Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Erwachsenenalter

Wenn ADHS im Kindes- und Jugendalter unbemerkt bleibt


Hausarbeit (Hauptseminar), 2017

37 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Geschichte der Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung

3 ADHS- Definition und Klassifikation
3.1 Die Ursachen von ADHS
3.2 Symptomatik vom Säuglings- bis zum Jugendalter

4 Einführung - ADHS im Erwachsenenalter
4.1 Verlauf der Störung selbst und Residualsymptomatik
4.2 Erscheinungsbild und Diagnostik einer adulten ADHS
4.2.1 Kernsymptom Unaufmerksamkeit
4.2.2 Kernsymptom Hyperaktivät
4.2.3 Kernsymptom Impulsivität
4.2.4 Sekundäre Symptome
4.3 Interventionsmöglichkeiten im Erwachsenenalter

5. Fazit

1 Einleitung

Mit der Schlagzeile:„Kranke Kinder oder kranke Gesellschaft?“, eröffnete die überregionale deutsche Wochenzeitung namens „Die Zeit“ im Jahre 2013 einen Bericht über „ADHS“, der Fragen wie: „Die Diagnose ADHS hat drastisch zugenommen. Liegt das am Leistungsdruck und an überforderten Eltern? Oder wurde die Erkrankung zu lange verkannt?“ ermitteln sollte (vgl. http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2013-01/ADHS-Diagnose-Sym-ptome-Therapie).

Hinsichtlich dessen, ist im Rahmen dieser Hausarbeit die Klärung der letzteren Frage: „Wurde die Erkrankung zu lange verkannt?“ von Bedeutung. So zeigen bspw. Aussagen, wie: „Aufgeschoben ist (nicht) aufgehoben!“ oder „Diese Probleme hatte ich immer schon; jetzt muss ich dringend etwas dagegen tun“, dass ADHS keinesfalls eine Modediagnose unserer heutigen Gesellschaft ist, sondern das es zahlreiche Erwachsene gibt, bei denen das Störungsbild der Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung im Kindes- und Jugendalter nicht erkannt wurde. In diesem Sinne haben „adulte Patienten bei einem erstmaligen Verdacht auf ADHS [...] selten eine Vorgeschichte mit Abklärungen bei Schulpsychologen, Kinder- und/ oder Hausärzten (vgl.www.tellmed.ch/include_php/previewdoc.php?file_id =14806).

Schwerpunktmäßig wird in dieser Hausarbeit die Frage erörtert, was ADHS ist und wie sich die Störung im jeweiligen Lebensabschnitt eines Individuums- und das speziell im Erwachsenenalter, äußert.

Um die Komplexität des Störungsbildes hinsichtlich seiner historischen Entwicklung darzulegen, erfolgt nach der Einleitung ein kurzer Abriss zur Geschichte der Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung. Im Hauptteil der Arbeit wird die Entwicklung des Störungsbildes hinsichtlich seiner diagnostischen Kriterien: Definition, Klassifikation, Ursachen, Symptome, etc.- und das im gesamten Lebensverlauf beleuchtet. Diese detaillierte Darstellung soll veranschaulichen, inwiefern sich die Störung im Kindes- und Jugendalter auf den Werdegang eines Betroffenen -bis hin zum Erwachsenenalter- auswirken kann. Von besonderem Interesse wird dabei sein, wie sich eine unerkannte ADHS im Kindes- und Jugendalter im Erwachsenalter äußert und erkannt werden kann. Neben einer kurzen Vorstellung der Interventionsmöglichkeiten zur ADHS im Erwachsenenalter findet die Hausarbeit über eine Zusammenstellung der wichtigsten Ergebnisse, ihren Abschluss.

2 Geschichte der Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung

Die klassischen Symptome der Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) konnten schon vor Jahrhunderten bei Kindern beobachtet werden:

Die Geschichten vom Zappelphilipp, vom Hans Guck-in-die-Luft und dem bitterbösen Friederich dürften jedem bekannt sein. Mit diesen und anderen Geschichte aus dem ‚Struwwelpeter’ hat Heinrich Hoffmann, ein Frankfurter Nervenarzt, schon im Jahr 1845 Kinder beschrieben, die heutzutage mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) diagnostiziert werden könnten (Gawrilow, Caterina. 2016. Lehrbuch ADHS, S.17)

