Angst als Krankheit. Warum ist die Angst ein Tabuthema in unserer Gesellschaft?


Hausarbeit, 2017

23 Seiten, Note: 2,7

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Emotionen
2.1 Was sind Emotionen?
2.2 Welche Emotionen unterscheidet man?

3 Die Emotion Angst
3.1 Definitionen von Angst
3.2 Angst und Furcht
3.3 Angst bei Kindern
3.4 German Angst

4 Theorien zur Angstentstehung
4.1 Die psychoanalytische Theorie der Angst nach Sigmund Freud
4.2 Die behavioristische Theorie der Angst
4.3 Die kognitive Theorie der Angst

5 Die Angst als Krankheit
5.1 Angststörungen
5.1.1 Phobie
5.1.2 Panikstörungen
5.1.3 Generalisierte Angststörung
5.2 Verlauf einer Panikattacke
5.3 Beispiele verschiedener krankhafter Ängste
5.4 Der Weg aus der Angst
5.5 Angst als Tabuthema in unserer Gesellschaft

6 Fazit

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Emotionen. Jeder kennt sie. Jeder hat sie.

Angst. Jeder kennt sie. Jeder hat sie.

Doch was sind Emotionen? Was ist Angst?

Jeder glaubt die Fragen beantworten zu können, doch oft fehlen die Worte dafür.

In dieser Arbeit möchte ich mich näher mit den Emotionen, speziell mit der Emotion Angst, beschäftigen. Zunächst wird der Begriff und die Unterteilung der Emotion erklärt. Im Anschluss daran kann man sich erst mit dem Begriff der Angst beschäftigen. Wenige Menschen machen sich Gedanken über den Begriff der ‚Angst’ und verwenden ihn im falschen Kontext. Dabei werden gerade wir Deutschen immer wieder in Verbindung mit der Angst gebracht, sodass die angrenzenden Länder uns die ‚German angst’ gewidmet haben. Interessant ist, wovor die Kinder und Erwachsenen in unserem Land Angst haben. Sind das noch normale Ängste, die in Umfragen genannt werden oder müssen wir uns schon Gedanken machen, dass wir krankhaft Angst haben? Wo ist der Übergang von normaler zur krankhaften Angst? Ab wann müssen wir uns Sorgen machen, dass wir an einer Angststörung leiden? Und was ist das überhaupt? Angststörungen sind in Deutschland weit verbreitet. Obwohl jeder dritte jemanden kennt, der mit einer Angststörung lebt, wissen nur die aller wenigsten, was das überhaupt ist und was das für die Betroffenen bedeutet. Es gibt viele verschiedene Formen einer Angststörung, die sich teilweise unterschiedlich, aber auch gleich auswirken. Zuletzt möchte ich mich mit der Angst als Tabuthema beschäftigen. Warum wird dieses Thema immer noch totgeschwiegen, obwohl beinahe jeder Deutsche damit zu tun hat? Was kann man für die Aufklärungsarbeit tun, um auf dieses sensible Thema aufmerksam zu machen?

2 Emotionen

Emotionen begleiten uns ständig und jeder empfindet täglich Emotionen. Doch was sind Emotionen? Jeder scheint zu wissen was Emotionen sind, bis er sie definieren soll.

2.1 Was sind Emotionen?

Im Duden wird die Emotion vom französischen Wort émotion abgeleitet, das so viel bedeutet wie bewegen, erregen (Duden, 1993, S. 900). Wir gehen also bei einer Emotion von einer psychischen Erregung oder einer Gemütsbewegung aus.

Die Emotionsforschung gibt es seit circa 100 Jahren. Von wissenschaftlicher Seite aus betrachtet gibt es bis heute keine einheitliche und vollständige Definition. Im Jahre 1981 versuchten Kleinginna und Kleinginna alle möglichst vollständigen Emotionsdefinitionen zu sammeln und haben aus mehr als 100 verschiedenen Ansätzen folgende Arbeitsdefinition formuliert:

„Emotion ist ein komplexes Interaktionsgefüge subjektiver und objektiver Faktoren, das von neuronal/hormonalen Systemen vermittelt wird, die a) affektive Erfahrungen, wie Gefühle der Erregung oder Lust/Unlust, bewirken können; b) kognitive Prozesse, wie emotional relevante Wahrnehmungseffekte, Bewertungen, Klassifikationsprozesse, hervorrufen können; c) ausgedehnte physiologische Anpassungen an die erregungsauslösenden Bedingungen in Gang setzen können; d) zu Verhalten führen können, welches oft expressiv, zielgerichtet und adaptiv ist." (Kleinginna, Kleinginna, 1981, S.355)

Ergänzend kann man sagen, dass Emotionen auch Informationen sind, die als Kommunikationsmittel dienen. Biologisch betrachtet sind Emotionen genetisch präformierte Verhaltensmuster und adaptive Vorgänge, die sich im Laufe der Evolution herausgebildet haben, um bestimmte Anpassungsprobleme zu lösen und dem Individuum ein schnelleres und der Situation adäquates Handeln zu ermöglichen.

