Zur Verbalisierung von Bewegungsereignissen anhand der Frog Story

Schwedisch und Italienisch im Vergleich


Hausarbeit (Hauptseminar), 2016

45 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Lexikalisierung von Bewegungsereignissen – Forschungsstand
2.1 Satelliten- und Verbsprachen: Talmys Typologie der Lexikalisierungsmuster
2.2 Relativierung: Sprachtypologische Einteilung nach Slobin et al.

3. Bewegungsereignisse in der Frog Story – Methodisches Vorgehen
3.1 „Frog, Where Are You?“ – Hintergrund und Material
3.2 Probanden und Durchführung der Studie
3.3 Datenauswertung

4. Analyse – Bewegungsereignisse der Frog Story im Italienischen und im Schwedischen
4.1 Szene 1 (Seite 2) – Die Flucht
4.2 Szene 2 (Seite 6) – Der Fall aus dem Fenster
4.3 Szene 3 (Seite 11) – Auf dem Baum
4.4 Szene 4 (Seite 12) – Die Eule und die Bienen
4.5 Szene 5 (Seite 13/14) – Der Felsen
4.6 Szene 6 (Seite 16) – Der Hirsch
4.7 Szene 7 (Seite 17) – Die Schlucht
4.8 Szene 8 (Seite 18) – Der Sturz in den Teich

5. Auswertung und Erkenntnisse – Italienisch und Schwedisch im Vergleich
5.1 PATH- und MANNER-Bewegungsverben
5.2 Satelliten
5.3 Typologische Einordnung

6. Schlussbetrachtung

7. Literatur- und Quellenverzeichnis

1. Einleitung

„Languages differ in the ways they divide the world.“

(Jessen 2013: 57)

Verschiedene Studien haben gezeigt, dass die Struktur einer Sprache darauf Einfluss hat, wie Menschen Ereignisse verbalisieren (vgl. Athanasopoulos/ Bylund 2012: 287). So drücken verschiedene Sprachen auch Bewegungsereignisse unterschiedlich aus. Je nach Sprache können Bewegungsereignisse mithilfe verschiedenartiger Kombinationen aus lexikalischen Elementen und grammatischen Morphemen kodiert werden (vgl. Jessen 2013: 57).

Klettert der Frosch aus dem Glas oder entflieht er ihm? Betritt der Mann das Haus oder stolpert er durch die Tür ins Haus? Steht die Art und Weise der Bewegung im Vordergrund, oder wird eher die Richtung, der Weg der Bewegung fokussiert?

Motiviert wurde vorliegende Arbeit durch die 16. und 17. Sitzungen des Seminars „Sprach-struktur und Sprachvergleich“ im Sommersemester 2016 am Institut für Fremdsprachenphilo-logie der Karls-Ruprecht-Universität Heidelberg, die sich mit der lexikalischen Typologie beschäftigte und dabei genauer auf die Darstellung von Bewegungsereignissen im Deutschen und weiteren Sprachen anhand der Aufsätze von Talmy (2007), Wienold (1999) und Slobin (1996, 2006) einging.

Typologisch betrachtet wurde Bewegungsereignissen mehr Aufmerksamkeit gewidmet als fast allen anderen Arten von Ereignissen (vgl. Beavers et al. 2010: 332) – dies liegt unzwei-felhaft an Leonard Talmys (1975, 1985, 1991, 2000, 2007) einflussreichem Ansatz, der Spra-chen in zwei Typen einteilt, je nachdem, wie sie gerichtete Bewegungsereignisse kodieren. Talmys bahnbrechenden Studien folgten zahlreiche durch ihn inspirierte Untersuchungen verschiedenster Sprachen. Dabei ging es hauptsächlich um die Analyse, wie die zwei Haupt-komponenten von Bewegungsereignissen, PATH und MANNER der Bewegung, in verschie-denen Sprachen in einem einfachen Teilsatz (single clause) kodiert und kombiniert werden (vgl. Beavers et al. 2010: 332). Talmy (2007) unterteilt Sprachen je nachdem, wo sie PATH kodieren, in „satellite-framed“ und „verb-framed“. Diese strikte dichotome Unterscheidung in S- und V-Sprachen wurde inzwischen jedoch u.a. von Slobin (1996, 2006) und Beavers et al. (2010) zu relativieren und z.T. weiterzuentwickeln versucht.