Dennoch gab es die ersten klaren fachlichen Beschreibungen bezüglich der Verhaltensmerkmale einer ADHS, wie die der motorischen Unruhe oder die der Unfähigkeit, die Aufmerksamkeit aufrechterhalten zu können, erst bei Sir George Frederick Still und Alfred F. Tredgold um 1900. Dabei führten die beiden Autoren das Erscheinungsbild dieser Verhaltensweisen auf einen sogenannten Verlust der moralischen Kontrolle zurück, der seinerseits aus einem biologischen Defekt resultieren und gleichzeitig eine ‚minimale Hirnschädigung’ darstellen sollte (vgl. Steinhausen, Hans- Christoph & Rothenberger, Aribert & Döpfner, Manfred.2010. Handbuch ADHS, S. 12).

Das Konzept einer organischen Schädigung als Ursache von Verhaltensauffälligkeiten wurde im vorigen Jahrhundert lange favorisiert [...], ohne dass man überzeugende Beweise für diese Annahme vorlegen konnte (Krause, Johanna & Krause, Klaus- Henning. 2014. ADHS im Erwachsenenalter, S. 2).

Der Begriff der hyperkinetischen Störung (HKS) bzw. ADHS, wurde dagegen erst im Jahre 1932 von den deutschen Psychiatern Franz Kramer und Hans Pollow eingeführt. So veröffentlichten sie „in der ‚Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie’ einen umfangreichen Artikel ‚Über eine hyperkinetische Erkrankung im Kindesalter’. Zur medikamentösen Behandlung der ADHS/ HKS, die fortan noch als ‚subtile hirnorganische Störung’ galt, entwickelte daraufhin der Psychiater Charles Bradley im Jahre 1937 die psychoaktive Substanz ‚Benzedrin’ und der Chemiker Leandro Panizzon der Wirkstoff ‚Methylphenidat’, welche zu einer deutlichen Verbesserung der Stimmungslage, dem Verhalten und den kognitiven Leistungen führte (vgl. Steinhausen, Hans- Christoph et. al. 2010. S. 13).

Mit Ende der 1950er Jahre wurde dann die Annahme, dass für die Entwicklung einer hyperkinetischen Störung einzig und allein eine sogenannte ‚minimale Hirnschädigung’, ver-antwortlich wäre, in Frage gestellt. Daraufhin dominierte stattdessen die Bezeichnung „mi-nimale Cerebrale Hirnschädigung und -dysfunktion (MBD/ MCD) in der Kinder- und Jugendpsychiatrie (vgl. ebd. S. 13).

In diesem Sinne setzte die klinische Forschung fortan

[...] nicht mehr einen pathologischen anatomischen Befund voraus, sondern hielt es auch für möglich, dass subtilere, grob anatomisch nicht erfassbare Auffälligkeiten des Gehirns bei der Pathophysiologie der hyperkinetischen Störung wesentlich sein könnten.[...] Das Konzept der MCD konnte sich aber auch nur bedingt durchsetzen, da die methodischen Zugänge zu dessen Prüfung noch nicht vorhanden waren (ebd. S. 13).

Während der 1960er Jahre entwickelte sich die Betrachtungsweise der hyperkinetischen Störung in die verschiedensten Richtungen, dessen Unterschiede sich schlussendlich auch in den diagnostischen Klassifikationssystemen der International Classification of Diseases (ICD) der World Health Organisation 1992[1] ; und Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) der American Psychiatric Association 1980[2], bemerkbar machten. So behielten die Kliniker in Europa bspw. im Gegensatz zu denen in Nordamerikan eine engere Sichtweise bezüglich der vermuteten Anzeichen einer Hirnschädigung. Darüber hinaus wurde auch der von der Wissenschaft bis dahin herrschende Fokus bezüglich der motorischen Hyperaktivität, mehr und mehr in den 1970er Jahren zu den Aspekten die sich mit Unaufmerksamkeit beschäftigten, gelenkt. Weitere mögliche Ursachen für eine ADHS wurden herangezogen, die sich bspw. auf belastende Umgebungsfaktoren wie die, die aus dem allgemeinen technischen Fortschritt resultierten, oder die, die aus einer möglichen allergischen Reaktion entstanden, sowie die, die auf andere kulturelle Einflüsse zurückzuführen waren, sich bezogen (vgl. ebd. S. 13-14).

In dieser Zeit wurde also erneut deutlich, dass die Hyperaktivitätsstörung [...] im Blickpunkt verschiedener Sichtweisen sowie gesellschaftlicher Bereiche steht und mehr Sachkenntnis für ein vertieftes Verständnis hilfreich ist (ebd. S. 14).