Emotionen sind also zentrale, alltägliche und ereignisgebundene Phänomene unseres Lebens. Es vergeht kein Tag, an dem wir keine Emotion empfinden. Die persönliche Bedeutsamkeit scheint die Intensität der Emotionen zu beeinflussen. Außerdem scheinen Emotionen mit unserem Handeln, beziehungsweise dem Impuls zu handeln, in enger Beziehung zu stehen (vgl. Trimmel, 2003). Emotion, Stimmung, Affekt und Gefühl werden im Alltag oft synonym gebraucht. Die Stimmung ist im Gegensatz zur Emotion nicht so intensiv, nicht objektbezogen und ohne klares Ziel, dafür aber beständiger als die Emotion. Beim Affekt spricht man von einer kurzen und intensiv erlebten Emotion. Das Gefühl ist das subjektive Erleben einer Emotion.

2.2 Welche Emotionen unterscheidet man?

Auch bei dieser Frage sind sich die Wissenschaftler uneinig. Wenn man sich Gedanken macht welche Emotionen Menschen haben, kommen wir oft in Schwierigkeiten. Ist das eine Emotion oder beschreibe ich eher ein Gefühl?

Charles Darwin (1809-1882) war ein bedeutender Evolutionsforscher. Er erkannte Freude, Trauer, Ärger, Furcht, Scham, Ekel, Überraschung und Interesse als angeborene Reaktionsmuster. Diese Muster seien im Kampf ums Dasein (struggle for life) unerlässlich zum Überleben, denn nur die am besten Angepassten würden dadurch überleben (survival of the fittest). Der amerikanische Anthropologe und Psychologe Paul Ekman (*1934) erklärte in seiner Studie Freude, Ärger, Furcht, Traurigkeit, Ekel und Überraschung als Basisemotionen, die weltweit in der gleichen Weise ausgedrückt werden (vgl. Wittman, Merten, 2012, S. 94 f.). Heute unterscheiden wir Basisemotionen (Trauer, Zorn, Überraschung, Angst, Ekel, Verachtung, Freude) und komplexe Emotionen (Neid, Hoffnung, Unsicherheit, Scham, Schuld, Stolz, Einsamkeit, Eifersucht), die aus einem Lernprozess, also Erfahrungen, erfolgen.

Emotionen drücken wir mit unserer Mimik aus. Freuen wir uns, dann erhöhen sich die Mundwinkel, sind wir verärgert runzeln wir die Stirn. Bei der Furcht reißen wir die Augen auf. Die Traurigkeit zeigt sich durch das Runterziehen der Mundwinkel. Diese Basisemotionen werden überall auf der Welt gleich gezeigt und aufgefasst. Neid, eine der komplexen Emotionen, ist nicht überall auf der Welt zu erkennen. Viele Kulturen kennen diese Emotion gar nicht. Wir Deutschen hingegen verbinden sehr viel mit Neid.

3 Die Emotion Angst

Kein Mensch kann behaupten, dass er noch nie Angst hatte. Die Angst ist alltäglich und trifft jeden. Die Frage ‚Wovor haben Sie Angst?’ wurde in unserer Seminarsitzung ganz unterschiedlich beantwortet. Viele haben Angst vor Spinnen, engen Räumen oder Höhe. Die Angst vor Krieg oder Terror wurde mehrfach genannt, doch die häufigste Antwort war die Angst vor dem Verlust oder der Enttäuschung eines geliebten und vertrauten Menschen. Angst vor Krankheiten, unerfüllten (Selbst-) Erwartungen und einer ungewissen Zukunft in der heutigen Leistungsgesellschaft wurde ebenfalls genannt. Oft haben wir auch Angst vor Entscheidungen, denn wir wissen vorher nie, ob wir uns richtig oder falsch entscheiden. Die häufigste Angst ist jedoch die Angst vorm Tod. Nicht der Prozess des Sterbens macht uns Angst, sondern unser Lebensende. Alle unsere Träume können nicht mehr erfüllt werden und enden mit dem Tag des Todes. Doch was ist die Angst? Wie kann man sie beschreiben und was macht sie mit uns?