Vorliegende Seminararbeit reiht sich ein in die momentan relativ produktive weltweite Forschung auf dem Gebiet der Bewegungsereignisse, die u.a. Talmys Typologie empirisch überprüfen, verfeinern oder erweitern will (vgl. Bauer 2010: 28). Ausgehend von Talmy, aber auch weitere z.T. kritische Ansätze berücksichtigend, hat diese Arbeit zum Ziel, die Ver-sprachlichung von Bewegungsereignissen beispielhaft im Italienischen und im Schwedischen zu analysieren, um herauszufinden, ob sie sich jeweils komplett der einen oder anderen Sprach„gruppe“ zuweisen lassen. Die beiden Sprachen bieten sich gut zur Analyse an, da Italienisch nach Talmy als romanische Sprache typisch „verb-framed“ und Schwedisch als germanische Sprache „satellite-framed“ wäre. Die dichotome Einordnung Talmys soll anhand der „Frog Story“ (einer bereits von Slobin und zahlreichen anderen zur Untersuchung von Beschreibungen von Bewegungsereignissen verwendete Bildergeschichte) überprüft werden. Bestätigt sich die Aufteilung nach Talmy?

Der Fokus der Analyse liegt auf den Bewegungsverben, da sie den Kern von Bewegungs-ereignissen bilden, sowie den Aspekten MANNER und PATH und deren Kodierung im Satz.

Nach einem allgemeinen Überblick zum Forschungsstand zur Lexikalisierung von Bewe-gungsereignissen, vor allem zu Talmy und Slobin (Kapitel 2), folgt der empirische Teil der Arbeit: In Kapitel 3 wird die Methodik der Vorgehensweise der kleinen Studie zur „Frog Story“ erläutert. Anschließend widmet sich Kapitel 4 der Analyse der elizitierten italienischen und schwedischen Beschreibungen der Frosch-Bildergeschichte. In Kapitel 5 erfolgt ein Vergleich der beiden Sprachen sowie eine sprachtypologische Einordnung. Kapitel 6 schließt mit einer Zusammenfassung sowie Hinweisen auf weiteren Forschungsbedarf.

2. Lexikalisierung von Bewegungsereignissen – Forschungsstand

Das folgende Kapitel soll nach der Definition eines „motion event“ (d.h. Bewegungsereignis) einen knappen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zu Bewegungsereignissen geben und dabei vor allem auf Talmys Typologie der Lexikalisierungsmuster und der Kritik an dieser eingehen. Was versteht man unter einem Lexikalisierungsmuster bei Bewegungs-verben? Welche alternativen Lexikalisierungsmuster werden ergänzend und/oder konträr zu Talmy vorgeschlagen?

2.1 Satelliten- und Verbsprachen: Talmys Typologie der Lexikalisierungsmuster

Leonard Talmys Ansatz zu Lexikalisierungsmustern (1975, 1985, 1991, 2000, 2007) stützt sich auf die Erkenntnis, dass „eine unterschiedliche Anzahl der konzeptuellen Konstituenten eines Lokalisierungsausdrucks in einer bestimmten lexikalischen Einheit ausgedrückt werden [kann]“ (Berthele 2006: 24). Bewegung wird also als universelles Konzept sprachübergrei-fend lexikalisiert, und Sprachen unterscheiden sich darin, wie sie die Bewegung an sich ausdrücken (vgl. Jessen 2013: 59).

Zeit und Raum sind grundlegende Konzepte bei der Definition eines Bewegungsereignisses (vgl. Athanasopoulos/ Bylund 2012: 287). Ein Bewegungsereignis kann als „evolvement through space and time“ (Athanasopoulos/ Bylund 2012: 287) charakterisiert werden – beispielsweise im Falle eines Bowlingballs, der auf einer Bahn rollt, und in unterschiedlichen zeitlichen Abständen verschiedene räumliche Positionen einnimmt (vgl. ebd.). Die Forschung zu Bewegungsereignissen konzentrierte sich bisher jedoch hauptsächlich auf den räumlichen Aspekt von Bewegung (vgl. ebd.). Bei der Beschreibung von Bewegungsereignissen geht Talmy (2007: 70f.) von sechs Komponenten aus (vgl. Wienold 1999: 170):

1) MOTION: Tatsache der Bewegung (die als Fortbewegung, also Ortswechsel, verstanden wird)
2) FIGURE: Figur, die sich bewegt
3) GROUND: Hintergrund, mit Bezug auf den eine Bewegung stattfindet
4) PATH: Weg, den die Figur hinsichtlich des Hintergrunds nimmt (Quelle, Verlauf, Ziel)
5) MANNER: Art und Weise, in der die Bewegung ausgeführt wird
6) CAUSE: Ursache der Bewegung (falls sprachlich zum Ausdruck gebracht)

Wienold (1999: 170) gibt ein Beispiel, in welchem alle sechs Komponenten zu finden sind:

Die Mutter hob das Kind über den Zaun

Agens Bew.+ Art und Weise + Ursache Figur Weg Hintergrund

Abhängig davon, wie bzw. wo die Weg-Komponente im Satz ausgedrückt wird, schlägt Talmy eine dichotome Typologie für die Sprachen der Welt vor: „verb-framed“ (V-Sprachen) für Sprachen, die das Weg-Element im Verb kodieren vs. „satellite-framed“ (S-Sprachen), die die Weg-Komponente außerhalb des Verbs, in sog. Satelliten, ausdrücken (wie Deutsch im obigen Beispiel). Talmy definiert Satelliten als „the grammatical category of any constituent other than a nominal complement that is in a sister relation to the verb root” (Talmy 2007: 139). Sie können entweder frei oder gebunden sein – Beispiele umfassen englische Verbparti-keln, deutsche (un)trennbare Verbpräfixe, lateinische und russische Verbpräfixe, chinesische Verbergänzungen oder polysynthetische Affixe in Atsugewi (vgl. Talmy 2007: 139). Laut Talmy überschneidet sich die Kategorie der Satelliten oftmals mit anderen Kategorien, wie Präpositionen (z.B. Englisch, Deutsch), Verben (Mandarin) oder Substantiven (Caddo) (vgl. ebd.). Im Satz Der Bus fährt los ist los (trennbares Präfix) ein Satellit, in Das Mädchen klettert über den Zaun ist es über (Präposition).

Laut Slobin (2006: 62) können romanische, türkische und semitische Sprachen sowie Grie-chisch, Baskisch, Koreanisch und Japanisch zu den V-Sprachen gezählt werden, wohingegen germanische, slawische, keltische und finno-ugrische Sprachen in die Kategorie „satellite-framed“ fallen.

S-Sprachen wie Deutsch, Englisch oder Russisch, die die Beschreibung des Wegs in Satelliten verlagern, drücken meist die Art und Weise der Bewegung im Verb aus. Wienold (1999) bezeichnet diese Sprachen entsprechend als MANNER-Sprachen. V-Sprachen wie Spanisch oder Italienisch drücken den Weg meist im Verb aus und werden daher von Wienold (1999) synonym WEG-Sprachen genannt. Sie können wiederum optional Aussagen zur Art und Weise der Bewegung in anderen Komponenten wie z.B. Gerundien kodieren. Im englischen Sprachraum werden für V- und S-Sprachen immer mehr die Termini „path-inside verb“ und „path-outside verb“ verwendet, bezogen darauf, ob die Lexikalisierung des Konzepts PATH im Verb oder außerhalb des Verbs stattfindet (vgl. Bauer 2010: 28). Demnach wäre Italie-nisch eine „path-inside-verb“- und Schwedisch eine „path-outside-verb“-Sprache.

Folgende drei Beispiele, in denen jeweils dasselbe Ereignis beschrieben wird, sollen die Ko-dierung von PATH und MANNER im Deutschen, Schwedischen und Italienischen verdeut-lichen:

(1) Deutsch (S-Sprache bzw. path-outside-verb-Sprache):

Die Katze schleicht über die Straße

Figur Bew.+Art Weg Hintergrund

(2) Schwedisch (S-Sprache bzw. path-outside-verb-Sprache):

Katt-en tassa-r över gata-n

Die Katze schleicht über die Straße

Figur Bew.+Art Weg Hintergrund

(3) Italienisch (V-Sprache bzw. path-inside-verb-Sprache):

Il gatto attravers-a la strada (quatto quatto)

Die Katze überquert die Straße (auf leisen Sohlen)

Figur Bew.+Weg Hintergrund (Art)

Deutsch und Schwedisch drücken (in diesem Fall) beide die Art und Weise der Bewegung im Verb aus (schleichen / tassa) und geben den Weg mithilfe eines Satelliten (der Präposition über / över) an. Italienisch kodiert den Weg direkt im Verb (attraversare). MANNER würde man nur ergänzen, wenn man die Art und Weise der Überquerung deutlich hervorheben wollte – die unmarkiertere Version wäre der Satz ohne quatto quatto. In diesem Fall gäbe es im Italienischen nicht einmal ein Gerundium, das etwa „schleichend“ entspräche – was die scheinbar untergeordnete Bedeutung von MANNER bei Bewegungsereignissen in dieser Sprache vor Augen führt.