Schlussendlich sorgten dann die in den 1980er Jahren entwickelten Forschungs-methoden dafür, dass Kliniker erstmals bedeutende Erkenntnisse für das Störungsbild der ADHS/ HKS erlangen konnten. So wurde der Hyperaktivitätsstörung nicht nur eine stark erbliche Komponente nachgewiesen, sondern es wurde auch festgestellt, dass die Erkrankung chronisch verläuft und gleichzeitig von psychosozialen Beeinträchtigungen gekennzeichnet ist. Aufgrund dessen konnte dann auch festgehalten werden, dass eine rein medikamentöse Behandlung nicht mehr als ausreichend gelten konnte, sondern dass die Behandlung eher einer integralen, multimodalen Vorgehensweise bedürfe (vgl. ebd. S. 14).

Im Verlauf der 1990er Jahre entstanden aufgrund intensiver Forschungen erste Leitlinien zu den Störungsbildern der HKS bzw. ADHS, die einerseits nochmals die Bedeutung einer individualisierten, multimodalen, sowie multidisziplinären Abklärung und Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitätsstörungen betonten und andererseits zum ersten mal verdeutlichten, dass es einen beträchtlichen Anteil von Erwachsenen Betroffenen mit ADHS gibt. Zusammengefasst lassen somit mehr als hundert Jahre Wissenschaftsgeschichte der ADHS/ HKS eine Entwicklung erkennen, die von verschiedenen Einflüssen geprägt wurde (vgl. ebd. S.15).

3 ADHS- Definition und Klassifikation

Nachdem die historische Entwicklung des Störungsbildes ADHS/ HKS dargelegt wurde, gilt es nun zu klären, was ADHS/ HKS eigentlich ist. Neben den klassischen Symptomen der Hyperaktivität (motorischen Unruhe)[3] und der Unaufmerksamkeit[4], die schon von Still und Tredgold beschrieben wurden, ergibt sich in Kombination mit einem weiteren Symptom namens „Impulsivität“[5] eine Gruppe von Störungsbildern, die in den Klassifikationssystemen ICD- 10 der World Health Organization und DSM V der American Psychiatric Association als Hyperkinetische Störungen (HKS) bzw. Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) definiert werden (vgl. http://www.bundesaerztekammer.de/filead-min/user_upload/downloads/ADHSLang.pdf, S. 6).

Da diese Kernsymptome aufgrund einer teils veränderten Informationsübertragung zwischen den Nervenzellen im Gehirn auftreten, wird die ADHS als eine lebenslange, neurobiologische Erkrankung definiert, dessen Erscheinungsbild sich auf die verschiedensten Lebensbereiche erheblich störend auswirken kann (vgl.www.szh.ch/bausteine.net/f/19974/20150113_Eich-Hoechli.pdf?fd=3).

Die ICD-10 der WHO ist im Gegensatz zur DSM V, dass meist angewandte Klassifikationssystem in Europa, das auch überwiegend in Deutschland genutzt wird (vgl. www.bundesaerztekammer.de, S.5-6). Aufgrund dessen wird sich die Diagnose einer ADHS auch in der vorliegenden Arbeit auf dieses Klassifikationssystem beschränken:

Die Klassifikation Hyperkinetischer Störungen (F.90.0 bis F.90.9) erfolgt nach den in der ICD-10 festgelegten Kriterien. Voraussetzung ist das eindeutige Vorliegen eines abnormen Ausmaßes von Unaufmerksamkeit, Überaktivität und Unruhe und ihr situationsübergreifendes und andauerndes Vorhandensein. Sie dürfen nicht durch affektive Störungen verursacht sein (ebd., S.6).

Das Klassifikationssystem der ICD-10 WHO unterscheidet dabei zwischen zwei festgelegten Kriterienarten: Den klinischen Kriterien und den Forschungskriterien. Während sich die klinischen Kriterien auf die Kernsymptome (Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität, Impulsivität) beschränken -dessen einzelne Erscheinungsbilder für die Diagnose einer ADHS gleichermaßen ausgeprägt sein müssen, bzw. einer dieser Bereiche schwerpunktmäßig hervortreten muss- , ermitteln die Forschungskriterien mehrere Merkmale/ Symptome, aus denen sich im gesamten die Kernsymptome zusammensetzen- bzw. ermitteln lassen (vgl. ebd. S. 6-7). Dementsprechend sind bspw. die Grundmerkmale einer ADHS:

- Störung der Aufmerksamkeit mit Mangel an Ausdauer bei Beschäftigungen und die Tendenz, Tätigkeiten zu wechseln, bevor sie zu Ende gebracht werden.
- Unruhiges Verhalten insbesondere mit Unfähigkeit, stillsitzen zu können.
- Impulsivität z.B. mit abrupten motorischen und/ oder verbalen Aktionen, die nicht in den sozialen Kontext passen (ebd., S.5).