3.1 Definitionen von Angst

Die Angst ist ein Urinstinkt, der seit Millionen Jahren das Überleben der Menschheit sichert. Das Wort Angst leitet sich vom lateinischen ‚angustiae’ ab und bedeutet ‚eng, beengend, die freie Bewegung hindernd’ (vgl. Menge & Güthling 1965, zitiert nach Sörensen 1996, S. 2).

Im Klinischen Wörterbuch Pschyrembel wird die Angst folgendermaßen beschrieben:

„als unangenehm empfundener, gleichwohl lebensnotweniger emotionaler Zustand mit zentralem Motiv der Vermeidung bzw. Abwehr einer Gefahr und unter Umständen psychischen und physischen Begleiterscheinungen: Unsicherheit, Unruhe, Erregung (eventuell Panik), Bewußtseins-, Denk- oder Wahrnehmungsstörungen, Anstieg von Puls oder Atemfrequenz, verstärkte Darm- und Blasentätigkeit, Übelkeit, Zittern, Schweißausbrüche […]“ (vgl. Klinisches Wörterbuch Pschyrembel, 1994).

Angst gehört zu den Basisemotionen und wird als ein Zustand verstanden, der mit einem negativen Gefühl der Anspannung einhergeht und sich auf eine Bedrohung in der Zukunft richtet (vgl. Becker, 2011, S. 10). Jede natürliche Form der Angst wird von Symptomen begleitet, die körperliche und seelische Folgen nach sich ziehen können.

Experten sagen, dass die Angst vor Schlangen und Spinnen sogar angeboren ist. Hätten die Menschen vor tausenden Jahren keine Angst vor diesen Tieren gehabt, wären sie gebissen worden, wären gestorben und hätten sich nicht fortpflanzen können. Bis heute haben sich diese angeborenen Ängste durchgesetzt um das Überleben des Menschen zu sichern. Hippokrates (4. Jahrhundert vor Christus) gilt als der Begründer der Medizin als Wissenschaft. Für ihn stellt die Angst ein biologisches und medizinisches Problem dar, denn der Ausfluss von Galle ins Gehirn führt zu Angst. Die Angst kann man nur loswerden, wenn die Körperflüssigkeiten wieder ins Gleichgewicht kommen.

Platon und Aristoteles beschäftigten sich auch schon mit der Angst. Die beiden betrachteten aber die Psyche und die Angst unabhängig vom Körper. Die Angst ist für sie primär eine physische Reaktion. Der dänische Philosoph Søren Kierkegaard veröffentlichte 1844 ein Buch unter dem Namen „Der Begriff Angst“. In diesem Buch beschreibt er die Angst als eine geistige Erscheinung und somit als philosophisches Problem. Charles Darwin, der Begründer der Evolutionstheorie stellte fest, dass Angst eine automatische Reaktion auf eine Bedrohung ist. Darwin erforschte die Angst daraufhin genauer. Sigmund Freud, der die Psychoanalyse begründete, untersuchte die Angst unter psychologischen Gesichtspunkten. William James, der die Psychologie in den USA etablierte, geht davon aus, dass die Moderne für die akute Angst und die Panikattacken verantwortlich sei. Die Angst ist eine der interessantesten Emotionen überhaupt. Im Gegensatz zur Scham oder dem Stolz lässt sie sich in gewissem Maße experimentell messen und untersuchen.

3.2 Angst und Furcht

Die Begriffe Angst und Furcht werden im täglichen Sprachgebrauch synonym verwendet, man muss sie aber klar voneinander abgrenzen und trennen. Beides sind Bezeichnungen für eine emotionale Erregung im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Gefahr. Die Furcht bezieht sich jedoch auf eine konkrete Gefahr und löst ein Fluchtverhalten aus. Die körperliche Erregung ist dabei viel intensiver. Diese Reaktion tritt sehr schnell auf, klingt aber auch schnell wieder ab, sobald die Bedrohung vorbei ist.

Die Angst ist eine länger dauernde körperliche Reaktion. Der Fokus ist dabei sehr unklar. Man steht unter Dauerspannung, denn die Gefahr, die noch nicht da ist, wird erwartet (ebd. S. 11). Die Angst ist diffus und ungerichtet, in einer Gefahrensituation ist eine angemessene Handlung unmöglich. Oft wird definiert, dass die Angst von ‚innen’ kommt, während die Furcht plötzlich durch ‚äußere’ Reize ausgelöst wird.

