www.proasyl.de/thema/asylbewerberleistungsgesetz/, letzter Zugriff: 22.03.2016

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Handlungsoptionen in der Sozialen Arbeit zur Verbesserung der Lebensumstände geduldeter Frauen in Deutschland
Untertitel
Bedürfnisse und Probleme geflüchteter Frauen
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (Institut für Erziehungswissenschaft)
Veranstaltung
Soziale Arbeit mit geflüchteten Menschen
Note
1,4
Autor
Jahr
2016
Seiten
19
Katalognummer
V369121
ISBN (eBook)
9783668473072
ISBN (Buch)
9783668473089
Dateigröße
556 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Flüchtlinge, Geflüchtete Frauen, Geflüchtete, duldung, gedultete
Arbeit zitieren
Michelle Dailey (Autor:in), 2016, Handlungsoptionen in der Sozialen Arbeit zur Verbesserung der Lebensumstände geduldeter Frauen in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/369121

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