Im Einzelnen müssen gemäß diesen Forschungskriterien wenigsten sechs von neun Symptomen der Unaufmerksamkeit, drei von vier Symptomen der motorischen Unruhe und eins von vier Symptomen der Impulsivität[6] vorliegen, um eine ADHS diagnostizieren zu können. Des Weiteren müssen diese Merkmale bzw. im Gesamten die Kernsymptome über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten lang beobachtbar sein, sowie im frühen Lebensalter schon auftreten (vgl. ebd., S.5-6).

Sind die Kriterien für das Störungsbild ADHS nach der ICD-10 erfüllt, wird nach diesem Klassifikationssystem zwischen drei verschiedenen ADHS-Subtypen unterschieden: ‚einfache Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung [kodiert mit F.90.0]’[7], ‚hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens [kodiert mit F.90.1]’[8] und ‚Aufmerksamkeitsstörungen ohne Hyperaktivität [kodiert mit F.98.8]’[9]. Diese Untergliederung erfolgt dabei nicht entlang der Kernsymptome, sondern entlang solcher Indikatoren, die mit einer Störung des Sozialverhaltens (Aggressivität[10], Delinquenz[11] oder dissoziales Verhalten[12] ) verbunden sind. Dementsprechend liegen bspw. bei den Subtypen: ‚einfache Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung’ und ‚hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens’ zwar auf beiden Seiten die Kernsymptome der Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität vor, jedoch weißt Letztere zur Unterscheidung, die zusätzliche Komponente einer Störung des Sozialverhaltens auf. Der ADHS-Subtyp ‚Aufmerksamkeitsstörungen ohne Hyperaktivität’ erfüllt hingegen ausschließlich das Merkmal der Unaufmerksamkeit und weißt dement-sprechend keine Anzeichen für eine Hyperaktivität oder Impulsivität auf. Mit der Bezeichnung: ‚Verhaltens- und emotionale Störung mit Beginn in Kindheit und Jugend’, wird jedoch ersichtlich, dass auch dieser ADHS-Subtyp eine Störung im Sozialverhalten aufzuweisen hat (vgl. Gawrilow, Caterina. 2016. S.26- 28).

Obwohl die Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung schon aufgrund ihrer spezifischen dreier-Symptomatik, sowie aufgrund der differenzierten Klassifikation aus der ICD-10 WHO ein breit gefächertes Krankheitsbild darstellt, lassen sich im weiteren Verlauf ihrer Entwicklung erneute Veränderungen beobachten. Damit dieser komplexe Entwicklungsprozess jedoch im Folgenden hinsichtlich seiner Ursache- Wirkung- Zusammenhänge rekonstruiert werden kann, werden im nächsten Unterpunkt zunächst einmal die Ursachen von ADHS erläutert.

3.1 Die Ursachen von ADHS

Die Ursachen und Entstehungsbedingungen der ADHS, die als eine lebenslange, neurobiologische Erkrankung definiert wird, sind noch nicht vollständig geklärt. Es gilt aber als sicher, dass das Vorhandensein mehrerer Faktoren- wie bspw. einer genetischen Prädisposition[13] und einem gestörten Neurotransmitterstoffwechsel- in Kombination an der Verursachung beteiligt sind. So werden bspw. 65-90% der phänotypischen Varianz dieses Störungsbildes auf genetische Faktoren zurückgeführt, die vererbt werden. Geschwister, Eltern oder andere Verwandte haben dementsprechend ein 3- 5fach erhöhtes Risiko ebenfalls an ADHS zu erkranken (vgl. www.bundesaerztekammer.de, S. 21).