3.3 Angst bei Kindern

Kinder leiden ebenso unter Ängsten wie Erwachsene. Nahezu jedes Kind hat Angst vor der Dunkelheit, vor dem Alleinsein oder vor fremden Menschen. Diese Ängste verschwinden aber im Laufe der Entwicklung wieder. Es gibt auch Ängste, die erziehungsbedingt sind. Wenn die Eltern sich oft streiten oder mit den Kindern schimpfen entstehen Ängste. Die Erziehung prägt das Kind für sein ganzes Leben. Sie ist ein wichtiger Faktor für das seelische Leben des Kindes. Die Entwicklungsbedingten Ängste sind Teil der ganz normalen Entwicklung. Sie kommen in bestimmten Alterphasen und verschwinden danach wieder.

Kontakt-Verlust-Angst: Nach der Geburt baut das Kind eine starke Verbindung, insbesondere zur Mutter, auf. Die Angst vor dem Einbüßen der körperlichen Nähe zur Mutter und dem Vater kann zu Angst führen.

Fremdeln: Diese Angst tritt mit circa acht Monaten auf. Neben den vielen neuen Eindrücken auf der Welt sind fremde Gesichter beängstigend für die Babys. Nachdem das Baby sich an die Menschen gewöhnt hat, ist kein Fremdeln mehr zu beobachten.

Trennungs-Angst: Wenn das Kind Krabbeln oder Laufen lernt entdeckt es neue Sachen und gewinnt neue Eindrücke. Diese können zu Angst führen, wenn das Kind sich auf der Entdeckungstour unsicher fühlt und Bedenken hat, seine Eltern nicht wieder zu finden.

Die Trennungsangst kommt wieder zum Vorschein, wenn das Kind in den Kindergarten soll. Der Abschied von der Bezugsperson Nummer Eins fällt nur den wenigsten Kindern leicht. Eine Eingewöhnungsphase ist daher sehr wichtig. Wenn das Kind merkt, dass die Eltern nach dem Kindergarten wieder für sie da sind, ist die Angst so gut wie vergessen.

Vernichtungsängste: Im Vorschulalter kommen die Vernichtungsängste. Oft fürchten sich die Kinder vor Fantasiegestalten, die ihnen wehtun könnten. „Mama, da ist ein Monster unter meinem Bett“, ist da kein seltenes Phänomen. Dabei sollte man die Kinder ernst nehmen und nicht versuchen ihnen die Ängste auszureden.

Soziale Ängste: Mit Eintritt in die Schule wird das ganze Leben des Kindes umgestellt. Sie lernen ihre Schulkameraden kennen, die fremd sind und müssen sich in dieser großen Gruppe einbringen. Dazu kommt noch der Leistungsdruck. Die Kinder haben Angst keine Freunde zu finden oder nicht die geforderte Leistung zu erbringen.

Bei allen Kinderängsten ist es wichtig, den Kindern Liebe, Nähe und Sicherheit zu geben. Die Eltern sollten die Ängste der Kinder ernst nehmen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Wenn die Ängste länger andauern, sollte man sich auch nicht schämen, sich Hilfe zu holen. In Familientherapien werden die Ängste spielerisch ‚verjagt’ (vgl. Essau, 2014).

Unüberwundene Kinderängste können zu Angststörungen im Erwachsenenalter führen.

3.4 German angst

Wir Deutschen sind bekannt dafür, extrem ängstlich zu sein. Nicht umsonst gibt es den Begriff ‚German angst’, der das Phänomen der grundlosen Angst oder Besorgtheit der Deutschen beschreibt. Wir erwarten stets das Schlimmste, fürchten um unsere Existenz, müssen uns für jeden Fall versichern und sind extrem pessimistisch. Ständig sind wir von einem Gefühl der permanenten Bedrohung getrieben. Die German angst scheint noch seit dem Ende der Nazi-Zeit und dem Krieg in unserem Bewusstsein zu stecken. In einer Umfrage, in der 2400 Menschen befragt wurden, stellten sich folgende vorherrschenden Ängste der Menschen in Rheinland-Pfalz und dem Saarland heraus:

- Schwere Erkrankung 60%
- zu hohe Lebenserhaltungskosten 53%
- Pflegefall im Alter 52%
- Naturkatastrophen 46%
- Terroranschläge 41%
- Schlechte Wirtschaftslage 37%
- Altersarmut 35%
- eigene Arbeitslosigkeit 27%[1]

Bei diesen Ergebnissen kann man feststellen, dass uns weniger externe Bedrohungen oder Umweltängste beschäftigen, sondern viel mehr wirtschaftliche Themen und persönliche Sorgen. Beim Eintreten einer dieser Fälle würde das ganze Leben umgekrempelt werden und man stünde vor einer großen Herausforderung, aus dieser Situation wieder herauszukommen. In vielen der oben genannten Fälle kann man sich heutzutage versichern und somit im Falle des Eintretens vorsorgen. Viele Deutsche geben grundlos Geld für Versicherungen aus, die sie nie brauchen werden, nur um sich etwas sicherer zu fühlen.

4 Theorien zur Angstentstehung

Jeder Mensch hat Angst. Bis heute ist nicht eindeutig geklärt, woher die Angst kommt und wie sie entsteht. Fest steht, dass die Angst ein biologisch angelegtes Reaktionsmuster auf Wahrnehmung, Bewältigung und Vermeidung von Gefahren und Bedrohungen ist. In unserem heutigen Leben scheint die Unvorhersehbarkeit von Lebenssituationen die wichtigste und häufigste Ursache für Angstreaktionen zu sein. Diese Angstreaktionen dienen grundsätzlich dem Schutz unseres Lebens. Man geht davon aus, dass eine gewisse Ängstlichkeit angeboren ist, dennoch spielen auch Lernerfahrungen eine große Rolle. Heute gehen wir von drei Angsttheorien aus:

(1) die psychoanalytische Theorie der Angst nach Sigmund Freud,
(2) die behavioristische Theorie der Angst und
(3) die kognitive Theorie der Angst

4.1 Die psychoanalytische Theorie der Angst nach Sigmund Freud

Sigmund Freud (1856-1939) war ein anerkannter Neurologe und Tiefenpsychologe, der selbst mit der Angst zu tun hatte und unter Panikattacken litt. Seine psychoanalytische Theorie gilt als die Haupttheorie zur Entstehung von Angst. Die Psychoanalyse ist eine tiefenpsychologische Forschungsmethode und gilt als Begriff der Freudschen Lehre. Laut der psychoanalytischen Theorie der Angst nach Sigmund Freud ist die Angst ein Affektzustand, der extrem komplex und nicht einfach zu erfassen ist. Freud teilt seine Theorie nochmals auf in die ‚Theorie der Angstneurose’ (1894) und die ‚Signaltheorie der Angst’ (1926).

Unter einer Neurose versteht man eine psychische Verhaltensstörung, die von längerer Dauer ist und die Betroffenen sehr stark belastet. Die Theorie der Angstneurose beschreibt die Angst als „[…] ein Affektzustand mit physiologischen, verhaltensmäßig-motorischen und subjektiven Komponenten, der dann entsteht, wenn sich ein Individuum unfähig fühlt, bestimmte Aufgaben durch entsprechende Reaktionen zu bewältigen. Sind diese Aufgaben in der Umwelt des Individuums zu lokalisieren, so ist die entstandene Angst gleichsam eine ‚normale’. Liegen sie in Form einer Blockierung der Befriedigung (meist sexueller) Bedürfnisse im Individuum, so entsteht ‚neurotische’ Angst. Neurotische Angst unterscheidet sich von normaler, dass sie im Individuum zu einem zeitlich erheblich länger erstreckten, erhöhten Niveau des Angsteffekts führt.“ (zit. nach Krohne, 2010)

Angst entsteht also durch die Unterdrückung unbewusster Impulse, das heißt nicht entladene Libido führt zur Verdrängung und wird in Angst umgewandelt.