Die folgenden Charakteristika können als die den Sprachgebrauch von S- und von V-Spra-chen unterscheidenden typischen Merkmale betrachtet werden (vgl. Berthele 2006: 32; Slobin 1996; Slobin 2006):

- Sprecher_innen von S-Sprachen verwenden tendenziell ein größeres Repertoire an Bewegungsverben und vor allem benutzen sie mehr Verben, die die Art und Weise der Bewegung ausdrücken (somit sind S-Sprachen, was den Ausdruck von Bewegung in Verben betrifft, insgesamt expressiver)
- V-Sprachen integrieren meist ein Grundelement (Quelle, Medium, Meilenstein, Ziel) in die Verbalphrase, wohingegen S-Sprachen leicht mehrere Grundelemente angeben (können)
- aufgrund produktiver Verfügbarkeit mannigfacher Weg-Partikeln drücken S-Sprachen oftmals nicht nur mehr Grundelemente, sondern auch mehr verschiedene Aspekte des Wegs in der Verbalphrase aus
- Sprecher_innen von V-Sprachen produzieren statischere, resultatsorientierte Beschrei-bungen von räumlichen Vorgängen, wohingegen S-Sprachen zu dynamischeren Be-schreibungen tendieren

Auch Sprecher_innen von V-Sprachen können MANNER in Bewegungsverben und den Weg mittels eines Satelliten ausdrücken, jedoch mit der Bedingung, dass keine Grenzüber-schreitung erfolgt. Slobin nennt dies „boundary-crossing constraint“ (Slobin 2006: 67). Dementsprechend wäre in einigen V-Sprachen das Äquivalent zu fly to / from the tree möglich, nicht jedoch fly into / out of the hole (vgl. Slobin 2006: 67).

Im empirischen Teil der Arbeit soll überprüft werden, ob Schwedisch und Italienisch den oben genannten Charakteristika entsprechen, und ob die Restriktion des Boundary-Crossings auch auf das Italienische zutrifft.

2.2 Relativierung: Sprachtypologische Einteilung nach Slobin et al.

Die stark dichotome Einteilung in S- und V-Sprachen durch Talmy wurde inzwischen u.a. durch Slobin (2006) oder Beavers et al. (2010) zu relativieren bzw. erweitern versucht. Slobin erweitert „satellite-framed“ und „verb-framed“ Sprachen um sog. „equipollently-framed“ Sprachen, in denen PATH und MANNER beide einen ähnlichen morphosyntaktischen Status besitzen (vgl. Slobin 2006: 64). Das heißt, während V-Sprachen PATH mit einem finiten Verb und MANNER untergeordnet ausdrücken, und S-Sprachen MANNER im finiten Verb und PATH durch non-verbale Elemente vermitteln, können in äquipollenten Sprachen MAN-NER und PATH beide durch gleichwertige grammatische Formen, z.B. zwei Serialverben, ausgedrückt werden (vgl. Slobin 2006: 65). Brosch (2014) veranschaulicht dies in einer tabellarischen Übersicht:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Sprachtypologische Einteilung der Kodierung von Bewegungsart und -richtung (nach Brosch 2014: 301; Slobin 2006: 65).

Slobin, der sich ausgiebig mit MANNER von Bewegung auseinandergesetzt hat (vgl. Slobin 2006: 59), geht statt Zuordnung zu entweder der einen oder anderen „Seite“ vielmehr von einem „Spektrum“ der Versprachlichung von Bewegungsereignissen aus. Bezüglich der Möglichkeiten und der Häufigkeit, mit denen MANNER ausgedrückt wird, spricht Slobin von „manner salience“, definiert als „the level of attention paid to manner in describing events“ (Slobin 2006: 64). Er geht nicht von einer zweiteiligen Typologie, sondern von einer Skala aus, auf welcher Sprachen sich auf einem Kontinuum befinden: in High-manner-salienten Sprachen geben die Sprecher_innen mühelos und regelmäßig Auskunft über die Art und Weise eines Bewegungsereignisses, wohingegen in Low-manner-salienten Sprachen Informa-tion zu MANNER nur bei dessen besonderer Hervorhebung geliefert wird (vgl. Slobin 2004: 244). Auch wenn die genaue Position von Deutsch, Italienisch und Schwedisch auf dieser Skala noch nicht vollends definiert worden ist, so lässt sich doch feststellen, dass sich Deutsch und Schwedisch als S-Sprachen zu den High-manner-salienten und Italienisch als V-Sprache zu den Low-manner-salienten Sprachen zählen lassen (vgl. Bauer 2010: 34).