Nach dem biopsychosozialen Modell von Döpfner, Banaschewski und Sonuga-Barke (2008) geht in Anbetracht dieser genetischen Disposition ein gestörter Neurotransmitterstoffwechsel einher, der die exekutiven sowie auch die motivationalen Dysfunktionen verursachen soll (vgl. Gawrilow, Caterina. 2016. S.63). Am besten belegt gilt diesbezüglich die These, dass durch eine erhöhte Dichte präsynaptischer Wiederaufnahmerezeptoren eine relative Dopamin-Armut entstände (vgl. Mangold, Christine. 2007. ADHS. S.14). Da dieser Neurotransmitter jedoch dafür verantwortlich ist, dass Signale zwischen den Neuronen im Gehirn weitergeleitet werden, führt ein Mangel an Dopamin[14] letztendlich dazu, dass die in den Nerven ankommenden Reize weniger gefiltert werden können. In der Folge werden dementsprechend unnütze Empfindungen oder Geräusche von Menschen mit ADHS genauso intensiv wahrgenommen, wie wichtige Dinge, das letztendlich die Konzentrationsstörungen/ Aufmerksamkeitsprobleme von ihnen erklärt (vgl. https://www.ge-sundheit.de/krankheiten/psyche-und-sucht/dopamin).

Darüber hinaus konnte jedoch auch nachgewiesen werden, dass das Auftreten einer ADHS nicht ausschließlich auf die Veränderung eines einzelnen Gens zurückgeführt wer- den kann. So wären die genetischen Faktoren, die an der Entstehung einer ADHS beteiligt sein könnten, zwar in der Bevölkerung weit verbreitet, würden aber das Risiko an einer ADHS zu erkranken nur minimal (1.2 bis 1.9 -fach) erhöhen. In Anbetracht dessen sei davon auszugehen, dass auch psychosoziale Faktoren wie Schwangerschafts-und Geburtskomplikationen, ein niedriges Geburtsgewicht oder bspw. Infektionen und Toxine ursächliche Risiken für ADHS seien. Diese seien jedoch bislang noch wenig erforscht (vgl. www.bundesaerztekammer.de, S.21-22).

Da die Ursachen die späteren Symptomatik von ADHS bedingen, werden diese im Folgenden Unterpunkt nicht nur erörtert werden, um zu veranschaulichen woran eine ADHS im Kindes - und Jugendalter erkannt werden kann - so dass diese nicht unbemerkt bleibt - sondern es soll auch rekonstruiert werden, wie sich im Verlauf eines Lebens die Symptomatik entwickeln kann, sowie welche Folgen für die Betroffenen aufgrund dessen entstehen können. Da der Schwerpunkt dieser Hausarbeit jedoch das Erscheinungsbild einer ADHS im Erwachsenenalter beinhaltet, werden die folgenden Ausführungen lediglich skizziert werden.

3.2 Symptomatik vom Säuglings- bis zum Jugendalter

Vor dem sechsten Lebensjahr ist hyperaktives, unaufmerksames Verhalten nur schwer von entwicklungsbedingter, natürlicher Unruhe abzugrenzen. Hyperkinetische Störungen bzw. ADHS sollen nur dann diagnostiziert werden, wenn bei starker Ausprägung ein Missverhältnis zu Entwicklungsalter und Intelligenz besteht (ebd. S.5).

Obwohl eine ADHS vor dem sechsten Lebensjahr nur schwer zu diagnostizieren ist, können bestimmte Früherkennungszeichen auf eine mögliche ADHS hinweisen, die es im späteren (ca. ab dem sechsten Lebensjahr) hinsichtlich der Diagnose einer ADHS abzuklären gilt. So können (müssen aber nicht) ADHS- Kinder schon durch eine vermehrte Aktivität im Mutterleib auffallen. „Direkt nach der Geburt reißen viele dieser Kinder sofort die Augen auf und brüllen. „Sie sind in den ersten drei Monaten oft sehr unruhig, schreien sehr viel, gelten oft als ‚regulationsgestörte’ Babys (Neuhaus, Cordula. 2012. ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. S.59).“ Ein solcher Mangel an Selbstregulation[15] kann jedoch erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung eines Kindes haben. So haben Babys mit ADHS meistens Schwierigkeiten beim Trinken und Essen, zeigen allgemein eine Abneigung gegen Körperkontakt und/oder haben Probleme beim Einschlafen/ Durchschlafen. Darüber hinaus bergen Symptome wie diese die Gefahr in sich, dass des Öfteren die Interaktionen zwischen einer Mutter und einem Kind gestört werden. Das seelische und körperliche Wohlbefinden eines Kindes hängt in diesem Sinne bspw. davon ab, inwiefern es der Mutter gelingen mag die Grundbedürfnisse (Schlaf, Hunger, körperliche Nähe) ihres Kindes, trotz dieser Störungen abzudecken. Neben der Tatsache, dass sich die Aufmerksamkeit eines Kindes nur bei einem emotionalen Wohlbefinden optimal entwickeln kann, prägt sich dieses Gefühl auch auf die Mutter- Kind- Bindung aus. So wird der Aspekt der frühen Bindungserfahrung und Interaktion als ausschlaggebend für die Entwicklung von Aufmerksamkeitskapazitäten, Motivation[16] und Impulskontrolle[17] angesehen (vgl. Neuhaus, Cordula. 2012. S.60- 61).

