Theorien der Kindheitsforschung: Ein Paradigmenstreit


Studienarbeit, 2005

15 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die traditionelle Sichtweise auf Kinder und Kindheit
2.1 Grundlegende Annahmen
2.2 Kritik am Entwicklungs- und Sozialisationsparadigma

3. Die Soziologie der Kindheit
3.1 Grundannahmen der neueren Kindheitsforschung
3.2 Probleme und Kritik

4. Eine Gegenüberstellung
4.2 Tabellarischer Vergleich der (scheinbaren) Unterschiede
4.2 Gemeinsamkeiten

5. Ausblick und abschließende Bemerkungen

6. Literatur

1. Einleitung

Seit geraumer Zeit vollzieht sich in den Sozialwissenschaften und somit auch innerhalb der Kindheitsforschung ein Perspektivenwechsel (Honig, Leu & Nissen, 1996). Zinnecker (1996) spricht sogar von einer beständigen Entwertung älterer Konzepte durch neue Wissenschaftler, die innerhalb eines nicht enden wollenden Kreislaufs in rasendem Tempo andere Begrifflichkeiten und Erklärungsmodelle vorschlagen. Das Wissenschaftsfeld ist somit seines Erachtens von Kampf und Konkurrenz geprägt. Er betont jedoch auch, dass „neue Kinder und neue Kindheiten [...] auch neue Theorien und Forschungsdesigns“ verlangen (ebd, S.51). Die Wissenschaft muss sich daher ebenfalls den sozialen historischen und kulturellen Wandlungsprozessen anpassen, die Kindern neue Herausforderungen stellen (Mayall, 1996; Honig, Lange & Leu, 1999; Olk, 2003). Diese Annahme erklärt auch, warum in der neueren Literatur zur Kindheitsforschung immer deutlicher ein paradigmatischer Wechsel von der Pädagogik zur Soziologie erkennbar ist (Winkler, 2003), der nicht nur einen Erkenntnisfortschritt innerhalb der Wissenschaft reflektiert, sondern auch und vor allem „das Brüchig-Werden eines epochaltypischen Kindheitsmodells“ (Honig, Lange & Leu, 1999, S.13). Wie dieser sich konkret gestaltet, soll das Thema dieser Arbeit darstellen. Dafür wird zunächst die traditionelle Sicht auf Kinder beleuchtet, um sich dann der neueren Kindheitsforschung zuzuwenden. Am Schluss der Arbeit stehen ein Vergleich der Paradigmen und ein Ausblick auf zukünftige Entwicklungen.

2. Die traditionelle Sichtweise auf Kinder und Kindheit

Kindheitsforschung ist ein Themenfeld mit einer langen Tradition (u.a. Mey, 2001). Innerhalb der Pädagogik, Entwicklungspsychologie und Sozialisationsforschung, die bisher als die Domänen der Kindheitsforschung galten, herrscht eine bestimmte Art vor, Kinder zu sehen und Kindheit zu definieren (Zinnecker, 1996; Alanen, 2003), die im Folgenden in ihren Grundannahmen erläutert werden soll.

2.1 Grundlegende Annahmen

In dieser traditionellen und eher historisch geprägten Art, Kinder zu sehen und Kindheit zu begreifen, sind vor allem Reifungs- und Wachstumsprozesse entscheidend. Eine erste Disziplin, die sich mit Kindheit beschäftigt ist also die Entwicklungspsychologie (Herzberg, 2003). Anfang des 20. Jahrhunderts wurde als Ziel die „Anerkennung des Kindes als einer sich entwickelnden Persönlichkeit“ betont (Olk, 2003, S.104). Eltern und Erzieher könnten ihre Aufgabe nur dann erfüllen, wenn sie die psychologischen Voraussetzungen der Entwicklung berücksichtigten (Olk, 2003). Dass es sich hier keinesfalls um eine Abwertung von Kindern handelt, scheinen die Kritiker dieses Ansatzes vielfach übersehen zu haben. Ganz im Gegensatz weisen Honig, Lange und Leu (1999) darauf hin, dass der kindlichen Besonderheit Beachtung geschenkt wurde und Kindern nicht „ein Dasein aus eigenem Recht abgesprochen wurde“ (ebd., S.14).

Laut Herzberg (2003) ist die Pädagogik eine zweite Domäne, die bisher für Kindheit zuständig war. Kindheit wird in diesem Zusammenhang als eine Lebensphase charakterisiert, die durch Erwerbsfreiheit, Lernen und Spielen gekennzeichnet ist und der Vorbereitung auf das Leben als Erwachsener dient (Honig, Leu & Nissen, 1996; Olk, 2003). Eine Hauptaufgabe von Kindheit ist demnach die Sozialisation, der Prozess des Auf- und Hineinwachsens in gesellschaftliche Bedingungen (Stickelmann, 2003). Es wird daher auch von der sozialisationstheoretischen Perspektive gesprochen (Honig, Leu & Nissen, 1996).