Fortis (2010) und Beavers et al. (2010) kritisieren nicht nur die Talmysche Dichotomie, sie schlagen außerdem eine breitere Definition von Satelliten vor als er: „any constituent that is sister to or adjoined to the verb (root)” (Beavers et al. 2010: 339). Beavers et al. (2010) sehen Satelliten (im Gegensatz zu APs) nicht als echte Konstituenten an und heben zudem die Unterscheidung zwischen Satelliten und Präpositionen auf (Satelliten sind intransitive Präpositionen).[1]

Beavers et al. gehen in ihrer Kritik an Talmy sogar noch einen Schritt weiter, indem sie davon ausgehen, dass die meisten Sprachen sowohl verb- als auch satellite-framed Muster aufwei-sen, oder aber, wenn sie equipollent-framing erlauben, sogar über alle drei Lexikalisierungs-muster verfügen (vgl. Beavers et al. 2010: 331). Außerdem vertreten sie die Ansicht, dass ver-meintliche V-Sprachen satellite-framed Muster nicht nur erlauben, sondern sogar bevorzugen, wenn der nötige Kontext gegeben ist – d.h. sie lehnen eine zwei- bzw. dreigliedrige Einteilung ab (vgl. ebd.). Stattdessen schlagen sie die sog. „null hypothesis“ (Beavers et al. 2010: 334) vor. Danach werden die Mittel, die einer Sprache zum Ausdruck von MANNER und PATH zur Verfügung stehen, von einer größeren Menge an grammatischen Elementen und Prozessen bezogen, von denen keine allein der Kodierung von Bewegungsereignissen fest zugeordnet sind (vgl. ebd.). Laut Beavers et al. unterscheiden sich Sprachen darin, welche lexikalischen, morphologischen und syntaktischen Möglichkeiten sie zur Kodierung von Bewegungsereignissen zur Verfügung haben. Dabei werden vor allem die morphosyntaktisch weniger komplexen Optionen bevorzugt (vgl. Beavers et al. 2010: 366). Die in einer bestimmten Sprache vorhandenen Möglichkeiten spiegeln deren grundlegendes typologisches Profil wider. Die Menge an Optionen bedingt, dass Sprachen im Prinzip in viele sich überschneidende Typen fallen. Dies erklärt die Vielfalt in den Sprachen der Welt. Somit kann das Auftreten von Fällen, die aus der Perspektive Talmys Ausnahmen sind, nun vorhergesagt werden (vgl. Beavers et al. 2010: 334). Beavers et al. (2010: 335) fügen hinzu, dass Sprachen sehr selten zur Beschreibung von Bewegung keine Verben benutzen, die MANNER und/oder PATH kodieren.

3. Bewegungsereignisse in der Frog Story – Methodisches Vorgehen

3.1 „Frog, Where Are You?“ – Hintergrund und Material

Als Grundlage für vorliegende Studie diente die Bildergeschichte „Frog, Where Are You?“ (von Mercer Mayer, 1969, siehe Anhang). Sie wurde 1994 erstmals von Slobin und Berman (nach einer Methode von Bamberg, 1987) zur sprachvergleichenden Analyse elizitierter mündlicher Erzählungen verwendet – zunächst mit dem Interesse an Sprachentwicklung bei Kindern – und hat inzwischen in zahlreichen sprachvergleichenden Untersuchungen zu Bewe-gungsereignissen Anwendung gefunden (vgl. Slobin 1996: 197, Slobin 2006: 61). Strömqvist/ Verhoeven (2004) liefern Untersuchungsergebnisse zu 72 Sprachen (vgl. Slobin 2006: 61), darunter auch von Sprechern des Schwedischen und des Italienischen (vgl. Slobin 2006: 65).

Die völlig textlose Geschichte mit 24 Fotos enthält viele sich bewegende Figuren und eignet sich daher gut zur Beschreibung (und zur Analyse) von Bewegung. Ein Frosch entwischt seinem Herrchen, einem kleinen Jungen, der sich daraufhin mit seinem Hund auf die Suche nach dem Frosch begibt. Diese Suche bringt u.a. einen Sturz aus dem Fenster, das Klettern auf einen Baum und den Fall von diesem, das Auftauchen einer Eule und eines Bienen-schwarms, das Besteigen eines Felsens, das Aufgegabelt- und Heruntergeworfenwerden durch einen Hirsch, den Sturz in einen Teich und das Klettern aus dem Wasser und über einen Baumstamm mit sich, bevor der Frosch zuletzt mitsamt seiner ganzen Familie gefunden wird.