Im Vorschulalter (ca. 2- 6 Jahre) kann die Möglichkeit einer ADHS näher über das Symptom „ziellose Aktivität“, in Begleitung mit den Kernsymptomen (Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit und Impulsivität) eingegrenzt werden. Darüber hinaus gelten bis zu dieser Lebensphase Faktoren wie, aversive Eltern-Kind-Interaktionen[18], Aggressivität oder allgemeine Entwicklungsdefizite als besonders ungünstig für die Entwicklung der ADHS (vgl. Gawrilow, Caterina. 2016. S.93). Mit dem Eintritt in den Kindergarten gestaltet sich der Aufenthalt eines ADHS-Kindes meistens aufgrund seines hohen Bewegungsdranges und seines geringen Gehorsams als problematisch. Während sich somit auf der einen Seite die Erzieher von den vorliegenden Verhaltensgrundmustern der ADHS-Kinder überfordert fühlen können, fühlen sich ADHS- Kinder andererseits zumeist aufgrund der Vielzahl der auf sie einwirkenden Reize im Gruppengeschehen/ -alltag überfordert (vgl. G. Kahl, Kai& Puls, Jan Hendrik& Schmid, Gabriele& Spiegler, Juliane. 2012. Praxishandbuch ADHS. S. 33). Dabei konnte im Allgemeinen nachgewiesen werden, dass ADHS-Kinder in Gruppen mit unterschiedlichen Altersstufen schlechter zurechtkommen, als mit Gleichaltrigengruppen (vgl. Gawrilow, Caterina. 2016. S. 93). So haben bspw. Kinder mit ADHS „in dieser Lebensphase oft Schwierigkeiten, Freundschaften zu knüpfen, da es ihnen schwer fällt, sich den Spielideen anderer Kinder unterzuordnen (G. Kahl, Kai & Puls, Jan- Hendrik, Schmid, Gabriele& Spiegler, Juliane. 2012. Praxishandbuch ADHS. S.33).“

Während sich die bisherigen Problematiken von ADHS-Kindern hauptsächlich auf der Be-ziehungsebene (Bindung zu den Eltern/ Erziehern/ zu anderen Kinder) ergaben, fangen diese aus der Sicht der Eltern spätestens mit dem Eintritt in die Grundschule erst richtig an. So zeigen ADHS-Kinder bspw. eine erhöhte Unruhe im Unterricht und lassen sich leichter ablenken. Folglich lassen sich aufgrunddessen bei ihnen vermehrt Flüchtigkeitsfehler oder Schwierigkeiten, die sich bspw. bei ihnen während der Umsetzung einer Anweisung/ Instruktion ergeben, beobachten. In Verbindung mit einer Lernstörung, wie die einer Dyskalkulie[19] oder einer Legasthenie[20], ergeben sich dann aufgrund dieser Unaufmerksamkeit häufig so starke Leistungsschwierigkeiten, dass die Kinder Klassen wiederholen oder gar die Schule verlassen müssen. Letztendlich ist der schulische Werdegang eines ADHS-Kindes somit vermehrt durch einen zeitweiligen Ausschluss- bzw. einem gänzlichem Schulverweis oder einer Umschulung auf die Förderschule gekennzeichnet. Neben diesen Leistungsschwierigkeiten ergeben sich des Weiteren bei einem Grundschulkind, dass den ADHS-Subtyp ‚hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens’ und dementsprechend ein aggressives Verhalten aufweist, vermehrt Probleme. So ist bei diesem ADHS- Subtyp bspw. die Wahrscheinlichkeit höher das, dass betroffene Kind von seiner Peer-Gruppe bzw. seinen Klassenkameraden abgelehnt wird. In der Folge kann die Schwierigkeit eine Freundschaft zu knüpfen oder diese dauerhaft aufrecht zu erhalten, von ihnen als ein verstärkt erlebter psychosozialer Stress wahrgenommen werden (vgl. Gawrilow, Caterina. 2016. S.94).