In der zweiten Theorie nach Freud, der Signaltheorie, ist die Ursache für die Angst nicht mehr eine verdrängte Sexualerregung, sondern unbewältigte Konflikte lösen die Angst aus, die dann Abwehrmechanismen hervorrufen. Laut Freud ist der psychische Apparat des Menschen aus drei Instanzen zusammengesetzt: ES, Über-ICH und ICH.

a) ES ist der Repräsentant der Triebe und Bedürfnisse, wie Hunger, Sexualität und Aggression. Die instinktiven Triebe kennen keine Vernunft oder Verbote, sie streben nach sofortiger Befriedigung.
b) das Über-ICH wird gleichgesetzt mit dem Gewissen, das Gebote und Verbote befolgt. Es handelt sich dabei um eine kontrollierende und mahnende Instanz. Die Vermittlung von Normen und Werten der Gesellschaft durch elterliche Erziehung wird durch das Über-Ich verinnerlicht. Bei falschem Verhalten wird das Individuum durch Schuldgefühle bestraft.
c) das ICH arbeitet nach dem Realitätsprinzip und sorgt dafür, dass das ES befriedigt wird. Das ICH umfasst logisches Denken, Problemlösung und Wahrnehmung und kann entscheiden, ob und wie die Triebwünsche zugelassen werden können. Durch so genannte ‚Abwehrmechanismen’ kann das ICH die Triebe kontrollieren.

Wenn der Ausgleich zwischen diesen drei Instanzen nicht gelingt, kommt es zu Konflikten. Das ICH aktiviert durch die Abwehrmechanismen schützende Gegenmaßnahmen. Häufig erfüllen Abwehrmechanismen lebenswichtige, entlastende Funktionen.

Anna Freud unterscheidet neun verschiedene Abwehmechanismen:

1) Verdrängung: Der grundlegende Abwehrmechanismus ist die Verdrängung. Dabei handelt es sich um die unbewusste Unterdrückung eines Triebbedürfnisses beziehungsweise die Verhinderung des Eindringens unerwünschter oder gefährlicher Impulse in das Bewusstsein. Die Verdrängung ähnelt sehr dem Vergessen. Jedoch ist die Verdrängung ein aktives Verhalten und ist nicht endgültig.
2) Regression: Bei der Regression erfolgt ein Rückzug auf eine frühere Entwicklungsstufe. Zum Beispiel fallen betrunkene Menschen oft in ein kindliches Verhaltensmuster zurück.
3) Reaktionsbildung: belastende Impulse können abgewehrt werden, indem das Verhalten umgekehrt wird. Der nicht akzeptierte Triebimpuls wird überdeckt durch den gegenteiligen Antrieb. Statt Zorn und Ärger zu äußern, bleibt man freundlich und zuvorkommend. Hierbei sind die Übergänge zwischen bewusster Absicht und automatischer Gewohnheit jedoch fließend.
4) Ungeschehenmachen: Beim Ungeschehenmachen versucht die Person durch Handlungen und Rituale, die Strafe bei falschem Verhalten abzuwenden. Dieser Abwehrmechanismus kommt sehr häufig bei Zwangsstörungen vor.
5) Projektion: bei der Projektion werden eigene Gefühle, Triebe und Impulse, die man nicht wahrhaben will, auf andere übertragen, also verlagert. Nicht ich bin der Böse, sondern der Andere. In jeden Fall der Projektion liegt also eine Selbsttäuschung vor.
6) Introjektion: die Introjektion ist der umgekehrte Vorgang der Projektion. Wertvorstellungen und Verhaltensweisen einer anderen Person werden auf die eigene Person übertragen. Man imitiert also Verhaltensweisen, die dem eigenen ICH fremd sind. So können zum Beispiel Minderwertigkeitsgefühle überspielt werden.
7) Wendung gegen die eigene Person: eigene Impulse, die nicht auf andere übertragen werden können, werden auf das eigene Selbst gerichtet.
8) Verkehrung ins Gegenteil: Bei der Verkehrung ins Gegenteil beziehungsweise der Reversion werden die Triebe der Person temporär oder auf Dauer ins Gegenteil umgeschlagen.
9) Sublimierung: bei der Sublimierung werden nicht erfüllte Triebwünsche durch Ersatzhandlungen befriedigt (vgl. Freud, 1936).

4.2 Die behavioristische Theorie der Angst

Behaviorismus ist die Theorie der Wissenschaft des menschlichen und tierischen Verhaltens. Die behavioristische Theorie der Angst besagt, dass die Angst durch Lernen, aufgrund einer Reiz-Reaktions-Verbindung, entsteht. Auf einen Reiz folgt eine Reaktion. Wiederholt sich diese Verbindung entsteht eine Gewohnheit und prägt unseren Habitus (Konditionierung). Die Angst ist also ein erlernter Triebreiz. Eine Person, die noch nie geflogen ist kann behaupten, dass sie Flugangst hat. Wenn sie jedoch einen problemlosen Flug hinter sich hat, kann die Flugangst weg sein. Wenn diese Situation jedoch noch einmal eintritt und der Flug unruhig und problematisch verläuft, kann die Flugangst plötzlich wieder auftreten. Das Verhalten wird als Ergebnis von verstärkenden und abschwächenden Faktoren aufgefasst. Von einer positiven Verstärkung spricht man, wenn ein bestimmtes Verhalten ein positives Ereignis zu Folge hat und dieses Verhalten somit verstärkt wird. Andersherum können Verhaltensweisen auch abgeschwächt werden, wenn ein bestimmtes Verhalten negative Folgen hat.