3.2 Probanden und Durchführung der Studie

Die vorliegende Studie geht gebrauchsorientiert vor, d.h. sie betrachtet reale und relativ authentische, mündliche Sprachproduktion. Jeweils drei italienischen sowie drei schwedisch-sprachigen Muttersprachler_innen wurden alle Bilder der Froschgeschichte einmal nachein-ander gezeigt. Sie wurden gebeten, die Geschehnisse auf den Bildern mündlich jeweils in ein bis zwei simplen Sätzen zu beschreiben – als würden sie einem Kind eine Geschichte erzäh-len. Anders als bei Slobin sahen die Proband_innen die Bilder nicht zwei Mal, um möglichst spontane Äußerungen zu erhalten. Die Bilder wurden auf dem Computer gezeigt und die Aussagen der Proband_innen währenddessen mithilfe des Programms „Audacity“ aufgenom-men. Um mögliche Verfälschungen zu vermeiden, wurde zum eigentlichen Thema der Unter-suchung vor der Aufnahme geschwiegen.

Die italienischsprachigen Proband_innen stammen aus Norditalien und sind 23, 56 und 59 Jahre alt, die schwedischsprachigen kommen aus Finnland und waren zum Zeitpunkt der Aufnahme 32, 32 und 73 Jahre alt – somit wurden, anders als bei Slobins erster Studie, in der Vorschüler, Schulkinder und Erwachsene miteinander verglichen wurden (vgl. Slobin 1996: 200), in vorliegender Arbeit nur Erwachsene untersucht.

3.3 Datenauswertung

Nachdem alle Daten der sechs Proband_innen mithilfe von Audacity als mp3-Dateien gespei-chert worden waren, begann die eigentliche Analyse. Zunächst erfolgte die Transkription aller mündlichen Beschreibungen. Anschließend wurden folgende 8 Kernszenen detailliert glos-siert, welche alle verschiedene Bewegungsereignisse enthalten (die Analyse der Daten zu allen 24 Bildern hätte den Rahmen der Arbeit gesprengt):

1) Szene 1 (Seite 2): Die Flucht
2) Szene 2 (Seite 6): Der Fall aus dem Fenster
3) Szene 3 (Seite 11): Auf dem Baum
4) Szene 4 (Seite 12): Die Eule und die Bienen
5) Szene 5 (Seite 13/14): Der Felsen
6) Szene 6 (Seite 16): Der Hirsch
7) Szene 7 (Seite 17): Die Schlucht
8) Szene 8 (Seite 18): Der Sturz in den Teich

In der Analyse der glossierten Aussagen zu diesen 8 Kernszenen wurde der Fokus darauf legt, wie und wo PATH und MANNER[2] eines Bewegungsereignisses im Italienischen und im Schwedischen ausgedrückt wurden. Dabei wurden die Sprachen zunächst einzeln pro Bild bzw. Szene betrachtet und anschließend wurde auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden Sprachen eingegangen. Dabei wurden sowohl Talmys dichotome Typologisierung als auch Slobins, Fortis’ und Beavers’ et al. Erkenntnisse berücksichtigt. Mithilfe der Analyse sollten in vorliegender Arbeit folgende Fragen beantwortet werden:

1. Welche (Bewegungs-)Verben werden in der Beschreibung der Bilder der „Frog Story“ verwendet und wie oft?
2. Wie bzw. wo werden PATH und MANNER in der jeweiligen Sprache kodiert?
3. Wie viele PATH-Segmente verwenden die beiden Sprachen jeweils in einer Verbalphrase?
4. Findet boundary-crossing statt?
5. Inwieweit entsprechen die Analyse-Ergebnisse der typologischen Zuweisung zu verb-framed (Italienisch) vs. satellite-framed (Schwedisch)?

4. Analyse – Bewegungsereignisse der Frog Story im Italienischen und im Schwedischen

4.1 Szene 1 (Seite 2) – Die Flucht

In der Szene, in der der Frosch nachts aus dem Glas klettert, verwenden alle drei italienischen Proband_innen das Verb scappare,davonlaufen, weglaufen, entwischen’, ein Proband ohne Hintergrund, die beiden anderen mit Angabe von Hintergrund und Satelliten (der Präposition da und dem Adverb fuori,heraus’): (fuori) dal vaso,(heraus) aus dem Glasgefäß’. Scappare lässt sich nicht zu 100% zuordnen – einerseits drückt es den Weg (eine Entfernung weg vom ursprünglichen Ort) aus, andererseits auch die Art und Weise, wenn der Fokus auf dem ,laufen’ liegt und man davon ausgeht, dass die Flucht schnell verläuft.