Eine ADHS im Jugendalter gestaltet sich dagegen aus mehreren Gründen problematisch. So vermindert sich zwar mit diesem Lebensabschnitt die Symptomatik der motorischen Unruhe, aber die Aspekte die mit den Aufmerksamkeitsdefiziten verbunden sind bleiben weiterhin bestehen (vgl. ebd. S. 94). In Anbetracht dessen kann unter dem Begriff der Aufmerksamkeit die Ausrichtung des Wahrnehmens, Vorstellens und Denkens verstanden werden, die von einer betreffenden Person im Hinblick auf gegenwärtige oder erwartete Erlebnisinhalte auf Dauer oder selektiv gefordert wird (vgl. Mangold, Christine. 2007. S. 9- 10). So ist bspw. der angestrebte Schulabschluss ein erwarteter Erlebnisinhalt im Jugendalter, der den Grundstein für die weitere berufliche Karriere legen soll. Da ADHS-Jugendliche jedoch ihre Schullaufbahn aufgrund ihrer dauerhaften Unaufmerksamkeit, ihrem Mangel an Durchhaltevermögen/ Anstrengungsbereitschaft, sowie ggfs. noch aufgrund einer gegebenen Lernstörung, vorzeitig und ohne einen Abschluss beenden, sind zukünftige Probleme, wie die hinsichtlich ihrer beruflichen Karriere, zumeist vorprogrammiert (vgl. Gawrilow, Caterina. 2016. S. 94- 95). Weitere Faktoren, die sich mit dem Jugendalter zeigen und sich als problematisch herausgestellt haben sind ein an dem Entwicklungsstand nicht angepasstes Risikoverhalten, ein erhöhtes Depressionsrisiko, Übergewicht und die erhöhte Auftretenswahrscheinlichkeit einer sogenannten Selbstmedikation[21]. So konnte bspw. gezeigt werden, dass sich Jugendliche mit ADHS vermehrt keine Gedanken über ihr aggressives und delinquentes Verhalten in der Öffentlichkeit und das insbesondere im mobilen Straßenverkehr machen.

Zudem neigen sie aufgrund ihrer stärker ausgeprägten Impulsivität eher zu einem Missbrauch von legalen oder illegalen Substanzen, die sie teils sogar zur Selbstmedikation nutzen. In diesem Sinne konnte bspw. herausgestellt werden, dass sie über das Rauchen von Zigaretten ihre Aufmerksamkeitsleistungen spürbar verbessern können (vgl. Gawrilow, Caterina. 2016. S.95).

Zusammenfassend konnte mithilfe dieses Überblicks veranschaulicht werden, wie sich die dreier-Symptomatik der ADHS im Kindes-und Jugendalter auf die Sozialisation und/oder den Schulerfolg eines Betroffenen auswirken kann. Inwiefern die daraus resultierenden Folgen einen Einfluss auf die individuelle Funktionsfähigkeit eines Erwachsenen in seinen späteren Lebensbereichen wie die der Gesundheit, Familie, soziales Umfeld und Beruf haben werden, gilt es im Weiteren zu klären.

4 Einführung - ADHS im Erwachsenenalter

Während die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung noch bis Ende der 1990er Jahre ausschließlich als eine psychiatrische Erkrankung des Kindes- und Jugendalter galt, wird sie aktuell als „eine häufig chronisch verlaufende Störung mit zahlreichen Entwicklungsbeeinträchtigungen und psychosozialen Adaptionsproblemen[22] (Steinhausen, Hans- Christoph et. al. 2010. S. 168).“ verstanden. Da im Erwachsenenalter eine Erstmanifestation dieser Krankheit jedoch nicht plausibel ist (vgl. Krause Johanna et. al. 2014. S. 9), wurde in der vorliegenden Arbeit berücksichtigt, dass die Wurzeln der ADHS in der Kindheit liegen. So wurde bisher erläutert, wie die Störung beginnt und welche Bedingungen am Anfang stehen, um im Folgenden die Forschungsfrage: „Wie sich eine ADHS im Erwachsenalter äußert“ beantworten zu können.