4.3 Die kognitive Theorie der Angst

Die letzte Angsttheorie ist die kognitive Theorie der Angst. Diese beschreibt die Angst als eine Folge von Erwartungen und Bewertungen von Situationen. Diese Bewertung erfolgt bereits vor Handlungsbeginn, quasi eine Wenn-Dann-Bewertung. Lazarus’ Theorie der Stressbewältigung und Angstverarbeitung besagt, dass die Angst ein Begleitzustand eines gefahrenbezogenen Informationsverarbeitungsprozesses ist. Diese Begleiterscheinung wird in einem mehrphasigen Prozess bewertet und es wird nach einer Bewältigung gesucht. Die Person reagiert nicht auf die objektive Situation, sondern auf die subjektiv gedeutete Situation.

Die Theorie der Angsthemmung von Seymour Epstein (1972) geht davon aus, dass die Angst ein Spezialfall einer Erregung ist. Dies machte er am Beispiel eines Fallschirmspringers fest. Erfahrene Fallschirmspringer haben nicht weniger Angst wie unerfahrene Springer, jedoch können diese die Erregung durch die Aufmerksamkeitsfokussierung auf bereits Gelerntes kontrollieren.

5 Die Angst als Krankheit

Es gibt keinen Menschen, der frei von Angst ist. Ein bisschen Angst hat jeder, denn ein gewisses Maß an Angst und Furcht ist Überlebenswichtig. Doch wo hört normale Angst auf und wann fängt krankhafte Angst an? Täglich begegnen uns Situationen, in denen wir ein ungutes Gefühl haben. Wer kurz vor einer Prüfung anfängt zu schwitzen und zittern oder wer sich beim Anblick einer Spinne ekelt ist noch lange kein Angstpatient. So wenig wie jede Stimmungsschwankung gleich eine krankhafte Depression ist, so wenig ist jede Befürchtung eine krankhafte Angst. Die Übergänge von einer normalen Angst zu einer krankhaften Angst sind jedoch fließend.

5.1 Angststörungen

Unter Angststörungen werden mehrere Krankheiten zusammengefasst. Die Angst an sich wird nochmals in drei verschiedene Formen eingeteilt:

(1) die Angst als Primäremotion mit subjektiv-kognitiven, verhaltensbezogenen und physiologischen Komponenten,
(2) Ängstlichkeit als Persönlichkeitsmerkmal und
(3) die pathologische Angst, bei der Angstreaktionen beziehungsweise das Vermeidungsverhalten subjektiv als belastend und angemessen erlebt wird.

Bei der Abgrenzung gegenüber einer normalen und gesunden Angstreaktion sind vor allem die Intensität, Dauer und Angemessenheit der Angstreaktion zu berücksichtigen.

Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen Krankheiten in Deutschland. 15,3 % leiden unter einer Angststörung, davon 21,3% Frauen und 9,3% Männer. Im Laufe eines Jahres leidet etwa jeder zehnte Erwachsene unter irgendeiner Angststörung, wobei die soziale Phobie und die spezifische Phobie am häufigsten vorkommen. Die Lebenszeitprävalenz, das heißt der Anteil derjenigen, die irgendwann im Laufe ihres Lebens einmal von einer Angststörung betroffen waren, liegt in Deutschland bei ca. 15,1%. Bei Frauen kommt die Angststörung als häufigste psychische Erkrankung, noch vor den Depressionen, vor. Bei den Männern liegt die Angststörung auf Platz 2, direkt nach dem Alkoholmissbrauch. Jeder siebente Deutsche ist wegen Angstsymptomen in Behandlung.

Das DSM-IV (Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen, dt. Saß et al., 2003) ist ein Klassifikationssystem für psychische Erkrankungen. Angststörungen, Essstörungen, Depressive Störungen, Persönlichkeitsstörungen und Sexuelle Funktionsstörungen sind einige von insgesamt 22 Kategorien, die das DSM-IV untersucht.