Dagegen wird bei den schwedischsprachigen Proband_innen klar, wie der Frosch dem Glas entkommt: zwei Mal klettert er aus dem Glasgefäß heraus (klättrar upp/ut ur glasburken), ein Mal springt er heraus (har hoppat ut från burken,ist aus dem Gefäß gesprungen’). Beide Verben kodieren MANNER, während der Weg mithilfe von Satelliten (den Verbpartikeln upp und ut sowie den Präpositionen ur und från) ausgedrückt wird.

4.2 Szene 2 (Seite 6) – Der Fall aus dem Fenster

Alle drei italienischen Sprecher_innen verwenden das Weg-Verb cadere,fallen’, welches hauptsächlich die Richtung von oben nach unten ausdrückt. Außerdem geben alle drei die Quelle des Falles an – das Fenster (bzw. das Fensterbrett): dalla finestra/ dal davanzale. Das Ziel der Bewegung (der Boden) bleibt bei allen unerwähnt.

Anders als die Italiener_innen verwenden die schwedischsprachigen Sprecher_innen drei verschiedene Verben – allerdings sind zwei davon, wie im Italienischen, in diesem Fall ebenfalls Weg-Verben: falla/ trilla (ner),(herunter)fallen’. Hoppa ( ut) ‚(heraus)springen’ ist zum einen ein MANNER-Verb, zum anderen drückt es eine aktive Eigenbewegung aus (im Gegensatz zu fallen). Zwei Mal wird wie im Italienischen die Quelle genannt (genom fönstret/ från fönsterkarmen), ein Mal wird komplett auf die Erwähnung des Hintergrunds verzichtet. Dafür ergänzen zwei schwedischsprachige Proband_innen den Satelliten ner,(he)runter’, der zusätzlich zum Weg-Verb den Weg nach unten beschreibt.

4.3 Szene 3 (Seite 11) – Auf dem Baum

Dass der Junge auf den Baum klettert, beschreiben nur drei der sechs Proband_innen (IT 3, SE 2 und 3[3] ). Dies könnte daran liegen, dass das Bild vielmehr als einzelnes gesehen und keine fortlaufende Geschichte formuliert wurde. Im Italienischen wird der Baum ein Mal gar nicht erwähnt (nur die Spalte), ein Mal wird der Ist- bzw. Endzustand beschrieben (il bambino è sull’albero,der Junge ist auf dem Baum’), ein Mal wird das MANNER-Verb arrampicarsi,klettern’ mit Weg-Satellit und Hintergrund verwendet: su di un albero,auf einen Baum’.

Zwei schwedischsprachige Proband_innen verwenden ebenfalls MANNER-Verben mit Weg-Satelliten: kliver upp i trädet,steigt hoch in den Baum’ und har klättrat upp på ett stort gammalt träd,ist auf einen großen alten Baum geklettert’.

4.4 Szene 4 (Seite 12) – Die Eule und die Bienen

Das plötzliche Auftauchen der Eule wird durch die Italiener_innen zwei Mal mit dem typi-schen Weg-Verb uscire,herausgehen’ beschrieben, immer ergänzt durch die Quelle dal buco,aus dem Loch’, und ein Mal mit dem eher deiktischen Verb apparire,erscheinen’.

Die schwedischsprachigen Sprecher_innen benutzen dafür drei verschiedene Verben: das deiktische Verb komma,kommen’ sowie die MANNER-Verben flyga,fliegen’ und störta,stürzen’ – alle drei mit dem Weg-Satelliten ut,heraus’. In einem Fall wird ut sogar gedoppelt (Ut från hålet i gamla trädet så störtar ut en uggla,heraus aus dem Loch im alten Baum stürzt eine Eule heraus’, SE 3).

Den Fall des Jungen vom Baum versprachlichen zwei der drei Italiener_innen mit dem Weg-Verb cadere,fallen’. Ein Proband ergänzt als Hintergrund das Ziel (a terra,zu Boden’), der zweite die Quelle (dall’albero,vom Baum’), jeweils mit Weg-Satellit.

Die schwedischsprachigen Proband_innen verwenden ebenfalls das Weg-Verb ,fallen’, jedoch ohne Hintergrund (weder Quelle noch Ziel): zwei Mal falla,fallen’, ein Mal mit Satellit ner,herunter’, und ein Mal ramla (på sin rygg),(hin)fallen (auf seinen Rücken)’.

Weitere Parallelen zwischen Italienisch und Schwedisch: Der Hund wird vom Bienen-schwarm gejagt (viene inseguire,wird gejagt’; bina jagar (efter) hunden,die Bienen jagen (nach) dem/den Hund’) oder verfolgt (rincorrono,sie verfolgen’/ rincorso,verfolgt’; bisvär-men förföljer hunden,der Bienenschwarm verfolgt den Hund’) – Italienisch eher passiv, Schwedisch aktiv. Er flieht (sta scappando – Verlaufsform stare+Gerundium) oder rennt weg: ein Mal corre via; drei Mal springer iväg – hier erfolgt im Italienischen die Kombination des gleichen MANNER-Verbs mit dem gleichen Weg-Satelliten wie im Schwedischen.