Zusammenfassend kann hinsichtlich der Symptomatik im Kindes- und Jugendalter festgehalten werden, dass die Dreier- Symptomatik (Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität, Impulsivität) letztendlich dazu führt, dass die betroffenen Personen ihre eigenen Handlungen weniger gut ‚im Griff’ haben. Da sich diese mangelnde Selbststeuerung in der Folge über die Kindheit hinaus fortsetzt, können die Betroffenen immer weniger den immer größer werdenden Erwartungen aus ihren Umgebungen gerecht werden und somit ihre Rollen als Schüler, Spielkamerad, Kind, Mitspieler etc. kaum noch erfüllen (vgl. Lauth, Gerhard W.& Minsel, Wolf- Rüdiger. 2009. ADHS bei Erwachsenen. S. 25).

In Anbetracht dessen, dass ein Erwachsener in der Regel für sich und sein Handeln selbst verantwortlich ist, stellt sich die weiterführende Frage, wie sich diese Beeinträchtigung auf die individuelle Funktionsfähigkeit eines Betroffenen, sowie auf dessen Alltag im Erwachsenenalter äußern kann. Da bei einer frühzeitigen Erkennung der ADHS es durchaus möglich ist, dass die Behandlung, sowie der Erwerb geeigneter Strategien, die Symptomatik im Erwachsenenalter verringert (vgl. Müller, Andreas& Candrian, Gian& Kropotov, Juri. 2011. ADHS. S. 6), wurde der Titel dieser Hausarbeit: „ADHS im Erwachsenenalter. Wenn ADHS im Kindes- und Jugendalter unbemerkt bleibt, “ bewusst ausgewählt, um zu verdeutlichen, wie vielfältig und bedeutsam die Störungen aus dem Kindes- und Jugendalter für das spätere Erwachsenenalter sein können, wenn die Betroffenen nichts von ihrer Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitätsstörung wissen. Schwerwiegend hinzu kommt darüber hinaus, dass die Verhaltensschwierigkeiten der Betroffenen zumeist unverstanden bleiben, da eine unerkannte ADHS im Kindes- und Jugendalter selten als Ursache in Betracht gezogen wird.

[...]


[1] Erklärung zur: ICD- 10 im Anhang, S.III.

[2] Erklärung zum: DSM V im Anhang, S. III.

[3] Definition: Hyperaktivität im Anhang, S. III.

[4] Definition: Unaufmerksamkeit im Anhang, S. III.

[5] Definition: Impulsivität im Anhang, S.III.

[6] Siehe Überblick über die Forschungskriterien im Anhang, S. III.

[7] Erklärung zur einfachen Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung im Anhang, S. IV.

[8] Erklärung zur hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens im Anhang, S. V.

[9] Erklärung zu Aufmerksamkeitsstörungen ohne Hyperaktivität im Anhang, S. V.

[10] Definition: Aggression im Anhang, S. V.

[11] Definition: Delinquenz im Anhang, S. V.

[12] Definition: dissoziales Verhalten im Anhang, S. V.

[13] Erklärung zu genetische Prädisposition im Anhang, S. V.

[14] Definition: Dopamin im Anhang, S. V.

[15] Definition: Selbstregulation im Anhang, S. V.

[16] Definition: Motivation im Anhang, S. V.

[17] Definition: Impulskontrolle im Anhang, S. V.

[18] Erklärung zum Begriff: aversive Eltern- Kind- Interaktionen im Anhang, S. V.

[19] Definition: Dyskalkulie im Anhang, S. VI.

[20] Definition: Legasthenie im Anhang, S. VI.

[21] Erklärung zum Begriff: Selbstmedikation im Anhang, S. VI.

[22] Definition zu Adaption im Anhang, S. VI.

Ende der Leseprobe aus 37 Seiten

Details

Titel
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Erwachsenenalter
Untertitel
Wenn ADHS im Kindes- und Jugendalter unbemerkt bleibt
Hochschule
Universität zu Köln  (Humanwissenschaftliche Fakultät)
Veranstaltung
Einführung in Psychische Krankheiten bei Kinder und Jugendlichen
Note
1,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
37
Katalognummer
V368561
ISBN (eBook)
9783668477476
ISBN (Buch)
9783668477483
Dateigröße
664 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
ADHS, Erwachsene
Arbeit zitieren
Sabine Schmidt (Autor:in), 2017, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Erwachsenenalter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/368561

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