Ein weiteres Klassifikationssystem ist ICD (International Classification of Diseases). Die aktuelle Ausgabe ist ICD-10, die seit 2016 gilt. Insgesamt ist dieses System in 22 Kapitel aufgeteilt. Die Klassifikation der Angststörung ist im Kapitel V – Psychische und Verhaltensstörungen zu finden. Dort wird unterschieden zwischen Phobien (F40) und andere Angststörungen (F41).

Allgemein lässt sich die Angststörung in Phobien, Panikstörungen und generalisierte Angststörung aufgeteilt, die im Folgenden näher erläutert werden.

5.1.1 Phobien

Eine Phobie ist eine besonders intensive, aber irrationale Angst vor bestimmten Situationen oder Objekten und geht mit einem Vermeidungsverhalten einher, welches in keinem Verhältnis zur eigentlichen Gefahr steht. Es gibt drei Hauptkategorien von Phobien:

(1) Agoraphobie, (2) Soziale Phobie und (3) Spezifische Phobie.

(1) Die Agoraphobie oder auch ‚Platzangst’ ist die Angst vor Menschenmengen oder öffentlichen Orten. Der Betroffene empfindet also Angst in solchen Situationen, in denen er sich außerhalb seiner gewohnten Umgebung aufhält. Das Vermeidungsverhalten führt oft zum totalen Rückzug aus der Gesellschaft, denn der Aufenthalt in öffentlichen Räumen ist unerträglich. Die Agoraphobie kann isoliert vorkommen, oder in Verbindung mit einer Panikstörung stehen. In Deutschland leben 4,0% der Bevölkerung mit einer Agoraphobie, davon 5,6% Frauen und 2,3% Männer.

(2) Die Soziale Phobie ist die Angst vor sozialen Situationen, bei denen die Gefahr besteht im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, sich peinlich oder beschämend zu verhalten. Die Angst in der Gegenwart von unbekannten Personen zu sein, die einen ansprechen könnten, führt zu Symptomen wie Erröten, Schwitzen, Zittern, Übelkeit, Harndrang, Herzrasen, und so weiter. Die Menschenangst treibt die Betroffenen in die absolute Einsamkeit. Selbst das Einkaufen wird zu einer unüberwindbaren Hürde. In Deutschland leben 2,7% der Bevölkerung mit einer sozialen Phobie, davon 3,6% Frauen und 1,9% Männer.

(3) Die Spezifische Phobie kann nochmals nach bestimmten Objekten und Situationen unterschieden werden in:

- Tierphobien (Spinnen, Schlangen),
- Naturphobien (Donner, Naturgewalten),
- Situative Phobien (Flug- oder Höhenangst) oder
- auch der Anblick von Blut und Spritzen ist eine spezifische Phobie.

Viele Betroffene flüchten dann und stellen sich nicht ihrer Angst. Beim nächsten Mal haben sie dann nur noch mehr Angst, weil sie nie feststellen werden, dass ihnen in der spezifischen Situation nichts Schlimmes passiert. In Deutschland leben 10,3% der Bevölkerung mit einer Spezifischen Phobie, davon 15,4% Frauen und 5,1% Männer.

5.1.2 Panikstörungen

Panikstörungen sind spontan auftretende Angstattacken, die nicht auf ein spezifisches Objekt oder eine spezifische Situation bezogen sind. Sie beginnen abrupt und erreichen innerhalb weniger Minuten einen Höhepunkt. Sie sind unaufhaltsam. Eine Panikstörung kann mehrmals am Tag auftreten, bis zu 30 Minuten dauern und bringt extrem starke körperliche Symptome, wie Schwitzen, Zittern, Atemnot, Benommenheit, Übelkeit und Atemnot, mit sich. In Deutschland leben 2,0% der Bevölkerung mit einer Panikstörung, davon 2,8% Frauen und 1,2% Männer.

[...]


[1] vgl. http://www.welt.de/angst/experten/133850912/ [28.02.2017]

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Angst als Krankheit. Warum ist die Angst ein Tabuthema in unserer Gesellschaft?
Hochschule
Universität Trier
Note
2,7
Jahr
2017
Seiten
23
Katalognummer
V368603
ISBN (eBook)
9783668482593
ISBN (Buch)
9783668482609
Dateigröße
629 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
angst, krankheit, warum, tabuthema, gesellschaft
Arbeit zitieren
Anonym, 2017, Angst als Krankheit. Warum ist die Angst ein Tabuthema in unserer Gesellschaft?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/368603

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