4.5 Szene 5 (Seite 13/14) – Der Felsen

Die nächste Szene, in der die Eule über dem Jungen schwebt (Seite 13), beschreiben die Italiener_innen ein Mal mit inseguire,verfolgen’, und zwei Mal mit den MANNER-Verben fliegen bzw. schweben, genauer sorvolare,schweben, überfliegen’ und librarsi in volo,im Flug schweben’, allerdings wird kein Weg-Satellit hinzugefügt.

Die schwedischsprachigen Sprecher_innen dagegen verwenden das Verb ,fliegen’ interessan-terweise gar nicht, sondern jaga efter,(hinterher)jagen’, försöka (att) attackera,zu attackieren versuchen’ (kein Bewegungsverb) sowie die Beschreibung eines statischen Zustandes: ugglan är däruppe,die Eule ist dort oben’.

Bei allen sechs Versprachlichungen steigt oder klettert der Junge auf den Felsen bzw. Stein (Bild 14). Die italienischen Proband_innen verwenden das typische Weg-Verb salire,hinauf-gehen, (hinauf)steigen’ und ergänzen es mit den Weg-Satelliten su,auf’ (zwei Mal) und sopra,über, auf’. Die drei schwedischprachigen Sprecher_innen verwenden die Art-Verben klättra,klettern’ (zwei Mal) und kliva,steigen’ mit den Weg-Satelliten upp (på/ för),hinauf (auf)’.

4.6 Szene 6 (Seite 16) – Der Hirsch

Die Versprachlichung des Beförderns des Jungen durch den Hirsch, nachdem dieser ihn aufgegabelt hat, geschieht auf unterschiedliche Weise: Italienisch verwendet das (Art-)Verb andare,(zu Fuß) gehen’ (va in giro,herumlaufen’), das Art-Verb correre,rennen’ + Satellit via,weg’ und das Verb portare,tragen’, hier als portare a spasso,spazieren führen’, aber ohne Hintergrund oder Weg-Satelliten. Die nächste Station, die Schlucht, wird erst in einer neuen Verbalphrase eingebaut: ma stanno andando verso un dirupo,aber sie sind dabei, in Richtung eines Abgrunds zu gehen’, mit einem Weg-Satelliten (verso,gegen’).

Eine deutliche Aneinanderreihung von Weg-Satelliten, die im Italienischen nicht vorkommt (und typisch ist für S-Sprachen), zeigt die Beschreibung von Proband_in SE 3:

så bär han iväg pojke-n ner mot en stor brant

so trägt er weg Junge-DEF.SG hinab gegen ein groß Abhang

Bew. Agens Weg Figur Weg Weg Hintergrund

,so trägt er den Jungen weg, hinab in Richtung eines großen Abhangs’[4]

[...]


[1] Für vorliegende Arbeit wird ebenfalls die breiter gefasste Definition verwendet und Präpositionen werden zu den Satelliten gezählt.

[2] In dieser Arbeit wird „PATH“ synonym zu „Weg“ und „MANNER“ synonym zu „Art“ verwendet.

[3] IT steht auch im Folgenden für italienischsprachig, SE für schwedischsprachig, die Zahlen dahinter für die jeweiligen Proband_innen, „IT 3“ z.B. entspricht also „italienischsprachige_r Proband_in 3“.

[4] Hier muss allerdings eingewandt werden, dass bära,tragen’, genau wie portare, kein intransitives Bewegungsverb ist, so auch kasta und slänga,werfen’ und släppa,fallen lassen’.

Ende der Leseprobe aus 45 Seiten

Details

Titel
Zur Verbalisierung von Bewegungsereignissen anhand der Frog Story
Untertitel
Schwedisch und Italienisch im Vergleich
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Institut für Deutsch als Fremdsprachenphilologie)
Veranstaltung
Sprachstruktur und Sprachvergleich
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
45
Katalognummer
V368379
ISBN (eBook)
9783668484689
ISBN (Buch)
9783668484696
Dateigröße
1288 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bewegungsereignis, schwedisch, italienisch, path, manner
Arbeit zitieren
Sofia Gruca (Autor:in), 2016, Zur Verbalisierung von Bewegungsereignissen anhand der Frog Story, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/368379

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Titel: Zur Verbalisierung von Bewegungsereignissen anhand der Frog Story



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