Das Kind lebt demnach in Abhängigkeit zum erziehenden Erwachsenen und wird durch ihn mitdefiniert. Es hat aber auch einen Anspruch auf Fürsorge (Stickelmann, 2003). Hieran wird deutlich, dass die Kindheit vor allem durch die Erwachsenen und durch Konstruktionen bestimmt wird, die sich Erwachsene von Kindern machen (Scholz, 2001). Eine besondere Stellung nimmt die Familie als Sozialisationsinstanz ein (Stickelmann, 2003).

Ein Hauptziel dieser sozialisationstheoretischen Perspektive liegt in der „Effektivierung pädagogischer Handlungen und Institutionen“ (Zinnecker, 1996, S.47).

An dieser Stelle muss aber auch erwähnt werden, dass innerhalb dieser wissenschaftlichen Sichtweise eine Wandlung stattgefunden hat. So wird im Zusammenhang mit dem Konzept des lebenslangen Lernens heute nicht mehr die starke Differenzierung zwischen dem Kind, das sich entwickelt, und dem „fertigen“ Erwachsenen vorgenommen (Herzberg, 2003).

Auch wurde innerhalb der Reformpädagogik ein wichtiger Schritt in Richtung des modernen Verständnisses von Kindheit getan, indem sie die Forderung stellte, Kindheit vom Kinde aus zu betrachten und damit die eigenständige Rolle des Kindes vorantrieb (Olk, 2003).

2.2 Kritik am Entwicklungs- und Sozialisationsparadigma

Das Konzept der Kinder als „Menschen in Entwicklung“ (s. u.a. Honig, Leu & Nissen, 1996) wird heute vielfach zurückgewiesen. Die Kritiker desselben unterstellen ihm insbesondere die Bevormundung von Kindern durch die Erwachsenen (Honig, Leu & Nissen, 1996) und die damit verbundene Abhängigkeit (Zinnecker, 1996). Der Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen werde besonders hervorgehoben. Entwicklung oder Sozialisation werde zum Charakteristikum des Kindes erklärt. „Kindsein“ bedeute damit lediglich „Erwachsenwerden“, Kindheit sei also ein Übergangsstadium und Kinder seien etwas Unfertiges und damit Unvollkommenes. Ursache für diese Zuschreibungen ist vor allem der so genannte „Adultismus“, dem ein erwachsenenzentrierter Blickwinkel vorgeworfen wird (Honig, Leu& Nissen, 1996). Kritiker weisen den mit der Ausgrenzung der Kinder aus der Erwachsenenwelt verbundenen Kinderschutzgedanken und die Erziehungsbedürftigkeit zurück und werfen dieser Sichtweise vor, sie würde Kinder ausschließen und ihre Macht- und Kontrollansprüche geltend machen (Olk, 2001). Kritiker weisen zudem die Behauptung, Kinder seien unreif, inkompetent und unvernünftig als falsch zurück (Herzberg, 2003).

Scholz (2001) bemerkt, dass bedacht werden müsse, dass die Beobachtungen der Forscher nicht der Natur des Kindes entsprechen, sondern lediglich seine Erziehung widerspiegeln.

Auch wird beanstandet, dass Forschung nur bezogen auf Umwelt- und Milieubedingungen stattfinde, dabei aber „die Erforschung der aktuellen Lebensbedingungen der Kinder, des handelnden Umgangs der Kinder mit diesen Bedingungen sowie ihrer subjektiven Sinngebung [...] zweifellos vernachlässigt“ werde (Honig, Leu & Nissen, 1996, S.14). Auch die finnische Soziologin und Kindheitsforscherin Leena Alanen (2000) weist darauf hin, dass der soziale Kontext des Kindes nicht genug Beachtung findet. Aus dieser Kritik ergibt sich für die Sozialisationstheorie die Forderung, die gegenwärtigen Probleme und Bedürfnisse des Kindes zu berücksichtigen und damit den eigenen Horizont zu erweitern (Honig. Leu & Nissen, 1996).

Zinnecker (1996) gibt zu bedenken, dass das Paradigma der Sozialisation in vielerlei Hinsicht die Begrifflichkeiten, Theorien und Debatten seiner Anfangszeit – der 60er Jahre – beibehalten hat, die damals als Innovation galten. Heute jedoch werden sie von den Vertretern der neueren Kindheitsforschung als „veraltet, unangemessen, verkürzt, gar herrschaftsheischig“ wahrgenommen (Herzberg, 2003, S.38). Es gilt daher laut Herzberg (2003), dass Theorien zunächst in den Hintergrund rücken müssen, um sich voll und ganz dem alltäglichen Leben der Kinder zuwenden zu können.

[...]

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Theorien der Kindheitsforschung: Ein Paradigmenstreit
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg  (Institut für Rehabilitationspädagogik)
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
15
Katalognummer
V36685
ISBN (eBook)
9783638362368
Dateigröße
619 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Theorien, Kindheitsforschung, Paradigmenstreit
Arbeit zitieren
Anna Badstübner (Autor:in), 2005, Theorien der Kindheitsforschung: Ein Paradigmenstreit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/36685

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